Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Linglong Schmutzige Reifen für Europa Autor: Zoran Solomun Regie: Friederike Wigger Redaktion: Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk 2023 Erstsendung: Dienstag, 06.06.2023, 19.15 Uhr Es sprachen: Hansa Czypionka, Robert Frank, Ansastasia Gubareva, Maria Hartmann, Maximilian Held, Thomas Holländer, Laurenz Laufenberg, Inka Löwendorf, Oliver Nitsche, Uta Prelle, Mark Ben Puch, Max Urlacher Ton: Martin Eichberg Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton 1 Präsident Vucic OV-Sprecher 1 Heute wird hier Geschichte geschrieben, von Zrenjanin, von Banat und von ganz Serbien. Das ist ein großer Erfolg für unser Land. Wir sind stolz darauf, dass die Chinesen unsere aufrichtigen Freunde sind. Wir haben nicht nur keine Probleme mit ihnen, wir lieben die Chinesen. Die Chinesen sind in unserem Land willkommen. Wir lieben China. Wir lieben die Chinesen. Sie waren immer auf unserer Seite und wir auf ihrer. Atmo 1: Applaus. O-Ton 2 Gordic OV-Sprecherin 1 Es regnete. Sie kamen auf Fahrrädern von der Arbeit - durchnässt, barfuß, in Plastikschlappen. Sie kommen aus Vietnam, wo es keinen Winter gibt und sind nun hier, um Linglong zu bauen! Neben der Baracke standen einige Generatoren, aber der Strom reichte nur für ein paar schwache Glühbirnen und eine improvisierte Küche. Auf dem Boden lagen Holzpaletten, bedeckt mit Stofffetzen, darauf schliefen sie. Sie hatten einen einzigen Elektroheizer. Ungefähr 600 oder 700 Menschen waren in diesen zwei Baracken. Das Abwasser floss durch ein Rohr in ein Loch vor der Baracke. Der Gestank war unbeschreiblich. Horror. Abscheulich. Sprecher 2: Linglong - Schmutzige Reifen für Europa Ein Feature von Zoran Solomun Atmo 2: Glocken, Straße. Atmo 3: Strassenmusik. O-Ton 3 Krcmar OV-Sprecher 3 Dies ist das Zentrum von Zrenjanin. Am Platz der Freiheit. Hier beginnt die Hauptstraße der Stadt, die Fußgängerzone, benannt nach König Aleksandar I. Karadordevic und die beliebteste Flaniermeile der Stadt. Hier an der Ecke stehen oft Straßenmusiker. Atmo 3: Strassenmusik. Erzähler Dr. Filip Krcmar, Historiker, arbeitet im historischen Archiv der Stadt Zrenjanin. Er forscht und schreibt über die Geschichte der Stadt, des Banats und der Vojvodina, einer autonomen Provinz im Norden Serbiens. Sein besonderes Interesse gilt der chinesischen Gemeinschaft in der Stadt. Atmo 3: Straßenmusik Ende - Akzent. Atmo 4: Straßenatmo, Schritte. O-Ton 4 Krcmar OV-Sprecher 3 Wir befinden uns jetzt am Anfang der Koca Kolarov Straße, nicht weit weg vom Zentrum. Die Präsenz der chinesischen Gemeinde in der Stadt Zrenjanin ist nirgendwo deutlicher als hier. Hier gibt es zwei chinesische Einkaufszentren. Ich komme hier jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit vorbei und sehe dann die chinesischen Arbeiter mit Helm und Werkzeug, wie sie in Lastwagen steigen und losfahren - bis zur Baustelle von Linglong sind es etwa 4 bis 5 Kilometer. Atmo 5: Autobahn. O-Ton 5 Gordic OV-Sprecherin 1 Wir stehen hier am südlichen Ende der Industriezone Südost, sie erstreckt sich neben der Autobahn Belgrad-Zrenjanin. Atmo 6: LKW. O-Ton 6 Gordic OV-Sprecherin 1 Dieser LKW, der grad vorbeigefahren ist, kommt von der Linglong-Baustelle. Erzähler Ivana Gordic-Perc, freie Journalistin aus Zrenjanin. Sie arbeitet als Lokalreporterin für die wenigen unabhängigen Zeitungen und Internetplattformen, die sich der Kontrolle des serbischen Regimes entziehen. O-Ton 7 Gordic OV-Sprecherin 1 Auf der anderen Straßenseite befindet sich ein riesiger Komplex. Mit einer großen Mauer drumherum. Es ist das fruchtbarste Banater Land, das die Gemeinde Zrenjanin Linglong geschenkt hat. 100 Hektar. So groß wie 200 Fußballfelder. In der Bekanntgabe dieses Projekts steht, dass zunächst 4 Millionen Reifen pro Jahr produziert werden, später sollen es 14 Millionen Reifen werden. Dort reinzugehen - das ist für uns nicht erlaubt. O-Ton 8 Vucic OV-Sprecher 1 Heute legen wir den Grundstein für die Fabrik und beginnen mit dieser großartigen Arbeit. Es ist ein Projekt, das dieser Stadt buchstäblich Leben schenkt, sowohl der ganzen Region und ganz Serbien. Atmo 7: Applaus. Erzähler Zrenjanin ist eine Stadt im zentralen Banat, im Norden Serbiens, 70 Kilometer von Belgrad entfernt. Die 60.000-Einwohner-Stadt war mit 28 Fabriken einst eines der Industriezentren Jugoslawiens. Die meisten dieser Fabriken waren in der Lebensmittelindustrie tätig. Nach dem Zerfall Jugoslawiens in den Kriegen der 1990er Jahre und der darauffolgenden rücksichtslosen Privatisierung wurden fast alle Fabriken in Zrenjanin geschlossen. Viele Menschen verloren ihren Job. In den letzten Jahren zeigen ausländische Investoren Interesse an dieser Region. Darunter auch der große