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Ich hab' im Familien und Bekanntenkreis mehrere Leute mit Krebs, und es wird ja immer gemunkelt, dass das Atomkraftwerk dran schuld sein könnte, dass es hier in der Umgebung eine hohe Krebsrate gäbe, das die Daten unter Verschluss gehalten werden. Ich hab auf alle Fälle ein besseres Gefühl, auch wenn der ein oder andere Arbeitsplatz verloren geht. (Romina Böhler) Das hat viele Vorteile für Biblis gehabt, das wird jetzt viele Nachteile wiederum haben, Nachteile natürlich in der Hinsicht, dass man Familie hat, die dort untergekommen sind. Die ersten fünfzig Biblis-Mitarbeiter gehen demnächst in Altersteilzeit, weitere 100 können voraussichtlich auf eine andere Stelle beim Betreiber RWE wechseln, vorausgesetzt sie sind flexibel. RWE muss noch entscheiden, ob der Reaktor nach einer Übergangszeit von etwa fünf Jahren abgerissen oder für einige Jahrzehnte "sicher eingeschlossen" wird, wie es Experten nennen. Wiederholt hat der Konzern den Beschluss vertagt, zuletzt auf das Frühjahr 2012. Offiziell äußern will sich RWE bis dahin nicht. Standort-Chef Hartmut Lauer hatte unlängst erklärt: Wir sind hier überraschend getroffen worden und müssen jetzt diese Planungen hier durchführen, und die sind natürlich komplex, insofern dauert das seine Zeit. Derzeit ist das Atomkraftwerk zwar abgeschaltet, aber stillgelegt ist es noch nicht. Ein Zustand, der Atomkraftgegner im gesamten Rhein-Neckar-Ballungsraum nervös macht, weil die beiden Blöcke theoretisch wieder angefahren werden könnten. Um Druck auf RWE zu machen, hat die Bürgerinitiative AK.W.Ende Kommunalpolitiker und Umweltgruppen zur sogenannten "Rückbaukonferenz" nach Bensheim an der Bergstraße geladen. Ausnahmsweise sind die Atomkraftgegner mit Kommunal- und Landespolitikern aller Parteien einer Meinung: der abgeschaltete Alt-Meiler muss vom Erdboden verschwinden, und zwar möglichst schnell. Matthias Schimpf, grüner Umweltdezernent: Der Ausstieg ist nur halb gelungen, wenn man jetzt nicht dazu kommt, auch tatsächlich Standorte zu räumen. So lange da ein AKW steht, fällt die Fläche unter die Regularien des Atomgesetzes, das heißt, man ist nicht Herrscher und Entscheider über Flächen, die in der eigenen Gemarkung liegen und deswegen muss geräumt werden. In fünf Jahren wären die Brennelemente in den Abklingbecken so weit, dass sie in Castoren verpackt in das Zwischenlager auf dem Werksgelände gebracht werden könnten, dann solle man damit anfangen, nichtnukleare Anlagen wie die vier Kühltürme abzutragen, meinen die in Bensheim versammelten Aktivisten. RWE rechnet mit Kosten von bis zu anderthalb Milliarden Euro für den Abriss. Sollte das Unternehmen beschließen, die Altreaktoren, betonummantelt, für Jahrzehnte sozusagen als ihr eigenes Zwischenlager zu nutzen, würden die Atomkraftgegner erneut auf die Barrikaden gehen. Denn, so Ingo Hoppe von AK.W.Ende: Die werden sich aus der Verantwortung schleichen, das hat den Aspekt der Rücklagen, die irgendwann nicht mehr auffindbar sind ... Gemeint sind die steuerfreien Rücklagen, die RWE wie alle Stromkonzerne für die zukünftige Beseitigung seiner Meiler aufbauen musste. Wie sie ihre Resolution pro Rückbau formulieren, darüber reden sich die Konferenzteilnehmer im Bensheimer Bürgerhaus bis in den späten Abend hinein die Köpfe heiß. Wesentliche Bedenken bringt Michael Rothkegel auf den Punkt. Der Geschäftsführer beim Bund Umwelt- und Naturschutz Hessen plädiert dafür, RWE und die Politik vor einer Entscheidung offene Fragen beantworten zu lassen. Also beim Rückbau eines Atomkraftwerkes muss mit radioaktiv verstrahltem Materialien hantiert