DEUTSCHLANDRADIO KULTUR DOROTHEA WESTPHAL "DIE CHRONISTEN DES ALARMS" UMWELTZERSTÖRUNGEN IN DER LITERATUR VON PETER KAISER COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Fukushima-Collage aus japanischen/deutschen Meldungen, Politiker- phrasen, Expertengerede, etc. Kurz frei, dann Christa Wolf :"Störfall - Nachrichten eines Tages". (Lesung RIAS-Sendung) O-Ton: Lesung STÖRFALL (...) Das Grün explodiert. Nie wäre ein solcher Satz dem Naturvorgang angemessener gewesen als dieses Jahr. Bei dieser Frühlingshitze, nach diesem endlos langen Winter. Jetzt heftige kurze Zäsur mit Collage, noch weiter unterlegen O-Ton: Lesung STÖRFALL (...) von den erst viel später herumsprechenden Warnungen, die Früchte zu essen, deren Blüte in jene Tage fiel, habe ich an dem Morgen (...) noch nichts gewußt. Fukushima-Collage noch einmal Zäsur, aber resignierende und widersprüchliche Statements jetzt, dann aus Sprecherin: Christa Wolf schrieb "Störfall - Nachrichten eines Tages" unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in den Monaten Juni bis August 1986. Trocken ab hier ein Stück weiter O-Ton: Lesung STÖRFALL (...) Der Himmel ist an jenem Tag wolkenlos gewesen. (...) Sprecherin: Die Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin, hat sich in einem Landhaus zurückgezogen, um dort ungestört arbeiten zu können. O-Ton: Lesung STÖRFALL (...) Warum habe ich eben tote Zeit gedacht? In deinem kühlen Schatten, auf deinen weichen Matten, du liebster Aufenthalt (...) Sprecher: Zwei Störfälle, die Reaktorkatastrophe und die am gleichen Tag bei ihrem jüngeren Bruder durchgeführte Operation eines Hirntumors überschatten die Arbeit. O-Ton: Lesung STÖRFALL (...) Programmatisch zeigt es an, dass angesichts der Tatsachen, (...) die an jenem Frühlingstag des Jahres 1986 bekannt werden, (...) die herkömmliche Sprache versagt. (...) Sprecherin: Der STÖRFALL Tschernobyl ereignete sich am 26.4.1986. 25 Jahre später überrollt im März 2011 ein gewaltiger Tsunami den japanischen Reaktor Fukushima. O-Ton: Lesung STÖRFALL (...) oh Himmel, strahlender Azur. Nach welchen Gesetzen, wie schnell breitet sich Radioaktivität aus? Musik Sprecherin: Seit den 1970er Jahren, etliche Zeit vor der Tschernobyl- Katastrophe also, haben die vielfältigen Zerstörungen und Bedrohungen der Umwelt immer mehr Eingang in die Belletristik gefunden. Einen wichtigen Anstoß dazu lieferte das 1972 vom Club of Rome veröffentlichte Buch" Limits of Growth- Die Grenzen des Wachstums". Sprecher: Wissenschaftlich exakt und gleichzeitig verständlich formuliert wurde den Lesern klar gemacht, dass bald Schluss sein würde mit der Ausbeute der natürlichen Ressourcen durch die Industriestaaten. Das Buch wurde in 37 Sprachen gedruckt und zwölf Millionen Mal verkauft. Sprecher: "Limits of Growth" avancierte vor nahezu vierzig Jahren zu einer Art Gründungsmanifest der grün-alternativen Bewegung. Das Buch beeinflusste zahlreiche Schriftsteller. Im Westen wie im Osten. Sprecherin: 1981 erschien Monika Marons überaus erfolgsreiches Buch "Flugasche", in dem sie die Umweltzerstörungen in der DDR durch das Chemiekombinat Bitterfeld anklagte. 30 Jahre später, im Bericht "Bitterfelder Bogen", besucht Monika Maron den einstigen Hauptchemiestandort der DDR erneut. O-Ton Monika Maron Der erste Eindruck war insofern verblüffend, weil man nicht gewohnt war, über Bitterfeld einen blauen Himmel zu sehen. (...) Musik kleine Zäsur, dann geht sie wieder aus O-Ton Monika Maron ....andererseits ist große Leere da, wo mal ein Fabrikgelände mit Straßenzügen war. Sprecherin: Im Westen waren es Schriftsteller wie Günter Grass, der 1986 im Roman "Die Rättin" Forderungen zum Umweltschutz formulierte... Sprecher: "...Selbst auf der Suche nach der letzten Wahrheit und seinem Gott auf den Fersen, machte er, der Mensch, Müll. ...Einzig Müll hat ihn überdauert." Sprecherin: Grass prangert die Ausbeutung der Natur an, und das schier hemmungslose Verschleudern der Ressourcen. Sprecher: "...Die Menschen haben alles versaut. Mussten sich immer kopfoben was ausdenken. Hatten, selbst wenn Überfluss sie ersticken wollte, nicht genug, nie genug...". Sprecherin: Günther Eich, Peter Huchel und andere kreierten die kritische Naturlyrik. In vielen dieser Gedichte wird das Bemühen deutlich, Mensch und Umwelt wieder in einen Dialog zu bringen. Sprecher: Während mein Hauch sich noch müht, das Ungeschiedne zu nennen, hat mich das Wiesengrün übersetzt und die Dämmerung denkt mich. Günther Eich Sprecherin: Die Jahrbücher für Ökologie und bedrohte Kulturen, "Ökozid", taten ihr Übriges. Sie berichteten über das, was mit der Umwelt geschah: Vernichtung der Regenwälder, Staudammprojekte, Landraub, Gentechnik, Chemiedünger und Massentierhaltung, saurer Regen, Fischsterben. Natur wurde immer bedrohter und wirkte zugleich immer bedrohlicher. Doch das war vor den 1970er, 80er Jahren auch schon so, sagt Peter-André Alt, Literaturwissenschaftler und Präsident der Freien Universität Berlin. O-Ton: Prof. Alt (...) die Natur ist immer ein Raum gewesen, den der Mensch mit einer gewissen Angst betreten hat. In dem er sich selber häufig in einer Grundspannung von Neugier und Furcht gegenüber sah. Und die Natur hat immer eine dämonische unbeherrschbare Seite gehabt seit der Antike. Sprecherin: Diese dämonische Seite der Natur hielt Jahrhunderte lang die Menschen in Atem. Selbst mit der Aufklärung und im Zeichen der Emanzipation von der Natur konnte der Mensch sich dieser Seite nicht vollkommen entledigen. O-Ton: Prof. Alt (...) das Musterbeispiel ist immer das Erdbeben von Lissabon von 1757, das eine Erschütterung im doppelten Sinn bedeutet. Sprecher: Rund 100 000 Menschen starben bei einer der schlimmsten Naturkatastrophen in der Europäischen Geschichte. Die Stadt Lissabon brannte nahezu vollkommen nieder. Musik