COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Abteilung Kulturkritik und Literatur Radio Thema Dostojewski spricht Deutsch - über die Kunst des literarischen Übersetzens von Ute Mings (mit Hans Magnus Enzensberger, Claudia Ott, Fuad Rifka, Raoul Schrott und Rosemarie Tietze) ----- Musik Earopean: Riverrun SPRECHER: Im Jahr 1929 bat James Joyce einige Freunde in Paris, darunter Samuel Beckett, Phillippe Soupault und Ivan Goll, ein Kapitel aus seinem gerade entstehenden Roman "Finnegans Wake" ins Französische zu übersetzen. Mit diesem Werk versuchte Joyce nichts Geringeres, als die biblisch überlieferte Sprachverwirrung nach dem Turmbau von Babel rückgängig zu machen. Er veränderte die englischen Wörter, baute sie um und mischte sie neu bis sie eine Vielfalt anderer Sprachen ahnen ließen und sich in einem Sprachfluss bewegten, der Wörter von den Sprachen am Ufer mit sich riss - mehr zu ahnen in seinen Anspielungen als zu begreifen aber in Klang und Rhythmus zu hören. AUTORIN: Finnegans Wake ist eine literarische Legende, scheinbar unübersetzbar - und wird doch immer wieder weltweit in Nachdichtungen übertragen. SPRECHER: In der Ursprache hatte vielleicht Gott einst mit den ersten Menschen gesprochen, darin entsprechen Worte und Dinge einander genau. Doch der Turmbau von Babel erzürnte Gott und er zerschlug dieses Bauwerk menschlicher Hybris und mit ihm die Sprache des Paradieses. Seitdem herrscht verschwenderische Sprachenvielfalt auf der Welt und die Völker reden in vielen Zungen aneinander vorbei. Nur als Erinnerung an den Verlust und höchstens zu ahnen in der Poesie, so überlebte die Ursprache im Gedächtnis der Menschen. AUTORIN: Man könnte deshalb auf den Gedanken kommen, dass das Übertragen von einer Sprache in die andere zu den wichtigsten und daher hoch geachteten Professionen gehört. Es ist aber anders. Als schämten sich die Menschen ihrer geringen Kenntnisse der fremden Sprachen, werden die Helfer, die Übersetzer versteckt. Sie sind die Unsichtbaren, Namenlosen: die eingeblendete Stimme bei Simultanübersetzungen oder die leicht Gebeugten, diskret Murmelnden, zum Beispiel neben Politikern bei Gipfeltreffen. Paradox wird es beim Übersetzen literarischer Texte: da gilt jene Version als die Gelungenste, der man den Transport aus der Ausgangssprache in die Zielsprache nicht anmerkt, das heißt der literarische Übersetzer ist dann am besten, wenn er sich selbst zum Verschwinden bringt. Doch was wüssten die meisten von uns von den Literaturen der Welt, wenn es diese Unsichtbaren nicht gäbe? Der intellektuelle Reichtum der Welt bliebe uns verschlossen. SPRECHER: Etwa 10 Prozent aller Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt kommen aus anderen Sprachen, in der Belletristik ein Fünftel. Bei den Bestsellern liegt der Anteil über der Hälfte. Von literarischen Übersetzungen leben Verleger, Autoren, Lektoren, Drucker, Vertreter, doch gehört die Arbeit zu den meist dürftig honorierten. Kaum ein Übersetzer könnte allein von dieser Arbeit leben. Von Zeit zu Zeit werden dazu in den Feuilletons Wortgefechte mit Verlegern, die mit ihrer knappen Kalkulation argumentieren, ausgetragen. Doch- unabhängig von Normverträgen und Seitenhonoraren: Was geschieht in dem geheimnisvolle Prozess, der aus einem Buch in der einen Sprache eins in einer anderen werden lässt- das gleiche Werk, ganz anders. --------- über Musikakzent----------- STATIONSSPRECHER: Die unsichtbaren Arbeiter der Weltliteratur ------Zuspielung 1 Ich sag immer, es sind die aristokratischen Kulis der Literatur SPRECHER: Hans Magnus Enzensberger kennt das Übersetzen aus unterschiedlichen Perspektiven. Er hat sich mehrere Sprachen angeeignet und bewegt sich zwischen ihnen zum Training für die eigene literarischen Beweglichkeit.. ------ZUSPIELUNG 02 Es ist die genaueste Form der Kritik, denn Sie müssen einen solchen Text ja erst einmal auseinander nehmen und wieder zusammensetzen, dabei lernt man manches, man erkennt die Tricks der anderen, ich finde es ganz töricht, sich auf seine eigenen Ressourcen zu verlassen, es ist eine Sache, die seit Tausenden von Jahren gemacht wird, da gibt es sehr gute Leute, und warum soll man von denen nicht etwas lernen.. ------------ZUSPIELUNG 04 Ich bin ja nicht in der Liga von Günther Grass, der macht ja riesige Konferenzen, da werden Übersetzer aus der ganzen Welt eingeflogen, und dann bespricht man seinen Text. Die stellen ihm Fragen, das ist ein sehr aufwendiges System, ich finde das gut, warum denn nicht, vielleicht werden die Übersetzungen dann besser. Aber das steht einem Lyriker nicht zur Verfügung, da gibt es gar nicht die Mittel. Einmal ist es mir passiert, dass ich eine Übersetzung nicht mochte und da hab ich mich kurzerhand selbst an die Arbeit gemacht. Ich hab dann so ein ganzes Buch ins Englische übersetzt, hatte einen guten Freund in England, Michael Hamburger, der hat sich das angeschaut, ich brauch schon den Blick eines native speakers, der hat aber nicht viel gefunden. Und die Übers. gibt es dann halt jetzt. Das war wirklich ein Grenzfall, das war mir wichtig aus irgendeinem Grund. "Untergang der Titanic" war das, ich wollte das nicht so stehen lassen. SPRECHER: Als Herausgeber der Buchreihe: "Die andere Bibliothek" stand Enzensberger den Übersetzern aber auch als Verleger gegenüber. ------ ZUSPIELUNG 05 Da habe ich immer gesagt, wir müssen die besten Übersetzer haben. Das kostet zwar, aber in einer Kalkulation ist es nicht der größte Kostenfaktor, das stimmt