DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Feature Rummelplatz Paul Dessau als Musiklehrer Von Ed Stuhler Sprecher: Ernst-August Schepmann und Richard Hucke Redaktion: Ulrike Bajohr Regie: Anna Panknin Ton und Technik: Eva Pöpplein und Angelika Brochhaus Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - KORRIGIERTE SENDEFASSUNG ? Sendung: Freitag, 29. Nov 2013, 20.10 - 21.00 Uhr/Wiederholung am 7. Aug.2015 MUSIK: Lancelot (Dessau) Sprecher Paul Dessau Das ist natürlich ein grundlegender Fehler, dass wir glauben, in der Schule ist die Musik ? nicht so interessant, nicht so wichtig, brauchen die Kinder nicht. Die Unterschätzung dieser Kunstgattung in Schulen ist ein großer Fehler, vielleicht sogar der Kernfehler überhaupt unserer Erziehung. Das ist kolossal wichtig! Ich befürchte, dass mein Sohn Maxim einem grauenhaften Mittel-, ja, Unter-Mittelmaß wird preisgegeben sein! (Paul Dessau "Let's hope for the Best", Briefe und Notizbücher aus den Jahren 1948-1978, Archive zur Musik des 20. Jahrhunderts, Band 5, Im Auftrag der Stiftung der Akademie der Künste herausgegeben von Daniela Reinhold, Hofheim, 2000, S. 79) O-Ton Maxim Dessau Das ist wahrscheinlich ja ein einzigartiger Fall, dass ein Komponist 14 Jahre lang in eine Schule geht und dort regelmäßig, also nicht mal vorbeischaut und mal der Lehrerin über die Schulter sieht, sondern regelmäßig kontinuierlich mit den Kindern Musik macht. O-Ton Paul Dessau Ich muss den Lehrer rühmen der Zeuthener Schule, Fritz Baronik, der einfach in mein Haus kam und sagte, Herr Dessau, hörn sie mal zu, ihr Sohn kommt doch jetzt in meine Klasse und ich bin da mit der Musik ein bissel in Verlegenheit. Ich hab nur ne kleene Mandoline und da kann ich so mühselig nur so ein bissel drauf klimpern, sagt er. Und sie haben doch, sie können doch ein bissel Musik. Sag ich, jaja, ein bissel kann ich ? (Lachen) MUSIK geht über in Atmo ?? der Kuckuck hat geschrien?. Dessau (am Klavier) und Kinder singen darauf: Ansage Rummelplatz Paul Dessau als Musiklehrer Ein Feature von Ed Stuhler Atmo Unterricht/Dessau & Kinder: Dessau: Also C ist hier. Jetzt zählen wir C (alle zusammen) D, E, F, G. Hat wie viel Vorzeichen G? Ein Kreuz. Jetzt zählen wir weiter zum nächsten Kreuz: Also: (alle) H, A, C, D. O-Ton Maxim Dessau Ich bin Maxim Dessau, der jüngere der beiden Söhne von Paul Dessau. Er hat sich dezidiert nicht als Lehrer verstanden, er hat sich als Freund der Schüler und der Schule verstanden. Und hat es auch nicht als Unterricht, als solchen verstanden, sondern eben als einerseits Theorie, aber auch dann sehr praktisch musizieren. Das heißt, er hat den Unterrichtsstoff, der regulär in der Schule gemacht worden wäre, natürlich nicht gemacht. Er hat seine eigene Methode angewendet, die Kinder an Musik und an Musizieren heranzuführen. O-Ton Karin Steffen Mein Name ist Karin Steffen, ich bin Chorsängerin in der Deutschen Staatsoper. Bin in Zeuthen zur Schule gegangen mit Maxim Dessau zusammen und Paul Dessau hat bei uns Musikunterricht gegeben. So Paul Zeit hatte, kam der also jede Woche, ganz, wie ein Lehrer regelmäßig zu unserem Musikunterricht. Hatte natürlich auch, ein bisschen später dann, also ich bin dann in der 8. Klasse ja weggegangen, zur EOS damals, ein bisschen das Problem, dass der eigentliche Musikunterrichtsstoff nicht so bekannt war in unserer Klasse, (lacht) aber dafür kannten wir den Quintenzirkel. Atmo Unterricht/Dessau & Kinder: Dessau: Also: (alle) H, A, C, D. Dessau: D, hat wie viel? Mädchen: Zwei. Dessau: Zwei und heißt dann D-Dur. O-Ton Paul Dessau Ich will nicht sagen, dass Mathematik oder Naturwissenschaft oder Gesellschaftswissenschaft unwichtig, ist genauso wichtig. Was soll ein Musiker, der es ernst mit der Sache meint, der vom Quintenzirkel spricht, ist doch Mathematik, ist doch Pythagoras. Meine Kinder wissen das. Die wissen auch, was die neapolitanische Sext ist und wo sie herkommt. Es kommt aus dem Moll, und zwar aus dem Moll der Unterdominante. (spielt) 1, 2, 3, 4, 5 ist die Oberdominante und 1, 2, 3, 4, 5 ist die Unterdominante ? ist das klar? Das wie ein angeheirateter Onkel ist das, so was ähnliches, komische Familie, keiner weiß, warum mit dem verwandt ist. Und das (spielt) ist eine Verwandtschaft, das ist die Unterdominante von dem. C-Moll, das ist die 4. Stufe von C, dann gibt?s ein Des, das ist die 6. Stufe, (spielt) 1, 2, 3, 4, 5, 6 ? und diese 6. Stufe heißt neapolitanische Sext, hat wahrscheinlich in Neapel irgendein besoffener Schuster erfunden, um die Menschheit zu verwirren und zu ärgern mit noch mehr Akkorden als da warn. Plötzlich ist ihm eingefallen (spielt), beim Singen vielleicht sogar. Und meine Kinder wissen das. Sie vergessen es wieder natürlich, aber immer wieder sage ich, das ist die, und so und so und so Stufe. Und die Musik ist in Stufen eingeteilt. Und die Kleenen von 5 Jahren lachen sich doot. Denen habe ich gesagt, passt mal auf, die Tonleiter ist wie ne Treppleiter: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, gehste rauf, stehste oben, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, gehste runter, biste unten, ha, ein Gelächter haben die gemacht. O-Ton Karin Steffen Ich glaube, er wollte die Kinder nicht so oberflächlich an Musik ranführen. Was man im Musikunterricht normalerweise lernt, ist so, ja, Liedersingen und ein bisschen was über ?Freischütz? wissen und so was. Aber er wollte tiefgründiger. Wir