Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Angermünde und anderswo II - die Demokratie am Scheideweg Autoren: Anselm Weidner und Elias Steinhilper Regie: Eva Solloch Redaktion: Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk 2024 Erstsendung: Dienstag, 27.08.2024, 19.15 Uhr Es sprach: Anselm Weidner Ton und Technik: Lukas Fehling und Hendrik Manook Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton: Freunde, wenn wir hier nicht gegensteuern, dann wird im nächsten Jahr der Kriegstreiber Merz ins Kanzleramt einziehen mit seinen Erfüllungsgehilfen Robert Habeck, Ricarda Lang, Anton Hofreiter und dann reiten die uns direkt in den 3. Weltkrieg. Diese Politikdarsteller, die werden dieses Land immer weiter in den Abgrund reiten, weil sie mit uns, mit dem normalen Volk, nichts mehr zu tun haben, weil sie auch den Bezug zum deutschen Volk vollkommen verloren haben. Die wollen das deutsche Volk auflösen, die wollen aufgehen in einem EU-Superstaat, die haben mit Nationalstaat und Patriotismus nichts mehr zu tun. - Denkt immer daran, in jedem von Euch steckt ein Deutscher, ihr müsst ihn nur rauslassen. Sprecher: Das ist Hannes Gnauck. Er sitzt für die AfD für den Uckermarkkreis im Bundestag. O-Ton: ‚Nie wieder ist jetzt'. Jetzt gilt es nicht mehr nur zu mahnen, sondern sich dagegen zu stemmen und deutlich zu zeigen, aber es nicht nur zu zeigen, sondern es zu leben, jeden Tag: nein zu Hass, Hetze und Gewalt, nein, nein! Wir stehen hier an einem Anfang. Und deswegen sage ich Ihnen ‚Nie wieder ist jetzt und jeden Tag in der Zukunft'. Das macht kein anderer für uns. Das machen wir für uns und unsere Kinder. Wir müssen den Zug der Demokratie und Menschlichkeit aufs Gleis setzen und füllen, indem wir es schaffen, in jedem Herzen in jedem Einzelnen einen Haltepunkt durch Offenheit, Respekt und Toleranz einzurichten. Lassen Sie uns diesen Zug aufs Gleis setzen (Klatschen). Sprecher: Und das ist Frederik Bewer, Bürgermeister von Angermünde. Atmo Angermünde Sprecher: Und das ist Angermünde: Ein 14.000-Einwohner Landstädtchen in Brandenburg mit schmuck sanierter Altstadt und 23 Ortsteilen, umgeben von Seen, Mooren und Wäldern unweit der polnischen Grenze nordöstlich von Berlin. Musik Ansage: Angermünde und anderswo II - die Demokratie am Scheideweg. Ein Feature von Anselm Weidner und Elias Steinhilper Atmo Sprecher: Stimmen, aufgenommen vor Angermünder Supermärkten. O-Ton: Die AfD, is doch schön, damit se größer wird. Is nun mal so. Kommt son bisschen Gegenwind, die meisten wählen ja bloß die AfD, damit en bisschen Gegenstimmen kommen, damit hier wat anders wird in Deutschland, wat aber sowieso nicht passieren wird, weil die AfD immer verdrängt wird. / Ich hab en bisschen die Angst, dass die rechten Parteien hier zu stark werden, wenn man durch die Innenstadt läuft, sieht man v.a. den 3. Weg, man sieht die AfD, das ist am präsentesten, momentan, aber wir hoffen natürlich, dass Demokraten gewinnen. Sprecher: Das Tor zur Uckermark', ‚Stadtkultur in der Natur', so wirbt die Stadt für sich. Mit Erfolg. Es gibt viel Zuzug, zumeist aus Berlin. Die Züge in die Hauptstadt fahren demnächst im Halbstundentakt. Seit 2014 schrumpft Angermünde nicht mehr. Eigentlich eine positive Entwicklung, aber es gibt lange Schatten der Vergangenheit. O-Ton: Wenn de die ganzen Kanaken hier siehst, besonders in Angermünde; ik mene, wenn de dich als Rechter bezeichnest, Du siehst die ganzen Kanaken aufe Straße, die arbeiten überall und bei uns sind alle arbeitslos, vorm Arbeitsamt die Schlangen. Nirgendwo kommste mehr dranne, und die ganzen Kanaken, die arbeiten hier überall. Und den Zecken schieben sie's hier in den Arsch. Ist doch Scheiße, oder ne? Sprecher: Aufnahmen aus dem Jahr 1999; damals entstand meine Radiodokumentation ‚Angermünde und anderswo - vom alltäglichen Rassismus in Deutschland'. Es waren die sogenannten Baseballschlägerjahre, damals häuften sich in Angermünde Überfälle Rechtsradikaler auf einen linken Jugendclub, auf Migranten und irgendwie ‚anders' Aussehende. 25 Jahre später sind mein Kollege Elias Steinhilper und ich wieder in Angermünde unterwegs. Was hat sich seitdem verändert? Der Apotheker Robert Dalchow, damals selbst oft im Jugendclub ‚Infocafé Rote Oase', erinnert sich: O-Ton: Dass wir oft nur Schleichwege gelaufen sind, weil wir Angst hatten, verfolgt zu werden, dass ich zuhause aufgelauert worden bin von 4 jungen Männern, die der Meinung waren, jetzt machen wir Dich mal fertig, weil Du en Linker bist. Einen habe ich letztens wieder gesehen beim 3. Weg, der hat einen Stand gemacht vorm Netto-Markt. - Das war ein so eine Arte Kriegszustand im Grunde genommen. Viele Leute haben in meinen Augen auch immer noch posttraumatische Belastungsstörungen. Das ist ja bald 30 Jahre, die reden immer noch dauernd drüber, wenn man sie trifft, das arbeitet weiter in ihnen. Insofern