Hörspiel Feature Radiokunst Feature Funkstille Wenn Kinder ihre Eltern verlassen Autor: Egon Koch Regie: Philipp Brühl Redaktion: Johanna Tirnthal und Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk/HR 2024 Erstsendung: Dienstag, 17.12.2024, 19.15 Uhr Es sprachen: Barnaby Metschurat und Haino Rindler Ton und Technik: Hermann Leppich Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Musikakzent O-Ton 01: Elke Mein Vater, wenn wir Kinder ihm helfen mussten und es ging nicht so, wie er sich das vorstellte, dann kam dann oft der Satz: Jetzt stell dich doch nicht dümmer an, als du bist. Oder: Du bist zu dumm, ein Eimer Wasser umzuschütten. O-Ton 03: Alex Auf der einen Seite sagte sie mir immer, dass ich ein Wunschkind bin, dass sie mich liebt und, dass ich ein tolles Kind bin. Und auf der anderen Seite, wenn ich nun geringsten Fehler gemacht habe oder ihr irgendwas nicht gepasst hat, hat sie eine Woche lang nicht mit mir gesprochen und mich wirklich komplett ignoriert. Musikakzent Ansager: Funkstille Wenn Kinder ihre Eltern verlassen Feature von Egon Koch Musikakzent Ansager: Die Selbsthilfegruppe O-Ton 04: Cordula Erst mal herzlich willkommen wieder, dass ihr da seid. Fangen wir doch gleich damit an, wie so Osterfeiertage bei euch verlaufen sind. Wie ihr euch gefühlt habt? Wie habt ihr die Ostertage verbracht, mit wem? (Anhang Atmo 10 Sek) O-Ton 05: Mike Ja, ich bin Mike und meine Tochter hat vor knapp zwei Jahren zu mir gesagt, dass sie keinen Kontakt mit mir haben will. Wir sehen uns noch bei meinem Vater, da kommt sie zu Familienfesten hin, wie zu Ostern, Weihnachten und auch wenn mein Vater Geburtstag hat, aber jetzt auch dieses Jahr Ostern haben wir kein Wort miteinander gesprochen. (5 Sek Atmo Anhang) Erzähler: Mike trifft sich mit Gruppenleiterin Cordula und anderen regelmäßig in der Selbsthilfegruppe Verlassene Eltern in Kassel. O-Ton 06: Mike Ich glaube, im Moment geht es mir damit besser, wenn ich mich damit abfinde, dass wir einfach keinen Kontakt haben. Also, dass ich das auch dann für mich so annehme und akzeptiere, dass ich sage: wenn du keinen zu mir haben willst, dann möchte ich langsam auch keinen mehr zu dir haben. Weil, wenn ich immer hinter ihr herlaufe, versuche den Kontakt aufzubauen und das kommt aber nichts zurück, das ist verletzender, als wenn man jetzt wirklich mal den knallharten Schnitt macht. Wenn du nicht willst, dann will ich jetzt auch nicht mehr. Und dann können wir vielleicht beide gut damit leben. (5 Sek Atmo Anhang) O-Ton 07: Cordula Vor Corona noch, 19, da habe ich dann geschaut, gibt es irgendwo Gleichgesinnte. Erzähler: Cordula. O-Ton 07: Cordula Weil es kann nicht sein, dass ich die Einzigste bin, die da so böse ist und so eine schlimme Mutter ist oder ihre Kinder so schlimm behandelt hat. Und ich hatte damals mal eine Gruppe für ADHS-Kinder hier bei der KISS in Kassel. Und dann wurde ich kontaktiert und gesagt: ... Sie kennen sich doch mit Selbsthilfegruppen aus? Ja. Ich habe dann erst mal ein bisschen durchatmen müssen. Jo, so ist dann die Gruppe zu Stande gekommen. (5 Sek Atmo) O-Ton 08a: Paula Die Selbsthilfegruppe hilft einem ja nicht über diesen Verlust hinweg, oder es bietet sich auch keine Lösung. (5 Sek Atmo) Erzähler: Paula, Mutter. Paula heißt nicht Paula. Sie möchte ihren wirklichen Namen nicht öffentlich nennen. O-Ton 08b: Paula Aber man hat einfach das Gefühl, man ist nicht allein mit diesem Problem. Es gibt ganz, ganz viele, die das erleben. Viele schämen sich, darüber zu reden. Man fühlt sich ja dann doch, schuldig ist vielleicht das falsche Wort. Man denkt, die anderen denken, man ist ein schlechter Mensch, weil warum soll denn dein Kind nicht mehr mit dir sprechen? Da bist du doch der schlechteste Mensch der Welt, weil, des gibt keine andere Erklärung. (Anhang 5 Sek Atmo) O-Ton 09a: Angelika Es beruhigt dann auch so ein bisschen, wenn man nicht allein das Monster ist auf der Welt... Erzähler: Angelika, Mutter. O-Ton 09b: Angelika Die Monster Mutter, die von den Kindern verlassen wird. (5 Sek Anhang Atmo) Musikakzent Ansager: Perspektive Mütter. O-Ton 10a: Cordula Der Auslöser an sich, den kann man gar nicht so direkt speziell benennen, weil wir stehen ja alle da, die verlassenen Eltern und wissen die Auslöser eigentlich gar nicht. Man kann immer nur ahnen, man kann es interpretieren. Und ja, also angefangen hat es eigentlich in der Zeit, wo die Jungs flügge wurden und aus dem Haus gingen mit festen Partnern. Aber irgendwie war der Abgang dann nicht so schön, weil es ist mit Vorwürfen behaftet gewesen. (15 Sek Atmo) Erzähler: Die beiden Söhne von Cordula, der 55-jährigen Gründerin der Selbsthilfegruppe "Verlassene Eltern", haben 2022 den Kontakt zur Mutter ganz abgebrochen - nach langjährigem On-off. O-Ton 10b: Cordula Das sind zwei Jungs, beide mittlerweile über 30, und sind auch im Beruf, haben auch nicht irgendwie ein verkorkstes Leben oder sonstiges schlimmes verbrochen gehabt. Eigentlich normal groß geworden. Ja gut, es ist halt eine Trennung gewesen. Da war der eine schon volljährig, der andere noch voll in der Pubertät und ob es vielleicht daran auch lag, kann man nicht mehr drüber sprechen, Weil die Sprache, die ist verstummt. Stellenweise war wohl der Kontakt von mir zu ihnen zu eng. Wobei ich sagen muss, alle Schwiegertöchter haben einen sehr guten Kontakt zu mir. Es ist auch sehr seltsam, (leichtes Lachen) aber da bin ich nicht die böse Schwiegermutter, sondern eher, ich bin wirklich die böse