Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Einsamkeit inklusiv Eine Radiowerkstatt Autor: Charly Kowalczyk Regie: Friederike Wigger Redaktion: Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk 2023 Erstsendung: Dienstag, 19.12.2023, 19.15 Uhr Mit Thomas Hartmann, Katharina Mickley, Andy Müller, Frank-Daniel Nickolaus, Marianne Schnakenberg, Ellen Stolte und Hedwig Thelen. Ton: Martin Eichberg Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Atmo 01 Nick: Eins, ich hör nichts, hör nichts, hör nichts. Ein bisschen mehr Saft. Eins. Eins. Eins. Könnte noch mehr sein. So, jetzt höre ich mich richtig, ja, okay. Musik O-Ton 01 Nick Wir trennen uns jetzt ab Ende April, ne, mein Mann und ich. Ich hab bis jetzt, seit ich in Bremen bin, nur ihn kennengelernt. Ich kenne niemanden in Bremen, außer meiner Schwester. Das macht trostlos. Ich bin vereinsamt. Ich war nie im Theater. Ich war nie im Kino. Manchmal hab ich das Gefühl, ich bin gefangen in meiner eigenen Wohnung. O-Ton 02 Marianne Ich hab mich auch schon einsam gefühlt, häufig in meinem Leben. Und Selbstbestimmung ist wichtig, ja weil ich eben lange Zeit nicht selbst bestimmt, da haben andere bestimmt. Denn es waren ja immer Phasen, ja wo mein Mann nicht mit mir geredet hat. Wo kein Kontakt war. Auch kein Blickkontakt. Und das war mein ständiger Begleiter. O-Ton 03 Andy Grade durch jetzt meine Krankheit, jetzt grade die Feiertage, hab ich wieder festgestellt, wie elendig eigentlich mein Leben ist, weil ich keine Kontakte mehr zu Menschen hab. O-Ton 04 Thomas Ich suche eine Frau, die ich liebe. O-Ton 05 Ellen Wenn ich Probleme hab, gehe ich nach meiner Mama. O-Ton 06 Katharina Ich bin, glaub ich, acht Wochen zu früh gekommen. Also mein Gehirn konnte sich gar nicht komplett zu Ende entwickeln und deswegen funktioniert mein Denken anders, deswegen muss ich leider in Werkstatt Bremen arbeiten und nicht auf dem freien Arbeitsmarkt, wo alles ganz schnell geht. Musik Titel Ansage Einsamkeit inklusiv Eine Radiowerkstatt O-Ton 07 Katharina Gewalt gegen Menschen, die ein kleines bisschen ticken als die anderen Menschen, die sollte man niemals treten. Niemals schubsen. Niemals kränken. Niemals verstoßen, aber ich finde, das muss aufhören! Titel Ansage Ein Feature von Charly Kowalczyk. Atmo 02 Ellen: Hallo Charly, hörst Du mich? Wie geht es Dir? Autor: Ellen Du musst ein bisschen Abstand, weil Du sprichst laut, versuch mal das Mikrofon so zu halten. So, das reicht schon... Ellen: Hallo Charly, wie geht es Dir? Autor Im Sommer 2018 bekomme ich Besuch in meinem Büro in Berlin. Vom Martinsclub. Die Bremer Organisation wurde vor 50 Jahren gegründet. Sie setzt sich für die Teilhabe aller Menschen ein. Ich soll ein Radioprojekt starten. Gemeinsam mit Menschen mit Beeinträchtigungen. Im Herbst 2020 geht es los! Mitten in der Corona-Pandemie. O-Ton 08 Nick Hallo, ich bin Nick. Ich bin inzwischen 57 Jahre alt und zwar bin ich Radioliebhaber und aus diesem Grunde möchte ich bei diesem Projekt mitmischen... (Ton abnehmen) O-Ton 09 Katharina Ja, ich bin Katharina und wohne quasi seit meinem dritten Lebensjahr in Bremen. Also ich habe den Wunsch und das Ziel, dass meine beiden Väter, die ich habe, dass die mich irgendwann im Radio wenigstens hören können. Autor Am Anfang bin ich skeptisch. Als Radioautor arbeite ich normalerweise allein. Jetzt soll ich eine Radiosendung gemeinsam mit so vielen anderen Menschen entwickeln? Die nie für den Rundfunk gearbeitet haben? Ein Experiment. Auf der anderen Seite: Muss immer alles perfekt sein? Ich zum Beispiel lispele. Nicht gerade optimal für einen Radiojournalisten. Bisher wurden meine Texte deswegen immer von Schauspielern gesprochen. O-Ton 10 Andy Ich heiße Andy. Ich bin jetzt mittlerweile 51. Ich hab an dem Radioprojekt teilgenommen, weil ich einfach zu viel Langeweile hatte und einfach mal was unternehmen wollte. Ich sag mein ganzer Körper ist von betroffen, bis auf die Ohrläppchen. Und grade die geistige Beeinträchtigung macht doch mein soziales Teilhabe doch teilweise sehr schwer und kompliziert. Ich war ja früher selbstständiger Handwerker und hab eben durch die Krankheit auch alles verloren: Sozialleben, Arbeit. Atmo 03 Marianne: Eine Idee kann man runter. Ich will nur mal probieren. Autor: Genau... Hier kannst Du quasi drehen. Marianne: Okay, da gibt es plus und minus. Hier ist leiser... Musik Autor Zuerst mussten wir uns auf ein Thema einigen. Vorschläge gab es einige. Gewalt gegen Menschen? Klimawandel? Oder unser aller Interesse am Fußballclub Werder Bremen? Wir haben uns für das Thema Einsamkeit entschieden. Und für Selbstbestimmung. Beides gehört für uns zusammen. Und das ist nicht frei von Widersprüchen. O-Ton 11 Andy Ich lebe komplett selbstbestimmt. Ich lebe alleine. Aber gerade, weil ich alleine und selbstbestimmt bin, hab ich eigentlich jetzt grade durch meine Krankheit weniger Möglichkeiten. Ich würde mit einem guten Team oder mit guten Menschen zusammen, hätte ich im Grunde genommen mehr Freiheit, weil das einfach wieder mal mehr Sachen möglich machen würde als dieses selbstbestimmte Leben im Grunde genommen für mich in meiner Situation ein Rückschritt. O-Ton 12 Marianne Hallo, ich bin Marianne. Ich bin 79 Jahre alt und mich hat dieses Projekt gereizt, weil ich so was noch nie gemacht hab. Ja, da ich allein lebe, ist das schon mal ein Thema für mich. Und Selbstbestimmtheit, die ist ja für mich eigentlich noch relativ neu, weil die Phase mit Familienaufgaben oder im Beruf, die Anforderungen, da war ja viel Fremdbestimmtheit und ich hab jetzt das krasse Gegenteil und ich