COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 08.02.2011 Die CSU und die Bauern Autor: Michael Watzke Red.: C. Perez Anmoderation: Die EU-Agrarpolitik ist eine Politik der Zukunft. Dabei übernimmt die Landwirtschaft weit mehr Aufgaben als nur die Nahrungsmittelproduktion. Darin sind sich EU und CSU einig. Die Agrarpolitik stabilisiert die natürlichen Ressourcen und schafft die Basis für eine wirtschaftliche Nahrungsmittelindustrie. Darin sind sich EU und CSU einig. Deshalb müssen auch nach 2013 die Direktzahlungen und die ländliche Entwicklung die Agrarpolitik unterstützen. Darin sind sich EU und CSU einig. Die EU muss international stärker auf die Einhaltung strenger Umwelt- und Qualitätsstandards achten, damit Europas und vor allem Bayerns Landwirte keine Wettbewerbsnachteile haben. Auch nach 2013 müssen über den EU-Agrarhaushalt Leistungen ausgeglichen werden, die über den Markt nicht abgedeckt sind. Darin sind sich EU und CSU einig. Und die Bauern ? Für sie sind noch viele Fragen offen. Michael Watzke ist mit seinem Fragenkatalog übers Vieh zu den bayrischen Bauern vorgedrungen. Beitrag: Abendfütterung im Viehstall von Bauer Josef Brandl. TAKE 1 Stier Bruno schafft sich Platz am Futtertrog. Mit seinen mächtigen Hörnern verscheucht er die anderen Tiere. Aber die Kühe und Kälber haben genug Platz, um dem Bullen auszuweichen. TAKE 2 Bauer Brandls Hof steht in Königsdorf, einer kleinen, oberbayerischen Gemeinde bei Bad Tölz. Wer aus dem Stallfenster blickt, schaut auf die Alpen. TAKE 3 Dort bekommt Josef Brandl derzeit rund 33 Cent pro Liter Milch. Durch die Direktvermarktung ist er nicht ganz so stark vom Milchpreis abhängig wie andere Bauern. Trotzdem sorgt er sich um die großen Schwankungen. 2009 zahlten die Molkereien im Schnitt nur 23 Cent pro Liter. TAKE 4 Nachhaltigkeit entsteht für Brandl auch durch Subventionen. Die Fördergelder aus Brüssel sind vor allem für die bayerischen Höfe wichtig. Denn die meisten Betriebe im Freistaat sind klein und bäuerlich geprägt. Ihre Einkommen bestehen im Durchschnitt zur Hälfte aus Direktzahlungen der EU: TAKE 5 Josef Brandls Hof erhält jedes Jahr Subventionen zwischen 30.000 und 40.000 Euro. Dafür produziert er nicht nur Milch und Fleisch, sondern pflegt auch das klassische bayerische Landschaftsbild. Die braungefleckten Kühe auf den sattgrünen Weiden, die kleinen, sauber gepflegten Felder. TAKE 6 Die Bodenständigkeit sicherte in Bayern lange Zeit die CSU. Zumindest aus Sicht der Bauern. Keine Berufsgruppe wählte in Bayern so geschlossen die Christsozialen wie die Landwirte. Mehr als 80 Prozent waren es in vergangenen Jahrzehnten. Bis die Landtagswahl 2008 kam. Und ein urbayerischer Grünen-Abgeordneter namens Sepp Daxenberger eine Art Bauernrevolution auslöste. TAKE 7 Plötzlich verlor die CSU ihren wichtigsten Wählerstamm. Bayernland ist Bauernland. Jeder dritte deutsche Landwirt lebt im Freistaat. Kein Bundesland ist so agrarisch geprägt wie Bayern. Die bittere Wahlniederlage der CSU 2008, der Verlust der absoluten Mehrheit - er hatte seinen Ursprung bei der Abkehr der Bauern, sagt Georg Schmid, CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag. TAKE 8 München, Max-Josephstraße. Ein prächtiger Palais mit Marmortreppen und Fresken an der meterhohen Stuckdecke. Hier, wo München am repräsentativsten ist, residiert Bayerns oberster Landwirt. Nein, nicht der Landwirtschaftsminister. Sondern Gerd Sonnleitner, Präsident des bayerischen und deutschen Bauernverbandes. Er gibt eine Führung durch seinen Amtssitz. TAKE 9 Das Palais Schrenk-Notzing vermittelt einen guten Eindruck von der Macht, die Bayerns wichtigste berufständische Verbindung besitzt. Gerd Sonnleitner wirkt in seinem brauen Tweedjacket mit den Ärmelschonern eher unscheinbar inmitten der italienischen Villenpracht. Aber wenn er spricht, hört die CSU sehr genau zu. Vor allem, wenn er die letzte Landtagswahl analysiert und zum Ergebnis kommt: TAKE 10 Wohlgemerkt: Gerd Sonnleitner redet nicht im Präsens, sondern im Perfekt. Seit der Wahlschlappe der CSU vor zweieinhalb Jahren hat sich einiges verändert in Bayern. Die Milch- und Fleischpreise haben sich stabilisiert. Und immer mehr Bauern verdienen Geld mit Energie. Sie bauen Raps zur Biodiesel-Produktion an oder speisen Strom aus Biomasse- Anlagen ins Netz. Es geht ihnen finanziell wieder besser. Aber noch immer schauen sie bang in die Zukunft. Nach Brüssel. TAKE 11 Es geht um Milliarden. Es geht darum, wie viel Subventionen bayerische und deutsche Bauern ab 2014 noch bekommen werden. Es geht um zwei Säulen. Aus