Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) DeutschlandRadio Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 19.11.2012, 19.30 Uhr Nicht tödlich - meistens Neue Waffen für die Welt Von Thomas Klug CD Soundtrack Terminator Sprecher: Der Terminator, ein Android, ein künstliches Lebewesen, programmiert, um zu töten. Effekt: Schuss Effekt Enterprise Sprecher: Raumschiff Enterprise Effekt Sprecher: Handphaser und Phasergewehre. Moderne Waffen aus einer Fernsehserie. Das 23. Jahrhundert, wie es sich Serienmacher in den 1960 Jahren vorstellten. Die Phaser sind wahlweise einstellbar auf töten oder betäuben. Effekt Sprecher: Töten oder betäuben - das ist immerhin eine Entwicklung. Moderne Waffen scheinen ein Versprechen abzugeben. Ihr Einsatz sei: Sp. v. Dienst: Nicht tödlich Sprecher: - meistens Effekt Sp. v. Dienst: Neue Waffen für die Welt CD Soundtrack Sp. v. Dienst: ein Feature von Thomas Klug Atmo/Effekt Autor: Erst war es Krieg - Menschen mit Waffen standen sich gegenüber und töteten einander, ohne sich zu kennen. Ein großes, ein hehres Ziel galt es zu erreichen. Auf Menschenleben kam es nicht an. Schließlich ging es um die Rettung des Vaterlandes. Oder gegen einen Feind. Irgendeiner fand sich immer. Musik Autor: Dann hatten die Menschen keine Lust mehr auf Krieg. Also wurde er abgeschafft. Und ersetzt durch Interventionen, Auseinandersetzungen und bewaffnete Konflikte. Manchmal sogar durch Friedensmissionen. Wer wollte dabei an Krieg denken? Musik Autor: Später störten auch noch die Waffen. Sie sahen so bedrohlich aus. Also wurden sie moderner, formschöner, praktischer - und farbenfroh. Atmo So rannten Kinder herbei, um neugierig die großzügig abgeworfenen Streubomben anzusehen - und anzufassen. Effekt Musik Autor: Inzwischen ist die Rede von modernen Waffen, von Waffen, die nicht wirklich töten. So ändert der Krieg, den es ja gar nicht mehr richtig gibt, sein Gesicht. Er ist nicht mehr so schlimm - so scheint es, sondern gar harmlos: Collage über Musik Take 01a Die sogenannten Tasersysteme wirken eigentlich wie ein Viehweidezaun, ein Elektrozaun. Take 01b Es gibt Tonfolgen, die vom Menschen einfach als unangenehm empfunden werden, Take 01c Die maximale Lautstärke ist deutlich drunter unter dem, was z. B. ein platzendes Trommelfell wäre. Und damit sind wir in Lautstärken, die jeder kennt, der einmal in einem Rockkonzert war oder ein bisschen näher vor einem Lautsprecher gestanden ist. Auch da kommt man meistens lebendig raus. Take 01d Es sollte wirklich ein mechanischer Aufschlag auf den Körper sein, der einen ja nicht handlungsunfähig, also es ist jetzt nicht eine gezogene, ähm, durchgezogene Rechte von Max(e) Schmeling, salopp ausgedrückt. CD: Terminator Autor: Eine nicht ganz so niedrige Lautstärke. Ein kleiner Schlag. Ein bisschen Strom. Waffen müssen gar nicht mehr so schlimm sein. Es ist immer niedrig, klein, ein bisschen. Und Waffen sind es eigentlich auch nicht, sondern eher Wirksysteme. Take 02a Altmann Millimeterwellenwaffen Sprecher: Jürgen Altmann, Physiker: Take 02b Altmann Nur wenn man von den Zentimeterwellenlängen am Mikrowellenherd übergeht zu sehr viel kürzeren einigen Millimeterwellen, dann dringen die gar nicht mehr tief in die Haut ein und bleiben in den obersten zehntel Millimetern stecken und werden dort absorbiert und heizen nur die obersten die oberen Zehntelmillimeter der Haut, reizen damit aber die Hitzeschmerzrezeptoren, wenn man nicht schnell genug