Mutter. Ich kann für mich nur sagen, vielleicht habe ich mich immer zu viel gekümmert. (5 Sek Atmo Anhang) O-Ton 11: Paula Mein Sohn, der wird jetzt 32 diesen Monat, und der zweite Kontaktabbruch kam nach Weihnachten 2021. Erzähler: Paula, Mutter. O-Ton 11: Paula An Silvester hatten wir noch telefoniert und da hat er wirklich gesprochen wie ein fremder Mensch, wie eine Maschine. Ich habe ihn nicht wiedererkannt. Und zwar ganz kurz und knapp. "Hallo. Ich möchte, dass du jetzt zuhörst. Ich möchte keinen Dialog. Ich sage es ein für alle Mal! Ich sage es nur einmal. Ich fühle mich von dir ausgenutzt." Ich hätte in der Vergangenheit eine Legitimation von ihm verlangt für meine jeweiligen Entscheidungen. Und ich hätte ihn durch meine Art praktisch dazu gebracht, dass er Probleme hat in sozialen Kontakten. Er hat mich mehr oder weniger, ja fast beschimpft, was ich für eine schlechte Mutter wäre. (5 Sek Atmo) O-Ton 12: Angelika Ungefähr ein Jahr nach dem Tod meines Mannes, 2017, hat es angefangen, dass sie sich weniger oft gemeldet hat, dass sie keine Päckchen mehr von mir wollte, dass sie ja einfach auch oft nicht geantwortet hat, nicht ans Telefon gegangen ist. Erzähler: Angelika ist Mutter von drei Kindern. Das jüngste war früher ein Junge und ist heute eine junge Frau - Wir nennen sie Lilly. O-Ton 12: Angelika Also, sie kam dann mit zwei Freundinnen zu mir und ich hatte das Gefühl, die waren wie Bodyguards. Ich habe das aber alles nicht verstanden. Ich habe überhaupt gar nicht verstanden, was da passiert. Und die haben sie sozusagen beschützt. Sie ist zwar gekommen, aber sie war eigentlich nicht da. Es waren ja so viele Veränderungen. Durch diesen diese Geschlechtsumwandlung, meinen kleinen Sohn war nicht mehr da. Da war jetzt eine junge Frau, die sich vollkommen zu mir auf Abstand gehalten hat. Und das war für mich sehr schwierig. Ich habe das optisch nicht mitbekommen, weil wir uns so selten gesehen haben. Und es war ja auch in dem Jahr 2016, als mein Mann sich das Leben genommen hat, und da hat sie was gesagt. Sie sei queer und ich konnte gar nichts mit anfangen. Aber ich habe auch gedacht: Ist mir egal, ich liebe dich, du bist wie du bist. (Anhang 14 Sek Atmo) Musikakzent Ansager: Perspektive Kinder. O-Ton 14: Sandra Das waren ziemlich viele Verletzungen, die da stattgefunden haben. O-Ton 15: Elke Ich war sehr autonom, bin viel weggewesen, auch sehr schnell ausgezogen... Erzähler: Elke, 57. O-Ton 15: Elke Im Laufe der Jahre in Bad Kreuznach gelandet, wo ich dann meinen Mann damals kennengelernt habe, der aus Amerika kam, also James war Afroamerikaner. Und als ich meinen Eltern davon erzählt habe, da ging das dann richtig los. Na also, dieses: Das kannst du nicht machen und das ist verkehrt, also ich habe tatsächlich gesagt: Nee, ich heirate den, ich brauch das nicht. Und das war dann auch der Moment, wo der Kontakt abgebrochen ist, als mein Vater gesagt hat: Wenn du den Mann heiratest, dann kommen wir nicht zu deiner Hochzeit, dann musst du sehen, wie du klarkommst. O-Ton 16: Alex Ich bin 35 Jahre alt, und habe vor circa zweieinhalb Jahren den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen. Erzähler: Alex. O-Ton 16: Alex Mir ging es damals psychisch sehr schlecht. Ich war in Klinik, in einer psychosomatischen Klinik stationär aufgenommen. Und im Rahmen dessen hat sich das herauskristallisiert, dass der Kontakt zu meiner Mutter mir absolut nicht guttut und dass ... ich mich davon erst mal entfernen sollte, damit es mir besser gehen kann. Hintergrund war eigentlich relativ starke Suizidgedanken, die ich dann in der Zeit hatte und mit der ich auch mit denen ich auch gar nicht umgehen konnte, die ich zwar schon aus meiner Jugend schon kannte, aber nicht in dem Ausmaß, wie ich sie da dann hatte. (Anhang 16 Sek Atmo) O-Ton 17a: Cordula Ich habe erfahren, wer mein Vater ist und die meisten wussten es, haben es geahnt, haben damit vom Berg gehalten. Das machte auch in meinem Leben einen Sinn, warum ich nie Hilfe bekam. (Anmerkung: Stimme leicht oben) (Anhang 5 Sek Atmo) Erzähler: Cordula ist nicht die Mutter von Alex. Genauso wie ihre beiden Söhne den Kontakt zu ihr abgebrochen haben, hat die Gründerin der Selbsthilfegruppe "Verlassene Eltern", selbst die Verbindung zu ihren Eltern abgeschnitten. Im Alter zwischen Sieben und Vierzehn Jahren wurde Cordula von ihrem Stiefgroßvater missbraucht. Sie ist bereits Fünfzig, als sie erfährt, dass sie zugleich das Kind dieses Mannes ist. Da kappt sie das Band zu Mutter und leiblichem Vater. O-Ton 17b: Cordula Ich bin halt... mit 14 durch Vergewaltigung schwanger geworden und musste es alleine durchstehen, weil es durfte ja in den 70er um Gottes Willen, das durfte ja keiner wissen. Da habe ich für mich entschieden. Also von diesen Menschen werde ich mich komplett verabschieden. O-Ton 18: Alex Wenn man sagt, ich habe Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen, ist ganz oft noch Reaktion Wie kannst du nur? Das sind doch deine Eltern. (kurze Pause) Ja. Musikakzent Ansager: Vorwürfe der Kinder an die Eltern, Ursachen der Kontaktabbrüche. O-Ton 19a: Elke Gefühl und Bedürfnis nach Autonomie, nach Entwicklung, nach körperlicher Nähe, nach emotionaler Nähe. Das sind all die Dinge, die gibt es in unserer Familie in dem Sinne nicht. Also mein Vater ist ein sehr kühler Mensch. Meine Mutter reflekt..., was heißt reflektiert, redet viel schön, oder: Ja, da muss man halt durch. Erzähler: Elke ist 24, als sie 1992 in Dänemark heiratet und mit ihrem Mann in die USA geht. Zwei Jahre später bringt sie ihren Sohn zur Welt. Die Geburt verändert das Verhältnis zu ihren Eltern. Elke möchte, dass sie Kontakt zu ihrem Enkelkind haben. Die Eltern kommen sie in den USA besuchen. 