Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 23. November 2013, 11.05 – 12.00 Uhr Schwere Geburt – Kinderwunsch und künstliche Befruchtung in Polen Eine Sendung von Ernst-Ludwig von Aster und Anja Schrum Redaktion und Moderation: Katrin Michaelsen Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar – Eine Mutter, deren Tochter im Reagenzglas gezeugt wurde: Wir hatten beide diese moralischen Bedenken. Wir haben uns daran orientiert, was die Kirche sagt. So verging die Zeit. Wir wurden immer frustrierter. Dann haben wir entschieden: Okay, wir gehen jetzt in eine Klinik und gucken uns die ganze Sache an. Und ein sogenannter Lebensschützer, über die Geburt des ersten polnischen Retorten-Babys vor 26 Jahren. Mir war klar, dass dies kein Grund zur Freude ist. Denn mit In-Vitro betreten wir den „Pfad des Todes“ oder den „Pfad zum Tod“, weil man benötigt fünf bis neun Embyronen, um ein Kind mit dieser Methode zur Welt zu bringen. Schwere Geburt - Kinderwunsch und künstliche Befruchtung in Polen Eine Sendung von Ernst-Ludwig von Aster und Anja Schrum Sie heißen Ferti-Med, Vitro-live oder Invi-Med. Nennen sich mal Europäisches Mutterschaftszentrum, mal Fertilitätszentrum. In Polen wird alles geboten, was heutzutage im Rahmen einer Kinderwunsch-Behandlung medizinisch möglich, aber nicht überall in Europa erlaubt ist. Denn die künstliche Befruchtung erfolgt in Polen bis heute im rechtsfreien Raum. Das bedeutet aber auch: Die Ärzte entscheiden allein. Zum Beispiel, bis zu welchem Alter sie Frauen Eizellen implantieren. Das ist einmalig in der Europäischen Union. Und das führt zu Konflikten. Vor allem die katholische Kirche und konservative Politiker blockieren seit Jahren jegliche staatliche Regelung der Reproduktionsmedizin, sprechen von einer „Versuchung des Teufels“ und würden die künstliche Befruchtung am liebsten ganz verbieten. Keine leichte Gemengelage also für die bürgerliche Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk. Erst vor wenigen Monaten hat sie eine Kampagne für eine moderne Familien-politik gestartet hat. Mit Werbefilmen im Fernsehen und You-Tube-Videos im Internet. In vitro Werbespot Tusk-Regierung vom 7.9.2013 Kinder sind ein riesiges Glück, heißt es in dem Werbespot, aber der Weg zu diesem Glück ist nicht für alle einfach, deswegen sei das Invitro-Förderprogramm der Regierung eine Chance für viele Paare. Und in der Tat: Seit dem 1. Juli übernehmen die staatlichen Krankenkassen in Polen zumindest anteilig die Behandlungskosten für Paare mit Kinderwunsch. In Stettin, in der Vitro-Live Klinik kostet eine Sprechstunde beim Chefarzt 250 Zloty. Das sind umgerechnet etwas mehr als 60 Euro. Eine In-Vitro-Fertilisation, also eine künstliche Befruchtung, etwas mehr als 1.300 Euro, allerdings ohne Medikamente und Laboranalysen. Und für das Einfrieren und Aufbewahren von 1-2 Embryonen pro Jahr verlangt die Vitro-Live-Klinik rund 240 Euro. REPORTAGE 1: Besuch in der Kinderwunschklinik Sattblau schwappen Wellen unter wolkenlosem Himmel. Gleißend weiß bricht eine Segelyacht durch die Wogen. Stumm flimmert die Meeresidylle von einem großen Flachbildschirm, der hinter einem edlen Empfangstresen hängt. Leicht geschwungen, aus Holz, dominiert der Tresen den Eingangsbereich. Zwei Mitarbeiterinnen warten dahinter lächelnd auf Patienten, dezent geschminkt, beide in weißer Bluse, die eine mit einer Perlenkette, die andere mit einem bunten Tuch um den Hals. Deckenstrahler verbreiten ein warmes Licht. Mehr Bar- als Behandlungsatmosphäre in der Vitrolive-Klinik in Stettin. Schwester Anna kommt mit einem Stapel Patientenakten aus dem Ultraschallraum, eilt in flachen Schuhen und weißem Kittel an fünf wartenden Frauen vorbei. Die Hebamme lässt den Fahrstuhl links liegen, nimmt die die alten, abgeschliffenen Holzstufen in den ersten Stock der Jugendstil-Villa. Die langen blonden Haare, zum Pferdeschwanz gebunden, wippen bei jedem Schritt Seit acht Uhr nehme ich den Patientinnen Blut ab, erzählt die 33 jährige fröhlich. Heute stehen auch drei Frauen aus Deutschland auf der Liste. Um elf Uhr kommt dann ein Fahrer und bringt die Proben zur Untersuchung. Im ersten Stock: Das kleine Labor der Klinik. Anna legt die Patientenakten bei Seite, ihre Kollegin Natalia nickt kurz zur Begrüßung, beugt sich dann wieder über ein Mikroskop. Die 24jährige hat die langen schwarzen Haare zum Kranz geflochten, so lässt sich besser arbeiten. Konzentriert blickt sie durchs Okular, ihre rechte Hand ruht auf einem roten Knopf: Gerade analysiere ich eine Sperma-Probe, sagt sie. Der Monitor neben ihr liefert das Bild in Großaufnahme. Im Hintergrund surrt der Computer, arbeitet an der Auswertung. Anna öffnet den Kühlschrank, hier lagern die Hormonpräparate. Die 34 jährige blickt kurz auf die Patientenakte, holt eine Schachtel heraus. Gleich kommt eine Frau zur Stimulations-Behandlung. Seit sieben Jahren arbeitet Anna als Hebamme in der Kinderwunschklinik. Von der ersten Blutabnahme über die künstliche Befruchtung bis hin zur Geburt begleitet sie die Patientinnen. Eine