O-Ton: Prof. Alt (...) Ein Erdbeben, aber auch ein Beben in der intellektuellen Wahrnehmung.... Sprecher: "Betrogene Philosophen, die ihr "alles steht zum Besten" schreit... O-Ton: Prof. Alt (...) weil man nämlich begreift, dass der Rationalismus an Grenzen stößt, wo die Natur weiterhin unkontrollierbar ist. (...) Sprecher: "...lauft herbei, schaut euch diese grausigen Ruinen an..." O-Ton: Prof. Alt Und das hat in der Literatur eine Vielzahl von Stellungnahmen provoziert. Sprecher: "....all die Trümmer, Bruchstücke, die unseligen Aschenreste, all die Frauen, die Kinder, alles aufeinander gehäuft..." O-Ton: Prof. Alt (...) bis hin zu Voltaires Protest gegen dieses Naturereignis artikulieren, dass die Menschen verstört sind angesichts der Erkenntnis, dass Vernunft und Natur weiterhin in einem unversöhnlichen Widerspruch zueinander stehen. Sprecher: "...die zerstreuten Glieder unter zerbrochenem Marmor, Hunderttausend Unglückliche, die die Erde verschlingt..." Voltaire Sprecherin: Jahrhunderte später kommen zu den Naturkatastrophen die Katastrophen durch eine unkontrollierbar gewordene Technik hinzu. O-Ton: Prof. Alt/FU-Berlin (...) das ist das Merkmal der Moderne, dass man, um Ernst Blochs Wort aufzugreifen, häufig zeigt, dass der Mensch gewissermaßen in den Raum der Natur eintritt wie eine Armee in Feindesland. So ist die Formulierung von Bloch. Und dass die Technik gewissermaßen wie ein Usurpator in die Natur eindringt. Daraus leiten sich nicht nur Szenarien der Katastrophe ab, die manchmal auch mit großer Lust am Untergang geschildert und entworfen werden, sondern daraus leiten sich natürlich auch ganz bestimmte Erwartungen ab. Also nicht zuletzt auch eine ethische Dimension. Insofern ist die Literatur, wenn sie mit Katastrophen Umgang hat, nicht nur ein Spiel mit der Angstlust, sondern häufig auch ein sehr moralisches Medium. Jetzt wieder Musik. Sprecherin: Womit wir beim Hier und Jetzt angekommen wären. O-Ton: Prof. Alt/FU-Berlin (...)Es gibt einmal die Lust daran, sich vorzustellen, wie eine vollkommen von der Technik beherrschte Welt aussieht. Das erleben wir ja auch immer wieder, wenn wir uns unser Internet-Zeitalter etwas weiterentwickelt denken. Dann haben wir am Ende diese Angstvision vom völlig kontrollierten Menschen, dessen Daten weltweit zirkulieren. Zugleich aber auch haben wir, und auch das ist ununterdrückbar, das Bedürfnis, sich das unschuldige Moment der Natur wieder zu vergegenwärtigen. Einen Weg zurück in die Idylle einer völlig intakten Natur zu denken. Musik kleine Zäsur, dann noch etwas weiter Sprecher: "Wir wissen erstaunlich wenig über die verschiedenen Aspekte unserer Umwelt, von ihren frühesten Anfängen bis zu ihrem jetzigen Zustand. Auch die Frage, wie sie bewahrt und beschützt werden kann, ist noch nicht beantwortet. In sämtlichen Diskussionen überschätzen alle Parteien das Ausmaß und die Zuverlässigkeit des vorhandenen Wissens." Michael Crichton "Welt in Angst" Musik. Collage Öko-Nachrichten aufblenden, die wir mit den Sprecherinnen-Textschnipseln verbinden Sprecherin: Ob Riesenkraken, alles vertilgende Borstenwürmer.... Sound-Collage ...kalbende Eisberge, das berstende Lars B-Shelf, Sound-Collage ....verheerende Tsunamis vor der japanischen Küste, außer Kontrolle geratene Atomkraftwerke in der Ukraine und in Japan, Sound-Collage ...das größer werdende arktische Ozonloch, kriminelle Genmanipulationen, der sich verlangsamende Golfstrom... Sound-Collage ...und der drohende Ökozid... Letztes Mal Sound-Collage, dann ist sie weg Sprecher: Dystopie ! Aus dem Altgriechischen dys für miss-, übel, und dem lateinischen topia für Landschaftsmalerei. Eine Dystopie ist eine Art Anti-Utopie. Eine fiktive Gesellschaft, die sich zum Negativen entwickelt hat. Wikipedia Sprecherin : Der Weg zurück zu einer intakten Natur scheint unmöglich. Immer deutlicher wird bei der Klimadebatte und den neuesten Daten zur Erwärmung des Planeten, dass die Umwelt krank ist. Vor diesem Hintergrund und den aktuellen Ereignissen wie der Reaktor- katastrophe in Fukushima wundert es kaum, dass der Zweig der "Dystopischen Literatur" derzeit boomt wie nie zuvor. O-Ton. Julia Wagner (...) Also grade aus den USA bekommen wir unheimlich viele Thriller in dem Bereich angeboten. Es gibt auch immer wieder deutsche Autoren, die sich damit befassen, aber in den USA ist es jetzt sehr spürbar. Sprecher: Julia Wagner ist Lektorin beim Ullstein Verlag in Berlin. Sie lektoriert vor allem die Werke von Thriller-, Krimi- und Umwelt- Thriller-Autoren. O-Ton. Julia Wagner Also (...) es ist viel dieses apokalyptische Szenario, eine Endzeitstimmung, die Welt ist durch eine Atombombe zerstört, eine Gruppe (...) muss sich durchschlagen, vielleicht auch dieses Zombie-Szenario, also eine Art von Überlebenden, die aber degeneriert sind durch diese Atomkatastrophe. Das ist jetzt in den USA sehr vorherrschend. Sprecherin: Doch neben den Romanen, die eine irgendwie geartete Apokalypse beschreiben, werden noch andere Szenarien entwickelt. O-Ton. Julia Wagner (...) diese dystopischen Gesellschaftsszenarien, entweder hervorgerufen durch eine Naturkatastrophe, also das zum Beispiel Gesellschaften getrennt werden. Die einen leben auf der einen Seite einer Mauer, in der das Land verwüstet ist, und auf der anderen Seite leben zum Beispiel noch die Wohlhabenden. Die leben noch in einer erhaltenen Stadt, und konnten sich das irgendwie bewahren. Oder leben unter einer Glasglocke oder solche Dinge. ...und dann auch das Bestehen gegen die Natur, die sich gegen den Menschen gewendet hat, oder der Mensch hat sie zerstört, und muss jetzt in dieser neuen Umwelt zurechtkommen. Das sind jetzt ganz starke Motive. Sprecherin: Die "Öko-Science-Fiction" der 1960er bis 80er Jahre wollte noch mahnen, aufrütteln und zur Umkehr