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Ihr Hafen war neben Alexandria der wichtigste im Nahen Osten. ?Yafo Yefat Hayamim?, so nennen Jaffas jüdische Bewohner den Ort: Jaffa, die Schönste der Meere. Die arabischen Einwohner nennen die im Unabhängigkeitskrieg von 1948 zu drei Vierteln zerstörte Stadt ?Braut Palästinas? oder ?Land der Fremden?. In den Häusern der vertriebenen Araber siedelten jüdische Einwanderer aus ganz Europa. Die meisten Immigranten haben dieses erste Zuhause in der fremden Welt längst wieder verlassen. Als wir die Mahmoudia Moschee und den Glockenturm erreichen, bitte ich den Taxifahrer anzuhalten. ATMO Straßengeräusche, Musik und Stimmen ERZÄHLERIN Ich will zu Fuß durchs Nadelöhr nach Jaffa gehen. Ein steinerner Torbogen. Die breite Küstenstraße verengt sich zur Yefet Straße. Wege zweigen ab zum Shuk Hapishpeshim, dem alle Tage geöffneten Flohmarkt, zur Altstadt, zum Hafen. Die Bäckerei Abulafia ist nicht zu übersehen. Neonreklame über drei langen Tresen. Verkauft wird rund um die Uhr, direkt am Bürgersteig. Auch spät abends stehen die Leute Schlange, und weil viele ihre Bagels und Halva auf der Stelle verzehren, bilden sich Menschentrauben auf der Straße. Die Vorbeifahrenden stören sich nicht daran. Mein Ziel ist das Café Yafa. Der Weg ist nicht weit. Keine 400 Meter, vorbei an konfessionellen Schulen, die Franzosen, Italiener und Griechen hier einst gegründet haben und die noch immer von den Kirchen in Europa verwaltet werden; vorbei an verwitterten Villen, die vom einstigen Reichtum der Stadt am Meer zeugen; vorbei auch an der trutzigen Luxus-Wohnanlage Andromeda. ATMO Café, Frauenstimmen, Geschirrklappern ERZÄHLERIN Der Eingang zum Café ist schmal. Dennoch ist der Raum licht. Türkisgrüne Wände, Holzboden, acht Tische. Zwei sind besetzt von Frauen, die lebhaft miteinander reden. Eine ältere Frau schreibt auf einem Laptop, ein Liebespaar frühstückt. Ich bin mit Dinah verabredet. Sie hat das Café im Mai 2003 zusammen mit einem arabischen Partner gegründet. Weil es in Jaffa keine arabische Buchhandlung gibt, haben die beiden auf eigene Kosten ein paar hundert Bücher in arabischer und hebräischer Sprache in die Regale gestellt. Dinah ist eine zerbrechliche Schönheit. Ende vierzig, Sommersprossen. Enge Hosen, darüber ein Kleidchen. Ihr Schritt schwankt kaum merklich. Sie begleitet mich zu einem freien Tisch. ATMO Frauenstimmen im Café O-TON Dinah Creating to myself a source of living? 1. SPRECHERIN Ich musste etwas haben, wovon ich leben kann. Ich war schon in einem Alter, in dem es zwecklos ist, sich auf dem Arbeitsmarkt zu bewerben. Außerdem hatte ich zehn Jahre lang nicht gearbeitet. Ich habe auf Haiti gelebt und vorher im Norden Israels, in einem verlassenen Haus in den Bergen. Ich bin mehrmals sehr krank gewesen, ich hatte kein Vertrauen mehr, Arbeit zu suchen, aber den Wunsch, etwas zu tun. Was ich ziemlich sicher wusste, ist, dass ich gut kochen und Dinge arrangieren kann. Erst wollte ich eine Buchhandlung und ein Café mit einer Freundin eröffnen, die ich noch von der Friedensbewegung Tayush kannte. Wir sind in den Sinai gefahren, um unsere Pläne zu diskutieren. Als wir zurückkamen, waren die Räume, die wir mieten wollten, schon vergeben. Eine arabische Bekannte erzählte mir, dass ihr Bruder auch mit dem Gedanken spielte, ein Café mit Büchern und Internet aufzumachen. Meine Freundin stieg aus, und ich habe die Idee mit Michel verwirklicht. ...I stayed with Michel. ATMO Stimmen im Hintergrund, Café ERZÄHLERIN Michel wohnt im Nachbarort Ramle. Dina führt das Café tagsüber, Michel kommt abends. Als sie bauten, sprach sich das in Windeseile herum. Die Leute registrieren jede noch so kleine Veränderung, sagt Dinah. O-TON Dinah A man who was retired already passed one day early ? 