Arbeit, die ihr Spaß macht. Die aber längst nicht allen gefällt. Sie verstehen nicht, was wir hier machen. Und ihr Hauptargument ist, dass doch so viele Kinder die auf eine Adoption warten. Sie verstehen nicht, dass die Paare, die zu uns kommen, auch ein Stück von sich selbst haben möchten. Etwas Eigenes. Die Kritiker verstehen diese Gefühle einfach nicht. Darum sind sie auch so negativ eingestellt. Eine „Versuchung des Teufels“ nennt die katholische Kirche die künstliche Befruchtung. Selbsternannte Lebensschützer sprechen von tagtäglichem Embryonen-Mord in den Reproduktionskliniken. Ein Stockwerk höher geht der Klinikgründer in die Knie. Rafael Kurzawa versucht ein altes Radio aus dem Regal zu ziehen. Es steht eingekeilt zwischen Fachbüchern über Reproduktionsmedizin. Einen Volksempfänger von 1939. Neben der Senderskala prangen noch die Reichsadler, das Hakenkreuz in den Krallen. Der großgewachsene Mittvierziger in Jeans und kariertem Holzfällerhemd grinst, er hat das Radio bei der Renovierung im Keller gefunden, es zuhause repariert. Rafael Kurzawa stellt das Gerät wieder ins Regal, macht es sich auf einem beigefarbenen Ledersessel bequem. Also es gibt Bücher über Reproduktionsmedizin auf Englisch, ich studierte in Belgien, das sind sehr alte Bücher, die kommen immer mit mir Heute ist Rafael Kurzwawa Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe, Facharzt für Reproduktionsmedizin. Er lehrt an der Stettiner Universitätsklinik. Und leitet seit sieben Jahren seine private Klinik für Reproduktionsmedizin: Und wir hatten auch Probleme an der Universität Reproduktionsmedizin zu entwickeln, das war nicht einfach. Vor sieben Jahren gaben die Gegner der Reproduktionsmedizin an der Universitätsklinik den Ton an. Kurzawa und drei seiner Kollegen entschieden sich ihre eigene Praxis zu gründen. Es war kein Risiko. es war in Stettin keine solche Praxis, deswegen haben wir uns entschieden, das zu machen. … Vom ersten Tag an läuft das Geschäft mit dem Kinderwunsch. Obwohl damals die gesamte Behandlung aus eigener Tasche bezahlt werden muss. Mittlerweile ist das nicht mehr so. Mittlerweile kommt ein Drittel seiner Patientinnen aus Deutschland... Es geht hier auch um eine Insemination mit Samenspender, es geht hier auch um Eizellenspender, was bei uns erlaubt wird. Natürlich kann man länger die Embryonen reifen, das ist auch möglich bei uns. Und wenn es um das Thema der Präimplantationsdiagnostik geht, das machen wir hier in Stettin nicht, das ist aber auch in Polen bis jetzt erlaubt... Kurzawa verzichtet bewusst auf die Präimplantationsdiagnostik, die eine Auswahl der Embryos nach Geschlecht und genetischem Status ermöglicht. Eine Dienstleistung, die andere Kinderwunschzentren in Polen anbieten. Weil wir kein Gesetz in diesem Bereich haben, alle Kliniken in Polen können alles tun, das ist nicht gut. 21.07 Wir wissen nicht, was die Kliniken in Polen machen. Und das muss reguliert werden. Ich bin sicher, dass wir das hier in Polen machen sollten. Eizellenspende, Embryonenkonservierung – nichts ist verboten. Alles ist möglich. Ein Stockwerk tiefer beugt sich Natalia immer noch über das Mikroskop, analysiert die Sperma-Qualität. Anna bereitet mit einer Zentrifuge Proben auf. Seit Juli erstattet die polnische Krankenversicherung unfruchtbaren Paaren unter 40 einen Teil der Kosten für die In-Vitro-Fertilisation. Jetzt kommen noch mehr Patienten zu uns, sagt sie. Vor allem diejenigen, die es sich vorher nicht leisten konnten. Noch immer müssen sie allerdings die Medikamente selbst bezahlen, lediglich die Behandlungskosten werden übernommen. Anna holt die Probe aus der Zentrifuge. Stellt sie zur Seite. Ich freue mich über jedes Kind, sagt die Hebamme. Ich habe in der Kirche nie gebeichtet, was ich tue. Dafür gibt es keinen Grund. Aber wann immer ich einen Priester oder jemanden aus der Kirche sehe, erzähle ich ihnen, was ich mache. Ich habe mich nie verstellt, weil ich mich für meine Arbeit nicht schäme… Sie ist eine der bekanntesten Schriftstellerin Polens, aber auch sehr umstritten. Manuela Gretkowska hat mehr als ein Dutzend Romane geschrieben. Viele ihrer Werke sorgten für Skandale. Einige sagen wegen ihrer direkten, andere wegen ihrer obszönen Sprache. Aber, fast alle ihre Bücher landeten auf den polnischen Bestsellerlisten. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft - dieses Thema greift die heute 49jährige in vielen verschiedenen Facetten auf. In ihrem Buch „Polka“ macht die Autorin ihre Schwangerschaft zum Thema. Sie wählt dafür die Form eines literarischen Tagebuchs und berichtet über die Zeit, als Gretkowsa und ihr Freund Piotr zwischen Polen und Schweden pendeln. Und die Autorin unterwartet schwanger wird. Literatur 1 „Wie wäre es, wenn du Tag für Tag beschreiben würdest, was mit dir geschieht?“ „Ein Schwangerschaftstagebuch? Die Männer werden es mir nicht abkaufen. Der Alkoholismus, die Politik, im privaten Bereich die Impotenz, das sind wichtige Themen. Die Qualen, der Kampf mit sich selbst. Aber die Schwangerschaft? Unmännlich, nicht kultiviert genug. Die Weiber werden wiederum sagen: Große Sache? Unsinn, ich hatte selbst einen Bauch, da kann mir keiner etwas vormachen.