1999 kehrt sie nach Deutschland zurück, zunächst zu ihren Eltern. O-Ton 19b: Elke Wenn meine Mutter fragt, wie es mir geht oder was ich so mache und ich dann aushole und erzählen möchte, kommt sehr schnell dann so diese Unterbrechung dann: Ja, aber was soll ich dann erst sagen? Also das ist. Ich merk heute noch: ich habe keinen Platz. Dieses, dieses wirklich Zuhören, erzähl doch mal oder so, ist nicht. O-Ton 20: Alex Ja, das Problem ist eben für mich, dass es, wenn wir uns gesehen haben, nur um sie ging. Erzähler: Alex, Sohn. O-Ton 20: Alex Also nur um ihre Probleme. Es ging nur darum: Wie geht es ihr? Was beschäftigt sie gerade? Und das eigentlich immer und immer, wenn wir uns gesehen haben, das Gleiche. Und von ihr kam nie die Frage: Wie geht es dir? Also gar nicht. Und wenn das irgendwie mal zur Sprache kam, ist sie mir mit einem Satz ins Wort gefallen und hat dann wieder von sich gesprochen und von ihren Problemen. Und irgendwann habe ich mir gedacht, na ja, ... dann sage ich halt gar nichts mehr, dann lass ich's halt, weil es scheint dich ja nicht zu interessieren. So ist das bei mir angekommen. (10 Sek Atmo) O-Ton 21: Elke Jetzt so viele, viele Jahre später, glaube ich, das war einfach diese emotionale Nähe, die mir gefehlt hat. Erzähler: Elke. O-Ton 21: Elke Also dieses aneinander Reiben, Konflikte, dieses wirklich auch Konflikte austragen, das gab es in unserer Familie nicht. Ich glaub in all den Jahren von meinen Eltern nicht einmal gehört: Oh, da haben wir dir Unrecht getan. Das tut uns leid. Und ich glaube, dass das viel dazu beigetragen hat, dass ich dann irgendwann dann gesagt habe: So, und jetzt lebe ich mein Leben. Erzähler: Angelikas Ehemann - Lillys Vater - beging 2016 Suizid. Ein tiefer Einschnitt für die Familie. O-Ton 22a: Rebecca Ganz viel Trauer. Und ich glaube schon auch das Gefühl, am Anfang alleingelassen zu werden von jemanden, den man ja liebt. Verletzungen. (Anhang 8 Sek Atmo) Erzähler: Rebecca ist Angelikas mittlere Tochter und Lillys ältere Schwester. O-Ton 22b: Rebecca Ich glaube, dass es da viel in meiner kleinen Schwester bewegt hat und ja viel wieder hoch gewühlt und sie sich angefangen hat mit Sachen auseinanderzusetzen auf ihre Art. O-Ton 23: Angelika Wir waren zwar über 36 Jahre zusammen, aber trotzdem haben wir uns sehr aneinander gerieben. Also wir hatten sehr viele Konflikte. Er war sehr ordentlich. Er war sehr darauf bedacht, dass alles funktioniert. Er hatte schon das Bedürfnis, Dinge zu kontrollieren. Und das war lange Jahre mein Lebensziel, ja, endlich meinen Mann glücklich zu machen. Und ich hatte selber auch Depressionen und, ich glaube, wir haben versucht zu vermeiden, dass die Kinder das mitbekommen, dass wir uns gestritten haben. Dieses Gefühl wollte ich meinen Kindern geben: Ich bin für euch da. Ich interessiere mich für euch. Und ich habe immer wieder gesagt: Ich liebe euch. Aber ich glaube, dass die Kinder eben die haben diese Unsicherheit der Beziehung, sie haben mein Unglück gespürt. (10 Sek Anhang Atmo) O-Ton 24: Rebecca Ich glaube schon, dass die Beziehung meiner Eltern nie stabil war für uns Kinder. Und nie nachvollziehbar stabil, instabil. Erzähler: Rebecca. O-Ton 24: Rebecca Ich glaube, dass das mit eine Grundunsicherheit vielleicht auch bei meiner Schwester ausgelöst hat, aber dass vielleicht dadurch auch Grundprobleme im Urvertrauen bestehen, aber auch noch andere Konflikte mit dazu geführt haben. (6 Sek Anhang Atmo) O-Ton 25: Angelika Vor einem Jahr ungefähr hat sie mir dann einen Brief geschrieben, sie meinte, es hätte sexuelle Übergriffe gegeben, es hätte Misshandlungen gegeben und das habe ich in unserem Zusammensein nie gesehen und nie so empfunden, wenn ich gesagt habe: Jetzt stell dich doch nicht so an, ich bin doch deine Mutter. War für sie schon ein sexueller Übergriff und sie war, glaube ich, nackig und ich bin ins Bad gekommen. Das war dieser Anlass, ich habe sie überhaupt nicht berührt. Aus meiner Sicht gab es keine sexuellen Misshandlungen, (leichtes Lachen) aber aus der Sicht des Kindes. Sie hat es eben so empfunden, dass ich übergriffig war wahrscheinlich, ja. (12 Sek Anhang Atmo) Erzähler: Bei Lilly häufte sich die Wut wegen der Grenzüberschreitungen ihrer Mutter. Angelika bekam das so wenig mit, wie später Lillys Überlegungen damit, den Kontakt zu ihr abzubrechen. Nur den beiden Schwestern war das bewusst. O-Ton 26: Rebecca Es, also, hatte sich für mich schon angebahnt, und es war immer Thema gewesen. Und dann auch der letztendgültige Beschluss wurde schon auch mit uns kommuniziert, also mit meiner anderen Schwester. Ich glaube, für meine Schwester gab es für sie nachvollziehbare Traumata in ihrer Jugend, Kindheit, die sie dazu geführt haben, wenn sie für sich mit sich gut sein möchte, dass sie dann den Kontakt minimiert oder abbricht. Gerade dieser große Identifikationsschritt von ich bin äußerlich männlich, zu äußerlich weiblich und die Auseinandersetzung dann. Dafür muss man ja auch viel Auseinandersetzung mit sich selbst machen, um überhaupt dahin zu gelangen. Und ja, ich glaube schon, dass sie sich halt mit Sachen identifiziert, die dann dazu führen, dass es zu einem Kontaktabbruch führen muss, über die Darstellung, die sie für sich hat. Ich habe die so