COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport-Magazin 15.12.2011 Gemeinsames und getrenntes Lernen Förderung von lernschwachen und hochbegabten Schülern Autoren: Ita Niehaus, Verena Herb Redaktion: Heidrun Wimmersberg Eine Schule für alle! - Die Debatte um Kinder mit Beeinträchtigungen und ihr Recht auf Inklusion - Autorin Ita Niehaus Red. Heidrun Wimmersberg Sdg. 15.12.2011 - 13.07 Uhr Länge 9`30 Moderation Seit Jahrzehnten kämpfen Eltern dafür, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten am herkömmlichen Schulunterricht teilnehmen können. Immerhin - es gibt erste Erfolge. Seit 2009 gilt auch in Deutschland die UN-Behindertenkonvention, nach der der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht- behinderten Kindern die Regel sein soll. Doch viel zu oft endet inklusive Bildung immer noch nach der Kita, so das Ergebnis einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung. Die Unter- schiede in den Bundesländern sind groß. In Schleswig Holstein etwa werden fast die Hälfte (45,5%) der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet. Das Schlusslicht bundesweit ist Niedersachsen mit 7,2 Prozent. Ita Niehaus berichtet über die Integrierte Gesamtschule Linden in Hannover, die trotz vieler Schwierigkeiten erfolgreich auf gemeinsames Lernen setzt. Die Schule hat die größte Anzahl an Integrations-Klassen in Niedersachsen und wurde 2009 mit dem "Jakob Muth-Preis für inklusive Schule" ausgezeichnet. - folgt Script Sendung - Script Sendung G 01 Atmo Unterricht ( bei "ja" unter Text ausblenden) (Stimmengemurmel, an Tafel schreiben) (Schülerin) "Frau Krauße, wohin?" (Krauße) "Oh, super, stell die mal bitte dahinten hin.?" (Schüler) "Geht´s heute um Albatros?" (Krauße) "Ja!" AUT In der Klasse 8 F der Integrierten Gesamtschule Linden, kurz IGS Linden, in Hannover. Auf dem Stundenplan heute: Berufsfindung. G 02 Atmo Unterricht ( bei "bewirbst" unter Text legen und ausblenden) (Schritte) (Günther) " Das heißt, (rascheln) ..am Ende der Doppelstunde weißt du, auf welche Stelle Du dich bewirbst.." AUT - und zwar bei der Schülerfirma Albatros für die Projektwoche. Denn Berufsvorbereitung wird an der IGS Linden groß geschrieben. Klassenlehrerin Susanne Günther, die auch didaktische Leiterin der Schule ist, unterrichtet gemeinsam mit Förderschullehrerin Undine Krauße-Arnecke. Die 8 F ist eine von insgesamt 25 Integrationsklassen. Fast die Hälfte der 27 Jugendlichen hat einen Migrationshintergrund. Vier von ihnen haben sogenannten "sonderpädagogischen Förderbedarf." E 01 (Günther) "Das Ziel ist es wirklich, im Rahmen der Fähigkeiten den Schülern einen Unterricht zu bieten, worin sie sich bestmöglichst entfalten können. Und zwar mitein- ander, so dass wir beratend, unterstützend da sind, aber das gemeinsame Lernen deutlich im Vordergrund steht." G 03 Atmo Unterricht ( bei "schon" unter Text legen und ausblenden) (Stimmengemurmel) (Schüler) "Metallbauer fällt mir auch nix ein.." (Schüler) "`ne Fähigkeit für Metallbauer..." (Schüler) " Räumliches Vorstellungsvermögen musst du aufschreiben.. (Schüler) " Habe ich schon.." AUT So wie Dilara, Gerrit, Dennis und Thomas arbeiten alle Jugendlichen immer wieder zwischendurch zu viert zusammen an Tischgruppen. Egal ob Gymnasiastin, Haupt- schüler oder Förderschüler. G 04 Atmo Unterricht (Stimmengemurmel, kurz stehen lassen und ausblenden) AUT Einen Tisch weiter sitzt der 14 Jahre alte Förderschüler Esra. Neben ihm: die 13 jährige Vivien. E 02 (Esra) "Die Stunden machen mir meistens Spaß. Weil man macht auch viele Sachen, so praktische. Mit anderen zu arbeiten, was die Anderen dazu denken."