einfach nicht. Es ist auch Geiz. -------- ZUSPIELUNG 06 "Der Übersetzer ist das Schlusslicht der Literatur." SPRECHER: Rosemarie Tietze notierte sich dieses Zitat eines französischen Schriftstellers schon als Dreizehnjährige, sie wurde trotzdem Übersetzerin. Inzwischen ist sie eine der Renommiertesten ihres Metiers, zuständig für russische Gegenwartsautoren und Klassiker: ihre Neuübertragung von Tolstojs "Anna Karenina" wurde hoch gelobt und vielfach ausgezeichnet. Lange arbeitete sie auch als Simultandolmetscherin - und sie war schon früh eine engagierte Kämpferin für bessere Bedingungen ihrer Arbeit. AUTORIN: Erst wurde sie Vorsitzende eines Freundeskreises, der Gelder für Reisestipendien sammelte. Daraus entstand 1997 der deutsche Übersetzerfond, der dann einen prominenten Fürsprecher fand: anlässlich eines Übersetzerpreises hatte man kühn den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog eingeladen. AUTORIN: Allmählich war auch der eine oder die andere aus der Branche mit Namen bekannt geworden, es gab sogar einige Stars. Die Öffentlichkeit begann, Eigenarten und Unterschiede der jeweiligen Arbeit zu ahnen. Swetlana Geier wurde geradezu berühmt, als sie alle großen Romane von Dostojewski neu übersetzte. Nicht zum ersten Mal sprach Dostojewski Deutsch, aber jetzt klang es vielstimmiger. Und die Übersetzer diskutieren ihr Selbstverständnis. Gleichen sie anderen darstellenden Künsten? Sind sie interpretierende Künstler wie Schauspieler oder Musiker, Virtuosen, wie alle, die immerzu üben und lernen und dann Fremdes zur Darstellung bringen? SPRECHER: Es war eine Revolution, als Martin Luther sich über das Verbot der Übersetzung der Heiligen Schriften hinwegsetzte, und die Texte ins Deutsche übertrug. Damit prägte er bis heute unsere Sprache und unser Weltbild. Goethe sprach als erster von "Weltliteratur", und meinte Vermittlung und wechselseitige Anerkennung der Weltsprachen, aufgehoben in der jeweiligen Nationalsprache. Sein Jahrhundert war die hohe Zeit der Neugier auf Fremdes und Vergangenes: die deutsche Klassik wäre undenkbar ohne die Wirkung des griechisch römischen Altertums oder ohne Corneille und Racine. Fast alle Dichter der Zeit, wie Wieland, Herder, Goethe und Schiller, oder Hölderlin, Tieck und die Brüder Schlegel übersetzten mit Begeisterung. Wilhelm von Humboldt sprach von der " notwendigsten Tätigkeit einer Literatur." Seitdem gilt Deutschland als das klassische Land der Übersetzungen und Übersetzer. AUTORIN: Nach dem zweiten Weltkrieg und den deutschen Exzessen im Tausendjährigen Reich suchte man wieder Anschluss an die Welt und nach Fremdsprachen-Kundigen. Es waren meistens gebildete Amateure, die sich an die Arbeit machten, die modernen Autoren aus dem Ausland zu übersetzen: "Freifräuleins beiderlei Geschlechts", meinte der Übersetzer Otto Baier, und "Freifräuleins" forderten keine Honorare. Sie waren oft schon froh, ihren Namen oder auch nur ihr Werk gedruckt zu sehen. SPRECHER: Inzwischen werden Preise und Stipendien vergeben, es gibt Studiengänge, Schulen, Tagungen finden statt, Übersetzer werden in der Presse und auf Veranstaltungen vorgestellt, intern und auf Foren im Internet gibt es heftige Debatten über Qualität und Methode, die manchmal auch die Feuilletons erreichen. Es gibt geradezu eine Flut von Neuübersetzungen der großen Klassiker und von manchen Werken der Weltliteratur entstehen beinahe zeitgleich neue Versionen - zum Beispiel von der Göttlichen Komödie oder vom Koran. ---- Musikakzent, darüber STATIONSSPRECHER: Zwischen den Kulturen AUTORIN: Fuad Rifka, der syrisch-libanesische Dichter und Philosoph, übersetzt aus dem Deutschen in Arabische. Als der inzwischen 8o-Jährige mit dem wichtigsten Preis der Goethe-Institute ausgezeichnet wurde, schloss sich für ihn ein biographischer Kreis. SPRECHER: Vor etwa 60 Jahren begann er an der amerikanischen Universität in Beirut deutsche Philosophie zu studieren und träumte vom Land der Dichter und Denker. Einmal ging er, eher aus Langeweile, ins Beiruter Goethe-Institut und griff sich ein Buch aus dem Regal. Es war eine zweisprachige Ausgabe von Rilkes Duineser Elegien, und der syrisch-libanesische Student begann die englische Übersetzung des deutschen Dichters zu lesen. -------------ZUSPIELUNG 07 Es ist wirklich sehr, sehr schwer zu beschreiben, was ich damals gefühlt habe. Genau wie ein Kiesel, der ganz langsam tief und tiefer ins Meer sinkt, so wurde ich allmählich total von diesem Buch gepackt. Ich wollte das Buch weiter lesen, eine Stunde war nicht genug. So habe ich das Buch in die Tasche gesteckt, ohne die Erlaubnis des Leiters zu haben und dann bin ich verschwunden. AUTORIN: Nach einem Monat kam er wieder und beichtete seinen Diebstahl dem Leiter des Goethe-Instituts. Der lachte nur und schenkte dem jungen Dichter das Buch. Durch die Lektüre war der Wunsch, in Deutschland die deutsche Sprache zu lernen, noch drängender geworden, bis - und hier zitiert Fuad Rifka Hölderlin - "wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch". das Rettende kam als DAAD Stipendium, mit dem der junge Student und Dichter nach Deutschland reiste. Er promovierte in Tübingen über Heideggers Ästhetik und las dazu die Dichtung von Hölderlin,Trakl und Rilke, Goethe und Novalis. ------ZUSPIELUNG 08 Und durch diese starke Berührung mit den beiden habe ich angefangen als junger Lyriker damals zu fühlen, ach, das ist genau was ich suche: Diese Freundschaft zwischen dem Denken und dem Dichten. Nirgendwo könnte