haben auch wirklich die Basis der Musik durch ihn vermittelt bekommen. Vielleicht nicht immer wirklich verstanden, weil?s einfach ein bisschen zu schwer für uns war als kleinere Schüler, aber es war ihm, schon wichtig, die Musik tiefer zu erklären. Und ich denke auch, es hat ihm Spaß gemacht! (lacht) O-Ton Paul Dessau Aber es ist auch das Bewusstsein, ihnen etwas Gutes beizubringen, was ihnen im Leben, in ihrer weiteren Entwicklung über die Schule hin helfen wird, Musik, also überhaupt Kunst aufzufassen. Das glaube ich schon, dass das sehr wichtig ist, und es hat sich auch als ganz wichtig gezeigt. MUSIK: PAUL HEINZ DITTRICH: Kammermusik 1 Sprecher Paul Dessau Paul Heinz Dittrich, mein Nachbar in Zeuthen, ist auch Komponist, viel jünger als ich. Wir tauschen unsere Partituren aus und nennen das ?Zeuthener Produktionsgespräche?. Ich habe versucht, ihn zu überreden, ebenfalls in eine Schule zu gehen. O-Ton Paul-Heinz Dittrich Er war davon besessen, dass er die Kinder zu musikalischen Menschen erziehen könnte. Und da ist er in die Schule gekommen und hat gesagt, so, das und das mache ich heute. Und da hat man ihm gesagt von der Schulleitung, es gibt ? einen Lehrplan. Und er dann darauf geantwortet, der interessiert mich nicht, ich weiß, was ich zu machen habe. Und niemand hat gewagt, dem Dessau zu sagen, sie müssen natürlich nach Lehrplan unterrichten. MUSIK ENDE O-Ton Barbara Mika Ich heiße Barbara Mika und hieß früher, als ich an der Paul-Dessau-Schule anfing, 1960, Fräulein Männe. Und hab dort Musik unterrichtet an der Schule, 40 Jahre, unter anderem auch in meiner Parallelklasse, wo Herr Dessau zuerst gewesen ist. Er war ja nicht mehr der Jüngste. Und wenn er kam, dann hat es schon immer im Haus, geklingelt, die Stunde hatte schon bei allen angefangen, es war also still im Haus, aber er war noch nicht da. Und wir haben gewartet. Und dann kam er, war ja ein Großer, großer, schlanker, grauhaariger Mann, denn sprang er 3-4 Stufen rauf die Treppen, als ob ers eilig hätte. O-Ton Maxim Dessau Als er anfing, war er 67 Jahre alt, als er aufhörte, nach 14 Jahren, war er dann also 81! Er ist also wahrscheinlich der älteste Lehrer, den?s je gegeben hat in der DDR (lacht) O-Ton Barbara Mika Und dann kam er an: Guten Tag, Frau Mika, guten Tag, Kinder. Und kam rein, Tür zu: Frau Mika, was machen wir heute? Ich sage, na, wir singen erst mal ein Lied. Dann haben wir ein Lied gesungen und an dem Lied hat er gleich rum kritisiert, dann hat irgendwas gesagt, was war besser und so und rhythmisch und so. Und dann ging er sofort zu seinen Übungen über, malte dann an die Tafel großzügig da Notenbilder (lacht) und ich muss sagen, mir ist ganz schlecht geworden. Ich hab ja meinen Kindern vorher immer gesagt: Guckt Herrn Dessau an, passt auf, und tut nicht so, als ob ihr keine Ahnung habt (lacht kräftig) Atmo Unterricht/Dessau & Kinder: Dessau: Passt auf, wir teilen das ein. Ihr schlagt die 1, ihr die 2 und ihr die 3. Das ist natürlich schwierig, ein Viertel und je ein Achtel. Also passt auf. (am Klavier Dreivierteltakt) (Lehrerin greift ein) Dann macht lieber so: 1, 2, 3, diese beiden Gruppen zusammen (Klasse klatscht) Dessau spielt ?G´schichten aus dem Wiener Wald? (lachen) Sprecher Paul Dessau ?Die Hauptsache ist es, eine Vielseitigkeit im Rhythmischen zu erarbeiten, da das bei uns arg vernachlässigt ist und dieser Mangel sich bis in die Orchester auswirkt. Ich bin bei den Zeuthener Kindern nie auf unüberwindliche Hindernisse gestoßen.? (Paul Dessau: Musikarbeit in der Schule, Berlin, 1968, S. 5, Vorwort) O-Ton Karin Steffen Wir haben auch ganz viel Rhythmusübungen gemacht, mit Klanghölzern, mit Tamburin und so, und das war manchmal schon so ?n bisschen grenzwertig. Da waren die Anforderungen vielleicht für diese kleinen Kinder doch manchmal ganz schön hoch. O-Ton Barbara Mika Und dann hatte ich immer Angst, dass er die Kinder überschätzt, dass er nicht so richtig mitkriegt, dass es eigentlich ja ne ganz normale Grundschule ist und keine Musikschule, wo Kinder schon von klein auf so erzogen werden. Da hatten wir Elternversammlung und da waren viele Eltern, die der Meinung waren, die Kinder sind noch zu klein. Da hat er sich dann gemeldet, hat er gesagt, das ist nicht richtig, was Sie sagen. Kinder, die von früh an intensiv mit der Musik zusammengeführt werden, die entwickeln sich in ihrer ganzen Art anders als Kinder, die mit Musik nicht gleich in Berührung kommen. O-Ton Karin Steffen Aber irgendwie haben wir?s trotzdem immer geschafft. Er hatte da auch Geduld. Er war also nie irgendwie ungeduldig, das kann man nicht sagen. Er hatte da Geduld und hat dann stoisch, bis alle es konnten, mit uns geübt. O-Ton Barbara Mika Ich hab ja da auch einen Brief, also er ist ja auch unterwegs gewesen manchmal an diesem Sonnabend. Und da hat er mir von Rumänien, war ich natürlich ganz stolz, hat er mir einen Brief geschrieben und hat eben geschrieben: ?Liebe Kollegin Mika, ich bin in Rumänien, ich kann jetzt nicht kommen? (in Sprecher Dessau übergehen) Sprecher Paul Dessau Ich habe etwas an Noten vorbereitet. Bitte üben Sie das mit den Kindern, rhythmisch mit unseren Schlaginstrumenten respektive mit Klopfen üben usw. Ich wünsche Ihnen und den Kleinen erfolgreiche Arbeit und bitte Sie, alle von mir zu grüßen. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Paul Dessau? O-Ton Barbara Mika Und da mussten die Kinder manchmal das Notenbild, die rhythmischen Übungen, abschreiben. (lacht) Wenn er angefangen hat nachzugucken, ist er schon bei den ersten drei Schülern, ist er sitzengeblieben, hat korrigiert und so und so und so, so dass er nach hinten, wo die klugen Schüler (lacht)? da ist er gar nicht hingekommen. Sprecher Paul Dessau Dadurch, dass die Kinder angehalten werden, sich produktiv mit der Musik zu beschäftigen, wird ihr Genuss beim Anhören von Musik gesteigert sein und ihre Freizeitgestaltung eine neue Qualität erreichen. ?Denken ist die erste Bürgerpflicht.? Auch in der Musik. Und: Kritisches Denken ist noch besser.? (Paul Dessau: Musikarbeit in der Schule, Berlin, 1968, S. 5) MUSIK: Roll Over Beethoven (Beatles) darauf: O-Ton Karin Steffen Ein ganz schönes Erlebnis war immer, wenn wir samstags letzte Stunde Musikunterricht hatten und Paul mit uns mit der Arbeit fertig war und aus seiner Mappe eine Schallplatte rausholte. Und die war dann manchmal auch von den Beatles. Und das war natürlich toll für die Klasse, (lacht) diese Musik hören zu können. Und vielleicht auch ein bisschen erklärt zu kriegen durch ihn. Also das waren immer die schönsten 10 Minuten (lacht) der vergangenen Schulstunde. O-Ton Paul Dessau Ich weiß nicht, ob sie Beat kennen (Lachen) Es gibt ja sonne und sonne Beats, gibt ja auch schlechte Beats. Ich kenne von meinem Sohn nur gute! (Lachen) O-Ton Maxim Dessau Diese ersten Sachen, die da Mitte der 60er Jahre entstanden sind, fand er sogar Volksmusik, sagte, das ist eigentlich Volksmusik, auf ne andere Weise. MUSIK ENDE O-Ton Uwe Tegeler Mein Name ist Uwe Tegeler und ich bin von 1961 bis 1971 zur Schule gegangen. Und wir hatten einige Jahre Musikunterricht bei Paul Dessau. Er war nicht der strenge Typ, der jetzt reinkam und sagte, so müssen wir den Stoff durchpeitschen Nein, er hat das ganz locker gemacht. Und wenn das eben nicht in der ersten Stunde oder in der zweiten Stunde alles so geklappt hat wie er das eigentlich haben wollte, dann hat er eben das nächste Mal weitergemacht. Lehrplan hat ihn nicht interessiert. O-Ton Barbara Mika Wenn er also Noten angeschrieben hatte und das hat zu lange gedauert, dann wurde es doch ein bisschen unruhig im Saal, also ? im Klassenraum, denn hat er sich umgedreht und hat mit dem bestaubten Lappen ? rumgewinkt und hat gesagt (lacht) die Kinder sollen still sein und hat uns alle eingenebelt da vorne (lacht heftig). O-Ton Uwe Tegeler Das hat er jedes Mal gemacht. Und keiner ist an der Staublunge gestorben. Wir habens alle ausgehalten und wir leben alle heute noch. O-Ton Barbara Mika Zum Schluss der Stunde, dann hat er dann immer die Kinder gefragt: Soll ich euch was vorspielen? Ja! Haben sie natürlich alle gebrüllt. Und dann hat er gesagt, was? Und dann haben die Kinder immer das Gleiche gesagt: MUSIK: ?Knecht Ruprecht?, Robert Schumann O-Ton Barbara Mika Knecht Ruprecht von Robert Schumann. Und hat er jedes Mal (lacht) den Knecht Ruprecht gespielt von Robert Schumann. Und dann haben sie sich gefreut, sind nach vorn gekommen, haben sich ums Klavier gestellt und haben geguckt, wie er da so gespielt hat. MUSIK ENDE O-Ton Barbara Mika Und wenn er grade etwas Neues wieder gemacht hatte, war er noch nicht ganz fertig, und dann hat er gefragt, ob er das vorspielen kann. Die Kinder haben immer ja gesagt. Und dann hat er ihnen das vorgespielt und dann hat er zum Teil auch dazu gesungen. Er hatte ne richtige, wie man sagt, so ne Arbeiterstimme, also richtig solche Stimme, die so aufrüttelt. Atmo: Dessau singt aus ?Puntila? O-Ton Uwe Tegeler Er hat manchmal so einige Sachen auch von sich selbst vorgestellt, aber hat sich sehr in der Arbeit eher auf uns konzentriert. Und hat eben dann die Kompositionen mit uns zusammen gemacht. Und vor allem das Singspiel ?Rummelplatz?. Atmo: Rummelplatz Entree darauf: O-Ton Paul Dessau Wir haben im vorigen Jahr ein kleines Singspiel hergestellt unter Mitarbeit des Klassenlehrers und meiner Frau, das an verschiedenen Plätzen hier bereits aufgeführt wurde und auch im Berliner Ensemble in einer Kinderaufführung. Und das macht nicht nur Freude, sondern ist auch gleichzeitig ein kleines Lehrstück geworden. Sprecher Paul Dessau ?Das kleine Singspiel ?Rummelplatz? soll die Kinder durch heiteres Spiel an den Ernst der Musik und ihre Begleitkünste wie Tanz, Pantomime, Lyrik und Prosa heranführen. Die Schlaginstrumente in der Partitur können nach Vorhandensein ausgewechselt verringert oder ergänzt werden. Beim Studium wechsle man die singenden und musizierenden Kinder aus, so dass jedes Kind alles mitlernen und mitspielen kann. Zeuthen 1965? (Paul Dessau 1894-1979, Dokumente zu Leben und Werk, Zusammengestellt und kommentiert von Daniela Reinhold, Stiftung Akademie der Künste, Berlin, 1995, S. 126) Atmo weiter: Rummelplatz Probe Dessau. Guten Morgen! Kinder: Guten Morgen! Dessau: Jetzt singen wir ?Das Karussell?, mit der ganzen Geschichte, mit dem Dialog, mit dem Walzer und mit allem dazu ? O-Ton Barbara Mika Herr Dessau saß am Klavier, hat gespielt, und seine Frau kroch mit der ganzen Klasse auf der Erde und hat sozusagen die Bewegung gemacht. Atmo weiter: Rummelplatz O-Ton Barbara Mika Und dann haben sie die Bühne gebaut, aber richtig wie der Rummelplatz ist. Der Herr Baronik, da er ja nun ein älterer Kollege war, kannte im Ort alle und der wusste genau, das ist ein Maler, der ist Handwerker und der ist das, der hat sozusagen seine ganzen Eltern