Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Blut, Sand und Beton Deutschland und das NEOM-Projekt der Saudis (Fassung WDR) Autor: Marc Thörner Regie: Mathias Kapohl Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk/WDR 2024 Erstsendung: Dienstag, 20.02.2024, 19.15 Uhr Es sprachen: Sebastian Schlemmer, Sigrid Burkholder, Hüseyin Michael Cirpici, Judith Jakob, Jochen Langner und Daniel Wiemer Ton und Technik: Thomas Widdig und Can Top Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Atmo: Wüste, Wind, Autor: Karges Land, Halbwüste oder Steppe, darin einfache Gehöfte, sandfarbene Häuser, von Mauern eingefriedet. Ein Mann steht auf einem flachen Hausdach, gekleidet in das traditionelle saudische Dischdascha-Gewand, den Kopf mit einem Tuch umwickelt. Er nimmt sich mit seinem Handy selber auf. O-Ton Abdulrahim: Salamu aleikum... Sprecher 1: Ich will mich vorstellen. Mein Name ist Abdulrahim Ahmad Mahmoud al Howaiti. Und alles dies hier - wer es noch nicht kennt: dies nennt man heute: das Projekt von Kronprinz Mohammed Bin Salman. O-Ton Klaus Kleinfeld: Every investor says: look, Klaus we love what we are hearing about NEOM. Sprecher 2: Jeder Investor sagt mir: Mensch Klaus - wir lieben, was wir über NEOM hören Autor: Klaus Kleinfeld, Ex-Chef von Siemens und erster Aufsichtsratsvorsitzender von NEOM. O-Ton Kleinfeld weiter What speaks for NEOM - one thing is a beautiful location. It is as though you come to a place where the mind is at peace. At the same time we're creating a place where prosperity can be gained through creating a new future there. Sprecher 2: Was für NEOM spricht, das ist erst mal: diese wunderbare Lage. Es ist, als käme man an einen Ort, an dem der Geist zur Ruhe kommt. Und gleichzeitig schaffen wir einen Raum, wo Wohlstand gedeiht und wo wir die Zukunft neu entwerfen können. Autor: Der Mann auf dem Hausdach weist mit einer kurzen Kopfbewegung auf die ringsum liegenden Gehöfte. O-Ton Abdulrahim: Arab. Sprecher 1: Manchmal holen sie die Leute aus ihren Gebäuden raus; manchmal reißen sie auch die Häuser ein und machen alles kaputt. Die meisten hier wollen nicht umgesiedelt werden. Was dieser Staat mit uns anstellt, das ist in unseren Augen blanker Terror - Staatsterror. Wenn es nach Recht und Gesetz ginge, wäre es nicht soweit gekommen. O-Ton Klaus Kleinfeld: And we can try it out without being held back by existing infrastructure.Plus being allowed new types of legislation. We have full legislative authority. And we have been asked by His Royal Highness the Crown Prince of Saudi Arabia: ‚Write this legislation in the most investor friendly way and in the most future oriented way'. And this is what's currently happening, there's a big work-stream with two major international law firms. Sprecher 2: Und dann dürfen wir hier alles ausprobieren, ohne dass wir erst auf eine bestehende Infrastruktur Rücksicht nehmen müssen. Auch neue Formen der Gesetzgebung: Wir haben die volle gesetzgeberische Autorität! Seine Königliche Hoheit, der Kronprinz hat uns aufgegeben: ‚Schreibt die Gesetze in der denkbar Investoren-freundlichsten Art und Weise. Und genau das passiert jetzt gerade, mit Hilfe zweier großer internationaler Anwaltskanzleien. Ansage Blut, Sand und Beton Deutschland und das NEOM-Projekt der Saudis Ein Feature von Marc Thörner Autor: Bagger schaufeln Sand auf Laster, Mischmaschinen rühren Beton, Maschinen graben den Wüstenboden auf. Wo das Haus von Abdulrahim war und die Gehöfte ringsherum, lässt sich inzwischen nicht mehr ausmachen. Es ist, als ob eine Riesensäge eine gigantische Schneise durch die Wüste fräste, mitten durch ein Dreieck zwischen Rotem Meer, Jordanien, Ägypten und Israel. Ein Einschnitt, so gewaltig, dass er sogar vom Weltraum aus erkennbar ist. NEOM - das ist mehr als eine Zukunftsstadt. Es ist eine ganze Zukunftsregion, etwa von der Größe Belgiens. Atmo: NEOM-Promo Autor Promotion-Videos schildern, wie es hier einmal aussehen soll. Eine Bergregion benannt: Trojena, dem Wintersport erschlossen. Im Süden, angebunden an die großen Schifffahrtsrouten dieser Welt: Oxagon, die Industriestadt. Ein vorgelagertes Inselparadies für Ferien namens Sindalah. Und das wüstenartige Zentrum durchzogen von einer bandartigen High-Tech-Stadt: ‚The Line'. 170 Kilometer lang, 200 Meter breit, eingefasst von zwei 500 Meter hohen Spiegelwänden. Ohne Autoverkehr, weil durch die unteren Bereiche eine Metro saust und in der Luft die Helikopter-Taxis schwirren sollen. Bewohnt von einer neuen Art Gesellschaft, einer westöstlichen Mittelklasse. Digitalnomaden aus der ganzen Welt. Hier, zwischen dem Meer und den umgebenden Bergregionen, sollen sie ihre neue Heimat finden. Atmo NEOM-Promo O-Ton MBS: It's massive, it's huge. I wish that I can explain it in a smaller way. Sprecher 3 Es ist ist einfach - monumental. Auch wenn ich es gerne bescheidener ausrücken würde... O-Ton MBS: They say in a lot of projects happening in Saudi Arabia: It can't be done, this is very ambitious. They can keep saying that. Sprecher 3 Bei Saudi-Arabien wird oft gesagt: Das ist unmöglich, das ist sehr ambitioniert. - Lasst sie nur reden. Autor: Oberster Bauherr des Projekts ist Saudi-Arabiens Kronprinz und de-facto-Herrscher Mohammed Bin Salman. Im Interview mit der von ihm beauftragten PR-Agentur, erklärt er, warum NEOM sein muss: O-Ton MBS: We have the cash, we have the land, we have the stability, the good infrastructure. Sprecher 3 Wir haben Geld, wir haben Land, wir haben Stabilität. O-Ton MBS: So in 2030 we gonna reach the full capacity of the existing infrastructure of Saudi Arabia. Sprecher 3 2030 werden wir die volle Kapazität der saudischen Infrastruktur erreichen. Autor: Mit Mohammed Bin Salmans Namen ist NEOM untrennbar verbunden. Der Startschuss fällt zeitgleich mit