Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Gemobbt, gekündigt, abgefunden Wie Unternehmen gegen Betriebsräte vorgehen Autor*innen: Sebastian Friedrich, Nina Scholz Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk/SWR 2023 Erstsendung: 21.11.2023, 19.15 Uhr Langfassung Es sprachen: Constanze Becker, Timo Weisschnur, Monika Oschek und Martin Schaller. Ton und Technik Eva Pöpplein und Frank Klein Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton 01 (Murat Atas) "Es kommen auch schon mal so Gedanken wie Suizid auch mal so jemandem durch den Kopf, so weißt du. Wenn du überlegst, 25 Jahre alles lief reibungslos und auf einmal kannst du deine Miete nicht zahlen." O-Ton 02 (Helmut Naujoks) "Ich habe einen solchen Missbrauch erlebt, dass Betriebsräte gar nicht mehr ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeit nachgegangen sind, sondern immer vorgegeben haben: Oh, jetzt habe ich aber keine Zeit für meine normale Arbeit, weil ich muss jetzt ganz dringend Betriebsratsarbeit leisten." O-Ton 03 (Friedrich Bossert) "Es geht am Ende ganz knallhart um ökonomische Interessen und gegen die Rechte und Interessen der Beschäftigten und die Methoden, die dabei angewendet werden, sind in der Regel äußerst brutal." Erzählerin: Bei Union Busting - das heißt: Gewerkschaftszerstörung - denken viele an die USA. Aber auch in Deutschland ist das immer wieder Thema und meistens sind Betriebsräte betroffen. Erklärer: Welche Anzeichen gibt es für Union Busting? Wie und warum wollen Arbeitgeber Betriebsräte loswerden? Und was macht das mit den Betroffenen? Sprecherin Gemobbt, gekündigt, abgefunden - Wie Unternehmen gegen Betriebsräte vorgehen. Ein Feature von Nina Scholz und Sebastian Friedrich Atmo 01 (Magdeburger Platz: Schweißarbeiten an einer Baustelle in der Nähe) Erzählerin: Es ist ein warmer Morgen im Juli 2022 am Magdeburger Platz im Berliner Ortsteil Tiergarten. Hier befindet sich das Berliner Arbeitsgericht. Vor dem Eingang erneuern Arbeiter gerade eine Straße. Im kleinen Park davor treffen wir einen Mann, um die 50 Jahre alt. Er trägt einen grauen Kapuzenpulli, eine dunkle Jeans und schwarze Laufschuhe mit weißer Sohle. O-Ton 04 (Murat Atas) "Ja hallo, ich bin Murat Atas, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Foot Locker Germany GmbH. Das heißt, ich bin verantwortlich für knapp 1.400 Mitarbeiter deutschlandweit und ja, bin jetzt seit 2017 Betriebsrat und seit knapp zweieinhalb Jahren der Gesamtbetriebsratsvorsitzende." Erzählerin: Er ist hier, um einen Kollegen zu unterstützen. Ihr gemeinsamer Arbeitgeber, der Sportschuhhändler Foot Locker, hat ihm fristlos gekündigt. Sein Kollege steht neben ihm. Er trägt weiße Turnschuhe, schwarze Hose und eine blau-weiße Trainingsjacke. O-Ton 05 (Amin Barakat) "Ich bin Amin Barakat, 29 Jahre alt und ich arbeite seit 2012, also seit zehn Jahren bei Foot Locker." Erzählerin: Amin möchte hier heute vor Gericht gegen die Kündigung vorgehen. O-Ton 06 (Amin Barakat) "Vorgeworfen wird mir Arbeitszeitbetrug von der Arbeitgeberin. Aber Fakt ist, dass ich aufgrund meiner Betriebsratsarbeit, meiner aktiven Betriebsratsarbeit jetzt bestraft werden soll." Erzählerin: Amin wirft Foot Locker vor, dass man ihm gekündigt habe, weil er sich als Betriebsrat in den vergangenen Jahren für die Belange der Belegschaft eingesetzt hat. Amin war bis vor kurzem Mitglied des Betriebsrats. Als solcher hatte er wie alle Betriebsräte in Deutschland einen besonderen Kündigungsschutz. Seit März 2022 ist er kein ordentliches Mitglied des Betriebsrats mehr. Wenige Wochen später hatte er die Kündigung im Briefkasten. Murat zündet sich eine Zigarette an. Auch er glaubt, dass Amins Kündigung mit dessen Engagement im Betriebsrat zusammenhängt. Es gebe seit Jahren immer wieder Konflikte zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung. O-Ton 07 (Murat Atas) "Es wird immer wieder versucht, wirklich die Betriebsratsarbeit zu erschweren. Und aktuell haben wir so viele Baustellen, wo wir eigentlich als Betriebsräte nur unsere Arbeit machen möchten. Wirklich. Das Mindestmaß an Recht, das den Betriebsratsmitgliedern zusteht, einfordern. Aber das wird uns verwehrt, das muss man ganz klar sagen." Erzählerin: Murat blickt auf die Glasfassade und den grauen Beton des Arbeitsgerichts. Er hofft, dass Amin und er gleich nicht allein im Gerichtssaal sitzen. Wie denkt er, wird das heute ausgehen? O-Ton 08 (Murat Atas) "Naja, ein ganz klares Urteil hoffe ich mal, dass Amin auch das Verfahren gewinnt und er so schnell wie möglich wieder seine Arbeit aufnehmen kann, weil auch als Ersatzmitglied ist er uns sehr, sehr wichtig und er macht halt viele, viele Arbeiten auch im Hintergrund als Ehrenamt, muss ich ehrlich sagen, ohne da Stunden einzureichen oder Arbeitszeiten einzureichen und deswegen ist er für uns als Betriebsrat auch sehr wichtig." Erzählerin: Nach und nach kommen immer mehr Menschen dazu: die zuständige Sekretärin der Gewerkschaft Verdi, Arbeitskollegen, Freundinnen und Freunde und Mitarbeiter*innen von Bundestagsabgeordneten der SPD und der Linken. Der Tross geht ins Gerichtsgebäude. Sprecherin: Berliner Arbeitsgericht, 15. Juli 2022, Raum 518. Amin Barakat gegen Foot Locker Germany GmbH und Co. KG. Atmo 02 (Sitzungssaal) Erzählerin: Obwohl das Verfahren in einem der größeren Säle stattfindet, reichen die Stühle nicht aus. Amin geht vor dem Flur noch einmal in sich. O-Ton 09 (Amin Barakat) "Ich freu mich über die Unterstützung, die Solidarität von den Linken, von der SPD, von der Verdi. Meine Freundin ist hier. Der Betriebsrat. So viele Leute sind gerade gekommen - und weiß nicht, mir fehlen gerade auch ein bisschen die Worte. Voll schön, voll gerührt, ich bin jetzt auf aufgeregt, aber ich freue mich jetzt, dass es losgeht." O-Ton 10 (Richter) (Stühlerücken) "Guten Morgen, vielen Dank, nehmen Sie gerne Platz." (Stühlerücken) Erzählerin: An dieser Stelle müssen wir das Mikro ausmachen. (Regievorschlag: Spezielle wiederkehrende Gerichtsmusik) Erzählerin: Die Anhörung dauert etwa eine halbe Stunde. Foot Locker wirft Amin vor, zu viele Stunden für Betriebsratsarbeit aufgeschrieben zu haben. Foot Lockers Anwalt versucht zu erläutern, wie viele Minuten man braucht, um Stimmen einer Betriebsratswahl zu zählen. Aber um die Sachte geht es heute gar nicht. Entschieden wird heute nur über den Eilantrag auf sofortige Wiedereinstellung, den Amin gestellt hat, denn arbeitsrechtliche Verfahren dauern oft mehrere Monate. Die Entscheidung will der Richter erst am Nachmittag