Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Der alte Bob Ein Bericht aus der Kunstszene Autorin: Alexa Hennings Regie: Burkhard Reinartz Redaktion: Ulrike Bajohr, Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2017 Erstsendung: Freitag, 15.09.2017, 20.10 Uhr Wiederholung: Dienstag, 25.01.2022, 19.15 Uhr Es sprachen: Rebecca Madita Hundt und Heinrich Giskes Ton und Technik: Michael Morawietz und Thomas Widdig Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Atmo Bob stöhnt - Alles so schwer. Wenn man - the age. Fuck! I hate being old! - Tür knallt - Schritte mit Stock Treppe runtergehen... Musik: Bob singt ganz tief: This is not Rock'n Roll. Ansage Der Alte Bob. Ein Bericht aus der Kunstszene Feature von Alexa Hennings Atmo Treppe s.o. Sprecherin Fast wäre Bob in Hausschuhen losgezogen. Als er nach fünf Minuten endlich die Turnschuhe an den Füßen hat und sich millimeterweise wieder aufrichtet, läßt er unter Verwünschungen des Alters die Wohnungstür ins Schloß krachen. Am Treppengeländer lehnt sein Krückstock. Aus Holz, oben gebogen, wie man ihn kaum noch sieht. Den vergisst er nicht, ohne den ist Bob aufgeschmissen. Bis zur Haustür sind es nur sechs Stufen. Zum Glück wohnt er im Erdgeschoß, Steinstraße, gleich um die Ecke ist der Hackesche Markt. Berlin Mitte. Atmo Bob geht auf der Straße, Stock Sprecherin Bob Rutman ist 86 Jahre alt. Eigentlich heißt er Robert Elias Maria Rutman. Alle nennen ihn Bob. Braune Fleecejacke, schwarze Arbeitshose mit vielen Taschen. An einer ellenlangen Uhrenkette schlenkert ihm eine Handvoll Schlüssel um die Knie. 14-Tage-Bart. Graue Schiebermütze oder schwarzer Pudel, je nach Wetterlage. Vorsichtig, über den Stock gebeugt, setzt er Schritt für Schritt. Steinstraße, Mulackstraße, dann über die Rosenthaler. Es ist das alte jüdische Viertel, das Bob Rutman jeden Morgen bis in die Auguststraße durchwandert. Um zehn macht dort das Hackbarth's auf. Atmo Cafè, Bob klopft an die Tür, geht rein, Café innen ... Guten Morgen... Sprecherin Für Bob wird auch eher aufgeschlossen. Er steuert auf einen kleinen Tisch links neben dem Tresen zu. Dort hat der Besitzer ein kleines Messingschild angebracht: Bob Rutman steht darauf. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig O-Ton Bob, alte Aufnahme, liest I was born in 1931. Berlin, Germany. I don`t remember too much , my mother always smelled good, lots of perfume and lipstick and all that kind of stuff. She was really a good looking dame, I used to peak at her when she got undressed from under thebed covers. She had nice tits and everything, except for her calfes but i didn't notice them until much later. dann darauf Sprecher/Bob Ich wurde 1931 geboren, in Berlin, Deutschland. Ich erinnere mich nicht an allzu viel. Meine Mutter roch immer gut. Viel Parfüm, Lippenstift und solches Zeug. Sie war eine wirklich gut aussehende Dame. Ich schaute immer heimlich zu, wenn sie sich auszog. Sie hatte hübsche Titten und so, außer ihre Waden, aber das hab ich erst später bemerkt. Sprecherin Irgendwann, vor 30 Jahren, hat Bob mal angefangen, sein Leben aufzuschreiben und einem Freund vorzulesen. Der hat es aufgenommen. Leider ist Bob damit nur bis zum Jahr 1938 gekommen. Dann endet die Aufnahme. Das ist schade, denn jetzt spricht Bob nicht mehr so gern und so lange. Der quatscht nicht viel, sagen seine Freunde. Vor 30 Jahren war er Mitte 50, die Stimme klar, dunkel, tief. Schlaganfall, Herzinfarkt, Krückstock, das alles war noch Zukunft. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig O-Ton Bob, alte Aufnahme, liest My mother like to wear suits, mostly dark blue and occasionally a blue and white dress. Just didn't see too much of her when i was young she was always leaving me off somewhere, old ladys, antique stores, corsett stores and corsett makers. Sprecher/Bob Meine Mutter trug gern Anzüge, meistens dunkelblau, und ab und zu ein blau-weißes Kleid. Aber ich habe sie ohnehin nicht so oft gesehen, als ich Kind war. Sie ließ mich immer bei irgendwem - alte Damen, Antiquitätenläden, Korsettläden, Korsettmacher: Atmo Café innen Sprecherin Der Korsettmacher, die alten Damen, die Antiquitätenhändler. Wenn man Bob heute danach fragt, rückt sein Blick ganz weit weg. Minuten vergehen. Das muss auf dem Kudamm gewesen, sein, mutmaßt er schließlich, dort hat er gewohnt mit seiner Mutter, Ecke Uhlandstraße. Eine Gegend, in die es ihn heute nicht mehr verschlägt. Keine Klubs, keine Galerien, keine Cafés wie das Hackbarth's, wo immer irgendwelche Maler sitzen, Musiker oder Schriftsteller. Aber noch nicht um zehn Uhr morgens. Atmo Cafè, Bob, Kellnerin Blaubeer? Was gibts noch? - Himbeer... Sprecherin Den Cappuccino hat die Kellnerin schon auf den Tisch gestellt, da gibt es keine Fragen, Bob nimmt immer Cappuccino. Atmo hoch ...ich mag Blaubeer. Sprecherin Und eigentlich auch immer Blaubeerkuchen. O-Ton Bob im Café Ich krieg mein Frühstück umsonst. Und abends gehe ich zu Prater - Sprecherin Der Prater ist ein Lokal auf dem Prenzlauer Berg. O-Ton Bob im Café weiter ...da krieg ich Personalpreis. Und manchmal gehe ich zu White Trash - Sprecherin Ein Klub in Treptow. O-Ton Bob im Café weiter ...da krieg ich mein Essen umsonst.... Sprecherin Es scheint eine Ehre zu sein, diesem alten Mann nicht nur einen auszugeben, sondern für ihn zu sorgen. Auf dem Tisch liegt schon die "New York Times". Die wird hier extra für Bob abonniert. O-Ton Drebuda/ Bob Ich weiß nur, dass wir uns jeden Morgen sehen wollen. Er will mich sehen und ich will ihn sehen. Sprecherin Jörg Drebuda, Hackbarth's-Inhaber. O-Ton weiter Und wenn wir uns mal nicht gesehen haben, dann fehlt was. Right? So ist das. Du bist schon fast 20 Jahre hier. Ich hab den Laden auch nur noch wegen dir, wenn du nicht mehr kommst, mach ich zu - lachen - Ja, Bob gehört zu Familie, auch bei meinen Kindern. Die lieben dich. Die Große hat ein großes Bild von dir am Bett hängen. Das war mal im Tagesspiegel, da war mal ein großes Porträt von dir. Kannst du dich erinnern? - Nee. - Da läufst du über die Straße, ich glaube, Schönhauser Allee. Und du hast fürchterlich geschimpft in dem Artikel. - Bob: Ich kann mich - - Sprecherin Bob muss passen. Aber er hat ja den Freund, der erinnert sich für ihn. Atmo Cafè weiter, Drebuda, Bob - Ja, dass du eigentlich berühmt sein müsstest! - lachen - Was ja auch stimmt! Aber du bist berühmt. - Bob: Ich bin nicht berühmt. - Doch, du bist berühmt. Hier zum Beispiel! - lachen - Bob: Ich bin der Bürgermeister von Mitte. Sprecherin Wenn der Bürgermeister von Mitte jeden Morgen durch sein Viertel geht, kommt er an vielen kleinen Galerien vorbei. Da würde er gern einmal ausstellen. Aber weil Bob alles ist, außer Bürgermeister oder Geschäftsmann, hat er nichts zu sagen. Eine Auswahl von dem, was Bob Rutman ist? Maler, Musiker, Instrumentenerfinder und Instrumentenbauer, Sänger. Deutscher. Amerikaner. Jude. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig O-Ton Bob, alte Aufnahme, liest And when I did stay with her in Berlin she was always cushing me to be sure not to make noise, because the police would come and take us away. So I was just lying in bed at night, she was taking off , watching the shadows made by the carlights on the walls of the room. I have other vage memories of Berlin, streets, soldiers in black uniforms, clicking heels and salute "Heil Hitler" everywhere. Heil Hitler! Hearing the roar of thousands: Sieg Heil! Sieg Heil! Sprecher/Bob In Berlin ließ sie mich immer bei irgendwem. Und wenn ich einmal bei ihr blieb, dann musste ich immer ruhig sein, weil sonst die Polizei kommen und uns mitnehmen könnte. Also lag ich nachts im Bett, sie war weg, und ich schaute die Schatten an, die die Autoscheinwerfer an die Wände warfen. Ich habe noch andere vage Erinnerungen an Berlin: Straßen, Soldaten in schwarzer Uniform, Hackenschlagen und Salutieren, Heil Hitler überall, das taten sie gern, Heil Hitler! Heil Hitler! man konnte Tausende auf einmal brüllen hören. Sieg Heil, Sieg Heil! Atmo Café, . Sprecherin Früher hatte Bob selbst Galerien, in New York, in Boston, in Berlin. Es waren kleine Buden, sie brachten nie was ein, er weiß, wie das ist. Und fragt trotzdem manchmal nach. O-Ton Bob im Café Die Leute auf dieser Straße magen mich nicht - lacht - Die sind so professional galleries. Ich bin professional, aber - for instance "Eigen-Art". Ich kenn ihn schon lange. Ich hab ihn mal gefragt, will er mich ausstellen? Er hat gesagt nein, er stellt nur Ostkünstler aus. Junge Künstler. Und ich bin ein alter Mann - lacht - Ich meine, ich nehme mich nicht so ernst, you know, für mich ist es nur Spaß. Und meisten die Galeristen nehmen sich sehr ernst. Sie sind wichtig - lacht - Ich bin kein großer Künstler. Ich bin kein Pollock. I didn't create a new vision. Ich habe sehr viele Bilder gemalt. But you know: I don't have any Lust!... Sprecherin Many Lust hat Bob auf was anderes. O-Ton Bob hoch Man macht ein concert und kriegt Kohle. Meistens ist es in bar. Muss ich nicht in die Bank gehen. Musik Bob Sprecherin Bob und keine neue Vision? Er hat das Steel Cello erfunden, halb Instrument, halb Klangskulptur. Eins davon hat das Museum of Modern Art in New York in seinem Bestand. So neu war die Vision, als Bob Rutman in den 70er Jahren in den USA sein erstes Steel Cello baute. Ein fast drei Meter hohes, rechteckiges Stahlblech wird von zwei starken Drähten zusammengezurrt, so dass es sich bläht wie ein Segel. Wenn man die metallenen Seile mit dem Bogen anstreicht, vibriert das Stahlsegel. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig O-Ton Bob, alte Aufnahme, liest Sieg Heil! Sieg heil! My mother would always keep me at the edge of those crowds, still quite close enough to see the huge swastika flags. Red banners that cover the whole side of the building in red and white. All the different arm bands and the black swastikas. Yeah was pretty exciting out in the street. A few times I remember being in the street walking with someone or following someone; didn't make much difference but then I was only five. Sprecher/Bob Sieg Heil, Sieg Heil! Meine Mutter hielt mich immer an Rand solcher Menschenmengen, aber nah genug, um zuzusehen. Riesige Hakenkreuzflaggen, die ganze Gebäude verhüllten, rot und weiß, mit schwarzen Hakenkreuzen, all die Armbinden mit den Hakenkreuzen. Ja das war ziemlich aufregend auf der Straße; ich erinnere mich, wie ich manchmal jemandem gefolgt bin. Das machte nicht viel Sinn, aber ich war ja auch erst fünf. Sprecherin Seit Bob Rutman sie erfunden hat, sind sie sind sie in der Welt, diese Töne, die wie eine Wolke schweben können oder niederprasseln. In Kirchen und Kneipen, in Konzertsälen auf Open-Air-Bühnen, in Galerien und in Klubs. Vor allem dort. Atmo Bob, Klub, Leute im Hintergrund Bob am Mikro: Okay guys... Sprecherin Wenn Bob auf der Bühne steht, wie hier im White Trash, liegt sein Krückstock irgendwo in der Ecke. Er braucht ihn nur, wenn er aufs Klo muss. Den ganzen Abend steht er, aufrecht. Kein bißchen krumm ist Bob, wenn er sein Steel Cello bearbeitet oder die Bow Chime. Dieses Instrument hat er auch erfunden: Vor einem Stahlsegel sind Metallstäbe in unterschiedlicher Länge angebracht, auch sie werden gestrichen oder geschlagen. Man sagt, Bob kann jeden anrufen und der spielt mit ihm. Schlagzeuger, Gitarristen, Bläser, Sänger, Tänzer. Bobs Instrumente sind in die Szene diffundiert. In die noblen Konzertsäle mit dem Komponisten Heiner Goebbels, in die Feuershows der Industrial-Band Mastodon, ins Opernhaus mit der Sängerin Moon Suk, in die Mega-Acts der Einstürzenden Neubauten, in die Jazzszene und die Klubkeller von Berlin. Atmo/ Musik Bob mit Mastodon Sprecherin 1938 hat Hitler den siebenjährigen Robert Rutmann aus dieser Stadt vertrieben. Als Bob Rutman kehrt er reichlich 50 Jahre später zurück. Die Stadt vibriert, der Mauerfall, die Freiheit, die Anarchie. Atmo Musik hoch, Bob mit Mastodon O-Ton Jeffrey Funt Das war Anfang, Mitte der 90er. Postamt, Eröffnung. Es gibt eine riesige Kuppel, so für die Akustik, das ist wunderbar. Sprecherin Jeffrey Funt. Musiker, Industrial-Band Mastodon. O-Ton Funt weiter Und jeder ist versprochen: Oh ja, wir kriegen die Kuppel! Und jeder denkt das. Haben wir aufgebaut und plötzlich taucht ein alter Mann auf mit irgendeinem Stahlgestell und bringt das rein und hat das aufgebaut. Und plötzlich haben wir gemerkt, es ist ein wunderherrlich Instrument. Und es hat dann weiterentwickelt in ein dicke Freundschaft. Und danach wir hatten eine Band Mastodon. Atmo Musik Mastodon hoch Sprecherin Jeffrey hat alte Videoaufnahmen: Die ganze Band in Feuerschutzkleidung und mit Helm. Flammenwerfer auf der Bühne, deren Ventile den Rhythmus vorgeben. Mit dabei Bob am Steel Cello. Er könnte der Vater von Jeffrey und den anderen Mastodon-Musikern sein. Ein kleiner, zierlicher älterer Mann vor martialischen, zehn Meter hohen Aufbauten aus Stahlrohren, Gasleitungen und Flammenwerfern. Musik Mastodon mit Flammenwerfer O-Ton Funt Bis die Flammen rausschießen: Keiner hat eigentlich Ahnung, was ist ein Flammenwerfer? Und das Gleiche bei die Bogeninstrument: Da steht das Stahlblech, da haben die keine Ahnung, was das ist. Eine Skulptur oder was? Bis auf einmal - uooohh (röhrt mit tiefer Stimme) ein donnernder Klang! Huh, die Hölle - lacht. Es macht Spaß, kindliche Begeisterung immer noch kriegen zu können. Es war ein Kunstlabor vom Feinsten. Sprecherin Jeffrey Funt ist es, der auf seinem Computer nicht nur die Mastodon-Videos fand, sondern auch die alte Aufnahme, in der Bob von seiner Kindheit erzählt. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig O-Ton Bob, alte Aufnahme, liest I do remember getting a scooter in Berlin which we, thats my mother and me, left behind when we went to Switzerland. We went to Switzerland on a train. It was exciting; I don't remember much about that except my mother in her green costume and her funny hats. Especially the one with two mouse ears and hats trimmmed with black persioan lamb. She loved her persian lamb she always had persian lamb coats and all her cloathes reek like Guerlain perfume. Sprecher/Bob Ich erinnere mich an den Motorroller, den wir in Berlin ließen, als wir in die Schweiz gingen. Mit dem Zug, wir fuhren mit dem Zug in die Schweiz, das war aufregend. Ich erinnere mich nicht an viel, außer dass meine Mutter grün angezogen war und lustige Hüte trug. Einer hatte zwei Mickey-Maus-Ohren. Sie liebte Persianer, sie hatte immer Persianer-Mäntel. All ihre Kleidung roch stark nach Parfüm von Guerlain. Guerlain Parfüm. O-Ton Bob Meine Mutter war Jude. Sie hat eine Nonne kennengelernt, ich war getauft. Sie war Antiquitätenhändler und Schmuck. Meine Mutter und ich, wir sind dann nach Schweiz. