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Dass es mein Gedicht war oder ist, im Sinne von Verfügbarkeit, kann ich vermuten, weil ich es nach gut 45 Jahren memoriere." Autorin: Dieses erste Gedicht von Oskar Pastior ist eine kleine Kunstmaschine, ratternd, selbständig und kunstvoll sich bewegend, auf und ab. Der Motor stottert nicht, und wie es aussieht, könnte er immer weiterlaufen, ein sprachliches Perpetuum mobile. Und es sind doch nur regelmäßige vierhebige Daktylen. Später hat Oskar Pastior das erste Gedicht weitergedichtet, zu einem Erwachsenenprojekt gemacht. Im Band "Jalousien aufgemacht" von 1987, schreibt Oskar Pastior das Wort "Jalousien" nicht mehr kindgemäß, so wie man's spricht, sondern weltläufiger und internationaler mit "ou". Dass das Gedicht wirklich ein akustisches Phänomen war, das wegen seiner bahnbrechenden Einfachheit und Wiederholungskraft nichts als die Mündlichkeit brauchte, deutet die kindliche Schreibweise an. Oskar Pastior bezauberte mit seiner Vortragskunst, seiner Sprachmagie, er verführte durch Worte und Klänge und verschwendete sich in Auftritten und Reisen, als wären nur Bälle in die Luft geworfen worden zu einem voraussetzungslosen Jonglierspiel. Wenige seiner Leser und Hörer waren sich des Untergrundes bewußt, auf dem seine Kunst gebaut war. Take 2 1'35'' Jalousien aufgemacht, Jalousien zugemacht Autorin: Oskar Pastior hat lange Jahre nicht über seine Anfänge in der Sprachenklave Siebenbürgen gesprochen und geschrieben. Nicht dass das spätere Schreiben, seit er 1968 von einer Reise nach Wien nicht zurückkehrte, das frühere Schreiben aufhob, aber ein solches Denken in Anfängen und Weiterent- wicklungen und ordentlich aufgewickelten Enden mit einem Spätstil ist Oskar Pastiors Sache nicht. Die verweigerte Rückkehr war eine Notwehr oder: Zit. Spr. "Es war ein minimalistisches Handeln durch freiwilliges Nichthandeln." Autorin: So beschreibt Oskar Pastior diesen Akt für die Nachbemerkung zur Edition seiner frühen Gedichte, die kurz vor seinem Tod erschienen ist. In Abwesenheit wurde Oskar Pastior "wegen Republikflucht" zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Von nun an, frei, vogelfrei, hat schreibend alles mit allem zu tun, alles paßt in die Sprache, und die Sprache paßt sich niemals an, bleibt ein Souverän. Um 1968 interessierte sich niemand sonderlich für die Leidensgeschichte eines Menschen, dem kein gesellschaftliches Ideal geblieben ist. Die Sprache, die Oskar Pastior aus Rumänien mitgebracht hat, führt ihr eigenes Leben, musikalisch, erfinderisch, radikal umstürzlerisch, analytisch, enzyklopädisch. Sie fächert sich auf in vielfältige Sprachabgründe, Untergründe und Sprachhimmel. Zit.Spr.: "Einen Text möglichst so zu machen, dass jeder Teil das Ganze enthält." Autorin: Die Sprachlogik und die überaus reiche Assoziationsfähigkeit des Dichters arbeiten wie Wünschelruten. Die lexikalische Nähe eines Begriffs zu anderen im Text schafft Anziehung und Abstoßung. Sinn ergibt sich von selbst, man muss nach ihm nicht mit dem Schaufelrad des gewöhnlichen Sprachgebrauchs baggern. Auch die Paradoxien des Nicht-Sinns ergeben keinen Unsinn. So führt der Weg "vom Sichersten ins Tausendste", wie Pastior programmatisch seinen ersten 1969 in der Bundesrepublik erschienenen Gedichtband nannte. Er führt aus einem Kosmos, in