man eine solche Freundschaft zwischen den beiden finden, besser als in Deutschland. Das ist genau, was meine Natur verlangte, ich bin von Natur aus eine Mischung von Dichten und Denken. Beide, das Denken und das Dichten sind befreundet miteinander in der deutschen Kultur, deswegen ist es nicht umsonst, dass die deutschen als das Volk des Dichtens und des Denkens beschrieben werden und ich glaube, dass das stimmt. Im Hause dieser Kultur möchte ich wohnen. Nicht möchte, das ist kein Wille, sondern das war mein Haus, meine Heimat, meine geistige Heimat und ich bin zufrieden, als wäre ich zunächst verloren im Dunkel wie ein Kind in der Wüste und dann habe ich auf einmal ein Licht gesehen und dieses Licht hat mir den Weg gezeigt. AUTORIN: In Fuad Rifkas Sprechen steckt etwas vom Archetypus der Dichters. Er ist nicht nur Vermittler, er ist ein Begeisterter, einer, der im Hin und Her zwischen zwei Sprachen unerwartete Gemeinsamkeiten entdeckt. ........ZUSPIELUNG 09 In beiden Kulturen haben wir ein mystisches Element, und in beiden Kulturen haben wir eine romantische Tendenz und so habe ich immer versucht, die Gedichte auszuwählen, die bei uns ein positives Echo finden. ----- MUSIK (Ott Mitschnitt) darüber AUTORIN: Claudia Ott wollte eigentlich Musikerin werden, doch daraus wurde zunächst nichts. So reiste sie in den Orient, studierte orientalische Sprachen, kehrte aber auch zur Musik zurück und lernte, die arabische Rohrflöte zu spielen. Wieder in Deutschland bekam sie den Auftrag, das berühmteste orientalische Buch überhaupt, "Tausend und eine Nacht" direkt aus dem Arabischen in Deutsche zu übertragen. Diese Geschichten von Scheherarzad, die um ihr Leben erzählt, jede Nacht an der spannendsten Stelle abbricht, damit ihr Geliebter, der König, sie nicht tötet, waren einmal in Europa so bekannt und beliebt wie die Bibel. Die Geschichte ihrer Verwandlung auf ihrem Weg aus dem Orient nach Europa und wieder zurück ist eine Geschichte von Übersetzungen. SPRECHER: Das setzte schon mit den ersten Übersetzungen der indischen und mittelpersischen Fassungen von 1001 Nacht ins Arabische ein, indem man zum Beispiel Koranrezitationen in das Werk aus vorislamischer Zeit einfügte. Die nächste Veränderung erfuhren die alten Texte, als der Orientalist Antoine Galland im frühen 18. Jahrhundert die Geschichten ins Französische holte. ------ ZUSPIELUNG10 Ott Der hat das Werk als erster richtig heftig zensiert. Wir machen uns heute lustig, über die Zensurbestrebungen in Ägypten. Was Antoine Galland 1704 gemacht hat, indem er das französische Werk der damals gültigen höfischen Sittlichkeit anpasste, ist viel weiter gehend. Er hat nicht nur im Text anstößige Passagen herausgelassen oder gekürzt, sondern er hat das Werk seines orientalischen Charakters beraubt, indem er entscheidende Dinge, die den arabischen Charakter des Werks ausmachen, ganz wegließ. Das war für ihn ein Eingriff, mit dem er leichter strecken und andere Texte einfügen konnte, was er auch getan hat, aber es nahm dem Werk seinen Charakter. Das ist eine Form der Anpassung, die wegen der enormen Beliebtheit der Gallandschen Fassung sich sofort in Europa ausgebreitet hat und dazu geführt hat, dass viele der heutigen 1001 Nacht Ausgaben nicht mehr viel zu tun haben mit der arabischen Fassung. AUTORIN: Es sind gerade die Geschichten, die wir besonders mit 1001 Nacht verbinden: Sindbad der Seefahrer, oder Ali Baba und die 40 Räuber. Der große Erfolg löste unter Reisenden eine Suche nach weiteren Handschriften im Orient aus, Galland selbst traf in Paris einen libanesischen Christen, der ihm aus dem Gedächtnis weitere Geschichten erzählte. Galland notierte sie auf französisch und passte sie umgehend dem Geschmack seines französischen Zielpublikums an. Auf dieser Grundlage entstanden Fassungen auch in anderen europäischen Ländern und holten so einen französisch gefärbten Orient nach Europa. Dabei war auch der Orient in den Erzählungen schon ein Land der Phantasie. ---- ZUSPIELUNG 11 Auch der Orient hatte seinen Orient, das heißt das Bild, das wir in 1001 Nacht vom Orient entworfen sehen, hat ja auch klischeehafte, schemenhafte, exotisierende, Züge. Die Tatsache, dass man sich ein weit entferntes im Orient liegendes Land X grausam, gefährlich und auch anziehend vorstellt, ist kein europäisches Phänomen. Das gab es auch schon im Orient. Vor Kairo, Bagdad und Damaskus aus gesehen, spielt das Werk im Orient, nämlich im Inselreich von Indien und China. Der Orientalismus hat die Geschichten von 1001 Nacht mit geprägt und umgekehrt haben die Geschichten von 1001 Nacht auch Orientalismus ausgelöst, also klischeehafte Vorstellungen vom Orient. Wir dürfen nie vergessen, dass 1001 Nacht in der arabischen Welt Unterhaltungsliteratur war. Wer heutzutage hergehen würde und aus einem - als krassem Vergleich- James Bond Film, den kalten Krieg zwischen Ost und West rekonstruieren würde, der würde einen ähnlichen Fehler begehen, wie jemand, der 1001 Nacht als Quelle für einerseits europäische Vorstellungen und andererseits orientalische Realität ansehen würde. AUTORIN: Claudia Ott übersetzte den Text aus der ältesten arabischen Fassung, aus der die erste französische Übersetzung entstand. Auf dem Einband steht nur "Tausendundeine Nacht". Kein Übersetzername: ---- ZUSPIELUNG 12 1001 Nacht ist immer anonym überliefert worden, und wahrscheinlich war es deshalb so enorm erfolgreich als Geschichtenmagnet, weil es keinen Autor gab, der es gewagt hätte, sich darauf zu setzen. Jeder wusste, das Ding ist anonym und ich würde mich nie aufs Titelblatt setzen wollen. 