DeutschlandRadio Kultur „Nachspiel“ - 13.5.2007 – 17:30-17:55 Uhr Behinderte in Bewegung Wie Menschen mit Handicaps Sport erleben von Hanns Ostermann Red.: Jörg Degenhardt Musik (über Musik) Autor: Einfach wird die Reise nicht, die wir in den nächsten Minuten unternehmen. Viele von uns haben Probleme, wenn sie Menschen mit zum Teil schweren körperlichen und/oder geistigen Handicaps begegnen. Wir suchen in einer komplizierten Welt Sicherheit. Und dabei helfen uns Schubkästen, Kategorien, um den Alltag besser zu bewältigen. Take 1/Exner Wenn Sie jetzt auf Menschen treffen, die in keine dieser Kategorien passen, müssen wir entweder auf eine neue zurückgreifen oder sie schaffen. Wenn wir sie nicht kennen, ist uns das unangenehm, wir gehen auf Distanz und kriegen Probleme, mit diesen Personen auch umzugehen. Autor: Carsten Exner, 44 Jahre alt und Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt Rehabilitations- und Integrationspädagogik. Er ist Spastiker. Während der Geburt erhielt er zu wenig Sauerstoff. Unser Dilemma sei außerdem, erzählt er: Take 1.2 (Carsten Exner) … dass Behinderung das Unperfekte symbolisiert. Und das in einer Welt, in der es um Leistung und Schönheitsideale geht, ein großes Problem. Und gleichzeitig symbolisieren Menschen mit Beeinträchtigungen… immer auch unsere eigene Vergänglichkeit. Also sie sind, wenn man zuspitzen will, ein Stück weit Symbol für den Tod auch. … Und das macht uns in einer Gesellschaft wie der unsrigen Angst. (über Musik) Autor: Die Tour wird spannend. Sie führt von Parchim in Mecklenburg- Vorpommern über Bethel bei Bielefeld in Ost-Westfalen bis in die Nähe von Greiz in Thüringen. Atmo 1/Parchim (O:18) Hi, komm rein, fürchte dich nicht. Wir beginnen unsere Sportstunde mit einem kräftigen „Sport frei“ über Atmo 1 Autor: Ingrid Dörfer ist eine resolute Frau - um die 60, mittelgroß, nicht mehr ganz schlank. Im Hauptberuf berät sie Vereine für den Kreissportbund. Ehrenamtlich kümmert sie sich immer donnerstags am späten Nachmittag um diese Sportgruppe des SV Einheit Parchim. Take 2 (O:11) Unsere Gruppe ist ganz gemischt, wir haben MS-Kranke, wie haben Querschnittsgelähmte, wir haben Amputierte, wir haben Schlaganfall- Patienten, also eine ganz gemischte Gruppe ist das. Autor: Das Training in der gut ausgestatteten Turnhalle der Berufsschule beginnt so, wie es in vielen Sportvereinen – vor allem im Osten Deutschlands – üblich ist: Take 3 (O:14) Wir beginnen mit der Erwärmung. Alle setzen sich gerade hin, Rücken schön gerade, Brust raus, wer keine hat, hat Pech gehabt… Und wer beginnt heute mit der Erwärmung? Heidi bitte… Autor: Ingrid Dörfer muss nicht lange warten. Schnell meldet sich einer der insgesamt zwölf Teilnehmer: Atmo 2 (O:20) Wir nehmen die linke Hand, legen sie auf die rechte Schulter, drehen den Kopf nach rechts…und ausschütteln. Sehr schön. Und der nächste: Wir drehen den Kopf… Autor: Konzentriert folgen die Frauen und Männer den Anweisungen. Ingrid Dörfer schaut dabei zu, greift nur hin und wieder korrigierend ein: Take 4 (O:24) Wir sind drei Übungsleiter und möchten uns nicht da vorne hinstellen und möchten ihnen was vormachen oder anbieten. Sie sollen sich selber Gedanken machen. Sie sind alle lange genug dabei, dass sie auch wissen, wofür man das macht, was man gerade anbietet und das klappt wunderbar in der Truppe, dadurch