1. SPRECHERIN Ein Mann, er war schon in Rente, kam eines Tages früh am Morgen vorbei. Er sah, wie Michel versuchte, etwas an der Außenwand zu befestigen. Michel ist nicht gerade ein begnadeter Handwerker. Der Mann sagte: Also, das sollten Sie besser anders machen. Geben Sie mir den Hammer, ich mach das schon. Und von da an kam er jeden Morgen zwischen fünf und sechs, um die Baustelle so herzurichten, dass die Arbeiter später sofort loslegen konnten. Er hat sich um all diese kleinen Dinge gekümmert. Und natürlich hat er kein Geld von uns angenommen. Genauso wie Youssef Asfour. Er ist Historiker. Wir kannten uns schon von früher. Zu unserer Eröffnungsfeier hat er ein traditionelles Gericht aus Linsen und Bulgur mitgebracht. Es heißt Moudjadera. Und es war einfach köstlich. Von dem Tag an hat Youssef einen Monat lang jeden Morgen eine große Schüssel Moudjadera bei uns vorbeigebracht. Wir waren so durcheinander in der Anfangszeit, und es hat uns sehr geholfen, dass wir wenigstens ein traditionelles Essen, das gut schmeckt und wenig kostet, anbieten konnten. Jeden Morgen hat er es für uns gekocht. ...to serve our guests. MUSIK Bustan Abraham: ?Pictures through the painted window?, Nada productions 1994, Track 8 ERZÄHLERIN 45 000 Einwohner hat Jaffa. Das Leben aber hat dörflichen Charakter. Es gibt keine Supermärkte. Man geht zum Händler an der Ecke. Sami Abu Schade, der jeden Tag einmal bei Dinah vorbeischaut, hat 300 Verwandte in Jaffa. Jeder läuft jedem fast täglich über den Weg, aber wenn man sich zu einem Familienfest trifft, erzählt Sami, dann fallen sich die Verwandten um den Hals, als hätten sie sich ein Jahr lang nicht gesehen. Ein Riesentheater. ATMO Geräusche im Café O-TON Dinah Before the opening I made a lot of phone calls? 1. SPRECHERIN Vor der Eröffnung habe ich jede Menge Leute angerufen, Kontakt zu Zeitungen aufgenommen und all das. Und Michel verschwand plötzlich. Als er abends wieder auftauchte, fragte ich ihn: Wo warst du bloß den ganzen Tag? ?Na, ich habe die Einladungen zur Eröffnungsfeier vorbeigebracht.? Ich habe ihn dann gefragt, ob er schon mal was von der Post gehört hätte. ?Aber nein, so geht das nicht in unserer Kultur, das ist nicht meine Art.? Er hat alle Einladungen persönlich überreicht, saß bei den Leuten und trank Kaffee. 600 Leute sind gekommen! ...want to take part of it. ERZÄHLERIN Dinah ist schon vier Jahre vor der Eröffnung des Cafés mit ihrer Tochter nach Jaffa gezogen. Anders als viele jüdische Israelis, die wie sie in Jaffa wohnen, schickt sie ihre Tochter auf eine der hiesigen Privatschulen und nicht auf ein jüdisches Gymnasium in der Innenstadt von Tel Aviv. Sie will, dass ihre Tochter mit Muslimen, Christen und Juden gemeinsam unterrichtet wird. Manchmal geht die Tochter in das neu gegründete Frauenhaus am Ende der Yefet Straße. Dort treffen sich nach der Schule die jungen Mädchen, sitzen im Hof, trinken Tee und reden mit der Sozialarbeiterin Leora. Zweimal die Woche kommt Shuki Zikri, Tel Avivs bekanntester und teuerster Modefriseur ins Frauenhaus. Er arbeitet hier zu einem Zehntel des üblichen Preises. Seine Einnahmen spendet er. Der smarte Shuki Zikri wirkt wie ein Magnet. Dinah erzählt, sie verlasse Jaffa nur noch selten. Ab und zu besucht sie ihre Familie in Jerusalem. O-TON Dinah Living in Israel, especially in the last few years? 1. SPRECHERIN In Israel zu leben, insbesondere in den letzten Jahren, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass es die Besatzung gibt, das ist etwas, was ich nicht aushalten kann. Ein Konzert zu hören, in die Oper zu gehen ? meine Mutter hat mich neulich dazu eingeladen -, all diese schönen Leute zu sehen, die sich da versammeln... Beim Hinausgehen dachte ich nur: All die Leute hier, wenn die einfach mal den Mund aufmachten und ein deutliches Wort über unsere Wirklichkeit verlören, vielleicht würden wir dann in anderen Verhältnissen leben. Ich kann mit dieser Trennung nicht leben und so tun, als gäbe es nur mein Leben. ...as if we have our own lifes. ATMO Geschirrklappern, Schritte im Café ERZÄHLERIN In Dinahs Leben hat es Einschnitte und Brüche gegeben. Dass sie jahrelang für eine große Textilfirma den Einkauf von Rohfasern besorgt hat, kann ich mir nur schwer vorstellen. Sie scheint wie verwachsen mit dem Café und seinen Besuchern. Ich frage Dinah, ob sie einen roten Faden in ihrem Leben sieht. O-TON Dinah I am leading myself to be more and more in contact? 