1001 Nacht hat seinen Wert gerade dadurch, dass man nicht weiß, woher es kommt. Und wenn ich als Übersetzerin erfolgreich sein will, dann darf ich nur einen kleinen Schleier der deutschen Sprache darüber legen, man soll aber ganz deutlich merken, woher das Werk kommt. Ich versuche, überhaupt nicht zu domestizieren, sondern es durchaus ein bisschen arabisch klingen zu lassen und mich dadurch fast unsichtbar zu machen, wenn es möglich ist. Eigentlich ist das Ziel der Arbeit, das man den Übersetzer am Ende nicht mehr merkt. --- MUSIK AUTORIN: Rosemarie Tietze hingegen plädiert für einen sicht- und hörbaren Übersetzer. -----ZUSPIELUNG 13 Meiner Vorstellung nach ist es dringend notwendig, dass der Übersetzer wahrgenommen wird als eigene Stimme, als Persönlichkeit, in diesem Prozess, der Entstehung, Übertragung, Vermittlung eines literarischen Kunstwerks. Nur dann, glaube ich, kann man auch verstehen, dass so viele Möglichkeiten in dieser Sprachkunst bestehen, so viele Interpretationen. Der Übersetzer ist ein Interpret wie der Schauspieler, wie der Musiker. Er hat eine Vorlage, die jemand anders gestaltet hat und er schafft sie neu in seiner Sprache. Und da der Abstand von Sprache zu Sprache nicht so groß erscheint, wie der von Schauspiel zu Schauspieler oder wie der von Notenpapier zur ertönenden Musik, darum fällt diese Analogie nicht so sehr auf. AUTORIN: Rosemarie Tietzes Neuübersetzung des russischen Klassikers Anna Karenina ist inzwischen die 21. Interpretation. Sie holt Tolstojs Stilmittel ins Deutsche, vor allem seine Methode der Wiederholungen, um den Text anzutreiben, findet ungewöhnliche Wortfolgen und historisch-präzise Ausdrücke und wirkt trotzdem ganz gegenwärtig. Es war ihre bisher schwerste Arbeit, sagt Rosemarie Tietze, ihre wurde die Vollkommenheit Tolstojs bewusst - und die Schwierigkeit ihr in der Übersetzung zu entsprechen. Drei Jahre verbrachte sie so mit dem vielleicht größten Schriftsteller der Kultur, die sie schon als Studentin, noch im kalten Krieg, so faszinierend fand, dass sie beschloss, sich mit ihrer Vermittlung zu beschäftigen. ----------ZUSPIELUNG 14 Ich hab eine sehr starke emotionale Bindung an das Land. Für mich war Anfang der 90 er Jahre der Zusammenbruch des dortigen Systems, die Öffnung des Ostens genauso eine Befreiung wie für die Russen, die jetzt endlich raus konnten und nach Europa fahren konnten und von der Zeit an konnte ich auch in Russland reisen. AUTORIN: Durch den Blick von außen, aus der russischen Welt auf deutsche Kultur und Sprache und durch die Liebe der Russen zu ihrer Sprache konnte -sie im Medium ihrer Übersetzungen - auch eine neue Art von Selbst- und Sprachbewusstsein im Deutschen entwickeln. ------ZUSPIELUNG 15 Ich hatte eine zwiespältige Haltung zum Deutschen gehabt, gar nicht so sehr zur Sprache als vielmehr zu dem, was man unter Heimat versteht. Ich glaube, dass hatte jeder, der nach dem zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist. Man konnte sich damit nicht identifizieren, es war einfach unmöglich nach dieser Geschichte. Wozu ich aber von Anfang an eine innige Beziehung hatte, das war mein Heimatdialekt, da habe ich sehr stark in der Sprache gelebt, hatte große Schwierigkeiten, als ich anfing zu übersetzen, die emotionale Nähe zum Dialekt zu überwinden. Es dauerte, bis ich diese emotionale Nähe auch zum neutralen Hochdeutschen hatte. Ich hab dann sehr viel gelernt von der russischen Sprachbesessenheit, die Art und Weise - das kommt vor allem in der Lyrik zum Ausdruck - wie die Russen vernarrt sind in ihre Sprache, in das Wort, in die Poesie des Wortes und das hat zurückgewirkt auf meine Einstellung zum Deutschen. Musik AUTORIN: Die Sprache als Fluss, auf dem der Übersetzer von einem Ufer zum anderen übersetzt - in diesem Bild ist Raoul Schrott mit seiner Anthologie "Die Erfindung der Poesie", erschienen in Enzensbergers anderer Bibliothek - fast bis zur Quelle zurückgegangen, zu den Anfängen der Poesie. Später, mit seiner Übersetzung des Gilgamesch-Epos spannte er einen weiten Bogen zwischen unserer und der weit zurückliegenden Zeit und ihrer untergegangen Kulturen. SPRECHER: Raoul Schrott gilt als der Tausendsassa der zeitgenössischen Literatur mit all ihren Spielarten. Als Romanautor, Lyriker, Dramatiker und Essayist ist er zu einem viel beachteten und als Übersetzer zu einem umstrittenen Phänomen geworden - als einer, der sich maskiert mit den alten Texten und sie für den Auftritt in unserer Zeit modelliert. ---------ZUSPIELUNG 16 Die Dichter, die man übersetzt, sind eigentlich immer konträr zu einem selbst, das heißt sie verkörpern Haltungen und Denkweisen die einem selbst nicht eigen sind und in deren Maske zu schlüpfen ist dann letztlich auch eine Art von Schauspielerei, bei der man die Welt und sich selbst unter einem anderen Blickwinkel sehen kann, als man es selbst durch die eigene Arbeit könnte. Ein Grund Homer zu übersetzen war, um einmal im Leben ein altes Epos schreiben zu können und einen dreitausend Jahre alten Dichter zu verkörpern. Das ist das Vergnügen, das einen mit am Schreibtisch hält. AUTORIN: Raoul Schrott legte nicht nur eine Neu-Übersetzung der Ilias vor, sondern verlegte auch gleich das historische Troja. Die meisten Wissenschaftler sagten: "pure Dichtung", aber, das gestanden einige zu, auch: "horizont- erweiternd". Seine Übersetzungen sind umstritten, es sind Nachdichtungen, manche