seiner Einsetzung als Regent im Jahr 2017. MBS, wie er sich gern abkürzen lässt, will anstelle der verkrusteten Familien-Oligarchie der greisen Prinzen etwas Neues in die Wüste stellen. Der Bau von NEOM soll den Bau des neuen Saudi-Arabiens symbolisieren. O-Ton Kashoggi: Is that enough? I don't think it is enough. Sprecher 1: Ist das genug? Ich glaube nicht. Autor: Der saudische Journalist Jamal Kashoggi damals im Interview mit dem arabischen Satellitensender al Jazeera. O-Ton Kashoggi: I would... Sprecher 1: Ich würde hier lieber eine Form von Demokratie sehen, eine Art Rechenschaftspflicht. Umgesetzt von gewählten Leuten, oder einer unabhängigen Körperschaft. Dann wäre das bestimmt erfolgreich. Autor: Doch, wie sich herausstellt, hat Mohammed Bin Salman eine völlig andere Vision von der Moderne. Während in der Wüste die ersten Baumaschinen anrücken, lässt der oberste Bauherr den Journalisten Jamal Kashoggi in Istanbul von einem medizinisch instruierten Mordkommando buchstäblich in Einzelteile zerlegen. O-Ton Agnès Callamard: What was gruesome... Sprecherin 2: Was wirklich grausig anzuhören war, das waren die Geräusche. Manchmal waren sie etwas schwer zu interpretieren, aber man konnte auf jeden Fall hören, dass sich ein Handgemenge abspielte und dass da jemand um sein Überleben kämpfte. Autor: Agnès Callamard, die UNO-Berichterstatterin für Folter und extralegale Hinrichtungen hat für ihre Recherchen das Audiomaterial des türkischen Geheimdienstes ausgewertet. O-Ton Agnès Callamard: The noises... Sprecherin 2 Irgendwann hört man da das Geräusch von Plastik. Und das könnte mit dem nächsten Schritt zusammenhängen, als man Mr. Kashoggi die Gliedmaßen vom Körper abtrennte. Die vorherrschende Interpretation läuft darauf hinaus, dass man dafür eine Plastikfolie auf dem Boden ausbreitete. Da legte man den Körper drauf. Und dann nahm man ihn auseinander. O-Ton Omid Nouripour: Das ist eindeutig Kriminalität, vom Staate beauftragt. Das wäre ausreichend, um Sanktionen zu verhängen. Autor: Im Herbst 2018 sieht es so aus, als sei die Regentschaft des jungen Mohammed Bin Salman ein Riesenflopp, noch riesiger als seine Ambitionen. Ein Fehlstart, wie es in der Geschichte selten einen gegeben hat. Nicht nur er, auch Saudi-Arabien ist diskreditiert. Statt vom Zukunftsprojekt NEOM redet die Welt von dem Mord am Journalisten Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat von Istanbul. Omid Nouripour, seit 2022 Parteichef, damals noch Außenpolitiker der Grünen: O-Ton Omid Nouripour: Natürlich geht es auch darum, dass der Kronprinz Saudi-Arabiens merken muss, dass er nicht einfach ein normales Mitglied der Staatschefs dieser Welt ist. Es muss ihm klar sein, dass wir nicht einfach zulassen werden, dass er mit allem durchkommt und dann kommt er wieder auf die nächste G 20-Konferenz, stellt sich ins Foto grinst alle an und alle schütteln ihm die Hand und dann ist alles wieder gut. Autor: Während die Kritik an Mohammed Bin Salman nicht nur in Deutschland ungeahnte Ausmaße erreicht, gehen die Bauarbeiten zu NEOM unvermindert weiter - und laufen inzwischen auf Hochtouren. 2022 lanciert Mohammed Bin Salman den Bau der Bandstadt ‚The Line', die sich quer durchs NEOM-Gebiet ziehen soll. Wer ihn bis jetzt noch immer als den Auftraggeber eines bestialischen Mordes im Gedächtnis hatte, kann sich jetzt nur die Augen reiben. O-Ton MBS: Sprecher 3: Warum müssen sieben Millionen Menschen sterben? Jährlich? Aufgrund von Luftverschmutzung? Autor: Vor einem ausgesuchten Panel erscheint der Machthaber der weltgrößten Erdölexportnation und wirbt für Klimaziele. O-Ton MBS: Sprecher 3: Nach der industriellen Revolution gaben die Städte den Maschinen und den Autos Vorrang über den Menschen. Sogar in den fortschrittlichsten und modernsten Städten verbringen die Menschen einen Großteil ihrer Zeit nur im Verkehr. Im Jahr 2050 werden Milliarden Menschen zu Flüchtlingen geworden sein - aufgrund steigender CO2-Emmissionen und gestiegener Meeresspiegel. Autor: NEOM, so argumentiert der Prinz mit Verve und Leidenschaft, NEOM weise den Ausweg. NEOM werde das Tor zur Zukunft öffnen. Realisiert wird das Projekt beinahe ausschließlich von westlichen Fachleuten und Partnern. Ganz vorne mit dabei auch deutsche Firmen. Autor Das Tiefbauunternehmen Bauer schachtet das 170-Kilometer lange und 200 Meter breite Wohnviertel der NEOM-Hauptstadt ‚The Line' aus. Das Start Up Volocopter aus Bruchsal konzipiert den zukünftigen Luft-Taxi-Verkehr der Zukunftsstadt. Thyssen Krupp beteiligt sich in NEOM am Bau einer Fabrikanlage. Und ein deutsches Architektenbüro plant NEOMs Ferien- und Naherholungsgebiete und die Sportstätten. Klaus Kleinfeld, Ex-Chef von Siemens, legte im August 2018 seinen Posten als NEOM-Aufsichtsratsvorsitzender nieder. Stattdessen wurde er offizieller Berater von Kronprinz Mohammed Bin Salman und behielt den Posten, auch nach dem Kashoggi-Mord. Auch der britische Star-Architekt und Schöpfer der Reichstagskuppel, Lord Norman Foster, baut nach einer kurzen Anstandspause wieder in Saudi-Arabien. Das Ziel formuliert der Bauherr so: O-Ton MBS: Sprecher 3: Weg von der konventionellen, hin zur futuristischen Stadt. Heute, als Vorsitzender des Direktoriums von NEOM, präsentiere ich Ihnen: The Line. Autor: Was aber passierte mit Abdulrahim, dem NEOM-Gegner auf dem Hausdach, mit seinen Nachbarn in den Gehöften ringsum und mit den anderen Menschen, die auf dem Baugelände wohnten? - Im Jahr 2024 zu Abdulrahims Dorf zu fahren und zu den anderen Dörfern in der NEOM-Zone, erweist sich rasch als undurchführbar. Saudi-Arabien verweist in Puncto NEOM auf die zuständige staatliche NEOM-Company. Doch die genehmigt keine Reisen für unabhängige Journalisten. Die Großbaustelle ist für Außenstehende ein riesiges Sperrgebiet. Autor Etwas