eingespannt und da haben die das alles gezimmert, richtige Geräte, Karussell und so und so und so, und es waren auch in der Klasse alle Kinder eingespannt. Und wir saßen da, Mund auf, und haben gestaunt, was diese Familie Dessau, er und seine Frau Ruth Berghaus, was die aus diesen Kindern rausgeholt haben! Es hat jeder mitgemacht, auch der, der nicht singen konnte, hatte dann ein Solo, das hat er eben ganz alleine dann irgendwie seine Töne da in die Luft trompetet und so etwas alles. ATMO ENDE Sprecher Paul Dessau ?Während ihr in Bitterfeld sitzt und beratet, wie man wohl die Kunsterzeugnisse ?an den Mann? bringen könnte, mache ich die Partitur meines kleinen Singspiels: ?Rummelplatz ?? und denke für die Kinder, die einmal im Kommunismus leben & leiten werden, nicht nur an die Veränderung der Zeiten, sondern auch die des Takts. So hoffe ich, ihnen & Euch zu nützen.? (Paul Dessau ?Let?s hope ??, S. 103) O-Ton Paul Dessau (singt) ?Mit Vergnügen fahren wir in dem großen Karussell? ? wir haben sieben gemacht, was oft den erwachsenen Musikern Schwierigkeiten macht (klopft): 1, 2, 3, 4 - 1, 2, 3 ? das haben die Kinder ? ich habe ihnen nicht gesagt, passt mal auf, jetzt kommt n siebener Takt, da hätte ich sie wahrscheinlich verwirrt, dazu waren sie zu klein ? sie haben es ganz von selber ohne Schwierigkeiten(klopft): 1, 2, 3, 4 - 1, 2, 3 ? versteh sie was ich meine, das hat der Text gegeben (singt): Mit Vergnügen fahren wir in dem großen Karussell. Verblendet Atmo weiter: Rummelplatz ?Das Karussell? O-Ton Karin Steffen Diese Rummelplatz-Geschichte hat so viel Spaß gemacht, auch zum Teil zusammen erarbeitet und dann auch bis zur Aufführung gebracht. Supertoll war, dass wir zum Beispiel damit auch damals im BE waren und das auf dieser großen Bühne dort machen durften. Es wurden alle Schüler mit eingebunden, es haben auch alle mitgemacht. O-Ton Barbara Mika Und da kann ich mich noch an den einen Schüler erinnern, wie er heißt, das weiß ich nicht mehr, war so ein kleiner Dicker, der war eigentlich ein bisschen sehr schüchtern, weil er so dick war. Und da weiß ich noch, dass dieser Junge, dieser kleine dicke, niedliche, der konnte gar nicht singen, der konnte nur so tief, das gibt es, wenig, aber es gibt Kinder, die können wirklich nicht singen, und das konnte er nicht. Aber auch für ihn hat er etwas gefunden, nicht? Der sollte dann Akkordeon spielen und hat dann gesagt, ich bin ja ein Akkordeon-Spieler und dann fing er an, so 3, 4, 5 Töne laut rauszuschreien, aber das war sein Einsatz. Und so hat er alle Kinder irgendwie dort eingebaut in dieses Spiel. Es war sagenhaft! Atmo weiter: Rummelplatz ?Das Riesenrad? O-Ton Uwe Tegeler Also ich weiß nicht mehr, welches Instrument ich damals gespielt habe, ob es jetzt die Triangel war oder die Hölzer, die man aufeinanderschlägt. Jeder hatte ein Instrument. O-Ton Karin Steffen Und der Wolfgang Resener und ich, wir durften dann also dort alleine singen. Wolfgang, der war Karussell-Besitzer, den dann immer alle gebeten haben, ach bitte, hör doch noch nicht auf und lass uns doch noch eine Runde fahren. Atmo: Rummelplatz ?Lieber Karussell-Besitzer? O-Ton Uwe Tegeler Weil er so begeistert war von den beiden, auch stimmlich begeistert war, hat er sie denn in den Opernchor geholt. Und haben dann auch bei einer Opernaufführung im Chor gesungen. Und das war ein großer Erfolg, jetzt da, Mann, die Ehre denn im Opernchor zu singen. Die Karin hat ja diese musikalische Richtung auch eingeschlagen. O-Ton Karin Steffen Und wir haben damals, den ?Lukullus? mitmachen dürfen, und dann ein bisschen später hab ich noch mal ein bisschen was im ?Lanzelot? gemacht. Ich hatte das letzte Wort in diesem Stück. Und das weiß ich auch noch sogar, das hieß: Der Rest ist Freude! Darunter hoch: Atmo: Schlusschor Lanzelot (Kinderstimme ?Der Rest ist Freude? ) O-Ton Barbara Mika In der dritten Klasse, vierte Klasse, hab ich dann den Kindern ?Spaniens Himmel? beigebracht, weil er das ja komponiert hat, und wollte ihm ne Freude machen. Und da haben die Kinder dann (lacht) haben wir dann ?Spaniens Himmel? gesungen. Wir sind ja über die erste Strophe nicht hinausgekommen, weil er uns gleich wieder unterbrochen hat, dass wir irgendwelche Rhythmen, oder irgendwas war da nicht richtig. Darunter hoch: MUSIK: Jugendchor singt ?Spaniens Himmel? (?Die Thälmann - Kolonne?) O-Ton Paul Dessau Die ?Thälmannkolonne? entstand während des Spanischen Bürgerkrieges im Jahr 1936. Ich war in Paris in der Emigration. Ich schrieb damals ein anderes Lied, zu dem ich mir selbst den Text machte, ?No pasaran?, was zu Deutsch heißt, sie werden nicht durchkommen. Meine Frau hörte meiner Arbeit zu und war offensichtlich nicht sehr beeindruckt von Text und Musik, die ich da zusammenzimmerte grade, und schrieb in ihr Kochbuch die Texte zur ?Thälmannkolonne?. Als ich dann mit meinem Lied fertig war, das ja auch ihr Recht gab, indem es tatsächlich kein Erfolg wurde, schrieb ich dann noch so nebenbei ihr zuliebe die Musik zur Thälmannkolonne. Das wurde eben, das Lied, das damals durch Ernst Busch den Internationalen Brigaden zukam und dort in den Schützengräben von den Kämpfern gesungen wurde. MUSIK: Ernst Busch singt ?Spaniens Himmel? mit Kameraden der Internationalen Brigade O-Ton Daniela Reinhold Mein Name ist Daniela Reinhold, ich bin Musikwissenschaftlerin und seit 1992 an der Akademie der Künste beschäftigt und betreue neben