aus Sprachen, die er selbst kaum beherrscht. Dann muss er mit Lexika arbeiten, um sprachliche Bedeutungen zu erschließen und vor allem herauszufinden, wie das Gedicht klingt, um durch die Sprachmelodie die Botschaft zu verstehen. Ein Überflieger, heißt es dann bewundernd oder, meist aus der jeweiligen Fachdisziplin: ein Blender. ---- ZUSPIELUNG 17 Ich übersetze meistens Poesie oder poetische Dinge, da Form vom Inhalt nicht zu trennen ist, und sich allein mit dem wörtlichen nicht bewältigen lässt, stellt sich da eine Herausforderung auf einer ganz anderen Ebene dar. Wörtliche Übersetzung ist, das, was ich selbst lesen möchte, wenn ich den Gedankengang eines Dichters nach verfolgen will. Das stößt aber schnell an Grenzen, denn ich denke mir, mein Interesse an wirklich wörtlich präziser und korrekter Übersetzung ist beispielsweise noch gegeben bis zu Flaubert, denn dort kann ich mir den Kulturhorizont der damaligen Zeit in dem der Schriftsteller steht, noch relativ leicht erschließen. Alles, was weiter zurückreicht, besitzt einen viel größeren Erklärungsbedarf, weil sich nicht nur Sprache weiter entwickelt, sondern auch Kulturen und die gesellschaftlichen Spielregeln, und weil ja Dichtung selten sagt, was sie meint, sondern nur suggeriert und zwischen den Zeilen aufleben lässt, ist Dichtung, je weiter sie zurückliegt, desto erklärungsbedürftiger. AUTORIN: Die Erschließung des Inhalts ist abhängig von den philologischen Übersetzungen - so half ihm ein Professor aus Leiden beim Sumerischen des Gilgamesch Epos. Selbstironisch sagt Raoul Schrott, dass sein Sumerisch daher vielleicht einen leicht holländischen Akzent habe. ------ZUSPIELUNG 18 Ich bin ein Dieb, der von einem Fach, dem philologischen Fach etwas klaut, um es dann in einem poetischen Fach weiterzugeben. Von mir bleibt ja nichts, weil man sich ja permanent zurücknimmt. X Die ganze Lust am Übersetzen ist ja, in die Maske eines anderen zu schlüpfen, um nicht so wie man selbst zu sprechen, sondern wie der Dichter. Im Grunde steckt hinter diesem Vorwurf des Diebstahls immer noch die Idee, dass ein Übersetzer den vollständigen Zugriff zum Text hat und den Originaltext dann auch verwaltet. Das aber setzt voraus, dass es nur eine einzige Dichtungstradition gibt. Das ist völlig überkommen. Übersetzungstraditionen spalten sich, seit es die Bibel gibt, die ja auch in lateinischen, griechischen, hebräischen Ausgaben existiert. Die Worte Gottes sind uns ja nicht in seiner Originalsprache erhalten. Seit es Übersetzungen gibt, gibt es die philologisch akademische Schiene, um den Zugang zum Original leicht zu machen und die Art der poetischen Dichtung. Ich sehe mich völlig in der zweiten Linie, das heißt ich würde mir nie anmaßen zu sagen, meine Übersetzung, die ich von Homer vorlege, kann plötzlich Dinge entdecken, auf philologische, akademische Art und Weise, die noch keiner entdeckt hat. Das was ich entdecke ist der Blick eines Dichters auf einen anderen Dichter...... aber ich bin dabei auf Philologie in entscheidendem Maße angewiesen. Alles andere zu behaupten, wäre völlig abstrus. Musikakzent, darüber STATIONSSPRECHER: Einige grundsätzliche Fragen an Hans Magnus Enzensberger das Übersetzen betreffend: ---- ZUSPIELUNG 19 Erste Übersetzung? Ach....das ist ja ganz lange her. Als Student habe ich mir ein paar Nachbarsprachen angeschafft. Ich erinnere mich zum Beispiel dass ich , sehr früh Pablo Neruda übersetzt habe, den frühen, nicht den späten, gab es damals nicht, und dann wollte ich mich mal ein bisschen kundig machen und auch meine Landsleute, und hab dann eine Sammlung gemacht, die heiß "Museum der modernen Poesie", und da sind Gedichte aus 18 Sprachen drin, und wo Lücken waren, musste ich dann selber aushelfen. STATIONSSPRECHER: Ist Werktreue wichtiger als Eleganz? ----- ZUSPIELUNG 20 Ich verlasse mich schon darauf, herauszufinden - plump gesagt, was meint der eigentlich hier, was suggeriert er uns. Die Übersetzungstheorien muss ich irgendwann mal in der Garage lassen, man kennt ja die ganze Theorien, die Seminare usw. das ist alles sehr scharfsinnig, intelligent, auch ordentlich, nur in dem Moment, wo ich wirklich diese Zeile rüber bringen muss, nützt mir das alles nichts, da kann ich nicht den Prinzipienreiter spielen. Da muss ja ein Vers ein Gedicht herauskommen, da nützt mir Treue nichts, wenn dabei Trockengemüse herauskommt, eine dürre Sache. STATIONSSPRECHER: Ist das Deutsche besonders zum Übersetzen geeignet ? ZUSPIELUNG 21 Das hat damit zu tun, dass wir mittendrin sitzen, aus Gründen der Geographie. Das ist ja heute noch ein wichtiges Transitland für Literatur, so etwa die baltischen Staaten, die sind immer davon abhängig gewesen, dass sie erst einmal hier übersetzt werden. Für die Engländer auf ihrer Insel ist das zu weit weg, die Franzosen habe ihre Kolonien, Algerien, algerische Literatur kommt über Frankreich zu uns, Deutschland ist ein Translit Land vor allem, das hat schon mit Luther angefangen, die Übersetzerei. Das verändert eine Sprache und bereichert sie. Eine Sprache in die nicht übersetzt wird, ist eine Sprache, die verarmt. Ich sehe das als eine starke Vitalitätsäußerung des Deutschen. Ist doch gut! Vitalitätsäußerung. STATIONSSPRECHER: Wie kommt es, dass man sich manchmal trotz einer nicht ganz so guten, oder veralteten Übersetzung für einen Roman zum Beispiel begeistern kann? ZUSPIELUNG 22 Einem guten Erzähler, dem verfällt man. Ich meine, Dostojewski hat ja mit den Füßen geschrieben, das ist ja