aufrufen. Etwas Musik wieder hier. Sprecherin: Heute ist die Liste von Autoren, die sogenannte Öko-Thriller schreiben, lang. Eine kleine Auswahl dieser Autoren und ihrer Arbeiten könnte repräsentativ sein für das Genre, das seit den 1990er Jahren eher eskapistischen und unterhaltenden Charakter hat. Sprecher: Michael Crichtons 2004 in Deutschland erschienener Roman "Welt in Angst" ist zwar ein Öko-Thriller erster Klasse, hat aber die Kritiker wegen der spröden Faktenanhäufung enttäuscht. Sprecherin: "Schmetterlinge im Eis", der 2009 erschienene Roman des schwedischen Physikers Lennart Ramberg stellt den Klimawandel und den Handel mit Treibhausgasen, den sogenannten Emissionshandel, in den Fokus der Handlung. Sprecher: "...als Kimi gefragt wurde, wer denn der Verursacher des gegenüber dem Kohlendioxid 6000mal schädlicheren Gases Fluormethan ist antwortete Kimi: "Aluminiumschmelzöfen. Und das Gas bleibt 5000 Jahre in der Atmosphäre." Aus: "Schmetterlinge im Eis" von Lennart Ramberg Musik kleine Zäsur Sprecher: 2011 erschien "Maeva". Hauptfigur des im Berliner Greifenverlag verlegten Buches des heute 67jährigen Deutschen Dirk C. Fleck ist eine Art Jeanne d`Arc der Ökologie. Maeva bekämpft die Machenschaften von Atomkonzernen und einer starken Industrielobby. Sprecherin: Oder "Eistau", der im August 2011 erscheinende neue Roman des in Wien lebenden Autors Illja Trojanow. Darin versucht der Eisforscher Zeno, das Gletschersterben aufzuhalten. Erneut Musikzäsur, dann geht sie langsam aus Sprecherin: Sven Böttcher hat mit dem 2011 veröffentlichten Roman "Die Prophezeiung" die Atomlobby im Blick. O-Ton: Böttcher (...)Weil, glaube ich, Fukushima uns gezeigt hat, dass wir viele Dinge gar nicht richtig auf dem Zettel haben. Dass wir auch die Frage, wenn die Natur es mal nicht so richtig gut mit uns meint, mit oder ohne Strahlung, nicht wirklich bedenken. Es scheint mir so. Also die Japaner, jetzt jenseits der konkreten Folgen, die schrecklich sind, aber man muss ja auch fragen: Hätten wir besser vorbereitet sein können? Nicht nur die Japaner, sondern auch wir. Sprecher: Im Buch entwirft Sven Böttcher ein globales Szenario. Das Klima- Prognoseprogramm "Prometheus" sagt eine epochale Dürre in der Äquatorregion voraus. In gemäßigten Breiten dagegen könnte es zu einem Dauermonsun kommen. Doch diese bedrohliche Tatsache soll nicht bekannt werden. Um Millionen Menschen vor dem Tod zu retten, nimmt die junge Forscherin Mavie Heller den Kampf gegen skrupellose Lobbyisten auf. Sprecherin: Eine der Leserkommentare zum Buch auf der Homepage des Kölner Kiepenheuer und Witsch-Verlages ist interessant. Sprecher: ....Sven Böttcher (...) entlässt den Leser keine Minute in die Behaglichkeit. Am Ende des Buches steht die Frage an jeden Einzelnen: Was tust du, um den Klimawandel aufzuhalten? Und würdest du dafür über Leichen gehen? Musik wieder an O-Ton: Böttcher (...)eine sehr schöne Frage. Häufig höre ich, anders formuliert: Sie wollen doch wohl nicht aufrütteln? Leser mögen das nicht gern, viele Kollegen von Ihnen mögen das auch nicht gern, weil das führt einen so aus der Unterhaltung, aus der Literatur raus, dass man sagt: aber das hat da gar nichts verloren. Scheint mir so. Ich denke, es hat grade in der Literatur was verloren, weil es kann ja nicht nur darum gehen um psychologische Bauchnabelumkreisung oder um reine Unterhaltung. (...) also ich habe schon...nicht ne Message in dem Sinne, dass ich weiß, wie das geht, und hier ist der erhobene Zeigefinger...sondern eine Frage: Machen wir das, was wir grade machen, richtig? Musik kleine Zäsur, dann weiter Sprecher: "Prophezeiung" ist kein Roman sauberer Lösungen noch klare Definitionen. Der Klimawandel hat verschiedenste Ursachen und lässt sich nicht auf einen Teilaspekt reduzieren. J.Priester - ein Leser O-Ton: Böttcher (...) generell steckt in Dystopien, für mich jedenfalls, ein Potential. Dass man sagt, ich zeige ein Szenario, ein: Was-wäre-Wenn? ja nicht aus Freude am Weltuntergang. Sondern schon mit der Frage im Hinterkopf, was können wir tun, damit es nicht dazu kommt? Noch ein letztes Mal die Musik als Zäsur, dann geht sie wieder aus O-Ton: Böttcher (...)mich hat Klima immer interessiert. Und es gab immer die Horrorszenarien, auch schon in den 70er, 80ern, aber erst recht Anfang des Jahrtausends, als wir ein paar sehr warme Sommer hatten und auch viele Hitzetote in Frankreich dann, dass man natürlich sagt: was ist dran an diesem Horrorszenario? Gehen wir alle demnächst unter in Norddeutschland, oder steht der Süden nur noch trocken und verbrennend da? Das war der Ausgangspunkt für mich. Trocken jetzt O-Ton: Böttcher (...)Es setzt schon voraus, dass man sich mit der Frage beschäftigt, wie wird denn das morgen? Also wie entwickelt sich die Zukunft und was muss ich tun, am besten wenn ich Kinder habe, damit hier nicht schreckliche Dinge passieren? Musik an. Kleinen Moment frei als Verschnaufpause, dann unterlegen. Sprecherin: Es gibt kaum ein Szenario, das nicht als Hintergrund für einen Öko-Thriller taugt. Die reale Welt bietet Stoff genug. Sprecher: Die Ölkatastrophen im mexikanischen Golf etwa oder die Ölpest im Nigerdelta. Die Flutkatastrophe in Pakistan, schmelzende Eispole, mörderische Erdbeben und gewaltige Tsunamis, mit Folgen wie im japanischen Atomreaktor in Fukushima. Sprecherin: Auf jede dieser Katastrophen erfährt Julia Wagner unmittelbar den belletristischen Reflex im Posteingang. O-Ton. Julia Wagner (...)Und genau da liegt auch eine gewisse Schwierigkeit. (...) also entweder die Leute können es irgendwann nicht mehr hören, vor allem nicht mehr, wenn das Buch erscheint, das ist ja dann ungefähr ein Jahr später, dass die Leute denken, ok, jetzt wissen wir auch was passiert ist, dann hat sich die Katastrophe auch in irgendeiner Weise aufgelöst, es