chinesische Reifenhersteller Linglong. O-Ton 9 Bogunovic OV-Sprecher 4 Ich habe von Linglong erst 2019 gehört, als der Grundstein für die Fabrik gelegt wurde. Erzähler Miodrag Bogunovic, Angestellter in der Kommunalverwaltung Zrenjanin und einer der Gründer von DER BÜRGERLICHE UMSCHWUNG, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für Bürgerrechte und Umweltschutz einsetzt. O-Ton 10 Bogunovic OV-Sprecher 4 Am 28. März 2019 unterzeichneten der Vorsitzende der Direktion für Staatseigentum, Jovan Vorkapic, und der Direktor von Linglong, Wang Feng, in Zrenjanin einen Vertrag über die Abgabe von 100 Hektar Land an den chinesischen Investor. Es war erstklassiges Ackerland. Zwei Tage später, am 30. März, kam der serbische Präsident Aleksandar Vucic persönlich hierher, um feierlich den Grundstein für die Fabrik zu legen. O-Ton 11 Vucic OV-Sprecher 1 Ich sagte zu Herrn Wang: "Was auch immer Ihnen angeboten wird, lieber Freund, von Polen oder Rumänien oder irgendwelchen anderen Ländern, kommen Sie nach Serbien, wir werden Ihnen immer mindestens 10% bessere Bedingungen geben." Atmo 8: Applaus. O-Ton 12 Živkov OV-Sprecher 5 Schon lange war in der Stadt von einer großen Investition die Rede, aber der Name Linglong wurde nicht sofort genannt. Erzähler Ivan Zhivkov, Soziologe. Auch er arbeitet für die NGO Der bürgerliche Umschwung. O-Ton 13 Živkov OV-Sprecher 5 Die Höhe der Investition, eine Milliarde Dollar, wurde zum ersten Mal erwähnt, als unser Präsident kurz nach der Grundsteinlegung nach Peking reiste. Es wurde gesagt, dass das etwas beispiellos Gutes sei, dass viele Menschen dort beschäftigt werden würden, dass es die Wirtschaft nicht nur in dieser Stadt, sondern im ganzen Land ankurbeln wird. Als ob sie eine Hightech- Weltraumstation bauen würden, und keine Autoreifenfabrik. O-Ton 14 Bogunovic OV-Sprecher 4 Die Chinesen sind nicht die ersten ausländischen Investoren, die nach Zrenjanin kommen. Die anderen haben aber in der Regel ordnungsgemäß bezahlt für das Land. Zum Beispiel die Firma Dräxlmeier aus Deutschland, die 5.000 Menschen aus dem Ort beschäftigt. Sie bezahlten für das Bauland, die Chinesen bekamen es geschenkt. O-Ton 15 Gordic OV-Sprecherin 1 Der Bau der Industriezone Südost wurde von der Europäischen Union finanziert. Rund 4 Millionen Euro bekam die Stadt Zrenjanin dafür von der EU. Und das nutzt Linglong jetzt, sie profitieren von dem, was die Steuerzahler der Europäischen Union bezahlt haben. O-Ton 16 Živkov OV-Sprecher 5 Der serbische Staat hat Linglong nicht nur Land geschenkt, sondern auch finanzielle Hilfe für den Bau dieser Fabrik genehmigt! Die kann laut Gesetz bewilligt werden, wenn jemand zum Beispiel in ein unterentwickeltes Gebiet investiert oder Spitzentechnologie in unser Land einführt. Beides ist hier nicht der Fall. Finanzhilfen an Linglong in Höhe von 75 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt waren völlig rechtswidrig. O-Ton 17 Vojvodic OV-Sprecherin 2 Wir haben das Verfahren zur Genehmigung staatlicher Beihilfen an Linglong sorgfältig verfolgt - weil wir das für komplett illegal hielten. Erzähler Hristina Vojvodic, Rechtsanwältin. Sie arbeitet in der Belgrader Nichtregierungsorganisation RERI - das steht für Renewables and Environmental Regulatory Institute. RERI wurde von einer Gruppe von Rechtsanwälten gegründet, um gegen Umweltverstöße vorzugehen und Naturschutzprojekte rechtlich zu unterstützen. O-Ton 18 Vojvodic OV-Sprecherin 2 Nach der Analyse unserer Experten, die sich mit der Kontrolle staatlicher Beihilfen befassen, haben wir festgestellt, dass die Höhe der Beihilfen für Linglong den zulässigen Betrag bei weitem überstieg. Außerdem stießen wir in einem Dokument auf die Information, dass die Regierung Linglong zu einem Projekt von nationaler Bedeutung erklärt hat. Wir haben mehrfach versucht, zu erfahren, was das konkret bedeutet, weil dieses "von nationaler Bedeutung" in keinem Gesetz steht. Wir haben auch versucht, diese Informationen über das Gericht zu bekommen. Vergeblich. Atmo 9: Restaurant. Atmo 10: Chinesische Musik. O-Ton 19 Chin. Kellner OV-Sprecher 6 Unser Restaurant heißt Jiacháng cài, das kann man ungefähr mit Hausmannskost übersetzen. Wir kochen wie auf dem Land. O-Ton 20 Krcmar OV-Sprecher 3 Ich arbeite gerade an einem Buch, das die chinesische Gemeinschaft hier in Zrenjanin zum Thema hat. Erzähler Der Historiker Filip Krcmar. O-Ton 21 Krcmar OV-Sprecher 3 Die ersten Chinesen, die sich hier dauerhaft niederließen, waren im Handel tätig. Sie haben es auch mit Gastwirtschaft probiert, aber das hat nicht funktioniert. Dieses Restaurant, in dem wir uns befinden, ist eines der wenigen, das überlebt hat. O-Ton 22 Chin. Kellner OV-Sprecher 6 Die meisten unserer Gäste bestellen Erdnüsse mit Hähnchenfleisch. Wir haben auch scharfe Gerichte. Und auch süßes Fleisch, aber ich glaube nicht, dass ihr das mögt. O-Ton 23 Krcmar OV-Sprecher 3 In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts kamen sie erstmal nur zu Besuch. Das war noch im sozialistischen Jugoslawien und hing mit dem großen landwirtschaftlichen Kombinat Servo Mihalj aus Zrenjanin zusammen. Das war das goldene Zeitalter, das Kombinat beschäftigte damals 25.000 Arbeiter. Die lokale Presse berichtete zu der Zeit, dass chinesische Delegationen in die Stadt kommen, um zu sehen, wie dieses Kombinat organisiert ist. Also kamen die ersten Chinesen nach Zrenjanin, um etwas zu lernen. 