bekannt, er war kein großer Stilist, Aber er hat einen drive, da gibt es erzählerische Energie, und das kann selbst bei einer schlechten Übersetzung funktionieren. STATIONSSPRECHER: Wenn man die Ausgangssprache eines Buches nicht beherrscht - wie kann man sicher sein, dass die Übersetzung zuverlässig ist? -------- ZUSPIELUNG 23 Nicht jeder Übersetzer kann ja deutsch, der hat studiert, sich in irgendeine Sprache vertieft, aber das heißt ja noch nicht , dass er gut deutsch schreibt. Und da beginnt schon ein gewisser Widerstand beim Leser, das ist irgendwie holzig, ich glaube eigentlich nicht, dass dieser berühmte Schriftsteller so schlecht schreibt, Die armen Übersetzer, das weiß man ja auch, schlecht bezahlt, Zeitdruck, ich will keine Übersetzerbeschimpfung. Aber das ist ein Moment. Ich habe neulich ein paar John Donne Übersetzungen verglichen und da merkt man sehr schnell, wo das Atem hat, wo das stockt, wo das knirscht. Na gut, das ist halt so. Literatur ist ja keine Demokratie, das sind eben nicht alle gleich gut. Es gibt ja ganz verrückte Sachen, die nicht für jedermann geeignet sind. Jeder Leser muss ja selber sagen, das kann auch am Original liegen. STATIONSSPRECHER: Muss der Übersetzer eines Gedichts selbst ein Dichter sein? -------- ZUSPIELUNG 24 Muss nicht, schadet aber auch nicht. Es ist ja auch interessant zu sehen, welche Dichter übersetzen und welche nicht. Es gibt auch Dichter, die nur sich selbst lesen. Es gab Zeiten, in denen es als das höchste galt, ein Dichter, das merkt man z.B an Karl Kraus, der ein toller Polemiker war, ein toller Essayist, nur Gedichte nicht so toll, auch seine Shakespeare Übersetzungen nicht. Aber das war sein Ehrgeiz, da wollte er hin, auf diesen Olymp wollte er hin. STATIONSSPRECHER: Wie ist es, wenn man sich als Autor für schlecht übersetzt hält? ------ ZUSPIELUNG 25 Ich kann ja nur Sprachen aus der eigenen Familie, wirklich ausländische Sprachen kann ich gar nicht, kein arabisch, kein japanisch, da lässt man sich das einfach gefallen, ich hätte ja den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als irgendwelche Fehler in einem indonesischen Gedichtbändchen nachzuweisen. Das geht nicht und man tröstet sich mit der Überlegung, vielleicht bleibt irgendetwas hängen. Irgendwas wird schon übrig bleiben, in so einer Bearbeitung. Es macht auch nichts, es sind ja keine heiligen Texte. Also seien wird großzügig! Da ist Einer, der sitzt in Eriwan, und hat überhaupt kein Geld, weiß nicht, wovon er essen soll, jetzt hat er sich begeistert für einen deutschen Text, dann setzt er sich hin, in einer Zeitschrift macht er 5 Gedichte. Ich finde das toll, und es wäre ganz blöd, hier den Pedanten machen, falscher Luxus. ------ MUSIKAZENT STATIONSSPRECHER: Aus der Werkstatt AUTORIN: Claudia Ott versteht sich als Musikerin und Übersetzerin zugleich. Das prägt die Arbeit an den Geschichten von 1001 Nacht, an den Unterschieden zwischen dem alten arabisch und dem modernen Deutsch. --------ZUSPIELUNG 26 Ich gebe Ihnen ein Beispiel. So wie arabische Wörter aufgebaut sind, das hat ganz viel mit langen und kurzen Silben zu tun. Wo im Deutschen Hebungen und Senkungen sind, sind im arabische lange und kurze Silben, aus denen setzen sich dann verschiedene Metren zusammen, Wenn ich die gleiche Silbenzahl wie im arabischen betone und unbetonte oder hebe und senke, dann habe ich einen arabischen Klang davon. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Das arabische Versmaß Tawil: Ein Siebener Rhythmus, der geht so: Kurz lang, lang.... Setze ich das in Hebungen und Senkungen um: Ich wünschte den Liebsten her, doch als ich ihn wieder sah, da hat's mir das Auge und die Zunge verschlagen aus Ehrfurcht und um das zu verbergen, was in mir war, habe ich meinen Blick zum Boden niedergeschlagen. So zahlreich die Reden waren, die ich im Herzen trug, beim Wiedersehen konnte ich keinen Buchstaben sagen. Das ist jetzt der Versuch, Hebungen und Senkungen im Deutschen an die Längen und Kürzen im arabischen Vers anzupassen. Das klingt am Ende ein bisschen arabisch. ---------MUSIKAKZENT ------ ZUSPIELUNG 27 Ich hab das Gefühl, wenn ich die erste Fassung mache, ich muss das gesamte Werk erst mal durch mich durchrauschen lassen. Das heißt ich versuche bei der ersten Fassung so intuitiv wie möglich vorzugehen und tippe alles in den Computer, was mir einfällt - auch die Recherchen, dann Verweise, das Adjektiv war vorher schon mal wichtig, X oder ich lege mir regelrechte Wörterlisten an. Bei Anna Karenina habe ich lange Wörterlisten angelegt, weil die Wiederholungsstrukturen so wichtig sind, dass ich mich dran erinnere, wie das Adjektiv in derselben Weise schon mal vorgekommen ist. Denn das genau wollte ich nachbilden. Dann habe ich die erste Fassung und so gegen Ende der ersten Fassung werden die Varianten etwas weniger, weil ich so langsam merke, wo ich hin möchte. Da habe ich dann das Gefühl es ist bis in die Finger gedrungen, wie ich meine Fassung haben möchte. AUTORIN: Die zweite Fassung entsteht handschriftlich mit Papier und Bleistift, es wird viel radiert und überschrieben. Die Wörter in den beiden Sprachen sind selten deckungsgleich, Stilmittel funktionieren jeweils anders, Redewendungen aus der einen Sprache fehlen in der anderen ganz, auch die Möglichkeiten der Syntax und die Verbsysteme sind verschieden. Oft müssen grammatikalisch und stilistisch völlig andere Konstruktionen gewählt werden und trotzdem soll es klingen wie Tolstoj aus dem 19. Jahrhundert. Drei Jahre