bin ich mir bewusst, dass es nicht das Gleiche ist heute. Ich weiß aber auch, dass die Leute immer noch da sind, und die haben auch immer noch die gleichen Gedanken. Sprecher: Dalchow ist heute Mitglied der Partei "Die Linke". In einem Schaufenster seiner Apotheke hängt noch heute das gelbe Schild ‚Noteingang', eine Initiative der frühen 90er Jahre. Solche Schilder im Schaufenster zeigten bei akuter Gefahr durch rechtsextreme Angriffe Zufluchtsorte an. Holger Zschoge, damals Gymnasiallehrer und engagiert in der Jugendarbeit, ist aus der Stadt regelrecht geflohen. Er hat ein Archiv zu den Baseballschlägerjahren in der Uckermark angelegt, das helfen soll, rechtsextreme Straftaten aufzuklären. Zschoge weiß, was aus den Schlägern von damals geworden ist. Er kennt sie alle. O-Ton: Daniel Mörke kandidiert jetzt für den 3.Weg. Das war einer der Straftäter, die im Knast gelandet sind für die Gewalttaten Ende der 90er Jahre, Jan Otto Reble, der im Märkischen Heimatschutz aktiv war, heute im Vorstand der AfD in Marzahn- Hellersdorf, was zumindest en Symbolbild dafür ist, dass es ne personelle Kontinuität gibt und dass die Werteorientierungen bei nem ganzem Teil der Menschen keine anderen geworden sind und die Idee, dass sie lieber en Deutschland ohne Menschen, die anders sind, haben wollen und ohne Demokratie, die is natürlich geblieben und die wird sich auch bei diesen Kommunal- und Landtagswahlen widerspiegeln, natürlich. Musik, Atmo Sprecher: Stimmen, aufgenommen vor Angermünder Supermärkten. O-Ton: Alleene, wenn se alleene an die Macht kommen würden, ok, dann schießen se übers Ziel hinaus, aber wenn'se irgendwo mitreden und die andern en bisschen ausbremsen in ihren Wahnsinn mit alles grün und wees wat allet, dann hätten sie auch en Sinn, ne. / Ik mein, ik würd auch nich glauben, wenn se an die Macht kommen sollten, dass sie hier wieder KZs errichten, det denken ja Viele. Det wird so nicht sein. Mir persönlich sind ja die Grünen. Aso det is ja, die müssten eigentlich weg, die müssten raus, ausm Bundestag. Atmo Demo O-Ton: Wir wollen heute zeigen, dass wir wissen, solidarisch zu sein und für eine vielfältige und offene Gesellschaft zu kämpfen. Musik Sprecher: Ein Bündnis aus 47 Vereinen, Parteien, Verbänden, Initiativen, Firmen und Privatpersonen ruft im Februar 2024 zur Demonstration auf, unter dem Motto ‚Gemeinsam gegen Hass und Hetze - für Vielfalt, Toleranz und Miteinander'. Als Reaktion auf ein Geheimtreffen Rechtsradikaler in Potsdam, aufgedeckt durch das Journalisten-Kollektiv "Correctiv", gingen innerhalb von wenigen Wochen in ganz Deutschland 4 Millionen Menschen auf die Straße. Diese prodemokratische Protestwelle hat auch Angermünde erreicht. Zwischen 700 und 800 Demonstrant*innen kommen. 700 von 14.000 - auf die Einwohnerzahl von Berlin hochgerechnet wären das gut 200.000 Demonstrationsteilnehmer*innen. Eine Demonstration gegen Rechtsextremismus dieser Größenordnung war in den 90er Jahren in Angermünde undenkbar. Etwas hat sich seit damals verändert. O-Ton: Warum sind Sie heute hier? Weil ich finde, dass es wichtig ist ein Zeichen zu setzen und auf die Straße zu gehen und zu zeigen, wir sind nicht allein/, wir sind Masse, das tut auch gut unter Gleichgesinnten zu sein... wehret den Anfängen! Ich glaube es ist wichtig, sich jetzt zu positionieren und nicht wegzuschauen. / ‚Um uns zu stärken. Dass wir nicht das Gefühl haben, das sind viele und ich bin einzelnen, so wie wir das in den 90ern hatten. Sprecher: Der Angermünder Bürgermeister Frederik Bewer zitiert in seiner Ansprache auf dem Marktplatz aus der ‚Rede an die Menschheit' in Charly Chaplins Film ‚Der große Diktator': O-Ton: "Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte. Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert." Liebe Anwesende, Mut macht Mut. Also lassen Sie uns rausgehen und genau diesen Mut verbreiten, den Mut zur Menschlichkeit. Ziehen wir uns nicht zurück! Igeln wir uns nicht ein! Wenige säen Hass, Hetze, um Viele zu beeinflussen und für ihre Interessen zu missbrauchen. Nein, nein, nicht mit uns. (Klatschen) Musik, Atmo O-Ton: Det ist verloren hier in Deutschland. Det ist zu viel eingewandert worden und zugelassen worden, die Grenzöffnung. Mit ihrer Integration. Wer Hilfe braucht, der soll kommen, dem wird jeholfen, aber wie die meisten sich hier benehmen und wie se unseren Staat ausnutzen mit en Bürgergeld, was unsere Leute bekommen und inne Ukraine gemeldet sind oder in Ungarn, ik denke mal, det sollte nicht so sein. Musikakzent Sprecher: Im Juni 2024 sind Kommunalwahlen. Die Plakate der Neo-Nazi-Partei ‚Dritter Weg' hängen überall: ‚Politik für Deutsche' ‚Multikulti tötet', ‚Asylflut stoppen - Grenzen dicht' und ‚Kriminelle Ausländer raus'. Ihr Anführer ist Matthias Fischer, ein wegen Gewaltdelikten mehrfach vorbestrafter Neo-Nazi, der sich 2014 in Angermünde