(Stimme oben) E 03 (Vivien) "Ich finde schon, dass es gut ist. Wenn man sich meldet, dann muss man nicht so lange warten, weil es gibt ja zwei Lehrer. Dann kann man schneller weiter- arbeiten und es gibt ja so Bezugspersonen, wo man eher hingeht." G 05 Atmo Unterricht ( bei "das" unter Text legen und ausblenden) (Stimmengemurmel) (Vivienn) "Frau Krauße, Sie will Bürokauffrau werden, hat aber in Mathematik eine vier. Wie will sie das machen?" (Krauße) "Was habt ihr denn für Voraussetzungen für Bürokauffrau aufgeschrieben?" (Vivienn) " Man muss gut Mathematik können, man muss das doch ausrechnen. Siehst Du das?" AUT Undine Krauße-Arnecke und Susanne Günther wandern von Tisch zu Tisch, nehmen sich Zeit für einzelne Schüler. Sie sind ein eingespieltes Team. Offiziell ist Undine Krauße- Arnecke "nur" die "Beratungs- und Unterstützungsfrau" für die Förderkinder, doch im Grunde ist sie für alle da. E 04 (Krauße-Arnecke) "Fördern soll ja nicht diskriminierend wirken, weil man dann ja auch keinen Zugang mehr zu den Kindern hat, wenn sie das Gefühl haben, in dem Moment, wenn ich mit einem Förderlehrer arbeitet, bin ich automatisch als der Doofe oder Problembeladene gestempelt. Sondern die Idee ist, dass man Förderunterstütz- ungsangebote für alle macht. Kann auch sein, dass jemand, der vier Wochen krank war und eigentlich ein sehr intellektuelles Kind ist, Förderung in Anspruch nimmt, um mal nachzuarbeiten." AUT Eine Elterninitiative machte sich vor 15 Jahren für die ersten Integrationsklassen an der multikulturellen Ganztagsschule stark. Die Förderschüler aus der Grundschule im hannoverschen Stadtteil Linden sollten auch weiterhin mit ihren nicht behinderten Klassenkameraden zur Schule gehen können. Die meisten Schüler mit Beeinträchti- gungen haben Lern- oder Verhaltensstörungen. Die IGS Linden ist vergleichsweise gut ausgestattet. Doppelbesetzung ist in den wichtigsten Fächern in den Integrationsklassen möglich. 12 Förderschullehrerinnen, Sozialpädagogen und Regelschullehrer arbeiten gemeinsam im Team. Und: die IGS ist auf dem Weg zu einer inklusiven Schule. Das heißt, alle Lerngruppen sollen künftig als Integrationsklassen geführt werden. Doch wirkliche Inklusion ist erst erreicht, wenn die Ausgrenzung von Menschen mit Beeinträchtigungen in Schule und Gesellschaft überwunden ist, sagt Schulleiter Christoph Walther. Noch stoßen sie, bei allem Engagement, immer wieder an Grenzen. E 05 (Walther) "Wenn wir Kinder doch zurückweisen müssen, weil es einfach zu schwierig ist, sie an der Schule zu behalten, weil wir nicht die nötigen Mittel haben, um sie auch mal alleine zu betreuen. Das heißt, wir leiden auch ein bisschen unter der Situation, dass wir nicht so viel Inklusion machen können, wie wir eigentlich wollten." (Stimme oben) G 06 Atmo Podiumsdiskussion ( bei "genug" unter Text legen und ausblenden) (Beifall) (Althusmann) "Ja, so ein bisschen hat Frau Franke-Zöllmer ja -" (Moderatorin) "...Recht?" (Althusmann) "...es umrissen, was Sie eigentlich sagen wollte (lachen), um niemand- en zu verschrecken, aber gleichzeitig den Vorwurf an die Politik zu verbinden, wir seien nicht mutig genug.." AUT Ortswechsel. Abschlussdiskussion der Ringvorlesung "Gemeinsam Inklusion lernen" an der Universität Hannover. Bernd Althusmann, Niedersächsischer Kultusminister