über die Lage im Baugebiet erfahren lässt sich hingegen in London. Für kritische Geister in Nahost oft immer noch so etwas wie die Drehscheibe der Demokratie. Viele gut ausgebildete Saudis, die sich einst mit dem Machtwechsel 2017 mehr gesellschaftliche Mitbestimmung versprochen haben, leben inzwischen hier: Vordenker der Zivilgesellschaft, Gegner des Regimes, Dissidenten, Oppositionelle. Viele sind nach dem Kashoggi-Mord hierhergekommen. So wie der Journalist und Buchautor Abdullah Aljuraywi. Die Nachricht von der Tat habe ihn damals kalt erwischt. O-Ton Abdullah Aljuraywi Yea, they are killers.... Sprecher 1: Ja, sie sind Killer. So etwas überhaupt zu tun! Ich dachte: ja, sie werden versuchen, ihn nach Saudi-Arabien zurückzuschaffen, aber nicht, dass sie ihn umbringen - in einer Botschaft. Autor: Seit seiner Flucht im Jahr 2019 engagiert er sich hier in der Menschenrechtsorganisation ALQST. Gemeinsam mit anderen Exilanten aus der saudischen Zivilgesellschaft versucht er, den Kontakt zu den saudischen NEOM-Gegnern zu halten. Abdulrahim al Howaiti, der Mann auf dem Hausdach, so erklärt er mir, habe versucht, die anderen Betroffenen vom Stamm der Howaitat zu Aktionen zu bewegen und Unterschriften gegen das NEOM-Projekt zu sammeln. Sicherlich sei Abdulrahim ein Konservativer. Um ihn zu verstehen, müsse man sich aber die Gegend vor Augen führen, um die es hier geht. Aljuraywi zeigt sie auf einer Karte. Mir wird klar, dass dieser Teil Saudi-Arabiens zwischen den Bergen und dem Meer gelegen, nur auf den ersten Blick als eine unfruchtbare Einöde erscheint. Organisiert sind die Howaitat in Stämme, Stammesfraktionen, Untergruppen. Viele von ihnen sind Viehzüchter. Von ihnen kommen die wertvollsten Tiere, denen das Königreich seine Triumphe beim Kamel-Rennsport verdankt. Land, Haus, Siedlungsgebiete seien für sie ungleich wichtiger als etwa für Büroangestellte in Riad. Aus diesem Gebiet weggeschickt zu werden ins betonierte Wohnviertel irgendeiner anderen Stadt, ist für Leute wie die Howaitat also nicht nur ein simpler Umzug, sondern gleichbedeutend mit der Aufgabe ihrer Existenz, ihrer ganzen Art zu leben und zu wirtschaften. Atmo: Schüsse/Video Autor Aljuraywi zeigt mir die Videos, die einige der Howaitat im Frühjahr 2020 vom zerstörten Gehöft ihres Wortführers gefilmt haben. O-Ton Abdullah Aljuraywi A day after... Sprecher 1: Einen Tag, nachdem Abdulrahim sein Video aufgenommen hatte, umstellten Spezialkräfte sein Haus. Etwa 50 Fahrzeuge rückten an, mit schweren Waffen. Und dann griffen sie sein Haus an. Abdulrahim erwiderte von innen das Feuer. Und sie töteten ihn. Hinterher erklärten die Behörden: "Er ist ein bekannter Terrorist, wir suchen ihn bereits seit Tagen." Autor: Bei ALQST, der Organisation, für die der junge Saudi tätig ist, arbeiten internationale Fachleute zusammen. Saudis, Briten, Deutsche, US-Amerikaner. Wenn in Zusammenhang mit NEOM von den Digitalnomaden dieser Welt die Rede ist - dann lassen sich die Aktivisten, die hier in einem Londoner Büro-Loft an der Verbesserung der Welt arbeiten, vielleicht als "Demokratienomaden" bezeichnen. O-Ton Julia Legner: Mein Name ist Julia Legner. Ich bin die Direktorin von ALQST for Human Rights. Ich hab Nah- und Mittelostpolitik, Internationale Beziehungen studiert und hab dann immer mehr zu Saudi Arabien und den Golfstaaten gearbeitet. O-Ton Josh Cooper:My name is Joshua Cooper and I work with ALQST... Sprecher 3: Mein Name ist Joshua Cooper. Für ALQST, bin ich den Entwicklungen bei NEOM nachgegangen, als die Gewalt gegen die dort ansässigen Bewohner losging und viele von ihnen umgesiedelt und bedroht wurden. Autor: Auch die Saudi-Araberin Lina al Hathloul gehört dazu. Die Juristin lebt und arbeitet eigentlich in Brüssel und hält dort für ALQST die Verbindung zur EU. Zu gemeinsamen Sitzungen und Panels kommt sie aber regelmäßig auch nach London. Und seit der Erschießung des NEOM-Gegners Abdulrahim al Howaiti 2020, wertet sie Quellen aus, was an Nachrichten über den Widerstand nach außen dringt. O-Ton Lina al Hathloul: So now we have.. Sprecherin 1 Wir haben die Fälle von fünf zum Tode Verurteilten dokumentiert, unter ihnen auch der Bruder des getöteten Abdulrahim al Howaiti. Autor: Gemeinsam sammelt das ALQST-Team Zeugenaussagen über falsche Versprechungen der saudischen Behörden, abgepresste Unterschriften, nächtliche Überfälle in Häusern, Versuche die Zustimmung von Stammeschefs zu kaufen oder zu erzwingen, Kopien von Schriftstücken, in denen die Bewohner des Baugebiets ihre Absicht erklären, sich nicht umsiedeln zu lassen, Informationen über Gerichtsverhandlungen und Todesurteile. Anfang 2023 ist ihr Dossier so weit, dass sie gesicherte Informationen ans UNO-Menschenrechtsbüro in Genf senden können. Von dort wandert es weiter an den UNO-Sitz New York, zu dem für illegale Vertreibungen zuständigen UN-Berichterstatter Balakhrishnan Rajagopal. Der beschließt, eigene Recherchen anzustellen. Und im Herbst 2023 meldet er sich auf meine Anfrage und gewährt mir in seine Ermittlungen Einblick. O-Ton Rajagopal: Since the death... Sprecher 2: Seit dem Tod von Mr. Al Howaiti, bei dem es sich um eine extralegale Exekution handelte, werden Mitglieder des Howaitat-Stammes, wie wir hören, weiterhin der Verfolgung ausgesetzt, dazu gehören: Zerstörung ihres Eigentums, Unterbrechung der Stromzufuhr, unerklärlich auftretende Feuer, erzwungener Arbeitsplatzwechsel, Nötigungen, Drohungen und Kidnapping. Die Zahlen der Betroffenen sind nicht in vollem Umfang bekannt. Aber es geht um eine sehr große Personengruppe. 