1. SPRECHERIN Ich bringe mich dazu, immer dichter an die Wirklichkeit heranzugehen, mich ihr auszusetzen. Die Wirklichkeit, das ist die Besatzung, das ist der Preis für Essen, für Kaffee, alles, was wir zum Leben brauchen. Auch aus persönlichen Gründen war es wichtig, hierher zu kommen und die Füße auf die Erde zu setzen, sich zu erden. ?to be grounded. MUSIK Aviv Geffen, Track 5 ATMO Cafégeräusche ERZÄHLERIN Yudit ist Stammgast im Café Yafa. Sie ist Fotografin. Alleinstehend. Erledigt ihre Schreibarbeiten am Cafétisch, unterhält sich und ist immer bereit zu einem kleinen Spaziergang durch die Nachbarschaft, deren Veränderungen sie mit der Kamera festhält. O-TON Yudit When I moved to Jaffa it was obvious to me... 2. SPRECHERIN Als ich nach Jaffa zog, war klar, dass ich nicht in einem Haus wohnen würde, dessen Besitzer enteignet wurden. Ich wollte mich wohl fühlen können. Natürlich ist die Altstadt wunderschön, aber da zu wohnen hat etwas Kolonialistisches. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Tag in Jaffa. Es war ein Freitag, absolutes Chaos im Haus, und plötzlich hörte ich die Rufe des Muezzins aus der Mahmoudia Moschee. Ich fühlte mich auf einmal zu Hause und merkte erst da, dass ich auch in Jerusalem den Muezzin immer gehört hatte. In Tel Aviv habe ich das vermisst. Es ist so eine Art Hintergrundgeräusch. Als ich es plötzlich wahrnahm, dachte ich: Jetzt bist du zu Hause! Am nächsten Morgen habe ich mir bei Abulafia etwas zu essen gekauft. Es war die Ramadan-Zeit. Jemand hatte im Hof ein Schaf geschlachtet. Ich bin Vegetarierin. Und überall floss Blut. Nicht einfach hinzuschauen, aber sei?s drum, es ist Teil einer Kultur, eines Festes. Ich wurde zum Essen eingeladen. ...and they invited me. ATMO Cafégeräusche ERZÄHLERIN Yudit lebt seit acht Jahren in Jaffa und seit längerem in Adjameh. Dieses Viertel ist zu 80 Prozent von arabischen Israelis bewohnt. Fast die Hälfte der Einwohner von Jaffa lebt von Sozialhilfe; in Adjameh jeder dritte. Die Kriminalitätsrate ist hoch. Der Drogenhandel floriert. Meist werden nur die jugendlichen Kuriere erwischt, in irgendeiner der vielen kleinen Straßen, die in eine Brache münden. Dunkle, öde Flecken. Den Einwohnern Tel Avivs jagen sie Schauder über den Rücken. Die Ängste der Juden vor den Arabern sind aus Yudits Sicht völlig überzogen. O-TON Yudit Sometimes people come to visit me and they call? 2. SPRECHERIN Manchmal, wenn mich Leute besuchen, rufen sie, kaum sind sie da, schon zu Hause an, um zu sagen, dass sie sicher angekommen sind. Es ist lächerlich. Das Viertel, in dem ich lebe, ist wunderschön, aber es gibt eben jede Menge sozialer Probleme. Es kam auch zu Schießereien auf der Straße, das stimmt. Es hat immer etwas mit Drogen zu tun oder mit der Ehre. Vor drei Wochen wurden zwei Leute umgebracht. Einer wurde erschossen, weil er vor Jahren als Belastungszeuge in einem Strafprozess ausgesagt hatte. Die Leute hier haben ein gutes Gedächtnis. Er hatte einige Zeit im Ausland gelebt und war zurückgekommen, weil er glaubte, es würde ihm nichts mehr geschehen. Aber es war eben nicht so. Wenn man die Gesetze der Nachbarschaft kennt, dann überrascht es einen nicht. Es ist am frühen Morgen passiert, in der Yefet Straße, in einem kleinen Laden, in dem er häufig Falafel aß. Um acht Uhr morgens haben sie ihn erschossen. ?at eight o?clock in the morning. ATMO Schritte, Auto, Männerstimmen, Yudit: This is where the murder happened? ERZÄHLERIN Es ist ein drei Meter breiter, unauffälliger Laden. Ich frage Yudit, ob die Leute denn über das Verbrechen reden, ob sie die Polizei einschalten. 2. SPRECHERIN Der Polizei erzählt keiner etwas. Niemand hat etwas gesehen oder gehört. Ich gebe der Polizei in Jaffa auch keine Auskünfte. Das kann man nicht, wenn man hier lebt. Es ist Teil des Problems, aber... ATMO Musik, Bauarbeiterstimmen, Autos, Schritte ERZÄHLERIN ...aber wenn man hier unbehelligt bleiben will, erzählt man niemandem von dem, was einen beunruhigt. Yudit unterscheidet zwischen Unterdrückten und Unterdrückern. Dazwischen gibt es keine Grauzonen. Sie hat sich, wie auch Dinah, bewusst für ein Leben in arabischer Nachbarschaft entschieden. Sie bewegt sich frei, aber um den Preis, dass sie als Jüdin keinen Konflikt heraufbeschwört. Wir biegen in eine Seitenstraße ein. Nach hundert Metern stehen wir auf einem sandigen Platz. Tiefe Kuhlen, Wasserpfützen. Zwei Esel laufen frei herum. Ein Junge ahmt die Schreie nach. Wäsche auf der Leine. Unfertig aussehende Häuser, manche mit Wellblechdächern. Das sind die Häuser, sagt Yudit, auf die ohne Baugenehmigung ein Stockwerk mehr gesetzt wurde. Falls man die Besitzer zwingt, es wieder abzutragen, lässt sich wenigstens das Dach leicht entfernen und das Material retten. Vor einem Haus stehen auffallend viele