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig O-Ton Bob, alte Aufnahme, liest We were living in Lugano, Switzerland. She left me in the charge of the housekeeper, big fat woman. After a while the woman decided to take me out of Lugano up to the mountains to a countryhouse owned by the landlord of the apartment. My mother was renting in Lugano. The man was very old but he and this fat housekeeper liked me a lot. They would buy me toys, let me drink wine and gave me a room all to myself. Must have been there at least for six or seven weeks. My mother finally came to pick me up. The old man and the housekeeper refused to give me up. My mother finally had to get the police to retrieve me. I wasn't too anxious to leave since I was really liked, since I really liked living in that house. My mother never forgave me for this incident Years later she would reproach me for my part for refusing to leave that house, that I had betrayed her. Sprecher/Bob Sie ließ mich in der Obhut der Haushälterin, eine dicke fette Frau; irgendwann entschied sich die Frau, mich mit raus zu nehmen in die Berge, wo der Vermieter ein Landhaus hatte. Der Mann war sehr alt, aber er und seine fette Haushälterin mochten mich sehr. Sie kauften mir Spielzeug, ließen mich Wein trinken, gaben mir ein Zimmer nur für mich alleine. Ich war bestimmt sechs, sieben Wochen da. Meine Mutter kam endlich, um mich abzuholen, aber der alte Mann und seine Haushälterin wollten mich nicht hergeben. Der alte Mann und seine Haushälterin weigerten sich richtig, meine Mutter musste die Polizei holen, um mich wiederzubekommen. Ich hatte gar keine rechte Lust, sie zu verlassen, denn ich es mochte wirklich, in dem Haus zu wohnen. Meine Mutter hat mir das nie verziehen. Noch Jahre später machte sie mir Vorwürfe, weil ich das Haus nicht verlassen wollte. Ich hatte sie verraten. O-Ton Bob Sie hat illegal business gemacht, und sie haben uns rausgeschmissen. Meine Mutter hat mich nach Berlin geschickt, sie ist nach Warschau. Sie hatte eine Freundin, in der Zwischenzeit ist die auch Sozialist geworden. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig O-Ton Bob, alte Aufnahme, liest My mother left me with Marga. a friend of her having a lingerie shop, so went up to Warsaw. Marga had become something of a nazi during the time my mother and I were in Switzerland. My desire was to be a member of the hitler youth, not realising that my jewish blood made that impossible. Marga would keep me confined to the back of the store refusing to let me out. Sometimes using brutal methods to keep me there. My order for the salute Heil Hitler had never diminished. My hand shot up in the air in all occasions. I would watch the other boys in their smart uniforms marching up and down the streets, beaten their drums and blowing their bugles. Sprecher/Bob Meine Mutter ließ mich bei Marga, einer Freundin, die einen Reizwäscheladen hatte. Marga war in der Zwischenzeit ein wenig Nazi geworden. Ich wäre gern zur Hitlerjugend gegangen, mir war nicht klar, dass mein jüdisches Blut das unmöglich machte. Bei Marga musste ich im Hinterraum des Ladens bleiben, sie weigerte sich, mich rauszulassen. Manchmal benutzte sie brutale Methoden, um mich einzusperren. Meine Bewunderung für das Heil Hitler hatte nie abgenommen. Mein Arm schnellte bei jeder Gelegenheit nach oben. Ich beobachtete sehnsüchtig die anderen Jungs, die die Straße auf und ab liefen mit ihren Trommeln und Fanfaren. O-Ton Bob Und dann hat sie meiner Mutter geschrieben, wenn sie mich nicht abholt, dann gibt sie mich über zu der Gestapo. Bin mit Zug nach Warschau und meine Mutter hat mich abgeholt vom Bahnhof. Ich bin zu ihr, wo sie gewohnt hat. Die Eltern meiner Mutter waren da. Da waren alle gesammelt da. Schwestern und Tanten und Großonkel, Großmutter, Großdingsbums. Und, you know, die sind alle umgebracht. Musik, laut, schräg Sprecherin Später werden Kritiker über Rutmans Konzert schreiben, sie seien im Vorhof der Hölle gewesen. Dann wieder im Himmel. In Potsdam macht Bob 1992 bei einem Tanztheaterstück mit: Ein Junge, versteckt im Kleiderschrank, erlebt, wie seine ganze Familie abgeholt wird. Bob umhüllt das Entsetzen des alleingelassenen Kindes mit den Tönen, die aus seinem stählernen Cello kommen und aus seiner Brust. Vielleicht rettet er das Kind damit. Und das Kind in sich selbst. O-Ton Bob Die waren da alle gesammelt. Und wenn man in ein Zimmer reinkommt, muß man immer Heil Hitler sagen. And than of course they had to reeducate me. Ich wollte immer in die Hitlerjugend, weil die hatten Trommeln - lacht - Die Freundin hat mich nie rausgelassen. Und wir mussten dann weg, wir haben den letzten Zug von Polen - wir sind nach Litauen, Finnland, Schweden und eine Woche vorm Krieg in England angekommen. In England jeder hat einen Spitznamen. Ich war Polly, Polish Polly. Und Pups - lacht - Und auch Maria, weil mein Name ist Robert Elias Maria Rutman. Musik Sprecherin Maria, so hieß auch Bobs Mutter. In seinem Zimmer in der Steinstraße in Berlin hängt ein Bild von Mutter und Sohn an der Wand. Ein Schwarz-Weiß-Foto aus den 30er Jahren, zwei weiche, feine Gesichter, die Augen irgendwohin in die Ferne gerichtet. Da darf Robert schon nicht mehr in eine deutsche Schule gehen. Auch in der Schweiz gibt es kaum Unterricht für ihn, in Warschau soll er plötzlich Hebräisch lesen und schreiben, eine ihm völlig unbekannte Sprache. In England