30 Jahre später hat sich die Situation vollkommen umgedreht. Atmo 9: Restaurant. Atmo 10: Chinesische Musik - Ende. O-Ton 24 Živkov OV-Sprecher 5 Wir sind zu dem klaren Schluss gekommen: Beim Bau der Fabrik verstieß Linglong gegen Bauvorschriften und gegen Umweltschutzgesetze. Und sie machten sich des Menschenhandels schuldig - ohne dass der serbische Staat überhaupt reagierte. Wir haben daraufhin die Öffentlichkeit informiert. O-Ton 25 Bogunovic OV-Sprecher 4 Unsere Aktion hieß "Land verschenkt man nicht, Gesundheit verkauft man nicht". Erzähler Ivan Živkov und Miodrag Bogunovic von der NGO Der bürgerliche Umschwung. O-Ton 26 Bogunovic OV-Sprecher 4 Wir haben auf dem zentralen Platz in Zrenjanin Fotos von verschmutzten Städten in China gezeigt und Flyer verteilt, die die Fakten zum Bau von Linglong in Zrenjanin erklärten. - Und vor allem, dass die Anlage ohne vorherige Studie zur Umweltverträglichkeit und gegen alle Richtlinien aus dem Bauwesen gebaut wird. O-Ton 27 Vojvodic OV-Sprecherin 2 Wir wurden von lokalen Organisationen kontaktiert, die besorgt waren über den sehr seltsamen Baubeginn. Erzähler Anwältin Hristina Vojvodic aus der Rechtsanwalts- und Naturschutzgruppe RERI. O-Ton 28 Vojvodic OV-Sprecherin 2 Was war seltsam? Seltsam war, dass die Firma Linglong beschloss, als erstes eine über 2 Meter hohe Mauer um den gesamten Komplex zu bauen. O-Ton 29 Bogunovic OV-Sprecher 4 Der Bau der kilometerlangen Mauer begann ohne Umweltverträglichkeitsprüfung. Wir verlangten also von der Stadtverwaltung, die Arbeiten einzustellen. O-Ton 30 Vojvodic OV-Sprecherin 2 Wenn Sie eine so große Fabrik bauen, müssen Sie, bevor Sie den ersten Spaten in den Boden stecken, eine Studie zur Umweltverträglichkeit machen. Und diese Studie zur Umweltverträglichkeit muss das gesamte Projekt abdecken. O-Ton 31 Živkov OV-Sprecher 5 Wir haben uns an drei Institutionen gewendet: an die Stadtverwaltung, die Verwaltung der Autonomen Provinz Vojvodina und das Ministerium für Umweltschutz in Belgrad. Wir haben nachgefragt, ob der Investor Linglong eine Studie zur Umweltverträglichkeit erstellt hat und wenn ja, welche Behörde die Studie genehmigt hat. Wir haben von allen dreien die Antwort erhalten - dass eine solche Studie nicht existiert. Und da hatten die Arbeiten bereits begonnen. O-Ton 32 Vojvodic OV-Sprecherin 2 Die Firma Linglong teilte dann ihr Projekt in Phasen ein, in kleinere Projekte, und bat um eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Zum Beispiel separat für die Mauer! Das ist eine bekannte Strategie, sie heißt salami slicing. Für die kleineren Projekte ist dann nicht mehr die Provinz zuständig, sondern die Stadt Zrenjanin. Und die Stadt hat weder die Kapazität noch das Wissen, um mit solchen Problemen fertig zu werden. Erzähler Auf Nachfrage bei der Stadtverwaltung Zrenjanin erklärte die Behörde in einer schriftlichen Antwort, dass eine Studie zur Umweltverträglichkeit verifiziert wurde und für die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevölkerung keine Gefahr bestehe. Das Wirtschaftsministerium in Belgrad reagierte nicht. Interviewanfragen blieben unbeantwortet. O-Ton 33 Živkov OV-Sprecher 5 Im Zusammenhang mit den Baugenehmigungen und den Genehmigungen der Umweltbehörde haben wir drei Klagen gegen drei verschiedene staatliche Institutionen eingereicht. Diese Klagen wurden dem Verwaltungsgericht vorgelegt, dem höchsten Gericht in Serbien. Seit Jahren aber wird diesbezüglich keine Entscheidung getroffen. O-Ton 34 Bogunovic OV-Sprecher 4 Die regimetreue Presse begann bald, uns anzugreifen. So schrieb die Zeitung Informer, dass wir und RERI Geld von den USA und der EU erhalten, um chinesische Investitionen in Serbien zu sabotieren. (RERI ????) O-Ton 36 Živkov OV-Sprecher 5 Wir haben auch beobachtet, dass von der Baustelle kein Müll abtransportiert wird. Wir erkundigten uns bei der Stadtreinigung und tatsächlich - diese hat weder Lastwagen zur Baustelle geschickt noch hat sie dort Container abgestellt. Was ist mit dem Müll? Verschwunden. Einer unserer Kontakte bei Linglong erklärte uns, dass der Müll vergraben