verkünden. (Regievorschlag: Ende Gerichtsmusik) OT 11 (Fotograf und Gruppe) (Fotos werden gemacht) Fotograf: "Und los! Schön die Schilder präsentieren." (Foto-Klicken) "Und jeder, der ne Hand frei hat, macht ne Faust, so kämpferisch" (lachen; Fotoklicken). "So prima. Danke!" (Regievorschlag: OT 11 unter Erzählerintext laufen lassen) Erzählerin: Vor dem Haupteingang macht ein Fotograf von Verdi ein paar Bilder von Amin, den Kolleg*innen und den anderen Unterstützer*innen. Jemand hat eine Verdi-Fahne mitgebracht. Murat hält in seiner Hand ein weißes Din A3-Blatt, auf dem groß geschrieben steht: "Foot Locker sieht das Arbeitsrecht sehr locker!". Amin wirkt erleichtert, auch wenn er vermutet, dass dem Eilantrag nicht stattgegeben wird. O-Ton 12 (Amin Barakat) "Na, die einstweilige Verfügung war ja dafür da, dass ich wiederbeschäftigt werde, also sofort wiederbeschäftigt werde, weil aktuell bin ich raus und arbeite nicht, verdiene somit auch nichts. Man geht an sein Erspartes, aber irgendwann ist es auch zu Ende. Der Hauptprozess wird ja etwas länger dauern. Und naja, das ist ja jetzt ein Ausdauerlauf. Das heißt für mich jetzt gerade: Zähne zusammenbeißen und durchhalten." Erzählerin: Amin will kämpfen. Er glaubt, es geht Foot Locker nicht um ihn persönlich, sondern um seine Rolle im Betrieb. O-Ton 13 (Amin Barakat) "Man kennt mich da ja, man kennt mich als aktiven Betriebsrat. Man kennt mich auch, dass ich auch manchmal meine Meinung klar und deutlich sage. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass an mir so ein Exempel statuiert werden soll, und das gefällt mir nicht." Erzählerin: Amin berichtet, es habe in der Vergangenheit in anderen Filialen schon Fälle gegeben, bei denen Betriebsräte oder aktive Beschäftigte außerordentlich gekündigt worden seien. Foot Locker habe es dann geschafft, die Betriebsräte zu zermürben und am Ende mit einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht zum Einknicken zu bringen, sagt er. Das soll dieses Mal unbedingt anders ausgehen. O-Ton 14 (Gruppe) Sprechchor: "Amin muss bleiben" (Regievorschlag: OT 14 unter folgendem Erzählerintext laufen lassen) Erzählerin: Sogar der RBB ist mit einem Kamerateam gekommen und macht Aufnahmen von Amin und seiner Unterstützergruppe. Die Abendschau berichtet über das Ergebnis der Verhandlung. O-Ton 15 (RBB-Abendschau vom 15.7.22) "(Musik Abendschau) "Kurz vor dem Wochenende erfahren Sie bei uns noch einmal alles wichtige aus Berlin. Schön, dass Sie mit dabei sind." "Herzlich willkommen zur Abendschau." // (Sprechchor: Amin muss bleiben") "Vor dem Arbeitsgericht hat heute ein Sportschuhverkäufer gegen die Handelskette Foot Locker geklagt - und verloren. Die amerikanische Firma hatte den Betriebsrat außerordentlich gekündigt. Ein Eilantrag auf sofortige Wiedereinstellung bis zum ordentlichen Gerichtsverfahren im Oktober wies das Gericht nun ab. Für einen Sieg im Herbst stehen die Chancen wohl gut. Bis dahin erhält der Betriebsrat allerdings kein Gehalt." (Regievorschlag: Akustischer Trenner) Erklärer: Das, was Murat und Amin Foot Locker vorwerfen, ist Union Busting. Was das genau ist, weiß ein Mann, der in einem Büro in Frankfurt am Main sitzt. O-Ton 16 (Friedrich Bossert) "Mein Name ist Friedrich Bossert. Ich arbeite bei der IG Metall in der Vorstandverwaltung." Erklärer: Wir treffen ihn im sogenannten "roten Turm", der Zentrale der IG Metall. Friedrich Bossert arbeitet seit 2015 beim IG Metall Vorstand. Seit 2019 gehört er der Task Force Union Busting an. Union Busting kommt aus dem Englischen und heißt übersetzt so viel wie "Gewerkschaftszerstörung." O-Ton 17 (Friedrich Bossert) "Nun haben wir in Deutschland ein besonderes System der Interessenvertretung. Das heißt Beschäftigte können in den Betrieben und sollen in den Betrieben ihre Vertretungen wählen, die Betriebsräte und -rätinnen. Und deswegen richtet sich in der Regel Union Busting in Deutschland nicht nur gegen die Gewerkschaft, sondern auch gegen die Mitbestimmung als solche, gegen den Betriebsrat." Erklärer: Eine Form von Union Busting sei auch die Einsetzung sogenannter gelber Betriebsräte, die dann im Betriebsrat die Interessen der Arbeitgeber vertreten. Ziel von Union Busting sei, dass die Beschäftigten nicht mehr in der Lage sind, ihre Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen und sich für gute Arbeitsbedingungen einzusetzen. O-Ton 18 (Friedrich Bossert) "Es geht am Ende ganz knallhart um ökonomische Interessen und gegen die Rechte und Interessen der Beschäftigten und die Methoden - und das ist schon etwas Besonderes am Union Busting - die Methoden, die dabei angewendet werden, sind in der Regel äußerst brutal." Erklärer: Brisant werde das Ganze auch dadurch, dass sie Zahl der Betriebsräte in Deutschland kontinuierlich sinkt, es also immer weniger Mitbestimmung am Arbeitsplatz gibt. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung schreibt in einer Studie, dass 2010 noch 44 Prozent aller Beschäftigten in Betrieben mit Betriebsrat beschäftigt waren. Dies galt im Jahr 2022 nur noch für 39 Prozent in Westdeutschland und sogar nur noch für 34 Prozent der Betriebe in Ostdeutschland. Auch Union Busting könnte dazu beitragen, dass immer weniger Beschäftigte in Deutschland demokratisch gewählte Vertreter in ihren Betrieben haben. (Regievorschlag: Kleiner akustischer Trenner) Erzählerin: Murat fängt schon lange vor Amin bei Foot Locker an zu arbeiten und zwar in den 1990er Jahren. Der damals 23-jährige gelernte Herrenausstatter bewirbt sich - und wird genommen. O-Ton 19 (Murat Atas) "Na, das war der 01.06.98. Da habe ich bei Foot Locker angefangen, als Teilzeitmitarbeiter, also zu der Zeit war es auch echt leicht, noch einen Job zu kriegen bei Foot Locker. Ich hatte den Personalbogen ausgefüllt und wurde dann wirklich direkt eingestellt, war frisch verheiratet, knappes Jahr oder so und war natürlich für mich wichtig, dann halt so schnell wie möglich einen festen Vollzeitjob zu kriegen." Erzählerin: Den bekommt er schnell, denn sein Chef ist sehr zufrieden. Murat auch. O-Ton 20 (Murat Atas) "Es war super Arbeitsklima auf jeden Fall. Die Leute waren super damals, man hat gern gearbeitet. Also meine ersten fünf Jahre gingen wie im Flug vorbei. Hab ne Menge für Foot Locker gemacht und bin dann auch irgendwann 2003 zum Assist Manager promotet worden. Es ist stellvertretender Filialleiter Posten." Erzählerin: Murat schiebt gerne mal Extraschichten und seine Filiale läuft gut. Es ist der Vorzeige-Store von Foot Locker in Berlin - in der