und Präsident der Kultusministerkonferenz, stellt sich Publikumsfragen. Ab dem Schuljahr 2012/2013 soll die Inklusion in Niedersachsen starten. Bisher konnten sich die großen Parteien in Niedersachsen jedoch nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen. Auch viele Eltern sind skeptisch, zahlreiche Lehrer sind verunsichert. G 07 Atmo Podiumsdiskussion ( bei "haben" unter Text ausblenden) (Althusmann) "Es gibt durchaus Lehrkräfte, die mir in einem persönlichen Gespräch sagen, da bekomme ich plötzlich ein Kind in die Klasse, das meine komplette Aufmerksamkeit fordert. Was ist mit den restlichen? (lautes Stimmengemurmel) Entschuldigung, das sind meine Erfahrungen, Sie mögen andere gemacht haben.. " AUT Rund 44 Millionen Euro will das Land in den nächsten Jahren investieren. Mehrere tausend Lehrer sollen fortgebildet, die Klassen sollen kleiner werden. Alle Grundschul- klassen sollen, so steht es im Gesetzentwurf, eine sonderpädagogische Grundver- sorgung bekommen. E 06 (Althusmann) " Ich weiß, die Kritik lautet, man müsse noch mehr, auch die Stundenzahl sei zu gering - es handelt sich dabei um eine rechnerische Größe, die dann landesweit gesteuert werden muss. Jedes Kind mit einer Behinderung bekommt dann entsprechend seines Bedarfs zwischen 2 und 5 zusätzlichen Stunden. Ich glaube, dass wir hiermit auf einem guten Weg sind." (Stimme oben) E 07 (Bauer) "Es ist von dem, was wir im Augenblick kennen, kein Anlass gegeben, optimis- tisch zu sein. Dieses Gesetz ist so formuliert, das Klageverfahren von Eltern die Folge sein werden, sollte man nicht bereit sein, ihren Kindern mit Behinderungen den Zugang zur Regelschule zu genehmigen." AUT Für Adolf Bauer, Vertreter des "Bündnisses für inklusive Bildung in Niedersachsen" und Landesvorsitzender des Sozialverbandes Deutschland in Niedersachsen, ist der Gesetz- entwurf nur ein "zahnloser Tiger." E 08 (Bauer) "Man muss den Eindruck gewinnen, dass es politisch nicht gewollt ist. So wie wir die Gesamtschuldiskussion in Niedersachsen führen, in der Form einer Abwehr- diskussion mindestens der konservativen Parteien, so wird auch die Inklusion als Ab- wehrdiskussion geführt. Man möchte seinen Besitzstand wahren, man hat Angst, dass diejenigen, die ohne Behinderungen in die Schule gehen, benachteiligt würden, dass die Pfründe für die eigenen Kinder auf mehr Kinder verteilt werden sollen." G 08 Atmo Mensa Schule (kurz stehen lassen, unterlegen) AUT Zurück in der IGS Linden. Mittagspause. Viele Eltern, die Wert auf eine gute Bildung legen, schicken ihre Kinder bewusst hierhin. Architekt Ralf Dühlmeyer zum Beispiel. Der Vater von Thomas aus der 8 F kann die Diskussion um die inklusive Schule nicht nachvollziehen. E 09 (Dühlmeyer) "Wir haben die Kinder alle in einer inklusiven Grundschule gehabt, es ist für uns nie ein Thema gewesen. Es bremst die Kinder, die keine Behinderung haben nicht aus. Ganz im Gegenteil, sie lernen soziales Zusammenleben eben auch mit Behinderten. Und ansonsten - das Lernen ist nicht anders als für Kinder, die auf einer nicht inklusiven Schule sind. Es ist zumindest nicht schlechter, vielleicht vom Lernerfolg besser." AUT Der zweite Sohn von Ralf Dühlmeyer, der 12 Jahre alte Christoph, ist in der fünften Klasse der IGS Linden. Er hat eine schwere Lese- und Rechtschreibschwäche. E 10 (Dühlmeyer) "Die haben dieselben Möglichkeiten wie die Lehrer auf einer Förder- schule, sondern dass es eben keine Förderschule ist. Er ist hier mit