dem das parteilich Eindeutige Sicherheit versprach, in das Offene, Unstrukturierte, in dem sich die Möglichkeiten des Denkens und Handelns vertausendfachen. Oskar Pastior hat sich literarisch lieber mit dem Unterschied zwischen dem Nageln von Auberginenkisten und Butterkisten beschäftigt, mit der Sinnlichkeit und Irritation erfundener Sprachen als mit den konventionellen Erwartungen an ein Gedicht. Oder um ihn noch einmal zu zitieren: Zit. Spr.: "Alle Wörter seien zum Erfahrungmachen gemacht - außer dem Wort ERFAHRUNG selbst. Es sei untauglich, dieses Wort..." Autorin:: Über die dramatische Lebenserfahrung, die er machen musste, die Deportation in die Sowjetunion, die ihn als Angehörigen der deutschen Minderheit in Rumänien traf, hat er lange nicht geschrieben, erst ganz am Ende seines Lebens, auch nicht über die Veränderungen des Lebensgefühls nach dem Systemwechsel: das große, einzige Thema, das vielen Autoren der achtziger Jahre mit Erfahrungen in Ost und West übrig geblieben ist. Über diese Sprünge und Lücken habe ich am Buchmessensonntag 1986 mit Oskar Pastior ein Gespräch geführt. Es wirkten mit: eine milde Sonntagsherbstsonne und eine große Kanne Tee. Wir saßen im Wintergarten des großen Wohnzimmers bei Freunden, einem geschützten leisen Raum, voll mit Büchern und Erinnerungsstücken, und viele Gespräche, die in diesem Raum geführt worden waren, klangen nach. Draußen flirrte die Farbenpracht des Gartens, Zwetschgenzeit, Apfelzeit, der japanische Ahorn strahlte kupferrot. Die Spulen des großen Tonbandgeräts auf dem Eßtisch drehten sich, während in der Paulskirche gleichzeitig der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde. Glocken läuteten, am Samstag war ein Fest gewesen, und wir waren Überbleibsel oder Rückkehrer. In diesem Zimmer, zu Gast bei Freunden, in einer Gastlichkeit, die auch Heimat geworden war, ist Oskar Pastior unerwartet und plötzlich am 2. Oktober 2006 gestorben. Take 3 0'20'' Ich bin, was ich schreibe..... konstituiert sich im Text. Autorin: Vor dem Gespräch im Oktober 1986 hatte ich Rumänien besucht und war von keiner Reise so verstört zurückgekommen, ich hatte mich für das Rumäniendeutsche interessiert, wohl wissend, dass Oskar Pastior diesen Fonds längst hinter sich gelassen hat. Doch mit seiner unaufgeregten Freundlichkeit ging er auf das Thema ein. Ich war zurückgekommen mit der Frage: Wie kann man leben in solchen Denk- und Handlungsverboten, wie kann man die dauernde Überwachung und Gängelung ertragen, die Erpressung zur Kollektivität? Und was sind die Spätfolgen? Vielleicht fühlte sich Oskar Pastior gequält von diesem Wissenwollen. Jetzt nach 21 Jahren, ein Jahr nach Oskar Pastiors Tod und ein Jahr, nachdem seine frühen Gedichte aus Rumänien im ersten Band seiner Werkausgabe erschienen sind, denke ich: Es wächst etwas zusammen, etwas greift Raum. Gibt es eine Brücke zwischen den Systematiken seiner Texte, die gleichzeitig Zwänge der Sprachlogik in der größtmöglichen kombinatorischen Freiheit vorführen und der Erfahrung des Eingesperrtsein, der Gängelung? Nachdem ich einige der mir damals zugänglichen Gedichte von Oskar Pastior gelesen hatte, die noch in Rumänien entstanden waren, hatte ich den Eindruck, dass sich mit dem Systemwechsel auch sein Schreiben verändert hatte. Der Wechsel kam mir wie ein Sprachschock vor. Oskar Pastior widersprach lebhaft. Take 4 . 