angesiedelt hat. Er kandidiert für den Kreistag in Prenzlau. Rund um den Kreisverkehr nah am Bahnhof postieren sich Matthias Fischers Mannen und Frauen in schwarzen T-Shirts mit ihrem Emblem - römische Drei eingefasst von Eichenlaub - und ihren Bannern und verteilen Flyer. Doch auch die anderen sind da. Wolfgang Rall, ein Religionslehrer aus Angermünde, gibt letzte Anweisungen. Rund 60 Protestierende sind zur Demonstration gegen den ‚3.Weg' gekommen. Atmo Demo O-Ton: So jetzt können wir aufbauen. Und falls wir nicht genug sind, können wir die Banner auch hier irgendwo anbinden. Musik Sprecher: Wo immer der 3.Weg und andere antidemokratische Kräfte auftauchen, stellen sie sich ihnen heute entgegen. Der ‚3.Weg' klebt Aufkleber in der Stadt, Wolfgang Rall entfernt sie mit seinen Mitstreitern, der 3.Weg veranstaltet Kleidersammlungen für Deutsche, sammelt Geld unter dem Motto ‚Tierfutter statt Böller', tritt mit einem Dutzend Mann in der Stadt auf; regelmäßig sorgt der Religionslehrer Rall für Gegenöffentlichkeit. Sein Kampf gegen Rechtsextremismus und für Demokratie seit den 90er Jahren hat eine prägende DDR-Vorgeschichte. Bibelrazzien im Internat. Bibeln wurden aus den Regalen der Schüler entfernt. Man will ihn nicht zum Abitur zulassen, weil er Theologie studieren will. Er schafft es zum Theologiestudium in Berlin und wird aktiv in der kirchlichen Friedens- und Umweltbewegung. O-Ton: Ich hab gelernt, man muss sich wehren. Also aufrechter Gang bedeutet, aktiv zu werden und für seine Rechte einzutreten. Also für mich war Theologie und christliches Engagement immer politisch, immer politisch, ich bin in dieser Tradition groß geworden. Wir haben damals angefangen Gruppen aufzubauen, wir haben erste vom Staat unabhängige Aktionen gemacht, Baumpflanzaktionen, das 1.Treffen von Umweltgruppen aus der ganzen DDR organisiert, also Basisarbeit. Es war relativ deutlich, dass die Wende neben allem Positiven, was sie gebracht hat, eben auch neue Handlungsmöglichkeiten für Neonazis bieten und insofern war der Kampf gegen Rechtsextremismus eigentlich von Anfang an präsent. Sprecher: Als Wolfgang Rall Ende der 90er Jahre als Lehrer nach Angermünde kommt, gerät er mitten hinein in die Baseballschlägerzeit und gründet schon damals mit anderen als Reaktion auf die allgegenwärtige rassistische Hetze das Bürgerbündnis ‚Für eine gewaltfreie, tolerante und weltoffene Stadt Angermünde'. O-Ton: Das Bündnis ist entstanden von vorneherein mit der Prämisse, wenn wir hier nicht zusammenarbeiten, die konservativen Kreise der CDU bis hin zu den linken Kreisen der Linken mit ins Boot zu holen, dann haben wir hier wenig Möglichkeiten was zu bewegen. Politische Binnendifferenzen können woanders ne Rolle spielen. Sprecher: Das Bündnis, anfangs eine kleine Gruppe der Mutigen, ist jetzt das Rückgrat einer breit vernetzen Angermünder Zivilgesellschaft im alltäglichen Kampf gegen rechts. O-Ton: Wir müssen lernen, dass die Demokratie nicht vom Himmel gefallen ist, sondern dass wir sie verteidigen müssen und Demokratie Arbeit macht. Die freiheitliche Gesellschaft ist ja nicht der Status quo, den wir haben, sondern ist ja ein zutiefst dynamischer Prozess. Die Freiheit ist ja nicht gewährt, sondern Demokratie muss jeden Tag gegen die Feinde von Freiheit und Demokratie verteidigt werden. Musik, Atmo O-Ton 17: Ik denke, die AfD wird det schon machen. Der Rest ist ja eh is ja en Einheitsquark; egal wer drankommt, da wird sich eh nichts ändern. Guck mal, man kann doch nicht die deutsche Wirtschaft komplett abschaffen, und die Strompreise so nach oben treiben, det Land fährt völlig in den Boden. Det geht alles kaputt, die machen Deutschland total im Arsch. Die ganze Großindustrie wandert ab aus Deutschland. Guck mal Mercedes macht zu, VW macht zu, die hören uff hier in Deutschland. Atmo Sprecher: An die 60, 70 größtenteils ältere Menschen sind Mitte Mai zum ‚Frühlingsfest', der Wahlkampfauftaktveranstaltung der AfD, auf den Marktplatz gekommen, hören bei Bier und Bratwurst AfD-Kandidaten für die Angermünder Stadtverordnetenversammlung und für den Prenzlauer Kreistag zu. O-Ton: Es gibt eben auch noch junge Leute, die nicht nur kiffen und auf der faulen Haut liegen wollen, sondern die ne ganz normale Berufsausbildung machen möchten und die einfach auch denken, dass die ganz normale Familie aus Mutter, Vater und zwei Kindern besteht. Mit unseren Jugendlichen meine ich die deutsche Jugend und nicht diese Glücksritter, die aus allen Herren Ländern hier einwandern und unser Sozialsystem ausrauben, liebe Freunde. Gemeinsam können wir dieses Land wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Holen wir uns unsere Uckermark wieder zurück! Atmo O-Ton: Ihr könnt selbstverständlich Eure Kreuzchen setzen, das einzige Wichtige ist, dass Ihr sie setzt bei der A-F-D, der einzigen Alternative, die dieses Land noch herumzureißen