wird. Wir haben die zuständige Aufsichtsbehörde gebeten, dies zu überprüfen, der Inspektor hat versucht, dort reinzukommen. Aber man kann da nicht einfach so eintreten, wenn man will. Wenn die Inspektion unangemeldet kommt, sagen sie: "Gerade werden gefährliche Arbeiten durchgeführt, kommen Sie in zwei Tagen!" Und als der Inspektor nach zwei Tagen wieder da war, gab es keinen Müll, kein Loch im Boden, keinen Bagger. Und so schrieb der in seinen Bericht, dass alles in Ordnung sei. O-Ton 35 Živkov OV-Sprecher 5 Linglong verlegte riesige Rohre mit einem Durchmesser von über einem Meter, die ihr ganzes Abwasser direkt in den Fluss Begej leiteten. Wir haben es fotografiert und dokumentiert. Doch die Stadtverwaltung sagte: "Ihr lügt." Atmo 9: Restaurant. Atmo 10: Chinesische Musik. O-Ton 38 Chinesischer Kellner OV-Sprecher 6 Hat es geschmeckt? (Lacht.) Wir kommen aus dem Norden Chinas und unsere Küche ist eurer hier ziemlich ähnlich. Aber, im Süden zum Beispiel ist alles entweder süß oder sehr scharf oder hat überhaupt keinen Geschmack. O-Ton 39 Krcmar OV-Sprecher 3 In der Entwicklung der chinesischen Gemeinschaft in Zrenjanin sind zwei Phasen deutlich zu erkennen. In der ersten Phase, ab 1999, ließen sich hier nur wenige Chinesen nieder, sie führten eher bescheidene Geschäfte. Seit 2014 werden in Serbien Großprojekte realisiert, die vom chinesischen Staat und von chinesischen Unternehmen finanziert und gebaut werden. Dann kam Linglong. In Zrenjanin leben jetzt etwa tausend chinesische Staatsbürger. Wir sehen sie auf der Straße, in Banken, in Fitnesscentern. Sie sind da, aber wir kommunizieren kaum mit ihnen. Wir wissen nicht viel über sie. O-Ton 40 Chinesischer Kellner OV-Sprecher 6 Serben lieben unser Essen. 670 Dinar, bitte. Atmo 9: Restaurant. Atmo 10: Chinesische Musik - Ende. O-Ton 41 Reljanovic OV-Sprecher 7 Derzeit gibt es große chinesische Investitionen in drei serbischen Städten: in Bor, Smederevo und Zrenjanin. Erzähler Dr. Mario Reljanovic, Professor für Arbeitsrecht an der Union University in Belgrad. O-Ton 42 Reljanovic OV-Sprecher 7 In Bor sind es Kupferminen und in Smederevo ein Stahlwerk. Der Bau der Reifenfabrik in Zrenjanin ist fast abgeschlossen. Das sind drei sehr große Projekte. Ich möchte sehr ungern verallgemeinern, aber es gibt eine Tendenz, die aus China hierher übertragen wurde, nämlich eine schlechte Einstellung gegenüber der Umwelt und eine schlechte Einstellung gegenüber den Arbeitern. O-Ton 43 Gordic OV-Sprecherin 1 Von dieser Geschichte habe ich zum ersten Mal von einer Freundin gehört. Im Herbst 2021 hatte sie einmal geschäftlich im Industriegebiet zu tun. Dort stehen viele Lager, die verschiedenen Firmen aus Zrenjanin gehören. Das ist alles hinter der Baustelle, außerhalb der Mauern von Linglong. Meine Freundin sagte also: "Lass mich dir etwas zeigen, vielleicht willst du das veröffentlichen!". Am Eingang zum Industriegebiet gibt es eine Rampe, mit einer Wache. Wir sagten, wir hätten da etwas zu tun, und sie ließen uns durch. Wir fuhren bis ans Ende der Industriezone. In den letzten beiden Baracken waren chinesische und vietnamesische Arbeiter. Später fanden wir heraus, dass eine dieser Baracken früher ein Schweinestall war. Ich sah ihnen vom Auto aus zu, wie sie von der Arbeit zurückkamen. Es war Abend, es regnete. Und ich filmte sie mit meinem Handy. Das war ein Fehler, denn als sie das sahen, drehten sie sich um und gingen weg. Es dauerte ein paar Tage, bis ich ihr Vertrauen gewonnen hatte. Eine Woche lang war ich jeden Tag dort. Dann fingen sie an, mit mir zu reden, erzählten, dass sie kein richtiges Badezimmer hätten, nur unregelmäßig und unzureichend Strom, wie schlecht die Unterkunft und das Essen ist. Mein Bericht wurde am 6. November 2021 auf der VOICE-Website veröffentlicht - vom Vojvodina Research and Analytical Center - unter dem Titel: "Die Hoffnungslosigkeit der Unsichtbaren". Niemand hat darauf reagiert. Niemand. Dann rief ich eine Kollegin von TV N1 an - sie heißt Ksenija Pavkov und kam dann am 12. November mit ihrem Fernsehteam. Erzähler: Ausschnitt aus Sendung des unabhängigen Fernsehsenders TV N1, am 12. November 2021. Reporterin Ksenija Pavkov berichtet. 