“ Piotr macht das Licht an, gestikuliert breit, um sich selbst Recht zuzufächeln. „Ja, sie haben geboren, na und? Hast du schon mal so ein Buch gesehen? Für die Feministinnen ist es zu weiblich, für Schriftstellerinnen zu banal, zu normal. Dabei ist es doch ein unglaubliches Wunder: du trägst einen kleinen Menschen in dir, eine Perle. Du riechst andere Gerüche als sonst, alles verändert sich, eine Revolution. Versuch es doch mal, du musst es ja nicht gynäkologisch beschreiben.“ „Pietuszka, das ist doch verdammt intim!“ überlege ich. „Noch hat es niemand beschrieben. Es gibt entweder kitschige Mutterschaftsberichte, oder welche über Abtreibungen. Was würdest Du dabei verlieren?“ „Ich müsste in der Zeit zurückgehen bis ... warte mal, bis Juli? Mai? Ich müsste die Odyssee durch die Ärzte- und Heilerpraxen, durch die Krankenhäuser beschreiben...“ Polnische Paare, die sich ein Kind wünschen, warten nach wie vor auf eine gesetzliche Regelung der künstlichen Befruchtung. Doch Zeit haben die meisten Paare eben gerade nicht, häufig bietet ihnen moderne Fortpflanzungsmedizin die letzte Möglichkeit, Vater und Mutter zu werden. Etwa jedes fünfte polnische Paar mit Kinderwunsch hat Probleme mit der Fruchtbarkeit. Wie viele davon Methoden zur künstlichen Befruchtung in Anspruch nehmen, ist nicht dokumentiert. Einige tausend jährlich, schätzen Reproduktionsmediziner. Immerhin ist der polnische Staat bereit, sich an den Kosten zu beteiligen: Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. Die Altersgrenze liegt bei 40 Jahren, eine Unfruchtbarkeit muss nachgewiesen sein, ein Trauschein ist jedoch nicht nötig. Für Alleinstehende und Homosexuelle gilt dieses Angebot nicht. Für Martin und Isabela Blancart kam dieses Angebot zu spät. Dass sie heute eine Tochter haben, war lange Zeit alles andere als selbstverständlich. Sie wohnen in einer Kleinstadt, ganz in der Nähe von Warschau. Mitten im Wald. Jeder hier hat sein Haus mit Zaun, Alarmanlage und Hund gesichert. REPORTAGE 2: Gläubige Sünder - ein Paar und die In-Vitro-Empfängnis Isabela Blancart hat es sich in der Sitzecke im offenen Wohnbereich bequem gemacht. Schäferhund-Mischling Heidi döst in ihrem Korb. Ehemann Martin ist mit der zweieinhalbjährigen Kasia im Obergeschoss des großzügigen Einfamilienhauses verschwunden. Die Kleine muss umgezogen werden. „Kasia braucht immer noch Hilfe mit dem Ding“, sagt Isabela entschuldigend und deutet auf ein hellblaues Plastik-Töpfchen. Die Treppe und die offene Küche sind durch Kinder-Schutzgitter gesichert. Der Couchtisch ist aus dem Weg geräumt. Auf der hellen Sofa-Garnitur liegen Decken. Über der Eingangstür hängt ein Holzkreuz, von der Wand blickt lächelnd ein winkender polnischer Papst. “Bist du unten, Mama? Kommst du hoch?” schallt es aus dem Obergeschoss. Isabela Blancart lehnt sich lächelnd zurück. „Sie kommandiert uns ganz schön herum“, sagt Isa, wie alle sie nennen, und lächelt ein wenig entschuldigend. „Das ist nicht gut.“ „Als Kasia geboren wurde, war ich 45“, erzählt Isa. „Die Kleine ist ein Einzelkind, In-Vitro gezeugt, außerdem ich war bei ihrer Geburt auch schon relativ alt.“ Isa schüttelt lächelnd den Kopf. Mit ihrer zierlichen Figur, dem locker gebundenen, dunklen Haar und dem kurzärmeligen blauen Hemd über einem grauen T-Shirt wirkt sich deutlich jünger als 47. In einem rosa Hello-Kitty-Shirt, roter Strumpfhose und rosa Sandalen stakst Kasia die Treppe herunter, ihren Vater im Schlepptau. Ihre großen, blauen Augen mit den langen, dunkeln Wimpern mustern neugierig die Besucher. Dann verschwindet die Kleine in einem bunten Spielzelt. Martin Blancart hockt sich zu seiner Frau aufs Sofa. Dass Kasia ein „Retorten-Baby“ ist, daraus macht das Ehepaar kein Geheimnis. Wir haben beschlossen, dass sie von Anfang an lernt, dass es etwas Normales ist. Und dass wir nichts Schlechtes oder Falsches getan haben, weil wir ein Kind haben wollten – egal auf welchem Weg. Kasia ist ein Kind der Liebe. Doch bis zu dieser Erkenntnis war es für Isa und Martin ein langer Weg. Beide sind gläubige Katholiken. Sie heirateten Anfang der 1990er Jahre und mussten nach ein paar Ehejahren feststellen, dass es mit dem Kinderkriegen nicht klappt. Sie ließen sich untersuchen und behandeln. Machten alles außer In-Vitro. Aber leider hat nichts zu einem Erfolg geführt, obwohl wir es immer wieder versucht haben. Wir wurden dem Ganzen überdrüssig, wir haben einfach aufgegeben, auch weil wir so erschöpft waren. Außerdem hatten wir dieses moralische Problem. Schon damals hat die katholische Kirche In-Vitro vehement abgelehnt und wir sind gläubige Katholiken. Für uns war es auch eine moralische Frage und deswegen haben wir nicht gleich mit In-Vitro angefangen. Jahre gingen ins Land. Zermürbende Jahre, die ihre Beziehung auf eine harte Probe stellten. Jahre, in denen die beiden versuchten, sich auf ihren Beruf zu konzentrieren. Und mit einem Leben