Tonnen, Latten, Radkappen, Regenrinnen, Stöcke, schmale Eisenträger und Bleche. Wie hingeworfen. Doch sie dienen als Zaun. Der Schrott markiert die Grenze des Grundstücks. Ein Provisorium, aber jedes Ding nützlich. Um Land wird in Jaffa gestritten und prozessiert. Eine Drei-Zimmer-Wohnung in einem der alten Fischerhäuser am Strand kostet 200 000 Dollar. So bleiben auch ruinöse Bauten wertvoller Besitz. Yudit führt mich zu einem Haus, das sie ?das Puppenhaus? nennt. Die Rückseite ist von einem Eisenzaun umschlossen. O-TON Yudit You see, this is the dolls house. You can enter from the other side? ERZÄHLERIN Einer Hälfte des Hauses fehlt die Außenwand. Es wirkt wie aufgeschnitten. Verblichene Fresken schimmern durch den Putz. Das Haus steht unter Denkmalschutz und wird nach und nach restauriert. Yudit kennt die Besitzerin. Sie will fragen, ob deren jüngste Tochter mir die gesperrten Räume zeigen mag. ATMO Türklopfen, Wortwechsel, Eintreten ins Haus ERZÄHLERIN Wie selbstverständlich führt uns die über 60-jährige jüngste Tochter des Hauses durchs das Wohnzimmer zur Baustelle. Mindestens zehn Schlüssel hängen an einem schweren Bund. O-TON Yudit This also is a beautiful ceiling? 2. SPRECHERIN Die Decke ist wunderschön, mit Früchten verziert, nur leider sehr beschädigt. Die große Wassermelone, Trauben, Feigen, Ähren, Datteln. ATMO hoch Stimme der Tochter 2. SPRECHERIN Sie sagt, das Haus sei 140 Jahre alt. ATMO Wortwechsel Yudit / Tochter ERZÄHLERIN Die vier Meter hohen Räume werden wieder abgeschlossen. Man weiß nicht so recht, ob die Decke überhaupt gesichert werden kann. Kaum jemand beherrscht noch die alten Bautechniken. Die Hausherrin ist über 90. Sie sitzt, von Kissen gestützt, im Bett. Kruzifix und Marienbild an der Wand. Daneben eine Fotografie, die sie als junge Frau zeigt, in einem prachtvollen Kleid, lässig ausgestreckt auf einem Diwan. ATMO Wortwechsel Yudit / Frauen ERZÄHLERIN Der Fernseher läuft leise. Die Tochter reicht uns einen Teller mit gefüllten Weinblättern. ATMO Abschiedsworte ERZÄHLERIN Wir verabschieden uns von den zwei Damen im Puppenhaus. Keine 200 Meter weiter liegt der Strand. Doch der direkte Zugang wird durch einen breiten kilometerlangen Wall aus Bauschutt versperrt, den man hier ?giv?at azevel? nennt, ?Müllberg?. Es sind die Reste jener Häuser, die 1948 während des Krieges und in den unmittelbaren Jahren danach abgerissen wurden. ATMO Schritte, Musik aus dem Hausinnerem, Gänse, Flugzeuggeräusche ERZÄHLERIN Unkraut wächst auf dem immensen Plateau. Vier Gänse schnattern in einer Mulde. Als wir ihnen zu nahe kommen, beginnen sie plötzlich mit den Flügeln zu schlagen. Sie fauchen und schnappen nach unseren Beinen. Wir fliehen. Hundert Meter weiter bücken wir uns nach Bruchstücken von Fliesen, die aus dem Boden ragen. Der Wind weht heftig. Yudit erzählt, dass die US-amerikanische Armee während des Zweiten Golfkrieges auf dem Schuttwall ein Camp eingerichtet hatte. ATMO Schritte, LKW-Geräusch, Schritte auf trockenem Gras O-TON Yudit They had all this Patriot-missiles located here ? 2. SPRECHERIN Sie hatten hier alle diese Patriot und Missile-Raketen deponiert. Jeden Morgen um sieben haben sie dann laute Militärmusik gespielt. Als ich das zum ersten Mal hörte, klang es ziemlich unheimlich, und es hat eine Weile gedauert, bis ich begriff, dass mit dieser Musik die Soldaten geweckt wurden. ...the wake-up call of the American soldiers. ATMO Leise Straßengeräusche, Hupe, Vögelzwitschern ERZÄHLERIN Yudit gehört einer Bürgerinitiative an, die von der Stadtverwaltung fordert, dass der Wall abgetragen und der Schutt verwertet wird. Sie vermutet, dass dafür das nötige Geld nicht bewilligt wird. Den Wall mit Büschen und Bäumen zu bepflanzen, sei aber nur die zweitbeste Lösung. Jaffa ist die älteste Hafenstadt der Welt. Die Leute wollen nach mehr als 50 Jahren endlich wieder einen freien Zugang zum Hafenbecken, und sie wollen das Meer auch wieder sehen können. Yudit hat den Kopf voller Anekdoten, die sich um Häuser und deren Bewohner ranken. Zurück im Café Yafa erzählt sie eine Geschichte aus den 70er Jahren, aber so, dass man glauben möchte, sie hätte sich erst kürzlich zugetragen. ATMO Hintergrundgeräusche im Café O-TON Yudit On each floor there are families? 