schließlich die nächste Verwirrung, wieder eine neue Sprache. Dazu eine katholische Klosterschule in Chertsey, einer Stadt an der Themse. Das Schlimmste für Robert aus Berlin ist nicht, dass er Pole genannt wird, auch nicht die Schläge der strengen Schwestern und Brüder sind es. Nicht die englischen Bomberflugzeuge, die über ihnen am Himmel in riesigen Geschwadern gen Deutschland fliegen. Später wird er mit seinem Steel Cello in Kirchen in Coventry spielen und in Dresden. Ja nicht einmal der Tag, an dem eine deutsche Bombe das Schulgebäude trifft, dieser Tag der Angst, ist das Furchtbarste für ihn. Das Schlimmste, die Scham, das Versinken-Wollen, kommt im Speisesaal des Klosters. Täglich. O-Ton Bob Ich habe immer Angst davon. Weil bei Mahlzeit jemand hat gelesen. Jemand ist aufgestanden und hat von das Buch gelesen. Und der Lehrer hat gesagt: Geh lesen! Und ich konnte nicht. Es war furchtbar für mich. Es ging nicht. Ich mein', you know, keiner hat mich geholfen. Ich konnte nix lesen! Meine Ex-Frau hat mir das beigebracht zum Lesen. Ich habe nie Bücher gelesen, nix, you know. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig Sprecher/Bob Meine mittlere Reife bestand ich nicht. Ich fiel in Ehren durch. Sprecherin Bobs weitere Lebenserzählung liegt nur noch als Text vor. Wie wunderbar er das Vorlesen in englischer Sprache noch gelernt hat, hört man in der alten Aufnahme, die Jeffrey in seinem Computer fand. Doch Bobs Sprachverwirrung ist immer noch zu spüren. Das Kind von damals, das versteckt wurde und verjagt und wieder versteckt und wieder verjagt, hat niemals wieder richtig in seine Muttersprache zurückgefunden. O-Ton Bob Ich war 50 Jahre weg von Berlin, ich kann nur Kinderdeutsch. Viel verstehe ich nicht. Wenn Leute sprechen, ich mache immer so - Sprecherin Bob nickt heftig - O-Ton weiter - lachen - die denken ich verstehe! Sprecher/Bob Ich bekam Arbeit bei einer Schiffsversicherung, dann fing ich bei einer Wanderbühne an. Wir traten in Cardiff auf, in Bath und in London, wir probten im "Globe Theatre". Danach arbeitete ich in der amerikanischen Botschaft. Ich füllte Regale auf, trug eine Schürze, ich hatte mit Lebensmitteln zu tun. Ich hatte gute Freunde, Kurt, ein Österreicher und Henry, ein Deutscher. Wir sprachen Englisch miteinander. Kurt und Henry gingen nach Amerika, ich folgte ihnen 1952. Ich hatte Geld gespart und fuhr mit dem Schiff 3. Klasse. Ich kam in New York in einem langen Mantel an, meine Mutti-Mom hatte ihn für mich aus einer alten Armeedecke machen lassen. O-Ton Bob Ich war in der amerikanischen Armee. Man musste sich bei die Armee melden, und deswegen bin ich amerikanischer Staatsbürger. Die haben mich nach Deutschland geschickt, andere Freunde von mir sind dann nach Korea. Mein Deutsch war nicht gut, aber die haben mich nach Deutschland geschickt, nach Heilbronn. Viele von Army in Korea, viele davon waren schon tot. Sprecherin Mit 24 Jahren, Bob liegt mit einer kaputten Bandscheibe im Armee-Hospital, wird er nach seinem Vater gefragt. Er kennt ihn nicht und weiß nichts über ihn. Er schreibt seiner Mutter nach England. Sie antwortet: Er war ein Nazi. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig Sprecher/Bob Ich war sehr aufgebracht. Dann ging ich hinauf in die Psychiatrie. Ich wollte, dass sie mir bei dem Antwortbrief an meine Mutter helfen. Sie sagte, sie würden mir helfen, aber antworten müsste ich alleine. Dort traf ich Jack Chackarian, ein richtiger Künstler. Er zeigte mir die Bedeutung der Linie. Ich fing im New York Veterans Hospital zu zeichnen an. Atmo Treppe, schwere Stahltür aufschließen Sprecherin Berlin Kreuzberg, Schleiermacherstraße. Hinter einer schweren Stahltür in einem Lagerraum bewahrt Bob seine Gemälde auf. Atmo hoch, Torsten Schlüter Bob, hier sind noch einige Leinwände, die du noch bearbeiten musst! Sprecherin Torsten Schlüter, Maler. Atmo hoch Leinwände, vom Keilrahmen runtergenommen und gerollt... Sprecherin Torsten Schlüter schaut etwas besorgt: Leinwände zusammenzurollen ist nicht die ideale Aufbewahrung für Gemälde. Die beiden haben beim Frühstück im Hackbarth's verabredet, sich mal in Bobs Lager zu treffen. Hier steht vieles, was nicht so oft gezeigt wird: Landschaftsbilder aus Maine, wo Bob in den 70er Jahren in einer Künstlerkommune lebte. Religiöse Bilder im naiven Stil, jedes Bild eine Erzählung. Und seine "Chairs", die in fast keiner Ausstellung fehlen. Der immer gleiche, leicht geschwungene Holzstuhl. Nur die Farben variieren. Atmo Schlüter, Bob Mit denen hast du ja wirklich Erfolg gehabt mit den Stühlen? - Ja. - Die sind wirklich sein Markenzeichen... Sprecherin Schwarze Stühle schweben vor einem schwarzen Hintergrund. Eine unlösbare Aufgabe, hätte Bob nicht die drei Farben Schwarz gefunden. Atmo hoch Bob: Drei Schwarz auf Schwarz, das ist Mauve-Schwarz, Grün-Schwarz und dann Schwarz-Schwarz. Bei bestimmtem Licht tanzen die. Wirklich! - Torsten: Für mich ist es, als wenn ich mich in einen dunklen Raum begebe, mich langsam an die Dunkelheit gewöhne und aus der