ohne Kinder anzufreunden. Um dann zu merken: Das klappt nicht. Immer häufiger diskutierten sie über die Möglichkeit einer In-Vitro-Fertilisation. Wir hatten beide diese moralischen Bedenken. Wir haben uns aber nicht wirklich informiert, wie die Methode funktioniert. Wir haben uns daran orientiert, was die Kirche sagt. So verging die Zeit. Wir wurden immer frustrierter. Wir wollten ein Kind, um eine richtige Familie zu sein. Damals wurde viel über In-Vitro in den Medien berichtet. Da haben wir entschieden: Okay, wir gehen jetzt in eine Klinik und gucken uns die Sache an. Martin springt auf, sucht sein Handy. Der Bauingenieur ist kürzlich arbeitslos geworden, versucht nun, sich selbstständig zu machen. Kasia tobt im Hintergrund. „Sie ist es gewohnt im Mittelpunkt zu stehen“, sagt Isa und geht kurz in die Küche. Holt einen Tablet-Computer, stellt ihn auf Kasias Kindertisch. Über den Bildschirm flimmert eine polnischer Zeichentrickfilm: Enten und Gänse auf einem Bauernhof… Nach fast 20 Ehejahren, suchten Isa und Martin schließlich eine große Warschauer Kinderwunsch-Klinik auf. Bald wurde ihnen klar: Die künstliche Befruchtung im Reagenzglas ist ihre einzige Chance auf ein Kind. Wir konnten uns selbst mit Hilfe von rationalen Argumenten überzeugen. Gegen den Glauben, gegen die Kirche, aber nicht gegen Gott. Ich glaube, unsere Entscheidung war kein Kampf gegen Gott, sondern ein Geschenk an ihn. Die ersten beiden In-Vitro-Versuche scheiterten. Der dritte aber war erfolgreich. Isa und Martin sprechen offen über ihre In-Vitro-Fertilisation. Hoffen so, Akzeptanz zu schaffen und Vorurteile abzubauen. Wir haben ja nicht Gott gespielt. Wir wollten nicht ein Kind mit blauen Augen auswählen oder einen Embryonen aussuchen und den Rest einfrieren. Bei uns wurden alle genutzt. Wir haben niemanden „ermordet“, wie manche behaupten. Isa nickt nachdenklich. Sie möchte, dass ihre Tochter weiß, wie sie entstanden ist. Einerseits. Andererseits sind da immer wieder diese Angriffe und Vorurteile, nicht nur gegenüber der Methode, sondern auch gegenüber den Kindern, die mit ihrer Hilfe gezeugt werden. Das macht die zierliche, eher ruhige Frau richtig wütend: Es werden Bilder gezeigt, ich erinnere mich besonders an eines: Ein Glas mit vielen kleinen Embryonen und der Überschrift: „Deine Brüder und Schwestern mussten sterben, damit du geboren werden konntest.“ Das treibt wirklich meinen Blutdruck hoch. Und ich könnte Menschen, die so etwas schreiben, eine runterhauen. Wenn mein Kind einmal so etwas liest, dann muss es ja denken, es ist so eine Art Frankenstein-Monster. Die Debatte darüber, was medizinisch möglich und gesellschaftlich notwendig ist, sie spaltet die polnische Gesellschaft. Klar positioniert hat sich die „Polnische Vereinigung für den Schutz des Lebens“, abgekürzt „Pro Life“. Die Nichtregierungsorganisation unterhält Büros in vielen polnischen Städten. Seite an Seite mit der katholischen Kirche will sie dafür sorgen, dass das Abtreibungsrecht verschärft und die künstliche Befruchtung verboten wird. Das Haus Nr. 24 in der Krowoderska-Straße liegt nicht weit von der Krakauer Altstadt entfernt. Kein Schild weist daraufhin, dass hier die örtliche Prolife-Sektion arbeitet. REPORTAGE 3: Der ewige Kreuzzug Dr. Antoni Zieba steigt die Stufen hinauf in den zweiten Stock des Altbaus. Der 66jährige öffnet eine Bürotür und bleibt vor einem schlichten Empfangstresen aus Kirschholzfurnier stehen… Der Präsident von Pro Life Krakau bittet eine Mitarbeiterin um ein paar deutschsprachige Info-Unterlagen für die Besucher. Die dunkelhaarige Mitzwanzigerin zieht eine Schublade auf, holt einen Stapel DVDs heraus, sucht darin. Zieba wartet geduldig. Nestelt an seiner Krawatte, sucht in der Jacke seines dunklen Anzugs nach der großen, schwarzen Lesebrille. Bis zu seiner Pensionierung 2012 hat er an der Technischen Universität Krakau gelehrt. Und sich in seiner Freizeit für Pro Life engagiert. Seit 34 Jahren sei er „Lebensschützer“, betont der Ingenieur. Seit er 1979 in Wien ein Praktikum absolvierte. Dort habe ich in einer Kirche eine Ausstellung mit Bildern abgetriebener Babys gesehen. Das waren fünf bis sechs Monate alte Föten in schwarzen Müllsäcken. Für mich war das eine schockierende Erfahrung. Als ich zurück nach Krakau kam, habe ich mich informiert. Im kommunistischen Polen lag die Zahl der Abtreibungen bei einer geschätzten Million. Antoni Zieba schüttelt ärgerlich den Kopf. Zurück in Polen organisierte er einen „Gebets-Kreuzzug für das ungeborene Leben“, wie er es nennt. Mit dem Ziel das Abtreibungsgesetz abzuschaffen. 1989 begann die Transformation in Polen und die Zensur wurde abgeschafft, was für uns damals sehr wichtig war, weil in der Volksrepublik Polen auch die katholische Presse zensiert wurde. Damals nahmen unsere Erziehungs-Aktivitäten Fahrt auf. Wir waren die ersten in einem demokratischen System, die das Abtreibungsgesetz abgeschafft und ersetzt haben durch ein Gesetz, das Leben schützt. Seit 1993 hat Polen eines der restriktivsten Abtreibungs-Gesetze Europas. Ein Abbruch ist nur in Ausnahmefällen erlaubt, etwa nach einer Vergewaltigung. Eine Regelung, die – ginge es nach Antoni Zieba –sofort abgeschafft gehört. Genauso wie die In-Vitro-Fertilisation. 