fühlt sich auch jeder ein bisschen bestärkt. Das ist toll. Das gefällt uns. Autor: Hilfe zur Selbsthilfe ist eines der Ziele beim SV Einheit Parchim. Durch den Sport sollen die Menschen selbstbewusster werden: Take 5 (O:24) Also wir wollen erreichen, dass sie sich viel mehr zutrauen als sie es tun, dass sie beweglicher werden und wir möchten vor allem auch dieses Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Das ist auch schon passiert. … Wir wollen vor allem alle gemeinsam Spaß haben. Das ist eigentlich das Allerwichtigste. Autor: Und Spaß macht das Training ganz offensichtlich allen. Auch eine Übung, die Konzentration und Geschick erfordert: Ein großes buntes Tuch soll gemeinsam hoch gehalten werden. In der Mitte rollt ein Ball hin und her, der nicht herunter fallen darf. Atmo 3.1 (O:17) Super – ich bin stolz auf euch. Sehr schön. Und jetzt halten wir das Tuch mal ganz straff. Und jetzt versuchen wir diesen Ball in die Mitte zu kriegen. Autor: Einer muss sich auf den anderen verlassen können, sonst funktioniert das Ganze nicht. Die Gruppe schafft es – am Ende bleibt der Ball ruhig in der Mitte liegen. Atmo 3.2 (O:14) super – stillhalten…. Zu denen, die das Angebot des SV Einheit Parchim regelmäßig nutzen, gehört eine Frau im Rollstuhl, die mit einem offenen Rücken geboren wurde. Sie ist am längsten, seit 22 Jahren dabei. Take 6 (O:26) Ich mache zum Beispiel zu Hause auch Sport. Aber gemeinsam Sport zu machen, das macht mehr Spaß und man kann sich auch unterhalten, das ist ja auch wichtig. (Atmo hängt dran) Autor: Die sportlichen Übungen kommen trotzdem nicht zu kurz, dafür sorgt schon Ingrid Dörfer. Jetzt ist Geschicklichkeit gefragt: Atmo 4 (O:20) So, jetzt möchte ich, dass die Reifen gezielt auf den Partner kommen. Die Kunst dabei ist, dass die Partner ihn auch fangen können, o.k.? Bevor wir sie los schießen, müssen sie erst mal ganz gerade stehen. Über Atmo 5 (O:20) Autor: Bereits das senkrechte Halten des Reifens macht dem einen oder anderen, der im Rollstuhl sitzt, Probleme. Mit viel Geduld aber schaffen es einige, den Ring ihrem Partner zuzurollen. Bei anderen irrt er eher durch den Raum. Atmo 5 Autor: Jürgen Becher weiß, wie schwer diese und andere Übungen fallen können. Seit mehr als 20 Jahren ist er selbst nach einem Unfall in der Landwirtschaft vom 12. Brustwirbel an querschnittsgelähmt. Auch bei ihm hat es geraume Zeit gedauert, bis er sich mit der neuen Situation abfand und arrangierte. Heute ist der 53-Jährige Vorsitzender des Behindertensportverbandes in Mecklenburg-Vorpommern. Die Arbeit in Parchim stehe stellvertretend für viele, erzählt er. Take 7 (O:36) Das ist schon typisch für den ländlichen Raum. Es ist sicher anders in Großstädten, wo die Diagnosegruppen separat trainieren. Im ländlichen Bereich ist es einfach so, dass das gemischt wird. Es gibt relativ wenige Behindertensportler, die dabei sein wollen. Und da lässt sich schlecht für jede Behinderungsart eine eigene Trainingsgruppe machen. Dann wird das zusammen gemacht und wird eventuell schadensspezifisch differenziert in dieser Trainingseinheit. Autor: Allein in Mecklenburg-Vorpommern sind es mehr als 7.000 Menschen, die in insgesamt 80 Vereinen Sport treiben. Doch trotz vieler Angebote, ganz grundsätzlich gäbe es noch jede Menge zu tun, so Jürgen Becher. Take 8 (1:00) Wir haben noch einen