Dunkelheit erwächst eine Figur. Das sind für mich seine stärksten Arbeiten. Auch dieser Akt hier, amphibienähnlich die Figur. Wie aus Gummi eine Beweglichkeit da steckt eben `ne Menge drin an Beobachtung und Handwerk. Vielleicht waren es keine Modelle, aber du hast genau hingeguckt - lachen - Poltern - Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig Sprecher/Bob Ich begann mit den "Line Paintings". Ich wollte sehen, wie weit man mit einem Pinselzug kommt. Dann beschloss ich, "Amerikanische Akte" zu malen: Siedler aus Massachusetts und alle Präsidentenfrauen als Akt. Ich malte 162 Stühle, danach die religiösen Serien. Dann malte ich lange nicht mehr. Ich machte nur noch Musik mit dem "US-Steel Cello-Ensemble" und versuchte, Konzerte zu bekommen. 28. O-Ton Bob 1.20 Wir hatten kein Geld und wir mussten in jedem Monat Foodrations kriegen. Weil american culture is Mc Donalds, Burger King and KFC. They are not interested in arts, they are not interested in music. They are not interested in anything but stupid fucking bullshit! Ich war eingeladen zu einem Musikfestival in Brüssel. Die haben alles bezahlt, Flug, Hotel und Gage. So sind wir dann nach dem Konzert, da waren wir für drei Monate hier. Und in drei Monaten habe ich mehr Geld verdient als in zehn Jahren in Amerika, wo ich auch Konzerte, Ausstellungen gemacht habe und drei, vier Leute gekommen sind. So habe ich mich entschlossen, nach Berlin, Deutschland zu kommen. Sprecherin Mexiko - dort studierte Bob Rutman Kunst -, New York, Boston, Barcelona, Dresden, Berlin. Überall hatte er Konzerte und Ausstellungen. Seit der letzten großen Werkschau in Dresden sind 20 Jahre vergangen. Längst hat der alte Bob das Malen aufgegeben. Und ist umgeben von Bildern. Freunde versuchen, die Berlinische Galerie für Bob Rutman zu interessieren. Bisher vergebens. Atmo Torsten. Bob Das große, große Übel: Was wird mit der Kunst, wenn wir gehen? Wer kümmert sich danach da drum? Bei Bob sollte man den Bestand, der da ist, sichern. - Bob: Hat keinen Zweck, you know. - Und dann ist die Musik für ihn natürlich das Naheliegende. - Right, right. In Malerei kannst du jahrelang warten, bis du das Geld kriegst. - Torsten: Aber er macht das ja auch ganz gut, er kombiniert oft Ausstellung und Musik und das ist sehr wirkungsvoll und authentisch. Und er erfährt da auch viel Anerkennung. Er ist sehr respektiert in den Künstlerkreisen und auch geschätzt als authentische Persönlichkeit. Als guter Typ und interessanter Mensch - Bob: Du Arschloch - lachen - Torsten: Deswegen lieben wir ihn! Musik Bob, Bastiaan, Jeffrey /Mastodon O-Ton Bastiaan Ja, er ist grand old man. - lacht - manchmal bist du auch das Arschloch. Und jeden Monat gibt's Arschloch des Monats. Sprecherin Bastiaan Marris, Musiker, Mastodon. O-Ton Bastian Das sind meistens Leute, die ihm gern helfen wollen. Du musst ihm nicht helfen. Du musst ihm helfen, wenn er wirklich Hilfe braucht. Aber man braucht diesen Mann nicht zu betreuen. Musik hoch O-Ton Bastiaan Musik machen. das ist eine gute Art, um mit ihm zu sein. Quatschen tut er nicht viel. Als ich ihn kennengelernt habe, hat er gerade seinen zweiten Schlaganfall gehabt. Da hatte er kein Gefühl mehr in einer Hand, was ihm Sorgen gemacht hat beim Musizieren. Aber ich kenne ihn nicht anders. Er macht einfach immer weiter. Ich glaub', da gibt's gar keine Frage - grrr - das ist Bob! Musik hoch O-Ton Danielle de Picciotto Dafür ist Bob ein phantastisches Beispiel: Für jemanden, der nicht aufgegeben hat. Er ist für mich wirklich eine riesige Inspiration gewesen - und ist es immer noch. Sprecherin Danielle de Picciotto, Künstlerin, Filmemacherin. O-Ton Danielle Vor seinem ersten Infarkt hatte er so eine riesige Fabriketage. Da war er ein totaler Gastgeber. Er hat einen Riesentisch gehabt, wo bestimmt 30-40 Leute sitzen konnten, riesig. Und da hat er regelmäßig, bestimmt einmal die Woche, eine Party gemacht, ein Essen, eine Ausstellung von seinen Sachen oder ein Konzert. Das war wirklich so, wie man das aus New York in Erinnerung hat, so Happenings. Das gibt es ja in New York immer noch. Und er hat diese Tradition weiter geführt. Und als ich das erste mal dahin kam, ich komme ja aus Amerika, da hatte ich wirklich das Gefühl, ich bin wieder in New York. Musik O-Ton Danielle de Picciotto Er war wirklich wie so ein Don von Berlin, wo alle hingeströmt sind, bei ihm waren und bei ihm gegessen haben, Thanksgiving gefeiert haben. Als er den ersten Infarkt hatte, waren alle extrem schockiert. Ich glaube, das Krankenhaus war noch nie so voll, wo ihn alle besucht haben. Weil er eben vorher so eine wichtige soziale Rolle gespielt hat. Es war ungewöhnlich, dass man jemanden hatte, der älter ist. Irgendwie fehlt das immer total. Und dass man auch noch einen hat, der älter ist und so frei und rebellisch und so revolutionär, das ist schon extrem inspirierend. Und als er im Krankenhaus lag, da waren wir alle ziemlich verzweifelt. Das war so, als ob unser Vater da liegt. Musik "Music to sleep by" Sprecherin Es gibt nur wenige