5'40 O.P. So stimmt das nun nicht. Denn gerade vom ersten Band hatte ich dreiviertel der Texte schon in Bukarest geschrieben und mitgebracht. Also, es war längst vorbereitet, drei, vier Jahre zurückliegend. Mein Sprachschock hat schon in Bukarest eingesetzt. U.K. Was hat denn diesen Sprachschock ausgemacht? Bedeutet er, dass Ihre Art, die Semantik zu entkleiden, wie leichthändig Sie dies immer tun, in Rumänien nicht mehr lebbar und sprechbar gewesen wäre? O.P. Da müßte man sehr weit ausholen. (Pause) Ich hatte in den letzten Jahren in Bukarest am Rundfunk gearbeitet. Es war eigentlich eine protokollarische Fertigbauteilsprache, mit der ich mich herumgeschlagen hatte. Hinzu kam noch die Auseinandersetzung mit der sogenannten historischen Gesetzmäßigkeit, die verordnet war. Mit Dingen wie: Der Zweck heiligt die Mittel. Außerdem kam hinzu, dass meine Karriere dort vorgezeichnet erschien. Wenn ich so weitergemacht hätte, wäre ich regelrecht zum Aushängeschild - U.K. Zum Staatsdichter ? O:P. Ja, zum Staatsdichter geworden. All das kam hinzu. Natürlich auch die begrenzte Leserschaft. U.K. Um welchen Preis wollten Sie nicht Staatsdichter werden? O.P. Um den Preis des Ich. (Pause) Klar war, dass bei begrenzter Leserschaft von damals 380.000 potentiellen Lesern man Rücksicht nehmen musste auf die Aufnahmefähigkeit, darauf, dass die meisten auf dem Land wohnten. wenn man das ernsthaft betrieben hätte, hätte man sich dessen total begeben, was man hätte schreiben wollen. Und ich wollte natürlich für eine große, eine größere Leserschaft schreiben. U.K. Aber Sie haben hier ja Ihr Schreiben auf eine ganz andere Weise reduziert, haben sozusagen eine Minderheitensprache innerhalb der Literatur entwickelt. Sie schreiben hier, obwohl Sie in dem größeren deutschen Sprachraum sind, ganz und gar nicht für das große Publikum. O.P. Ich glaube, das ist meine Eigenart. Aber das ist sie wahrscheinlich doch nicht, es steckt wohl noch viel mehr dahinter: die Fortsetzung der Minderheit auch auf diesem Wege. U.K. Viele der Autoren, die aus Rumänien kamen, sind hier verstummt - auf die eine oder die andere Weise. Sie haben hier mehr und mehr und mehr gemacht, experimentiert. Wie erklären Sie sich das Verstummen? O.P. (lange Pause) Ich glaube, Autoren, - hier spreche ich ganz hypothetisch - die bloß ihre politisch-ideologische Optik um 180 Grad, das heißt spiegelverkehrt, gewendet haben, übersehen, dass sie hier zwar in entgegengesetzter Richtung, aber auf dem gleichen Strich weitergehen, und das führt zum Scheitern. U.K. Heißt das, ein Dissidententum dort mit einem Dissidententum hier parallel setzen zu wollen? O.P. Nein, ich würde eher sagen, dass erst eine antiideologische, antidogmatische Schreibweise der Rede wert ist, und zwar nicht, um etwas wie Literatur zu machen, sondern einfach, um Mensch zu bleiben mit den Zacken und Schwächen und Eigenheiten, die man hat. U.K. Das hieße aber doch, dass das Schreiben und Denken, obwohl es sich von dem Druck befreien will, so verformt ist, dass es diesen Bruch gar nicht aushalten kann. O.P. Ja, ich komme nun mal aus der Generation der Ideologie-Geschädigten, sowohl Hitlers Krüppel als auch Stalins Krüppel. Ich hoffe, dass mich diese Schädigung auch irgendwo immun gemacht hat; Sie gehört trotzdem zu mir. U.K