weiten Weg. Es sind immer wieder viele Dinge, die ganz einfach sperren. Hier in Mecklenburg-Vorpommern kämpfe ich seit über drei Jahren darum, dass in jedes Schwimmbad Poollifte reinkommen. Sie sind alle gebaut, sie sind bis auf eins von zwölf mit Landesmitteln gebaut und gefördert, aber es gibt nirgendwo Poollifte, weil es unterschiedliche Auslegungen gibt von Bauordnungen. Umkleidekabine, Toilette, Dusche ist alles da, nur der Weg aus und in das Wasser nicht. Autor: Jürgen Becher, der sich Jahre lang mit diesen Fragen beschäftigt hat, wird deutlich, wenn er über die bürokratischen Hürden spricht. Take 9 (1:00) Es ist absoluter Schwachsinn, weil die eine Behörde ist einfach dafür zuständig zu gucken, ist es stufenlos, barrierefrei die Toillette, die Dusche. Das Ins-Wasser-Kommen interessiert die untere Baubehörde so nicht. Es ist einfach so. MUSIK über Atmo 5/Bethel (Fahrgeräusch und Blinker) Autor: Auf die Bedürfnisse Behinderter hat man sich ca. 400 km westlicher längst besser eingestellt. Wir sind unterwegs in einem Stadtteil Bielefelds, der für seine Arbeit mit Behinderten bekannt ist – in Bethel. Von den heute rund 6000 Einwohnern sind etwa 2 ½ Tausend zum Teil schwerstbehindert. 1867 wurde Bethel mit Unterstützung von Kaufleuten gegründet, um Menschen mit epileptischen Erkrankungen Arbeit und Heimat zu geben. Jens Garlichs, der Pressesprecher, während der Autofahrt: Take 10 (0:27) Also es gibt kleinere Handwerksbetriebe wie die Gebäudetechnik oder einen kleinen Maurerbetrieb, der für die Versorgung der Anstalt gegründet worden ist. Und diese Betriebe machen einen Teil ihrer Arbeit mittlerweile außerhalb von Bethel. Jetzt könnten wir hier noch mal rum fahren. Hier ist die neue Schmiede. Das ist ein Cafe und ein Freizeitzentrum. Hier findet wirklich Begegnung und Integration statt. Autor: Und relativ viel Sport. Zum Beispiel im Fitness-Zentrum, das der – so der Name – „Bewegungs- und Sporttherapeutische Dienst“ eingerichtet hat. Atmo 6 (O:13) Autor: An diesem Nachmittag begleitet Christine Dröge, eine junge, schlanke Frau im Trainingsanzug, insgesamt fünf Männer und Frauen: Take 11a (O:21) Wir haben einmal die Geräte im Ausdauerbereich, das sind Fahrradergometer, Laufband, Rudergerät und einen Stepper. Dann haben wir die Türme, die Trainingstürme zum Krafttraining und wir haben Gymnastikbälle, wir haben Matten zur Verfügung. Autor: Eine Frau, um die 60 mit etwas strähnigen dunklen Haaren, fährt auf dem Fahrradergometer… Take 12 Kurz-Interview Autor: So wichtig Sport und Bewegung an sich schon sein mögen. Wichtig sei vor allem auch der soziale Aspekt, erzählt der Leiter des Bewegungs- und Sporttherapeutischen Dienstes, Dr. Lutz Worms: Take 13 (O:29) Ich würde sagen, dass diese Menschen mit ihren besonderen Biographien, sei es mit schweren sozialen Problemen oder erheblichen Verhaltensauffälligkeiten, so vielleicht gar nicht zusammen kämen. Hier ist ein Rahmen, den wir ihnen bieten, wo sie miteinander Sport machen können. Und es zeigt sich hier auf wunderbare Weise, wie leicht es dann auch ist, zusammen zu kommen. In einem normalen Alltagsumfeld, das wir in unserem Leben haben, würden sich diese Menschen nicht treffen. Autor: Das gilt auch für das Judo-Training wenige Häuser entfernt. Atmo 7 (O:25) Rechte Hand auf die Matte, linke auf die … Autor: Schon seit 14 Jahren arbeitet