abschaltet, können sie dann die Haut auch zum Kochen bringen und die Zellen zum Sterben und das Eiweiß zum koagulieren. Effekt Sprecher: Jan van Aken, Politiker und ehemaliger Biowaffeninspekteur der Vereinten Nationen: Take 02c van Aken Da gibt es eine wunderbare Vorführung von diesen Mikrowellenwaffen, die aus zwei Kilometer Entfernung einem die Haut aufheizen können. Damit kann ich in einer Demonstration einzelnen Leuten richtig einen derartigen Schmerz zufügen, dass sie schreiend weglaufen. Auf die hat man vorher auch nicht geschossen, auf diese Demonstranten, die hat man auch nicht totgeschossen, sondern musste halt diese Demonstration aushalten. Effekt Take 02d Altmann von der Firma Taser International Effekt Take 02e Altmann Entweder, man hat zwei Elektroden, die man auf die Haut aufsetzt, und die dann eine Hochspannungsentladung dazwischen zünden und dann das Nervensystem des betroffenen Arms oder Beins für eine Weile lahmlegen oder aber die weiterentwickelte Form, die es jetzt auch schon zehn oder 15 Jahre gibt, das zwei kleine Drähtchen verschossen werden, die dann in bis zu drei bis vier Meter Abstand, sich bei jemand durch die Kleidung in die Haut bohren und dann die Entladung zünden, die dann größere Teile des Körpers betrifft und dann eben die gesamte willkürliche Muskulatur lahmlegt, sodass man normalerweise umfällt und zappelt und auch Schmerzen empfindet. Effekt Take 02f von Aken Nichttödlich - das ist eine Super-Werbeerfindung, dieses Wort. Der offizielle Name ist auch anders, es heißt auf englisch less lethal, also nicht ganz so tödliche Waffen. Das ist auch korrekt, sie töten nicht immer und sie sollen auch nicht töten. Aber wenn am Ende einer tot liegen bleibt, auch nach Gummigeschossen passiert das ja, gibt es eben doch Tote. Effekt Sprecher: Jochen Neutz, Chemiker am Fraunhofer-Institut Pfinztal: Take 04 Neutz Es geht wirklich nicht nur um die Menschenmenge unangenehme Gefühle empfinden zu lassen, sondern einfach auch primär um die weitreichende Informationstransportierung, um die akustische Kommunikation in der Gruppe, so sie denn aggressions- und gewaltbereit ist, zu unterbrechen. Effekt Autor: All diese neuen Entwicklungen braucht, wer modern sein will. Die braucht, wer mithalten will. Die braucht.....wer? Take 03 Neutz Der einzige Auftraggeber, den wir haben, ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Verteidigung. Musik Sprecher: Joseph Fraunhofer war Optiker und Physiker, geboren in Straubing, als letztes von elf Kindern. Er lebte zu einer Zeit, als in Europa Kriege und Hungersnöte herrschten. Bekannt wurde er als Begründer des wissenschaftlichen Fernrohrbaus, als Forscher und Entwickler. Er starb 1826 in München. Da war er 39 Jahre alt. 1949 entstand in München eine Gesellschaft, die sich der Förderung angewandter Forschung widmet. Die Fraunhofergesellschaft. Heute stellt sie sich so dar: Musik Sprecher: (im Werbesound) Wir entwickeln, realisieren und optimieren Verfahren, Produkte und Anlagen bis zur Einsatz- und Marktreife. Autor: Zum Beispiel "nicht letale Wirkmittel". Sprecher: Wir arbeiten in allen anwendungsrelevanten Kompetenzfeldern für Auftraggeber aus Wirtschaft und öffentlicher Hand. Autor: Zum Beispiel: im Auftrag der Bundeswehr Effekt Take 05 Eckl Unter nichtletalen Wirkmitteln sollte man sich vorstellen, dass man unter einem Szenario Systeme oder Wirkmittel einsetzen möchte, die Personen in keinster Art und Weise schädigen. In der Bundesrepublik