einigen anderen Archiven auch dort das Paul-Dessau-Archiv. Dessau emigriert sofort 1933 nach Paris, später dann in die USA ? In dieser Zeit findet ein großer Wandel statt: Auf der einen Seite besinnt er sich auf sein jüdisches Erbe, zum zweiten kommt er mit der Zwölftontechnik Arnold Schönbergs in Berührung, die sein weiteres Komponieren prägen wird. Und er kommt dann in den USA mit Bertolt Brecht in Berührung und wird ? zu dem dritten großen Brecht-Komponisten nach Kurt Weill und Hanns Eisler. O-Ton Paul Dessau Wir trafen uns und ich spielte ihm gleich sofort diesen Song aus der ?Heiligen Johanna der Schlachthöfe? vor. MUSIK: Sonja Kehler singt ?Kampflied der schwarzen Strohhüte? (Brecht/Dessau) O-Ton Paul Dessau Und der gefiel ihm sehr und ich hatte auch eine Sängerin. Machten ein paar Proben zusammen. Und die Sängerin wurde krank und ich sang selber, das ist der Clou der Geschichte. Er sagte zu mir, singen Sie mal selber, ich singe viel besser als die Sängerin. Also ich sang es selber und hatte einen sehr guten Erfolg, dank einiger Whiskys, die ich zu mir nahm, um mir Mut zu machen. Und da begann eine ständige Zusammenarbeit, die nicht abriss. Dort machte ich die Courage-Musik, dort machte ich die Musik zum ?Guten Menschen von Sezuan?, dort schrieben wir das ?Deutsche Miserere?, dort entstanden verschiedene Gedichte, dort sang die Heli schon ihre Courage-Musik, dort übten wir mit der recht unmusikalischen Heli, aber da kannte sie ihre Lieder schon, als sie nach Berlin kam. O-Ton Daniela Reinhold Der Abschnitt, auf den sein Leben gerne reduziert wird, ist der dann nach seiner Remigration nach Deutschland 1948, wo er sich für die DDR entscheidet und dort als widersprüchliche Figur, auf der einen Seite fast als Staatskomponist, fungiert und auf der anderen Seite quasi der Unbequeme, Querständige ist, der auch Menschen fördert, die nicht mit dem Staat konform gehen und der auch selber in verschiedener Form immer wieder auch zwischen die Mühlen gerät. Einer der zentralen Konflikte ist der um die Oper ?Die Verurteilung des Lukullus?, die ja ursprünglich ?Das Verhör des Lukullus? hieß und die 1951 zu einer zentralen Zielscheibe der Formalismus-Debatte wurde. Diese unmittelbaren politischen Auseinandersetzungen, gerade auch um die Tonsprache, da ist Dessau also sehr, sehr stark ins Schussfeld geraten. Brecht und Dessau mussten dann auch Teile, die man ihnen aufnötigte, ändern. MUSIK: Anfang ?Lukullus? ?Hört, der große Lukullus ist gestorben ?? darauf: O-Ton Paul Dessau Den ?Lukullus? wollte man nicht. Und so wurde ich also als, als was wurde ich denn?, ?Formalist? bezeichnet. Aber es war, wenn ich?s so ausdrücken soll, es war eine Jugendsünde der Republik. MUSIK ENDE O-Ton Daniela Reinhold Er hat ja dann in der DDR insgesamt 5 Opern geschrieben, angeregt eben auch grade dadurch, dass seine Frau ja die Regisseurin Ruth Berghaus war. Und durch ihre künstlerische Sprache hat er sich wirklich motiviert gefühlt, sich diesem Genre zuzuwenden, das er bis dahin ? und man darf nicht vergessen, dass Dessau ja schon 54 war, als er in die DDR kam ? mit dem es sich bis dahin noch gar nicht beschäftigt hatte. Und das sind eben die Opern ?Puntila?, ?Lanzelot?, ?Einstein?. Ein bisschen raus fällt dann die letzte Oper ?Leonce und Lena?, die zwar auch repräsentativ an der Staatsoper uraufgeführt wurde, aber eben schon nach dem Tode und eigentlich nicht mehr so ganz wohlgelitten war, weil sie schon aus nem andern, sehr resignativen Geist entstanden ist. MUSIK: ?Bach-Variationen? von Dessau darauf: O-Ton Paul Dessau Bei Bach kann ich ihnen nachweisen, dass da oft Ketten von Dissonanzen aneinandergereiht sind. Aber wenn ich die ?Kunst der Fuge? nehme, ja, dann würden sie wahrscheinlich den Saal verlassen, oder sie würden sich so benehmen, wie mal eine Schreiberin in der ?Berliner Abendzeitung? sich ausgedrückt hat. Die hat geschrieben, wenn Dessau im ersten Teil eines Programmes gespielt wird, komme ich erst nach der Pause. Ich glaube, dass die Dame einen ganz großen Fehler mit ihrer Bildung macht, denn meine Musik ist ja mit anderen Musiken verbunden, mit den Musiken meiner DDR-Kollegen sehr. Und wenn sie sich durch meine oft harten Klänge, die ich in einer meiner Ansicht nach nicht weichen Zeit (lacht) zum Ausdruck bringe, dann sollte sie möglichst oft vor der Pause kommen, damit sie vielleicht lernt, dass diese Dinge eine gewisse Notwendigkeit und auch einen Sinn haben. O-Ton Daniela Reinhold Dessau wollte ja immer auch seine politische, aber vor allen Dingen auch seine kompositorische Haltung anderen Menschen vermitteln, verbreiten, und insofern hat er sich natürlich sehr für junge Menschen interessiert, natürlich auch und vorrangig für jüngere Komponisten. Und da Dessau ja seit der Begegnung mit der Zwölftontechnik, die er in Paris durch René Leibowitz kennen gelernt hatte - und dann später ja in Los Angeles hatte er auch direkten Kontakt zu Arnold Schönberg - waren natürlich alle die, die sich wirklich einer Avantgarde, einer Musiksprache der Moderne verpflichtet fühlten, für ihn ein wichtiger Bezugspunkt. Und da das aber zu DDR-Zeiten sehr stark in der Kritik stand, vor allen Dingen eben noch in den 60er und 70er Jahren, hatte er sich diesen Komponisten, also stellvertretend kann man da eben halt so die fünf nennen, die ja als prägende Gestalten überdauert haben - Friedrich Goldmann, Paul-Heinz Dittrich, Friedrich