2020 lebten in den Dörfern al Khoraiba, Sharma und Gayal 20 000 Menschen, denen gesagt wurde, sie würden der Zwangsumsiedlung unterworfen. Diese Dörfer wurden bereits evakuiert. Also, ja: Wir reden über sehr große Zahlen von Betroffenen. Autor: So gut wie alle dieser 20 000 Personen sind Howaitis, Mitglieder dieses großen Stammes, der seit Jahrhunderten hier lebt. O-Ton Rajagopal: The informations Sprecher 2: Unsere Informationen besagen, dass mindestens 47 Stammesmitglieder verhaftet wurden und gefangen sind. Viele von ihnen werden nach dem Gesetz von 2017 angeklagt, das eigentlich dazu geschaffen wurde, Terrorismus zu bekämpfen. In unserem Brief haben wir uns alarmiert gezeigt, dass gegen mindestens drei Personen Todesurteile verhängt wurden. Einer von ihnen ist Shadli Ahmad Mahmoud Abou Tarika al-Howaiti. Die anderen beiden sind: Ibrahim Salih Ahmad Abou Khalil al Howaiti und Atallah Mousa Mohammad al Howaiti. Autor: UNO-Berichterstatter Rajagopal wendet sich zunächst an die Genfer UNO-Vertretung von Saudi-Arabien. Auf die Anfrage, die UNO-Berichterstatter Rajagopal hinsichtlich der Verhaftungen und der Todesurteile an Saudi-Arabien richtet, antwortet die saudische UN-Mission, indem sie Vorwürfe präzisiert, die gegen die Verurteilten erhoben wurden. Sprecher 3: "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zum Zweck des bewaffneten Aufstands gegen den Staat. Unterstützung zweier Terroristenorganisation namens Al-Kaida und Islamischer Staat. Unterstützung einer terroristischen Ideologie und Propaganda für einen Terroristen." Autor: Unhaltbare Vorwürfe, meint Rajagopal, weil... O-Ton Rajagopal: People... Sprecher 2: ... hier Menschen unter anderem wegen Terrorismus angeklagt wurden für nichts anders, als eine kritische Meinung zum NEOM-Projekt zu äußern. Autor: Zudem seien die entsprechenden Verfahren gegen NEOM-Gegner intransparent und widersprächen internationalen Standards. Rajagopal hat versucht, die internationalen Firmen zu ermitteln, die sich an NEOM beteiligen und sie über seinen Erkenntnisstand informiert. O-Ton Rajagopal: We wrote Sprecher 2: Wir haben 28 Empfänger angeschrieben, darunter viele Firmen, auch deutsche Firmen. Wir haben alle Firmen und ausländischen Investoren dazu angehalten sicherzustellen, dass sie nicht zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen beitragen oder mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung stehen. Autor: Einige haben geantwortet. Auch das deutsche Architekturbüro Laboratory for Visionary Architecture, kurz LAVA: Sprecherin 2: "Wir von LAVA erkennen die essentielle Bedeutung von Menschenrechten für eine nachhaltige und gerechte Entwicklung an. Als Masterplaner für die Entwicklung von Trojena innerhalb von NEOM wurden von uns Studien zu Umwelt- und sozialen Auswirkungen durchgeführt. Nach unserem Wissen, gibt es in dem Bereich, in dem wir arbeiten, keine Menschenrechtsverletzungen." Autor: Ist es aus Sicht des UNO-Berichterstatters möglich, für NEOM zu arbeiten, ohne mit Menschenrechtsverletzungen zu tun zu haben? Rajagopals Antwort fällt ebenso diplomatisch wie lakonisch aus. O-Ton Rajagopal: I have... Sprecher 2: Ich habe die Antwort erhalten und durchgelesen. LAVA sollte sich wachsamer zeigen als bisher. Hinsichtlich ihrer Beteiligung und der Art, wie das ganze Projekt umgesetzt wird. Autor: Was ist das, frage ich mich, für eine Firma, die in Deutschland für einen Auftraggeber wie Mohammed Bin Salman arbeitet? Was ist das für ein Firmenchef? Autor: Ich fahre nach Berlin. Im Ohr noch die Reaktion der saudischen Menschenrechtlerin Lina Hathloul. O-Ton Lina al Hathloul: Talking about... Sprecherin 1: Diejenigen Firmen, die sich an diesem Prestigeprojekt beteiligen, wissen was vor Ort passiert. Sie wissen, dass jemand umgebracht wurde. Sie wissen, dass fünf Menschen zum Tod verurteilt sind, weil sie die Gegend nicht verlassen wollten, in denen die Firmen nun arbeiten. Autor: Die Adresse überrascht: Der Weg führt in den Ostteil der Hauptstadt, zum so genannten Kollwitzkiez, nördlich vom Alexanderplatz, lange Jahre ein Hot Spot der Berliner Hausbesetzer-Szene und noch immer wirkt alles alternativ und zugleich auch multikulturell. Irgendwo öffnen sich die Tore zu einem Fabrikgelände aus dem 19. Jahrhundert und führen in eine Flucht von immer neuen Höfen. Kopfsteinpflaster und dann links und rechts überbordende Müllcontainer. Das Berliner Architekturbüro LAVA liegt in einer entkernten alten Brauerei. O-Ton Lina al Hathloul: There is a moral responsability... Sprecherin 1: Es gibt eine moralische Verpflichtung zu sagen: OK, ich würde mich gern an dem Projekt beteiligen. Aber das Mindeste ist doch: den Auftraggebern zu erklären: Ich werde es nicht hinnehmen, dass Menschen dafür sterben. Autor Die originalen Backsteinwände sind weiß getüncht. Ein Fahrstuhl bringt mich zu den LAVA-Studios hinauf. O-Ton Lina al Hathloul: When people are.. Sprecherin 1: Wenn Leuten wegen NEOM die Köpfe abgeschlagen werden sollen, dann müsste doch mal irgendwann der Alarm losgehen. Autor: Ausgerechnet hier, in diesem Labor eines Berliner Hinterhofes wird also ein Teil von NEOM entworfen: Offene, ineinander übergehende Büros. Zwischen den Räumen wechseln junge Leute in Pullovern und mit Halstüchern hin und her. Einige der Mitarbeiter tragen Stoppelbärte und Männer-Dutts, einige der Frauen Jeans, Sweatshirts und lange auf die Schulter fallende Haare. O-Ton Walliser: Mein Name ist Tobias Wallisser, ich bin einer der Gründungspartner von LAVA, Laboratory for Visionary Architecture und wir sind hier in unserem Büro in Berlin. Autor: Modelle in Vitrinen veranschaulichen Gebäude, die CO2-sparend gebaut werden und durch nachhaltige Energie versorgt werden sollen. Die LAVA-Architekten ähneln weniger Mitarbeitern eines internationalen Unternehmens als denen einer gut organisierten Menschenrechtsorganisation. In ihrer Art erinnern sie mich an die "Demokratienomaden" der Menschenrechtsorganisation ALQST. Oder sehen so die wahren Digitalnomaden aus? Hatte ich