bedeutet dies, dass man Wirkmittel untersucht oder versucht Wirkmittel ausfindig zu machen, die gegenüber Personen keinerlei bleibende Schäden verursachen, bedeutet also nicht nur, keine körperliche Verletzung herbeiführen, sondern viel weiter gehend, keine indirekten Schäden, wie z. B. Tinnitus. Atmo Autor: In Deutschland gibt es 60 Fraunhofer-Institute, eines davon im Pfinztal bei Karlsruhe. Zum Interview dort wird nur vorgelassen, wer eine Genehmigung der Bundeswehr, Wehrdienstliche Dienststelle 52 in Schneitzelreuth vorweisen kann. Atmo Take 06 Eckl ' Es ist so, dass natürlich die Arbeit, die wir tun, für das Verteidigungsministerium genauso wie die Arbeit, die wir hier für die Unternehmen tun, unterliegt einer Geheimhaltungsvereinbarung und einer Geheimhaltungsverpflichtung. Sprecher: Wilhelm Eckl, Physiker und Verantwortlicher für Energetische Systeme. Take 07 Wir arbeiten hier am Institut ungefähr ein Drittel für das Verteidigungsministerium, zu zwei Drittel für private Auftraggeber. Es ist einfach normal, dass man, wenn man in der Vorentwicklung tätig ist, all die Arbeiten, die man hier tut, im Auftrag, wir machen Auftragsforschung. Wir forschen nicht für uns selber, sondern wir, hinter jedem Handgriff, den wir hier tun, steht ein Auftrag. Und hinter jedem Auftrag steht ein Vertrag. Und hinter jedem Vertrag, wirklich, ausschließlich hinter jedem Vertrag, steht eine Geheimhaltungsvereinbarung. Autor: Das Fraunhofer-Institut in Pfinztal - ein 20 Hektar großes Gelände, 550 Mitarbeiter. Und an manchen Stellen Schilder, die vor Explosionsgefahr warnen oder den Weg zum "Gefahr- und Druckgaslager" weisen. Take 08 Neutz Bei den akustischen Wirkmitteln geht es eigentlich in der Regel um den weitreichenden Transport von Information, das heißt, die Information, dass Personen Abstand halten sollen, möglichst auch in der Landessprache, am besten eigentlich einem lokalen Dialekt, sollen über eine große Entfernung transportiert werden, um schon frühzeitig zu deeskalieren. Die nächste Stufe der akustischen Wirkmittel wäre dann einfach eine Lautstärke, z. B. hohe, schrille Töne, die aus medizinischer Sicht oder vom menschlichen Gehör einfach unangenehm empfunden werden. Sprecher: Diplomingenieur Jochen Neutz: Take 09 Neutz (Fortsetzung) Es geht auch bei akustischen Wirkmitteln oft darum, die Kommunikation innerhalb einer aggressionsbereiten Menschenmenge zu unterbrechen, das heißt, dass die Rädelsführer nicht mehr ihre Befehle oder Anweisungen weitergeben können an die Gruppe und damit sozusagen der Zusammenhalt, die Kohärenz der Gruppe unterbrochen wird. Autor: Forschung und Entwicklung für das Militär. Bei Jochen Neutz klingt das harmlos. Take 10 Neutz Ergänzend zu den akustischen Wirkmitteln gibt es auch noch so genannte kinetische Wuchtmunition, das heißt, um jetzt sozusagen sich abwendend von der Menschenmenge Rädelsführer oder Einzelpersonen gezielt auf diese einwirken zu können. Das geht los von der farblichen Markierung. Das Problem ist von vielen Demonstrationen bekannt. Ein kleiner Teil aggressionsbereiter Menschen versteckt sich in der großen Menschenmasse. Es ist für die Sicherheitskräfte dann sozusagen nicht möglich, für die Sicherheitskräfte dann zu unterscheiden. Wenn sie aber eindeutig identifizierte, gewaltbereite Menschen mit einer Farbe markieren können, dann lassen diese sich auch später erkennungsdienstlich behandeln. Autor: Der Frage nach der Farbe, die eingesetzt werden