Schenker, Rainer Bredemeyer, Georg Katzer - sich also grade für die eben auch sehr stark eingesetzt, aber auch die jungen Komponisten einfach bei ganz praktischen Dingen, in Konflikten mit dem Kulturministerium, in Konflikten mit dem Komponistenverband unterstützt, sich schützend vor sie gestellt, wenn irgendwelche Kampagnen gegen einzelne Werke liefen und dergleichen mehr. MUSIK: Kammermusik 1, Paul Heinz Dittrich darauf: O-Ton Paul-Heinz Dittrich Ich schrieb ein Stück und das wurde auch aufgeführt im Apollosaal der Staatsoper. Und wie das so war, ich habe mich an keine Vorgaben, die man von Seiten der Obrigkeit bekam, gehalten. Also das Stück wurde am Abend gespielt. Zwei, drei Tage später setzte die Kritik ein. Das Neue Deutschland, ein glatter Verriss, aber so enorm und so bösartig. Der Hansjürgen Schäfer war damals Musikredakteur, der schrieb dann: Es gehört nicht in unsere sozialistische Welt, das ist der Westwind, der herüberweht, also das muss unterbleiben! Sprecher Kritik Sie gehört ? nicht in unsere sozialistische Welt, das ist der Westwind, der herüber weht: eine Kammermusik für Bläser und Klavier des Berliners Paul-Heinz Dittrich, die offensichtlich zu keinem andern Zweck geschaffen wurde, als darzutun, dass ihr Schöpfer sich im Arsenal neuerer spätbürgerlicher Machartenauskennt. Sieht man von den unqualifizierten Akklamationen einiger durch Sachkenntnis offenbar noch wenig ausgezeichneter junger Leute für Paul-Heinz Dittrichs modernistische Kammermusik ab ?? (Paul Dessau, Dokumente ?, S. 119) O-Ton Paul-Heinz Dittrich Ein so starker Verriss, dass ich dachte, also hier wirst du nicht mehr froh jetzt deines Lebens in der DDR! Sprecher Paul Dessau ?Zeuthen/Mark, 5. März 1971 An den Kritiker des ?ND? Genossen Hansjürgen Schäfer, zu den an den ?unqualifizierten Akklamationen? beteiligten jungen Leuten gehörte auch ich, der im Gegensatz zu Ihnen wohl von bedeutender Sachkenntnis reden darf! ? Ich weiß, dass Sie denken, die ?Linie? unserer Parteigenossen zu vertreten. Sie irren sich aber; diese Linie ist dehnbar, flexibel und entwicklungsfähig, sonst wäre sie keine marxistische. Und außerdem braucht man zur genauen Deutung jeder Aufzeigung etwas Talent und Phantasie. Beides spreche ich ihnen ab. Mit kommunistischem Gruß! Paul Dessau (Paul Dessau 1894-1979, Dokumente ?, S. 119/20) MUSIK ENDE O-Ton Maxim Dessau Er hat ständig Leuten aus der Patsche geholfen. Und er hätte dabei auch sich selber aus der Patsche helfen müssen, denn er war ja auch mit in der Patsche. MUSIK: Paul Dessau: ?Lanzelot? darauf: O-Ton Maxim Dessau Heiner Müller hatte zu der Zeit, wo er das Libretto für Dessau für ?Lanzelot? geschrieben hat, Aufführungsverbot im DDR-Theater. Also er hat ihn quasi durch die Hintertür dann auch wieder auf die Bühne gebracht. Und er suchte natürlich händeringend immer nach jemanden, der ihm die Texte machen könnte für die Opern. O-Ton Paul Dessau Jetzt nehme ich einen Text des Russen Jewgenij Schwarz, und zwar nehme ich den Drachen. ?Der Drache? ist ein ungeheuer musikvolles Stück, und ich habe das große Glück, einen der größten Dramatiker nach Brecht bei uns dafür interessiert zu haben: Heiner Müller. Heiner Müller ist hier kein unbekannter Name, Heiner Müller ist der Dichter des ?Philoktet?, eines ungewöhnlich großartigen Stückes, vieler anderer Dinge. Und wir sind schon dabei und es gibt schon ein paar Szenen von ganz großartiger poetischer Poesie und Musikalität. MUSIK ENDE O-Ton Daniela Reinhold In seinem Haus in Zeuthen war ein durchaus auch argwöhnisch beäugter Treffpunkt zwischen Komponisten aus dem Westen, eben wie Nono oder Henze oder auch Blacher und eben Komponisten, Autoren, Wissenschaftlern aus der DDR, die eben da sich über all die Dinge austauschten, die sie eben auch künstlerisch und politisch interessierten. O-Ton Paul-Heinz Dittrich Und so war Hans-Werner Henze sehr oft hier, Luigi Nono, René Leibowitz aus Paris und verschiedene andere, Dirigenten, die mit Dessau engstens befreundet waren. Und es waren nicht nur Komponisten, da eingeladen wie Heiner Müller, den ich da kennenlernte, Volker Braun. Und so kamen Gespräche zustande, das war eine freie Diskussion ? O-Ton Maxim Dessau ? also über Politik natürlich, aber hier ist quasi keine, wie soll man sagen, hier sind keine Umsturzpläne geschmiedet worden. Es war ein offenes Haus, die Leute kamen wie sie Lust hatten, wie das eben so ist. Dann kriegten sie was zu essen. Viele mussten sehen, wovon sie leben, junge, ganz junge Komponisten, Friedrich Goldmann, Rainer Bredemeyer, mussten sehen, wie sie über die Runden kommen. Die aßen dann hier ganz kräftig (lacht), konnten hier übernachten. Und die müssen ja wohl das Gefühl gehabt haben, dass sie hier gut aufgehoben sind mit allen ihren Problemen und Sorgen, die sie sonst woanders nicht loswerden. O-Ton Daniela Reinhold Im Grunde war die DDR für sein Denken und für seine ganze Haltung ein viel zu kleiner Ort. Er sah halt nur keinen andern. Dessau war sozusagen in seinem ganzen Denken und Fühlen schon ein Weltbürger, natürlich auch durch die Biografie geprägt. Er war mit vielem auch durchaus noch den amerikanischen Zeiten verbunden, also bis in die Bleistifte, die auf seinem Arbeitstisch lagen, also das muss man einfach so feststellen, dass die DDR der Ort war, den er gewählt hatte, weil er keinen anderen sah, die eben nicht faschistisch war. Und man darf ja auch nicht vergessen, seine