1987 wurde in Polen das erste Retorten-Baby geboren. Mir war klar, dass dies kein Grund zur Freude ist. Denn mit In-Vitro betreten wir den „Pfad des Todes“. Weil man benötigt fünf bis neun Embryonen, um ein Kind mit dieser Methode zur Welt zu bringen. Da manche dieser Embyronen schon kurz nach dem Transfer in die Gebärmutter sterben, ist die Methode für Zieba schlicht Mord. Die Mitarbeiterin ist fündig geworden. Reicht Zieba eine DVD über den Tresen. Das winzige Gesichtchen eines Embryos ist auf der silbernen Scheibe zu sehen. Darüber steht: „Von Anfang an Mensch“. Zieba bittet jetzt in den Besprechungsraum. Ein antiquiert wirkendes Zimmer. An der Wand ticken zwei alte Uhren, daneben historische Stiche, ein Kreuz, ein Jesus-Bild und die Jungfrau Maria. In der Ecke ein alter Röhrenfernseher, auf dem Schrank der polnische Papst im Goldrahmen, Pappschoner schützen die Ecken. „Mehr als 60 Mal habe ich unseren Papst getroffen“, sagt Antoni Zieba. Und legt ein Magazin auf den Tisch, schlägt gezielt die letzten beiden Seiten auf. Eine katholische Studentenzeitschrift, hier aus Krakau. Ganz hinten eine Doppelseite gestaltet von Pro-Life. Ob als redaktioneller Beitrag oder Anzeige wird nicht deutlich. „In-vitro: NIE!“ Nein zu In-Vitro prangt in großen Lettern auf der Seite, darunter wieder Bilder von Embryonen. Wir haben auch begonnen Videobloggs zu machen und wir konzentrieren uns auf das Internet, weil es billig ist und man kann eine größere Zahl von Leuten erreichen. Vielleicht können wir so das positive Bild ausgleichen, das die Medien zeichnen. Der Kampf sei nicht einfach, sagt Zieba ganz ruhig und sachlich. Einerseits sei da die Politik und der Einfluss der Post-Kommunisten. Und andererseits die Deutschen, denen eine ganze Reihe von Zeitungen und auch eine große Radiostation im Land gehören. Medien, die eine In-Vitro-Fertilisation befürworten. Eine Allianz der alten Feinde gewissermaßen, die ein unabhängiges, katholisches Polen verhindern - so sieht Zieba das. Im polnischen Sejm halten sich Befürworter und Gegner bislang knapp die Waage. Doch die liberal-konservative Mehrheit von Ministerpräsident Tusk bröckelt. Meinungsforscher sehen die nationalkonservative PIS im Aufwind. Zieba stimmt das hoffnungsvoll. Wie ich es sehe, wird Tusk die nächsten Wahlen verlieren und ob PIS alleine regiert oder in einer Koalition, ich bin überzeugt, dann wird In-Vitro verboten werden. Literatur 2 „Schreib doch darüber, über diese Voruntersuchungen“, versucht Piotr mich zu überzeugen. In Polen sollten sie verboten werden, man behandelt sie auf derselben Stufe wie Mord. „Nein. Ich habe für „Wprost“ über das Anti-Abtreibungsgesetzt geschrieben, habe mich darüber lustig gemacht. Habe über das Recht der Frauen geschrieben, aber nicht über die Voruntersuchungen.“ „Warum nicht? Jetzt merkst du selbst, wie das ist, warum schreibst du nicht darüber? Schreib doch die Wahrheit!“ „Die Wahrheit? Willst du die Wahrheit hören?“ flippe ich aus. „Das ist einzig und allein meine Entscheidung, mein Schmerz. Du stehst nur daneben. Trägst du etwa diesen Bauch? Wäre es im Falle des Falles deine Abtreibung Es gibt kein Recht, es gibt nur mein Gewissen. Ich fühle mich jetzt schon wie ein Mörder, verstehst du?“ Ich fange an zu weinen. „Ich habe mich für diese Untersuchung entschieden; obwohl es die Wahrscheinlichkeit von eins zu hundert gibt, dass man danach eine Fehlgeburt erleidet, und die Wahrscheinlichkeit von eins zu vierhundert, dass das Kind krank ist.“ „Es ist gesund, gesund, hörst du?“ schreit er durch mein Weinen hindurch. „Ich habe es nicht in mir drin, aber ich bin der Vater, ich...“ Beide sind wir ratlos. Besser wäre es, zu schweigen, so miteinander zu kommunizieren, als durch diesen Wall aus Worten. Wenn Frauen mit Kinderwunsch selbst die konventionelle Methode der künstlichen Befruchtung nicht mehr helfen kann, dann können sie nur noch darauf hoffen, mit Hilfe fremder Eizellen schwanger zu werden. Eizellenspenden sind in den meisten Ländern Europas erlaubt, auch in Polen. In Deutschland jedoch nicht. Doch mit der „Spende“ ist das so eine Sache. Denn es ist keine freiwillige Abgabe, sondern ein ganz normales Geschäft, mit Angebot und Nachfrage, ein Geschäft zwischen einer Frau, die Mutter werden will, zwischen Ärzten und Spenderinnen. Entwickelt hat sich daraus ein ganzer Geschäftszweig. Sogenannte Eizellen-Banken werben im Internet um junge Spenderinnen, wie um Alexandra REPORTAGE 4: Eizellen im Angebot Ein trendiger Stadtbezirk von Krakau: Bunte Leuchtreklamen der Bars spiegeln sich im feuchten Kopfsteinpflaster. Junges Publikum schlendert über marode Bürgersteige. Gut 40 Musikfreunde warten vor einer alten Synagoge auf Einlass zu einem Klezmer Konzert. Alexandra kommt aus einer Seitenstraße, eine große grüne Handtasche über der Schulter. Die 27jährige würdigt die Kneipen keines