Tauentzienstraße, das ist die Einkaufsstraße im Westen Berlins, die nach der Gedächtniskirche zum Kudamm wird. Dort fängt 2012 auch Amin an. Er ist damals 19. O-Ton 21 (Amin Barakat) "Wir haben Spaß gehabt. ((Wir waren...)) Wir hatten, ich muss sagen, einen coolen Ruf gehabt, gerade Tauentziehnstraße, kleiner Store, aber sympathischer Retro gehaltener Store. Es war irgendwie schön, wir hatten unsere Stammkunden und ich habe die Zeit sehr, sehr positiv noch in ((Erinn)) Erinnerung." Erzählerin: Es läuft gut für Murat und Amin bei Foot Locker. Doch dann ändert sich das Arbeitsklima. O-Ton 22 (Murat Atas) "Ich habe dann mehr mitbekommen, wie sich Foot Locker verändert. Und da haben wir halt auch gemerkt, auch mit den Kollegen, die damals am Tauentzien gearbeitet haben, irgendwas passiert hier." Erzählerin: Im Mai 2013 schluckt Foot Locker die Laufschuh-Kette Runners Point. Runners Point hat zu dem Zeitpunkt mehr als 200 Filialen in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz. Foot Locker weltweit mehr als 3.000 Filialen. Die Fusion sorgt wenig später für Unruhe. Die Verträge der Runners Point-Beschäftigten und der Foot Locker-Beschäftigten sollen angeglichen werden - Foot Locker-Beschäftigte befürchten, dass das für sie eine Verschlechterung bedeuten könnte. Das ist der Auslöser: Die Beschäftigte im Store in der Tauentzienstraße gründen 2016 den ersten Betriebsrat von Foot Locker in Deutschland. Murat ist da am Anfang noch nicht mit dabei. Er arbeitet damals in einem anderen Store, hält aber Kontakt zu den Kolleg*innen in der Tauentzienstraße - zum Beispiel zu Amin. Sie wollen, dass auch Murat aktiv wird. O-Ton 23 (Murat Atas) "Die haben halt auch nicht lockergelassen. Also die haben wirklich immer wieder gesagt: Hey komm, wir brauchen dich, weil die wussten genau, was ich auch für ein Typ Mensch bin und wie ich dann auch die Leute auch motivieren kann ((wie gesagt)) und dann halt auch Leute mitreißen kann." Erzählerin: Und so gründet Murat auch in seiner Filiale einen Betriebsrat. Später wird er sogar zum Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Betriebsräte aller Foot Locker Stores in Deutschland gewählt. Sie feiern erste Erfolge: Verhindern unter anderem eine neue Überstunden-Regelung, die viele Beschäftigte gestört hat. Das Verhältnis zur Geschäftsleitung dagegen ist von Anfang an angespannt - besonders in Berlin, wo Murat von seinem neuen Store aus eng mit seinen früheren Kollegen in der Tauentzienstraße zusammenarbeitet. (Regievorschlag: Kleine Zäsur) Erzählerin: So richtig Fahrt nimmt die Auseinandersetzung zwischen Foot Locker und dem Betriebsrat im Jahr 2020 auf. Die Corona-Pandemie und die verordneten Schließungen belasten alle. Der Streit entzündet sich dann aber an einer vermeintlichen Kleinigkeit: Es geht um die Mitarbeitertoilette im Store in der Tauentzienstraße, wo Amin arbeitet. Lange Zeit mussten die Mitarbeiter die Toilette selbst putzen, bis der Betriebsrat gegenüber Foot Locker durchsetzte, dass das eine externe Reinigungskraft macht. Doch die kommt im Herbst 2020 auf einmal nicht mehr, erinnert sich Amin. O-Ton 24 (Amin Barakat) "Und daraufhin haben wir mal nachgefragt. Da hieß es: Ja, die gibt es halt nicht mehr und wir haben jetzt noch keine neue gefunden. Naja, das ist aber Mitbestimmungspflichtig, ihr müsst mit uns das ja absprechen, damit wir halt im Boot sind, die Belegschaft muss da auch irgendwie Bescheid wissen." Erzählerin: Foot Locker sagt zum Betriebsrat, man werde sich darum kümmern und ein Inserat bei Ebay einstellen. Den Beschäftigten und dem Betriebsrat geht das viel zu langsam. O-Ton 25 (Amin Barakat) "Die Sanitäranlagen, also gerade die Toiletten, die waren in einem Zustand. Wenn man sich vorstellt: Wir waren fast 40 Personen. 40 Personen auf die Woche hin gehen regelmäßig auf die Toiletten, ihr könnt euch vorstellen, wie die dann aussehen - nach mehreren Wochen nicht reinigen. Da haben sich schon so grüne Sachen gebildet, also, ihr könnt es euch schon glaube ich bildlich vorstellen und hat dementsprechend auch gerochen." Erzählerin: Auch Murat schaltet sich als Gesamtbetriebsratsvorsitzender ein. O-Ton 26 (Murat Atas) "Und irgendwann hat der Betriebsrat gesagt: Ey, wir können so die Dienstpläne nicht abnehmen, wenn hier nicht eine Reinigungskraft die sanitären Anlagen reinigt. Das ist ja legitim, das ist nicht unsere Aufgabe. Die Arbeitsstättenverordnung sieht das vor, dass diese von der Arbeitgeberin gereinigt werden müssen." Erzählerin: Ohne Dienstplan stünde die Filiale still. Der Konflikt um die dreckigen Toiletten spitzt sich zu. O-Ton 27 (Murat Atas) "Und dann hat die Arbeitgeberin angefangen, mit den Gehältern zu drohen, wo natürlich dann viele der Mitarbeiter natürlich auch panisch wurden und es war da schon ein Punkt, wo wir gesagt haben: Okay, die Arbeitgeberin geht jetzt mit extremeren Maßnahmen gegen die Betriebsratsarbeit vor." Erzählerin: Foot Locker droht in einer Mail an die Beschäftigten in der Tauentzienstraße, binnen weniger Tage die Gehälter einzufrieren. Sprecher Leider sind wir wegen des Grundsatzes "ohne Arbeit kein Lohn" gezwungen, Eure Gehälter ab dem 16.11. nicht mehr zu zahlen. Dies bedeutet, dass Ihr mit dem November Gehaltslauf nur das Gehalt bis zum 15.11.2020 erhaltet, weitere Gehaltszahlungen und auch Sonderzahlungen werden daher nicht mehr geleistet. Erzählerin: Die Mail sorgt für schlechte Stimmung. Wenn von heute auf morgen die Gehälter auszufallen drohen, wäre das nicht nur in Zeiten einer Pandemie ein Problem für Beschäftigte, die ohnehin nicht gerade üppige Gehälter haben. In letzter Sekunde gibt es einen Ausweg. O-Ton 28 (Amin Barakat) "Ganz großen Dank an die damalige Kollegin von uns, die sehr schnell auch im Freundeskreis jemanden gefunden, die meinte: Ich habe da jemanden, die könnte morgen anfangen, damit sich das hier löst so." Erzählerin: Damit ist der Konflikt erst einmal entschärft, aber beim Betriebsrat und der Belegschaft hallen die Drohungen, die Gehälter einzufrieren, nach. Amin und Murat nehmen das Verhalten der Geschäftsführung als Versuch wahr, einen Keil zwischen Belegschaft und Betriebsrat zu treiben. O-Ton 29 (Friedrich Bossert) "Alles, was wir wissen und alle Zahlen und alle Untersuchungen, die es dazu gibt, deuten darauf hin, dass es tatsächlich ((kein)) keine Einzelfälle sind, die wir da kennen. Und dass es tatsächlich ein Phänomen ist, dass sich mittlerweile über alle Branchen und alle Regionen auch immer wieder feststellen lässt." Erklärer: Auch wenn offizielle Angaben fehlen, gibt es aussagekräftige Zahlen. 