ist schlimmer geworden, es hat sich auf jeden Fall etwas verändert, dann hat es so einen Ermüdungsfaktor auf die eine oder andere Weise. Aber bei den unverlangt eingesandten Manuskripten, man merkt dann schon, dass viele Menschen, die eh schon an einem Atombombenbuch saßen, dass die meinen, das jetzt an dem aktuellen Aufhänger das noch einmal anbieten zu können. (...) Musik geht hier wieder aus. Ein Stück trocken weiter Sprecherin. Doch auch die Bedrohungsszenarien durch Naturkatastrophen, lokale und globale Klimaphänomene, verpackt in eine gut erzählte spannenden Geschichte - Umweltgauner gegen Umweltschützer - sind noch kein Garant für hohe Verkaufszahlen. Auch deshalb, weil die fiktiven Szenarien in etlichen Fällen bereits von der Natur überholt worden sind. O-Ton. Julia Wagner (...) dass es so frappierend real ist, das gibt es schon oft. Das verwenden wir auch gern als Verkaufsargument den Handel und den Leser, aber floppen tun die schon häufig, das muss man sagen. (...) Außer Frank Schätzing, weil der sich schon durchgesetzt hat, Bestsellerautor, und seiner sehr eigenen Art zu erzählen sich sehr gut durchgesetzt hat. Sprecherin: Frank Schätzings Roman "Der Schwarm". Wie ein Monolith steht der 2004 erschienene Roman des deutschen Autors in der neuen Öko-Thriller-Szene da. Dabei ist die Handlung vergleichsweise simpel. Sprecher: Ein lange Zeit friedlich in der Tiefsee hausendes intelligentes Plankton-Kollektiv erhebt sich gegen den Menschen. In der Folge des Konfliktes gerät die Natur komplett aus den Fugen. O-Ton: Frank Schätzing (...) Es war vor (...) Jahren ein Traumbild eines gigantischen Schwarmes Meeres- bewohner. Also alles, was sich irgendwo in den Meeren tummelt, schwamm da in trauter Eintracht zusammen. Und das reichte von Horizont zu Horizont, und die schwammen alle aufs Land zu. Mehr war das nicht, das war nur so ein Eindruck. War aber immens bewegend. (...) Sprecherin: ...sagte Frank Schätzing im Deutschlandfunk zur Entstehung der Idee.... O-Ton: Frank Schätzing (...) und der Gedanke, der da folgte, war, warum tun die das? Warum schwimmen die da alle aufs Land zu? Das kann nichts Gutes bedeuten, die haben sich gegen den Menschen verschworen. Und da war die Idee geboren, was wäre denn, wenn das ganze Leben im Meer sich gegen den Menschen verschwören würde? Und dem folgt dann natürlich die Frage nach dem Warum, warum sollte es das dann tun? Ich sage mal, die Verschwörungsbereitschaft der gemeinen Makrele ist nicht so ausgeprägt, ja (...) also musste ich eine planende Kraft voraussetzen. Und das brachte mich relativ schnell auf die Idee, dass sich in der Tiefsee eine komplett unterschiedlich andere intelligente Rasse entwickelt hat. Sprecherin: Den Bucherfolg erklärt sich Julia Wagner damit, dass "Der Schwarm" das erste Buch war, das dass Thema Umweltzerstörung global abdeckte. O-Ton: Julia Wagner (...) es ist eine tolle Mischung, sehr filmisch erzählt. Ich glaube, das ist auch ganz wichtig, dadurch wurde das Thema sehr zugänglich gemacht. (...) Und das ist so ein Geheimnis, dass man eben auch die Spannung sehr hoch hält. Und das ist ihm einfach auch sehr gut gelungen. Hörpause und etwas Atmo Island. Sprecherin: Das weltweite Umweltgeschehen spiegelt sich in gewisser Weise auf Island wieder. Mit seinen spektakulären Geysiren, den höchsten Gletschern und tiefsten Wasserfällen Europas ist Island noch ein Naturparadies. Und gleichzeitig, im Osten jedenfalls, eine von Menschen gemachte Wüste. Island ist exemplarisch für das, was überall auf der Welt geschieht. Ebenso beispielhaft ist die literarische Verarbeitung. O-Ton: Sigurdardottir (...) also man schreibt ja nicht als ein Agent. Und deshalb war mir das nicht so sehr bewusst, (...) ich weiß, dass die Natur eine größere Rolle in vielen meinen Romanen gespielt hat als bei den meisten meiner Kollegen, kann ich behaupten. Kleine Zäsur mit Musik und Atmo Sprecher: Steinunn Sigurdardottir wurde 1950 in Reykjavik geboren. Sie hat in Dublin Psychologie und Philosophie studiert, als Radio- und Fernsehjournalistin gearbeitet, und an vielen Orten in Europa, den USA und Japan gelebt. Heute wohnt sie in Berlin. Noch einmal eine Zäsur, dann nur noch Musik Sprecherin: Neben Gedichten und Kurzgeschichten, die sie in den 1980er Jahren veröffentlichte, erlangte sie mit ihrem 1995 in Island und 2003 in Deutschland erschienenen Roman "Herzort" einen großen Erfolg. Darin schildert sie in einer Art Road Movie die Reise einer Mutter mit ihrer halbwüchsigen Tochter von Reykjavik in den Südosten des Landes. Eindringlich beschreibt die Autorin dabei die Stadien der sich verändernden isländischen Landschaft. O-Ton: Sigurdardottir (...) in meinem Roman HERZORT von 95, da wird der große Gletscher als ewig bezeichnet (...) und dann kommt mein SONNENSCHEINPFERD in 2005, 10 Jahre später (...) und dann stirbt eine Frau, mit dem Gletscher vor (...) Augen, ein Autounfall auf dem Lande. Und nicht einmal das kann sie trösten, die letzen Augenblicke ihres Lebens, dass der Gletscher immer da sein wird. Auch er ist flüchtig. Musik aus O-Ton: Sigurdardottir (...) von mir aus ist diese Schmelzung der Gletscher und der Klimawandel, das sind nicht nur äußere Veränderungen. Es verändert sich etwas in unserem Bewusstsein, unserer inneren Landschaft. Wenn die Gletscher schmelzen, dann schmilzt viel mehr als nur die Gletscher. Das Innere, unsere Existenz, ist für ewig verändert. Sprecherin. Das wird auch in dem Epos "Das-Es-War-einmal-Land" deutlich, an dem Steinunn mehrere Jahre gearbeitet hat. Mit Genehmigung der Autorin liest Soffia Gunnarsdottir von der isländischen Botschaft in Berlin das Gedicht. O-Ton: Gedicht erst isländisch etwa 3-5 Sekunden... ...dann Voice -Over/Deutsch Auf der Insel Es-war-einmal wuchs Wald zwischen Berg und Küste, zwischen Gletscher