nicht und ich habe die mir berichtet wurden, auch nie so miterlebt, diese Konflikte. Und ich habe auch eine andere Perspektive als meine andere Schwester auf viele Situationen in unserer, also es geht ja da vorwiegend um Situationen in der Kindheit, in der Jugend. (Anhang 6 Sek) Erzähler: Rebecca kann mit beiden sprechen, mit ihrer jüngeren Schwester Lilly und mit ihrer Mutter Angelika. O-Ton 27: Angelika Ich frage manchmal. Also wie geht es Lilly? Sie ist eben nicht tot. Ich glaube, das darf meine mittlere Tochter auch, mich darüber informieren. Das ist, glaube ich, so besprochen. Ich bin sehr dankbar, dass sie diese Rolle übernommen hat, weil es mich doch sehr entlastet, wenn ich weiß, es geht Lilly gut. (Anhang 15 Sek Atmo) Musikakzent. Erzähler: Für die verlassenen Eltern ist der Kontaktabbruch meist ein Schock. Sie haben vorher keinerlei Anzeichen bei den Kindern für diesen radikalen Schritt wahrgenommen. Bis auf vage Andeutungen, sie würde sich zu sehr in ihr Leben einmischen, haben die Söhne von Cordula, der Gründerin der Selbsthilfegruppe, nie die Ursache für den Kontaktabbruch genannt. O-Ton 29: Cordula Klar haben die das Recht zu gehen, klar haben sie das Recht sich aus irgendwelchen abzunabeln oder dass vielleicht irgendwas nicht okay ist. Aber verdammt noch mal, wenn die den Mund nicht aufmachen, was mit ihnen ist, dann kann man auch als Eltern nicht agieren. Und ich finde es unter die Gürtellinie mit null Wort zu gehen und zu sagen: Ich hatte irgendwie eine schlechte Kindheit oder irgendwas ist nicht richtig gelaufen oder irgendwas muss mal gewesen sein. Das Recht haben diese Kinder nicht. Da müssen sie reden. Musikakzent Ansager: Überlebensstrategien, Schutzmaßnahmen. O-Ton 33: Elke Wenn zwei Menschen in Kontakt gehen, ich mein, niemand kann vermeiden, jemand anderen zu verletzen und die Verletzung passiert ja oft. Erzähler: Elke. O-Ton 33: Elke Da gibt es ja zig verschiedene Möglichkeiten den Konflikten aus dem Weg zu gehen. Meist, also oft, ist es ja sogar hilfreich, Konflikten aus dem Weg zu gehen, also durch Abwehrmechanismen. Weil, die schützen uns ja letztendlich auch vor Schmerz und vor Verletzungen. Und nur irgendwann sind die halt nicht mehr dienlich. Und dann wird's schwierig. (3 Sek Anhang) O-Ton 35: Alex Das ist ein sehr großes Problem, das bei mir das Selbstbild und das Fremdbild überhaupt nicht übereinstimmen. Erzähler: Alex. O-Ton 35: Alex Ich kriege eigentlich sehr viele positive Rückmeldungen, aber ich kann das gar nicht für mich annehmen. Also mein Selbstbild ist so negativ und so selbstverachtend teilweise. Dass ich selbst da schon Probleme habe, was ja vielleicht erst mal die Grundlage wäre, um in eine gesunde Beziehung reingehen zu können, dass man sich selbst irgendwie einigermaßen okay findet, damit habe ich einen Riesenproblem. Ja, ich denke schon, dass der Selbstschutz die Hauptursache dafür ist für den Kontaktabbruch, weil kein Kind, egal wie alt es jetzt ist, bricht freiwillig den Kontakt zu den eigenen Eltern ab. Weil, ich habe jetzt das Gefühl für mich, ich habe mir einfach meine Wurzeln abgeschnitten. Ich habe keine Wurzeln mehr und da kommen auch keine neuen Wurzeln, weil es gibt nun mal nur die Eltern. Es ist wirklich das letzte Mittel, das ich für mich gesehen habe, um mich selbst zu schützen. (8 Sek Anhang Atmo) Musikakzent Ansager: Verlustphasen der Eltern. Collage O-Ton 37a: Paula Es war so, als wenn mein Kind tot wäre und ich hätte keine Leiche. Erzähler: An Silvester 2023 hat ihr Sohn Paula am Telefon gesagt, er fühle sich von ihr ausgenützt. O-Ton 37b: Paula Ich wüsste gar nicht, wo er ist, also ich habe wochenlang geweint. Und ich halt es nicht aus. Ich muss jeden Tag dran denken. Den ganzen Tag. Und ich träum jede Nacht Albträume und des geht nicht weg. Und ich muss jeden Tag mich sehr zusammenreißen, dass ich nicht einfach im Bett liegen bleibe, nimmer aufstehe. Also es ist de facto so, dass es mir manchmal sogar egal ist, wenn ich jetzt auf die Straße gehe und wird von der Straßenbahn überfahren, dann denke ich mir: Ist auch egal. (5 Sek Atmo Anhang) O-Ton 39: Rebecca Wut, Trauer, Verzweiflung, einfach alles von beiden Seiten. Erzählerin: Rebecca, Schwester von Lilly. O-Ton 39: Rebecca Ich glaub, ich kann mich in beide Seiten gut reinversetzen. (6 Sek Anhang Atmo) O-Ton 40: Angelika Wenn ich jetzt zurückblicke, sind es diese Stufen. Erzähler: Angelika, Mutter von Rebecca und Lilly. O-Ton 40: Angelika Man will es erst nicht wahrhaben. Man wird wütend. Man versucht zu verhandeln. Man realisiert, dass es nichts mehr gibt, was man tun kann, fällt in diese Depression. Und dann am Ende akzeptiert man die Situation. (16 Sek Anhang Atmo) Musikakzent Ansage: Verlassene Kinder, verlassende Kinder. O-Ton 41a: Paula Ich bin ja geschieden von seinem Vater. Wir haben uns sehr bald getrennt. Da war mein Sohn zwei, zweieinhalb etwa. Erzähler: Paula kann nur mutmaßen, welche Rolle diese Trennung beim Kontaktabbruch ihres Sohnes spielt. O-Ton 41b: Paula Jetzt, wo er selber Vater geworden ist, hat er natürlich auch diese Verlustangst, dass er vielleicht auch als Scheidungskind jetzt plötzlich selber Scheidungskinder produziert hat, weil er vielleicht die Beziehung nicht richtig führt, woran ich ja schuld sein muss, weil ich ihm die Beziehung falsch vorgelebt hab. (Anhang 10 Sek Atmo) Erzähler: Auch Alex ist mehr oder weniger ohne Vater aufgewachsen. O-Ton 42: Alex Meine Mutter hatte direkt einen neuen Partner und mein Vater für diesen neuen Partner verlassen. Die Beziehung war aber auch sehr problematisch. Also da hatte ich auch keine Vaterfigur. Es war, war sehr instabil. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass der Mann Spaß daran hatte, mich aufzuziehen, mich zu ärgern, was dann auch einmal in einer Situation geendet ist, die für mich lebensgefährlich war. Woraufhin meine Mutter dann, glaube ich, auch realisiert hat, das ist dann vielleicht auch nicht die wahre Beziehung. Und danach hat meine Mutter dann auch nie wieder eine Beziehung zu einem Mann gesucht. Also dann waren wir alleine und ich hatte das Gefühl, dass ich dann später so der Mann-Ersatz wurde für meine Mutter. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass ich Eltern vermisse oder so, die Vaterfigur oder eben auch eine liebevolle Mutter, so vollumfänglich, liebevoll. Nicht nur, wenn es ihr gerade passt. Aber ich hab halt gemerkt, dass ich das in den Menschen, die ich biologisch als Eltern bekommen habe, bekomm ich das leider nicht. (10 Sek Atmo Anhang) O-Ton 43: Angelika Einmal hat mein Mann uns alle verlassen, da war schon mal das erste Elternteil weggebrochen und das zweite war, dass ich nach dem Suizid meines Mannes nicht bei mir war. Erzähler: Angelika, Mutter von Lilly. O-Ton 43: Angelika Ich glaube auch, dass meine Depressionen der ... Grund für den Kontaktabbruch mit Lilly waren. Ein Jahr nach dem Tod meines Mannes war ich allein unterwegs im Wald und bin spazieren gegangen und bin in ein furchtbares Loch gefallen. Ich habe wirklich allen Lebensmut verloren. Ich habe mich alleine gefühlt. Ich habe mich von allen verlassen gefühlt. Und ich habe wirklich richtig schlimm und stark darüber nachgedacht, mir das Leben zu nehmen. Und habe dann nur Lilly erreicht an diesem Tag, und ich glaube, dass sie das überfordert hat. Das hat sie in der Situation dann, in der sie ja auch selber war, aber die ich aus der Ferne auch nicht ... wusste, wie schwer sie mit ihren ganzen Konflikten und ihren ganzen Gedanken selber noch nicht sicher war. Ich glaube, das hat es dann ausgelöst. (19 Sek Anhang Atmo) Musikakzent Ansager: Versuche der Eltern, wieder in Kontakt zu kommen. O-Ton 44: Cordula Was in Ihren Augen nicht fair war, nicht richtig war, wo sie sich vielleicht enttäuscht gefühlt haben, nicht gesehen haben. Dafür habe ich mich wortwörtlich entschuldigt. Und ich habe mich sogar bei dem Jüngeren in der Zeitung entschuldigt. Erzähler: Cordula, Mutter zweier Söhne. O-Ton 44: Cordula Es wurde dann damals so aufgenommen: Ach ja, guck mal da, die will ja nur wieder einen auswischen. Aber es war einfach nur aus der Reflektion heraus. Und weil ich in der Ohnmacht stand und alles, was ich tat, egal in welche Richtung, ist mir immer im Negativen angekreidet worden. O-Ton 46: Alex Letztens stand sie einfach mal unangemeldet vor meiner Tür und war auch der Meinung: So, jetzt habe ich ja lang genug Zeit gehabt, jetzt müsste es mir ja eigentlich besser gehen. Jetzt können wir doch mal reden. Erzähler Alex, Sohn. O-Ton 46: Alex Und da merke ich halt, das ist was, was sich eigentlich schon durch das ganze Leben zieht. Wenn ich eine Grenze setze, ist ihr das vollkommen egal. Und diesmal habe ich sie dann eben einfach auf der Schwelle wieder nach Hause geschickt. (9 Sek Atmo Anhang) Musikakzent Ansager: Transgenerationale Weitergabe. O-Ton 47a: Elke Es kommt ja nicht einfach so aus dem heiteren Himmel, dass der Kontakt abgebrochen wird. Erzähler: Elke, Tochter und Mutter. Eltern sind ja auch wieder Kinder ihrer Eltern, haben also verschiedene Strategien entwickelt, um mit eventuellen Traumata, ob das jetzt Krieg ist oder andere Dinge... haben die gelernt, damit umzugehen. Vielleicht auch Härte der, ihrer Eltern. Und das gibt man, ob man das will oder nicht, an seine eigenen Kinder weiter. Manchmal kann man es gar nicht vermeiden und viele denken, das hat was mit Schuld zu tun, also, da hat irgendjemand was Böses getan. Mal abgesehen von wirklichem aktivem Kindesmissbrauch und Vergewaltigung und, und also wirklich Schlägen gibt es eben auch diese Bindungstraumata, ... wo keiner was dafür kann. (Atmo Anhang 6 Sek) O-Ton 48: Cordula Meine Familie war ja auch schon eine Trennungs-, eine Scheidungsfamilie. Erzähler: Cordula, Mutter und Tochter. O-Ton 48: Cordula Also diese Konflikte der Familien, die Konflikte meiner Eltern, die Konflikte meiner Großeltern wurden alle auf mich getragen mit und ich konnte sie als Kind auch nicht kompensieren. Und es war eine schwere Zeit, immer wieder zu diesen Leuten zu gehen und zu wissen, eigentlich stimmt da in der Familie was nicht, weil die wirkliche Wahrheit habe ich auch erst mit 50 erfahren. Ich bin aus einer Familie heraus, wo Missbrauch widerfahren ist. Ich habe es immer so gehalten, dass meine Söhne sich ein eigenes Bild von der Familie machen dürfen. Also sie durften jeden kennenlernen, alle der Familie kennenlernen, die mir auch Böses angetan haben. Ja, was ich halt jetzt geerntet habe, weil diese sind so von den anderen instrumentalisiert worden, dass ich das weiter zu spüren bekomme, was ich halt vorher auch zu spüren bekam. Ich habe immer gesagt, ich war der Bastard der Familie und jetzt bin ich halt die böse Mama der Familie. O-Ton 51: Elke Es geht einfach oft um ne Verkettung unglücklicher Zustände, die dazu führen, dass Kinder sich nicht verstanden fühlen. Erzähler: Elke. O-Ton 51: Elke Und dann kommt das Bedürfnis von den Eltern, wir wollen dich beschützen, vielleicht aus eigener