professionell produzierte Platten mit Musik von Bob Rutman. Eine davon ist "Music to sleep by" mit Bastiaan Marris und Musikern der Band "Einstürzende Neubauten". Produziert von Dimitri Hegemann, Gründer des Berliner Techno-Klubs "Tresor". Auf dem Cover sitzt der alte Bob mit seinem Steel Cello mitten auf der Straße, Autos fahren um ihn herum. O-Ton Alexander Hacke Ich finde, man kann nicht genug machen, um ihn zu promoten und zu fördern. Sprecherin Alexander Hacke. Musiker, Gitarrist der Band "Einstürzende Neubauten". O-Ton weiter Weil, Bob Rutman ist einer der wenigen wirklichen Berliner aus der Zeit, wo hier noch ein anderer Wind wehte und ein anderes Niveau an Kreativität herrschte. Ich habe ja hier im Studio öfter Besuch von Leuten aus aller Welt, die dann immer begeistert vor diesem Instrument stehen. Und dann erzähle ich immer gern die ganze Geschichte von Bob Rutman. Ich finde, viel mehr Leute sollten ihn kennen. Musik "Music to sleep by" . O-Ton Alexander Hacke Also abgesehen von den Konzerten, die ich mit ihm gespielt habe, habe ich ihn für Schallplattenproduktionen rangeholt und dann haben wir Bob auch mitgenommen auf eine USA-Tour. Wo er das Vorprogramm gemacht hat. Die waren auch immer sehr begeistert und weggeblasen davon, was für einen massiven Klang mit einem Stück Blech, was für einen massiven Klang so dieser eine Mensch herstellen kann. Musik /Sequenz Steel Cello, ruhig Sprecher/Bob Ich fühlte mich nach 38 Jahren als Künstler angenommen, obwohl ich nichts hatte. Ich fühlte mich wohl, es kam etwas in Gang. Ich wünschte, ich wäre zehn Jahre früher gekommen. Ich war neugierig auf Deutschland und Europa und entwickelte ein Gefühl von: Erfüllung. Als trüge alles, wofür ich gekämpft und gelitten hatte, jetzt Früchte. Musik O-Ton Hacke Also, dass er das so früh auch schon erforscht hat, was auch in die Arbeiten von den Neubauten geht, ist diese Erforschung von Resonanzen. Sprecherin Wenn man Bob fragt, wie seine Instrumente funktionieren, dann sagt er nur: So! Und streicht kurz einen Ton an. Alexander Hacke erklärt es für ihn. Der Neubauten-Gitarrist hat mehrere Instrumente von Bob in seinem Studio in Wedding stehen. O-Ton Hacke, Bow Chime Das hier ist ein Bow Chime, eines von den klassischen Bob-Rutman-Instrumenten. Auf eine Stahlleiste sind fünf Stahlstäbe gespannt, die, je nachdem wie weit man sie nach oben oder unten verschiebt, unterschiedliche Töne produzieren, wenn man sie anstreicht mit einem Bogen. spielt Töne - Dann habe ich von Bob auch diesen Kehlkopfgesang gelernt, was er ja auch macht: - yeaahhh.... O-Ton Goebbels vor Lautsprecher / Musik Walden Zu diesem Sound will man eigentlich gar nichts sagen. Weil, das ist großartig! Der hat ´ne ganz große Tiefe. Der hat - ich kann dazu gar nichts sagen, man muß den einfach zulassen. Sprecherin Heiner Goebbels, Komponist. O-Ton Goebbels weiter Man hört diese Mischung aus Bow Chimes und Steel Celli. Die ja in merkwürdig-angenehmer Weise eine metallische Materialität haben und trotzdem etwas Transzendentales mit zum Ausdruck bringen. Weil man eben nicht merkt, wo sie angestrichen werden. Das ist so ein endloser Klang, der könnte stundenlang so weiter gehen. Und man entwickelt auch das Bedürfnis, das stundenlang zu hören. Musik Walden Sprecherin Heiner Goebbels ist in den Konzerthäusern der Welt zuhause. In einige nahm er Bob Rutman mit. Bobs Stimme war ihm aufgefallen, als er in Boston Heiner Müllers Stück "Argonauten" aufführen wollte. Er suchte einheimische Musiker, die mitarbeiten wollten. O-Ton Goebbels Das Goetheinstitut hat mir einen großen Stapel von - Kassetten damals noch - von lokal arbeitenden Musikern geschickt. Ich habe das alles durchgehört und mich eigentlich nur an einer Kassette festgehört. Und das war eine Kassette von Bob Rutman. Und diese Idee, mit ihm ein Projekt zu machen, die entstand dann 97/98. Musik Walden Sprecherin Heiner Goebbels vertonte "Walden oder Leben in den Wäldern". Ein Buch des amerikanischen Schriftstellers Henry David Thoreau, er schrieb es 1854 und berichtet darin von seinem Leben als Aussteiger. O-Ton Goebbels Und bei dem Gespräch über Thoreau und Walden stellte sich heraus, er hatte als Kind im Walden Pond geschwommen. Das heißt, er kannte nicht nur die Philosophie, die ja durchaus auch was mit seinem unangepassten Lebensstil zu tun hat. Es gab so eine biographische Identität fast. Musik Walden Sprecher/Bob Wir gingen nach Maine, das ist der nördlichste Bundesstaat. Es grenzt an Kanada. Anfangs waren wir so 10, 15 Leute, dann waren auch welche von dort dabei. Wir machten Musik, es war eine tolle Zeit. Im ersten Jahr gab es jeden Abend eine Party. Ich blieb sechs Jahre, ging dann aber wieder nach Boston zurück, weil man in Maine kein Geld verdienen konnte. Um als Holzfäller oder Flößer zu arbeiten, war ich zu alt. O-Ton Goebbels/ Musik Hinzu kam aber vor allem auch die Praxis, die Bob Rutman mit seinen selbstgebauten Instrumenten entwickelt hat, die mich sehr fasziniert haben. Und die im Grunde so ein klangliches Enviroment