2. SPRECHERIN Auf jeder Etage lebten drei Familien: Palästinensische Christen, palästinensische Muslime und eine jüdische Familie. Die Mütter waren miteinander befreundet, sie waren gleichaltrig. Die Kinder fühlten sich überall zu Hause und schliefen da ein, wo sie gerade müde wurden. Als die Christin einen Sohn zur Welt brachte, haben sich die Muslimin und die Jüdin ziemlich aufgeregt, denn sie wollte den Jungen nicht beschneiden lassen. Weil sie aber überzeugt waren, dies sei gut für das Kind, sind sie zu einem Mohel gegangen. Der Mohel beschneidet sehr häufig auch nichtjüdische oder muslimische Kinder. Als die Nachbarin etwas zu erledigen hatte, versprachen sie ihr, auf das Baby aufzupassen. Sie haben aber sofort den Mohel gerufen, damit er die Sache schnell erledigt. Aus irgendeinem Grund kam die Mutter früher als erwartet zurück, und die Frauen sagten, sie wüssten nicht, wo das Kind sei. Die Christin rannte auf die Straße hinaus und schrie: Man hat mein Baby entführt. Sie war außer sich. Der Mohel kapierte, dass er sich beeilen musste, er legte den Verband an und verschwand durch eine Hintertür. Die Frauen gingen hinunter auf die Straße und riefen: Wir haben das Kind gefunden. Es schreit. Es hat Schmerzen. Natürlich hatte die Mutter begriffen, was geschehen war. Anfangs war sie sehr wütend. Später hat sie ihnen verziehen, und sie waren wieder gute Freundinnen. Wenn man sich mit den Leuten unterhielt, dann spürte man, dass sie viel Zuneigung füreinander empfanden. Alle waren arm, hatten es nicht leicht, aber sie waren Nachbarn. Ihre Beziehungen zueinander waren ziemlich gut. ...the daily relationships were quite good. MUSIK Bustan Abraham: ?Fahar?, Track 3 ERZÄHLERIN Ich bin mit Mary Copti in ihrer Mittagspause verabredet. Sie hat sieben Jahre lang eine Schule der Griechisch-Orthodoxen Kirche in Jaffa geleitet. Mary ist Katholikin. 2004 startete sie ein bis dahin einzigartiges Projekt: Sie wollte, dass ihre Schüler die Geschichte des Ortes erkunden, auf Rundgängen, aber vor allem durch Fragen an die Älteren. Zeitzeugen sollten die Lücken der Geschichtsbücher füllen und von der Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948 erzählen. Etwa 100 000 flohen damals, 3800 blieben in Jaffa. Doch dann kam aus Athen der Entlassungsbrief für Mary Copti. Als Grund nannte die Kirchenleitung ihre Weigerung, Griechisch als Schulfach einzuführen. Sie hatte Arabischunterricht gefordert und hielt es für aussichtslos, die Kündigung anzufechten. Jetzt sitzt sie im ersten Stock eines langgestreckten Hauses, dessen Wände in Sienarot leuchten. Mary Copti hat am 1. September 2004 die Arabisch- Demokratische Schule in Jaffa gegründet. O-TON Mary When they gave me this letter I told the parents... 1. SPRECHERIN Als ich die Kündigung erhielt, habe ich die Eltern verständigt. Sie wollten für mich kämpfen. Aber wenn du wirklich gehen musst, sagten sie, dann gehen wir mit. Mit dir zusammen können wir eine andere Schule aufbauen. Da habe ich meinen Erfolg gesehen. Die Entscheidung haben wir gemeinsam getroffen, die Eltern, ich und der Bürgerverein ?Rabita?. Die Lehrer sind mit mir gekommen. Das gab mir Kraft. Schon zwei Wochen später konnten wir sagen: Wir eröffnen eine neue Schule. Wer will, kann kommen. An der Orthodoxen Schule haben wir uns natürlich auch an demokratischen Prinzipien orientiert, aber jetzt sagen wir: Wir sind eine demokratische Schule. Eine arabische Schule, in der die erste Unterrichtssprache Arabisch ist. Die Schüler sollen lernen, unabhängig zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Hier habe ich mehr Mut, meine Standpunkte zu vertreten, sie nicht irgendwie unterzumogeln, sondern mich hinzustellen und zu erklären: Das ist meine Meinung. Wir haben die Schule mit 160 Kindern eröffnet. Es war unglaublich. Wirklich ein Traum. Pädagogik-Studenten aus einem Kibbuz-Seminar, die vorher schon zwei Jahre an der alten Schule mit mir gearbeitet hatten, waren noch mehr schockiert über meine Entlassung als ich selbst. Der Seminarleiter unterstützt uns heute sehr. Er schickt Praktikanten. Auch die Professorin, bei der ich in Jerusalem studierte, hilft uns, wo sie nur kann. Mitarbeiter des Bürgervereins sprachen die wohlhabenden Familien in Jaffa an und erklärten ihnen, dass wir mehr als nur moralische Unterstützung brauchen. Viele haben daraufhin Geld gespendet. Der Geldmangel ist im Moment unser einziges Problem. ...our still problem is only now the money. ERZÄHLERIN