der ersten Säule erhalten die Landwirte Direktzahlungen aus Brüssel für das, was sie produzieren. Vereinfacht gesagt: je mehr Milch oder Fleisch sie produzieren, desto mehr Geld gibt es. Bayerns Landwirte haben aber eher kleine Höfe. Sie produzieren nicht so viel wie etwa ostdeutsche Agrarbetriebe. Und schon gar nicht messen können sie sich mit der Agrar-Industrie, wie man sie etwa in Holland findet. Deshalb ist für bayerische Bauern vor allem die zweite Säule wichtig, erklärt Bayerns Landwirtschaftsminister Brunner: TAKE 12 Der Herr der zwei Säulen ist EU-Landwirtschafts-Kommissar Dacian Ciolos. Brunner sagt, er rede regelmäßig mit dem Rumänen und habe einen guten, persönlichen Draht zu ihm: TAKE 13 Das Interesse Bayerns. Niemand schreibt sich dieses Interesse so groß auf die weiß-blauen Fahnen wie die CSU. Jeder zweite Bundeslandwirtschaftsminister seit Gründung der Bundesrepublik kommt aus Bayern. Zuletzt waren es Horst Seehofer und Ilse Aigner. Die CSU hat fast schon ein Monopol auf das Bundeslandwirtschaftsministerium, wenn in Berlin die Union an der Macht ist. Von einer klaren strategischen Positionierung spricht CSU- Fraktionschef Georg Schmid: TAKE 14 Fühlen sich Bayerns Bauern der CSU tatsächlich wieder so nah, als seien Ilse Aigner und Helmut Brunner jeden Abend im Melkstall zu Gast? Gerd Sonnleitner schüttelt den Kopf. Zwar habe die CSU seit 2008 ihr Profil geschärft, aber noch immer sei sie für viele Bauern nicht berechenbar genug. Das habe sich beim Dioxin-Futtermittel-Skandal gezeigt. Der in Bayern zuständige Verbraucherschutz-Minister Markus Söder sei regelrecht abgetaucht: TAKE 15 Das Original sind die Grünen. Ihren Wahlerfolg von 2008 verdanken sie auch den Bauern. Lange Zeit hatte sich eine tiefe Kluft zwischen Landwirten und Grünen aufgetan. Die Ökopartei galt vielen Bauern als eine Ansammlung weltfremder Spinner aus dem Münchner Glockenbachviertel. Dass die Grünen auf dem Land plötzlich doch Zuspruch fanden, verdankten sie Sepp Daxenberger. Selbst ein Landwirt aus Waging am See in Niederbayern, der oft im Bauernkittel auf dem Abgeordnetensitz im Landtag saß. Seinen Ausruf "Besser frisch aus dem Stall als frisch vom Versicherungsbetrug" zitieren bayerische Bauern noch heute. Daxenberger forderte einerseits eine grüne Landwirtschaftsreform, wetterte aber gleichzeitig gegen die eigenen Parteikollegen, wenn die das Kreuz in den Klassenzimmern abhängen wollten. Am 18.August 2010 starb Daxenberger. Zuvor hatte er im Landtag in einer bewegenden Rede sein Mandat niedergelegt: TAKE 17 Sepp Daxenberger war und ist für die bayerischen Grünen unersetzlich. Ohne ihn tun sie sich an der bäuerlichen Basis schwer. Etwa bei Josef Brandl. TAKE 18 Dass nichts vorwärts gehe, beklagen viele Bauern, parteiübergreifend. Ein Grund dafür: kein Wirtschafts- und Politikbereich in Europa ist so stark vergemeinschaftet, so stark abhängig von Brüssel, wie die Landwirtschaft. Die EU verwaltet und verteilt 54 Mrd. Euro jährlich. Das ist fast die Hälfte des EU-Gesamthaushalts. Der Agrarbereich ist das einzige Feld, das voll in der Kompetenz Brüssels liegt. Veränderungen sind hier kompliziert. Das erfuhr schon Bayerns Ministerpräsident Seehofer. Der hatte als Bundes-Landwirtschaftsminister viel gefordert und wenig durchgesetzt, kritisiert Bayerns SPD-Landwirtschaftsexperte Ludwig Wörner: TAKE 16 Die SPD allerdings hat davon bei den bayerischen Bauern nicht profitieren können. Bei der letzten Landtagswahl stimmten die traditionell sehr eigentumsorientierten Landwirte noch eher für FDP und freie Wähler als für die SPD. Bei "den Roten" zu sein, geht unter Bauern im Freistaat fast als Schimpfwort durch. Aber auch die Schwarzen müssen mittlerweile um jede Bauernstimme hart kämpfen, sagt Josef Brandl. TAKE 19 Es gibt in Bayern keinen Berufsstand, der ergebnisorientierter denkt als die Bauern. Das hat nichts mit Bauernschläue zu tun. Ein bayerischer Landwirt muss unternehmerisch rechnen, wenn er seinen Hof erhalten will. Dass die CSU derzeit in Umfragen wieder bei 46% liegt, verdankt sie vor allem der Tatsache, dass sie die Bauern zurückgewonnen hat. Rund 70% der bayerischen Landwirte würden derzeit CSU wählen. Ob dieser Zuspruch dauerhaft ist, wird in Europa entschieden. Wenn die Bauern zwischen Aschaffenburg und Zwiesel bald deutlich weniger Fördergeld aus Brüssel bekommen sollten, wird die CSU das bei der nächsten Landtagswahl merken. Bis dahin haben die CSU-Landwirtschaftsminister Aigner und Brunner noch viel Zeit für druckvolle Lobbyarbeit. Die nächste Landtagswahl in Bayern ist erst 2013.