Biografie heraus, dass sie sagen: Das, was ich erlebt habe, will ich ganz anders machen. Oder Strategien, die die selber als Kind entwickeln mussten, um in der Situation klarzukommen, werden dann unbewusst auf die nächste Generation übergestülpt. Und da wiederum geht auch wieder jedes Kind anders um. Die einen sagen: Das tue ich mir nicht mehr an, ich bin dann mal weg. Und gehen ihren Weg auch ohne Eltern. Andere werden zu angepassten Kindern und die stellen halt das Leben lang ihre Bedürfnisse zurück und geben das natürlich an ihre Kinder weiter. Ich glaube, das ist immer so eine transgenerationale Weitergabe. Entweder es geht gut oder es kommt zu Kontaktabbrüchen. O-Ton 50: Cordula Meine Kindheit war halt ja schon katastrophal. Und dann ist man ja umso sensibler und umsichtiger und übermuttermäßig, jetzt nicht Helikopter, aber man versucht die Kinder zu schützen vor irgendwelchem Unheil, was man selber erfahren hat und das ist vielleicht nicht so gut. Es gab mal eine Mutter in meinem meiner Gruppe in der alten, die hat gesagt, ich glaube, wenn ich mein Kind geschlagen hätte oder Alkoholikerin gewesen wäre, hätte ich's heute noch. Und das hat mich zum Nachdenken angeregt. O-Ton 52: Paula Meine Mutter, die hatte eine Beziehung zu einem der ersten italienischen Gastarbeiter. Ich entstand ungewollt. Er ist gegangen. Meine Mutter hat einen neuen Mann gefunden, auch einen italienischen Gastarbeiter. Ich bin also schon in dem Wissen aufgewachsen, dass ich eine Italienerin bin. Aber es war ein ganz anderer. Und mir wurde das auch selbst auch erst erzählt mit 19. Erzähler: Paula, Mutter und Tochter. O-Ton 52: Paula Da kam dann der Brief vom Jugendamt, den haben sie ein Jahr lang versteckt und nach einem Jahr haben sie mir ihn dann gegeben. Und es kam dann erst raus, dass ich eigentlich von jemand ganz anderem das Kind bin und ich wurde also mein Leben lang belogen. Dann kam eben dazu, dass meine Mutter mich auch immer schlecht behandelt hat. Also diese ganze familiäre Konstellation war immer schwierig. Mein Sohn hat eben auch dann mitbekommen, dass diese transgenerationale Übertragung natürlich sich immer wieder weiterträgt und auch vererbt über die Gene. Und ich denke, dass er da auch Angst hat, dass er irgendwo, weil ich mich ja dann auch hab scheiden lassen von seinem Vater, dass er wahrscheinlich Angst hat, dass er das vielleicht mitbekommen hat und möchte so wenig Kontakt zu dem Ganzen wie möglich. Das erklärt sich für mich auch, wobei das Plötzliche mich etwas irritiert. (10 Sek Anhang Atmo) O-Ton 53: Cordula Ich habe zu mir immer gesagt, ich werde meine Kinder nie anlügen. Ich bin mit meinem ganzen Leben nur belogen worden. Mein ganzes Leben war auf Lügen basiert in dieser Familie und das werde ich nicht tun. Musikakzent Ansager: Zeitenwende, Tanz zwischen Autonomie und Zugehörigkeit. O-Ton 54: Cordula Unsere Gesellschaft hat mittlerweile den Respekt verloren und das Gespräch verloren und die Worte verloren. Und ich glaube, das ist ein ganz, ganz großes Zubrot dafür, wie es jetzt im Moment gehandelt wird mit den Kontaktabbrüchen. O-Ton 55: Sandra Die Ehen unserer Großeltern sind ja 45 Jahre, 40 Jahre, keine Ahnung, die waren ja alle furchtbar lange verheiratet. O-Ton 56: Elke Diese Hedonie, alles Richtung Freude ausgerichtet, ne Spaßgesellschaft. Und ich glaube, dass das schon auch mitspielt in dem, dass wir nicht mehr gut mit Krisen umgehen können, dass wir verlernt haben, mit Konflikten umzugehen und aushalten zu können. Erzähler: Elke. O-Ton 56: Elke Also du musst es nicht aushalten, Du kannst auch gehen, wenn du deinen Job nicht mehr magst, dann kündige halt. Es gibt tausende andere Sachen. Wir sind schneller bereit, Dinge aufzugeben, weil es grad mal unbequem ist oder weil es grad halt mal irgendwie auch unangenehm ist, sich anfühlt. Beziehungen gehen schnell auseinander, weil, na ja, es gibt ja noch 1000 andere Frauen oder Männer draußen, ne so, und wir werden viel schneller ermutigt Dinge zu tun, die wir vielleicht später irgendwann mal bereuen. O-Ton 57: Paula Ich merk auch, dass die Menschen immer mehr verunsichert sind. Erzähler: Paula. O-Ton 58: Sandra Tatsächlich ist es so, dass man sich ja verbiegt. Man verändert sich ja, damit man dem anderen gefällt und damit diese Beziehung zu wem auch immer. Zur Mutter, zum Vater, zum Bruder funktioniert. O-Ton 59: Elke Dieses Bedürfnis nach Autonomie, aber auch gleichzeitig dieses Bedürfnis nach Familie. Erzähler: Elke. O-Ton 59: Elke Das ist so ein, schätz ich mal, ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen: Zugehörigkeit. Und die Familie ist ja letztendlich das erste Gefühl von Zugehörigkeit. Und oft bleiben halt dann die Autonomie auf der Strecke und Kinder werden zu angepassten Kindern und machen halt so ihr Ding und gehen über Generationen weiter, bis sie eigene Kinder haben. Und wenn die Kinder stark genug sind und, und dieses Gefühl von Autonomie haben, das ist der Punkt, wo es dann knallt. O-Ton 61: Alex Ich kann sagen, dass dieser Kontaktabbruch halt wichtig ist, damit es psychisch einfach besser geht. Erzähler: Alex. O-Ton 61: Alex Also ich habe gemerkt, wie ich teilweise, wenn ich meine Mutter einen Tag am Wochenende gesehen hab, quasi fast eine Woche gebraucht habe, um emotional irgendwie stabil zu sein, sage ich mal, und von dieser Erschöpfung mich zu erholen. Klingt vielleicht blöd, aber so war es tatsächlich. Das hat mich wirklich runtergezogen. Wenn ich meine Mutter nur einen Tag gesehen