kann den überwiegenden Teil meines Lebens kann ich selbst bestimmen, eine wunderbare Erfahrung. Musik Autor Andy fühlt sich oft hundeelend. Dann bleibt er nicht bis zum Ende unserer Treffen. Sein Körper spielt verrückt. Nick muss aufpassen. Immer riskiert er einen epileptischen Anfall. Trägt deshalb ein Notfall-Medikament bei sich. Thomas, Ellen und Katharina sind bei unseren Treffen oft müde. Sie arbeiten tagsüber in "Behindertenwerkstätten". Und... die pensionierte Lehrerin Marianne hat mit 79 Jahren Brustkrebs. Nun hat sie grad ihre erste Chemotherapie hinter sich. Atmo 04 Marianne: Gestern und heute Autor: Und Du bist hier? Marianne: Ich hatte Bedenken, ich spüre jetzt nichts. Es ist recht unberechenbar. Es kann auch nach Tagen kommen oder eben nach einem Tag, nach vier Tagen oder gar nicht, ne. Autor Trotz vieler Hindernisse kommen fast alle immer zu unseren Treffen. Wir brauchen einen langen Atem. Um das Organisatorische kümmert sich Hedwig vom Martinsclub. O-Ton 13 Hedwig Ist es anders mit Kopfhörer als ohne? Das klingt wirklich ganz anders so. Aber meine Stimme klingt so komisch. Die ist so hell, so. Klinge ich echt immer so? (lacht) Autor Hedwig macht auch mit in der Radiowerkstatt. Musik O-Ton 14 Hedwig Einsamkeit macht krank. Macht traurig. Macht das Leben nicht lebenswert. Und vielleicht ist es umgekehrt für mich ganz oft die Frage, was macht ein Leben eigentlich lebenswert? O-Ton 15 Thomas Ich heiße Thomas Hartmann und ich lese auch Buch von Lady Di und ich mag auch Musik. Und den Sport mach ich und das heißt Boccia. Autor Thomas ist 37. Er hat das Down-Syndrom. Er wohnt in einer betreuten Wohngemeinschaft - und verehrt Lady Di. Die britische Prinzessin, die Ende der 90er Jahre tödlich verunglückte. Vor allem aber sucht er eine Frau. Sie soll ungefähr so aussehen wie Lady Di. Atmo 05 Thomas: Ja stimmt. Ich will nicht einsam sein! Nick: Wie sieht es denn mit Parship.de aus? Katharina: Ich verliebe mich nicht darüber. Autor: Hast Du schon probiert? Katharina: Nein. (alle lachen vergnügt) Nein, ich mach so was nicht! Nick: Das Leben ist halt nicht so einfach, mit einem behinderten Menschen zusammen zu leben. Man muss Abstriche machen. Also jeder Mensch hat eine Macke, auf Deutsch gesagt. (lacht) Ellen: Es gibt auch eine Macke, die kann einem auf den Geist gehen. Autor: Welche ist das? Ellen: Also immer wenn ich auf dem auf dem Klo sitze, ruft sie mich an. Autor Und das ist Ellen. Sie feiert bald ihren 60. Geburtstag. Ellen lebt mit ihrem Freund und zwei Wellensittichen in einer eigenen Wohnung. Atmo 06 Ellen: Und was soll ich erzählen? Hedwig: Über Deinen Lieblingsladen, zum Beispiel. Marianne: Deine Reisen, die Du machen willst, jetzt. Ellen: Also ich bin Ellen Stolte und wohne in Bremen. Und mache jetzt ein bisschen Urlaub, erst nach Braunschweig, dann weiter nach Düsseldorf. Und zwischendurch bin ich auch wieder in Bremen, weil ich meinen Freund Anton ein bisschen ärgern will und meine Wellensittiche. Musik Autor Ellen, Thomas und Katharina leben von Geburt an mit ihrer Beeinträchtigung. Marianne sieht sich durch das Alter eingeschränkt. Sie ist vor kurzem 80 geworden. Bei Nick und Andy kam die Beeinträchtigung überraschend. Durch Unfall und Krankheit. O-Ton 16 Nick Es war noch dunkel und es war in der Nacht Eisregen und es hatte leicht geschneit. Es war so eine Pulverschneedecke. Also es sah gut aus, richtig so wunderschön romantisch ja. Gehe um die Ecke und ich rutsche aus und liege da auf einmal. Ich bin ausgerutscht (schlägt auf den Tisch) und so umgekippt und lag da bewusstlos. Und da haben mich dann zwei Jungs gefunden. Irgendwann haben sie meinen Namen bekommen und dann haben sie mich wieder nach Hause geschleppt, im Bett liegen lassen. Und da lag ich eine Woche. Bis dann ein Freund vorbeikam, dem ich die Tür aufgemacht habe und... Autor Du konntest dich bewegen? Ja, ja, die Tür aufmachen konnte und der hat mich dann zum Arzt gebracht und der hat sofort einen Notarztwagen geholt und der hat mich dann ins Krankenhaus gebracht. Autor Nick lag ein Jahr lang im Krankenhaus. Er war Architekt und Städtebauer. Arbeitete als Journalist. Gründete eine kleine Firma. Lebte in einer Luxuswohnung in der Berliner Friedrichstraße. Nach dem Unfall war alles vorbei. Keine Einnahmen mehr. Die Kosten liefen weiter. Niemand kümmerte sich um seine Finanzen. Nick verschuldete sich. Seine Schwester holte ihn nach Bremen. O-Ton 17 Nick Alles war kaputt hier durch den Unfall. Epilepsie, Loch im Schläfenlappen, Schulter, Sprunggelenk, Kopf. Ich konnte nicht mehr denken, es ging ja nichts mehr. Dann hatte ich diese epileptischen Anfälle. Ich war in der Psychiatrie, ich war in der Neurologie, ich war in der Chirurgie, ich war überall ja. Es war einfach nur noch Horror. Musik O-Ton 18 Andy Ich hatte mal angefangen in den frühen 20igern mit Küchenmontage, hab mich aber nachher dann irgendwann erweitert, Bodenleger, also hier solche Vinylböden, Parkett, Laminat, so alles Fertigsachen. 