und Strand, wie gesagt. Ungewöhnlich vieles war weiß. Ein Gletscher. Ein Wasserfall. Und ein bleicher Fisch im Eiltempo den Wasserfall hinauf. O-Ton: Sigurdardottir So fängt mein Gedicht an. Ein irischer Eremit ist in einem nordischen Paradies. Und so wird Island auch in unseren alten Büchern beschrieben. Es war grün vom Gebirge bis Meer. (...)und er glaubt, dass er im gelobten Land ist. Und er schreibt ein Buch darüber. Und er wandert durch das Land, und er tauft die Gebirge, die Flüsse und die Wasserfälle, und er ist der erste isländische Poet, der erste Isländer in meinem Gedicht. Und dann stirbt er in Island, und um die Geschichte kurz zu machen, er wacht auf, im Sommer 2006 in (isländischer Name) wo er gestorben war, das ist unser Ort für das alte Parlament, ein Ort von einer unirdischen Schönheit, Sinquedlar, 50 Minuten außerhalb von Reykjavik, und er sieht die Zerstörung des Landes. Die Veränderung ist so ungeheuerlich, die Bäume sind weg, und es ist alles grau und braun, und nicht so viel wächst. Und er weiß gar nicht, und er wird komplett verzweifelt. Und er glaubt, dass es irgendwelche Riesen sind, die das gemacht haben. Und das habe ich dann im Jahr 2006 fertiggemacht. Und ich kann nur hinzufügen, wenn es um Motive geht, ich glaube nicht, ich hätte das Gedicht ohne dieses Schreckensprojekt im Osten, das Karahnjukar-Projekt geschrieben. Wieder isländisch weiter und wieder voice-over O-Ton: Gedicht, deutsch Die Vegetatiobn verschunden, der Boden krank. Der Erdboden giftig. Selbst in guter Flughöhe bläst der Wind Asche ins Auge. Sprecherin: Ein mönchischer Wanderer zwischen den Zeiten vergleicht das einstige unberührte paradiesische Island mit dem heutigen. Musik jetzt wieder Sorten Muld. Mit ätherischer Frauenstimme unterlegen O-Ton: Gedicht, deutsch Die Erde der Lebenden; ein enthäutetes sterbendes Tier. Das gegenstandslos gewordene Buch ÜBER DIE WUNDER DES HELLGRÜNEN LANDES. In dem seine Seele war, und die Seele seines Seelenbruders. Musik Zäsur als Hörpause, dann wieder aus. Sprecherin: Auch wenn Steinunn nicht mehr das ganze Jahr über in Island lebt, so ist sie doch mit der Insel im Norden nach wie vor tief verbunden. Darum bewegt sie eine der schlimmsten Umweltsünden Europas dort noch heute. O-Ton: Sigurdardottir (...)es ist im (...) Osten. Das Wasserkraftwerk heißt Karahnjukar. Und es hat die Natur mehr zerstört als alles, was früher in dem Land gemacht wurde. Und es war auch für nichts gemacht. (...) Und wenn wir zu den Landschaftszerstörungen kommen, dann wüsste ich eigentlich nicht, wo ich anfangen sollte. Weil diese Schäden, sie sind so riesig und so ungeheuerlich, (...) Es gibt dort einen riesigen Stausee. Er ist so groß, dass, ich habe durch die Landschaft drei Tage gewandert, sehr lange jeden Tag, natürlich bevor der Stausee kam, und ich war einer der letzten, da zu sein (...) Sprecher: Das Karahnjukar-Projekt auf Island hat vor einigen Jahren einen internationalen Proteststurm entfacht. Der US-Konzern Alcoa staute im isländischen Hochland zwei Flüsse, um so Strom zum Schmelzen von Aluminium zu gewinnen. Rund 60 Quadratkilo- meter der paradiesischen Ostfjord-Wildnis wurden für den Staudamm unwiderruflich zerstört. O-Ton: Sigurdardottir (...) heute, glaube ich kaum (...) das der Fluss nicht mehr da ist. dass nichts von dieser Landschaft übrig bleibt. Ich glaube es kaum ( sehr emphatisch), obwohl es schon einige Jahre da ist. Sprecherin: Der Proteststurm nicht nur der Isländer, sondern weltweit gegen das Projekt, der literarische Niederschlag auf den für die Umwelt folgenschweren Staudamm ist beispielhaft für die Verarbeitung von Umweltthemen in der Literatur. In der Lyrik, im Krimi, Sachbuch, in der Unterhaltungs- und Hochliteratur wurde dieses Projekt aufgegriffen. Wir hören jetzt ein zweites Gedicht vom Gedicht-Zyklus, gelesen von Soffia Gunnarsdottir. Dieses Gedicht hören wir nur auf Deutsch. O-Ton: Soffia Gunnarsdottir/ 2. Lesung Gedicht ...Keine Feuer-Katastrophe. Vielmehr hatten Trollarme Es entzwei gerissen. Riesen-Vandalen? Zyklopen? Haben es Erobert wie ein Schlachtfeld in einem großen Krieg. Nahmen die Haut zum Fraß .... Jetzt hören wir Teile des isländischen Gedichtes. Dann der Botschafter. Er spricht deutsch. O-Ton: Gunnarsson (...)Island ist nachher ganz anders geworden. Früher hat man eigentlich immer gedacht, also bei uns gibt es jede Menge Energie. Man (...) hat über enorme Energiereserven gesprochen. Aber dann hat man eben nicht so ganz genau daran gedacht, welche Folgen das haben könnte für die Umwelt. Am Ende ist dieser Staudamm gebaut worden. Und er ist da. Island ist anders geworden. Sprecher: Seine Exzellenz, Gunnar Snorri Gunnarsson, der isländische Botschafter in Deutschland. Kleine Zäsur mit dem isländsichen Gedicht, dann geht es aus. O-Ton: Gunnarsson Das Umweltbewusstsein ist viel größer geworden. Also diejenigen, die dagegen protestiert haben, haben es nicht geschafft. Der Staudamm ist da, und das Kraftwerk ist da, und das Aluminiumkraftwerk ist auch gebaut worden, von dieser Seite aus haben sie verloren. Aber sie haben (...) das Umweltbewusstsein ganz grundsätzlich geändert. Und die Gesellschaft eigentlich geändert. (...) Sprecherin: Auf die Frage, welches Werk ihm als erstes einfällt, in dem das Karahnjukar-Projekt einen unmittelbaren Niederhall hat, muss der freundliche Diplomat nicht lange nachdenken. O-Ton: Gunnarsson Also das Buch von Andri Schnaer war ja ein Phänomen nicht nur in der isländischen (...) Literatur. Das ist eigentlich ein Sachbuch, aber geschrieben mit einer Vision, und der Autor ist ja ein Dichter, der ein Sachbuch geschrieben hat. Das war also der große Bestseller. Und hat einen unglaublich großen Einfluss gehabt in Island(...) Gleich ansetzen O-Ton mit Voice-Over Andri Schnaer Magnason O-Ton. Magnason