Blickes. Sie hat zurzeit kein Geld für Freizeitvergnügen Im letzten Semester bekam sie noch ein Doktoranden-Stipendium der Universität, erzählt Alexandra. Rund 400 Euro im Monat. Davon bezahlt sie die Miete. Jedes Semester leitet Alexandra Lehrveranstaltungen, sie publiziert Fachaufsätze, organisiert Konferenzen. Dafür bekommt sie kein Geld sondern Bonuspunkte. Mit denen kann sich Alexandra um ein Stipendium für das nächste Semester bewerben. Leider wurde dieses Mal die Zahl der Stipendien einfach um 75 Prozent gekürzt. Jetzt gibt es nur noch 5 Stipendien statt 20 in unserem Fachbereich. Es war sehr frustrierend leer auszugehen. Die Nachricht kam vollkommen überraschend. Jetzt fehlt Alexandra mehr als die Hälfte ihres Einkommens. Die Doktorandin bleibt vor einem Altbau stehen, fummelt den Wohnungsschlüssel aus der Handtasche. Die Mietpreise in Krakau liegen teilweise auf deutschem Niveau, erzählt Alexandra. Und öffnet die Wohnungstür Nein, sie will hier auf keinen Fall ausziehen, sagt sie. Und führt kurz durch die Wohnung: 35 Quadratmeter, Kochnische, kleines Wohnzimmer, ein Schlafzimmer. Alexandra wirft die Handtasche aufs Sofa, zieht ihren Mantel aus. Geht zum Schreibtisch, startet ihren alten Laptop. In den Nachrichten hört man in letzter Zeit sehr viel über künstliche Befruchtung. Und da kam mir die Idee: Vielleicht kann ich ja eine Eizelle spenden. Ich verlier doch eh jeden Monat eine. Ich bin gesund, ich bin fit: körperlich und geistig. Und da dachte ich mir: warum nicht? Alexandra gibt den Suchbefehl “Wie werde ich Eizellenspenderin” ein... 2.500 Ergebnisse erscheinen. Ganz oben werben einige Eizellen-Banken um Spender... Vom „Leben schenken“ ist da die Rede, von der Großzügigkeit der Spenderinnen. Alexandra schüttelt den Kopf. Ihr geht es weniger um Nächstenliebe, sagt sie, sondern schlicht und einfach ums Geld für die Miete. Die meisten Kliniken bieten für Eizellenspenderinnen eine Aufwandsentschädigung: Die Klinken bieten rund 4000 Zloty als Aufwandsentschädigung an, das sind rund 1000 Euro. Aber ich habe gelesen, dass manche Paare noch etwas drauflegen, damit sie die Zellen von ausgewählten Spendern bekommen. Das läuft nicht offiziell, aber es wird gemacht. Bis zu zweieinhalb tausend Euro sind möglich, hat sie gelesen. Das ist für Alexandra eine halbe Jahresmiete. Die 27jährige sucht weiter, landet auf der Seite eines Verkaufsportals. Hier gibt es Gebrauchtwagen, Unterhaltungselektronik. Angebote von privat an privat: Hier haben wir eine Anzeige: “Hallo, ich habe Eizellen zu verkaufen. Ich war schon zweimal Spenderin, ich bin 22 Jahre alt und habe zwei eigene Kinder”. Und diese Frau gibt hier ihre Größe an, sie hat grüne Augen. Und hier bietet noch eine 20jährige ihre Eizellen an: Die sind alle ganz schön jung. Einige Klicks weiter ein Forum. Wieder sind Eizellen im Angebot. Spenderinnen berichten über die Folgen der hormonellen Stimulation. Beschreiben, das mehr als eine Eizelle entnommen werden. Die Klinik aber nur einmal zahlt, jedoch mit jeder einzelnen Eizelle Geld verdient Hier haben wir ein paar negative Kommentare. Da schreibt jemand: „Was für ein Horror. Wenn es erlaubt wäre, würden wir auch mit Kindern handeln. Wie kann man nur mit dem Bewusstsein leben, dass irgendwo da draußen dein Kind ist, verkauft einst als Eizelle... Alexandra wiegt den Kopf. Die Seiten der Eizellenbanken hat sie markiert, das Forum ebenso. Sie will noch ein wenig weitersuchen. Bevor sie sich entscheidet. Wenn sie in 20 Jahren auf jemanden treffen, der so aussieht wie ich, sagt Alexandra zum Abschied, dann werden sie sich vielleicht an unser Gespräch erinnern... Ende letzten Jahres schlugen die polnischen Bischöfe Alarm. In einem Hirtenbrief sprachen sie von einer „wahren Katastrophe“, dass in Polen die Geburtenrate rasant sinkt. Auch polnische Paare bekommen ihre Kinder immer später und immer häufiger auch gar nicht. Um das Feld nicht den Reproduktionsmedizinern allein zu überlassen, macht nun auch die katholische Kirche Angebote: Ihre Antwort auf In-Vitro-Fertilisation lautet Napro-Technologie. REPORTAGE 5: Empfängnis mit Gottes Hilfe Der Feierabendverkehr schiebt sich über eine der Ausfallstraßen von Bialystok. Vorbei an einer orthodoxen Kirche, Richtung Westen. An einer Kreuzung steht im gelben Licht der Straßenlaternen ein mehrstöckiger Klinkerbau. „NaProMedica“ steht in großen grünen Lettern an der Fassade. Werbung für die Praxis von Dr. Tadeusz Wasilewski. Tadeusz Wasilewski lässt auf sich warten. Dann kommt der Doktor kurz ins Behandlungszimmer. Groß, schlank, weißes Hemd, weißer Kittel, rote Krawatte, dunkle Hose, bequeme Lederslipper an den Füßen. Wasilewski legt dem Besucher die Hand auf die Schulter, blickt ihm lächelnd in die Augen, bittet um Verständnis. Es wird noch etwas dauern, es warten noch Patientinnen. Seine Sprechstundenhilfe bringt für die Wartezeit zwei dicke, DIN A 4- große Fotobücher. Die sind voll mit Danksagungen. Daneben kleben viele Ultraschallbilder und einige Kinderfotos: Gleich vorne auf einer der ersten Seiten: Der Doktor zusammen mit einem Priester bei der Praxiseinweihung. Ich bin schwanger, nach 16 Jahren Kampf. Und nach acht bis neun Misserfolgen In- Vitro. Ich habe es geschafft, dank Aufopferung und Glauben. Schreibt Marianna, 41 Jahre. Daneben stehen die Worte von Patricia und Jacek: Für alle, die ein Kind wollen: Sie sollen sich besinnen, dass der Rosenkranz das wirkungsvollste Mittel ist, die Unfruchtbarkeit zu bekämpfen. Wir sind der Beweis. Nach einer halben Stunde kommt Dr. Wasilewski, entschuldigt sich noch einmal, greift zu den Danksagungs-Büchern, bittet in sein Behandlungszimmer. Vierzehn der letzten 20 Jahre habe ich in einem In-Vitro-Zentrum gearbeitet. Dort habe ich alle Techniken der Reproduktionsmedizin kennengelernt und gesehen, wie man Unfruchtbarkeit behandeln kann. Per Insemination, per Injektion, einfach alles. In den letzten 6 Jahren habe ich davon nichts mehr angewendet. Ich setze jetzt auf andere Methoden. Wasilewski nimmt einen Schluck kalten Kaffee. Die Tasse steht neben einer kleinen Mutterstatue, die schützend ein Kind in den Armen hält. Als Gynäkologe habe er in der In-Vitro-Klinik sehr, sehr gut verdient, wie er sagt. Plötzlich aber plagen ihn Skrupel. Nehmen sie die Situation wir haben sechs Embryonen, und zwei haben die besten Chancen, die transferieren wir. Und da die anderen vier auch gut aussehen, werden sie eingefroren. Für sie gibt es keine Überlebensgarantie. Das ist wie Eugenik, weil eine Auswahl getroffen wird. Der Unterschied ist, das diese kleinen Menschen hilflos sind, sie können nicht weglaufen, sie können nicht schreien. Das ist biologische Begründung für seine Entscheidung. Aber da gibt es noch eine andere: Ich saß auf meinem Bett und hörte die Worte „Vertraue auf Jesus“. Dreimal hörte ich den Satz. Und dann zeigte mir Gott deutlich, was ich zu tun habe. Das war nicht einfach. Ich war über 40. Ich musste eine Familie ernähren. Ich musste meinen Job aufgeben. Aber ich wusste, was Gott von mir wollte, Und ich folgte seinen Worten. Ich verließ mein materielles Königreich. Und da war ein Weg den mir Gott zeigte. Doch mehr will der Arzt darüber nicht sagen. Lieber will er über seinen neuen Behandlungsweg sprechen. „NaProMedica“ ist in grün auf die Brusttasche seines Arztkittels gestickt. Die Naprotechnologie - das ist eine Art Kinderwunschbehandlung mit katholischem Segen. Die Antwort der katholischen Kirche auf die In-Vitro-Fertilisation. Dabei nutzt er alle Möglichkeiten der modernen Medizin, nur der Zeugungsakt bleibt dem Paar vorbehalten. In vivo statt in vitro. Durch leibhaftigen Geschlechtsverkehr Es gibt mittlerweile Zentren hier, in Lublin, in Szczecin, Poznan, Katowice und Gdansk. ich kann überzeugt sagen, die Paare können Kinder bekommen und Spaß haben, ohne das Dritte beteiligt sind. Doch nicht jeder kann Patient in Wasilewskis Praxis werden. Der gläubige Gynäkologe schüttelt den Kopf, lächelt sanft und klopft auf die beiden Bücher mit den Danksagungen. Wir helfen hier nur verheirateten Paaren. Wenn ich Gottes Worten folgen will, dann muss ich die Gebote beachten, das heißt, man muss heiraten, bevor man ein Kind bekommt… Der Arzt schreibt regelmäßig in der Katholischen Tageszeitung gibt Interviews in Radio und Fernsehen. Er lobt die Naprotechnologie Und tritt auf als Kronzeuge gegen In-vitro. Ich bin überzeugt: In-Vitro dürfte es nicht geben: Es ist ein Experiment. Ein riesiges Experiment. Bei dem menschliches Leben vernichtet wird. Seine Hand greift fest den Unterarm des Gesprächspartners. Der Blick des Arztes ist jetzt nicht mehr verständnisvoll sondern hart. Am Tag des Jüngsten Gerichts, sagt er zum Abschied, wird abgerechnet... Literatur 3 Ein Besuch in der Praxis. Die Hebamme ließ uns mit drei Filmen über Geburt und Mutterschaft alleine und ging in den Untersuchungsraum. Der erste Film. Geburt. Die Frauen stöhnen leise, leiden. Ihre Männer schauen sie mit dümmlichen Gesichtern hilflos an. Ein sehr guter Film. Ohne Schreie und die charakteristischen Geräusche, wenn der Schritt mit dem Skalpell geschnitten wird. Ich habe einen ähnlichen polnischen Horrorfilm gesehen. Irgendetwas zwischen einem Aufstand und einer Schlacht. Die schwedischen Bilder sind sanft. Neutral, wie dieses protestantische Land ohne Kriege. Die Geburt ist schwere Arbeit, und keine Heldentat oder katholisches Martyrium. Ein anderer Film, norwegisch. Diesmal Stillen. In Polen finge er mit Bildern von Madonnen an. In Skandinavien fängt man mit Landschaften an. Fünf, zehn Minuten Fjord-Ansichten. Eine Lappenfrau mit Schlitten... Sie heißt „Magda“. Das erste Retortenbaby, das in Polen mit Hilfe der künstlichen Befruchtung gezeugt wurde. Im November 1987, an der Medizinischen Universitätsklinik in Bialystok, im äußersten Osten Polens. Magda ist heute 26 Jahre alt, sie ist selbst Mutter und lebt in absoluter Anonymität. Bis heute lehnt sie Interviews ab. Der damals verantwortliche Arzt praktiziert noch heute in Bialystok. REPORTAGE 6: Der Vater der Retorte Zwei Frauen warten in der Aufnahme der Gynäkologischen Klinik an der Medizinischen Universität Bialystok. Eine Schwester schiebt einen glänzenden Servierwagen über den Klinikgang. Dahinter taucht ein älter, weißhaariger Herr in einem hellgrauen Kittel und abgewetzten Cloggs auf: Prof. Marian Szamatowicz, der „Vater“ des ersten polnischen Retortenbabys. „Zu meiner Zeit sah es hier vollkommen anders aus“, erzählt Szamatowicz während er durch die Klinik führt. „Damals hatten wir 67 Betten, heute sind es nur noch 25. Es ist alles viel komfortabler geworden für die Patienten.