2010 hatte ich die ersten Symptome gehabt. Und 2011 hat es mich komplett rausgehauen. Eigentlich müsstest du mehr so Schübe haben und dies und jenes, aber weil das bei mir so heftig und so auffällig war, war wohl dann ziemlich schnell klar, dass es eben MS ist. Ja und dann hast du MS und dann geht die ganze Chose los. Autor Andys Leben veränderte sich durch die Krankheit rasant. O-Ton 19 Andy Ich würde nicht sagen MS macht einsam, sondern eben speziell in meinem Fall, weil mein Sozialleben vorher eben durch die Selbstständigkeit, durch die Arbeit geprägt war. Und bei mir hat sich eben, es ist jetzt nicht durch die MS, aber das war, letztendlich hat sich das auch mit ergeben, auch meine Beziehung dadurch kaputtgegangen. Und dadurch sind meine beiden Hauptsozialbezugspunkte weggefallen und das konnte ich nicht mehr auffüllen. Autor: 1.18 Für viele Leute sind ja diese Festtage wie Weihnachten, Silvester, Neujahr besonders. Wie hast Du sie verbracht? Andy Elend traurig. Elend traurig allein. Einen Tag war ich bei meiner Mama eben zum Kaffeetrinken, das war es dann. Musik Autor Wir treffen uns drei Jahre lang einmal im Monat. Mit der Zeit entsteht Vertrauen. "Einsamkeit inklusiv" ist auch ein Projekt gegen Einsamkeit. O-Ton 20 Marianne Ich war viel allein, irgendwie schon von Kindesbeinen an. Ich war Außenseiter. Autor Die 80-jährige Marianne ist mutig geworden. Probiert vieles aus. Was sie sich früher nicht traute. Doch Altwerden ist nicht einfach. O-Ton 21 Marianne Ich hab so gemerkt, Einschränkung hängt damit zusammen, wie ich dazu stehe, ob ich mich selber einschränke, ob ich jetzt sage, ja, jetzt bin ich älter, jetzt bin ich alt, jetzt kann ich das nicht mehr, das nicht mehr, das nicht mehr. Oder ob ich da Hürden überwinde, dass ich sag, ich versuch es einfach. Oder ich wende mich etwas zu, also sagen wir mal, wenn es jetzt um körperliche Anforderungen geht, ist ja klar, dass man da eingeschränkt ist. Also ich bin sehr gern gewandert früher, lange Strecken, und so was ist jetzt nicht mehr drin. Atmo 07 Autor Thomas, wenn Du ein Nebengeräusch hörst, Du hast die Verantwortung, dass der Ton klar ist Thomas: Okay. Ich habe gemerkt, das Kabel. Nick: Das Kabel. Autor Einsamkeit und Selbstbestimmung? Wir überlegen, wer etwas darüber wissen könnte. Wer ist zuständig dafür in der Politik? Gibt es dafür Fachleute? Im Projekt werden wir zu Reporterinnen und Reportern. Wir bereiten uns auf das Interview mit der Psychologie-Professorin Maike Luhmann vor. Von der Ruhr-Universität in Bochum. Sie forscht über Einsamkeit. Marianne denkt über Fragen nach: Atmo 08 Marianne: Ich hab heute in der Zeitung gelesen, es wurden drei Personen interviewt, die also eben nicht ursprünglich hier gewohnt haben, die also eingewandert sind. Autor: Was würdest Du fragen? Marianne: Ob jetzt die Deutschen besonders gefährdet sind in Richtung Einsamkeit? Musik Atmo 09 Straßenbahnen, Stimmen, Schritte, Musik Hedwig: Können wir gleich die Fotokamera rausholen. Autor: Guten Morgen Nick: Guten Morgen, Charly Marianne: Moin, zusammen Hedwig: Nur Andy fehlt noch? Da kommt Andy. Perfekt. (bleibt darunter) Autor Hauptbahnhof Bremen, 8.15 Uhr morgens. Auf nach Bochum. Wenn man im Rollstuhl sitzt ist Zugfahren kompliziert. Man muss sich Wochen vorher anmelden. 20 Minuten vor Fahrtbeginn da sein. Wir gehen zum Infopoint der Bundesbahn. Atmo 10 Autor: Na Thomas, bist Du ausgeschlafen? Thomas Ja, Kaffee und Brötchen essen. Hedwig: Ich würde gerne Andy Müller anmelden. Der fährt um 44 mit dem Zug. Er ist Rollstuhlfahrer und wir waren über die Mobilitätszentrale... DB Mitarbeiter: Da bin ich. Ich wollte ihn auch abholen... Hedwig: Und Herr Müller hat heute Morgen einen Anruf gekriegt, dass die Tür vom ICE vielleicht kaputt sei. DB Mitarbeiter: Ich hab ihn nicht angerufen. Da halte ich mich raus, weil die Mobilitätszentrale vielleicht... Wunderschönen guten Morgen. Andy: Welches Gleis fahren wir? DB Mitarbeiter: Unserer ist auf Gleis 7, ja. (Achtung Tür schließt, Bahnsteig Gleis 7 recht, Gleis 8 links, obere Ebene. Tür öffnet... Andy: Schön, dass er da ist. Was soll ich mit dem! Autor Andy braucht keine Hilfe. Mit dem Aufzug erreicht er allein das Gleis. Er braucht nur die Rampe. Atmo 11 DB Mitarbeiter (singt) Wagen neun ist in diesem Bereich. Ich hole mal die Rampe. Das Leben ist so schön und so kurz, man sollte es genießen. Ruckzuck, und dann bist Du alt, deswegen sag ich, die Zeit soll ganz langsam gehen.. Nick: Und ich muss bald wieder aufs Klo. Ich hab eine neurologische Blase. Autor Nick wird unruhig. Hoffentlich ist der Zug bald da. Atmo 12a: Stimmen. Durchsagen. Atmo 12 b Andy: (Rampe pumpt ordentlich) Jeep, jeep, jeep. Darf ich? Autor Mit der Rampe kommt Andy mit seinem Rollstuhl in den Zug. Atmo 13 DB Mitarbeiter Tschüss und gute Fahrt und alles Gute. Hedwig: Hallo. Wenn ich nicht störe: Darf ich was sagen, ja? Autor Andy und ich sitzen im Zug zusammen. Die übrigen Teilnehmer der Radiowerkstatt sind in einem anderen Abteil. Plätze für Rollstühle im ICE sind rar. Hedwig besucht uns kurz: Hedwig: Ich hab beim letzten Treffen, wo wir zusammengesessen haben, die Fragen notiert. Andy bei Dir auch, aber ich kann mir vorstellen, dass Du eh Deine Sachen im Kopf hast. Ich wollte es Euch trotzdem noch einmal geben, was ich notiert hab, was an Fragen da waren. Soll ich Euch noch die Corona-Tests gleich vorbeibringen oder wie wollen wir das machen? ... Autor: Ja Hedwig: Super. Schön, bis gleich DB-Schaffner: Hier noch jemand neu an Bord? Autor: Wir gehören dazu. Autor Ankunft in Bochum. Erst einmal Mittagessen. In mehreren Restaurants kommen wir mit dem Rollstuhl nicht hinein. Dann finden wir doch noch ein Lokal. Nach dem Essen schnell zur U-Bahnstation. Richtung Ruhr-Uni. Aber mit dem Rollstuhl kommt Andy nicht in die U-Bahn. Überall Stolpersteine. Flink zum Taxistand. Wir schaffen es grade noch pünktlich zum Interview. Atmo 14 Ankunft Ruhr-Uni... Stimmen... Darf ich kurz Getränke austeilen? Wer möchte denn Kaffee?"