Magnason: So I know that... Übersetzung Ich wusste, es würde abwärts gehen, und ich wusste, dass die Politiker sagen würden, ha, jetzt können wir es uns nicht leisten die Umwelt zu schützen, schaut euch die Arbeitslosigkeit an. Ich wusste, dass in den nächsten Jahren eines der wertvollsten geothermischen Felder der Welt zerstört werden würde und Nistplätze für ganze Vogelarten. Also habe ich das Buch geschrieben, um uns eine Sprache zu geben. (...) Sprecher: Das Buch mit dem Titel: "Traumland - ein Selbsthilfebuch für eine verängstigte Nation" wurde 2006 ein Bestseller, 2011 ist es auf Deutsch erschienen. Sprecherin: Am Beispiel der Aluminiumfabrik im Osten der Insel macht der 1973 geborene Andri Snaer Magnason deutlich, was überall auf der Welt gegenwärtig passiert. Um künftig Wohlstand zu haben und zu sichern, muss irgendwie Energie her. Öl- oder Stromkonzerne zerstören deshalb gewachsene Strukturen und vernichten Landschaften. Magnason schreibt in TRAUMLAND.... Musik Sprecher: ....Die Schönheit des Landes ist der Kern unseres Bildes von Island und auch unseres Selbstverständnisses. (...) Diese Schönheit wurde zum Hauptfeind des Projektes. Man unterstellte Fotografen, das Land übertrieben prächtig darzustellen. Die Zeitung Morgunblaðið geriet in die Kritik, weil sie ein paar Bilder abdruckte, die die Landschaft nördlich des Vatnajökull in strahlendem Licht zeigten. Kurz, die Bilder seien einfach zu schön - und damit Propaganda!... O-Ton: Sigurdardottir Und er ist auch so intelligent uns zu beschreiben, was Aluminium eigentlich ist, mit diesen schrecklichen Bauxit-Minen, etc. (...) Sprecherin: ....Ist ein Aluminiumwerk Realität? Ist es ein essenzieller Teil unseres Lebens, wie Fisch und Kartoffeln, elektrisches Licht und warmes Wasser? Nach welchen Gesetzen funktioniert die neue Realität? Gras wächst: Ich lebe; Gras verdorrt: Ich sterbe? Die Sonne scheint: Ich lebe; die Sonne verschwindet: Ich sterbe? Nein, diese neue Realität gehorcht ganz anderen Gesetzen. Traumland O-Ton: Gunnarsson Ich liebe mein Land, und ich finde Island wunderschön. Aber ein ideales Land ist es nicht. Es gibt ja Probleme überall, nicht wahr, bei uns auch. (...) Sprecherin: Immer sensibler und immer lauter auch reagieren viele Autoren auf das, was um sie herum geschieht. Musik unter O-Ton Lesung Gedicht Falberg Sprecherin: So arbeitete während eines Stipendiums in Ahrenshoop an der Ostsee im Jahr 2010 der junge deutsche Lyriker Tobias Falberg an einem wütenden Gedicht über die gigantischen Müllmengen im Pazifik. Lesung Gedicht /O-Ton: Falberg Lila Planet Bei Sonnenaufgang steigen die Thermometer. Wir entrollen unsere Rücken auf intravenösen Liegen, so gewohnt das keusche Lila, die Luft in ihrer Zusammensetzung, aus Gebläse und Kiemenchemie. Ein Planet und seine gasförmige Hülle. Musik aus O-Ton: Interview Falberg Es ist so, dass ich schon in meinen Gedichten darauf Wert lege, dass ich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen (...) arbeite, oder direkt auf bestimmte Sachverhalte zurückgreife. Musik wieder Lesung Gedicht / O-Ton: Falberg Kühlschränke wehen herüber Halden, die sich Botaniker zu beleben bemühen Elastische Biomasse über rostigen Betonbeeten und Bergen entsorgter Technik, bis Sonnenaufgang diese Trupps. Musik aus O-Ton: Interview Falberg (...) im Pazifik, da gibt es ja solche großen Ringströmungen, der Ozean kreist, und im inneren Bereich, der fast so groß ist wie Mitteleuropa, dort im Nordpazifik, da sammeln sich die ganzen Ölteile an, also Plastikteile, Verschlüsse, Flaschen, Feuerzeuge, Spielzeuge, Schuhe, alles mögliche. Musik an Lesung Gedicht / O-Ton: Falberg Unscheinbar im Lila bringen Ableger aus Feinste Zweige geblisteter Flora Wir lächeln bei dem Gedanken Schlafen ein. Musik aus O-Ton: Interview Falberg Und die sinken langsam zum Boden herab und brauchen etwa 500 Jahre, sich nach und nach zu zersetzen. Und werden dann aber so zwischendurch, weil die als Fasern herumschwimmen, von den Fischen aufgefressen. Und kommen dann bei uns irgendwann auf dem Teller an. Atmo Wellen ist jetzt aus. Folgender O-Ton trocken. O-Ton: Interview Falberg (...)Weil es mich interessiert, wo denn diese Entwicklung, die man heute sehen kann, unter dem Diktat von Großkonzernen, die das Internet, die Lebensmittelbranche und Pharmaindustrie kontrollieren, wo das dann hingehen wird. Und ich will da weniger so einen Zeigefinger erheben, sondern ich will einfach für mich selbst ertasten, wo kann es da hingehen? Und die Bilder sind dann oft nicht sehr schön, die da entstehen. Sprecherin: Vielfach sind es meist Autoren der Unterhaltungsliteratur, die sich - mit mehr oder weniger Erfolg - auf das Gleis "Öko-Thriller" gesetzt haben. Auch wenn die Machart ähnlich und die Sprache gefällig ist, so erreichen diese Autoren doch etwas Gutes. Über diesen Umweg, sagt die österreichische Autorin Kathrin Röggla, lässt sich Umweltbewusstsein vermitteln. Nur, in der Hochliteratur ist das Thema Ökologie noch nicht wirklich angekommen. Darin liegt der Unterschied zu den literarischen Öko-Werken der 1970er und 80er Jahre. O-Ton: Röggla (...)Na ja, dass sich eben von der Erwartung des immer wiederkehrenden und ruhigen Laufs hin zu einer Erwartung des Katastrophischen. Der Umsturz der extremen Wetterereignisse, wie es immer so schön heißt, die immer mehr häufiger auftreten, und das wird natürlich auch spektakularisiert. Und ist eben, wenn ein Hurrikan kommt, zugleich so eine Art Event. Aber auf der anderen Seite, in den Medien zumindest, wird relativ wenig grad in den USA getan, sich davor zu schützen. Das ist ja so`n bisschen das Paradoxe. Man hat ne wahnsinnig starke Medienaufmerksamkeit, hat aber zugleich wenig politische Gegenbewegung. Dass man etwas macht. Es ist ja das Vernünftige an ne` m Katastrophendiskurs. Dieser