vermag. / Ihr habt alles zu verlieren und mit uns, das ist die gute Nachricht, könnt ihr alles gewinnen. Die AfD -Uckermark ist eine unglaublich starke Gemeinschaft. Musik, Atmo Demo Sprecher: Im April ruft ein noch breiteres Bündnis von 73 lokalen Unternehmen, Schulen, Kirchengemeinden, Sportclubs, Arztpraxen und politischen Parteien zur 2. Demonstration gegen rechts auf. Regenbogenfarbene Plakate, die zur Kundgebung auf dem Marktplatz einladen, werden mit rechtsextremen Schmierereien beschädigt. Wieder kommen Hunderte, darunter einige erst in den letzten Jahren aus Berlin zugezogen. Atmo Demo O-Ton: Jetzt bin ich vor 4 Jahren auf's Land gezogen und unterhalte mich mit Nachbarn übern Gartenzaun und stelle fest, ah, da sind sie, von denen man geredet hat, die politisch so ganz anders denken (...). In meinem Dorf bewirbt sich jetzt hier für Angermünde der nächste Kandidat für das Bürgermeisteramt.- Da wird mir ganz angst und bange. Atmo Demo O-Ton: Also die Angst vor dem Fremden hier. Und das reicht, wenn Du anders guckst, wenn Du was Anderes anhast. Du musst nicht aus nem anderen Land kommen, um als fremd zu gelten, um auch Ressentiments zu erleben von denjenigen, die hier geboren sind. Also ich erleb hier in der Uckermark viel Angst, das ist mir woanders noch nicht so stark begegnet. Musik Sprecher: "Die sind doch alle von der Regierung bezahlt, um gegen uns zu hetzen. Wenn da 20 Angermünder dabei sind, dann ist das viel", sagt mir die Leiterin des AfD-Büros in der Rosenstraße, will aber nicht ins Mikrofon sprechen. Eine empirische Studie zu der 2. Angermünder Demonstration sagt etwas ganz Anderes. O-Ton: Die Befragung ergibt eindeutig, dass das Gros der Protestierenden entweder aus der Stadt Angermünde selbst oder dem Nahumfeld von Angermünde kommt. Also das ist eine Mär, dass da überwiegend Zugereiste wären. Sprecher: Der Soziologe und Protestforscher Dieter Rucht hatte im April eine erste umfassende Studie über die Protestwelle ‚für Demokratie gegen Rechtsextremismus vorgelegt und hat auch die Demonstration in Angermünde empirisch untersucht. O-Ton: Sehr bemerkenswert war der Umstand, dass das Bildungsniveau weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt war, dass die Selbstplatzierung auf der links-rechts-Achse gezeigt hat, dass nahezu alle Demonstrierenden sich entweder in der Mitte oder vor allen Dingen links der Mitte platziert haben. Sprecher: In Angermünde, wie auch Studien in anderen Orten belegen, spiegelte die prodemokratische Protestwelle nicht den Querschnitt, sondern den eher linksliberalen Teil der Bevölkerung; der wurde durch Zuzug in den letzten Jahren in Angermünde gestärkt. Für die Einen Fremdkörper, für die Anderen Hoffnungsträger für eine plurale Demokratie auch auf dem Land. Musikakzent Atmo: Landser, Refrain: Adolf Hitler unser Führer, Adolf Hitler unser Held... Sprecher: So tönt es über den Bahnhofsvorplatz. Landsermusik. Sie kommt von einer Gruppe von Jugendlichen. O-Ton: Erzählt mir mal von der Musik, das interessiert mich wirklich. - Ik war vor kurzem noch en Nazi. - Vor kurzem warste noch en Nazi, und jetzt nicht mehr: - wieso nicht mehr? - Ich bereit mir dadurch nur Probleme. - Wodurch, wer macht da Probleme? - Die ganzen Kanaken hier! - Wieso machen die Probleme? - Ja, wenn ich da mit Bomberjacke und Springerstiefel rumloofe, is en bischen kritisch. - Aber wieso biste denn Nazi geworden? Du bist doch erst 14 oder 16. - 14. Mein Vadder war och. Der hatte deutsche Reichsflagge so als Blumentopf, so schwarz, weiß, rot. Hab ich von ihm jeerbt. - Und wenn's hier Ärger gibt mit den Kanaken, was passiert dann? - Alle kaputtschlagen und fertig. Da wird keen Wort geredet, einfach ruffgegangen und fertig. Sprecher: Rechtsextrem in zweiter Generation. O-Ton: Was würdest Du wählen, wenn Du wählen könntest? - AfD, AfD, AfD. O-Ton: (im Hintergrund) Denk mal drüber nach, was ich Dir eben erzählt habe. Is das nich ne Schande, dass wir als Deutsche so schlecht behandelt werden? Sprecher: Bei den letzten Kommunalwahlen 2019 kam die AfD im Landkreis Uckermark auf 15,4%, trat aber in Angermünde, anders als in allen anderen uckermärkischen Städten, nicht mit eigenen Kandidaten an. Diesmal schickt sie gleich 9 ins Rennen. Am Wahlstand der AfD vor ihrem Angermünder Bürgerbüro steht deren Bewerber für das Bürgermeisteramt, der Industrieschweißer Enno Bank. O-Ton: Spielt das Thema Migranten in Angermünde eigentlich ne Rolle? - Eigentlich ne untergeordnete. Denn wir werden's hier nicht so schlimm erleben wie in anderen Großstädten, wie in Berlin oder Rostock. - Was ist eigentlich schlimm da? - Die eigenen Leute fühlen sich nicht mehr wohl in ihrer eigenen Stadt. Überall sieht man Migranten. Wir haben hier noch ein unwürdiges Konstrukt, sag ich jetzt mal. Da steht eine Bank vorm Rathaus, die dritte Sitzfläche fehlt und auf der Lehne steht ‚kein