... Geräusche, Stimmen O-Ton 22 Maike Luhmann Mein Name ist Maike Luhmann. Ich bin Professorin für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum (Husten) Einsamkeit verstehen wir als Wissenschaftler:innen als ein Gefühl, was dann auftritt, wenn man die sozialen Beziehungen, die man eigentlich braucht, nicht hat. Was sich immer unangenehm, sogar schmerzhaft anfühlt. Autor Hedwig und Andy erzählen erst einmal von unseren Erfahrungen nach unserer Ankunft: O-Ton 23 Hedwig Wir sind eben durch die Innenstadt in Bochum gelaufen. Wollten noch schnell eine Mittagspause machen, suchten ein Restaurant oder ein Café, wo wir reinkönnen und die meisten hatten Stufen und sagten, tut uns leid, sie können hier nicht reingehen... O-Ton 24 Maike Luhmann Es gibt einige Studien z. B. zu chronischen Erkrankungen. Die zeigen eigentlich wirklich konsistent, dass Menschen, die aufgrund chronischer Erkrankungen nicht so am alltäglichen Leben teilhaben können wie andere, dass die ein sehr stark erhöhtes Risiko haben, einsam zu sein. Und aus wissenschaftlicher Perspektive lässt sich das auch recht plausibel erklären. Nämlich eben durch die vielen Barrieren, die man hat. Also einmal Mobilitätsbarrieren, die einen davon abhalten auf die gleiche Art am Sozialleben teilzuhaben, Veranstaltungen besuchen, Freunde treffen. Wenn wir jetzt auf chronisch Erkrankte schauen, ist es natürlich auch so, dass die Krankheit einfach auch viel Raum und viel Zeit einnimmt im Alltag und das heißt, es bleibt einfach sehr viel weniger Zeit und Raum, um sich um soziale Beziehungen zu kümmern. O-Ton 25 Nick Also ich hab bei mir zumindest das Gefühl, dass die Einsamkeit in meinem Falle zum Beispiel mich chronisch krank macht und ob ich in diesem Sinne letztendlich auch Einsamkeit ausstrahle? Oder ob ich vielleicht andere Menschen dadurch abschrecke? Das kann ja wahrscheinlich auch dadurch entstehen? Autor Nick im Gespräch mit Maike Luhmann: O-Ton 26 Maike Luhmann Sie sprechen da gleich zwei ganz wichtige Aspekte an. Einerseits ist es so, dass chronische Erkrankungen einsam machen können, aber Einsamkeit kann auch krankmachen und vor allem dann, wenn sie über längere Zeiträume bestehen bleibt und man dann nicht mehr so einfach rauskommt. Auch dazu gibt es wirklich eine sehr breite Studienlage, die zeigt, einsame Menschen, die haben ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen, Depressionen, Angststörungen, auch Suchterkrankungen. Auch für körperliche Erkrankungen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden oft genannt, aber auch Demenz und sogar eine verfrühte Sterblichkeit. Autor Nun ist Ellen an der Reihe. Alle in der Radiowerkstatt müssen mindestens zwei Fragen stellen. Bei jedem Interview. So haben wir es vereinbart. O-Ton 27 Ellen Was ist das Gegenteil von Einsamkeit? O-Ton 28 Maike Luhmann Das Gegenteil von Einsamkeit? Das fragen wir uns auch ganz oft, was ist das eigentlich? Ein Begriff, den ich gerne verwende ist, soziale Eingebundenheit, dass man Menschen um sich hat, denen man vertraut, die für einen da sind. Und ich glaube, das ist ganz wichtig, dass wir uns da auch in der Wissenschaft, aber auch in der Gesellschaft Gedanken darüber machen, was eigentlich das Gegenteil von Einsamkeit ist. Denn wenn wir etwas gegen Einsamkeit tun wollen, dann ist es ganz gut, wenn wir da so einen positiven Gegenbegriff für finden. O-Ton 31 Autor Hat Einsamkeit auch was mit Selbstbestimmung zu tun? O-Ton 32 Maike Luhmann Einsamkeit hat sehr viel mit Selbstbestimmung zu tun. Also da gibt´s einige Studien, die zeigen, dass dieses Gefühl von Kontrolle, so wird es da meistens genannt, ganz entscheidend ist. Nämlich das heißt: Wenn Menschen das Gefühl haben, dass zwar im Moment vielleicht die sozialen Bedürfnisse nicht erfüllt sind, aber es in ihrer eigenen Hand liegt und es absehbar ist, dass sie es bald wieder erreichen können, dann ist das nicht so schlimm. Aber wenn eben Menschen das Gefühl haben, dass sie überhaupt keine Kontrolle darüber haben, wie viel Kontakte sie haben können, wenn sie da eingeschränkt sind, dann führt das zu einem sehr viel verstärkten Gefühl von Einsamkeit, was eben auch sehr lange dann anhalten kann. Autor Nick hakt noch einmal grundsätzlich nach: O-Ton 33 Nick Warum geht man eigentlich in der Gesellschaft davon aus, dass einsame Menschen unglücklich sind? O-Ton 34 Maike Luhmann Ich weiß gar nicht, ob man in der Gesellschaft davon ausgeht. Weil ich oft zumindest in Deutschland auch Menschen begegne, die sagen, wir sollen die Einsamkeit nicht so verteufeln. Einsamkeit ist doch auch was Positives. Und ich glaube, was da passiert ist, dass da verschiedene Konzepte vermischt werden... Wir meinen einmal diese Einsamkeit über die ich gesprochen habe, die wirklich unglücklich macht. Im Deutschen verwenden wir den Begriff Einsamkeit aber auch, um etwas Positives zu beschreiben. Ja man geht irgendwie in die Berge oder in die Natur, um mal alleine zu sein. Und das ist aber tatsächlich was Anderes. Autor Marianne stellt ihre Frage, ob die Deutschen besonders gefährdet sind sich einsam zu fühlen. So viele Menschen leben alleine in ihren Wohnungen. 41 Prozent der Haushalte in Deutschland sind Singlehaushalte. 