“ Szamatowicz erinnert sich noch gut an die Anfänge der In-Vitro-Fertilisation in Polen in den 80er Jahren. Eine schwierige Zeit, politisch wie wirtschaftlich. Die Ausrufung des Kriegsrechts, der politische Umbruch, die Wirtschaftskrise. Die Geschäfte waren leer, selbst für Grundnahrungsmittel musste man anstehen. Für die Patientinnen aber war es damals einfacher, sagt Szamatowicz. Unsere Patientinnen lagen in der Klinik. Sie mussten nichts für die Behandlung bezahlen. Auch die Medikamente waren kostenlos. Ihre Schwangerschaft wurde eng überwacht. Und die Geburt fand hier in der Klinik statt. Die Situation im Land war zwar kompliziert, aber für die Patientinnen war es damals einfacher. Es gibt keine offizielle Statistik, aber unser Team hier hat bestimmt 10.000 Kinder 7erzeugt, sagt der alte Professor stolz. Der 79jährige bittet in sein Büro. Es ist nicht groß, vielleicht 10 Quadratmeter, aber voll. Überall stapeln sich Papiere, Unterlagen, Bücher. Selbst auf dem kleinen Besprechungstisch mit dem großen Plastikblumenstrauß. An den Wänden hängen Fotos und Erinnerungsstücke. „Natürlich waren die Erfolge anfangs bei weitem nicht so gut wie heute“, sagt Szamarowicz, während er auf dem Tisch etwas Platz schafft. Um Eizellen zu entnehmen, war zum Beispiel eine Bauchspiegelung notwendig. Erst später konnte man eine Gewinnung unter Ultraschall-Überwachung vornehmen. Und das Kuriose ist, dass das Institut 1986 ein Geschenk von Papst Johannes Paul II. erhalten hat und zwar ein hoch-modernes Ultraschall-Gerät. Dieses Gerät haben wir benutzt, um die Eizellen zu gewinnen. Ich erlaube mir, das so zu kommentieren: Der Papst hat das Ultraschallgerät in gute Hände gegeben. Und da er unfehlbar ist, hat er auch hier keinen Fehler gemacht. Der alte Professor schmunzelt schelmisch. „Wenn ich Vorlesungen halte beziehe ich mich oft auf die Bibel“, sagt der Gynäkologe. „Schließlich heißt es schon in der Schöpfungsgeschichte: Gehet, seid fruchtbar und mehret euch“. Anhand der verkauften Medikamente könne man abschätzen, dass ca. 8.000 Paare die Behandlung vornehmen lassen, sagt er. Ist das genug? Ich würde sagen: Nein. Weil, wenn man Polen mit anderen Ländern vergleicht, müssten hier – rein rechnerisch - deutlich mehr Behandlungen durchgeführt werden. Die Zahl ist so niedrig, weil bislang die finanziellen Barrieren so hoch waren. Mit Sorge verfolgt Szamatowicz die politische Debatte. Eine gesetzliche Reglung wäre dringend nötig, ist er überzeugt. Die Methode wird angewandt, aber es gibt keine Regulierungen. Das bedeutet auch: Keine Zertifizierungen der Kliniken, keine Vorschrift die Erfolge zu publizieren oder zu veröffentlichen und es läuft darauf hinaus, das gemacht wird, was geht. Dieser Zustand sollte allerdings beendet werden. Der Streit um die Invitro-Fertilisation verfolgt Szamatowicz fast sein halbes Berufsleben lang. Doch darüber aufregen mag sich der polnische In-Vitro-Pionier schon lange nicht mehr. Er macht einfach weiter. Hält Vorlesungen über Unfruchtbarkeit, berät Paare, die keine Kinder bekommen können. Als Arzt habe ich anderen geholfen, Kinder zu bekommen. Als ich mein Diplom machte, habe ich den Hippokratischen Eid abgelegt und der fordert, dass man neue Entdeckungen zur Anwendung bringt und das genau tue ich. Es gibt Menschen, die mich nicht mögen. Aber eine größere Gruppe respektiert mich und als Beweis möchte ich ihnen ein Diplom zeigen, das mir sehr am Herzen liegt. Szamatowicz deutet auf eine Urkunde direkt über dem Besprechungstisch. Verliehen von der Regional-Ausgabe der Gazeta Wyborcza. Die Wahl zum bedeutensten Einwohner Bialystoks im 20. Jahrhundert. Szamatowicz wurde auf Platz drei gewählt. Hinter dem verstorbenen Erfinder des Esperanto und einem Dirigenten. Diese Auszeichnung ist mir Lob und Anerkennung genug, sagt der alte Professor. Und ärgert sich dann doch noch ein wenig. Also, es macht mich nicht wütend. Ich bedaure vielmehr diese Bösartigkeit gegenüber den einfachen Leuten. Denn die Reichen trifft es nicht, wenn In-vitro in Polen verboten wird. Sie werden dann anderswo hingehen . Uns geht es aber um alle Menschen hier, in unserem geliebten Land. Schwere Geburt - Kinderwunsch und künstliche Befruchtung in Polen. Das waren Gesichter Europas mit Reportagen von Ernst-Ludwig von Aster und Anja Schrum. Die Literaturauszüge stammen aus dem Buch „Polka“ von Manuela Gretkowska. Erschienen im Deutschen Taschenbuchverlag. Gelesen von Nina West. Redaktion und Moderation: Katrin Michaelsen. ------------------------------------------------- 1 2