mir von ihnen nur ein falsches Bild gemacht? O-Ton Walliser: Hier sitzen ungefähr 28 Leute. Ich glaube, wir sind in Berlin um die 50 im Moment und davon sind über 30 Nationalitäten. Wir haben sehr viele junge Mitarbeiter, die allerdings auch schon einige Erfahrungen haben und hier gemeinsam an Projekten arbeiten, die Bürosprache ist Englisch und die meisten unserer Projekte sind dementsprechend auch im Ausland. Autor: Eine gut ausgebildete, westöstliche Belegschaft, kreativ, ökologisch sensibilisiert, engagiert für klimaneutrales Bauen. Unter der Leitung eines Künstlers wie Wallisser mit einer Professur für Architektur. - Und ausgerechnet in diese multikulturelle, kreative LAVA-Atmosphäre platzte der Brief von UNO-Berichterstatter Rajagopal und seine Mahnung, sich nicht an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen. O-Ton Wallisser: Ja, da ist man im ersten Moment - ist man natürlich schon erschrocken. Muss ich ganz ehrlich sagen. Wir haben auf den Brief... wir haben reagiert. Wir haben das mitgeteilt, was wir mitteilen können, was wir wissen. Und ich glaube, mehr können wir nicht machen. Autor: Dabei seien Menschenrechtsverletzungen das Letzte, was man hier betreiben wolle. Man habe nichts zu tun mit Tötungen, Hinrichtungen oder gar mit unfairen Gerichtsverfahren. O-Ton Wallisser: Wir bauen kein Gefängnis dort, wir bauen auch kein Gerichtsgebäude. Aus gutem Grund. Da müsste ich mich mit diesen Themen beschäftigen. Und dann wäre man da direkt involviert. Autor: Stattdessen entwerfe man Konzepte für Trojena, NEOMs geplantes Naherholungsgebiet in den Bergen. O-Ton Wallisser: Wir versuchen eigentlich ein energieeffizientes Ferienressort für möglichst viele Leute zu bauen und eigentlich an der Entwicklung von effizienteren Ressourcen und eigentlich der Vorstellung von der Nutzung von regenerativen Energien zu arbeiten. In dem Bereich, in dem wir tätig sind, sind uns keine Menschenrechtsverletzungen in der Art bekannt. Da ist das Trojena auf dem Berg... da hat so etwas auch nicht stattgefunden. Autor: Durch NEOM, so Wallissers Optik, will man die Menschheit nicht verletzen, sondern ihr helfen. So wie es auch andere vorhätten. O-Ton Wallisser: Zum Beispiel Thyssen baut ein Kraftwerk für grünen Wasserstoff in NEOM. Thyssen möchte eigentlich grünen Wasserstoff importieren, um CO2-Stahl in Deutschland zu produzieren. Autor: Die Idee sei: nachhaltig bauen und wirtschaften und einen Beitrag dazu leisten, die Klimaziele des 21. Jahrhunderts zu erreichen. O-Ton Wallisser: Politische Umstände - das ist dann immer schwieriger. Das würde ich aber gerne den politischen Institutionen überlassen. Frau Baerbock war in Saudi-Arabien, die hat darauf reagiert. Die ist eigentlich von uns unsere Repräsentantin. Da bin ich eigentlich als Architekt nicht an der richtigen Position. Autor: Tatsächlich haben Deutschlands politische Institutionen ihr Wort bereits gesprochen. Und zwar zugunsten von NEOM. Dem von Wallisser erwähnten Kraftwerk für grünen Wasserstoff hat die Bundesregierung eine Exportbürgschaft über 1,5 Millionen Euro erteilt. Ein Engagement, das UNO-Berichterstatter Rajagopal kritisiert hatte - und zwar unter Verweis auf Deutschlands internationale Verpflichtungen. O-Ton Rajagopal: If you look... Sprecher 2: Zum Beispiel, wenn Sie sich die ‚Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte' ansehen, wie sie vom Menschenrechtsrat der UNO festgelegt wurden, und zwar mit Zustimmung von Deutschland. Autor: ‚Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte' - das Regelwerk, das Rajagopal anspricht, wurde 2011 von Deutschland unterzeichnet. Darin wird Firmen die Beteiligung an Geschäften in einer Reihe von Fällen untersagt - Fälle, wie sie die UNO im Falle von NEOM sämtlich für gegeben hält: Sprecherin 1: "Spontane oder willkürliche Hinrichtungen, Folter, Verschwindenlassen, langanhaltende willkürliche Verhaftungen, systematische Diskriminierung. Andere Arten von Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der Verletzung sozialer und kultureller Rechte. Menschenrechtsverletzungen, die sich gegen bestimmte Gruppen der Bevölkerung richten." Autor: Deutschland ist aus Sicht der UNO in diesem Falle sogar doppelt in der Pflicht: Einmal nach den 2011 von ihm ratifizierten ‚Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte'. Zweitens nach dem 2023 in Kraft getretenen Lieferkettengesetz. Das heißt: Geschäfte in Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen könnten - oder müssten sogar - angezeigt und dann vom Bundesamt für Außenwirtschaftskontrolle verboten werden. Sofern die jeweiligen Firmen nicht selbst die Notbremse ziehen und von entsprechenden Aktivitäten zurückstehen. Aber ist so etwas überhaupt zu erwarten, wenn es um derart lukrative Geschäfte geht wie bei NEOM? Ich richte Anfragen an Thyssen Krupp, an die Baufirma Bauer und an Volocopter, den Hersteller von Luft-Taxis. Werden die Informationen über Menschenrechtsverletzungen sie dazu bewegen, Ihre Tätigkeit in Zusammenhang mit NEOM zu beenden? Sprecherin 2: Unser Bekenntnis zu fairen Arbeitspraktiken und sicheren Arbeitsbedingungen in unseren Produktionsstätten in der gesamten globalen Lieferkette ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Menschenrechtsansatzes. Autor: ... erwidert Thyssen Krupp. Sprecherin 2 (...) Im Rahmen der Euler Hermes-gedeckten Finanzierung des Projekts wurde dies routinemäßig auf potenzielle Risiken überprüft. Dazu gehören auch eventuelle Umwelt-, Sozial- oder Menschenrechtsauswirkungen." Autor: Von Volocopter heißt es: Sprecher 3: "Die Menschenrechte wie sie durch deutsche und international anerkannte Gesetze geschützt werden, sind für Volocopter grundlegende Werte. Wir respektieren und wahren diese Rechte und verpflichten uns, ihren Schutz und Erhalt zu