hat Rosemarie Tietze auf diese Weise mit Anna Karenina verbracht - kein Wunder, dass mit der Zeit etwas wie Freundschaft daraus wird. ----ZUSPIELUNG 28 Ich hab dann am Schreibtisch zum Schluss mit Freundin Anna diskutiert, ob das so gut ist, wie sie sich da verhält. Gegen Ende, wo sie leicht hysterische Züge bekommt, ist sie ja absolut, auch in ihren Gespräche mit ihrem Geliebten, mit Wronski, ist sie ja nicht unbedingt klug, im Gegenteil, sie verschärft die Situation. Da habe ich immer mit ihr reden müssen. Das ist aber jetzt nicht so gut, was du da machst. Jetzt sei doch ein bisschen vorsichtig, so schlecht ist er nun auch nicht. Du übertreibst.... und so. Es hat nichts geholfen. AUTORIN: Es gehört zum neuen Selbstverständnis der Übersetzer, vor allem bei Neuübersetzungen der Klassiker, dass sie sich auch als Experten der jeweils übertragenen Bücher verstehen. Mit ausführlichen Nachworten auf neuestem Forschungsstand sind sie nicht mehr nur Fährleute beim Transport von einem Sprachufer zum anderen. Sie sind auch Entdecker, deren Funde sich von denen der Wissenschaftler unterscheiden. ------ZUSPIELUNG 29 Nach dem Selbstmord von Anna ist von ihr eigentlich nur noch die Rede, als Wronski in den Krieg gegen Serbien zieht, also ganz bewusst in den Tod zieht, auf dem Bahnhof. Er blickt auf einen Zug und da fällt ihm Anna ein, die Leiche, wie er sie verunstaltet gesehen hat. In diesem Absatz ist auch kurz beschrieben, wo er sie gefunden hat, auf der Bahnstation, und da steht ein ganz komisches Wort, nämlich: auf der Bahnstation, in der Kaserne, wenn ich es wörtlich übersetze. Merkwürdig, wieso Kaserne. SPRECHER: Das war eines jener Wörter, die den Übersetzer oft eine in eine lange, akribische Suche treiben. Die genannte Bahnstation existierte wirklich, eine winzige Provinzstation, bei der es kaum Kasernen gegeben haben konnte. In alten russischen Wörterbüchern fand die Übersetzerin schließlich, dass das Wort für Kaserne damals auch Arbeiterwohnheim bedeuten konnte. ------ZUSPIELUNG 30 Dann wird es eher klar: Aus Erläuterungen zu dem Roman wusste man, dass sich damals verarmte Bauern als Wanderarbeiter bei der Bahn als neuem Arbeitgeber verdingten, sich zu kleinen Kollektiven zusammenschlossen und auch zusammen wohnten. Und natürlich gab es auch an dieser kleinen Bahnstation Eisenbahnarbeiter, die Anna Kareninas Leiche dann abtransportierten und in ihrer Baracke auf dem Tisch aufbahrten. Und das ist unglaublich faszinierend, also wenn man an diesem einen Wort kratzt und schaut, wo es herkommt, wie Tolstoj, durch dieses eine Wort eine wichtige Motivreihe in diesem Roman abgeschlossen hat. Denn Anna erscheinen ja immer wieder diese merkwürdigen Eisenbahner, die das Eisen schlagen und man weiß gar nicht so richtig, wo die herkommen, wohin das führt. Das heißt, sie ist bei denen gelandet, die sie im Albtraum mehrfach gesehen hat. ---- MUSIKAKZENT AUTORIN: Goethe nannte seine Arbeit an den Übertragungen des persischen Dichters Hafis ein "Schweben zwischen zwei Welten". In diesem Zwischenreich finden die Metamorphosen der Worte und grammatischen Formen statt. So sehr Form und Klang bei Prosaübersetzungen wichtig sind - bei Gedichten kommen Reim und Metrum dazu, die sich - wie die Sprache, unaufhörlich verändern. -----.ZUSPIELUNG 31 Das Problem ist, dass nicht nur Sprache veraltet, sondern auch unsere Vorstellungen von Metrum heute anders sind als sie in der Antike waren. Der Griechische Hexameter ist ein Klangereignis, das auf drei verschiedenen Ebenen funktioniert. Das heißt, die Griechen haben es gesungen in Tonhöhen von c, f und g. Das tun wir heute nicht mehr, wir singen nicht mehr so, das hat man noch gemacht bis zum ersten Weltkrieg, wenn man Karl Kraus hört, die Russen haben das länger gemacht, Joseph Brodsky, Yeats, die Iren und Engländer haben noch gesungen, heute gilt das als völlig unstatthaft und zu pathetisch. Zweites Problem: der griechische Hexameter besteht dazu noch aus langen und kurzen Silben, bedeutet, nicht nur Tonhöhen, sondern Achtelnoten und Viertelnoten. Und der Taktschlag, der darunter liegt ist einer, der permanent bums macht, sondern einer, der synkopiert ist, also einmal etwas nach vorne und einmal nach hinten versetzt ist. Beispiel, die ersten drei Worte der Ilias, ...... den Groll besinge Göttin, da ist man beim zweiten Wort a ganz oben beim g, der Taktschlag kommt aber dann beim e .... Das hat also nichts mit dem deutschen Hexameter zu tun, der einen Taktschlag setzt, als wäre er von der Blasmusik erfunden mit diesem dida....damdidadam. Zu glauben, man könnte, dieses schwebende griechische Klangereignis, das so opernhaft ist, wiedergeben mit diesem didada, so ist als würde man ein Duracell-Häschen anstellen, das in seiner Monotonie 600 Seiten, so lang ist die Ilias in etwa, durchtrommelt. Dazu kommt, dass keine Melodie einer Verszeile auch der anderen entspricht. Das ist nicht permanent die gleiche Melodie, sondern wechselt sich ab. Wie kann ich das wiedergeben? Mein Versuch war, indem ich einmal mehr auf Largo und einmal mehr auf allegro gehe. Je nach Situation angepasst. AUTORIN: Als wäre das Gedicht ein Uhrwerk, so zerlegt es dieser Übersetzer in seine Einzelteile, und stellt das Räderwerk in einer anderen Sprache wieder her. --------ZUSPIELUNG 32 Ein Beispiel dafür, wie Musikalität ein Gedicht formt, vom Erfinder des Sonetts einem Dichter am Hofe Friedrichs des Hohenstaufens in Sizilien, das sich heute in diesem ersten Italienisch liest, als wärs ein