soll, folgt zunächst Schweigen. Und dann: Take 11 Neutz Das unterliegt derzeit der Geheimhaltung. Autor: Und: Take 12a Neutz Man streut solches Wissen jetzt nicht unbedingt großflächig. Take 12b Eckl Es ist so, dass die Systeme, über die wir hier sprechen, nicht im Einsatz sind. Das heißt, worüber wir hier reden, sind Szenarien oder Bilder, wie man sich den Einsatz vorstellt. Der Einsatz an sich ist nicht Realität, da ist kein System in der Bundeswehr im Einsatz, im Bereich nichtletaler Wirkmittel. Wenn man jetzt im Vorfeld überlegt, welche Farben man für eine Markierung einsetzen möchte, dann ist das ein aktuell laufender Prozess, soll man das überhaupt tun, will man das überhaupt tun. Wenn ja, wenn man sich positiv dafür entscheidet, ist dann auch eine Auswahl zu treffen, auch bei so simplen Dingen wie Farben. In jeder Kultur haben Farben auch eine gewisse Bedeutung, es ist ein sehr politisches Thema. Autor: Sie forschen nur. Sie reden über ihr Tagwerk und bleiben vage. Aber sie reden. Manchmal schauen sie sich nach einer Frage an, unschlüssig, wem jetzt die Rolle zukommt, nein zu sagen. Ein Gang durch die Labore? Der Chef schüttelt nach ein paar Sekunden den Kopf. Immerhin, sie sagen, dass sich ihre Arbeit in Laboren abspielt, nicht nur am Schreibtisch. Sie seien keine Papiertiger, so sagt es der Chef. Sie entwickeln, das ist ihre Aufgabe als Auftragnehmer des Ministeriums. Sie arbeiten für ihren Auftraggeber. Was der mit ihren Forschungsergebnissen mache, sei dessen Sache. Aber sie sitzen und sie denken darüber nach, wie man Waffen entwickeln kann, die man nicht einmal mehr Waffen nennen muss. Wie man Waffen entwickeln kann, die nicht tödlich sein sollen. Den Waffenherstellern gefällt es wahrscheinlich: Effekt Autor: Herr Dr. Wollmann trägt Seitenscheitel, einen kurzen Bart und eine eckige Brille. Hinter ihm steht eine hochgewachsene Pflanze. Manchmal verwendet Herr Dr. Wollmann den Begriff Wirksysteme. Das soll die Waffen wohl erträglicher machen. Bei Rheinmetall beschäftigt er sich mit diesen "Wirksystemen". Gern hätte ich mich mit ihm darüber unterhalten. Der Weg zu Dr. Wollmann führt über die Pressestelle von Rheinmetall. Die Pressestelle von Rheinmetall - das ist Oliver Hoffmann. Oliver Hoffmann hat eine Mailadresse. Doch Mails beantwortet er nicht. Oliver Hoffmann hat eine Telefonnummer, doch da geht nur eine Mitarbeiterin an den Apparat, um mitzuteilen, dass Herr Hoffmann in einer Schulung ist oder auf einer Messe oder gerade im Haus unterwegs oder Urlaub hat. Oder es geht keiner ans Telefon. Dr. Wollmann kenne ich nur von einer Broschüre, die Rheinmtall im Jahr 2003 verschickt hat. "Strahlenwaffen schließen Lücken" ist dort ein Beitrag von ihm überschrieben. Und unmittelbar davor schreibt Rheinmetall über die Waffen des Star-Trek-Universums. Effekt Sprecher: "Niedrigenergielaser führen zu einer Missionsbehinderung -"Mission Kill", Mittelenergielaser zu einer Missionsbehinderung, einem Missionsabbruch und einem "Fire-Power Kill"; Hochenergielaser haben eine Zerstörung des Zieles -"Catastrophic Kill", zum Beispiel einer startenden Rakete- zur Folge." Autor: Weder Niedrig- noch Hochenergielaser seien für die Firma Rheinmetall interessant. Stattdessen: CD: Soundtrack Sprecher: "Rheinmetall Defence hat sich auf den Bereich der Mittelenergielaserwaffen konzentriert, da diese von der Baugröße her prinzipiell geeignet sind, als Zusatzbewaffnung und auch Selbstschutzsystem auf ein gepanzertes