Platz für Rassismus'. Damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Überhaupt nicht. Ja, da bin ich fest von überzeugt, dass es hier in dieser Stadt keine Rassisten gibt. Ich weiß nicht. Ich hab noch keinen getroffen. Tut mir leid. Musik, Atmo Sprecher: Zur Vorstellung der Kandidaten für das Bürgermeisteramt im Angermünder Jugendzentrum ist der AfD-Bewerber nicht erschienen. Neben ihm und dem amtierenden Frederik Bewer kandidieren noch drei Andere. Die einzige Frau unter ihnen ist die parteilose Ute Erhardt. O-Ton: Ich möchte mit Ihnen ein neues Miteinander platzieren, das geprägt ist durch Transparenz, Kommunikation und Beteiligung. Ausgelöst ist dieses Schlüsselelement dadurch, dass ich auf der einen Seite mit der Verwaltung nicht einverstanden bin und auf der anderen Seite mit der Kandidatur der AfD. Sprecher: Während der gesamten Veranstaltung wird die AfD nur dieses einzige Mal erwähnt. Niemand spricht über Bedrohungen von rechts. Und auffällig ist auch an diesem Nachmittag: die bürgerlich-konservativen Parteien kommen im Kampf gegen rechts in Angermünde überhaupt nicht vor, weder bei den Demos zeigen sie Flagge, noch im Wahlkampf. O-Ton: Die AfD wird nicht gewinnen, --janz wegdenken können wir uns das nicht, merkt man ja den Unmut unter der Bevölkerung; ich hoff's natürlich nicht, dass die an erster Stelle stehen. Sprecher: Im Büro der AfD im Zentrum der Altstadt treffe ich Felix Teichner, Jahrgang 91, studierter Industriemechaniker und direkt gewählter Landtagsabgeordneter für die Uckermark. Ich frage ihn nach dem Anlass seines Parteieintritts. O-Ton: Das war tatsächlich die Kölner Silvesternacht. Das hat mir erstmals eigentlich so richtig die Augen geöffnet, dass hier in dem Land mächtig was falsch läuft und hab mir gedacht, ich schau jetzt nicht mehr zu, wie sich dieses Land in eine völlig falsche Richtung entwickelt, sondern ich nehm' es jetzt selbst in die Hand. Sprecher: Das war 2015. Da war er 24. 2018 ist er vom Studium in Hannover, wie er es seinem guten Freund Hannes Gnauck versprochen hatte, in die Heimat zurückgekehrt. Als Mitglied der ‚Jungen Alternative' sind beide Teil einer als vom Verfassungsschutz als ‚gesichert rechtsextrem' eingestuften Organisation. Innerhalb von drei Jahren macht Teichner eine steile Parteikarriere vom Ortsvorstand über den Kreisleiter bis zum Landtagsabgeordneten. Inzwischen gilt Felix Teichner, neben Hannes Gnauck, als das Gesicht der Rechtsaußenpartei in der Uckermark. Auf das Thema Migration angesprochen: O-Ton: Wir sind ja von dieser Migration, die wir gerade erleben, die letzten Jahrzehnte in diesem Bereich der Bundesrepublik mehr oder weniger verschont geblieben; jetzt erleben wir das hier auch, weil hier noch der verfügbare Wohnraum dafür da ist oder jetzt mit Maßnahmen des Staates Wohnraum dafür geschaffen wird. Und die Menschen, die hier leben, die wollen das nicht. Und ich denke, das muss man tatsächlich auch ernstnehmen. Sprecher: So klingt das im Interview. Und auf einer Wahlkampfveranstaltung so: O-Ton: Die Integrationsbeauftragte des Landkreises, is übrigens ne Vollbeamtenstelle, die zusätzlich geschaffen wurde. Und wir sagen, diese Stelle können wir mal ganz getrost wieder streichen. Wir brauchen das nicht. Wir sehen Integration ist gescheitert. Für uns gibt es nur eine Lösung, und zwar abschieben, abschieben und nochmal abschieben. (Klatschen) Sprecher: Teichner "wisse um den politischen Wert der Kommunikation", hieß es kürzlich in einer großen Tageszeitung. Im Gespräch klingt er zahm, in der öffentlichen Rede spricht er AfD-Klartext. Deutschland den Deutschen. Wieder einen Identitätsanker haben, wenigstens wieder deutsch sein dürfen, nach all den Brüchen und Zumutungen seit dem Mauerfall und davor. Und in einem völkischen Deutschland sollen auch nur deutsche Flaggen vor deutschen Rathäusern wehen - ein Lieblingsthema der AfD im Angermünder Kommunalkampf. O-Ton: Wir wollen alle ideologischen Projekte von unseren Gemeinden fernhalten; in Angermünde, da hängt der Rathausvorplatz voll mit Regenbogenfahnen aber ne Deutschlandfahne ist da nie zu sehen und auch in der Verwaltung wird gegendert. Sprecher: Tatsächlich hängen vor dem Rathaus die meiste Zeit die Deutschland-, die Brandenburg-, die Stadtwappen- und die Europafahne nebeneinander. Im Kulturkampf von rechts muss man es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen, lügt, spitzt zu, sät Misstrauen. O-Ton: Morgen ist Wahl und ihr wisst, überall wird geschummelt und betrogen; ich will nicht sagen überall, ich glaube in Prenzlau weniger als vielleicht im versnobten und versifften Berlin... z.B. eine, die früher mal in der Grünen Berliner Senatsverwaltung gearbeitet hat, die auch diesen Mob gegen die AfD organisiert hat, die zählt morgen in der Arthur Becker Schule aus, vielleicht als kleiner Tipp. Sprecher: So kann man gleich mal das