seinen Freunden zusammen, die nicht behindert sind. Er merkt, wo seine Stärken sind gegenüber ganz normalen Kindern und auch wo seine Schwächen sind. Und muss sich eben nicht unter einer Käseglocke einsortieren und irgendwann in die freie Welt hinaus und merken, oh, die ist ja ganz anders als die Welt unter meiner Käseglocke. Sondern er ist immer in der realen Welt, bekommt dort seine Förderung." (Stimme oben) AUT Inklusion und Leistung sind kein Widerspruch. Zahlreiche Studien belegen, dass der gemeinsame Unterricht für ALLE Schülerinnen und Schüler Vorteile hat und unter anderem die sozialen Kompetenzen fördert. Hinzukommt: E 11 (Krauße-Arnecke) "Wenn wir unsere Statistik angucken, wie viele wir mit einem teilweise auch guten Hauptschul-, Realschulabschluss entlassen können, sind wir den Förderschulen deutlich überlegen. Deshalb bin ich nach 14 Jahren auch noch hier, weil ich absolut überzeugt bin, dass es ein erfolgreiches Modell ist." AUT Eine Schule für alle. Inklusion ist kein Selbstläufer, aber sie ist machbar, wenn sie gewünscht ist und wenn die Schulen dafür entsprechend ausgestattet werden. Mit zusätzlicher Betreuung etwa im pädagogischen oder sozialpsychologischen Bereich. Und was können Schulen, die sich gerade auf den Weg machen, von der IGS Linden vor allem lernen? Dass sie der Gesellschaft immer einen Schritt voraus sein sollten in Sachen Solidarität und Kooperation zum Beispiel. Und: . E 12 (Krauße) "Selbstvertrauen zu haben, dass auch ein Regelschullehrer schon ganz, ganz viel Sonderpädagogik kann. Und lernen, wie entlastend das sein kann, wenn man sich gemeinsam, auch was das Planen betrifft, auf den Weg macht. Und auch die Zufrieden- heit, die wir auch dann über die Rückmeldung haben, das eine Sache gut geklappt hat." - ENDE Script Sendung - Länderreport 15.12.2011 Eine Schule für Hochbegabte - die OKO Talent Schule in Hamburg Länge: 10'02 Autorin: Verena Herb Redaktion: Heidrun Wimmersberg Anmoderation In Hamburg gibt es seit ein paar Monaten die OKO Talentschule, OKO steht für Orthografie und Konzentration. Auf diese private Schule gehen 20 Überflieger, die Schwierigkeiten beim Schreiben oder Lesen haben und sich nicht gut konzentrieren können. In herkömmlichen Schulen sind sie nicht zurechtgekommen. Die Gründer der Schule haben lange dafür gekämpft, denn die Behörden sahen keinen Bedarf für solch eine Institution für Hochbegabte. Auch Kinder aus Familien mit wenig Geld können diesen Schultyp besuchen, an dem der Unterricht anders abläuft als in der Regelschule. Verena Herb hat sich diese Förderung für hochbegabte Kinder angeschaut. ________________________________________________________________________ Beitrag Atmo Stimmen von Jungs, diskutieren Drei Jungs beugen sich über das Innenleben des Fernsehgeräts. Kabel ragen heraus, die Bildröhre liegt offen. Leopold hat eine Zange in der Hand und zeigt auf eine Kurbel, um die ein Draht gewickelt ist: O-Ton Schüler Das ist ein Fernseher, der halt kaputt ist. Und da kann man noch Sachen verwerten, wie zum Beispiel das Kupfer. Das Problem ist einfach nur: Da ist ein Druck in diesem Ding. Und wenn das einmal in ner ganz kleinen Sekunde entlöst wird, gibt´s einen Ausschuss und das ganze Ding explodiert. Mit 300 Stundenkilometer ungefähr. Leopold ist neun Jahre alt. Das Sezieren eines Fernsehers - für ihn nichts Außergewöhnliches. Ungewöhnlich ist eher, dass das kaputte Gerät in einem Klassenraum liegt und die Jungs sich in ihrer