44 Journalistin Pavkov OV-Sprecherin 3 Die VOICE-Journalistin brachte uns hierher, in das Industriegebiet neben der größten Baustelle Serbiens. Wir passieren ein Dutzend Lagerhäuser lokaler Unternehmen, um die verlassenen Baracken zu erreichen. Sie beherbergen heute 750 Arbeiter, die auf der Linglong-Baustelle beschäftigt sind. Die meisten von ihnen stammen aus Vietnam, etwa 500 kamen auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben ans andere Ende der Welt und landeten hier. Ausschnitt aus N 1 Sendung: Journalistin Pavkov OV-Sprecherin 3 Sie zeigen mir das Badezimmer. Arbeiter Journalistin Pavkov OV-Sprecherin 3 Haben Sie warmes Wasser?, frage ich. Arbeiter Journalistin Pavkov OV-Sprecherin 3. Sie haben Wasser für fünf Personen..... Sie sind hier 700 und haben warmes Wasser für fünf Personen? Arbeiter OV-Sprecher 8 Wir haben kein Wasser, keinen Strom, alles ist dreckig, erklären sie. Es ist sehr schlecht. Alles. Schauen Sie sich die Toiletten an. Wir haben nichts. Es gibt viele Probleme. Wir wollen zurück nach Vietnam. Journalistin Pavkov OV-Sprecherin 3 Viele möchten hier weg, haben aber keine Personaldokumente. Die chinesischen Bosse, so erzählen sie uns, nahmen ihnen ihre Pässe ab, und die vietnamesische Agentur, die sie angestellt hatte, brach jeden Kontakt zu ihnen ab, als sie in Serbien ankamen. Ausschnitt aus N 1 Sendung Ende. O-Ton 45 Curcic OV-Sprecher 9 Wir haben nach dem TV Bericht gedacht, dass es am besten ist, sofort zu reagieren, bevor die Medien Staub aufwirbeln. Erzähler Danilo Curcic, Jurist und Programmkoordinator der Belgrader NGO Initiative A11, die sich für die Rechte diskriminierter Gruppen einsetzt. O-Ton 46 Curcic OV-Sprecher 9 Wir fuhren am Sonntagmorgen hin und verbrachten fast den ganzen Tag dort, ohne Probleme. Eine weitere Kollegin aus der NGO Astra war mit uns. Was wir sahen, war absolut Menschen-unwürdig. Die Baracken hatten sehr kleine Fenster, zu wenig Frischluftzufuhr und kaum Beleuchtung. Der Boden war aus Beton. Es gab drei Boiler im Badezimmer, von denen zwei kaputt waren. Es gab keine Waschmaschine. Die Waschbecken zum Waschen, Geschirrspülen und Wäschewaschen, waren draußen. Wir haben alles abfotografiert, Aussagen und Beweise gesammelt und sind nach Belgrad zurückgekehrt. Noch in derselben Nacht verfassten wir einen Bericht, Montagmorgen veröffentlichten wir ihn. Dieser Bericht löste dann in den Medien einen wahren Sturm aus. O-Ton 47 Krunic OV-Sprecherin 4 Bei unserem ersten Besuch waren wir sprachlos. Erzähler Jasmina Krunic, Gründerin der Belgrader NGO Astra. O-Ton 48 Krunic OV-Sprecherin 4 Astra bekämpft alle extremen Formen der Ausbeutung - sexuelle Ausbeutung, Zwangsverheiratung, erzwungene Begehung von Straftaten und den sehr weit verbreiteten Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft. Das Kommunizieren mit den vietnamesischen Arbeitern war zunächst schwierig, weil nur die wenigsten Englisch sprechen. Also verständigten wir uns über Google Translate. Sie zeigten uns ihre Arbeitsverträge, die nicht direkt mit Linglong, sondern mit einem Subunternehmer abgeschlossen wurden - was Linglong natürlich kein bisschen aus der Verantwortung nimmt. O-Ton 49 Curcic OV-Sprecher 9 Die Verträge, die uns diese Arbeiter zum Lesen gaben, sind mit unserem Recht völlig unvereinbar. Beispielsweise wurde ihnen untersagt, eine Gewerkschaft zu gründen und auch mit irgendjemandem über ihre Arbeitsbedingungen zu sprechen. Wenn sie dies brechen, zahlen sie das Rückfahrtticket selbst. Die Anzahl der vorgeschriebenen Arbeitsstunden war weitaus höher als in Serbien erlaubt. Auf einem anderen Formular unterschrieben sie, dass sie Muslime nicht beleidigen und keine Frauen und Mädchen anfassen würden, dass sie keinen Alkohol trinken würden und ihnen bekannt ist, dass Diebstahl mit dem Abschneiden der Hand und Mord mit dem Abschneiden des Kopfes bestraft würde. Wir gehen davon aus, dass diese Formulare für Länder mit Scharia-Gesetzen vorbereitet wurden, und dass man sie als in Serbien geltend dargestellte, obwohl dies alles in Serbien keinen Sinn macht. O-Ton 50 Krunic OV-Sprecherin 4 Vietnam hat keine Botschaft in Serbien, die nächsten sind in Bukarest und Budapest. Die Arbeiter hätten kaum an einen schlechteren Ort kommen können. Es war, als wären sie auf dem Mars gelandet. O-Ton 51 Gordic OV-Sprecherin 1 Von dem Moment an, als der Bericht bekannt wurde, hörte mein Telefon nicht mehr auf zu klingeln. Alle möglichen journalistischen Teams erschienen im Industriegebiet. New York Times, Observer, AFP. Und alle lokalen dazu. O-Ton 52 Reljanovic OV-Sprecher 7 Natürlich behaupteten regimetreue Medien sofort, dass alles erfunden sei. Im Pink TV, das extrem regierungsfreundlich ist, wurden Aufnahmen gezeigt, wie schön die Arbeiter leben und wie sie abends ausgehen. Und immer ein und dieselbe Geschichte: Es handle sich um einen Angriff auf ausländische Investoren, einen Angriff auf die Regierungspolitik und schließlich um einen Angriff auf Präsident Vucic persönlich. O-Ton 53 Gordic OV-Sprecherin 1 Wir fanden heraus, dass nur 176 Arbeitserlaubnisse für vietnamesische Arbeiter ausgestellt wurden. O-Ton 54 Curcic OV-Sprecher 9 Die Arbeiter kamen über Arbeitsagenturen hierher, die in Vietnam registriert sind. Sie mussten dafür bezahlen, um nach Serbien zu kommen. Sie hatten keinen Vertrag