1950 waren es nur halb so viele. Die Antwort überrascht uns. Tatsächlich sollen sich die Menschen in manchen Staaten Südeuropas einsamer fühlen. Das hätten Studien ergeben. Und die Politik? Will sie das Problem der Einsamkeit lösen? Ja, sagt Maike Luhmann. Weil Politikerinnen und Politiker selbst oft einsam sind. Atmo 15: "Wer möchte noch Kaffee, jetzt haben wir noch welchen reingebracht bekommen." (lacht) Viele Stimmen... Autor Nun fahren wir wieder nach Bremen zurück. Viele von uns sind erschöpft. Wir dösen vor uns hin. Musik Atmo 16 Katharina: Mich würde zum Beispiel interessieren, ob ich mein ganzes Leben lang von den Nervensägen betreut werden muss oder ob ich irgendwann das Recht hab, die hochkant rauszuwerfen und dann ein eigenständiges Leben führen kann wie meine Eltern. Nick: Was gesetzliche Betreuung macht, das liegt oft im Argen, muss ich sagen, ja. Es ist sehr viel Bevormundung und es ist sehr viel Ahnungslosigkeit letztendlich, was eigentlich den Menschen betrifft, der betreut wird. Also meine Betreuerin weiß überhaupt nichts über mich, aber urteilt über mich. Autor Nick ist seit seinem Unfall nicht nur auf ambulante Betreuung angewiesen. Die ihm zum Beispiel beim Duschen hilft. Er wird auch gesetzlich betreut. Von einer Rechtsanwältin. Die macht immer ihr eigenes Ding, sagt er. Ohne sich mit ihm abzusprechen, sagt er. Darüber wollen wir mit Jürgen Dusel sprechen. Mit ihm sind wir in Berlin verabredet. Er ist Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Wir bereiten Fragen für ihn vor. Ellen hat eine Idee: Atmo 17: Also ich will ihn mal fragen in dem Thema Kraftwerken, warum die immer so viele Kohle nehmen würde, man könnte doch eigentlich Müll verbrennen? (Nick lacht) Statt Kohle Müll. Schön abfiltern und nicht so viel CO2 in die Luft blasen. Nick Irgendwie kommen wir vom Thema ab, hab ich das Gefühl. Andy: Du gehst ja auch nicht zum Bäcker hin und lässt Dir die Haare schneiden. Ellen: Charly, kann sein, dass ich ein bisschen aufgeregt bin. Kannst Du mich dann beruhigen? Autor: Wir können nebeneinandersitzen. Ich beruhige Dich gern. Musik Autor Unser erstens Interview in Berlin. Alle haben es geschafft mitzukommen. Von Bremen in die Hauptstadt. Wieder eine weite beschwerliche Reise. Atmo 18: Viele Stimmen, Dusel: "Ja, ich nehme mir auch so ein Teil da, ja, "Ja, ich probier den Kaffee erst mal so"... O-Ton 35 Jürgen Dusel Ich gehör ja zu den Leuten, die ganz schlecht sehen können und deswegen würde es mir natürlich helfen, wenn wir am Anfang vielleicht so eine kleine Vorstellungsrunde machen. Die Namen habe ich alle gelesen, aber dann krieg ich die Stimmen sozusagen dazu. Können wir das machen, geht das? O-Ton 36 Nick Also mein Name ist Frank-Daniel Nickolaus. Ich bin 58 Jahre alt. O-Ton 37 Jürgen Dusel Sie haben einen tollen Namen, Herr Nickolaus. In ein paar Tagen ist es wieder soweit, ne. O-Ton 38 Andy Mein Name ist Andy Müller, ich bin 52 Jahre alt. Eigentlich war ich früher mal Handwerker, habe seit 2010 MS, ja. Autor Wir stellen uns nacheinander vor. Nun ist der Behindertenbeauftragte dran. Er ist seit 2018 im Amt: O-Ton 39 Jürgen Dusel Ich bin Jürgen Dusel, ich bin 57 Jahre alt, hab dann irgendwann mal an der Universität in Heidelberg Jura studiert. Aber ich hab auch lange überlegt, ob ich nicht Musik studieren soll. Und ich will das deswegen sagen, weil Musik für mich ganz wichtig ist und weil ich sehr schlecht sehen kann, eigentlich blind bin, ist für mich das Radio ganz wichtig. Autor Katharina beginnt. Sie will ihre Betreuung loswerden, erzählt sie: O-Ton 40 Jürgen Dusel (lacht) Ja. Das ist doch ein Ziel. Das ist doch gut. O-Ton 41 Katharina Ich seh das nicht ein, nur weil ich ein kleines bisschen anders bin, mein ganzes Leben lang von diesen Nervensägen weiter betreut zu werden. O-Ton 42 Jürgen Dusel Wenn es jetzt um das Thema alleine leben und Thema Betreuung geht. Das ist ein Ziel, das sollten Sie verfolgen. Und Sie sollten sich da auch nicht abbringen lassen. O-Ton 43 Katharina Nein, werde ich auch nicht... O-Ton 44 Dusel Genau. Und auch nicht klein machen lassen, sondern Sie sollen sich vertrauen. Weil Menschen mit Behinderungen oftmals gesagt kriegen: Das schaffste nicht. Das kannste nicht. Das kriegste nicht hin... Autor Die Politik habe schon was getan, sagt Jürgen Dusel. Seit dem 1. Januar 2023 ist eine Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft: O-Ton 45 Jürgen Dusel ... und nach diesem Gesetz muss es dann so sein, dass die Wünsche desjenigen, der betreut wird, also von Ihnen, viel stärker berücksichtigt wird. Vielleicht brauchen Sie noch am Anfang mehr Unterstützung, das kann ja sein. Das darf Sie aber nicht nerven. Sondern es muss wirklich eine Unterstützung sein und das Ziel kann ja für Sie wirklich sein, dass Sie sagen, so Stück für Stück versuche ich immer unabhängiger zu werden. Und da muss der Betreuer oder die Betreuerin Ihnen auch bei helfen. Das ist die Idee dieses neuen Rechts, dass Sie selbstbestimmt leben können. Autor Die Reform des Bevormundungs- und Betreuungsrechts sei ein Fortschritt. Sagt Jürgen Dusel. Aber nicht alles sei gut. Einige vorgesehene Änderungen des Gesetzes hätten die Bundesländer aus Kostengründen verhindert. Zum Beispiel: O-Ton 46 Jürgen Dusel Nämlich dass Menschen, die unter Betreuung stehen, dass die einfache Möglichkeiten haben, sich auch mal zu beschweren. Bspw. auch über die Betreuer. Das heißt in schwerer Sprache: Niedrigschwellige Angebote in dem Bereich. Das wurde nicht gemacht. Und das finde ich auch nicht in Ordnung. O-Ton 49a Andy Ich habe da jetzt keine Frage direkt. Ich wollte da nur mal eben auf das Thema eingrätschen. Autor Das ist Andy: O-Ton 49b Wir haben gestern zum Beispiel wirklich eine gute Viertelstunde am Berliner Hauptbahnhof gestanden und nur gewartet, dass die Rampe rankommt, damit ich rausfahre. Die Rampe stand zehn Meter weiter, da standen sie mit fünf Angestellten von der Bahn rum, keiner wusste und neben den ganzen anderen Verspätungen, die wir vorher schon hatten, kommst nicht aus der Bahn raus. O-Ton 50 Jürgen Dusel Das ist frustrierend. Das ist ärgerlich. Und das ist vor allem ein Armutszeugnis für die Deutsche Bahn. Da können Sie sich