Unterrichtspause an der OKO Talent Schule damit beschäftigen. Das Ehepaar Hartl, zwei Pädagogen, hat die Schule gegründet, an der seit diesem Schuljahr unterrichtet wird: O-Ton Hartl Die Schule richtet sich an all die Kinder, die besonders bis hochbegabt sind. Und dann speziell an diejenigen, die Minderleister sind. Das heißt die, die bisher ihre intellektuellen Fähigkeiten - um die geht es ja - nicht in schulische Leistungen umsetzen konnten. OKO, das steht für Orthografie und Konzentration - erläutert Gabriele Hartl und fügt hinzu, dass mancher hochbegabte Schüler sich an einer Regelschule sehr schwer tut. Häufige Gründe: Eine Leistungsschwäche beim Schreiben und Lesen, sprich der Orthografie und Probleme, sich zu konzentrieren. Die neue Talentschule, ein Gymnasium, richtet sich speziell an sogenannte "Underachiever", sprich Minderleister. Das sind Kinder, die trotz Hochbegabung oft negativ im Unterricht auffallen. O-Ton Simon Hochbegabung, wenn man richtig gefördert wird, ist das durchaus was Tolles. Weil man eben auch recht schlau ist. Aber wenn man nicht richtig gefördert wird, dann ist es eigentlich nur eine Last. Dann langweilt man sich, fühlt sich unterfordert und stört den Unterricht, sagt der 13jährige Simon. Er besucht mit 50 anderen Kindern die OKO Talentschule im Hamburger Stadtteil Barmbek. Neben den 10 Lehrkräften kümmern sich auch zwei Psychologinnen und eine Sozialpädagogin um die Kinder. Atmo Schulflur, Laufen, Stimmen Es klingelt zur nächsten Stunde. Die Schüler laufen über den roten Linoleumboden in ihre Klassenzimmer. Der Lehrer Harald Gebhardt wartet bereits auf seine Siebt- und Achtklässler. An der privaten OKO Schule gibt es Lerngruppen, jahrgangsübergreifend. An diesem Morgen steht Deutsch auf dem Stundenplan. Es dauert einige Zeit, bis die Schüler ihre Plätze gefunden haben und ein bisschen Ruhe einkehrt. O-Ton Gebhardt Wir hatten ja immer noch aus dem Leben eines Taugenichts. Also... Die Jungs sind unruhig. Einige haben die Bücher vor sich aufgeschlagen. Andere unterhalten sich, machen Quatsch, werfen Papierkügelchen durch die Gegend. Harald Gebhardt bleibt ruhig. Liest die Frage nochmals vor - geht hin zu jedem einzelnen Schüler und bespricht individuell mit ihm die Antwort. O-Ton Gebhardt Die Kinder macht aus, dass sie sich sozusagen abgewöhnt haben, ins Lernen reinzugehen. Das heißt, die Lernbereitschaft ist auf Null gesunken. Und das ist das Thema, dass die erst mal aufgebaut wird. Alle Kinder, die die OKO Schule besuchen, haben aufreibende Schulkarrieren hinter sich. Manche haben einmal oder sogar mehrfach die Schule gewechselt. Hochbegabt zu sein heißt nicht immer nur Einsen und Zweien zu schreiben. Das weiß Finn aus eigener Erfahrung. Der 12jährige wirkt ruhig, ein bisschen nachdenklich. Besonders, wenn er an seine Erfahrungen an der alten Schule denkt. O-Ton Finn Ich hab einfach nur noch schlechte Noten geschrieben. Ich hatte nachher... zum Halbjahr nur ein Vierer, Fünfer Zeugnis. Ich wäre dann eigentlich runter geflogen. Nur: Zum Halbjahr kann man da ja eigentlich nicht runterfliegen und bin dann so gegangen. Auf der alten Schule hatte ich dann nie meine Hausaufgaben. Kannte ich den Stoff schon, und dann wurde das immer wiederholt und dann wurde mir das zu langweilig. Dann habe ich mich einfach hingelegt auf den Tisch und habe dann einfach nicht mehr zugehört. Hochbegabung kommt nicht allzu häufig vor: Rund 2 von 100 Kindern haben einen Intelligenzquotienten, der über 