Fahrzeug oder in ein Flugabwehrsystem - ergänzend zu Rohrwaffen- und Raketensystemen zur Abwehr von Lenkflugkörpern, Drohnen, Hubschraubern und Marschflugkörpern - integriert zu werden." CD: Soundtrack Star Trek Autor: Auch die Firma Diehl Defence ist schweigsam. Pressesprecher Paul Sonnenschein teilt am Telefon mit, dass Diehl derzeit kein Interesse daran habe, in der Öffentlichkeit über nicht tödliche Wirksysteme zu sprechen. CD Soundtrack Terminator Autor: Deutschland ist einer der führenden Exporteure von Rüstungsgütern. Atmo Autor: P 1 - 01 - und drei weitere Ziffern. Die Technische Universität Dortmund mag es kompliziert. Dies ist nur die Zimmernummer. Dazu gibt es Hinweise auf Etage und Flügel und Himmelsrichtung. "Verwinkelt" ist ein sehr wohlwollender Begriff für das Gebäude. Das Wort "einladend" verbietet sich von selbst. Hier findet man die Fakultät für Physik. Jürgen Altmann sitzt am Rechner, vier Studenten belagern die im Zimmer stehenden Schreibtische. Effekt Autor: Es könnte faszinierend sein: Waffen, die nicht töten. Waffen, die nicht so gefährlich sind. Die Industrie versucht den Eindruck zu erwecken, dass Kriegshandwerk ist in einer neuen Dimension angekommen - futuristisch und humanistisch. Es könnte faszinierend sein. Aber: Take 14 Altmann Es gab in den 90er Jahren eine gewisse Welle der Begeisterung für mögliche neuartige Formen von nichttödlichen Waffen, die dann vielleicht noch effektiver und mit noch weniger Verletzungsgefahr usw. erlauben würde, einzelne Verbrecher oder auch Menschenmengen oder so etwas zu kontrollieren. Viele dieser Versprechungen haben sich im weiteren Verlauf als nicht haltbar herausgestellt. Von daher ist die Euphorie der 90er Jahre und der frühen 2000er verflogen, es ist jetzt eher eine Art Routineentwicklung und Forschung zu beobachten. Es wird an vielen Dingen noch gearbeitet, aber viele sind auch schon aussortiert worden, weil sie unpraktisch sind, zu viel Risiko geben und nicht im eigentlichen Sinne nicht tödlich sind. Oder aber überhaupt nicht wirken, wie z. B. bestimmte Formen akustischer Waffen, die ich selbst mal untersucht habe. Autor: Die Versprechen von Industrie und Forschung bleiben groß, die Vielfalt der Waffen nimmt zu. Zum Beispiel die sogenannten Mikrowellenwaffen: Take 15 Altmann Im exakteren Ausdruck wären das Millimeterwellenwaffen, die im Grunde nicht viel anderes machen, als die Mikrowellen in einem Mikrowellenherd, nämlich Gewebe, das Wasser enthält, aufzuheizen. Autor: Eines ist mit diesen neuen Entwicklungen auch möglich: Folter. Take 16 Altmann Prinzipiell ist das alles denkbar, insbesondere dieses spezielle Millimetersystem, das ich gerade meinte, das ADS, das ist ein großes Ding, das besteht aus einem Kleincontainer und darauf ist eine 2,50 Meter große Antenne zum Aussenden und zum Bündeln über viele Hundert Meter von diesem Millimeterwellen. Wenn man aber jemand in der Nähe hat, dann muss man gar nicht so einen Riesenapparat haben, wenn man Schmerzen erzeugen will auf einer lokalen Ebene, dann reicht eben ein kleines, vielleicht sogar batteriebetriebenes Gerät, was man in der Hand halten und jemand auf die Haut setzen könnte. Das wäre denkbar und das wäre eine üble Sache, wenn so etwas als Folterinstrument entwickelt und eingesetzt werden würde. CD Soundtrack Take 17 van Aken Tränengas ist ja erlaubt, bei Demonstrationen, das ist ja extra reingeschrieben worden ins Chemiewaffen-Verbot, dass das die Polizei benutzen