Aus dem Geschädigtsein den Schluss zu ziehen, das einzige, was bleibt, ist die Arbeit an der Sprache, an ihrer Genauigkeit, die Zertrümmerung und Wiederzusammen-setzung der Sprache, ist ja eine sehr eigene Lösung von Ihnen. O.P. Ja, aber für mich ist die Sprache der Gegenstand, der mich interessiert. U.K. Das wäre auch sonderbar für einen Dichter, wenn es anders wäre. (gemeinsames Gelächter) O.P. Ich weiß, es ist ein schmaler Grat, aber da liegt mein Interesse. Ja, sowohl das Interesse am Gebrauch und am Mißbrauch, an den Sitten und Unsitten der Sprache. U.K. Hat dieses Sprachbewußtsein etwas damit zu tun, dass für eine Sprachminderheit wie die, in der Sie aufgewachsen sind, die Sprache immer eine Gewißheit und gleichzeitig eine Besonderheit ist? Denn die Rumäniendeutschen sprechen ja einen Dialekt, und die Schriftsprache ist eine selten gehörte Kunstsprache, vielleicht auch eine Herrschaftssprache. O.P. Ja, das ist die eine Seite. Aber andererseits, wenn man in einer vielsprachigen Umgebung lebt und schreibt, ist die wichtigste Erkenntnis die der Relativität der eigenen Muttersprache, und diese Erkenntnis kann erst eine Objektivität beim Schreiben freisetzen. Ende Take 4 Autorin: Als wir dieses Gespräch führten, war nicht absehbar, dass eine Epoche bald abgeschlossen wäre. Der Zusammenbruch der osteuropäischen Diktaturen war nicht absehbar. Auch nicht absehbar war, dass die Schauplätze des Leidens, der Unterdrückung von den Opfern wieder aufgesucht werden könnten, dass sie sich gefahrlos in das baufällige Museum des gescheiterten Aufbauwillens begeben könnten. Eine ganz unverhoffte Konsequenz. In der rumäniendeutschen Literatur der fünfziger Jahre war die große einende Metapher "Das Bauen", "Der Bauplatz", bis sie sich gründlich verbraucht hatte. Take 5 2'50 Min. O.P. Es ist eine Grunderfahrung der Generation, die den Krieg schon oder noch bewußt mitgemacht hat. Und wer wie ich während der Deportation gesehen hat, dass alles kaputt ist und auf den Nullzustand reduziert, von dem es nur aufwärts gehen kann, hat eine Art Robinson-Erlebnis gehabt. Und infolgedessen ist das konstruktive, das aufbauende Prinzip etwas, das mir in Fleisch und Blut übergegangen ist, an dem ich auch gleichzeitig eine ästhetische Empfindung habe. U.K. Und vom Bauen geht es ja sehr leicht zum Konstruktiven der Sprache. Indem man Sätze nebeneinandersetzt, hat man auch die Möglichkeiten eines Baukastenprinzips. O.P. Ja, der Erbauer wird zum Schöpfer, das ist ja sowieso die Hybris der Poeten, aber auch der Reiz. Auf dem Bauplatz Offne Worte soll der Dichter führen: das Gedicht sei gastlich wie ein Haus. Durch der Bilder aufgesperrte Türen geht der Leser sicher ein und aus. Offne Worte soll der Dichter führen. Die Verantwortung gibt ihm Stärke: Ausgesprochen wird das Wort zur Tat. Wachsen soll das Haus aus seinem Werke, das er in dem Haus geschaffen hat. Die Verantwortung gibt ihm die Stärke, aufzustehen für des Menschen Würde. Jeder Reim sei wie ein Fenster rein, das die Freiheit von der abgeworfnen Bürde nun als Bauplatz spiegelnd läßt herein. Aufstehn darf er für des Menschen Würde. Und sein Blick soll alles Leben fassen. Mächtig ist der Mensch. Der Dichter auch. Schwingt sein Pfeil im Bauplatz ohne Maßen, steht er, Quader, in dem Hause auch. Denn sein Bild kann weit das Leben fassen. Darum