2020 hat das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) flächendeckend Geschäftsstellen verschiedener deutscher Gewerkschaften ausgewertet. Dort heißt es: Sprecherin: "Sehr direkte und konfrontative Maßnahmen wie die Kündigung von Betriebsratskandidaten (...) erwiesen sich (...) als weit verbreitet. Betriebliche Strukturveränderungen als Maßnahme gegen eine Betriebsratswahl kommen zwar vergleichsweise selten vor, dennoch ist bemerkenswert, dass Arbeitgeber selbst vor einer gezielten Reorganisation oder Aufspaltung des Betriebs oder gar der Schließung bzw. der Verlagerung des Betriebs nicht zurückschrecken." Erklärer: 172 Geschäftsstellen haben dem WSI auf ihre Fragen geantwortet - 84 Arbeitgeber hätten laut der der Studie ihren Betriebsräten gekündigt. Sollte das Motiv für die Kündigungen tatsächlich die jeweilige Betriebsratsarbeit gewesen sein, so hätten sich die Arbeitgeber eigentlich strafbar gemacht. Denn diese Maßnahmen sind nicht nur Verletzungen der Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes, sie sind auch Straftatbestände in Deutschland. Das Problem ist, dass Union Busting schwer nachzuweisen ist. Und sehr subtil beginnt. Erzählerin: Bei Murat und Amin eskaliert es im April 2021. Ort des Geschehens ist einmal mehr die Tauentzienstraße. Wieder ist es eine Mail, die für Unruhe unter den Beschäftigten sorgt. Adressiert ist sie an den Betriebsrat. Sprecher "wie eben mit Murat besprochen u¨bersende ich Euch per Email die unternehmerische Entscheidung der Schließung der Foot Locker Filiale 3255 Tauentzienstraße. Den Gesamtbetriebsrat werde ich heute im Laufe des Tages ebenso informieren und die na¨chsten Schritte zu den Beratungen mit dem Betriebsrat fu¨r einen Interessenausgleich und Sozialplan einleiten. Ich bitte um eine kurze Bestätigung des Erhalts dieser Email. Regards, Martin" O-Ton 30 (Amin Barakat) "Ein Faustschlag, wirklich so ein Faustschlag ins Gesicht, mitten in einer Pandemie. Alle haben irgendwie sowieso Existenzängste. Und dann hieß es noch so: Ach so, übrigens wir schließen euren Store und alle werden gekündigt." Erzählerin: Foot Lockers offizielle Begründung: Der Store sei nicht mehr rentabel gewesen. Doch daran gibt es Zweifel: Der Betriebsrat habe damals eine Sachverständige eingesetzt, die nach Sichtung der Zahlen zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es in Berlin noch andere Stores gegeben hätte, die weniger rentabel gewesen seien. Amin und seine Kolleg*innen sind sich sicher: Foot Locker möchte den Store schließen, weil dort der Betriebsrat sehr stark war. Auch Murat ist involviert. O-Ton 31 (Murat Atas) "Ich war entsetzt. Also ich hatte schlaflose Nächte. Ich wusste genau, dass ich das als Betriebsratsvorsitzender damals auch verhandeln ((werden muss oder werden)) werde. Und es war kein gutes Gefühl, wenn du nicht weiß, wo kommen deine Mitarbeiter hin." Erzählerin: In diesen Tagen gibt es für den Betriebsrat viel zu tun: Einerseits geht es um einen Sozialplan für die Beschäftigten. O-Ton 32 (Murat Atas) "Parallel dazu haben wir mit unserer Gewerkschaft auch Protestaktionen gestartet vorm Store, mit Plakaten, Instagram Stories und wirklich richtig mit Radau und Flugblätter." (Regievorschlag: Vielleicht den Musik-Titel finden, der dem Video unterlegt ist und die Musik schon vorher einblenden) Erzählerin: Slogan der Kampagne: Save Your Stripers - Rette die Stripers - so werden Foot Locker-Verkäufer aufgrund ihrer markanten Arbeitskleidung mit den schwarzen Streifen auf weißem Grund genannt. Auf Instagram veröffentlichen Sie einen Clip, mit dem sich die Beschäftigten direkt an die Kunden wenden. O-Ton 33 (Instagram) "Save Your Striper! Save Your Stripers! Save Your Stripers! Save Your Stripers! Save Your Stripers! Save Your Striper! Save Your Stripers! Save Your Striper! Save Your Striper!" (mit beatlastiger Musik unterlegt, Collage verschiedener Stimmen) Erzählerin: Amin und seine Kolleg*innen veröffentlichen auch ein Video einer Kundgebung vor dem geschlossenen Store. Zu sehen sind Verdi-Fahnen, ein paar Dutzend Leute mit Masken - und am Mikro Amin. (Regievorschlag: Kundgebung-Collage mit Musik unterlegen? Gibt leider keine Atmo) O-Ton 34 (Kundgebung, Amin am Mikro) "Wie kann es sein, dass ausgerechnet der Store, in der erste Betriebsrat Berlins gegründet wurde, der für seine Mindestrechte kämpfe und nein zu unfairen Arbeitsverhältnissen und nein zu Rassismus sagte, heute geschlossen hat und alle Kolleginnen und Kollegen vor die Tür gesetzt wurden? Wir sind mehr als nur eine Personalnummer, es sind Gesichter, Menschen und Individuen, die allesamt Foot Locker so erfolgreich gemacht haben und weiterhin so erfolgreich machen. Wir sind Foot Locker. Save Our Stripers. Dankeschön. (Applaus)" Erzählerin: Es hilft aber nichts. Der Store in der Tauentzienstraße 18a bleibt dicht. O-Ton 35 (Murat Atas) "Das war ein Zeichen für die Betriebsräte in Deutschland bzw. in Berlin, mit welchen Mitteln Foot Locker gegen Betriebsräte vorgeht. Mit allen Mitteln, einfach mit allen Kosten. Es war denen einfach egal. Das war ein starker Betriebsrat, den wollten sie loswerden und das hatten sie dann zu der Zeit geschafft." Erzählerin: Was sagt Footlocker dazu? - Wir haben das Unternehmen mehrfach um ein Interview gebeten und detailliert mit den Vorwürfen von Amin und Murat konfrontiert. Aber das Unternehmen war zu keiner Stellungnahme bereit. (Regievorschlag: Akustischer Trenner) Erklärer: Unternehmen hätten ein Interesse daran, die Arbeit der Betriebsräte einzuschränken, sagt Jessica Reisner. Sie hat die Initiative "Aktion gegen Arbeitsunrecht" mitgegründet. Der Verein unterstützt seit 2014 Beschäftigte in Deutschland, die von Union Busting betroffen sind. Wir sprechen mit ihr über Zoom. Dass ein Konzern offenbar sogar bereit ist, eine funktionierende Filiale zu schließen, um einen aktiven Betriebsrat loszuwerden, verwundert sie nicht. O-Ton 36 (Jessica Reisner) "Ja, also bei Union Busting, das ist ja der Witz, bei Union Busting geht es nicht um Geld. In Wirklichkeit ist es ((aber)) so, dass genau diese Unternehmen enorme Geldsummen in die Hand nehmen, um Kanzleien durchzufüttern, die ihnen dabei helfen, Mitbestimmungsgremien im Sinne eines Betriebsrates zu verhindern. Es ist denen das Geld wert und sie geben es gerne aus, weil es was mit einer Machtfrage zu tun hat." Erklärer: Union Busting ist eigentlich ein Konflikt im Betrieb. Der Konflikt mit Foot Locker findet für Amin und Murat aber vor allem vor Gericht