drauf verlassen, da bin ich ziemlich am Drücken, weil mich nervt das und ich finde, es ist eben Aufgabe des Staates nicht so toll zu versprechen, dass Menschen mit Behinderungen auch mobil sein können, sondern es ist Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass sie es auch können. Atmo 19 Abschluss-Szene "Vielen Dank." "Kommen Sie gut zurück... Es war mir ein Vergnügen." "Tschüss". Viele Stimmen, auslaufen lassen Musik Atmo 20 Hedwig: Ellen, wie war es bei Dir im Sommer? Ellen: Bei mir waren es Kurzurlaube. Ich war viel bei meiner Mama und bei meiner Schwester, mit der Deutschen Bahn. Autor: Aber Du warst auch beim Frisör, ne? Ellen: Das war meine Schwester. Nick: Das ist günstig. Katharina: Ich muss auch noch mal zum Frisör. Die Haare sollen ab. Nein, ich will einen Sommerschnitt. Autor So? Autor Ich zeige auf meinen Igel-Schnitt. Katharina Nein, ich glaube, so geht es nicht. Das wäre, glaube ich, ein bisschen sehr hart. (lacht) Musik Atmo 21: Im Bundestag. Viele Stimmen, Stühle rücken... bleibt darunter Autor Wir sind wieder in Berlin. Bundesfamilienministerin Lisa Paus lädt uns in den Bundestag. Sie ist nämlich ganz offiziell auch für die Einsamkeit zuständig. Ihr Ministerium hat sogar ein - schweres Wort! - "Kompetenznetzwerk Einsamkeit" gegründet. Auch Wissenschaftlerinnen wie Maike Luhmann sitzen da drin. Man will Lösungen finden. Denn fast jeder zehnte Mensch in Deutschland, erfahren wir, leidet unter Einsamkeit. O-Ton 55 Lisa Paus Also die Wahrheit ist: Wir fangen mit dem Thema Einsamkeit in Deutschland de facto erst an. Es war bisher immer ein Tabuthema. Ich habe schon vorher auch in den vergangenen Jahren sehr intensiv verfolgt, dass es bspw. in Großbritannien ja schon seit Längerem anders ist. Auch in den Niederlanden bspw. Auch in Japan. Und was wir jetzt erstmal machen mit dem Kompetenznetzwerk Einsamkeit, ist für Deutschland mal eine Grundlage zu schaffen. Wie ist die Situation? Was gibt es eigentlich überhaupt für wissenschaftliche Erkenntnisse in Deutschland? Und wir verbinden es jetzt auch mit einer Einsamkeitsstrategie. So damit wir eben gleich das, was wir eben jetzt neu wissen, auch konkret in bessere Handlungen dann auch gießen können. Autor Einige Fragen konnte uns die Bundesfamilienministerin nicht beantworten. Zum Beispiel: Was kostet Einsamkeit die Gesellschaft jedes Jahr? Oder: Warum wurden Menschen mit Beeinträchtigungen im Kompetenznetzwerk Einsamkeit bisher nicht berücksichtigt? Dann stellt Thomas die nächste Frage: O-Ton 56 Thomas / Hedwig Ich suche eine Frau und ich bin auch einsam, Einsamkeit, Dating gibt. O-Ton 57 Lisa Paus Ich habe das schon verstanden. Es gibt jetzt kein staatliches Dating-Portal und ich bin auch nicht sicher, also es ist auch ehrlich gesagt keine staatliche Aufgabe und ich bin ja von Hause aus Ökonomin, fang natürlich gleich mir an Gedanken zu machen. Inwieweit könnte es ein gutes wirtschaftliches Konzept sein? Ja ein Dating-Portal speziell für Menschen mit Behinderungen zu machen? Es gibt auf jeden Fall den Bedarf, da bin ich mir ganz sicher (lacht), ja,so. Und deswegen bin ich gerne bereit, da zu quatschen, das ist ja auch eine zentrale Kompetenz von Ministerinnen und Ministern (lacht) und dazu das mal anzusprechen und zu gucken, ob da was geht. Aber ich würde sagen, damit das auch wirklich funktioniert ja und damit auch wirklich Dating passiert und möglichst dann auch dann perspektivisch eben tolle Beziehungen, sollten das Menschen machen, die da auch was von verstehen. Autor Ellen wird persönlich: O-Ton 58 Ellen Ministerin: Haben Sie viel Termine und kaum Zeit, macht das einsam? O-Ton 59 Lisa Paus Das kann einsam machen. Einsamkeit ist ja nicht einfach Allein-Sein. Bei älteren Menschen ist das eher so, dass einfach gute Freunde wegsterben, Familie nicht da ist, Partner versterben und so und dann ganz langsam aus Alleinsein wird dann Einsamkeit. Und das hab ich alles gesagt, weil ich habe natürlich unfassbar viele Termine und hab natürlich deswegen unheimlich viel mit Menschen zu tun. Aber nicht jede Begegnung (lacht), zum Beispiel mit meinen politischen Kontrahenten, ist jetzt so, dass ich den Eindruck hätte, ich fühl mich da total wertgeschätzt oder die gehen total respektabel mit mir um. Deswegen ist es schon wichtig, dass auch ich noch Zeit habe für Beziehungen, die für mich wichtig sind und das habe ich aber momentan und deswegen fühle ich mich momentan nicht einsam. Sondern sehr getragen und unterstützt und geliebt. O-Ton 60 Ellen Haben Sie in Ihrem Leben das Gefühl der Einsamkeit kennengelernt? O-Ton 61 Lisa Paus Ja klar. Wo mich mein erster Freund verlassen hat, da war ich natürlich auch in Grund und Boden zerstört erstmal. Oder auch jetzt als mein Mann gestorben ist und ich mit meinem Sohn alleine war. Unter der Woche habe ich gearbeitet. Am Wochenende dann bei anderen Familien anzurufen und sich dann immer da miteinzuklinken, das scheut man dann schon auch so. Und dann ist es dann schon so, dass man erstmal zu zweit ist. Und natürlich konnte der mit drei Jahren auch schon sprechen, aber es sind doch andere Gespräche usw. Das ist dann schon so, dass dann so Einsamkeitsgefühle einfach auch hochkommen. Autor Katharina fordert: Behördenbriefe sollen in einfacher Sprache formuliert werden. O-Ton 62 Katharina Ich finde es richtig doof, dass die Briefe vom Amt für Soziale Dienste so kompliziert geschrieben werden, dass für mich nicht klar ist, ob ich das in meinem Ordner zu Hause abheften muss, oder ob ich das zurückschicken muss. O-Ton 63 Lisa Paus Ich find das unsäglich. Alle können zugeben ja, das