Mutter ist eben in Theresienstadt umgekommen - er hat das erst nach dem Kriege dann konkret erfahren, viele Mitglieder seiner weiteren Familie sind auch ermordet worden - das hat ihn natürlich extrem geprägt und auch zu dieser Entscheidung für die DDR mit bewogen. Und je mehr er sah, dass sich das Land halt nicht in die Richtung entwickelte, die ihm vorgeschwebt hat, um so mehr war er in einem Zwiespalt, auf der einen Seite gefürchteter Rebell und auf der anderen Seite ja doch auch ne Art Aushängeschild. MUSIK: Kinderchor: ?Bitte der Kinder? (Brecht/Dessau) darauf: O-Ton Daniela Reinhold Er hatte in den späten 20er Jahren Kontakt zur Arbeiter-Sängerbewegung und die hatte ja auch einen Kinderchorzweig. Und da hat er also mehrere Kinderlehrstücke geschrieben, die dann auch mehrfach aufgeführt wurden ? also das war so seine erste Berührung mit Musik für Kinder. Sprecher Paul Dessau September 1932 ?Walter Hänel, der Leiter des Kinderchores, meinte, es wäre doch schön, wenn man den Kindern mal Gelegenheit gäbe, in frischer Luft ihre Singstunden abzuhalten. Denn es gibt unzählige Kinder in Berlin, die gar nicht mehr wissen wie ein Garten aussieht ? Erstaunlich, wie schnell die Kinder den ersten Chor lernten. Übrigens erzählen mir viele Lehrer, dass die Kinder alles spielend leicht erfassten. Intervallsprünge, gleichzeitiges Singen von ?E ?Es? bereitete ihnen keinerlei Schwierigkeiten.? (Paul Dessau 1894-1979, Dokumente ?, S. 30/31) MUSIK ENDE O-Ton Paul-Heinz Dittrich Er war zeitlebens davon besessen und überzeugt, dass die junge Generation gefördert werden muss, in dem Sinne, dass sie ganz frei im Sinne einer freien Pädagogik erzogen werden und nicht, sagen wir, jetzt musst du die C-Dur Tonleiter lernen oder jetzt musst du dies und das machen. Die Arbeiter sind die intelligentesten Menschen, die wir haben, das war seine Devise. Und die Kinder natürlich von den Arbeitern, das ist wieder dasselbe. Und deshalb unterrichte ich sie und tu mein Scherflein beitragen dafür, dass eine gute Generation nachwächst ? zumindest hier in Zeuthen. Atmo Unterricht: Dessau komponiert mit der Klasse: Brecht Tierverse ?Es war einmal ein Hund? Dessau: Es war einmal ein Hund, der hatte einen zu kleinen Mund (Lachen) da konnte er nicht so viel fressen ? ist ja klar, nicht? - konnte er nicht viel fressen, da freute sein Herr sich dessen, er sagte: Dieser Hund ist ein guter Fund. Wir haben noch nicht weiter komponiert, wir wollen mal weiter komponieren jetzt, wollen mal sehen, wie wir das machen. Also ? O-Ton Paul Dessau Ich glaube ja so naiv zu sein, dass, indem ich in Zeuthen arbeite in der Schule, junge Menschen zum Hören zu erziehen! Sie müssen selber schon einige Melodien selbst erfinden und damit erkennen sie gleichzeitig schon die Schwierigkeit dieses Erfindens und bekommen eine kritische Haltung gegenüber ihren eigenen kleinen Melodie und die wir ihnen vorspielen. Atmo Unterricht weiter: Dessau: (singt) Es war einmal ? hast du so komponiert, ja? Junge: Da hab ich einen Punkt gemacht und ? da hab ich 6/8tel gemacht. Dessau: Wo? Also ¾ (singt) Es war einmal ein Hund ? also kann ich da vorne hinschreiben ¾ ? find?s nicht so schön, aber ich schreibe es auch auf. Ich schreibe selbst manchmal Sachen auf, die nicht sehr schön sind. Und dann ändere ich sie, das werden wir auch jetzt tun. Also es wäre so: (spielt die Melodie am Klavier und singt) ?Es war einmal ein Hund? ? find ich sehr lustig. O-Ton Uwe Tegeler Die Vertonung der Tierverse, das ist bei uns in der Klasse passiert. Und glaube, das erste war ?Es war einmal ein Hund?. Er hat dann jemand aufgerufen, so wie die Karin, die hat dann vorgesungen. Atmo Unterricht weiter: Karin singt: Es war einmal ein Hund Dessau: Gut, wollen wir aufschreiben (Schreibgeräusche) ? Welche Tonart? Kann G-Dur sein (spielt am Klavier) Kann auch Moll sein ? das ist gar nicht schlecht. (singt) Es war einmal ein Hund ? Das ist schon etwas bedächtiger, nicht wahr, etwas nachdenklicher. O-Ton Karin Steffen Paul hat die Texte mitgebracht, und dann haben wir uns erst mal die Texte angeguckt und überlegt, und einzelne Schüler, haben sich dann gemeldet und haben einfach ne Melodie vorgesungen, Paul hat die an die Tafel geschrieben, und ja, am Ende der Stunde haben wir dann gemeinsam das Beste rausgesucht. Und so wurde es dann, von ihm manchmal noch ein bisschen bearbeitet natürlich, er war ja der Könner, und so entstanden diese Tierlieder damals. Atmo Unterricht weiter: Dessau: Hat noch jemand ne Idee, außer Hans-Jürgen. Kann einer von euch mir vorsingen, was mir das liebste wäre. Na? Bettina! Bettina: (singt) Es war einmal ein Hund ? Dessau: Na, siehste. (wiederholt die Melodie) Es war einmal ein Hund. Sprecher Paul Dessau ?Das Wichtigste bleibt das ERFINDEN, dass die Kinder angehalten werden, alles selbst zu machen und gleich aufzuschreiben. Das fördert nicht nur die musikalische Entwicklung, sondern bildet gleichsam den gesamtmusischen Komplex wie Malerei, Bildende Kunst etc.? (Paul Dessau 1894-1979, Dokumente ?, S. 127) O-Ton Karin Steffen Ich denke, dass dieser Musikunterricht ihm auch so wichtig war, weil natürlich diese Beschäftigung mit der Musik ja so irgendwie allumfassend ist. Also sie beschäftigen sich ja nicht nur mit Musik, sondern in der Musik hören sie Farben, Gefühle werden ausgedrückt, man beschäftigt sich mit Texten, also man hat ja ein großes, breites Spektrum mit der Musik. O-Ton