statt. Den Konflikt dorthin zu verlegen sei Kalkül und gehöre zur Strategie. O-Ton 37 (Jessica Reisner) "Die Unternehmen können diese ganzen Konflikte auf juristischer Ebene locker aussitzen. Das wird als Betriebsausgabe gewertet. Steuermindernd, nachher noch irgendwie verwurstet. Die Beschäftigten aber, die sitzen zu Hause und haben ganz existenzielle Probleme. Die können es nicht so locker aussitzen." Erklärer: Für Friedrich Bossert geht es den Arbeitgebern auch um etwas anderes. O-Ton 38 (Friedrich Bossert) "Bis das Verfahren dann zu Ende ist, wenn wir Erfolg haben, dann ist leider eben das, was der Arbeitgeber erreichen wollte, manchmal schon erreicht. Und zwar, dass die Kolleginnen und Kollegen sich mittlerweile alle gegenseitig misstrauen, dass es keine Unterstützung mehr für den Betriebsrat gibt, für die IG Metall gibt, für die Gewerkschaft gibt und der Arbeitgeber in diesem Kontext das, was er eigentlich wollte, längst durchsetzen konnte beispielsweise den Betrieb zu verkleinern, Abteilungen abzubauen und zu verkaufen zu nem hohen Preis." Erzählerin: Magdeburger Platz, das Berliner Arbeitsgericht. Es ist inzwischen Oktober 2022 - heute ist Amins Hauptverhandlung. Vor drei Monaten wurde hier Amins Eilantrang abgewiesen, der Richter hatte aber durchblicken lassen, dass seine Chancen in der Hauptverhandlung nicht schlechten stünden. Eigentlich gäbe es also Grund zum Optimismus, aber die letzten Monate haben Spuren bei Amin hinterlassen. (Regiehinweis: Bei OT 39 habe ich vorher und nachher noch ein paar Sekunden Atmo gelassen) O-Ton 39 (Amin Barakat) "Ich möchte, dass sich etwas verändert, ich möchte, dass ein Zeichen auch gesetzt wird und ich möchte einfach Recht bekommen. Und auf der anderen Seite denke ich mir: Naja, und ich merke wie es auch an meine Substanz geht, wie viel Stress es ist, ja, wie es einfach müde macht und fertigmacht. Ja und das ist so eine Sache, warum ich jetzt auch sage, vielleicht sollte man irgendwann sagen: Ja, es reicht jetzt einfach." Sprecherin: Berliner Arbeitsgericht, 23. Oktober 2022, Raum 513. Amin Barakat gegen Foot Locker Germany GmbH und Co. KG. (Regievorschlag: Spezielle wiederkehrende Gerichtsmusik) Erzählerin: Diesmal ist Amin mit seinem Anwalt und uns alleine vor Gericht. Die Verhandlung dauert länger als geplant. Es geht hin und her zwischen dem Anwalt von Foot Locker und Amins Anwalt von Verdi. Amin selbst sagt, wie unglücklich er darüber sei, dass man sich hier nun vor Gerichten streiten müsse, was er zu welcher Uhrzeit an welchem Tag genau gemacht habe, dass man alles hätte doch klären können. Seine Stimme wird brüchig. Der Richter hört genau zu und fragt nach. In Richtung Foot Locker sagt er mit strenger Stimme, es sei Aufgabe des Arbeitsgebers, die Arbeitszeit zu erfassen und lässt durchblicken, dass Foot Locker bei einem Urteil Amins Kündigung wohl wieder zurücknehmen müsste. Und dann fragt der Richter, ob denn auch ein Vergleich möglich wäre. Als der Richter im Verfahrung um den Eilantrag drei Monte vorher diese Frage gestellt hatte, lehnte Amin noch entschieden ab. Heute sieht er das anders. Angebote werden ausgetauscht. Beide Seiten fangen an zu rechnen. Die Sitzung wird mehrfach unterbrochen. Amin und sein Anwalt beraten sich. Am Ende steht ein Vergleich. (Regievorschlag: Ende Gerichtsmusik) O-Ton 40 (Amin Barakat) "Es war so ein hin und her und du hast ja auch gefragt, ob ich mir einen Vergleich vorstellen könnte. Ich war dann ja noch zwiegespalten, aber wenn man wirklich davor sitzt, dann kommen die Emotionen, die Rationalität ist irgendwie komplett weg, aber dann hat es sich doch im Endeffekt richtig angefühlt, jetzt zu sagen: OK, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen. Vergleich - und ein Ende jetzt zu haben. Das ist das, was mich jetzt gerade erleichtert (Regievorschlag: Trenner) Erklärer: Jessica Reisner vom Verein gegen Arbeitsunrecht beobachtet seit vielen Jahren, wie engagierte Betriebsräte abgefunden werden. O-Ton 41 (Jessica Reisner) "Sie hinterlassen absolut verbrannte Erde. In der Belegschaft kann zu Recht danach der Mythos gefahren werden: Seht ihr, die wollen nur ihren Hintern in Sicherheit bringen, sich finanziell absichern, die wollen sich bereichern. In diesen Betrieben ist glaube ich auf Jahre kein guter Boden mehr für weitere Betriebsratsgründungen." Erklärer: Die Abfindungszahlungen seien nicht nur schlecht für die Belegschaft, auch die betroffenen Betriebsräte würden einen hohen Preis bezahlen, weil sie danach alleine dastünden, weil sie raus aus dem Betrieb seien, wo sie sich vorher für die Kollegen eingesetzt haben oder weil sie oft durch Schweigeklauseln daran gehindert würden, überhaupt über das zu sprechen, was ihnen widerfahren ist. O-Ton 42 (Jessica Reisner) "Wir haben schon Leute kennengelernt, die sind darüber komplett vor die Hunde gegangen, im Grunde im Nachhinein. Und das kann für die Psyche sehr, sehr schlimm und belastend sein." Erklärer: Neben den Arbeitsgebern hätten auch die Anwälte, die Gewerkschaften sowie die Richter*innen ein Interesse an Vergleichen. O-Ton 43 (Jessica Reisner) "Die Richter brauchen kein Urteil zu schreiben. Sehr praktisch. Es ist einfach weniger Arbeit und mitunter lukrativ. Und die beteiligten Gewerkschaften können sich möglicherweise auch noch auf die Fahne schreiben oder schreiben sich möglicherweise auch noch auf die Fahne: in diesem Fall haben wir geholfen." Erklärer: Jessica Reisner und ihr Verein Arbeitsunrecht e.V geraten immer wieder mit den Kanzleien aneinander, wenn sie diese öffentlich kritisieren. Die Kanzeleien würden lieber im Hintergrund agieren, so Reisner. O-Ton 44 (Jessica Reisner) "Wir sagen ja wer ist hier Roß und wer ist Reiter? Wer sind die Täter? Ganz klar, weil wir auch davon ausgehen, dass sich hier Unternehmer und beratende Kanzleien zu Straftaten verabreden. Behinderung der Betriebsratsarbeit ist eine Straftat. Erklärer: Wie genau Arbeitgeberanwälte arbeiten und wo Graubereiche anfangen könnten von Rechtsberatung zu Union Busting, das wollten wir natürlich gerne herausfinden. Doch trotz monatelanger Anfragen bei verschiedenen Kanzleien, erhalten wir nur Absagen. Erzählerin: Inzwischen befindet sich auch Murat in einem Rechtsstreit mit Foot Locker. Ein paar Wochen vor der Gerichtsverhandlung von Amin kommt heraus, dass Foot Locker versucht, auch ihn loszuwerden. Auch hier der Vorwurf: Arbeitszeitbetrug - wie bei Amin. Foot Locker wirft Murat vor, seine Arbeitszeiten würden nicht stimmen. Da Murat noch Betriebsrat ist und der Betriebsrat