habe, war ich tagelang danach fertig. (7 Sek Atmo Anhang) O-Ton 62: Elke Ich krieg inzwischen sehr genau mit, wann ich als Kind in meinem Elternhaus bin und wann ich als erwachsene Frau in meinem Elternhaus bin. Das sind einfach so, so Mechanismen und Trigger, die uns doch immer wieder in diese kindliche Rolle reinwerfen, ich spüre es immer dann, wenn mir Bemerkungen von meiner Mutter zu nahegehen, wo ich dann so automatisch wieder hin so in dieses kleine Mädchen, in diese Erinnerungen hochkommen und dann automatisch wieder da reinschlüpfe. Also und gleichwohl ja und dass wir erwachsen sind, dass wir unseren Eltern auch erwachsen gegenübertreten, obwohl wir ja immer die Kinder bleiben werden. (6 Sek Anhang Atmo) Musikakzent Ansager: Letzte Chance: Perspektivwechsel. O-Ton 63: Elke Selbst als das damals mit meinem Mann dann in die Brüche gegangen ist, es kam weder bei meiner Mutter noch bei meinem Vater jemals dieser Satz über die Lippen: "Das haben wir dir doch gleich gesagt." Ich glaube, mein Vater wird sich wahrscheinlich eher die Zunge abbeißen, bevor dieser Satz über seine Lippen kommt. Erzähler: Elke, Tochter. O-Ton 63: Elke Und ja, wir haben heute immer noch Kontakt. Und ich würde mal sagen, da ist nicht wirklich was geklärt in unserer Familie. Also das war, was mir geholfen hat, also in dem ich mich mit der Biografie meiner Eltern auseinandergesetzt habe und, und angefangen habe, hinter die Fassade zu gucken. Ich will wissen, warum bestimmte Dinge passieren. Warum bin ich so, wie ich bin? Warum sind meine Geschwister so wie sie sind? Und was passiert da? Das war für mich ein riesiger Perspektivenwechsel und Quantensprung in dieser Heilung, also dieses wirklich okay, das ist ein Teil meiner Biografie. Ich bin der Mensch dadurch geworden, der ich bin. (5 Sek Atmo Anhang) O-Ton 64: Alex Ich kenne ja das Elternhaus meiner Mutter. Das war auch kein liebevolles Elternhaus. Also ich kann schon teilweise verstehen, was sie vielleicht geprägt hat, warum sie auch einfach nicht mehr geben kann. Vielleicht auch, wenn sie es gerne würde. Erzähler: Alex, Sohn. O-Ton 64: Alex Also ich denke nicht, dass meine Mutter irgendwas absichtlich gemacht hat. Ja, aber einfach so, wenn das Kind kommt und sagt: "Hier hey, da und damit geht es mir schlecht." Dann würde ich mir wünschen, von der Seite meiner Eltern, dass sie das dann einfach sehen und sagen: "Okay, damit geht es dir schlecht." Ich habe die Wahrnehmung nun mal und dann wünsche ich mir, damit gesehen zu werden. Kann ja sein, dass mit meiner Wahrnehmung was nicht stimmt. Also ich meine, das ist jetzt das, was mich als Erwachsener beschäftigt. Ich zweifel immer an mir. Ich zweifel immer an meiner Wahrnehmung, selbst wenn andere was falsch machen. O-Ton 65: Cordula Ich sehe da so einen krassen Unterschied also zwischen meiner Geschichte und Kontaktabbruch und die Geschichte meiner Kinder und den Kontaktabbruch. Erzähler: Cordula, Mutter. O-Ton 65: Cordula Klar, für jeden ist die Wahrnehmung halt wie sie ist, definitiv. Und was habe ich für eine Geschichte mit meiner Mutter erlebt? Und das hat mich so zum Ohnmacht gebracht, dass ich schlimmer behandelt worden bin von meinen eigenen Kindern, wie ich meine Mutter behandelt habe oder meine Großeltern oder sonstiges. Ich bin immer noch in dieses Haus gegangen, in dem ich vergewaltigt worden bin. Weil dieser Jüngere hat mir wortwörtlich Traumatisierung eines Kindes seiner Exfreundin und meinem Mann zugesprochen. Mit meiner Geschichte ist das das Schlimmste, was ein Kind mir gegenüber sagen kann. Und dafür gibt es nichts mehr, nichts mehr auf der Welt, was es entschuldigen kann nach Jahren. O-Ton 66: Paula Einmal hat mein Sohn nach dem ersten Kontaktabbruch, wo wir uns wieder angenähert hatten, hat er mir noch mal gesagt, dass es ihm jetzt zu viel ist, dass ich ihm ja immer alles erzählt hab. Erzähler: Paula, Mutter. O-Ton 66: Paula Also jetzt ist ihm bewusst, dass ich zu viel, zu offen mit ihm war, dass ich zu freundschaftlich mit ihm war, zu viele intime Sachen erzählt hab. dass ich ihm zu viel von mir preisgegeben habe, dass ihm das im Prinzip wie eine Bürde auf den Schultern sitzt. Ich habe ihn damit belastet, anstatt ihm zu zeigen, dass er partnerschaftlich ist. Also vielleicht wollte ich erreichen, dass er sich ebenbürtig fühlt, dass er sich als gleichwertig und gleichberechtigt fühlt. Und habe aber das Gegenteil erreicht, nämlich Ich habe ihn damit belastet. Ich habe gedacht, ich mache es richtig. Das heißt aber nicht, dass ich das nicht verstehe, dass man jetzt sagt, das war nicht gut. (Anhang Atmo 10 Sek) Erzähler: Angelika meinte auch, sie mache es richtig, als sie ihrer Tochter Lilly nach deren Masterabschluss Geld überwies. O-Ton 67: Angelika Das war aber nicht gut, weil das war auch eine Grenzüberschreitung von meiner Seite. Sie hat mich dann aber irgendwann noch mal kontaktiert und hat mir diesen Brief geschrieben, in dem diese Anklagen, muss ich jetzt mal sagen, drin standen, so habe ich es damals empfunden. Sie meinte, es hätte sexuelle Übergriffe gegeben, es hätte Misshandlungen gegeben und das habe ich in unserem Zusammensein nie gesehen und nie so empfunden. Ich durfte mich dazu äußern, wenn ich Verantwortung für das übernehme, was ich getan habe. Und das war natürlich ein schwieriger Prozess, für etwas Verantwortung zu nehmen, was ich aus meiner Sicht gar nicht getan hatte. Ich habe dann aber später mit des Partners meiner mittleren Tochter.... ein Gespräch geführt