darf. Das ist für die Amerikaner Legitimation, ein großes Forschungs- und Entwicklungsprogramm für so genannte nichttödliche Chemiewaffen zu entwickeln. Chemiewaffen sind ansonsten komplett verboten. Aber nur weil man dieses Label benutzt, dieses schöne Propaganda-Label, darf man plötzlich hochmoderne Chemiewaffen entwickeln. Das sind Betäubungsgase, die im Zweifelsfall vielleicht auch töten oder man tötet mit dem Gas nicht, sondern wenn man die Leute betäubt hat und die können sich nicht mehr wehren, dann kann man sie in Ruhe erschießen oder festnehmen oder foltern oder was auch immer. Autor: Ein großes Büro Unter den Linden in Berlin, zwischen Café Einstein und Brandenburger Tor. Jan van Aken studierte Biologie, war Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen, sitzt für die Linkspartei im Bundestag und protestierte vor den Toren der Firma Rheinmetall gegen Rüstungsexporte. Take 18 van Aken Die Rüstungsindustrie ist innovativ. Das zweite ist, dass das Militär natürlich immer vor der Situation der Fähigkeitslücke steht. Sie sind im Gefechtsfeld, sie können das, sie können das, aber bestimmte Sachen können sie nicht. Natürlich möchte jeder General, jeder Oberst, jeder Leutnant möchte alles zur Verfügung haben, was geht, damit seine Leute in entsprechenden Situationen reagieren können. Deswegen fordern sie an, was irgendwie geht. Und wenn wir jetzt ein Szenario hatten, so ist es auch im Kosovo passiert, gibt es plötzlich gewaltsame Situationen, das Militär ist dafür nicht ausgerüstet und ausgebildet, sind eben keine Polizisten. Plötzlich fordern sie Tränengas an. Und dann wird in Berlin mal schnell ein Gesetz geändert. Autor: Übrigens: Die Innovationsfähigkeit der Rüstungsindustrie hat weniger mit unternehmerischem Risiko zu tun. Der Steuerzahler bringt sich ein. Take 19 van Aken Das hat ja in Deutschland eingerissen, dass Sicherheitsforschungen auch über zivile Forschungsgelder finanziert werden, also auch Forschung, die eigentlich der Bundeswehr nützt, wird über zivile Sicherheitsforschung finanziert, das heißt., viele, viele Millionen gehen jedes Jahr in sogenannte Sicherheitsforschung rein und das gilt auch für die so genannten nichttödlichen Waffen. Das dient der Sicherheit, das muss erforscht werden, genauso, wie wir neue Polizeihelme erforschen, genauso wie wir anderes Polizeimaterial erforschen, warum nicht neuartige Waffen, die helfen, zu deeskalieren, das ist ja immer der Spruch dazu, kann man tausendmal sagen, gucken Sie sich die Realität an, es wird nur eskalieren. Autor: Die modernen Waffen sind nicht besonders gefährlich, sagt Wilhelm Eckl vom Fraunhofer- Institut - zumindest in Deutschland, denn hier sind die höchsten Anforderungen an sie gestellt. Take 19 Eckl Die stringenteste Definition ist die der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland, dass nicht-letal nicht nur auf nicht-tödlich auslegt, sondern dahin gehend, dass es keinerlei bleibende Schäden geben darf an Personen. Autor: Doch so schön die Definition ist, zu Problemen kann es schon bei einem NATO-Einsatz kommen. Für die NATO ist nämlich nicht-tödlich sehr viel vager definiert: Take 23 Eckl Im NATO-Einsatz würde das nicht letal sich vor allen Dingen auf das nicht-letale beziehen, das heißt, keine Todesfolge nach dem Einsatz, aber gewisse Schädigungen würden hier akzeptiert werden. Das ist wesentlich breiter ausgelegt. Deshalb sind auch nicht-letale Wirkmittel bei den US-amerikanischen Streitkräften