will er offne Worte führen, gastlich danken allen in dem Haus. Die den Dachstuhl fügen, werden spüren: i h r e Liebe geht hier ein und aus. Darum will der Dichter offne Worte führen. Ende Take 5 Autorin: Was mir an diesem Gedicht gefiel, war die Emphase des Glücks zu beginnen, wie problematisch es immer war, der unvermittelte Übergang vom Konstruktiven des Hausbaus zum Konstruktiven der Dichtung, denn es ist ja kein selbstverständlicher Übergang. Und in den fröhlichen, einfachen Reimen, die fast an eine Richtfest-Poesie erinnern, wird nicht nur eine Verantwortung des Dichters übernommen, es werden auch Regeln des Bauens und Dichtens postuliert, Freiheiten, Offenheiten, die sich der Baumeister aus seiner Kenntnis der Baustelle wie der Dichter kraft seiner poetischen Potenz nehmen muss: offene Worte, keine festgestanzten Floskeln, keine Parolen. Take 6 O.P. Ja, da muss ich aber gleich eine Reserve einbauen. Dieses Gedicht aus dem Band "Offne Worte" von 1964 jongliert ja wie viele meiner Gedichte aus jener Zeit mit der Dialektik. Dialektik als eine bequeme und simple Methode, die eigentlich vieles zuschmiert. Obwohl sie ihren ästhetischen Reiz hat und geistreich sein kann, siehe Brecht. Jedenfalls ist sie in diesem Gedicht noch voll dabei. Ende Take 6 Autorin: Das Gedicht "Auf dem Bauplatz" war in dem Lesebuch zu Pastiors 60.Geburtstag "Jalousien aufgemacht" nicht enthalten. Sein Konzept, die eigene Entwicklung in aller für ihn selbst schonungslosen Offenheit zu zeigen, war noch nicht geboren. Die Offenheit, die der Titel von Pastiors erstem Gedichtband suggerierte, ist hier eher inhaltlich gefüllt, formal erinnert es an Stephan Hermlins "Ballade von den alten und den neuen Worten." Auch die Kenntnis von Ingeborg Bachmanns Gedicht "Ihr Worte" könnte vorausgesetzt werden. Doch die Emphase des Aufbau-Arbeit wird gefiltert durch den Pastiorschen Schalk, durch die starke und souveräne Rhythmisierung. Erst im ersten Band der Werkausgabe "...sage, du habest es rauschen gehört", ist es aufzufinden. Ich fragte Oskar Pastior an diesem Sonntag im Jahre 1986 nach dem Konflikt, als Deutscher, "Volksdeutscher" automatisch auf die Seite der Täter gestellt zu zu werden, von der Schulbank weg zu Reparationsleistungen in der Sowjetunion verpflichtet zu sein und Opfer zu werden. Take 7 3'28 O.P. Ich glaube, der Konflikt ist in meine Sachen eingegangen. Ich habe, als ich schließlich in die Bundesrepublik kam, nie versucht, die exotische Herkunft und Biographie vor den Karren der Poesie zu spannen. Ich wollte einfach ein deutscher Autor unter vielen deutschen Autoren sein und versuchen, ob ich mich bewähre. Ich wollte schreiben, was mich interessiert. Hauptgegenstand: Die Sprache. Ich glaube, nämlich zur Würde und zur Freiheit gehört, dass man selber auch fehlbar ist und dass der sogenannte Weg, auf dem man sich befindet, nicht vorgezeichnet wurde. U.K. Was wäre dann die Fehlbarkeit, von der Sie sprechen? O.P. Das sind die Zacken. Ich wollte mich nie rechtfertigen für das, was ich getan habe, sondern in dem, was ich schreibe, selbst da sein. Und Fehlbarkeit, die ich anderen zugestehe, auch bei mir zugestanden wissen. U.K. Aber noch einmal, was wäre die Fehlbarkeit in Ihrem Sinne? Eine spezifische Biographie - vom Faschismus zum Stalinismus? O.P. Bei mir persönlich: im Aufbau Rumäniens