unterstützen." Autor Und Bauer schreibt: Sprecher 1 "Wir können dazu lediglich folgendes sagen: (...)Die Bauer-Gruppe hat (...) sowohl einen Verhaltenskodex als auch eine Grundsatzerklärung für Menschenrechte verabschiedet. Zu Anfragen, die sich auf Geschehnisse außerhalb unseres Einflussbereiches beziehen, können wie als Unternehmen grundsätzlich keine Stellung nehmen." Autor Aus den Antworten aller drei deutschen Unternehmen geht hervor: Ja, man bekennt sich zu den Menschenrechten, man prüft, ob sie eingehalten werden. Und kommt man offensichtlich zum Ergebnis, dass man bislang für das eigenen Engagement keine Konsequenzen zu ziehen hat. In einem solchen Fall, so UNO-Berichterstatter Rajagopal, müsste die Bundesregierung eingreifen, sie müsste ihrer Aufsichtspflicht nachkommen. O-Ton Rajagopal: It's for Sprecher 2: Die deutsche Regierung sollte sich einfach die entsprechenden Standards anschauen und sicherstellen, dass das geltende deutsche Recht oder die Umsetzung dieses Rechts diesen Standards entspricht. Autor: Am 28. April 2023 erinnert Rajagopal Berlin an die Menschenrechtsverletzungen, die er Saudi-Arabien anlastet, insbesondere die anstehenden Todesurteile und Vertreibungen Tausender aus ihren Wohngebieten. Die Bundesregierung mahnt er, gemäß ihren internationalen Verpflichtungen, Aktivitäten von deutschen Firmen zu unterbinden, wenn diese mit solchen Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang stehen. Das Schreiben schließt: Sprecher 2: "Aufgrund der Dringlichkeit der Situation würden wir eine Antwort begrüßen zu den Schritten, die Sie hinsichtlich NEOMs zum Schutz der erwähnten Personen und Gemeinschaften unternommen haben." Autor: Das Auswärtige Amt antwortet Rajagopal am 22. Juni 2023. Sprecherin 2: "Die deutsche Bundesregierung legt hohe Maßstäbe an die Vergabe von Exportbürgschaften an." Autor: Nur Firmen, die bei menschenrechtlich unbedenklichen Projekten mitarbeiteten, erhielten von der Bundesregierung eine Export- oder Hermesbürgschaft. Autor: Aber: Sprecherin 2: "Bis jetzt hat die deutsche Bundesregierung keinerlei Anträge für Exportbürgschaften in Zusammenhang mit 'The Line' erhalten. Insofern wurden also auch keinerlei Exportbürgschaften erteilt." Autor: Ich lese das UNO-Schreiben und die Antwort der Bundesregierung und stutze: Die UNO mahnt Deutschland in Bezug auf NEOM an. Deutschland hingegen beschränkt sich in seiner Antwort auf eine einzige Region von NEOM, auf ‚The Line'. Was aber ist mit den anderen Regionen von NEOM; mit der Exportbürgschaft, die die Bundesregierung in Oxagon der Firma Thyssen Krupp erteilt hat? Oder habe ich das falsch verstanden? Ich schlage die Broschüre auf, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zur Energiepartnerschaft mit Saudi-Arabien veröffentlicht hat. Dort ist unter Verweis auf Thyssen Krupp zu lesen: Sprecher 3 "Das Bundeswirtschaftsministerium unterstützt die Investition mit einer Exportbürgschaft von 1,5 Millionen Euro." Autor: Ich zeige die UNO-Anfrage und die deutsche Antwort darauf einem erfahrenen Analysten: Albrecht von Lucke, Politologe und Chefredakteur der ‚Blätter für deutsche und internationale Politik. Darin, dass die Bundesregierung die UNO-Anfrage nur in Bezug auf ‚The Line' beantwortet, erkennt er eine Täuschung. Denn Deutschlands Erwiderung auf eine UNO-Anfrage... O-Ton Albrecht von Lucke: die so konkret ist, die letztlich ein Projekt betrifft, das weit über das hier von der Bundesrepublik dann Beantwortete dann hinausgeht, ist natürlich eine Umgehung der wirklichen Anfrage, die seitens der UNO gestellt wird. Das heißt, die Bundesregierung macht sich hier einen schlanken Fuß, beantwortet die Frage nicht korrekt, um das eigene Projekt als sakrosankt und menschenrechtskonform erscheinen zu lassen. Die ehrliche Antwort wäre die, dass man es hier mit einem Partner zu tun hat, der bei dem Projekt nicht die Standards einhält, die man sich selbst gesetzt hat. Das wäre die ehrliche Antwort. Autor: Lucke erkennt hinter der Verschleierung ein Motiv. Aus seiner Sicht... O-Ton Albrecht von Lucke: hat sich natürlich gerade diese Bundesregierung mit ihrer wertegeleiteten Außenpolitik eine sehr hohe Messlatte gelegt, die bedeutet, dass man in dieser Hinsicht besonders sensibel zu sein verspricht. Und das scheint mir der zentrale Grund zu sein, warum man hier nicht offensiv spielt, sondern sich in der Weise kaschierend verhält - was dann aber natürlich dem eigenen Anspruch sehr auf die Füße fällt beziehungsweise ihn konterkariert und damit auf diese Regierung letztlich zurückfällt. Autor: Als Grundpfeiler ihrer werteorientierten Politik betrachten insbesondere die Grünen das Lieferkettengesetz. Es stellt - getreu dem Namen - besonders auf die "Kettenlogik" ab. Das heißt: Nicht nur Einzelprojekte werden sanktioniert, sofern sie gegen Menschenrechte verstoßen. Sondern auch alle Geschäftsbeziehungen, die mit menschenrechtsverletzenden Akteuren in Zusammenhang stehen. Der grüne Bundestagsabgeordnete Uwe Kekeritz in der Debatte über die Einführung des Gesetzes. O-Ton Uwe Kekeritz: Wir streiten schon lange gemeinsam mit Kirchen, Gewerkschaften, NGO's, Wissenschaft national und international für ein wirksames Lieferkettengesetz, das die UN-Vorgaben umsetzt und zu dem wir eigentlich schon lange durch internationale Verträge verpflichtet sind. Ein starkes Gesetz schützt vorbildliche Unternehmen vor Umwelt- und Menschenrechtshasardeuren. Autor: Hebeln nun ausgerechnet das grün geführte Wirtschafts- und das grün geführte Außenministerium das gerade erst in Kraft getretene Gesetz gleich wieder aus? Darüber, über die deutsch-saudische Zusammenarbeit in NEOM, über Saudi-Arabien und die Menschenrechte versuche ich ins Gespräch zu kommen - mit dem Auswärtigen Amt, dem Wirtschaftsministerium und der wirtschaftspolitischen Sprecherin der GRÜNEN. Sprecherin 2: Sehr geehrter Herr Thörner, vielen Dank für Ihre Anfrage an Frau Amtsberg, die wir leider ablehnen müssen. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag, Maja von Bodungen Autor: ... lässt Luise Amtsberg, die Menschenrechtsbeauftragte des Auswärtigen Amtes antworten. Und auch die anderen zwei Anfragen werden abgelehnt Sprecher 1 Ganz herzlichen Dank für Ihre Anfrage zu einer Sendung Autor: ... heißt es vom Referenten der wirtschaftspolitischen Sprecherin der Grünen. Sprecher 1: Sandra Detzer (...) kennt Saudi-Arabien nicht und möchte sich nicht ohne persönliche Kenntnis des Landes äußern. Bitte haben Sie dafür Verständnis! Mit freundlichen Grüßen, Georg Blume. Autor: Unter den mit Außen- und Wirtschaftspolitik betrauten GRÜNEN zeigt sich nur Lamya Kaddor bereit, überhaupt das Thema Saudi-Arabien anzusprechen, für die Fraktion die Berichterstatterin für den Nahen und Mittleren Osten. O-Ton Lamya Kaddor: Wir haben in der Tat in der Vergangenheit über Vertreibungen gehört, über andere Menschenrechtsverletzungen, über Tötungen, über zum Tode verurteilte Stammesangehörige, die da vertrieben worden sind, um Platz zu schaffen für dieses Mega-Projekt. Autor: Die Verfehlungen der Vergangenheit eingeräumt, wirbt die Nahostberichterstatterin der GRÜNEN für einen zukunftsweisenden Blick auf NEOM: O-Ton Lamya Kaddor: Ich würde davon abraten, dieses Projekt nur als ein großes, alleiniges... es gibt ja zig Teilprojekte, die darunterfallen, die ja alle noch mal separat zu betrachten sind und zu bewerten sind, juristisch. Autor: Aber, so halte ich Lamya Kaddor entgegen, genau um diese Abtrennung, diese separate Bewertung von Einzelprojekten zu verhindern, also Geschäftsbeteiligungen als Teil einer gesamten Kette zu bewerten - genau deshalb wurde doch das Lieferkettengesetz geschaffen? Wenn also zukünftig grüner Wasserstoff aus NEOM nach Deutschland gelangt, dann müsste das Amt für Außenwirtschaftskontrolle den Import nach geltendem Recht doch eigentlich untersagen? O-Ton Lamya Kaddor: Ja. In der Theorie ja. Und ich glaube auf das Gesamtprojekt ist es schwierig das zu sagen, ich glaube, es betrifft vor allem Einzelprojekte, also diese Einzelabschnitte innerhalb des Großprojekts. Und ich weiß von einigen Unternehmen, die gesagt haben: in dem Bereich werden wir nicht zusammenarbeiten, weil: da, gab es tatsächlich in dem Kontext, um das zu erarbeiten oder was auch immer, gab es diese Menschenrechtsverletzungen, da machen wir's nicht. Aber in anderen Sparten ist man offensichtlich doch bereit, das zu machen. Und da wird sich sicherlich unsere Bundesregierung drum kümmern, um das zu prüfen, ob es dabei zu Verstößen gekommen ist. Autor: Geschäfte würden in dem Fall also doch nicht als Teil einer Kette, sondern jeweils separat beurteilt werden. Vielleicht nach der Menschenrechtslage auf den Quadratmetern, auf denen das jeweilige Firmengebäude steht? Das allerdings wäre die Negierung, es wäre das Gegenteil der Lieferkettenlogik. Das Gesetz müsste demnach nicht Lieferkettengesetz, sondern "Einzelprojektgesetz" Oder "Geschäftsketten-Durchtrennungsgesetz" heißen. Lamya Kaddor, die Nah- und Mittelost-Berichterstatterin versucht, meinen Blick über die Thyssen-Fabrik hinaus, auf etwas anderes zu richten, das große Ganze sozusagen: O-Ton Lamya Kaddor: Klimaschutz ist ja eine sehr globale Angelegenheit. Das ist ja nichts, was wir nur in Europa oder im so genannten Westen zu klären haben oder klären können. Sondern auch die Golfstaaten und vor allen Dingen auch Saudi-Arabien müssen aus unserer Sicht ihren Beitrag leisten. Also wenn Deutschland diese grüne Transformation positiv begleiten kann, sollten wir das tun. Auch bei schwierigen Partnern - indem wir über Kooperation versuchen, Anreize zu schaffen. Autor: Klimaschutz als oberste Prämisse - auch dann, wenn einzelne Menschen deshalb sterben müssen? Lina al Hathloul von der Menschenrechtsbewegung ALQST fällt es schwer, zu glauben, dass ein Land wie Deutschland den Klimaschutz gegen die Menschenrechte ausspielt. O-Ton Lina al Hathloul: I mean, it is... Sprecherin 1: Das ist immerhin die deutsche Regierung. Als sie sich damals entschlossen hat, den Kashoggi-Mord zu verurteilen, tat sie das auch, weil es nötig war. Die deutsche Regierung ist international ein Schwergewicht und sie kann die betreffenden Firmen auf jeden Fall dazu anhalten, dass sie die Menschenrechte respektieren. Wenn die Deutschen also wissen, dass Leute sterben können bei einem Projekt, an dem deutsche Firmen beteiligt sind, kann man nicht vorschützen, man könne da nichts tun. Es ist als Menschenrechtsverletzung zu schwerwiegend, als dass die deutsche Regierung da passiv bleiben könnte. Autor: Fest steht: Auch bei Klimakatastrophen sterben Menschen - viele Tausend Menschen. Müssen, frage ich mich, diese Vielen abgewogen werden gegen eine Gruppe weniger, denen in wenigen Wochen oder Monaten schon der Tod droht und die jetzt zu dieser Zeit schon schwer misshandelt werden? Denn mit jedem Tag, so die saudische Oppositionelle, verschärfe sich in den saudischen Gefängnissen die Lage der NEOM-Gegner. Shadli al Howaiti, der Bruder des in seinem Haus getöteten Abdulrahim sei, so sagt sie, in verschiedenen Etappen unterschiedlichen Torturen ausgesetzt worden. O-Ton Lina al Hathloul: One of the worst... Sprecherin 1: Mit das Schlimmste, was man in Saudi-Arabien machen kann, ohne jemandem direkt Gewalt anzutun, ist, dass man ihn der bloßen Sonne aussetzt. Shadli wurde stundenlang in der Sonne gelassen, ohne dass er sich auch nur bewegen konnte. Dazu kam Schlafentzug. Und dann fingen sie mit der sozusagen klassischen körperlichen Folter an. Er wurde auf die Fußsohlen geschlagen, das gehört zu den gängigsten saudischen Foltermethoden. Er