Aufruf, Dinge zu ändern. Und das ist für mich das Erstaunliche an dem ganzen Klimawandeldiskurs, dass er ne sehr starke Thematisierung hat in den Medien, dass aber relativ wenig gesellschaftlich geschieht. Sprecherin. Im Gegensatz zu Kollegen, die Öko-Geschichten erzählen, sagt die 1971 in Salzburg geborene Autorin, arbeite sie mit Diskursen, die aus Umweltgeschehnissen resultierten. O-Ton: Röggla (...)mich interessieren eigentlich diese Katastrophenerzählungen nur im Kontext mit gesellschaftlichen, politischen und sozialen Fragen. (...) Man muss, wenn man über dieses Thema schreibt, sich sehr stark klarmachen, was die Kraft des Genres ist. Wenn man in das Katastrophenthema reingeht, heißt es auch, dass man es unschädlich macht das Thema. Im Grunde lebt das Thema davon, dass jeder weiß, am Schluss überleben 3, 4 Helden, und (...) das ist so eine Art kathartische Möglichkeit für das Publikum, aber das nimmt ja niemand ernst, das taugt ja nicht dazu, sich wirklich auseinander zu setzen mit dem Thema. Musik Sprecherin: Kathrin Röggla sind die massiven Umweltzerstörungen und -katastrophen zwar wichtig, noch wichtiger aber sind ihr die medialen Inszenierungen solcher Katastrophen. Intelligent und eloquent führt uns die Autorin die trügerischen Geschichten einer, wie sie es nennt, "...alarmierten Gegenwart..." vor Augen. Vor diesem Hintergrund wirkt der Pressetext ihres im März 2010 erschienenen Erzählungsbands "die alarmbereiten" wie ein apokalyptischer Schaulauf. Sprecher: Brennende Wälder, fliehende Tiere, Panikeinkäufe, Experten, Schaulustige und Beteiligte stieren auf die Katastrophe. Und fragen sich:" hat man jetzt überlebt?" Entwarnung wird nicht gegeben. Eine Welt im Ausnahmezustand. Finanzkrise, Klimakatastrophe, Entführungsfälle - das Leben wird zum worst- case-Szenario. Pressetext zu "die alarmbereiten". Sprecherin: In "die alarmbereiten" zerlegt die Autorin das unentwegte Katastrophen- und Krisengerede der Medien in nahezu unschuldig wirkende Einzelteile. Mit schwarzem Humor kombiniert sie diese Einzelteile auch sprachlich neu. Bereits einige Kapitelüberschriften lassen Ahnungen über den Inhalt aufkommen. Sprecher: "Die Zuseher", "Deutschlandfunk", "Das Recherchegespenst" oder "Die Ansprechbare". Jetzt zum O-Ton Musik O-Ton: Röggla Lesung Röggla aus "die alarmbereiten" Danach... O-Ton: Röggla (...) ich arbeite mit Diskursen (...) ich glaube einfach, dass der Klimawandel in Deutschland sich nicht sehr spektakulär zeigt, auf der realen Ebene noch. Man müsste in andere Länder fahren, um das wahrzunehmen. Nach Usbekistan oder nach Zentralafrika. Also wenn man Geschichten erzählt aus dem Leben, ist es vielleicht noch zu wenig sichtbar. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum nicht so darüber geschrieben wird. Sprecherin: Die Agonie der Natur zu zeigen, hätte ihr Spaß gemacht, sagt die Autorin, das Sterben der Umwelt durchzudeklinieren. Musik hier abblenden O-Ton: Röggla (...)Es ist natürlich auch ein Klischee, oder eine gewisse Form der Naturbetrachtung. Und wie wir derzeit auch in diesem Klimawandeldiskurs sehr stark erleben. Also da wird ja noch mal die ganze Schönheit gezeigt, bevor sie untergeht. Da werden die Korallenriffe gezeigt in Zeitschriften, wie sie ergrauen und erbleichen, dann wird so die Schönheit der Korallenriffe beschworen. Also man versucht ja, die Menschen zu kriegen durch die Naturschönheit und durch das Sterben der Natur. Und zugleich wird das aber immer umso mehr evoziert. Und das fand ich interessant. Und dann natürlich geht's auch um Naturbilder, die wir haben. Also die sanfte Natur, die zerstörerische, die abrupte (...) Jetzt wieder Musik. Einen Moment lang frei als Hörpause, dann die Sound- Collage vom Anfang, nur leicht und "verhuscht." Unter Attalie abblenden. O-Ton: Attalie À cote de ça (on verra) on aurait venu sans doute des idéologies très nouvelles, d´abord évidemment des idéologies très autoritaires pour faire accoucher le monde d´un société meilleur du point vue écologique. Et donc on aura vue un monde plus écologique...(...) Voice-Over/Sprecher Es wird sicher neue Ideologien geben. Unter anderem sehr autoritäre Ideologien, um eine bessere Welt und eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Vor allem vom ökologischen Standpunkt aus betrachtet. Vielleicht bekommen wir so eine ökologischere Umwelt. Sprecherin: Die Visionen des einstigen französischen Präsidentenberaters, Wirtschaftswissenschaftlers und Autors von mehr als dreißig Büchern, Jacques Attalie, sind erschreckend. O-Ton: Attalie Il y aura certainement des nouvelles variétés des plants, les gènes vont être maîtrisé et vont se developé. Et avant de se developé de tout a fait contrôlé. Mais je pense qu´il y aura aussi des nouvelles variété animal. Et je pense aussi qu´on pourrait aller vers des chimères a terme. Des chimères, c´est à dire des mélanges hommes animaux. Voice-Over/Sprecher/ Möglicherweise wird eine neue Pflanzenvielfalt entstehen. Auch wird man die Gene beeinflussen und verändern können. Und ich glaube, dass es neue Tierarten geben wird. Vielleicht wird man sogar zur Entstehung von Chimären vorstoßen, einer Mischung aus Mensch und Tier. Sprecherin: Attali gilt als französischer Umweltpapst. Oft halten Kritiker ihm vor, ein allzu düsteres Zukunftsbild zu malen. Attali sagt dazu.... O-Ton: Attalie (...) J´ai décrit le téléphone portable 15 ans avant qu´il est eu lieu. L`ordinateur portable. J´ai vu l´émergence de cette société de surveillance de norme. (...) J´en ai parlé dans les années il y a trente ans donc je crois ne pas me trop tromper. Voice-Over/Sprecher (...) Ich beschrieb das Mobiltelefon 15 Jahre, bevor es entstand oder auch den tragbaren Computer. Ich sah die Entwicklung einer Gesellschaft voraus, die unter ständiger Überwachung steht. Das