produzierten, in denen dann die klassischen Instrumente wie Streicher eher in der Minderheit waren. - schaltet Musik an - Ich gehe jetzt mal auf die nächste Möglichkeit, der nächste Satz heißt: The house, that I built, das berühmte Haus, über das Thoreau Auskunft gibt, was er am Walden Pond gebaut hat... Bob liest, Musik... Musik Walden O-Ton Goebbels Was mich immer wieder frappiert hat ist, was für ein unglaublicher Künstler er in sehr vielen Disziplinen ist. Und diese Dreidimensionalität seines Schaffens zeichnet ihn als einen ganz einzigartigen Künstler aus - schaltet wieder Musik Walden ein - Bob macht Geräusche - O-Ton Goebbels Phantastisch, mit welcher Lust und welcher Kreativität er diese ganzen Vogellaute und die Geräusche, die sich in den Aufzeichnungen von Thoreau finden, wie er die ausstößt und in den Raum ruft. Und es berührt mich auch jetzt sehr stark, mit welcher Kraft Bob das an sich reißt. Atmo Galerie, Hämmern Sprecherin Abends im "Katzbach", eine Galerie mit Klubkeller in Kreuzberg. Die letzten Nägel für Bobs Bilder werden in die Wand geschlagen. Was zu rauchen wäre jetzt gut. Atmo hoch Bob: Wer hat eine Kippe? - Ich! - Sprecherin Vernissage und Konzert, das ist Bobs Geschäftsmodell. Läuft mal so und mal so. Die kleinen Galerien müssen von den Künstlern Geld nehmen, damit sie ausstellen können. Auch im "Katzbach" ist das so. Bob schluckt diese Kröte, weil: Er will ausstellen und er will spielen. So kommen im Jahr zwei, drei Ausstellungen zustande und im Monat vier, fünf Gigs. O-Ton Böhlendorf Finde ich auch außerordentlich erstaunlich. Absolut. Sprecherin Bernd Böhlendorf, Filmemacher. O-Ton weiter Bob ist sein eigener Manager. Er sitzt den ganzen Tag zuhause und telefoniert und macht neue Termine. Stimmt's? - Ja.- Wenn ich überlege, hier im "Atonal", da ist er aufgetreten, spontan, ohne dass er im Programm stand, als erster Act. Er war der Opener praktisch. So ein Bonbon für das Publikum, und die waren total begeistert. Sprecherin Bernd ist Bobs Mädchen-für-alles-Freund. Er hilft ihm, die schweren Instrumente zu transportieren und sie aufzubauen. Den Film über Bob hat er aber noch nicht fertig. Der Inhaber der Galerie kommt heran. Es gibt ein Problem: Bob muß zum Konzert eine steile Treppe hinunterklettern in den Keller. Atmo Galerist, Bob Ich weiß nicht, ob ich dir das zutrauen kann, Bob. - Was? - The stairway. If you are mutig - brave enough, you go - like this... okay. I go first... Sprecherin Bob lehnt seinen Stock gegen das Geländer und tastet sich auf der leiterartigen Treppe bis nach unten. Dort hat Bernd schon für ihn die Instrumente aufgebaut. Atmo hoch Bob stöhnt - Hier ist der Bogen - streicht ... Atmo Raum, Besucher Sprecherin Oben hat sich inzwischen die Galerie gefüllt, Es hilft nichts: Bob muß die Leiter wieder hinauf. Er läßt sich auf ein großes Ledersofa fallen. Atmo Klub, Musik Sprecherin Es wird sein wie immer: Er spielt und ein paar Drucke werden verkauft für 100 oder 200 Euro. Bob lässt immer mal ein paar nachdrucken. Am meisten mögen die Leute seine Akte. Bob ist weit damit gekommen, mit einer einzigen Linie das Wesen der Dinge zu erfassen. Genau jenen Moment, in denen der Mensch mit sich allein ist und nicht lügen muss. Seine großen Bilder und Objekte will er nicht so verschleudern, sie haben ihren Preis, und deshalb findet nur selten eins davon einen Käufer. Denn schließlich: Wer ist Bob Rutman? Atmo Klub Musik / Beifall Sprecherin Nach so einem Abend schaltet Bob in seiner kleinen Wohnung in der Steinstraße meistens noch den Fernseher an. Er braucht nicht viel Schlaf. Und er will wissen, was in der Welt los ist, die er jetzt nicht mehr bereisen kann. Seine Heimat wird er nicht mehr besuchen. O-Ton Bob Ich fühle mich als Amerikaner. Ich habe 37 Jahre da gelebt, 13 in England. Sprecherin Neuerdings gibt es viele Amerikaner in Berlin. Doch diese Szene ist dem alten Bob suspekt. Sein einziger amerikanischer Freund in der Stadt ist Jeffrey Funt, der Musiker, der auch schon 30 Jahre in der Stadt lebt. Manchmal kommt er abends noch auf ein Bier vorbei. O-Ton Bob, Jeffrey Bob: Ich hab diesen Kumpel hier - lacht - Jeffrey: Und er ist ein Vorbild für andere Künstler, die zweifeln: Ach, was soll ich machen? Kunst oder Geld - lacht - Bob: Geld! - lacht - Ich meine nicht, dass er es nicht verdient. Aber er hat es nicht nötig. Der ist reich innerhalb seinem Kontext hier. Der hat ein - - Bob: Entschädigungsrente. Ich kriege Entschädigungsrente. Weil als Jude musste ich weg von Berlin und Deutschland. Und da kriege ich jetzt über 1000 Euro. Das hat mir auch viel geholfen. Musik Bob singt Oberton... O-Ton Bob Mein Leben war ein Urlaub. Weil, ich hab immer gemacht, was ich wollte. Das war's. Musik Der alte Bob. Ein Bericht aus der Kunstszene Sie hörten ein Feature von Alexa Hennings Es sprachen: Rebecca Madita Hundt und Heinrich Giskes Ton und Technik: Michael Morawietz und Thomas Widdig Regie: Burkhard Reinartz Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2017 Musik ...Bob: This is not Rock 'n Roll. 1