wurde ausgepeitscht, bis man ihn so weit hatte, ein erzwungenes Geständnis abzulegen und falsche Angaben zu machen. Und die Folge war für ihn das Todesurteil. Autor: In unserem Gespräch findet Lamya Kaddor, die grüne Berichterstatterin für Nah- und Mittelost eine Reihe weiterer Gründe, die außer der Klimapolitik noch dafürsprechen, den Partner Saudi-Arabien nicht zu verprellen. Sie unterstreicht... O-Ton Lamya Kaddor: dass diese Länder am Golf, insbesondere auch Saudi Arabien, auch geopolitisch eine immer wichtigere Rolle spielen. Blicken wir mal kurz - ein kleiner Exkurs - auf den Krieg in Gaza. Saudi-Arabien fängt Raketen der Huthis auf Israel ab. Das haben sie auch mehrfach schon getan. Sie standen auch vor dem Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten kurz davor, gemeinsam mit Israel das so genannte Abraham-Abkommen, die Abraham Accords, zu unterzeichnen. Das müssen wir zumindest erst mal zur Kenntnis nehmen: dass auch sie offensichtlich versuchen und der Kronprinz offensichtlich versucht, dieses Land - ich würde nicht sagen in eine völlig andere Richtung zu drehen - aber gewisse Veränderungen einzuleiten. Autor: Kronprinz Mohammed Bin Salman, den NEOM-Architekten trotz seiner Menschenrechtsbilanz massiv unterstützen - als Architekt einer Politik, die dem Nahen Osten endlich den ersehnten Frieden bringt? Wenn Demokratien mit nahöstlichen Diktatoren kungeln, über ihre Verbrechen hinwegsehen, vermeintlich um größer angelegten strategischen Interessen Rechnung zu tragen, dann erinnert das die saudische Oppositionelle Lina al Hathloul fatal an die Politik der 1970er bis 1990er Jahre: Partnerschaften, bei denen sich im Nachhinein der Schaden immer größer als der Nutzen dargestellt habe. Zurück in Brüssel, warnt sie in einem Interview im Nachrichtenkanal France 24, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, nämlich O-Ton Lina al Hathloul: It is about Sprecherin 1: einen Diktator zu rehabilitieren, der in spätestens zehn Jahren zum Problem wird. Wir sind dabei, ein Monster heranzuzüchten. Wenn MBS jetzt nicht gestoppt wird, werden wir ihn in zehn Jahren ganz anders erleben: in einer Allianz gegen den Westen. Autor: Aber Moment - hatte NEOMs erster Aufsichtsratsvorsitzender Klaus Kleinfeld nicht zu Baubeginn etwas angekündigt? Sollte nicht unter der Ägide von Mohammed Bin Salman gerade für NEOM ein ganz neues, modernes und liberales Recht geschaffen werden? Eines, wie es Saudi-Arabien, ja die Region bisher noch nie gekannt hatte? Das erzkonservative saudische Scharia-Recht, berichten erste Quellen, soll in NEOM offenbar keine Geltung haben. Oder jedenfalls nicht in vollem Umfang. Alkoholausschank soll möglich sein. Wie genau soll es aussehen das neue Gesetzeswerk für die westöstliche Zukunftsgesellschaft? Das NEOM-Recht, wie es vom ersten NEOM-Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Kleinfeld gleich nach dem Startschuss des Projektes angekündigt wurde? O-Ton Tobias Wallisser: Die Gesetzgebung ist nochmal was anderes. Das ist ja immer wieder durch die Medien gegangen, dass NEOM nachher eine eigene Gesetzgebung bekommen soll. Das ist schon vor mehreren Jahren verkündet worden, bis jetzt ist es noch nicht umgesetzt, aber die Verwaltung gibt es bis jetzt bereits für alles, was dort geplant wird. Autor: Wird womöglich für die dort lebenden Saudis und Expats so etwas wie die große Freiheit anbrechen; wird die gebildete westöstliche Mittelklasse sich hier eine eigene Verfassung geben? Werden sich Digital- und Demokratienomaden in NEOM vereinen, werden sie gemeinsam eine westöstliche Gesellschaftsutopie entwickeln? Eine Enklave der Demokratie mit einem frei gewählten Repräsentanten? O-Ton Tobias Wallisser: Also, im Moment gibt es einfach den CEO von NEOM, der sozusagen über allem... der sowohl für die ganze Entwicklung als auch für die Entwicklung der Regularien, wie das Ganze betrieben wird, zuständig ist. Der heißt Nadmi al Nasser, das kann man auch im Internet nachlesen, der hat früher für Aramco gearbeitet. Autor: Und, um den Diskurs auf das Gebiet der Architektur zurückzuführen: sind für die zukünftige NEOM-Community der Digitalnomaden auch Versammlungs- oder Diskussionsforen geplant. Werden vielleicht schon Parlamentsbauten konzipiert? -LAVA-Chef Tobias Wallisser kann sich angesichts von solchen Fragen ein Lächeln nicht verkneifen. O-Ton Tobias Wallisser: Na ja, also da brauchen wir nicht drüber zu reden, dass es natürlich in einer Demokratie andere Plätze und andere Funktionen noch gibt, als in einer anderen Gesellschaftsform. Es gibt wahrscheinlich keinen Aufmarschplatz für Demonstrationen, da geh ich jetzt mal nicht von aus. Autor: Währenddessen haben die Demokratieaktivisten aus dem Umfeld von ALQST ihre Vorstellung von der saudischen Zukunft konkretisiert. Nicht in NEOM und nicht im übrigen Saudi-Arabien, sondern in London. Dort haben sie die erste demokratische saudische Oppositionspartei gegründet. NAAS, das Kürzel der Partei steht zugleich auch für das arabische Wort "Bevölkerung". Lina al Hathloul: O-Ton Lina al Hathloul: Sprecherin 1 Die Idee ist, der saudischen Regierung zu vermitteln: Die saudische Bevölkerung will Opposition. Es ist nicht normal, als Bevölkerung keinerlei Macht, kein Mitspracherecht zu haben und einfach hinzunehmen, dass ein Mann alles in deinem Leben entscheiden kann. Die Saudis wollen Checks and Balances und sie wollen, dass ihre Stimmen gehört werden. Sprecherin 2 Blut, Sand und Beton Deutschland und das Neom-Projekt der Saudis Ein Feature von Marc Thörner Es sprachen Sebastian Schlemmer, Sigrid Burkholder, Hüseyin Michael Cirpici, Judith Jakob, Jochen Langner und Daniel Wiemer Ton und Technik: Thomas Widdig und Can Top Regie Matthias Kapohl Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk 2024 2