mit Linglong, sondern Verträge mit Subunternehmern von Linglong sowie zwei in Serbien registrierten chinesischen Unternehmen unter fiktiven Adressen. Deren Webseiten und E-Mail-Adressen funktionierten nicht. E-Mails kamen zurück. O-Ton 55 Gordic OV-Sprecherin 1 Linglong meldete sich bald zu Wort und sagte: Das ist nicht unser Problem. Wir haben Arbeiter über Subunternehmer eingestellt. Fragen Sie den Subunternehmer! O-Ton 56 Curcic OV-Sprecher 9 Zwischen den vietnamesischen Arbeitern und Linglong bestand kein formelles Arbeitsverhältnis. Es gab jedoch eine Managerin von Linglong, eine gewisse Frau M. die unmittelbare Kontrolle über die Arbeiter hatte. O-Ton 57 Gordic OV-Sprecherin 1 Kurz nach der Veröffentlichung unseres Berichts tauchten chinesische Manager in der Industriezone auf. In Armani-Anzügen, in teuren schwarzen Autos. Sie mögen BMW, und überhaupt deutsche Autos sehr. Ich kam mit einem meiner Kollegen. Die Manager sagten dann - nein, Sie können nicht mehr filmen. Das war das erste Mal, dass ich erlebte, wie man Fotos von mir machte. O-Ton 58 Curcic OV-Sprecher 9 Die Arbeiter waren sehr verängstigt. Wir schlugen ihnen vor, dass sie Vollmachten unterzeichnen, damit wir in der Öffentlichkeit und vor Institutionen in ihrem Namen auftreten dürfen. Die Übergabe sah so aus: Ich habe ihnen ein Foto von meinem Auto geschickt und gesagt, dass ich die Heckklappe aufmachen werde und mich daneben stelle. Einer von ihnen soll auf dem Fahrrad kommen und so tun, als sei die Fahrradkette gerade abgesprungen. Wir geben ihm dann schnell die Vollmächte. Und Kugelschreiber. Und er gibt sie an seine Kollegen weiter, beim Mittagessen oder auf der Toilette. Und so haben wir es dann gemacht. O-Ton 59 Gordic OV-Sprecherin 1 Als diese Geschichte dann weltweit bekannt wurde, begann die Versetzung von Arbeitern an andere Standorte. Eine Arbeitergruppe wurde direkt aus diesen Schweineställen wohin gebracht? - ins Hotel Kastell Ecka. Das liegt in einem Dorf ganz in der Nähe der Linglong-Baustelle. Franz Liszt trat seinerzeit dort auf, die Habsburger verkehrten dort und später auch unser König. Von diesem Moment an - das war der 20. November - durften nur noch Journalisten von TV Pink die Arbeiter kontaktieren. O-Ton 60 Curcic OV-Sprecher 9 Wir fuhren vor das Hotel Ecka. Wir sagten dem Wachmann, dass wir eine Vollmacht von den Arbeitern hätten und dass wir sie sehen wollen. Wir befanden uns im Park vor dem Hotel, im öffentlichen Raum also und hatten alles Recht, uns dort aufzuhalten. Sie ließen uns aber nicht. Dann haben wir die Polizei gerufen. Zwei unserer Inspektoren kamen, sie waren sehr nett, aber riefen Frau M. an. Die kam dann in ihrem Jeep. Nach 15 Minuten kamen zwei Arbeiter aus dem Hotel, zusammen mit einem Mann, der die ganze Zeit hinter ihnen stand. Diese beiden "Arbeiter" sagten uns, dass alles in Ordnung sei und dass es ihnen gut gehe. Sie sprachen Chinesisch. Die Arbeiter aus Vietnam sprachen nie Chinesisch. Wir haben die beiden noch nie zuvor und seitdem auch nie wiedergesehen, ebenso wie ihren Begleiter. Da wir sicher waren, dass den Arbeitern im Hotel widerrechtlich die Freiheit entzogen wurde, haben wir Strafanzeige erstattet, aber niemand hat darauf reagiert. O-Ton 61 Krunic OV-Sprecherin 4 Unsere Organisation Astra verschickte den Bericht an rund 600 Adressen. Auch an die Vereinten Nationen, die Internationale Arbeitsorganisation und das US-Außenministerium, da die US Regierung jedes Jahr einen der umfangreichsten Berichte zum Problem des Menschenhandels verfasst. Zudem verfolgen die USA mit großer Aufmerksamkeit die Ausweitung des chinesischen Einflusses auf dem Balkan. Wir schickten den Bericht auch an die Vertretung der Europäischen Union in Serbien und an viele Institutionen in Brüssel - das Europäische Parlament, die Europäische Kommission. Wir schickten ihn an alle, die uns einfielen. O-Ton 62 Curcic OV-Sprecher 9 Die Arbeiter, die ins Hotel Ecka gebracht wurden - sie blieben mit uns per WhatsApp in Kontakt - wurden in ihren Zimmern eingesperrt und erhielten eine abgedruckte Erklärung auf Chinesisch, Vietnamesisch und Englisch, dass sie freiwillig dort sind, dass keine Verletzung ihrer Rechte vorliegt und dass sie die Baustelle verlassen können, wann immer sie wollen. Und dann ließen sie sie unterschreiben. Ohne Unterschrift wurden sie nicht aus diesen Räumen gelassen. O-Ton 63 Gordic OV-Sprecherin 1 Das erste Mal, dass ich außerhalb der Industriezone fotografiert wurde, war, als ich mit meinem Sohn in einem Supermarkt war. Ein Chinese zückte sein Handy und machte ein Foto von mir. Zuerst dachte ich: "Vielleicht fotografiert er etwas im Supermarkt!" Doch dann bekam ich Angst. Auch wegen dem Kind. Beim zweiten Mal saß ich mit ein paar Kollegen im Hotel