werden, und für mich ist ganz, ganz wichtig, dass der Schutz der beteiligten Arbeitnehmerinnen, aber auch der Schutz der Bevölkerung gewährleistet ist, und darüber liegen mir noch gar keine Informationen, wie das gewährleistet werden könnte. Nach hitzigen Diskussionen bleibt es bei der Forderung: Der Alt-Meiler ist so schnell wie möglich abzureißen. Ein Beirat aus Umweltbewegten und Kommunalpolitikern soll RWE darauf drängen, die Öffentlichkeit über Risiken und Nebenwirkungen des Rückbaus zu informieren. Beitrag 2: Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern - Das AKW Greifswald (Autor: Peter Marx) Verwinkelte Eisentreppen, ein Labyrinth aus Rohren, enge Durchgänge, mattes Licht aus Neonscheinwerfern und Warnschilder in kyrillischer Schrift. Eine Kulisse, die an Spionagefilme erinnert. Besuchergruppen drängeln sich durch die Gänge, stecken ihre Köpfe durch eine Luke in die Brennkammer eines Reaktors. Der Höhepunkt jedes Rundganges und - völlig gefahrlos. Block sechs ging nie ans Netz. Der gesamte Rückbau des alten Kraftwerkes soll in spätestens drei Jahren abgeschlossen sein, sagt Marlies Philipp von den Energiewerken Nord. Wir können davon ausgehen, zu 70, 80 Prozent sind wir heute fertig. Wir sind bei einigen Blöcken schon auf der Zielgeraden, bei einigen Blöcken, wie der Block 3 da brauchen wir noch ein bisschen länger, da sind wir gerade dabei, die letzten großen Bauteile herauszuholen. Sie zeigt auf die Schrottberge von zerlegten Pumpen und Leitungsrohren. Alles Teile aus den Kernkraftwerkblöcken und - nicht mehr radioaktiv. Sie werden an Schrotthändler verkauft. Insgesamt 600 000 Tonnen radioaktiv belastetes Material müssen die Fachleute der Energiewerke Nord, kurz EWN, aus den Reaktorblöcken rausholen und reinigen. Die stark verstrahlten Teile kommen ins firmeneigene Zwischenlager. Wir haben cirka 20 000 Tonnen im Zwischenlager. Das sind hauptsächlich Anlagenteile, also Stahl. Aber wir haben dort auch Kabel drin, Isolierwolle drin. Wir haben alles, was im Reaktorblock anfällt, aber auch Betriebsabfälle wie Harze oder auch die Filter mit denen die Kollegen bestimmte Anlagenteile zerlegen. Dazu kommen noch 74 Castorbehälter, gefüllt mit Kernbrennstäben und hochradioaktivem Abfall, die bereits im Lager stehen. Auf Fotos im Treppenhaus des Verwaltungstraktes ist zu sehen, wie bei EWN gearbeitet wird. Im Nasszerlegebereich, einem sechs Meter tiefen Schwimmbecken greifen, sägen und zerschneiden ferngesteuerte Roboterarme die radioaktiven Teile. Das Wasser kühlt und schirmt die Strahlung ab. Der Rückbau von Kernkraftwerken dauert lange, fügt Marlies Philipp hinzu: 1995 haben wir die Genehmigung bekommen und mit dem Abbau anzufangen. 2014, 2015, das ist unsere Zahl, wo wir sagen, wir sind mit den wesentlichen Abbau-Aktivitäten fertig. Überall, das heißt die Reaktorblöcke sind leer und wir bemühen uns dann die Radioaktivität da rauszuholen, die eben noch in der Gebäudestruktur sitzt. Wenn alle radioaktiven Teile raus sind, kann man dort genau messen und ich weiß dann, hier muss ich noch die Wand abfräsen oder den Spachtel entfernen oder die Raumauskleidung dort rausnehmen, damit ich dort keine Radioaktivität mehr drin habe. 4, 1 Milliarden Euro wird der gesamte Rückbau des Kraftwerkes den Steuerzahler kosten; rund eine Milliarde mehr als geplant. EWN ist eine hundertprozentige Tochterfirma des Bundes. Die 950 Mitarbeiter sehen gelassen in die Zukunft. "Wir sind gut im Geschäft", sagt dazu Frau Philipp: Welche Aufgaben wir im Rahmen der jetzt stillgelegten Kernkraftwerke übernehmen können werden, das wird der Markt zeigen. Diese Aufgaben werden dann ausgeschrieben