Herzstück der Demokratie, die freie und gleiche Wahl, in Misskredit bringen Musik, Atmo O-Ton: Ach, ach, det ist doch keene Demokratie, man darf doch nicht sagen, wat man will. Sagt man mal, is man, is man gegen die Asylanten, Ausländer alles, man stuft enen doch gleich rein in rechts. Wie gesagt, wir haben wieder nischt mit rechts zu tun, aber ik find det och nich in Ordnung. Wir gehen hier och fürn Hungerlohn arbeiten und wir kriegen nichts und die kommen hier und kriegen, weeß nich, alles gestellt und Wohnung, ne. Wenn ik denn noch höre, die können mit 57 in Rente gehen hier in Deutschland, wenn det stimmt, haben nie in ne Rente eingezahlt. Ne./ Ich hab schon das Gefühl, dass auch ne ganze Menge Kraft ist; hier gibt es ja auch die Demonstrationen und so und ich find es sehr sinnvoll, den öffentlichen und den politischen Raum da nicht den Rechten zu überlassen. Ich hab schon den Eindruck, es wird knapp, aber es bewegt sich auch in positiver Hinsicht was. Atmo Zuckerfest O-Ton: Hallo - Hallo, oh, was für ne Ehre, hallo - schön, schön, dass Sie da sind... Sprecher: Wolfgang Rall hat zur Feier des Zuckerfests am Ende des Fastenmonats Ramadan Kuchen ins Aha-Haus mitgebracht, ein Begegnungsort am Rand der Altstadt. An die 50 Geflüchtete, v.a. aus Afghanistan und Syrien, sind in die buntgeschmückten Räume gekommen. Man tanzt, isst, schwatzt, kommt ins Gespräch. Mariam, eine junge Frau aus Afghanistan, angehende Krankenschwester, erzählt, warum sie für ihre Ausbildung die Uckermark verlässt. O-Ton: Ich hab sehr Vieles erlebt, sogar in der Schule und ich hab jeden Tag geweint, weil die Kinder gegenüber uns so rassistisch waren. ‚Hat Dir die Schuhe Angela Merkel gekauft?' Ich wollte sogar nicht mehr zur Schule gehen. Ich hab zu meinem Vater gesagt, können wir bitte zurückgehen. Ich würde lieber leiden, alles erleben, aber nicht in diesem Land bleiben. Manchmal seh ich auch so schlechte Behandlungen von ältere Leuten, wie sie gucken. Ja geh zurück in dein Scheiß Land, hab ich schon mal gehört. Sprecher: Bei allem alltäglichen Rassismus, mit den Lehrern, sagt Mariam, hatte sie großes Glück. Sie hätten sie immer gefördert. Inzwischen haben sie und ihre Eltern auch viele deutsche Freundinnen und Freunde. Die Situation habe sich deutlich verbessert. O-Ton: Ich hab sogar meine Ausbildung. Meine Eltern haben gesagt, mach die in Uckermark, Eberswalde, Schwedt oder Angermünde. Durch dieses Rassistische, alles was ich erlebt habe, konnte ich das nicht in Uckermark machen. Weil ich wollte nicht mehr dieses Leid mir tun, egal, wie sich alles verbessert hat, trotzdem erlebt man irgendwo solche rassistische Behandlung: Mit Kopftuch ist noch schlimmer für die. Deshalb mach ich meine Ausbildung jetzt auch in Berlin. Musik Sprecher: Dem allgegenwärtigen Rassismus Räume für Begegnung entgegenzusetzen, das treibt Wolfgang Rall um, unermüdlich. Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar vor dem Rathaus, am 8.5., dem Tag der Befreiung, im Friedenspark, Filmvorführungen von Antikriegs- und antifaschistischen Filmen, all das ist in den 25 Jahren, seit er in der Stadt wirkt, zur Tradition geworden. Erinnerungskultur ist wesentlicher Teil der Demokratiekultur, davon ist er überzeugt. Solcher Einsatz hat seinen Preis. Er erhält Drohbriefe ‚wir wissen wo Du wohnst', und im Netz gehen die Attacken weiter. O-Ton: Wenn man sich so engagieren möchte, muss man damit leben. Ich glaube, was wir gerade lernen ist, dass demokratisches Engagement auch immer was mit Mut zu tun hat./ Ich glaube, dass basisdemokratische politische Arbeit davon lebt, dass man bereit ist, Kontinuität an den Tag zu legen, und Ausdauer und Geduld. Steter Tropfen höhlt den Stein. Atmo Güstow Sprecher: Felix Teichner lädt nach Güstow bei Prenzlau ein. Gerade wurde er zum Ortsvorsteher seines 134-Seelen Heimatdorfs wiedergewählt. Mit Stolz zeigt er auf sein erst kürzlich erworbenes stattliches Anwesen, das alte Schulhaus. O-Ton: Ich wohn da unten in dem Bereich, der andere untere Bereich ist Büro und der hintere Bereich das Dachgeschoss ist noch weitgehend unausgebaut. - Und oben hängt die AfD-Fahne. - Ja selbstverständlich. Sprecher: Hier ging schon sein Urgroßvater zur Schule. Daran erinnere drinnen eine Tafel aus dem Jahr 1935. Und draußen an der Hauswand hängt ein Plakat ‚Stirbt der Bauer, stirbt das Land'. O-Ton: Auf dem Dorf, da kennt man sich. Da sprechen die Senioren auf dem Bürgersteig noch Plattdeutsch, man hilft sich untereinander, also nicht nur Nachbarschaftshilfe, sondern gemeinsame Arbeitseinsätze im Dorf, der funktionierende Fußballverein, der funktionierende Feuerwehrverein und natürlich gibt es da auch unterschiedliche Meinungen, aber man hat sich gegenseitig akzeptiert. Atmo Sprecher: Teichner beschwört immer wieder die heile homogene Dorfgemeinschaft. Das Zugpferd der AfD in der Uckermark tourt in