der Kündigung von Murat nicht zustimmt, klagt Foot Locker vor dem Arbeitsgericht. "Kündigungsersetzungsverfahren" nennt sich das. Im Schriftsatz an das Gericht listet Foot Locker haargenau auf, warum ihrer Ansicht nach Murats Arbeitszeit nicht stimmen kann. Zum Beispiel am 3. Mai. Sprecher Angaben des Beteiligten: 7,5 Stunden Mails bearbeitet, Telefonate geführt, belesen von Themen zur Wahlbegleitung, Büro Ablagen sortiert, Vorbereitung Betriebsratssitzung. - Kommentar: "Es bleibt zunächst in zeitlicher Hinsicht unklar, wie diese wenigen Standardaufgaben beachtliche 7,5 Stunden gedauert haben sollen." O-Ton 45 (Murat Atas) "Foot Locker versucht uns immer dahin zu drängen, dass wir wirklich wenig Betriebsratsarbeit machen, aber diese Zeiten brauchst du einfach. Also du kannst nicht eine Betriebsratswahl schnell zack zack zack durchziehen, da musst du gewisse Emails verfassen, du musst gewisse Emails verschicken. Dann willst du dich mit dem Gremium noch mal bequatschen. Also es war wirklich eine Menge zu tun." Erzählerin: Nicht nur an den Zeitangaben stört sich Foot Locker. In der Antragsschrift an das Gericht heißt es: Murat hätte als Betriebsrat seines Stores eigentlich nur knapp vier Stunden pro Woche Betriebsratsarbeit verrichten dürfen. Allerdings: Murat war zu diesem Zeitpunkt nicht nur Betriebsrat, sondern er war auch Gesamtbetriebsratsvorsitzender eines Unternehmens, das mehr als 1000 Beschäftigte in Deutschland hat. (Regievorschlag: Trenner) Erklärer: Nach ein paar Monaten haben wir doch noch einen Arbeitgeber-Anwalt erreicht, der sich bereit erklärt, mit uns zu sprechen. (Regievorschlag: OT 46 (Vier Mal Telefontuten) unter Erklärer-Text legen; evtl. anderes Tuten aus Geräuscharchiv nehmen) O-Ton 46 (Telefontuten/Naujoks) "Naujoks." Erklärer: Helmut Naujoks ist Anwalt für Arbeitsrecht. O-Ton 47 (Helmut Naujoks) "Ich bin Rechtsanwalt, habe meine Anwaltskanzlei vor 25 Jahren gegründet hier in Deutschland und bin sehr, sehr stolz, dass ich seit 25 Jahren ausschließlich Arbeitgeber in Deutschland im Arbeitsrecht vertreten darf." Erklärer: Naujoks ist bekannt geworden, weil Medien ihn "den Rausschmeißer" genannt haben. O-Ton 48 (Helmut Naujoks) "Meine Mandantschaft ruft mich an, wenn seit über vielen Jahren ein Konflikt zwischen Betriebsrat, Gewerkschaft einerseits und andererseits mit dem Arbeitgeber besteht. Es geht in der Regel immer um sehr heftige Fälle, es geht um Machtmissbrauch. Und hier trete ich für die Position des Arbeitgebers ein." Erklärer Seit vielen Jahren gibt es Vorwürfe gegen ihn, dass er von den Arbeitgebern gerufen würde, um gezielt Betriebsratsarbeit zu verhindern. Wir konfrontieren ihn mit diesen Vorwürfen. O-Ton 49 (Helmut Naujoks) "Na ja, gut, das wäre eine Straftat. Also, ich berate keine Straftaten. In Deutschland ist das klar geregelt, dass Betriebsräte in Unternehmen sich gründen dürfen. Und wenn ich berate, dann berate ich das, dass alle Wahlvorschriften nach der Wahlordnung, nach dem Betriebsverfassungsgesetz eingehalten werden." Erklärer: Helmut Naujoks sagt, er hat kein Problem mit Betriebsräten generell, sondern nur mit solchen, die ihre Macht missbrauchen würden. O-Ton 50 (Helmut Naujoks) "Ich habe einen solchen Missbrauch erlebt, dass Betriebsräte gar nicht mehr ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeit nachgegangen sind, sondern immer vorgegeben haben: Oh, jetzt habe ich aber keine Zeit für meine normale Arbeit, weil ich muss jetzt ganz dringend Betriebsratsarbeit leisten. Das ist ein Riesenthema in den Betrieben deutschlandweit und ist ein schönes Beispiel für Machtmissbrauch von Betriebsräten aus." Erklärer: Er plane ein Buch mit dem Titel "Vom Betriebsrat zum Millionär" zu schreiben, erzählt er uns. O-Ton 51 (Helmut Naujoks) "Das Betriebsverfassungsgesetz kann in Deutschland so missbraucht werden, wenn man es professionell einsetzt und sagt: ich ärgere den Unternehmer so lange, bis er irgendwann einmal auf mich zukommt und sagt: Ich will jetzt die Trennung haben. Und dann sagt natürlich der Arbeitnehmer: Oh, dann freue ich mich aber über die höchstmögliche Abfindungssumme." Erklärer: Ein Buch, das Naujoks schon geschrieben hat: "Die Kündigung der Unkündbaren". O-Ton 52 (Helmut Naujoks) "Es gibt keine Betriebsräte, die per Gesetz unkündbar sind, weil es das nicht gibt. Das Bundesverfassungsgericht, das ist unser höchstes Gericht in Deutschland, hat ganz klar gesagt: Es gibt keine unkündbaren Arbeitnehmer in Deutschland, und dazu zählen auch Betriebsräte." Erklärer: Auch Murat und Amin werden bald feststellen, was der Kündigungsschutz für Betriebsräte wirklich wert ist. (Regievorschlag: Trenner) Erzählerin: Es ist inzwischen Dezember 2022. Der Murat, der uns im Dezember gegenübersitzt, ist ein anderer als der vom Sommer. O-Ton 53 (Murat Atas) "Es geht schon einen an die Substanz. Also du bist total unmotiviert. Ich bin ja sonst immer regelmäßig gejoggt auch, aber mittlerweile schaffe ich nicht mal manchmal, wirklich. Alle paar Tage dusche ich nur noch, weil macht ja nichts, bewegt sich ja kaum. Die normalen Sachen fallen mir schon schwer: die Wohnung saubermachen oder sonstige Sachen. Das ist ja so ein schleichendes Verfahren, sag ich mal, es zieht sich so langsam hin, so. Ich sag mal so, wenn ich nicht mit meiner Psychotherapeutin reden würde, glaube ich, würde mich das noch viel mehr runterziehen." Erzählerin: Nicht nur das Gerichtsverfahren, über das Foot Locker Murat kündigen will, macht ihm zu schaffen. Foot Locker hat ihm auch einen Teil seines Gehalts nicht gezahlt. Mehr als 4.000 Euro. O-Ton 54 (Murat Atas) "Ich bin froh, dass ich meine Familie und Freunde habe, die mich dann finanziell auch unterstützt haben. Trotzdem konnte ich ((wie gesagt)) meinen Kredit nicht zahlen. Meine Schufa ist schlechter geworden. Gesundheitlich gesehen: nervliche Belastung. Mein Auge zuckt nonstop. Ein Magengeschwür hatte ich gehabt, schlaflose Nächte ist an der Tagesordnung. Ich kann vor morgens drei, vier Uhr nicht schlafen." Erzählerin: Rechnungen, die nicht gezahlt werden können; Sorgen, ob er Geld für die Wohnung auftreiben kann, in der Murat lebt - gemeinsam mit seinem Sohn. O-Ton 55 (Murat Atas) "Es ist für mich halt sehr schwer so, auch wenn, wenn du ein eigenes Kind dass was seine Ausbildung macht und da wird es ja auch ein Vorbild sein. So und die Vorbildfunktion fehlt. Und so kommen auch schon mal so Gedanken wie Suizid auch mal so jemandem durch den Kopf. So weißt du, wenn du überlegst, wo 25 Jahre alles lief reibungslos und auf einmal