und man kann sich als Betrieb daran beteiligen, so wir das schon seit längerem beim stillgelegten Kernkraftwerk Obrigheim machen. Dort sind Kollegen von uns beschäftigt den Reaktor zu zerlegen. Am Standort Lubmin hat längst die Zukunft begonnen. In der ehemaligen Maschinenhalle werden Schiffskräne und die Fundamente für Windkraftanlagen produziert und in einem der leeren Reaktorblöcke wurden Tennisplätze für Freizeitsportler eingerichtet. Beitrag 3: Nebel über dem AKW - Die Zukunft des Kraftwerks Brunsbüttel (Autor: Dietrich Mohaupt) Ein trüber Wintertag an der schleswig-holsteinischen Westküste - dichter Nebel liegt über dem Deich an der Unterelbe, und über dem Kernkraftwerk Brunsbüttel. Normalerweise ist die Anlage von der Strasse im Industriegebiet aus gut zu sehen - an diesem Tag bleibt alles im Nebel verborgen. Ähnlich nebulös ist derzeit auch die nähere Zukunft des Kernkraftwerks - ein Konzept für die Stilllegung ist nicht in Sicht. Der Kraftwerksbetreiber Vattenfall ist verpflichtet, ein solches Konzept vorzulegen, betont Wolfgang Cloosters von der Atomaufsicht des Landes: Auf der anderen Seite müssen wir zugestehen, dass für die Planungen ein gewisser Zeitrahmen auch erforderlich ist. Es gibt deshalb eine Vereinbarung, dass wir Vattenfall Gelegenheit gegeben haben, ihre Überlegungen zur Vorlage eines Stilllegungskonzeptes zunächst einmal sorgfältig vorzunehmen. Und wir haben vereinbart, dass bis zum Ende des 1. Quartals 2012 diese Überlegensphase toleriert werden kann. Der Nebel sollte sich also langsam etwas lichten - tut er aber nicht, im Gegenteil, moniert Karsten Hinrichsen, Urgestein der schleswig-holsteinischen Anti-Atomkraftbewegung. Der kleine, drahtige Mann führt seit Jahrzehnten einen zähen Kampf gegen die Kernkraftwerke an der Unterelbe - dass Vattenfall jetzt wirklich bereit sein soll, das Kraftwerk in Brunsbüttel zügig stillzulegen, bezweifelt er. Man hat eher der Eindruck, die spielen auf Zeit. Die schauen mal, wie die energiepolitische Großwetterlage sein wird, und je weniger sie vorher investieren und abbauen umso leichter ist es ihnen dann ja möglich, das Kraftwerk wieder ans Netz zu bringen. Diesen Vorwurf lässt man in der Chefetage bei Vattenfall in Hamburg natürlich nicht auf sich sitzen. Hinter der imposanten Glasfassade der Unternehmenszentrale hält Geschäftsführer Ernst Michael Züfle dagegen. Der Diskussionsprozess ist noch nicht abgeschlossen, erläutert er. Sicherer Einschluss, also das Kraftwerk für 20, 30 Jahre in den Dornröschenschlaf schicken, oder direkter Rückbau, also so schnell wie möglich demontieren - die Konzernführung hat sich noch nicht entschieden. Der wesentliche Vorteil von direktem Rückbau ist, dass man mit dem vorhandenen Betriebspersonal den Rückbau maßgeblich mit machen kann. Diese Variante ist am zügigsten, hat aber auch im Vergleich zum sicheren Einschluss ein Stück weit die Voraussetzung, dass man wirklich auch ein Endlager zur Verfügung hat. Die Endlagerdiskussion - das ist aus Sicht von Vattenfall der entscheidende Knackpunkt. Ohne Endlager könne es auch keine schnelle und verantwortungsbewusste Rückbauentscheidung geben, betont Züfle. Zeitliche Vorgaben für solch eine Entscheidung gibt es im Atomgesetz nicht. Wir haben eine Betriebsgenehmigung, per Gesetz ist dort jetzt nur die Genehmigung für den Leistungsbetrieb herausgenommen. Das ist natürlich kein dauerhafter Zustand. Auch meine Belegschaft - das sind ungefähr 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kernkraftwerk Brunsbüttel, die brauchen ja eine gute Perspektive und eine Klarheit. Rein rechtlich, rein formal also keinen Termindruck, aber