über diesen Brief. Und er hat gesagt: Es muss erst mal nicht für dich stimmen, was in diesem Brief steht. Aber es stimmt für Lilly. Ja, sie hat das so empfunden und sie hat das so wahrgenommen. Und das hat mir unheimlich geholfen, diese Perspektivwechsel durchzuführen. (8 Sek Atmo Anhang) O-Ton 69: Angelika Kann ich Verantwortung dafür übernehmen, wenn ich gar nicht die Absicht hatte, das zu tun, was ich da getan habe? Aber ich, ich hatte es getan. Das war ich. Und diese Verantwortung zu übernehmen, das war, glaube ich, ein ganz wichtiger Prozess auch für Lilly. Und als ich dazu Stellung genommen habe, hat sie dann angeboten, dass wir ein Videotelefonat führen können. O-Ton 70: Paula Ich dachte ja auch, gewisse Ereignisse sind ja oft so prägnant, dass man dann in so einem Hollywoodfilm: Au jetzt ist der Kontakt wieder da. Klar, nä. Meine kleine Schwester hat jetzt ihr Baby bekommen. Selbst daraufhin keine Reaktion. Und ich muss auch sagen, dass ich aktuell gar nicht wollte, dass er jetzt käme und irgendwas sagt, weil ich glaube, dass er jetzt gar nicht das Richtige sagen könnte. Und ich hätte Angst davor, dass es dann noch schlimmer wird. Er hat mich sehr verletzt. Er hat noch nie in seinem ganzen Leben so mit mir gesprochen. Also, ich stand wirklich wie versteinert da. Erzähler: Ende August 2024 bekam Paula zwei Anrufe von ihrem Sohn. Er lud sie zu seiner Verlobung ein. Beim ersten Anruf in einem freundlichen Ton. Beim zweiten machte er seiner Mutter wieder die alten Vorwürfe und diktierte mit maschineller Stimme, wie sie sich zu verhalten habe. Und drohte, wenn sie sich nicht richtig benehme, dann sei es das letzte Mal gewesen, erzählt Paule. Sie ging mit ihrem Mann zur Verlobungsfeier hielt beim kongolesischen Vater für ihren Sohn um die Hand dessen Tochter an. Im November 2024 rief die Schwiegertochter in spe überraschend Paula an. Im Gespräch wurden Missverständnisse angesprochen und geklärt. Am Ende verblieben beide so, dass zwischen ihnen nun alles in Ordnung sei und sie einen Neustart in der Beziehung beginnen möchten. Paula ist nach wie vor vorsichtig. Ihr Sohn hat sich noch nicht wieder gemeldet. Sie hofft, dass sich im Laufe der nächsten Jahre eine "Normalität" im Umgang einstellt. Auch Angelika hat wieder Kontakt zu Lilly. O-Ton 71: Angelika Wir hatten jetzt einmal ein Video-Telefonat, wo ich sie auch mal gesehen habe, und das hat mir sehr gutgetan. Es hat mir nicht mehr so furchtbar weh getan. Ich war hinterher nicht mehr völlig am Boden zerstört, sondern es war schön. Es war nett, mit dieser jungen Frau zu sprechen. Und sie wird auch immer mein Kind bleiben. Aber in dem Gespräch mit Lilly war es auch so, dass Situationen waren, wo ich selber gemerkt habe: Huch, jetzt hast du was getan, was du früher auch getan hast, das war falsch. Und dann habe ich es eben auch gesagt ... : "Das war jetzt ein blöder Satz von mir, tut mir leid." Sie hat dann auch später gesagt, hat ihr gutgetan, war heilsam das Gespräch, das fand ich sehr schön. Uns ich habe schon zu Anfang zum Beispiel gefragt: "Was brauchst du von mir?" Vielleicht ist das so was wie eine paradoxe Intervention, das Kind zu fragen: "Was brauchst du von mir? Was kann ich für dich tun?" (7 Sek Anhang Atmo) O-Ton 72: Alex Wenn ich den Glauben hätte, dann könnte ich mir vielleicht auch vorstellen, dass man die Beziehung wieder irgendwie verbessern kann. Erzähler: Alex. O-Ton 72: Alex Aber so? Das geht ja über Jahrzehnte diese Grenzüberschreitungen und dieses meine Bedürfnisse nicht wahrnehmen und es geht nur um ihre Bedürfnisse. Und das hat sich nie geändert. Warum sollte sich das jetzt ändern? Also wenn man als Elternteil aus dem Liebesentzug nicht schließen kann, dass das dem Kind vielleicht nicht so gutgetan hat, dann ist für mich keine Gesprächsgrundlage da. (2 Sek Atmo Anhang) O-Ton 73: Elke Was dann notwendig ist, ist diese Anerkennung, dieses wirklich sagen: "Ja, stimmt, da habe ich dir Unrecht getan oder da konnte ich dir nicht das geben, was du gebraucht hättest." Erzähler. Elke. O-Ton 73: Elke Für mich war es auch ein Gang, wie zu Canossa, damals als die ersten Krisen mit meinem damaligen Mann war, da mir einzugestehen, ich brauche meine Eltern, die haben mich auch einige Jahre finanziell unterstützt in Amerika, als ich mich entschieden habe, ich bleib trotzdem bei meinem Mann. Also ja, es braucht Mut von beiden Seiten. Es braucht Geduld. Es braucht unglaublich viel Geduld, Milde und Gnade mit sich selbst. Es braucht eine Portion Selbstreflektion, eine Fähigkeit anzuerkennen: Oh, da habe ich Mist gebaut. (Anhang 3 Sek Atmo) O-Ton 74: Angelika Was ich auch durch den Kontaktabbruch gelernt habe, ist, mich nicht mehr an meine Kinder zu wenden, wenn ich Hilfe brauche. Erzähler. Angelika. O-Ton 74: Angelika Ich habe immer gedacht, meine Töchter sind meine Freundinnen. Das war wahrscheinlich auch ein Fehler. Das ist etwas, was die Kinder eben nicht leisten können und auch nicht leisten sollen, müssen oder müssen sollten. (Leichtes Lachen) Ja, sie als eigenständige Erwachsene zu sehen. Und eigentlich brauchen sie uns Eltern nicht mehr. Es ist eben leider andersherum, dass wir Eltern unsere Kinder brauchen. (7 Sek Anhang Atmo) Absage: Funkstille Wenn Kinder ihre Eltern verlassen Feature von Egon Koch Es sprachen: Barnaby Metschurat und Haino Rindler Ton: Hermann Leppich Regie: Philippe Brühl Redaktion: Johanna Tirnthal und Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk und Hessischer Rundfunk 2024 2