130 liegt - sie gelten damit als hochbegabt. Doch ist es ein Trugschluss anzunehmen, Kinder und Jugendliche würden ihr Potential selbst entfalten, wenn erst einmal die Hochbegabung diagnostiziert wurde. Sie müssen gefordert und gefördert werden. Gerade im deutschen Regelschulsystem kommt es vor, dass besonders begabte und hoch begabte Schülerinnen und Schüler nicht als solche erkannt werden. Dabei gibt es einige Merkmale, die bei hochbegabten Kindern häufig zu erkennen sind, erläutert Miriam Bachmann. Kinder- und Jugendpsychologin und Psychotherapeutin. O-Ton Dr. Miriam Bachmann Die Kinder zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr schnell lernen können. Dass sie ein sehr gutes Gedächtnis haben und dass sie in ihrem Leistungspotential, was ihnen zur Verfügung steht, immer im Vergleich zu der Normpopulation deutlich überdurchschnittlich begabt sind. Sie beobachten ihre Umwelt gründlich, interessieren sich häufig für nicht altersgerechte Themen, durchschauen äußerst schnell Zusammenhänge. Das freut die Eltern, weiß Professor Thomas Trautmann, Erziehungswissenschaftler an der Universität Hamburg. Gleichzeitig müssen die Eltern auch erkennen: Wenn ihr Kind über besondere Begabungen verfügt, kann es auch zu Problemen kommen - nämlich: O-Ton Thomas Trautmann Dass es nicht nur mit blendenden Leistungen aufwartet. Sondern eben beispielsweise alles hinterfragt. Auch die feststehenden Dinge der Lebenswelten. Oder dass es eine Inselbegabung ausprägt. Also in Mathe alles schlägt, aber in Deutsch und in anderen Unterrichtsfächern ein ganz genau solches Kind ist, wie alle anderen aus der Klasse auch. Jedes hochbegabte Kind ist anders. Man könne nicht von DER GRUPPE DER HOCHBEGABTEN reden, macht Professor Trautmann deutlich. Fakt ist aber auch: Die meisten Hochbegabten kommen gut in der Schule zurecht. Sind eher leistungsstark und insgesamt gut integriert. Doch gibt es eben auch Kinder, die besonders in der sozialen Interaktion mit Gleichaltrigen Probleme haben. Auffallen. Als altklug und anstrengend gelten. Ute Haupt, Mutter des 8jährigen Erik, kennt das nur zu gut: O-Ton Ute Haupt Das Kind kommt in den Kindergarten. Ist aber sprachlich deutlich weiter. Das heißt, das Kind berichtet zu Hause: Mama, die Kinder verstehen mich nicht. Und ich weiß überhaupt nicht, was die eigentlich wollen. Das Kind separiert sich also, die Sozialisation der anderen Kinder läuft weiter, aber das Kind spielt ja immer für sich. Das heißt, da geht eine Schere auf, was Sozialisation ausmacht. Geistig sind sie aber so weit, dass sie sich an Sechst- und Achtklässler ranhängen, was jetzt die Sprachfähigkeit zum Beispiel betrifft. Dann kommt dieses Kind in die Schule, sozial ist es vielleicht bei vier oder fünf Jahren. Aber geistig vielleicht bei 16, 17 Jahren. Dass diese Kinder anecken, leuchtet ein. Seitdem Erik die OKO Schule besucht, hat sich einiges verbessert. Er hat Freunde gefunden, das Lernen macht ihm Spaß. Er schreibt gute Noten. Inhaltlich orientiert sich die OKO an den Hamburger Bildungsplänen. Das war eine der Voraussetzungen, die Gabriele Hartl und ihr Mann erfüllen mussten, um von der Schulbehörde die Genehmigung für die Private Lehreinrichtung zu erhalten. Eine gesonderte Schule für hochbegabte Kinder - die Idee stieß anfangs auf Ablehnung bei den Beamten. Dabei gibt es durchaus staatliche Schulen in Hamburg, die entsprechende Konzepte haben, um besonders und hochbegabte Kinder fordern und fördern zu können. Die