Mary ist zuversichtlich. Sie ist stadtbekannt. Der Apotheker in der Yefet Straße nennt sie ?ein Phänomen?. Mary, die Hoffnungsträgerin mit den weichen Gesichtszügen, unbeugsam und erfinderisch. Dass unverhältnismäßig viele arabische Mädchen in Jaffa die Schule abbrechen, quält sie. Dass ein arabischer Mann, der wegen Misshandlung seiner Ehefrau verurteilt wurde, weiter als Schuldirektor im Amt bleiben kann, empört sie maßlos. Ihr Kettenanhänger fällt mir auf. Den hat ein Silberschmied nach dem Emblem gefertigt, das der palästinensische Künstler Nagil Ali verwendet. O-TON Mary When he draws he draws the problems of... 1. SPRECHERIN Wenn er zeichnet, dann geht es immer um die Probleme der Palästinenser. Und anstatt die Blätter mit seinem Namen zu signieren, wählte er diese Figur. Es ist ein Kind, dessen Hände hinter dem Rücken gekreuzt sind. Es schaut. Es sieht die Not der Palästinenser, kann aber nichts tun. Das palästinensische Kind versteht die Probleme, ist aber noch schwach. Ich trage diesen Kettenanhänger, weil wir darauf vertrauen, dass dieses Kind die Hände von seinem Rücken löst und etwas zu tun beginnt. ...and let him do something. ATMO Kinderstimmen ERZÄHLERIN Kinder schwirren durch den Flur, als ich mich von Mary Copti verabschiede. Später bin ich mit ihrem Sohn Scandar verabredet. Am Vortag saßen Yudit und ich auf einer niedrigen Mauer neben einer Bäckerei, aßen hauchdünnes, warmes, mit Kräutern bestreutes Brot, als Scandar zufällig vorbei kam. Yudit und er kennen sich flüchtig. Sie erzählte ihm, dass ich seine Mutter treffen werde. Warum nicht auch dich? Ja gut, hat er gesagt, treffen wir uns im Café Puah am Flohmarkt. Morgen Abend um sechs. MUSIK Po be Yafo MUSIK Aviv Geffen, Track 12 ERZÄHLERIN Das Café Puah hat etwas vom Charme der 70er Jahre: gediegenes altes Mobiliar, zusammengewürfelt, dunkle Teppiche, auf jedem Tisch wachsbeträufelte Leuchter, gleitende Soul- und Popmusik im Hintergrund. Alles gedämpft. Draußen vor der Tür kann man in plüschigen Sofas versinken. Scandar ist 29. Lustige Augen. Sehr selbstbewusst. Er erzählt mir als erstes, dass er Schlagzeuger in einer Punkband war. Das Jerusalemer Internetradio ?All for peace? spielte ihre Musik. Heute ist er Ingenieur und jobbt als Mathematiklehrer, um sein Zweitstudium zu finanzieren. Scandar will Filme drehen. Ganz beiläufig erwähnt er, dass er als Assistent bei Eran Rickles gearbeitet hat, als der auf den Golanhöhen den Film ?Die syrische Braut? drehte. Das Melodram gewann auf Festivals in Europa etliche Preise, in Israel war es ein Kassenschlager. Der Erfolg beflügelt. Scandar hat mit einem jüdischen Freund sein erstes Drehbuch geschrieben. Französische und kanadische Koproduzenten stehen bereit. Wenn die israelische Filmstiftung Fördermittel gewährt, können die Dreharbeiten beginnen. O-TON Scandar One guy ? his family is in trouble because another? 1. SPRECHER Im Mittelpunkt steht ein junger Mann, dessen Familie wegen einer anderen Familie aus Beer Sheba in der Negev-Wüste in Schwierigkeiten gerät. Diese Leute verlangen Geld, denn ein Mitglied ihrer Familie wurde von dem jungen Mann erschossen. Nun muss er Geld beschaffen, damit das Morden aufhört. In arabischen Familien werden die Blutsfehden meist mit Geld geschlichtet. Dann kommt ein anderer Junge ins Spiel. Aus Hebron, das heißt er lebt illegal in Israel. Er ist siebzehn Jahre alt und arbeitet in einem Restaurant. Es ist kompliziert nachzuerzählen, aber worauf unsere Geschichte hinausläuft, ist dies: Es ist unmöglich, über jemand anderen zu urteilen, wenn wir nicht wissen, woher der andere kommt und wie er die Dinge sieht ...and how he sees the things. ATMO Cafégeräusche im Hintergrund ERZÄHLERIN Scandars Beschreibung erinnert mich an den Film ?Rashomon? des Japaners Akira Kurosawa. Vier Reisende suchen in einer Tempelruine Schutz vor dem Monsun. Sie erzählen von einem Verbrechen. Vier Menschen, vier Versionen. Unmöglich, zu sagen, wer von ihnen die Wahrheit spricht. Die Frage nach der Wahrheit stehe auch bei ihnen im Raum, stimmt Scandar zu, aber sie erzählten von den Motiven, sie schauten auf das Umfeld der Handelnden. O-TON Scandar In periods of my life I lived in the streets? 