innerbetrieblich natürlich schon die Ambition, zeitnah zu einer Entscheidung zu kommen. Ich gehe schon davon aus, dass wir das noch in diesem Jahr hinbekommen, vielleicht auch etwas früher in diesem Jahr als später in diesem Jahr. Vattenfall hat schon diverse Verträge mit Fremdfirmen gekündigt, betroffen davon sind einige hundert Mitarbeiter, die teils über Jahrzehnte für Betrieb und Wartung des Kraftwerks im Einsatz waren. Die eigenen Mitarbeiter müssen jetzt umlernen - vom Leistungs- auf den Stilllegungsbetrieb eines Kernkraftwerks. Also diese Umqualifizierung, die läuft schon. Wir sind ja auch beteiligt am Kernkraftwerk Stade, Stade ist seit vielen Jahren im Rückbau - wir sind im engen Austausch die ganze Zeit schon gewesen und das haben wir natürlich jetzt ganz massiv intensiviert. Dort können wir wirklich schauen, wie läuft ein Rückbau ab, technisch, von der Ausbildung und von organisatorischen Fragen. Das sei aber auf keinen Fall als Vorentscheidung in Richtung direkter Rückbau zu verstehen, betont der Vattenfall-Geschäftsführer. Keine sonderlich befriedigende Aussage für Wolfgang Cloosters von der schleswig-holsteinischen Atomaufsicht - der an den Vorstellungen seiner Behörde keine Zweifel lässt. Es gibt sehr klare Erwartungen von uns. Vattenfall ist in der Pflicht, die Anlagen ordnungsgemäß stillzulegen, und wir drängen auch darauf, dass dieses zügig vollzogen wird. Wir bevorzugen ganz eindeutig, dass die Anlagen rückgebaut werden - und wir würden auch bevorzugen, dass die Anlagen bis zur grünen Wiese hin zurückgebaut werden. Eine Aussage, die so gar nicht zu den eher zögerlichen und ausweichenden Erklärungen vom Kraftwerksbetreiber Vattenfall passt. Derzeit sieht es nicht so aus, als würden sich die undurchsichtigen Nebelschwaden über dem Kernkraftwerk Brunsbüttel in nächster Zeit lichten. Beitrag 4: Gestern Urancity - morgen Holzhackschnitzelhauptstadt Das AKW Grafenrheinfeld in Bayern (Autor: Michael Watzke) Früher, sagt Ludwig Mack, sei Grafenrheinfeld Uran-City gewesen. In Zukunft aber könne das 3000-Einwohner-Städtchen Deutschlands Holz-Hackschnitzel-Hauptstadt werden: Die kommen direkt aus unserer Erzeugung, die stellen wir an unserem Standort her. Bei uns werden die Hackschnitzel an einer Biogas-Anlage getrocknet. Sie werden gesiebt, um große und störende Anteile rauszubringen. Dadurch haben sie einen sehr guten Heizwert. Und deshalb können wir sehr kleine Bunker bauen. Vor einem dieser Hackschnitzel-Bunker steht Ludwig Mack, Geschäftsführer des BKM Biomasse-Kompetenz-Zentrums in Grafenrheinfeld. Hinter ihm ragt der riesige graue Kühlturm des Atomkraftwerks auf, vor ihm eine niedrige Laderampe: Von hier aus wird die Ware einfach abgekippt in einen Hackschnitzel-Bunker. Der dient als Vorratsbehälter. Hier ist natürlich ein Projekt auf der grünen Wiese entstanden, das ein Traum ist. Da können sie hergehen und so planen, wie es optimal zu lösen ist. Drei kleine Kraftwerke inklusive Nahwärme-Netz hat Ludwig Mack zusammen mit der Gemeinde Grafenrheinfeld gebaut. Damit ist der unterfränkische Ort ein Vorreiter für Wärme-Erzeugung durch Biomasse. Billig war das nicht, die Investitionen gehen in die Millionen. Leisten konnte sich Grafenrheinfeld das auch wegen des benachbarten Atommeilers: der AKW-Betreiber EON zahlt 80 Prozent der Grafenrheinfelder Gewerbesteuern. Im vergangenen Jahr waren das 7 Millionen Euro, erklärt Bürgermeisterin Sabine Lutz: Sicher haben wir in den letzten 30 Jahren viel, viel Geld in die Infrastruktur des Ortes gesteckt. Ob das Straßenbaumassnahmen waren, die die Gemeinde getragen hat, ohne dass die Bürger sich beteiligen mussten. Oder auch