Vojvodina, und wieder holte einer sein Handy heraus, fotografierte und fing gleichzeitig an zu schreien. Er wollte, dass ich sehe, dass er Fotos von mir macht. O-Ton 64 Reljanovic OV-Sprecher 7 Der Bericht von Astra enthält unter anderem auch eine Analyse der Indikatoren, die verwendet werden, um festzustellen, ob jemand Opfer von Menschenhandel ist. Die vietnamesischen Arbeiter erfüllten fast alle dieser Indikatoren ganz deutlich. O-Ton 65 Krunic OV-Sprecherin 4 Die erste Antwort kam sehr schnell: Bereits im Dezember 2021 verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution zu diesem Fall und schickte diese nach Serbien. Anfang 2022 verfasste auch die UN-Expertengruppe - United Nations Committee: Economic and Social Council - ECOSOC einen Bericht, später hat dann auch die UN-Expertengruppe zur Bekämpfung des Menschenhandels reagiert. Erzähler In der Resolution des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2021 steht "dass gegen den chinesischen Reifenhersteller Linglong Tire in Zrenjanin, Nordserbien, schwere Anschuldigungen wegen der Arbeitsbedingungen von 500 Arbeitern aus Vietnam erhoben wurden; dass diese Anschuldigungen Menschenrechtsverletzungen, Menschenhandel und Bedingungen umfassen, die die Gesundheit und das Leben von Menschen gefährden könnten." In einer Pressemeldung vom 21. Januar 2022 äußern UN-Menschenrechtsexperten "ernsthafte Besorgnis über die mutmaßliche Zwangsarbeit einer Gruppe vietnamesischer Wanderarbeiter, die Berichten zufolge Opfer von Menschenhandel in Serbien sind." O-Ton 66 Krunic OV-Sprecherin 4 Im Juni wurde der "Trafficking in Person Report", der Menschenhandel-Bericht des US Außenministeriums veröffentlicht, in dem man feststellte, dass Arbeitnehmerrechte verletzt wurden und das Land Serbien auf die Beobachtungsliste kommt. O-Ton 67 Reljanovic OV-Sprecher 7 Niemand in den lokalen Medien hielt es für notwendig, darauf zu reagieren. Allerdings gilt die Europäische Union hier als wichtiger strategischer Partner, und deshalb musste die politische Elite Antworten geben. Eine nach außen: "Wir wissen nichts davon!", und eine nach innen: "Wieder wollen uns einige sehr böse Leute aus der EU schaden, deshalb haben sie die ganze Geschichte erfunden." O-Ton 68 Krunic OV-Sprecherin 4 Wir haben auch versucht, die Mechanismen zu nutzen, die es in diesem Land gibt - und 16 verschiedene Institutionen angesprochen. Unter anderem: das Innenministerium, die Staatsanwaltschaft, die Arbeitsaufsichtsbehörde. Auch das Zentrum für den Schutz von Opfern des Menschenhandels - es ist eine staatliche Einrichtung. Immer wieder kontaktierten wir sie wegen dieses Falls, fragten nach und bekamen die Antwort: "Ja, ja, wir sind dran." Heute sind die Arbeiter längst weg. O-Ton 69 Gordic OV-Sprecherin 1 Die Vietnamesen kehrten in Gruppen nach Hause zurück. Die letzten verließen im Oktober 2022 das Land. Sie mussten unterschreiben, dass sie nicht mehr über die Zustände hier sprechen würden. Man ersetzte sie auf der Baustelle durch Türken, Chinesen, Marokkaner und auch serbische Arbeiter. O-Ton 70 Arbeiter NN OV-Sprecher 10 Angefangen hat das mit Anzeigen in der ganzen Stadt und mit Geschichten, dass die Chinesen gut bezahlen, dass das Gehalt 80.000 Dinar betragen wird - fast 700 Euro. Dass das Training zu Beginn online durchgeführt wird. Also habe ich den Vertrag unterschrieben und die Ausbildung, die sechs Monate dauern sollte, über das Internet gestartet. Erzähler Ein Arbeiter aus Zrenjanin, der seine Identität nicht preisgeben möchte. O-Ton 71 Arbeiter NN OV-Sprecher 10 Nach zehn Tagen Schulung wurde uns gesagt, dass wir auf die Baustelle müssen und dass wir jetzt eine Schulung auf der Baustelle haben. Am ersten Tag erklärte uns der Manager Lin Guang Shi, dass wir ein Training von 20 Minuten bis zu einer halben Stunde erhalten und den Rest des Tages die Halle putzen und Rohre tragen sollen. Also - wir wurden zu Hilfsarbeitern. Da war es schon Anfang November. Es war kalt, und auf der Baustelle ist natürlich alles offen. Wir haben uns in Decken gehüllt, es gab nirgendwo einen beheizten Raum, kein Trinkwasser. Die Toilette war seit einem Jahr nicht mehr gereinigt worden, das war schrecklich. Ich beschloss, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich war anonym im Fernsehen, aber wahrscheinlich hat einer unserer Mitarbeiter gepetzt, dass ich es war. Dann begannen die Verfolgungsjagd und das Mobbing. Es endete schließlich damit, dass ich nach meinem Urlaub eine Kündigung zum Unterschreiben bekam. Ich habe unterschrieben und so war ich mit Linglong quitt. Ich gehe nach Deutschland. Deutschland braucht Arbeitskräfte. O-Ton 72 Curcic OV-Sprecher 9 Linglong sucht nun nach neuen Arbeitern, um den Bau der Fabrik abzuschließen. Linglong