den Idealen zeitweise sehr träumerisch angehangen zu haben, mich dieser Ideale vergewissert und sie in meinen Gedichten immer wieder beschworen zu haben. Es wäre wahrscheinlich eine romantische Selbstvergewisserung dessen, was man ideal wollte, und dabei übersah man furchtbar viel, was konkret rundherum geschah. Ende Take 7 Autorin: Was für ein empfindliches Gewissensorgan. Ein Sprachgewissensorgan, das ihn von anderen Autoren seines Geburtsjahrgangs radikal unterscheidet, eine Vorsicht und Nachsicht, ein Wille zur ernsthaften Dokumentation des Aufgegebenen, Einengenden, Begrenzten. Die Texte der frühen Jahre nach der Rückkehr aus der Deportation zeigen eine große Bandbreite von Facetten, Liedhaftes, groteske Reihungen, Gedichte in der die Sprachskepsis, die das spätere Werk bestimmt, bereits angelegt war. Aber Oskar Pastior hat auch in Bukarest, als er Rundfunkredakteur war, Hefte angelegt, in denen er über das Trauma der Deportation, über das Ausgesetztsein als Zwangsarbeiter geschrieben hat, es zu verarbeiten suchte. Take 8 Das Missing Link waren die Hefte............ ein großartiges Panorama war das. Autorin: Und ich dachte bei dieser Nachricht vom Aufgeben an eine andere autobiographische Nachricht von ähnlich schmerzhafter Dichte: dass Imre Kertesz bekundet hatte, er habe zehn Jahre gebraucht, in denen er nicht schrieb oder sich in Komödien rettete, bevor er sein großes Buch über das Kind, das er im Konzentrationslager war, der "Roman eines Schicksallosen" schreiben konnte. Angeregt durch Herta Müller, deren Mutter ebenfalls aus Rumänien in die Sowjetunion deportiert worden ist, nahm Oskar Pastior im letzten Lebensjahr die Hefte wieder hervor, und zusammen mit Herta Müller begann er zu schreiben, kurze gegenständliche Stücke vom Hungerengel, vom Betonmischen, vom Kopfkissen, von neugeborenen Mäusen, einem geschenkten Taschentuch, der grenzenlosen Hoffnungslosigkeit, in der Jahre vergehen und über denen doch ein Imperativ steht: Du mußt leben wollen. Ein Erzählen, das um existenzielle Fragen des Überlebens unter entwürdigenden Bedingungen kreist und all die beinahe verlorenen Gegenstände und die Wörter, die sie bezeichnen, ernst und wortwörtlich nimmt. Das Ich dieses Erzählens ist kein autobiographisches Ich, es ist ein Kunstfigur, der zwei Autoren ihre Stimme leihen, so dass eine dritte, ganz neue und ungewöhnliche Stimme entsteht. Eine welthaltige Stimme von fern, unendlich bewegend in den winzigen Beobachtungen, auch den Freuden, die im Lagerleben aufblitzen. Herta Müller und Oskar Pastior lasen mehrfach aus diesem Erzählkonvolut. Es hat sich glücklicherweise eine Tonaufnahme dieser Veranstaltung im Garten des Literarischen Colloquium in Berlin am 18.6.2006 gefunden. Herta Müller wird dieses gemeinsam konzipierte Buch zuende schreiben. Wie eigenwillig es in seinen vorgetragenen Teilen ist, wie bedrängend. Take 9 Es gibt Wörter, die machen mit mir, was sie wollen......Mir scheint, da läuft was über. (Auf der CD mit der Aufnahme beginnt diese Stelle etwa nach 30 Minuten.) Zitate aus: Oskar Pastior: "...sage, du habest es rauschen gehört" Werkausgabe 1. Band Hanser Verlag München 2006 Herta Müller/ Oskar Pastior: "Hungerengel eins zwei drei". Rechte: Oskar Pastior-Stiftung, Herta Müller mit freundlicher Unterstützung des Literarischen Colloquiums Berlin 13