hat nichts mit Behinderung zu tun, diese Amtsbriefe, die sind nicht zu verstehen. Die sind natürlich so geschrieben, weil das so im Gesetz steht und die wollen natürlich dann sich nicht angreifbar machen. Deswegen schreiben sie es genau so furchtbar kompliziert, wie es im Gesetz steht. Und es wär für alle ein großer Segen ja, wenn es eben für alles eine verständliche Sprache gibt, so. Atmo 22 Hedwig Dankeschön. Könnten wir noch ein Abschlussfoto machen? Lisa Paus Klar, bin extra hier heute aufgepimpt! (lacht) Beste Gelegenheit! Foto Klick Musik Atmo 23 Im Wirtshaus, vielstimmig, kurz frei Marianne: Und dann kommt noch geschmelzte Maultaschen, und das nehme ich genauso, also mit Fleisch, in Butter und dann ohne Zwiebeln. Kellner: Also zwei mit Fleisch und ohne Zwiebeln, basta (lachen)... Andy: Ich kann nicht viel essen, ob Sie mir zwei, drei Spargel machen, eine Kartoffel reicht mir vollkommen... bleibt darunter Autor Schwäbisch essen in einem Wirtshaus in Berlin-Schöneberg. Mal entspannt sein. Wir genießen das. Denn das Leben in Berlin ist anstrengend für die Gruppe. Gestern blieb Andy im Hotel mit dem Elektro-Rollstuhl in der Rampe stecken. Und Nick ist heute Nacht im Hotelzimmer gestolpert. Er hat gemeinsam mit Hedwig den Tag in der Notaufnahme des naheliegenden Krankenhauses verbracht. Aber jetzt kommen die beiden doch noch zu uns ins Restaurant. Atmo 24 Nick: (Beifall) Ist toll heute im Krankenhaus. Sieben Stunden. Hedwig: Aber Du siehst besser aus, jetzt. Nick: Seh ich besser aus, ja!? ... (alle sagen ja) Marianne: Ja, ja. Autor: Was haben sie konkret festgestellt bei Dir? Nick: Also erstmal liegt es an der Sache mit meinem Bein. Also ich hab da ein Problem mit der Durchblutung. Er hat auf jeden Fall nachgeguckt, ob was gebrochen ist... bleibt darunter Autor : Zum Glück blieb der nächtliche Vorfall im Hotel ohne Folgen für Nick. Jede Reise muss gut vorbereitet sein. Werden Katharina, Ellen und Thomas von den Behindertenwerkstätten freigestellt? Können Andy und Nick mitfahren? Ihre Gesundheit ist labil. Schafft es Marianne trotz Brustkrebsbehandlung dabei zu sein? Was braucht es für Medikamente? Wer benötigt welche Betreuung? Atmo Bahnhof Autor Und dann verläuft keine Fahrt mit der Bahn reibungslos. Einmal kam Andy nicht aus dem ICE. Ein anderes Mal war der Aufzug am Berliner Hauptbahnhof kaputt. Oder die Tür im ICE ließ sich beim Einstieg im Hauptbahnhof Hannover nicht öffnen - und wir konnten nicht mitfahren. Verspätungen treffen uns besonders hart. Doch Mobilität bedeutet Selbstbestimmung. Und sie hilft gegen Einsamkeit. O-Ton 64 Ellen Ja, die deutsche Bahn wird lustig... Autor Also auf zum Potsdamer Platz in Berlin. Zum Interview. Maike Matthiessen ist Leiterin für Gesundheit und Soziales bei der Deutschen Bahn. Marianne legt los: O-Ton 65 Marianne Wie viele Menschen mit Einschränkungen sind bei der Bahn beschäftigt? O-Ton 66a Maike Matthiesen Wir haben gut 12.500 Mitarbeitende mit einem Inklusionsbedarf. Und gucken kontinuierlich drauf, wie wir diese Anzahl auch erhöhen können. Das sind gerade aktuell gut 5,5 Prozent. Weil wir natürlich nicht nur gucken, dass wir für unsere Reisenden ein Thema haben, sondern wir das Thema Inklusion natürlich auch intern betrachten. Und da können wir auch mit Stolz sagen, dass wir im Recruitings-Prozess genau da hingucken, dass wir auch Bewerber und Bewerberinnen gewinnen, die einen Inklusionsbedarf haben. O-Ton 66b Hedwig Ganz kurz: Recruiting ist das für alle klar, was ist gemeint? Katharina: Nee, ich hatte leider kein Englisch, tut mir leid. War auf der Förderschule... O-Ton 67a Franziska Manck Also das ist Personalgewinnung und ich hab einen Job und den stelle ich vor. Zum Beispiel: Ich such einen Bauingenieur. Ich suche sehr viele Bauingenieure. (lacht) Also nicht mehr so, ich schreib das nur so klassisch aus, schreib da so ein Papier und stell das irgendwie vor. Eigentlich mach ich diese Jobs erlebbar.... Autor Franziska Manck sucht zu vermitteln, was Maike Mathiessen gesagt hat. Sie ist "Leiterin für Diversity Recruiting" bei der Deutschen Bahn. So wird sie uns vorgestellt. Aber so kompliziert wie ihr Jobtitel ist auch ihre Sprache. O-Ton 67b Franziska Manck Zum Beispiel schaffe ich es, dass ich eine Bilderwelt gestalte. Wir haben mit dieser neuen Kampagne, die wir gemacht haben, die Bilderwelten so verändert, dass ich wirklich bewusst Inklusion zeige, auch in den Bilderwelten und bei diesen Jobs, die ich nach außen zeige, die mit einem Foto versehe. O-Ton 68 Katharina Ja das ist gut. Dann kann man das auch viel leichter verstehen, glaube ich. O-Ton 69 Franziska Manck Also wir haben eine Strategie entwickelt, die ganz bewusst auf Vielfalt setzt. Es geht ja darum, dass dann die Menschen, die zu uns ankommen auch ein ganz tolles Erlebnis haben, wenn sie bei der Bahn sind. Das heißt, ich brauch auch ein Support Team. Ja ich hab dann einen Onboarding Prozess. Also ich hab Paten. Ich hab ein Ausbildungsprogramm. Gerade bei Ausbildungen, da machen wir ganz tolle Themen, ja und pro Ausbildungsjahr haben die Schüler ja auch ein neues Curriculum... Autor Wir verstehen nur Bahnhof... O-Ton 70 Franziska Manck Also wenn jetzt jemand aus dieser Runde hier sagt, ich möchte gerne selbst Mobilitätsservice machen oder ja: Also dann kommt auf mich zu. Autor Andy erzählt von unseren Bahnfahrten. Mit den vielen Erschwernissen. Bis wir am Ziel waren. Und fügt noch hinzu: O-Ton 71 Andy Es gibt Menschen, die brauchen wirklich einen Begleitservice, Sehbehinderte etc., aber dann gibt es solche Menschen wie mich, die an sich ja Orientierung alles