Gedicht von Jandl, konkrete Poesie. Da heißt es, nur ein paar Zeilen: Italienischer Text Der Anfang zeigt, dass das Gedicht nur aus Worten besteht, die mit viso zu tun haben. Sehen und allen Variationen zu diesem Sehen. Also: Italienischen Text SPRECHER: Wörtlich übersetzt ginge das Spiel mit den Wörtern verloren, sein Klang, seine Pointiertheit, es wäre nur die Grundform des Gedichts. Um das Ganze zu erhalten, muss man - um dem Original möglichst nahe zu kommen - aus Sehen und Sehnen etwas Neues machen. Das klingt dann so: ---- ZUSPIELUNG 33 Allein das Sehnen lässt ihr Gesicht mich sehen. Doch Nachsehn bleibt mir nur von dieser Einsicht. Das Sehnen halt ich für anders als das Sehen, denn Sehen ist eins, das zweite aber Zuversicht. In dieser Hinsicht kann ich sie nicht sehen, obwohl ich mich doch sehne nach ihrem Angesicht. So sehe ich bei diesem Hin- und Hersehen weder eine Übersicht noch die gehoffte Durchsicht, einmal abgesehen davon liegt's an ihrem Aussehen, wenn ich mich sehne auf das Wiedersehen, doch mit Rücksicht auf mein Ansehen voller Vorsicht, Umsicht ist geboten, macht die Aufsicht Aufsehen, versuch ich sie ganz finster anzusehen. Doch ob's was nützt, bei meiner großen Kurzsicht? STATIONSSPRECHER: Was also ist Übersetzen? AUTORIN: Goethe nannte seine Arbeit an den Übertragungen des persischen Dichters Hafis ein "Schweben zwischen zwei Welten". Georges Arthur Goldschmidt, der Deutsche, der vor den Nazis nach Frankreich fliehen musste, ist heute in beiden Sprachen zu Hause und findet für deren Unterschiede und Eigenarten das schöne Bild: SPRECHER: "Eine Sprache ist die Zuflucht der anderen" ----- ZUSPIELUNG 34 Es muss eine immanente Haltung in der Literaturübersetzung sein, sonst glaube ich, hat das Werk nicht die innere Energie, die das Werk eigentlich braucht, wenn man das als Kunstwerk wahrnehmen möchte. Ich meine schon dass man das Literaturübersetzen zur Kunst rechnen muss, was natürlich genauso heißt wie bei anderen Künsten, dass - bevor man zu der Kunst kommt - eine sehr sehr lange Strecke Handwerk zu durchlaufen ist und sehr viel zu lernen ist und sehr viel zu können ist, aber diese letzte Stufe, dass eben der Text möglichst viel von der künstlerischen Energie enthält, die auch im Original steckt, das ist etwas, das unter ästhetischen Gesichtspunkten zu sehen ist. -----ZUSPIELUNG 35 Wie in jeder Kunst. Ein Seiltänzer übt auch 30 Jahre dafür, dass es nachher ganz einfach aussieht. Letztlich ist es das Gleiche. Ein Seiltanz ist es und man muss unglaublich dafür üben. AUTORIN: Mit der Professionalisierung des Übersetzens ist allmählich die Klage leiser geworden, es gehe zuviel verloren beim Transport von der einen in die andere Sprache. Vielleicht ist es sogar umgekehrt, und die Übersetzer, das hat Rosemarie Tietze einmal geschrieben, nehmen am Pfingstwunder teil. ------ZUSPIELUNG 37 Was ist besser: überhaupt keine Übersetzung zu machen oder eine Übersetzung zu machen, die Spuren vom Original hat. Die zweite Möglichkeit habe ich gewählt: Den Mond von Ferne zu sehen, ist viel besser als den Mond überhaupt nicht zu sehen. Die schönen Sterne von ferne zu blicken, ist viel schöner als überhaupt keine Sterne zu blicken. Deswegen bleibt mir die Übersetzung der Dichtung ein Muss. Der Dichter ist eine Brücke zwischen dem Blitz und dem Wort. Dann kommt der Übersetzer um das Wort auch zu den anderen zu übertragen. So beide, der Dichter und der Übersetzer ergänzen einander und beide bereichern die Weltkultur und das Leben. AUTORIN: Der Orientalist Stefan Weidner, erster Inhaber des neu gegründeten Lehrstuhls für die Poetik des Übersetzens, bringt Fuad Rifkas arabische Gedichte ins Deutsche und war bei der Überreichung der Goethe Medaille dessen Laudator. Er fand in Fuad Rifkas arabischen Übertragungen die Entstehung einer dritten, neuen Sprache und Form, in der Ausgangs- und Zielsprache aufgehoben sind - es ist die gelungenste Form des Übersetzens. SPRECHER: Da sind die arabische und die deutsche Dichtung keine zwei getrennten, zu vermittelnden Elemente mehr, sondern eins, als wäre aus beiden Sprachen und Kulturkreisen plötzlich eine neue, dritte Sprache und Kultur hervorgegangen. So mystisch das klingt: wenn es eine universell verständliche Sprache der Dinge gäbe, dann könnten wir sagen, dass Fuad Rifka einer der ganz wenigen ist, der sie beherrscht, ja der sie sogar vermitteln kann und an jeden empfänglichen Leser weitergibt. Friedrich Rückert, der bis heute wichtigste Übersetzer orientalischer Dichtung ins Deutsche leitet seine Nachdichtung altarabischer Gedichte, mit den Versen ein: Die Poesie in allen Zungen Ist dem Geweihten eine Sprache nur Die Sprache, die im Paradies erklungen Eh sie verwildert auf der weiten Flur. ----Musik Riverrun Verwendete Literatur (Auswahl): -In Ketten tanzen - Übersetzen als interpretierende Kunst (Hrsg: v. Gabriele Leupold und Katharina Raabe) Wallstein Verlag -Der schiefe Turm von Babel (Hrsg. V. Ragni Maria Gschwend) Straelener Manuskript Verlag -Fuad Rifka, Das Tal der Rituale, Straelener Manuskript Verlag -Stanley Moss, Gedichte, Deutsch v. Hans Magnus Enzensberger, Hanser Verla -Raoul Schrott, Handbuch der Wolkenputzerei, Fischer Taschenbuch- Tausendundeine Nacht (ins Deutsche übertragen von Claudia Ott, C.H.Beck Verlag Musik: aus "Earopean" Prod. Bayerische Staatsoper/ Marstall Gema Nr. 4.417.848 Mitschnitt einer Veranstaltung in der Bayerischen Staatsbibliothek mit Claudia Ott und Roman Bunka (eigene Aufnahme, kostenfrei) 1 1