1. SPRECHER Es gab Phasen in meinem Leben, da war ich die meiste Zeit auf der Straße. Mit kriminellen Sachen hatte ich nie was zu tun, weil ich aus einer guten Familie komme, zur Schule ging, studieren konnte, aber ich war trotzdem fast nur draußen. Ich kenne die Geschichten. Wenn ein Jude jemandem Unrecht tut, dann kommt bei uns allen Wut auf, egal, ob du dich in einer kriminellen Szene bewegst oder nicht. Für mich verkörpert die Polizei auch nur eines: die jüdische Besatzung. Nichts weiter. ...Jewish occupation. Nothing more. ERZÄHLERIN Scandar wirkt nicht so, aber er sagt, er sei müde vom Argumentieren. Als Palästinenser in Israel geboren zu sein, heißt für ihn ganz einfach: Pech gehabt. O-TON Scandar I look at it as if I was a blind guy? 1. SPRECHER Ich schau mir das an wie einer, der blind geboren wurde. Was kann der schon sagen? Er wurde eben so geboren. Es ist sein Schicksal, seine Sprache. Das klingt pessimistisch. Ich bin 29 Jahre alt und sehe, dass ich nichts ändern kann. Ich bin ein kleines Rädchen in dieser Welt. Ich habe kein Glück gehabt, als ich geboren wurde. Ich nehme es hin und versuche, das Beste daraus zu machen. Ich sage nicht, dass sie mich gebrochen haben oder dass ich keine Kraft mehr habe zu kämpfen. Ich habe jetzt ein Maß gefunden. Als Palästinenser in Israel geboren zu sein, ist nicht das Hauptding meines Lebens. Ich schiebe das von Zeit zu Zeit einfach beiseite. Ich versuche, nicht jedem zu sagen, ich habe Recht und du nicht. Niemand hat Recht. Lasst uns versuchen, so gut wie möglich zusammen zu leben, mehr nicht. ...the best way we can and try to, that?s it. ERZÄHLERIN Es amüsiert Scandar, dass er in einer Fernsehserie einen jüdischen Barkeeper mimt. Er mixt Drinks in Eilat, dem Lieblingsbadeort der Israelis. Bevor wir aufbrechen, serviert er mir noch einen neuen Spruch, den er kürzlich ausprobiert hat. Erfolgreich. O-TON Scandar I have a new saying. A girl, a very nice girl? 1. SPRECHER Ein sehr schönes Mädchen hat mich neulich gefragt: Wo kommst du her? Ich habe geantwortet, aus Jaffa. Stimmt, dein Hebräisch klingt auch ein bisschen anders. Ich bin Araber. Sie sagte: Das glaub ich nicht, du siehst überhaupt nicht arabisch aus. Aber sieh mich erst mal nackt, dann weißt du, wie Araber aussehen. Das war lustig. Also, diesen Spruch, den bring ich jetzt. Du siehst gar nicht aus wie ein Araber... Na klar, ich hab ja auch noch meine Klamotten an. Und es funktioniert. Sie lachen. ...and it works. They laugh. MUSIK Arabische Pop-Musik, in einem Laden aufgenommen ATMO Hafen, Wasser ERZÄHLERIN Zvi Yemini lebt in einer bewachten Wohnanlage. In Fußnähe zu Altstadt und Hafen. Fünfzehn Jahre lang haben die Bauunternehmer mit der Griechischen-Orthodoxen Kirche über den Preis des Grundstücks verhandelt und auf das Gutachten der Archäologen gewartet. Die mussten sicherstellen, dass keinerlei Grabstätten unter dem Baugrund verborgen waren. Der kleinste Knochenfund bewirkt den sofortigen Baustopp. Der Andromeda-Wohnkomplex ist die landesweit teuerste Immobilie. In Jaffa wurde gegen den Bau der 150 Luxuswohnungen demonstriert. Die Stadtverwaltung hatte 1996 nach spektakulären Hausbesetzungen in Adjameh versprochen, 400 günstige Mietwohnungen zu bauen. Seither konnten lediglich 22 Familien eine neue Wohnung beziehen. Andromeda ist auch deshalb für viele ein rotes Tuch. Zvi ist Unternehmer, Präsident der Messegesellschaft, Vorstandsmitglied der Universität von Tel Aviv. Ein Bekannter, der in der Wirtschaftsbranche arbeitet, hat mich zu einem Besuch bei Zvi und seiner Lebensgefährtin Naava mitgenommen. Die Tür geht auf, beide in weißem Leinen, barfuss. Händeschütteln und eine einladende Geste. Wohin soll ich zuerst schauen? Schlichter Luxus, lichtgetränkte Räume. Erst einmal hinaus auf den Balkon. ATMO Muezzinrufe aus der Ferne O-TON Zvi There is some physical evidence here? 2. SPRECHER Man kann es mit eigenen Augen sehen, dass sich hier Kulturen mischen. Auf der rechten Seite steht eine Kirche, auf der linken Seite auch eine, die griechische, dort eine Moschee, die französische Schule, eine Schule der Kopten, dann all die Leute. Du bist in Israel, aber fühlst dich als Mensch dieser Welt. Nicht isoliert in einem jüdischen Land mit lediglich einer Kultur. Es ist eine multikulturelle Umgebung, und wir nutzen sie. Ich fühle mich den arabischen Leuten, ihrer Musik, näher als den ultraorthodoxen, frommen Chassiden in Jerusalem. Die sind sehr weit weg für mich. Zeugen einer dunklen Epoche. Vom Balkon