hat mit seinen Jobmessen das ganze Banat bereist, aber sie haben immer noch nicht genug Arbeiter. O-Ton 73 Vojvodic OV-Sprecherin 2 Gegenüber ausländischen Investoren zeigt sich Serbien unterwürfig, stellt sich in eine untergeordnete Position und macht sehr große Zugeständnisse. Es sind nicht nur chinesische Investoren, sondern auch welche aus Deutschland und anderen Ländern der Europäischen Union. Wir beobachten auch die Firma Hansgrohe in Valjevo, wo das Gleiche passiert ist wie im Fall von Linglong. Auch dort wurde die "salami slicing" Strategie angewendet: das Projekt wurde in kleinere Teile aufgeteilt. Auch dieses Unternehmen bekam Land geschenkt. Man kann sagen, dass dies der Modus Operandi des serbischen Staates ist. O-Ton 74 Reljanovic OV-Sprecher 7 Das südkoreanische Unternehmen Jura hat mehrfach die öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Die Arbeiter erzählten, in den Medien wie sie gezwungen wurden, bei der Arbeit Windeln zu tragen, damit sie während der Arbeitszeit nicht auf die Toilette gingen. Der serbische Präsident hat diesem Unternehmen einen Besuch abgestattet. Und all dies wurde in den Medien berichtet, als wäre er die höchste Instanz für Inspektionen, was nicht einmal annähernd seiner Kompetenz entspricht. Er besuchte die Firma und sah, dass dort alles in Ordnung war, und diese Geschichte wurde für immer begraben. O-Ton 75 Živkov OV-Sprecher 5 Serbien ist ein autokratischer Staat, der von einem Mann, seiner Familie und seinen Freunden beherrscht wird. O-Ton 76 Reljanovic OV-Sprecher 7 Bei uns herrscht Raubtierkapitalismus - nach dem Motto Nimm dir, was du kannst, und lauf dann weg. Die Republik Serbien hat die Wirtschaftspolitik eines Wettlaufs nach unten gewählt. Der Wettlauf nach unten ist nicht von uns erfunden, er ist in den Dokumenten der Internationalen Arbeitsorganisation beschrieben und bestimmt in vielen Ländern die Realität. Die größten Partner von Linglong sind Volkswagen und Renault - deutsche und französische Automobilhersteller. Beide Länder haben Gesetze, die eine erhöhte Aufmerksamkeit in Bezug auf Lieferketten vorschreiben - die "due diligence in supply chains". Astra schickte ihren Bericht an beide Unternehmen, aber auch an die Adressen verschiedener Ministerien, die die Umsetzung dieses Gesetzes überwachen sollten. Was wird passieren? Zwei Szenarien sind möglich. Es ist möglich, dass sich das Verhältnis zwischen den Autoherstellern und der Linglong-Fabrik abkühlt. Das wäre gerecht, denn dann wäre Linglong wegen seines Verhaltens bestraft. Es kann aber auch passieren, dass sich diese Hersteller an die Republik Serbien wenden und eine Meldung erhalten, dass nichts Unrechtes passiert sei: alles sei von verschiedenen Institutionen überprüft worden und an der Lage der vietnamesischen Arbeiter sei nichts zu bemängeln - obwohl dies überhaupt nicht wahr ist. Dann hätten sie einen Vorwand, die Zusammenarbeit mit Linglong fortzusetzen. O-Ton 77 Präsident Vucic OV-Sprecher 1 Für die, die es nicht wissen: Linglong macht Reifen für Volkswagen. Also, liebe Freunde, meine Damen und Herren, unsere chinesischen Brüder, verehrter Herr Wang, vielen Dank für alles, was Sie für unser Serbien getan haben. Danke für die Ehre, danke für das Privileg, das wir mit Ihnen arbeiten dürfen. Vielen Dank an den Präsidenten der Volksrepublik China, Xi Jinping, an Sie, Herr Wang. Es lebe die serbisch-chinesische Freundschaft! Ich wünsche Ihnen viel Geld, viele gute Profite. Ich wünsche Ihnen Erfolg. Ich gratuliere Zrenjanin, ich gratuliere Serbien. Es lebe Serbien! Atmo 11: Applaus. Absage: Linglong Schmutzige Reifen für Europa ein Feature von Zoran Solomun Erzähler Die Firma Linglong reagierte nicht auf die Anfrage, an dieser Sendung teilzunehmen. Das Wirtschaftsministerium in Belgrad antwortete, es sei nicht zuständig. Die Stadtverwaltung der Stadt Zrenjanin beantwortete mehrere Fragen schriftlich. Volkswagen reagierte nicht auf wiederholte Anfragen zur Teilnahme an der Sendung. Das Auswärtige Amt, Referat Wirtschaft und Menschenrechte hat auf unsere Anfrage nicht reagiert. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat die Beantwortung unserer Fragen abgelehnt. Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Büro für nachhaltige Lieferketten, antwortete, dass sie nicht der richtige Ansprechspartner seien und empfahl uns, uns an das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zu wenden. Absage weiter: Es sprachen: Hansa Czypionka, Robert Frank, Ansastasia Gubareva, Maria Hartmann, Maximilian Held, Thomas Holländer, Laurenz Laufenberg, Inka Löwendorf, Oliver Nitsche, Uta Prelle, Mark Ben Puch, Max Urlacher. Ton: Martin Eichberg Regie: Friederike Wigger Redaktion: Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2023 0