sogenannten Schmetterlingsschulen zum Beispiel. Grundschulen von Klasse 1 bis 4, die sich zum Ziel gesetzt haben, die besonderen Begabungen von Kindern zu entdecken und zu fördern. Dafür haben sich Lehrkräfte extra fortbilden lassen. Doch KEINE dieser Schulen hat spezielle Hochbegabten - Klassen. Eine weitere Möglichkeit ist das Drehtür-Modell: Einige Schulen bieten an, dass Schüler - wenn sie in einem Fach besonders weit sind - am Unterricht einer höheren Klasse teilnehmen können oder für längere Zeit vom Unterricht befreit werden, um selbständig an einem selbstgewählten Thema zu arbeiten. Dass Kinder eine Klasse überspringen, ist ebenfalls möglich. Separate Schulen eigens für Hochbegabte lehnen Bildungsexperten wie Thomas Trautmann, Professor an der Universität Hamburg, ab. Auch und vor allem, weil die Kinder ihre Klassen meist nicht verlassen wollen, an die sie sich gerade gewöhnt haben. Sie wollen nicht anders sein als die anderen Kinder. O-Ton Prof. Thomas Trautmann Ich glaube, dass die Hochbegabten - wer auch immer das eigentlich ist, jeder Hochbegabte ist ja wirklich anders - dass die einfach auf dem Boden der Tatsachen bleiben müssen. Die haben es immer mit 98 sogenannten durchschnittlich Begabten zu tun. Also: Ne Segregation hochbegabter nur und ausschließlich unter sich, das halte ich für lebensfremd. Man tut den Leuten dann auch keinen Gefallen. Anders sieht er es im Fall der OKO Talent Schule. Für Kinder mit schulischen Minderleistungen scheint sie genau das Richtige zu sein. Denn: O-Ton Thomas Trautmann Die sind hochbegabt. Aber stehen in schulischer Ausbildung einfach jenseits einer Grenze, die verhandelbar ist. Und OKO fängt sie nicht nur auf, sondern dreht auch das ganze Prinzip der Beschulung. Also die Feedbacks, die ich bekomme von den drei Kindern, die auf OKO gehen und von meinen Studierenden begleitet werden, die sind einfach unglaublich. Einzelne Bundesländer haben staatliche Schulen gegründet, an denen Hochbegabte explizit gefördert werden. Zum Beispiel die Landesgymnasien Schwäbisch Gmünd in Baden-Württemberg oder Sankt Afra in Sachsen. Privatschulen mit Schwerpunkt auf Hochbegabtenförderung sind etwa die Brecht-Schule in Hamburg oder die Christopherusschulen in Braunschweig, Rostock und Königswinter, diese allerdings sind kostenpflichtig. So wie die OKO Talentschule übrigens auch. Die monatliche Gebühr pro Schüler beträgt bis zu 250 Euro. In besonderen Fällen kann Eltern das Schulgeld erlassen werden - die OKO hat dafür einen extra Fond eingerichtet. Atmo Schule Unterricht Zurück zum Unterricht mit Deutschlehrer Harald Gebhardt. Josef von Eichendorffs "Aus dem Leben eines Taugenichts" - nichts, was die Jungs vom Hocker reißt. Doch die 12 und 13jährigen arbeiten mit, sind auch nach 60 Minuten noch relativ aufmerksam. Atmo OTon Also, der Liedtext ist unbeschwert. Es geht über seine Liebe zur Natur. Ja guck, der hat über das Lied was gesagt... das ist doch die Aufgabe, dachte ich. Eigentlich ja. Und es geht auch in zwei Sätzen, sehen sie... Es wird viel diskutiert - auch und vor allem, wie eine Aufgabe zu lösen ist. Aber gerade das gehört dazu. O-Ton Finn Also es ist jetzt wesentlich besser, weil ich schreibe auch viel bessere Noten. Und der Unterrichtsstoff ist auch besser, weil es ist jetzt auch nicht mehr so langweilig und einfach. Kinder, die früher als Underachiever in Regelschulen scheiterten, blühen hier auf. Das Konzept der OKO Talent Schule scheint aufzugehen.