kannst du deine Miete nicht zahlen." Erzählerin: Bis zur Gerichtsverhandlung sind es noch zwei Monate. Vier sind bereits vergangenen, seitdem Foot Locker versucht, Murat zu kündigen. O-Ton 56 (Murat Atas) "Das Warten einfach, das zermürbt ja einen. Du wartest, bis deine Verhandlung da ist und du denkst ja auch immer wieder darüber nach: Hey, was ist denn, wenn du diese Verhandlung verlierst, ja? Dieser Gedanke ist ja auch da, wo ich ((wie gesagt)) schon genug Unterhaltungen geführt habe, mit Richtern oder auch mit Anwälten, die gesagt haben: Nee, damit kommen sie nicht durch, aber diese Angst einfach, mit der du leben musst, du ja die ganze Zeit." Erzählerin: Murat versucht trotzdem weiterzukämpfen. Auch deshalb hat er einen Strafantrag gestellt. Die Behinderung und Störung der Betriebsratstätigkeit ist nach Paragraph 119 des Betriebsverfahrungsgesetzes eine Straftat. Nun müssen sich Staatsanwälte mit dem Thema befassen. O-Ton 57 (Murat Atas) "Es geht ja auch darum, dass einfach mal recherchiert wird, man vielleicht mal ein paar Befragungen stattfinden und die Leute sollen einfach mal merken, dass da irgendwas passiert, das sie nicht einfach so machen und tun können, weil es gibt ja keine Rechtsgrundlage, dass sie das Gehalt einbehalten haben." Erzählerin: So ist Murat gleich an mehreren gerichtliche Auseinandersetzungen mit Foot Locker beteiligt: an der Kündigungsklage gegen ihn, am Strafantrag, den Murat als Betriebsrat gegen Leute der Geschäftsführung gestellt hat, und an der Klage auf Auszahlung des fehlenden Gehalts. Erklärer: Fridrich Bossert meint: Dieser Druck auf die einzelnen Betriebsräte, der ihren Zusammenbruch herbeiführen soll, sei nicht nur ein Nebeneffekt, sondern eben das eigentliche Ziel von Union Busting. O-Ton 58 (Friedrich Bossert) "Und das Perverse und das muss man wirklich auch so klar benennen, dass das Skandalöse am Union Busting ist, dass das nicht nur in Kauf genommen wird, es wäre ja schon schlimm genug, sondern das wird mutwillig herbeigeführt, wenn die die Skrupellosigkeit, die dahinter ist, die ist tatsächlich die, wenn wir es schaffen, dass wir dieser Betriebsratsvorsitzenden das Leben so zur Hölle machen, dass sie ihre Familie verliert und dann anschließend psychisch zusammenbricht, dann wird die Fähigkeit der Belegschaft, ihre Interessen durchzusetzen, in dem Betrieb auch zusammenbrechen." Atmo 03 (Vor dem Gerichtsgebäude, Vögelzwitschern, ein Auto fährt vorbei) Erzählerin: Ein letztes Mal geht es zum Arbeitsgericht am Magdeburger Platz in Berlin. Heute findet die Verhandlung zur Kündidung von Murat statt. Es ist Februar 2023. Seit dem ersten Termin im Juli 2022, als er noch hier war, um seinen Kollegen Amin zu unterstützen, sind sieben Monate vergangen. O-Ton 59 (Murat Atas) "Es Ist schon eine belastende Zeit gewesen jetzt die letzten Wochen, Monate. Also ich bin schon gut Down auf jeden Fall. Je länger dass es dauert, es wird umso anstrengender und da kann man halt machen was man will, man kommt halt aus diesem Höllenloch einfach nicht raus." Erzählerin: Murat raucht noch eine Zigarette. Von der Entschlossenheit vom Juli, einen Richterspruch zu erzwingen, ist nichts übrig. Amin ist nicht mehr dabei. Auch ein anderer Betriebsratskollege hat nach einem Vergleich mit Foot Locker das Unternehmen verlassen. Übrig seien nun fast nur noch Betriebsräte, die kaum noch in Kontakt mit der Gewerkschaft stünden. Die Frage für Murat ist heute nicht mehr, ob er einem Vergleich zuzustimmen würde. Die Frage ist, ab welcher Summe. Noch am Tag vor der Verhandlung verhandeln beide Seiten. O-Ton 60 (Murat Atas) "Mein Anwalt hatte halt den Anwalt von Foot Locker nochmal angeschrieben und nochmal nachgefragt, wie es aussieht, ob man das außergerichtlich klären kann." Erzählerin: Mit Murats Vorstellung sei Foot Locker aber nicht einverstanden gewesen. O-Ton 61 (Murat Atas) "Ich weiß jetzt nicht, inwieweit der Richter noch einen Einfluss hat auf seine Arbeitgeberin. Ich würde es mir wünschen. Ich muss auch an meine Gesundheit denken, macht keinen Sinn, sich weiter so zermürben zu lassen und weiter so fertigmachen zu lassen, weil es geht schon an die Substanz. Existenziell haben die mich komplett zerstört. Die sind an mein Existenzminimum rangegangen, ohne sich darüber Gedanken zu machen und ohne die Person zu sehen. Ich frag mich bis heute, ob diese Leute einfach kein Gewissen haben, scheint so, die sind Gewissen((s))los. Die denken nur an ihre Zahlen und wer ungemütlich ist, muss weg. Das ist ihre Devise." (Regievorschlag: Spezielle Atmo/Musik für Gericht) Sprecherin: Berliner Arbeitsgericht, 21. Februar 2023, Sitzungssaal 209. Foot Locker Germany GmbH und Co. KG gegen Murat Atas. Erzählerin: Die Verhandlung findet nicht in einem der größeren Räume statt, sondern in einem ganz kleinen Raum. Vier Holzstühle für die Öffentlichkeit, etwa einen Meter hinter einem runden Tisch, an dessen linken Ende Foot Locker und an dessen rechten Ende Murat sitzt. Wie auf dem mittleren Platz einer Rückbank im Auto beobachten wir das Verfahren. Ein kurzer Schlagabtausch zwischen den Anwälten. Und dann die Frage des Richters nach einem Vergleich. Foot Locker könnte sich einen vorstellen. Murat zögert, nickt dann aber auch. Nur über die Höhe gibt es keine Einigung. Der Richter appelliert an beide Seiten. Die Verhandlung wird unterbrochen. Murat berät sich mit seinem Anwalt. Der Foot Locker Anwalt meint, er müsste nochmal telefonieren. Das Budget sei "ausverhandelt". Noch eine Unterbrechung, bevor es weitergeht. Ein langes Schweigen - und dann die Einigung: Ein Monatsgehalt für jedes Jahr seiner Betriebszugehörigkeit - mal 1,3, damit sind auch die ausstehenden Gehaltszahlungen abgegolten. 