verschiedene Einrichtungen. Wir haben hier zwei Kindergärten. Einen alten aus dem Ende des 19.Jahrhunderts. Und einen neuen, der vor 20-25 Jahren gebaut wurde. Die Kindergärten hängen bereits kostengünstig am Hackschnitzel-Nahwärmenetz. Die Gemeinde hat die monatliche Gebühr pro Kind gerade angehoben - von 55 auf 90 Euro. Das ist noch immer vergleichsweise günstig. Einige Eltern haben trotzdem gemurrt. So langsam, sagt Bürgermeisterin Lutz, müsse man sich wohl oder übel einstellen auf Ende 2015 - wenn E.ON den Meiler abschalten muss. Vielen im Ort falle das nicht leicht: Wir haben das AKW jetzt seit gut dreißig Jahren, man hat sich dran gewöhnt. Ich glaube, ich spreche für die Mehrheit: es wäre uns allen am liebsten, wenn das Kraftwerk sicher noch länger laufen würde. Weil wir eine sehr gute und sichere Technologie haben. Alle Grafenrheinfelder sehen das nicht so. Und seit der Energiewende trauen sich die - wenn auch wenigen - Atomkraftgegner im Ort sogar, ihre Meinung deutlich zu sagen. Vor einiger Zeit beklagten sie sich sogar öffentlich bei E.ON, weil der Kraftwerksbetreiber der Öffentlichkeit lange verschwiegen hatte, dass im Primärkreislauf des Reaktors ein Riss in einem Kühlmittelrohr gefunden worden war. Richtig laut war der Protest in Grafenrheinfeld allerdings nie. Denn E.ON sorgt für die meisten Arbeitsplätze im Ort. 350 Grafenrheinfelder beschäftigt E.ON heute direkt im Kraftwerk. Hinzu kommen die freien Handwerker: (Lutz) Zum Beispiel ein Bäcker, der täglich 600 Brötchen ans AKW liefert. Das ist schon auch ein Wirtschaftsfaktor für die kleinen Gewerbe, die wir hier haben. Ludwig Mack, der heimliche Hackschnitzel-Herrscher von Grafenrheinfeld, sieht eher die Chancen als die Risiken. Die Entwicklung in der Energiepolitik ist für ihn eine späte, aber nicht zu späte Genugtuung: Vor zehn Jahren, nachdem wir uns für die Biomasse entschieden haben, waren etliche Kritiker gesagt: der spinnt. Mittlerweile zeigt sich, dass wir den richtigen Weg schon vor zehn Jahren eingeschlagen haben. Mack hat große Pläne. Zusammen mit der Gemeinde Grafenrheinfeld will er ein Neubaugebiet erschließen: ein Wohnviertel mit modernem Nahwärmenetz und energie- autarken Einfamilienhäusern. Strom aus Wind, Sonne und Biomasse. Es könnte so schön sein. Aber Bürgermeisterin Lutz bremst noch. Denn in den nächsten Jahren muss Grafenrheinfeld nicht nur auf Gewerbesteuern verzichten, es muss obendrein eine Gewerbesteuer-Rückzahlung an EON leisten. Denn Gewerbesteuern werden im Voraus berechnet, und wenn ein Unternehmen weniger Gewerbe-Ertrag erzielt als gedacht, kann es beim Staat eine Rückforderung geltend machen. (Lutz) Wir würden gern wissen, wie hoch die ist, weil es ein bisschen wie ein Damokles- Schwert über uns hängt. Weil wir das Geld zwar schon haben, aber nicht damit rechnen können. Das ist als stille Reserve gedanklich ausgeblendet, weil wir wissen: das müssen wir zurückzahlen. Wir wissen nur noch nicht, in welcher Höhe. Wenn es schlecht läuft, dann muss Grafenrheinfeld unterm Strich zurückzahlen. Denn sobald E.ON den Meiler abschaltet, versiegt auch das üppige Gewerbesteuergeld. Große Investitionen wie die Mehrzweckhalle und die gut ausgestattete Bibliothek sind dann nicht mehr drin. Das Atomkraftwerk allerdings wird den Grafenrheinfeldern noch lange erhalten bleiben. Es dauert Jahrzehnte, bis ein strahlender Meiler abgerissen ist. Bürgermeisterin Lutz tröstet sich damit, dass E.ON auch für den Rückbau Arbeitskräfte braucht. Und außerdem sei der Standort des Meilers, stadtbild-technisch gesehen, außerordentlich günstig. Von Grafenrheinfeld selber aus - sieht man's ja kaum! -ENDE SENDUNG - 1