aus kann ich einen jüdischen Friedhof sehen. Der ist etwa 150 Jahre alt. Dort sind Leute begraben, die vor 200, 250 Jahren nach Palästina kamen und die ersten Siedlungen gründeten. Die meisten kamen aus Spanien. Sie haben später Orte wie Rishon Lezion gegründet, Binyamina, Zichron Ya?akov. Eine Minute Fußweg von hier entfernt liegt der Hafen, der schon in der Bibel erwähnt wird. Ich fühle, dass er zu meiner Geschichte gehört. Ob jüdisch oder regional, das spielt keine Rolle. ...or regional history, it doesn?t matter. ATMO Hafen, Wellen ERZÄHLERIN Das Hafenbecken ist geradezu winzig. Einzig Fischerboote können dort anlegen. Frachtschiffe werden auf offener See abgefertigt. Fünfzehn Millionen Kisten mit Orangen verließen in guten Exportzeiten pro Jahr den Hafen. Das Geschäft lohnt sich schon lange nicht mehr. Auf dem Grund der ehemaligen Orangenhaine am Rand von Jaffa wachsen Sozialwohnungen in den Himmel. Hohe Türme für die ärmlichen Neueinwanderer und gesellschaftlichen Verlierer. Ich stelle mir einen Augenblick lang vor, wie jüdische Flüchtlinge im Hafen von Jaffa an Land gingen, wie andererseits arabische Einwohner in Fischerboote stiegen, die sie bis nach Gaza brachten. Nur wenige sind von dort in ihren Heimatort zurückgekehrt. Zvi hat sich mit dem Kauf dieser Wohnung einen Traum erfüllt. O-TON Zvi Richard Gere was here on this balcony... 2. SPRECHER Richard Gere hat vor ein paar Wochen auf diesem Balkon gesessen. Nach vier Stunden sagte er: Das ist ein heiliger Ort. Wasser, drei Religionen, ein Friedhof. Hier hätte ich auch gern eine Wohnung. Ich habe ihm eine gezeigt, die zu verkaufen ist. Als er nach dem Preis fragte, habe ich ihm gesagt: Fünf Millionen Dollar. Wie bitte? Das sind ja Preise wie in Manhattan. Stimmt, aber hier lebt man besser als in Manhattan. Hast du in Manhattan etwa diese Aussicht und diese spirituelle Atmosphäre? Es hat ihn überzeugt. Jetzt war er schon vier, fünf mal hier, um sich umzuschauen. Ich erzähle das, weil dieser Ort den Geist anregt. Bei Geschäftstreffen hier zu Hause sagen die Leute am Ende immer: Wir können zu keinem deiner Vorschläge Nein sagen. Es ist so angenehm hier. Wir reden zwei Stunden über Geschichte, Musik, alles Mögliche, und in den letzten fünf Minuten bringen wir die Diskussion über die Geschäfte hinter uns. Das geschieht immer wieder. Vom geschäftlichen Standpunkt aus war es die richtige Investition. Leute kommen und sagen: Wir haben keine Einwände. Wie kann man an einem so wunderschönen Ort streiten? ...argue here in this beautiful place. ERZÄHLERIN Für Zvi ist die Atmosphäre in Jaffa nicht nur anregend. Wenn man ihn reden hört, glaubt man, sie habe geradezu eine läuternde Wirkung. O-TON Zvi I went to hear songs in the old city... 2. SPRECHER Ich habe Musik in der Altstadt gehört, in der St. Peters-Kirche. Ein Mann, der mal für den Shabak ? den israelischen Inlandsgeheimdienst - tätig war, erzählte, er habe plötzlich gespürt, dass er nicht mehr kämpfen wollte. So ist er Sänger geworden und spielt Gitarre. Die Texte der Lieder hat er auf die Wand projiziert. Ungefähr hundert Leute waren in der Kirche, und wir haben zusammen gesungen. Er hat viel von Frieden gesprochen, von Schönheit und Liebe. Hier in Jaffa. Und ich habe zu mir gesagt, wenn selbst solche Leute wie er sich wandeln, dann geschieht der Wandel nicht mit Pistolen und Gewehren, sondern mit Liedern und Kultur. Ein riesiger Wandel. Wir müssen nur diese Generäle, die Israel kontrollieren, überzeugen und die regierenden Politiker, die uns unablässig erzählen, dass wir Feinde haben und dass wir sie töten müssen. ...that we have enemies and that we have to kill them. ERZÄHLERIN Die Entscheidung nach Jaffa zu ziehen, war also auch ein politisches Bekenntnis, denn hier leben 20 000 Araber und 25 000 Juden. Zvi unterstützt vier private Bildungsinitiativen. Seine Lebensgefährtin gibt unentgeltlich Englischunterricht. Beide planen den Aufbau einer Sprachschule. Sie wollen die Luxus-Festung Andromeda öffnen; laden arabische Schüler zu sich ein. Jaffa ist ein Laboratorium. Und Andromeda ist ein Symbol, sagt Zvi. O-TON Zvi Andromeda is a symbol for what can be done in this place, or we leave it? 2. SPRECHER Es zeigt, was möglich ist ? oder wir lassen alles beim Alten, und der Ort verfällt immer mehr. ...and it will collapse. MUSIK Yair ?Al Ol?, Track 3 1