gut ist. Ihr braucht mich vorher nicht begleiten, Ihr braucht mein Gepäck nicht tragen, das brauchen wir alles nicht. Ihr spart doch auch Personal, wenn ihr das mal ein bisschen abstuft und sagt, hey der muss nur rein, da muss doch nur einer am Bahnsteig stehen und der muss da rein. O-Ton 72a Bastian Arning Die Wahrheit oder die Antwort auf die Frage, die ist halt eben genau so divers und vielfältig. Sie sagen okay, ich bräuchte da weniger Begleitung. Autor Bastian Arning von "Station und Service" bei der Deutschen Bahn: O-Ton 72b Es gibt der Anspruch von uns, von vielen Verbänden und dergleichen ist eigentlich noch mehr Begleitservice anzubieten als dass wir das tun. Einen guten Rahmen dafür, die EU-Fahrgastrechteverordnung, die ja genau den Rahmen dafür gibt. Welche Services müssen eigentlich angeboten werden, um mobilitätseingeschränkten Reisenden, auch eben Teilhabe an mobilen Reisen zu ermöglichen? Von daher ist unser Ansinnen, diesen Begleitservice oder Mobilitätsservice auch auszuweiten, um allen das Reisen zu ermöglichen. Autor Andy hakt immer wieder nach. Warum muss er sich lange vor Reisebeginn beim Mobilitätsservice anmelden, damit er einen Platz in einem ICE bekommt? O-Ton 73 Bastian Arning Den Unmut darüber kann ich total verstehen. Wir haben 5400 Personenbahnhöfe in Deutschland und für all die sind wir zuständig und was wir auch tun als DB Station und Service ist, den Mobilitätsservice in Deutschland für den Markt zu organisieren. Das ist das, was Sie angesprochen haben, die Mobilitätsservicezentrale, die es da gibt, wo ich genau diese Reise, wenn ich Hilfe brauche bei der Reise, um Barrieren zu überbrücken. Im letzten Jahr waren das 740.000 Hilfeleistungen, die wir da durchgeführt haben. Da gibt es einen Prozentsatz von ungefähr einem Prozent, wo Dinge dann mal nicht so funktionieren, wie Sie es eben berichtet haben. Autor Wie viel kann man sprechen, ohne eine Frage zu beantworten? Uns ist klar: Dies alles zu organisieren ist nicht so einfach. Aber bei nur ungefähr einem Prozent klappt es nicht? Wir sind irritiert. Bei unseren Fahrten klappte es nie. Musik Autor Unser Radioprojekt hat uns alle verändert. Mehr oder weniger. Ich z. b. traue mich, meinen Text im Radio selber zu sprechen, zum ersten Mal. Wir haben geübt: Fragen zu stellen und zuzuhören. Vielleicht findet Katharina deswegen den Mut dazu: Sie will zum Ende unseres Projekts ihre Mutter sprechen. Fragen loswerden. Die sie seit Jahren quälen. Über ihre Geburt, die der Grund war, warum sie so ist wie sie ist. In der Kindheit durfte sie ihre Eltern nicht Mama und Papa nennen. Das hat sie tief gekränkt: O-Ton 74 Dialog Katharina / Ulla Warum habt ihr Euch damals mit Vornamen vorgestellt? War das wirklich damals so üblich? Ulla: Das war tatsächlich so, damals haben alle Eltern in unserem Umfeld haben sich ihren Kindern mit Vornamen vorgestellt. Geh zu Ulla oder geh zu Jürgen, statt geh zu Papa. Und heute bin ich manchmal ganz traurig, weil Du nie Mama sagst oder ganz selten nur Mama sagst, weil Du bist die Einzige, die Mama zu mir sagen könnte. Katharina: Was wäre passiert, wenn ihr die Regel gebrochen hättet? Ulla: Es hätte vielleicht welche gegeben, die ein bisschen die Nase gerümpft hätten und gedacht haben: Wie sind die denn drauf! Wir wollten dazu gehören. Und das schien so zu sein, dass man dazugehört, wenn man sich mit Vornamen vorstellt und Freundin oder Freund des Kindes ist. Das würde ich heute anders machen. Ich war damit beschäftigt, dass Du als zu früh geborenes Kind mit einer Behinderung, mit den epileptischen Anfällen und so, dass du bestimmte Rahmenbedingungen gebraucht hast, um dich gut zu entwickeln. Jetzt kommen mir die Tränen, das ist aber nicht schlimm, bist Du nicht für verantwortlich. Katharina: Ich gebe dir nachher ein Eis aus. Ulla: (lacht) Super. Du musst keine Wiedergutmachung leisten. Ich finde das toll, dass du so ein Gespräch mit mir jetzt führst und ich brech nicht zusammen, weil Du zeigst, wie traurig Du bist. Autor Katharina ist selbstbewusster geworden. Sie geht zu einer Demonstration. Ihre Ansicht ist: Beschäftigte von Behindertenwerkstätten bekommen zu wenig Lohn. Hinzu kommt: Sie will weniger mit sich hadern. Auch nicht damit, dass sie viel zu früh durch einen Kaiserschnitt zur Welt gekommen ist. Sie freut sich, dass sie lebt: O-Ton 75 Katharina Ach weißt du was, irgendwie war das doch eine ganz gute Geburt. Ich bin als Kaiserkind auf die Welt gekommen. Irgendwie war das doch ganz gut. Musik Titel Absage Einsamkeit inklusiv Eine Radiowerkstatt Atmo 25 Hedwig Hörst Du mich gut? Katharina Ja Hedwig Oder ist es unangenehm laut? Katharina Also ich finde es eigentlich relativ laut. Aber ich weiß jetzt nicht, ob man das ein bisschen leiser stellen kann. Keine Ahnung. Titel Absage Ein Feature von Charly Kowalczyk O-Ton 76 Nick Und dann gibt es die Leute, die sagen: Ich bin so froh Single zu sein! Und sitzen zu Hause und sagen: "Scheiße, ich fühle mich so einsam, ja." Das stimmt wirklich, haben sie Umfragen gemacht, ja. O-Ton 77 Katharina Dann hätten die mich eigentlich auch fragen können. Wie geht es Ihnen damit, dass sie alleine wohnen? Dann werde ich sagen: Mir geht´s damit happy. Alles Roger. (wir lachen) Titel Absage mit Thomas Hartmann, Katharina Mickley, Andy Müller, Frank-Daniel Nickolaus, Marianne Schnakenberg, Ellen Stolte und Hedwig Thelen. Ton: Martin Eichberg Regie: Friederike Wigger Redaktion: Christiane Habermalz Eine Produktion des Deutschlandfunks, 2023 Die Radiowerkstatt wurde von "Aktion Mensch" und der "Heidehof Stiftung" gefördert. Musik klingt aus 2 2