1,3 ist ein vergleichsweise hoher Faktor bei solchen Einigungen. Das passt zu unserem Eindruck im Gerichtssaal: Bei einem Richterspruch wäre Foot Locker mit der Kündigung von Murat nicht durchgekommen. Offenbar war es das dem Unternehmen wert. 25 Jahre als Verkäufer bei Foot Locker, davon viele Jahre als stellvertretender Filialleiter, sechs Jahre als Betriebsrat - sie enden in einem kleinen Raum im Arbeitsgericht mit einem Gefeilsche um ein paar Tausend Euro. (Regievorschlag: Ende Spezielle Atmo/Musik für Gericht) Erklärer: Murats und Amins Kampf gegen ihre Kündigungen als Betriebsräte ist zu Ende. Vom Kampfgeist im Frühjahr ist im Winter nichts mehr übrig. So laufe das leider immer wieder, sagt Jessica Reisner von der Initiative gegen Arbeitsunrecht. Solange sich auf der politischen Ebene nichts ändere, hätten Betriebsräte wie Murat und Amin kaum eine Chance. O-Ton 62 (Jessica Reisner) "Also wir brauchen das verpflichtende Register von Betriebsratswahlen und Betriebsratsgründungen. Das gibt es in Deutschland bisher nicht. Hier könnte man aber auch mal eine Systematik feststellen, wenn bestimmte Firmen da immer wieder auftauchen, dass da schon zum zweiten oder dritten Mal Betriebsratsgründungen gescheitert sind, dann wären das ja vielleicht auch wichtige Informationen für künftige Arbeitsgerichtsprozesse." Erklärer: Auch beim Strafrecht müsse sich etwas ändern. Zwar ist Betriebsratsbehinderung strafbar, aber in der Praxis würde kaum ermittelt werden. Paragraph 119 des Betriebsverfassungsgesetzes sei ein zahnloser Tiger. O-Ton 63 (Jessica Reisner) "Es gibt ja bislang überhaupt keine nennenswerten Verurteilungen. Dabei steht auf Behinderung der Betriebsratsarbeit immerhin bis zu einem Jahr Gefängnis. Das ist ja eigentlich schon eine ziemliche Hausnummer. Bislang sind aber nur lächerliche Geldstrafen bekannt, wenn überhaupt mal Verurteilungen überhaupt stattgefunden haben." Erklärer: Das liege vor allem daran, dass Betriebsratsbehinderung noch immer kein Offizialdelikt ist, sagt Reisner. O-Ton 64 (Jessica Reisner) "Beim Offizialdelikt wäre es so, dass jeder von uns sofort eine Anzeige stellen kann, sobald er Kenntnis von so einem Fall erlangt. Und dass Staatsanwaltschaften von sich aus ermitteln müssten, wenn sie zum Beispiel einfach unseren Blog bzw unsere Webseite lesen würden, würden die einfach eine Anzeige nach der anderen aufnehmen müssen und Ermittlungen zumindest zum Anfangsverdacht aufnehmen müssen." Erklärer: Die aktuelle Bundesregierung möchte hier etwas ändern: Im Koalitionsvertrag steht, dass Betriebsratsbehinderung zum Offizialdelikt werden soll. Es brauche auch mehr mediale Aufmerksamkeit für das Thema. Öffentlichkeit schütze Betriebsräte, die von Union Busting betroffen sind, vor der Vereinzelung - und mache auch Eindruck auf die Richter. O-Ton 65 (Jessica Reisner) "Denn auch Arbeitsrichter, die bislang vor leeren Rängen verhandelt haben, sind durchaus empfänglich für die Botschaft, wenn sie plötzlich sehen, dass es ein Interesse gibt an dem Gerichtstermin, den sie morgen haben. Und wenn es da plötzlich vorab Presse gibt, dann gehen die, glaube ich, auch anders vorbereitet in so einen Termin rein." Erklärer: Überhaupt sei es wichtig sich mit anderen zu vernetzen, der Isolierung entgegenzuwirken, sagt Reisner. Die Belegschaft müsse vor allem eines tun: sich informieren, sich vernetzen, sich zusammenschließen. Atmo 04 (Tauentzienstraße, Straßenlärm) Regievorschlag: Amto 04 bis O-Ton 68 (evtl. auch länger) Erzählerin: Nach der Gerichtsentscheidung fahren wir mit Murat noch einmal dorthin, wo alles angefangen hat, in den Westen Berlins: zur Tauentzienstraße, wo er auch mal gearbeitet hat, wo der Store war, in dem auch Amin Betriebsrat war, der Store, den Foot Locker im Sommer 2021 dichtgemacht hat, angeblich weil er nicht mehr rentabel gewesen sei. Der geschlossene Store befand sich in der Tauentzienstraße 18a. Dort ist jetzt ein anderer Laden. Doch zwei Hauseingänge weiter, vielleicht 20 Meter, in der Tauentzienstraße 17, befindet sich nun ein neuer Foot Locker Store. Dort treffen wir Amin. O-Ton 66 (Murat Atas / Amin Barakat) "A: Darf man dich beglückwünschen? / M: Ja, natürlich (Handshake)" Erzählerin: Amin weiß noch nicht, wie die Verhandlung ausgegangen ist. Wir stellen uns in einen Hauseingang. O-Ton 67 (Murat Atas / Amin Barakat) M: Ja, ne, wir konnten uns einigen auf jeden Fall. Ja, ich bin echt froh, dass es jetzt vorbei ist. / A: Ja, bist du froh? Siehst auch jetzt aus wie ein normaler Mensch. / M: (lacht) Ja, es ist schon anstrengend gewesen / A: Ja, bei dir war es ja richtig lang. Wie lang war es jetzt? / M: Seit Juni, seit Mai, Juni letztes Jahr. / A: Eieiei / M: Ja, es ist schon zermürbend so und wenn man nicht selbst so charakterstark wäre... Ich kann schon verstehen, dass die Leute alle wegbrechen und von sich aus sagen: Ich gehe jetzt. / A: Jaja. / M: Es ist schon eine harte Nummer so." Erzählerin: Hat nicht Foot Locker letztlich gewonnen? O-Ton 68 (Murat Atas) "Wir haben unser Soll erfüllt, sag ich mal so. Mehr war nicht drinne. Alles andere, was wir noch gemacht hätten oder versucht hätten, würde nur noch an unsere Gesundheit gehen. Ich merk's ja immer wieder selbst, in was für ein Loch ich gefallen bin." Erzählerin: Und dann noch ein interessantes Detail. Während der ganzen Recherche haben wir uns immer gefragt, warum eigentlich Amin als erster eine Kündigung erhalten hat und nicht etwa Murat als Gesamtbetriebsratsvorsitzender. War es nur wegen seiner Betriebsratsarbeit oder ein paar ungeputzter Toiletten? Oder weil er als nicht mehr aktiver Betriebsrat leichter zu kündigen war? Beim Treffen in der Tauentzienstraße fällt Amin noch etwas ein. Es fällt ihm ein, als wir ihn fragen, ob sie sich vielleicht früher hätten vernetzen sollen. O-Ton 69 (Amin Barakat) "Es ist eigentlich lustig, dass du es fragst, weil gerade, wann war denn das, gerade vorgestern, da habe ich einen alten USB-Stick, wo noch diese Powerpoint drauf war für ganz Deutschland, weil ich hatte das eigentlich in Angriff genommen, weil ich war so: OK, ich möchte mir das Ziel nehmen, weil, ich möchte noch etwas aktiv machen. Der große Dorn in meinem Auge, in meinem betriebsrätlichen Auge war, dass Foot Locker zum damaligen Zeitpunkt 82 Stores oder 80 Stores hatte, also in ganz Deutschland und davon waren glaube ich sieben mit Betriebsräten - und das ist ja nichts. Erzählerin: Armin wollte, dass sich überall bei Foot Locker Betriebsräte bilden. Deshalb lud er per Rundmail alle Foot Locker Mitarbeiter in Deutschland ein - zu einer Präsentation per Videokonferenz. O-Ton 70 (Amin Barakat) "Das Thema hieß "Wie gründe ich einen Betriebsrat". Da war das Thema von wegen: Die betriebsratslosen Betriebe zu sensibilisieren, zu erzählen, was man macht, was sind eure Rechte, wie wählt man einen Betriebsrat, dass es eigentlich gar nicht so schwer ist, wie man denkt." Erzählerin: Amin verschickte die Einladung im April 2022. Ein Monat später bekam er die Kündigung. Sprecherin Gemobbt, gekündigt, abgefunden - Wie Unternehmen gegen Betriebsräte vorgehen Ein Feature von Nina Scholz und Sebastian Friedrich Es sprachen: Constanze Becker, Timo Weisschnur, Monika Oschek und Martin Schaller. Ton und Technik Eva Pöpplein und Frank Klein Regie Beatrix Ackers Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Südwestrundfunk 2023