im Einsatz, die bei uns gar nicht einsatzfähig wären. Autor: Da werden Definitionen ganz schnell zur Theorie. Und die Soldaten befinden sich in einem Dilemma, wenn sie erst überlegen müssen, was ist gerade erlaubt, was nicht. Falls in einem Krieg überhaupt Zeit zum Überlegen ist. Sprecher: Dr. Jürgen Altmann Take 20 Insbesondere wenn eine Waffe beworben wird mit der Aussage, sie ist nicht tödlich und hinterlässt eigentlich keine weiteren schädlichen Langzeitwirkungen, dann ist die Versuchung groß, sie verstärkt in allen möglichen Situationen einzusetzen. Ich sage nicht, dass der Taser oder andere nicht tödliche Waffen von vornherein unmoralisch sind, wenn solche Systeme eingesetzt würden in Situationen, wo man ansonsten tatsächlich scharf schießen würde, dann ist das tatsächlich in vielen Fällen ein Fortschritt. Aber es kann eben auch zu einer Ausweitung der Unterdrückung kommen oder der vorzeitigen Gewaltausübung. Man muss schließlich auch noch mit bedenken, dass Entwicklungen solcher Waffen auch in Richtung nicht- demokratische Staaten exportiert werden könnten und dort zur Unterdrückung von Freiheitsbewegungen durch tyrannische Despoten genutzt würden. Autor: Und jeder Krieg kennt die Ausnahmesituationen. Später heißt es dann immer: irrtümlich, unglücklicherweise, versehentlich, unbeabsichtigt...Als wenn Bedauern im Nachhinein Opfern helfen würde: Take 21 van Aken Nehmen wir das Beispiel der Phosphorwaffen. Phosphorwaffen sind im Einsatz gegen Menschen verboten. Sie dürfen aber eingesetzt werden, um ein Kampfgebiet zu erleuchten. Das heißt, die Soldaten im Krieg haben diese Phosphorgranaten dabei. Und in der Praxis setzt sich durch bei den Amerikanern gibt es den Begriff des shake and bake: Wir hauen mal ein paar Phosphorgranaten in Häuser rein, das ist so heiß, dass die Leute rausgeschüttelt werden und dann backen wir sie mal richtig mit unseren Granaten zu. Effekt Autor: Neue Waffen, anderes Kriegsgerät. Und unbemannte, nichttödliche Drohnen, die mit tödlichen Waffen ausgerüstet werden können. Die Folge: Der Krieg wird anders. Take 22 van Aken Bei den nichttödlichen Waffen glaube ich nicht, dass die dazu führen, wenn die mal eingesetzt werden bei der Bundeswehr, dass die Hemmschwelle für Auslandseinsätze sinkt. Weil: Auslandseinsätze heißt immer auch scharfe Bewaffnung, heißt immer auch Kriege und Tote. Das glaube ich nicht. Drohnen sind etwas völlig anderes. Drohnen per se sind auch nicht tödlich. Aber wenn sie eben auch mit scharfen Waffen ausgerüstet werden, haben sie eine ganz andere Qualität. Und da kann es schon sein, dass argumentiert wird, wir brauchen die Drohnen, damit wir weniger Opfer unter den Soldaten haben oder möglicherweise gar nicht vor Ort sein müssen. Da wird natürlich sehr schnell die Schwelle sinken nicht zum Auslandseinsatz, sondern zur militärischen Intervention im Ausland. Autor: Wenn Kriege jetzt anders werden, dann durch die Gefahren, die von Drohnen ausgehen, also unbemannten Flugobjekten, sagt Dr. Jürgen Altmann von der FU Dortmund: Take 23 Altmann Die neue Entwicklung, etwa seit dem Jahr 2000 ist, dass die Drohnen verstärkt auch mit Waffen ausgerüstet werden, bisher noch ferngesteuert, bisher noch über große Entfernungen, von Erdteil zu Erdteil via Satellit oder Unterwasserkabel und dann per Funk. Da gibt es eine Reihe von möglichen Gefahren. Eine ist das "übliche Wettrüsten". Es wird nicht dabei bleiben, dass die USA, Israel und Großbritannien über