war bereits vor über 30 Jahren, und ich glaube nicht, mich getäuscht zu haben. Sprecherin: Die Arbeiten des 1943 geborenen Franzosen Jaques Attali sind eher im Grenzbereich der dystopischen Literatur anzusiedeln. Zu faktenreich und zu wenig erzählerisch scheinen die brisanten Aussagen. Beängstigend aber sind sie allemal. O-Ton: Attalie (...)La il y aura plusieurs guerres, il y aura de guerre de l´eau, la guerre de la déplacement de la population, la guerre des gens qui vont vouloir un certain technique, la guerre pour la contrôle de sauve des matiers premiers. Sprecher/ Voice-Over Es wird verschiedene Kriege geben: um Wasser, wegen Bevölkerungsabwanderungen. Kriege um neue Technologien oder, um die Ressourcen der Erde zu schützen. Sprecherin: Ganz ähnlich wie Professor Attali entwirft auch die Kanadierin Margaret Atwood eine Zukunft, die erschreckend ist, weil sie so nah an unserer Gegenwart liegt. Wie andere Autoren in Island, Deutschland, Österreich, Frankreich, den USA entwickelt die heute über Siebzigjährige ihren 2009 erschienenen ersten Roman "Das Jahr der Flut" aus dem, was bereits da ist. Erfunden ist die Art der Flut: ein rätselhafter biologischer Supergau. Sprecher: Endzeit. Irgendwann und irgendwo im 21. Jahrhundert liegt nach einer biologischen Seuchenkatastrophe auf den Dächern einer Stadt das Paradies. Dorthin haben sich die "Gärtner Gottes" vor einer rigiden militärisch organisierten Wirtschaftsorganisation zurückgezogen, die die Welt zugrunde richtet. Die "Gärtner Gottes" ernähren sich von selbstgezogenem Gemüse, Honig und Früchten. O-Ton: Atwood (mit Voice-Over) (...) Sie sind sehr sanfte, fromme Menschen, sie versuchen, allem gegenüber Achtung zu empfinden. Nicht nur gegenüber dem Menschen, sondern gegenüber allen Lebewesen. Sie haben ihre eigenen Pflanzen, ihre eigene Nahrung, versuchen, sich fernzuhalten von allen Firmen. Sie leben in der Zukunft, wo man über alle möglichen technischen Vorrichtungen bespitzelt werden kann. (...) Also diese Menschen wollen abtauchen. Sie haben kein Vertrauen in Geschriebenes, sie verwenden keine Computer, keine Handys, sie verwenden keinerlei technische Kommunikationsmittel. Sie wollen nicht beobachtet und überwacht werden. Sprecherin: Margaret Atwood stellt die friedlichen "Gärtner Gottes" - eine Mischung aus Punks und religösen Vegetariern, einer Welt gegenüber, in der die globalisierte Wirtschaft die Exekutive übernommen hat. Als die junge kämpferische Toby zu den "Gärtnern Gottes" stößt, ändert sich der Charakter der sektenartigen Gemeinschaft. O-Ton Atwood ( mit Voice-Over) (...)Es gibt auch einen gewalttätigeren Ableger dieser Gottesgärtner. Er heißt "Mad Adam", der verrückte Adam. Sie machen Ökoterrorismus, diese Taten, dass sie dann genetische Zeitbomben pflanzen, Mikroben aussetzen, die Asphalt auffressen, oder Mäuse, die Autos fressen, aussetzen. Sprecherin: "Teilweise", heißt es im Internet-Magazin "Perlentaucher" zu "Das Jahr der Flut"... Sprecher: "...las sich das Buch wie ein Kommentar zur letzten Klimakon- ferenz. Doch später wurde es komplex. Und noch später forderte es dem Leser einiges an "denkender Mitarbeit" ab." O-Ton Atwood ( mit Voice-Over) (...) jedes der 14 Kapitel beginnt ja mit einer Hymne. (...) Manche dieser Hymnen sind bizarr, in meinem Buch auch, das ist zum Beispiel ein Hymnos über Maulwürfe. Sprecher: "...Es gibt noch Leben. Vögel zwitschern, es müssen Spatzen sein. Ihre kleinen Stimmen sind...Nägel auf Glas. Es gibt keinen Autolärm mehr, um sie zu übertönen. Fällt ihnen diese Stille auf, das Fehlen von Motoren? Wenn ja, sind sie glücklicher?..." Aus:" Das Jahr der Flut" von Margaret Atwood Kleine Collage ganz schnell und mit Musik O-Ton Atwood ( mit Voice-Over) Es ist nicht möglich, die Zukunft vorherzusagen. Es gibt zu viele Variablen. Eine dieser Variablen sind wir selbst. O-Ton: Attali/ Dans le monde dans cinquante ans ça peut être un monde assez terrible. Voice-Over/Sprecher : Die Welt in fünfzig Jahren wird eine entsetzliche Welt sein. O-Ton Atwood ( mit Voice-Over) Die Zukunft wird also dadurch bestimmt sein, wie wir uns jetzt verhalten. Ich kann das nicht vorhersagen. (...) O-Ton: Röggla (...) Das Absurde, dieses Paradoxe, des immer stärker werdenden Bewusstseins zugleich und des Negierens der Vorgänge gleichzeitig. (....)in dem Sinne, wenn man über die Klimadebatten noch (...) weiter sprechen würde, nicht drin vorkommt (...) O-Ton: Böttcher (...) Ich sage: ich habe doch nur mein Leben, ich möchte verstehen, welche Bedeutung hat dieser Roman, diese Geschichte für mein Leben? Das heißt, einfach nur Horrorszenarien zu entwickeln, wäre ja fürchterlich langweilig. Sprecherin: Die Umweltzerstörung ist längst in vollem Gang. Trotzdem aber muss für die Fans apokalyptischer Öko-Thriller der Endzeit-Spaß noch nicht zu Ende sein. Denn alternative Energiequellen sind nicht nur sauber, sie eignen sich auch als schöne Thrillervorlagen. O-Ton: Wagner (...)also vorstellbar ist jetzt irgendwie, wir kommen zu alternativen Energiequellen (...) Windräder, die umfallen und Dörfer zerstören, ich habe keine Ahnung, oder Flutwellen, die durch Windparks im Meer ausgelöst werden...ich glaube, da wird sich immer etwas finden lassen. Und spätestens, wenn wir es dann ins Weltall verlegen, da sind wir dann beim Superlativ angekommen. Sprecherin: Am Ende ist der mönchische Widergänger im Gedicht von Steinunn Sigurdardottir wie wir auf der Suche - nach einer intakten und sauberen Welt. Letzte Strophe des Gedichts "Das-war-einmal-Land" auf isländisch. Das kann unter der Absage liegen, und dann auf Deutsch. O-Ton: Soffia Gunnarsdottir/ isländisch und deutsch Sehr niedergeschlagen fühlte er sich, wo er sich auskannte, am südlichen Spülsaum, bei Muscheln und schwankendem Tang. Noch etwas Musik, dann langsam aus. ENDE