Uwe Tegeler Ich hab mich immer so ein bisschen schwergetan mit den Noten, ich hab immer aus dem Gefühl heraus gesungen. Aber er hat letztendlich immer wieder versucht, uns das auch beizubringen, jede Note die man aufschreibt, auch im Ohr als Ton zu hören und dann auch wiederzugeben. Atmo Unterricht weiter: Junge (singt) Es war einmal ein... Dessau (wiederholt singend) Es war einmal ein Hund (spielt die Melodie auf dem Klavier, schreibt an die Tafel und singt dabei) Es war einmal ?. Schön tief, ist ja egal. (spielt die Melodie noch mal am Klavier ohne zu singen) O-Ton Paul Dessau Ich weiß nur, dass diese dreißig Kinder sehr gute Zuhörer sein werden eines Tages, kritische Zuhörer, unterscheiden lernen, erkennen können. Nicht erwarten, dass wir uns zurücklehnen müssen, nicht wahr, die Augen schließen und vielleicht sogar einschlafen, wies ja viele Leute, ich hab das so beobachtet, sondern wach bleiben und mit- wenn sie wollen, bitte mitgenießen, denn Schaffensprozess ist ein Genuss, aber ein anstrengender, das ist ein Genuss der Anstrengung ? bekanntlich strengen ja Genüsse an. Das ist wirklich eine Aufgabe überhaupt unserer Erzieher, darauf zu dringen, dass viel mehr darauf geachtet wird, dass das Musische in der Schule ? das weiß ich auch von Lehrern, dass es ihnen nicht genügt. Ich kann nicht mehr tun als meine dreißig Kinder betreuen, nicht wahr. Ich möchte mehr tun, das geht nicht. Atmo Unterricht weiter: Dessau: (spielt neue Melodie) ? Es war - ich glaube, das ist besser: ? einmal ein Hund. Wolfgang, bist du einverstanden? Dessau (spielt) oder ist es besser (spielt) anstatt (spielt) Ich finde das ist schwer ? (schreibt an Tafel und singt) Es war ? Punkt, eine Achtel - einmal ein Hund ? O-Ton Uwe Tegeler Und so hat sich dann das Vers für Vers entwickelt. Und das hörte sich manchmal dann ziemlich grauenvoll an (lacht), aber er hat?s dann doch immer mit sehr viel Humor und Geduld dann auch letztendlich geschafft, dass wir?s in der richtigen Tonlage dann doch wiedergegeben haben. Atmo Unterricht weiter: Dessau: (am Klavier) Es war einmal ein Hund, der - Steh mal auf, sing mal! Karin: (singt) Es war einmal ein Hund, der hatte einen ? Dessau: Siehst du, da haben wir ein F, ist doch schon gut. wir gehen schrittweise weiter, das ist schon besser! Dessau: ? war einmal ein Hund, der hatte einen zu kleinen Mund ? frisch von der Leber runter! Karin: (singt) ?. ?einen zu kleinen Mund?, Dessau: Gar nicht schlecht (notiert an Tafel) ? hatte einen zu kleinen Mund - hast du gesagt, ja? Karin: Ja. Dessau: Kommen wir wieder auf das G, wir werden sehen, wie das ist. Außerdem haben wir einen Taktwechsel hier, das ist sehr schön, das wird hier 2/4, ?hatte einen zu? und da ist wieder ¾, das gefällt mir schon ? O-Ton Paul Dessau Ich stehe auf dem Standpunkt, dass man auch von Kindern lernen kann. Und vor allem habe ich erfahren, dass es keine unmusikalischen Menschen gibt, denn ich hatte zum Beispiel in den Anfängen meiner Schularbeit einen Freund meines Sohnes, der wirklich, wie man so schön sagt, Zementohren hatte, der hörte wirklich nischt. (lacht) Und das hat sich herausgestellt, dass durch jahrelanges Üben, das geht nicht von heute auf morgen, durch Geduld und Arbeit, selbst ein, ich sage nicht unmusikalisch, ein ungeschultes Ohr, ein ungeübtes Ohr sich entwickeln kann, nicht wahr. Es hat sich, kurz, herausgestellt, dass dieser wirklich falsch singende Knabe nach 2, 3 Jahren richtig sang. O-Ton Barbara Mika Er hat ja diesen Erfolg auch gesehen. Sie konnten dann auch schon nach?m Notenblatt ablesen usw. usw., das hat er gemerkt. Und ich schätze, darauf wird er auch stolz gewesen sein. O-Ton Karin Steffen Die Musikunterrichtsarbeit von Paul war sehr prägend für mein Leben! Für mein ganzes Leben. Meine Familie war nicht so kulturinteressiert. Aber ich bin dann sehr viel zum Beispiel in die Oper gegangen und ja, so wuchs das dann, dass ich Sängerin werden wollte und es auch geschafft hab! Die Kinder von heute sind die Konzertbesucher von morgen ? daran sollte man sich heute auch wieder erinnern - das war sicherlich auch eine Idee von ihm. O-Ton Maxim Dessau Es ist für mich mehr, nicht den Konzertbesucher von Morgen, sondern einfach den Mitbürger von Morgen, den engagierten Menschen, den selbständig denkenden, den was erfindenden, den schöpferischen. Und das war ja die Energie eines Einzelnen, die da einen ganz direkten, ganz unmittelbaren und ausdauernden Druck ausgeübt hat auf diese Verhältnisse in der Schule, ne einsame Einzelinitiative, die ja von oben weder erfunden, noch gelenkt, noch erwünscht war. O-Ton Paul Dessau Es war ne schöne Zeit, ne wunderschöne Zeit! Möchte ich nicht missen! Halbe Stunde zu Fuß in die Schule gelaufen, 45 Minuten Musik, das ist nichts, nichts! Aber wir haben das, was irgendwie möglich war, versucht zu tun. Die Klasse, die Kinder, das war so schön, das kann ich ihnen gar nicht erklären. MUSIK: Paul Dessau: ?Variationen über ein amerikanisches Volkslied? darauf: Absage: Rummelplatz Paul Dessau als Musiklehrer Ein Feature von Ed Stuhler Die Originaltöne von Paul Dessau stammen aus dem deutschen Rundfunkarchiv sowie aus Dokumentarfilmen von Richard Cohn-Vossen und Gitta Nickel. Es sprachen: Richard Hucke und Ernst-August Schepmann Ton und Technik: Eva Pöpplein und Angelika Brochhaus Regie: Anna Panknin Redaktion: Ulrike Bajohr Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2013. 6 6