solche Systeme verfügen, sondern es sind entsprechende, auch schon in Forschung und Entwicklung auch schon in USA und China, aber perspektivisch könnten das auch Länder sein wie Saudi-Arabien usw. Jordanien baut jetzt schon eine kleine Aufklärungsdrohne. Es ist nicht so schwer, dann auch mal einen Sprengkörper damit unterzubringen. Und dann ist durchaus zu befürchten, dass in Krisenregionen der Welt Kriege leichter ausbrechen. Das ist, wenn mehrere Seiten solche bewaffneten unbemannten Flugzeuge haben. Sprecher: Die Bundeswehr ... Atmo Bundeswehr Euro Hawk Autor: ... scheint auf ihren Internetseiten ganz aus dem Häuschen zu sein, wenn es um die neue Drohne geht. Atmo Bundeswehr Euro Hawk Autor: Die Bundeswehr lässt ihre neue Technik feiern - eindimensional und gedankenschlicht. Der Physiker Jürgen Altmann von der Technischen Universität Dortmund hat einen differenzierten Blick und sieht eine weitere Gefahr: die Eskalation von Konflikten. Take Altmann In einer ernsteren Krise, sagen wir China, USA und Taiwan, und wenn dann mehrere Schwärme von Drohnen, die dann aufklären und schießen können, nebeneinander herfliegen über internationalen Gewässern und sich gegenseitig intensivst beobachten und darauf vorbereitet sind, dass sofort geschossen werden könnte und man innerhalb von Zehntelsekunde zurückschießen könnte, weil man sonst kaputt wäre und nicht mehr schießen könnte .Dann gibt es einen starken Druck, nicht mehr die Fernsteuerung aus großer Entfernung durch Menschen machen zu lassen, sondern automatisch schießen zu lassen. Und dann könnte jedes unklare Ereignis ein Sonnenreflex auf einer Tragfläche oder so was als Mündungsfeuer missverstanden werden und könnte, ohne dass man es eigentlich wollte, aus der Krise in den Krieg hineinführen. Das ist so das Problem der Destabilisierung zwischen etwa mehr oder weniger militärisch symmetrischen Mächten. Effekt Autor: Doch diese Probleme finden kaum Gehör. Stattdessen wird für die Anschaffung von Drohnen geworben, auch für ihre Bewaffnung. Roderich Kiesewetter CDU Politiker und Oberst a.D. tut das, Hellmut Königshaus, FDP-Politiker und Wehrbeauftragter des Bundestages tut das, und natürlich der Verteidigungsminister. Sie werden schon wissen, dass sie mit dem Feuer spielen. Nur zugeben werden sie es nicht. Die Öffentlichkeit jedenfalls ist bislang nicht beunruhigt. Sie sollte es sein: Take 25 Altmann Bei Antipersonen - und Landminen, bei Streubomben war es relativ einfach, über einige Jahre die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass das wirklich unmenschliche Waffen sind und das sie auch lange nach Kriegen viele Verletzte und Tote hervorrufen und dass das eigentlich verboten gehört. Bei den bewaffneten Drohnen ist das im Moment eher nicht der Fall. Es wird ja gerade dafür geworben, dass man eben nicht großflächig bombardiert und Hunderte von Leuten auslöscht, sondern nur einzelne Häuser oder einzelne Autos und ab und zu vielleicht mal eben den einen oder anderen Nachbarn dann mit erwischt. Von daher ist die Öffentlichkeit noch nicht so betroffen - im doppelten Sinne. Andererseits fängt es gerade an, dass das Unbehagen und die Kritik an illegalen, gezielten Tötungen in Pakistan doch steigt. CD Sp. v. Dienst: Nicht tödlich Sprecher: - meistens Sp. v. Dienst: Neue Waffen für die Welt Ein Feature von Thomas Klug Es sprachen: Joachim Schönfeld und der Autor Ton: Christiane Neumann Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur, 2012 1