einem weißen Mercedes durch die Brandenburger Lande. Auf den Seitentüren der Schriftzug: ‚Stark für die Heimat - Felix Teichner', samt Deutschlandflaggen und seinem Konterfei. Seine Partei plakatiert im Wahlkampf ‚Unsere Dörfer sind bunt genug'. Atmo Prenzlau O-Ton: Ihr könnt Euch sicher sein, ihr seid nicht alleine. Sprecher: Landtagsabgeordneter Teichner auf einer Wahlkampfveranstaltung. O-Ton: Wir sind nämlich nicht nur ne Partei, wie sind auch ne Gemeinschaft; wir stehen zusammen ein, wenn mal jemand Hilfe braucht, und da muss ein Transporter kommen für den Umzug, dann sind auch mal 5,6 Leute da, die packen mit an. Und so sind auch mal kleine Probleme des Alltags oder auch große Probleme des Alltags auch ganz leicht mal erledigt. Sprecher: Das ‚ganz normale Volk' könne durch die Politik der AfD wieder zu Volksgemeinschaft werden: Nur die Fremden müssen dafür weg, ‚Inklusion durch Exklusion', das ist das Erfolgsrezept der Rechtsaußenpartei. Atmo Sprecher: Juni 2024, Wahlabend. An die 80 AfD- Parteifreund*innen sind in den mit blauen Luftballons geschmückten Festsaal einer ehemaligen Dorfgaststätte im Dorf Gramzow gekommen. Immer wieder brandet frenetischer Beifall auf, wenn in den auf eine Leinwand projizierten Wahlanalysen der blaue Balken wieder alle anderen Parteifarben überragt. O-Ton: (Klatschen) Ich sehe schon strahlende Gesichter. Die AfD liegt bei 16,5% und das macht ein Zuwachs um 5,5%, also man kann sagen, die AfD ist der Wahlsieger dieser Europawahl. (Klatschen) Ja wir wissen, aus Brüssel kommt nichts Gutes. Alles was dort passiert, entscheidet auch hier für uns. Sprecher: Felix Teichner kommentiert die einlaufenden Wahlergebnisse. O-Ton: Aber noch viel entscheidender sind die Kommunalwahlen am heutigen Abend und sie werden zuletzt ausgezählt. Und nach einem Viertel der ausgezählten Wahlergebnisse, liegt die AfD in der Uckermark bei etwa 40%. O-Ton: Lecker CocaCola. - Das Buffet ist eröffnet, die Getränke sind frei. Haut ordentlich rein. Lasst uns heute Abend unseren ersten großen Wahlsieg feiern. Sprecher: Im amtlichen Endergebnis kommt die AfD dann aber doch nur auf 31% und Angermünde ist mit 25,5 % sogar deutlich darunter geblieben. Doch in der Angermünder Stadtverordnetenversammlung ist die AfD die mit Abstand stärkste Fraktion geworden. Allerdings verpasst der AfD-Kandidat für die Bürgermeisterwahl in Angermünde als Drittplatzierter deutlich den Einzug in die Stichwahl. Die verliert Frederik Bewer knapp gegen die parteilose Ute Erhardt. - Der III. Weg bleibt trotz seiner ständigen Präsenz in der Stadt mit unter einem Prozent bedeutungslos. Sprecher: Für Felix Teichner ist der Erfolg bei den Wahlen nur ein Etappenziel. O-Ton: Wir haben jetzt schon auch mit Vertretern anderer Parteien gesprochen. Das hat alles gut funktioniert. Bis auf Vertreter Linker oder Grüner Fraktionen konnten wir über alle Parteigrenzen hinweg mit allen sprechen. Inwiefern sich diese Brandmauer dann doch während der konstituierenden auftut, werden wir dann sehen. Je nach Sachlage je nach Interessanlage können da auch wechselnde Mehrheiten sich finden. Sprecher: Die AfD soll als politische Partei wie jede andere wahrgenommen werden. O-Ton: Es gibt Menschen, die sich gerne als die wahren Demokraten bezeichnen, die, die sich aber als die wahren Demokraten bezeichnen, das sind zumeist jene, die andere Menschen ausgrenzen, und da spreche ich mal ganz konkret von uns, wir von der AfD. Wir werden überall ausgegrenzt, wo es nur geht. Und das ist meiner Meinung nach nicht der richtige Weg, mit einer Opposition umzugehen, sondern der Dialog wäre der richtige. Sprecher: Die AfD bedient diskriminierender Feindbilder, sie sät Misstrauen gegenüber den demokratischen Institutionen. Sie stellt damit den Kern der liberalen Demokratie in Frage. Gleichzeitig gibt sich sie sich demokratisch, gar als Hüterin der Demokratie. Teichner beherrscht diese Strategie wie kein zweiter. Die ersten Reaktionen beim Bürgerbündnis. Wolfgang Rall: O-Ton: Also, es ist eingetreten, was ich befürchtet hatte und hier in Angermünde, als ich dann gesehen habe, wir haben bei der Stadtverordnetenversammlung, ich glaube, 25,6 % oder so was, währenddessen andere Orte zum Teil 30, 40, 50 %, teilweise 60% hatten, dass ich dachte, na dann war unsere Arbeit doch nicht ganz umsonst. Sprecher: Und der Apotheker Robert Dalchow von den ‚Linken': O-Ton: Im Vorfeld hatte ich schon die Hoffnung, dass wir so ein kleines gallisches Dorf sind und ein bisschen abweichen vom generellen Trend. (...) Ich war dann ... sehr erschrocken, das musste man ... erst mal veratmen, verdauen. - Dieser starke Zusammenhalt, ... die Veranstaltungen die eine ganz tolle Stimmung ausgestrahlt haben, so dass man wirklich auch hoffen konnte, dass es sich auch durchsetzt. Es ist nun aber wohl doch so, dass es eine schweigende Minderheit gibt, keiner kennt einen, der die gewählt hat und doch ist es ein Viertel unserer Gesellschaft hier in Angermünde. Musik, Atmo Ratssaal Sprecher: Nach der Wahl haben das Bürgerbündnis und die Stadtverwaltung in den Ratssaal zur Nachlese eingeladen. Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Dass die AfD jetzt auch in Angermünde in der Stadtverordnetenversammlung sitzt, weckt neue Sorgen. O-Ton: Wir beobachten die Konzepte der AfD. 1%, das ist ne Organisation, die alle neuen Rechten verknüpft und Kampagnen organisiert. Die haben jetzt ne Kampagne ausgerufen ‚greift die gemeinnützigen linken Vereine an', stellt einfach den Antrag auf Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Das heißt, die werden's versuchen und das wird auch in der Stadtverordnetenversammlung passieren. Besorgt Euch die Tagesordnung. Sprecher: Robert Dalchow hat es gerade noch von der konstituierenden Kreistagssitzung in Prenzlau in den Angermünder Ratssaal geschafft. O-Ton: Also es war ne gruselige Veranstaltung. Die AfD hat 16 Abgeordnete, glaube ich, drin. Wir haben eine 2.Stellvertretende gestellt zur Wahl und dagegen stand ein AfD-Kandidat. Er hat 33 Stimmen bekommen. Bevor also eine linke Kandidatin gewählt wird, haben mindestens zwei weitere Fraktionen gesagt, dann nehmen wir lieber den AfD-Mann und da war ich so erschrocken drüber. Ein SPD-Abgeordneter neben mir hat gemurmelt ‚is ja wie 33 hier.' Die saßen da alle rechts von uns, schön dunkel angezogen, ordentlich. Also, ja wir sind irgendwo angekommen, wo ich uns also nie hätte sehen wollen. Sprecher: Wie ‚33'? Die Geschichte lehrt, Demokratien werden nicht plötzlich von außen zerschlagen, sondern erodieren aus der Mitte heraus, langsam. Vor 25 Jahren, als ich das erste Mal für Recherchen in Angermünde unterwegs war, war die Stadt gezeichnet von den Brüchen der Wendezeit. Es dominierte die offene Gewalt von Neonazis, angefeuert durch die NPD. Dagegen stellte sich eine kleine Antifa, der Großteil der Stadtbevölkerung schaute weg. Atmo Frösche, Helikopter, Kirchengeläut Sprecher: Nur unheimlich war's, im Angermünder Sumpfland zu sein. Unheimlich ist es wieder. Die Baseballschläger von damals sind verschwunden. Aber die Verrohung der Sprache und Gedanken, der Argwohn gegenüber allem Fremden, das Misstrauen gegen die Demokratie sind noch da, heute angefeuert durch die AfD. Und trotzdem zeigt die Stadt heute auch ein anderes Gesicht. Sie ist rausgeputzt, wächst, ist offener geworden. Der Widerstand gegen rechts breiter, bunter, auch durch Zuzug. Atmo Frösche, Demos Eine Stadt, zwei Welten. In Angermünde und anderswo. Noch sind die Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR empfänglicher für rechten Populismus. Noch, warnt der Sozialwissenschaftler Daniel Mullis. O-Ton: Ich glaube schon (...) dass (...) gewisse Dynamiken in Ostdeutschland die Vorboten sind dessen, was man auch in Westdeutschland zu erwarten hat. Natürlich ist Ostdeutschland auch politisches Laboratorium, wo die AfD Raumnahmen einüben kann, sie kann Strategien einüben. Sie kann einen gewissen Rückhalt gewinnen, von dem aus sie auch viel stabiler in Richtung Westdeutschland vorstrebt. Dass man sich in Westdeutschland immun dagegen sieht. Das ist einfach falsch. Atmo O-Ton: Ja eines Tages, und ich werd's noch erleben und ihr werdet's auch noch erleben, eines Tages wird die Kanzlerin Alice Weidel heißen und eines Tages wird auch der Verteidigungsminister von der AfD kommen. Aber es wird noch ein bisschen dauern. Atmo O-Ton: Wichtig ist mit den Sachen, die sich bei uns schon bewährt haben auch weiterzumachen, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, jetzt nicht die kollektive Depression zu erleben, sondern wirklich zu sagen, jetzt erst recht und lasst uns mehr werden. Auch wenn sie 25% bekommen haben, dann haben die demokratischen Kräfte noch wesentlich mehr Prozent bekommen. O-Ton: Bis dahin schmeißen wir die ersten Bürgermeister und die ersten Stadtverordneten, die ihr Land verraten haben aus den Posten und ziehen mit neuen frischen Abgeordneten von der AfD ein und bis dahin werden wir auch im September, am 22.9. stärkste Kraft und dann kommt endlich der erste Ministerpräsident in Sachsen, Thüringen und/oder Brandenburg von der AfD. - Das wird das Jahr der AfD. O-Ton: Wir haben eigentlich viel bessere Vorschläge (...) Anstatt nur gegen die AfD zu sein, gleichzeitig zu sagen, hey, was wollen wir denn stattdessen. Nicht weil die da sind, sondern selbst wenn die AfD nicht existieren würde, wie würden wir gerne zusammenleben, (...) wie wollen wir aufeinander aufpassen. Atmo Absage: ‚Angermünde und anderswo II - die Demokratie am Scheideweg'. Ein Feature von Anselm Weidner und Elias Steinhilper. Es sprach: Anselm Weidner. Ton und Technik: Hendrik Manook und Lukas Fehling Regie: Eva Solloch Redaktion: Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk 2024 9