Rüdiger Aring, ein 45 jähriger Elektriker, mit der Gruppe. Als Übungsleiter engagiert sich der mittelgroße, dunkelhaarige Mann in weißer Hose und weißem Shirt: Take 14 (O:37) Was für uns leicht ist, ist für die Behinderten unterschiedlich schwierig. Der eine macht das locker mit, sieht es einmal und macht mit, hat motorisch überhaupt keine Probleme. Und der andere kommt schon beim Balancieren mit einem Luftballon an seine koordinativen Grenzen. Um diese Grenzen so weit nach hinten zu bekommen, machen wir Übungen, die die Feinmotorik schulen. Erst mal in großen Bewegungen, dann werden sie immer feiner. Atmo 8 Wir kullern seitlich… Erst gucken und dann machen, über irgendeine Seite kullern… Take 15/Trainer (O:35) Wir machen hier Judo, um uns körperlich und fürs Leben zu verbessern… Für mich ist es wichtig, dass die Leute das Selbstvertrauen stärken, später vielleicht mal lernen, selber Bus fahren zu können oder Fahrrad zu fahren, und das können sie dann ein Leben lang. Also es geht mir nicht darum, irgendwelche Wettkämpfer auszubilden. Wir wollen hier Spaß haben, um uns für den täglichen Bedarf, alles, was uns im Leben trifft, besser gerüstet zu sein. Atmo 9 (O:23) Das ist jetzt Kullern wie ein Affe, und wenn Du die Bewegung machst, dass du dich nach vorne abstützt, dann sieht das mehr aus wie ein Frosch, das machen wir heute aber nicht…. Lachen Autor: Zu den Fortgeschrittenen der Gruppe gehört ein 29-jähriger Mann, der das Down Syndrom hat. Stolz erzählt er, warum er im Gegensatz zu den anderen einen grünen Gürtel tragen darf: Take 16 (O:O7) Wenn ich einen grünen Gürtel habe, dann bin ich einen weiter als die anderen. Autor: Ganz offensichtlich fühlt sich der Mann an diesem Nachmittag teilweise jedenfalls unterfordert. Immer dann, wenn er Zeit hat, widmet er sich seinen Tai Chi-Übungen. Er ist in sich versunken, wiederholt immer wieder die gleichen Abläufe. Was macht ihm denn mehr Spaß? Take 17 (O:23) Beides. Judo mache ich abwechselnd und am Dienstag mache ich Tai Chi. Aber eben gerade hast Du auch mal Tai Chi gemacht. Warum? Hast du dich ein bisschen gelangweilt? Das ist richtig, gelangweilt. Dann mache ich ein bisschen Tai Chi. Wenn der Trainer sagt, mach Judo, dann mache ich Judo. Autor: Auch sein jüngerer Bruder ist dabei. Er hat ebenfalls das Down Syndrom. Neben seinem geistigen Handicap muss er mit einem angeborenen schwachen Muskeltonus fertig werden. Deshalb freut sich die Mutter der beiden besonders über Fortschritte, die sie nicht nur sportlich machen: Take 18 (O:54) Also bei dem Großen, der fährt ja jeden Morgen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit, da ist es ihm schon mal passiert, dass er mal verbal angegriffen wurde und er kann sich verbal nicht so gut äußern. Und dann sagte er ganz selbstbewusst, ich kann Judo. Und dann wars gut. Und der Jüngere ist mal provoziert worden, der gleich groß war, aber jünger und der wollte ihn ärgern. Und dann sagte Dennis, ich kann Judo. Und dann sagte sein Gegenüber, ich auch. Und dann sagte Dennis, in Ordnung. Und hat ihn mit einem geschickten Schulterwurf auf den Rasen gelegt. Der andere Knabe guckte ganz entsetzt, damit hatte er nun gar nicht gerechnet. Aber er hat Dennis anschließend in Ruhe gelassen, sonst hätte er ihn die ganze Zeit weiter geärgert. Über Atmo 10 / Greiz / Musik und Stimmen (O:32) Autor: Hilfe zur Selbsthilfe, das ist eines der Ziele, die hier in Bethel verfolgt werden. Und den „Bethel Athletics“ fiebern die meisten entgegen: Einem großen Fest im Sommer, bei dem über 900 Sportlerinnen und Sportler in verschiedenen Disziplinen gegeneinander antreten. Freude an der Bewegung steht hier im Vordergrund, aber die errungene Medaille ist natürlich auch wichtig. Atmo 10 kurz frei stehend Autor: Wir sind in der Sporthalle des Erholungsheims Reudnitz in der Nähe von Greiz in Ost-Thüringen. Etwa 40 Frauen und Männer, die zum Teil im Rollstuhl sitzen, warten auf den Beginn des Höhepunktes einer fünftägigen Freizeit. Einmal im Jahr veranstaltet sie die Mobile Behindertenhilfe der Stadtmission in Chemnitz. Und auf die 4. Mobilimpics – jeweils am vorletzten Tag – freuen sich alle: Atmo 11 (O:O6) Take 19 (0:53) Ich gelobe, fair zu kämpfen, meine Mitstreiter zu achten, die Regeln einzuhalten, und der Wettkampfleitung unbedingt zu gehorchen. Ich setze alle meine Kräfte ein, aber ich weiß, dass der Sieg nicht das Wichtigste ist. Das gelobe ich. Autor über Take 19: Ulrich Korbel spricht den Eid, der Sportpfarrer in Sachsen. Alle Augen sind auf den mittelgroßen, schwarzhaarigen Mann im dunkelblauen Trainingsanzug gerichtet; fast andächtig sprechen ihm die Teilnehmer die Worte nach: Take 19 (andere Stelle!!) Ich bitte euch jetzt, mir den olympischen Eid nachzusprechen. Ich gelobe, fair zu kämpfen, meine Mitstreiter zu achten, die Regeln einzuhalten, und der Wettkampfleitung unbedingt zu gehorchen. Ich setze alle meine Kräfte ein, aber ich weiß, dass der Sieg nicht das Wichtigste ist. Das gelobe ich. Autor: Als anschließend Kay Uhrig, der Leiter der Behindertenhilfe, die Spiele eröffnet, kennt der Jubel in der Halle keine Grenzen: Atmo 12 (O:10) Hiermit sind die Mobilympics 2007 eröffnet. (Jubel) Take 20 (O:17) Ich denke, es gibt ihnen ein ganzes Stück Selbstwertgefühl, wir haben etwas geschafft. Ich denke immer an diese Abende zurück mit Siegerehrungen und Preisverleihung, wie stolz die sind. Und wie die sich freuen. Und es ist für keine Medaille, die ihnen hinterher geworfen wird, sondern sie haben etwas dafür geleistet. Autor: Vier Gruppen, die jeweils ein rotes, gelbes, weißes oder blaues Trikot bekommen, werden gebildet. Und vier Stationen müssen an diesem Tag absolviert werden. Unterschiedliche Aufgaben sind zu bewältigen, wenn z.B. kleine Gummi-Ringe auf ein Dartfeld, ein buntes Tuch, geworfen werden sollen. Atmo 13 (O:20) Autor: Wer die blauen Felder trifft, bekommt 20 Punkte. Hellgrün bedeutet 40, rot 60 und gelb 80 Punkte. Was für Nicht-Behinderte einfach scheint, ist für spastisch Gelähmte eine erhebliche Anstrengung. Sie können die Bewegung, mit der der Ring geworfen wird, kaum kontrollieren – auch wenn sich das große Tuch nur wenige Meter von dem Feld entfernt befindet. Atmo 14 (O:20) Na los, Detlef…. 40… 80, zusammen 120… 200. Der ist besser als ich. Autor: Danach geht es an die Tischtennisplatte: Atmo 15 (O:20) Die meisten Ballwechsel werden gezählt. Alles, was Netz ist und auf den Boden fällt, ist aus. über Atmo 15 Autor: Gerade bei dieser Übung zeigt sich, wie wichtig die Zu-sammensetzung der Gruppen ist: Die Starken, die den Ball treffen, ziehen die Schwächeren mit. Junge Männer, die auch nach dem Zivildienst einen Teil ihrer Freizeit den behinderten Menschen zur Verfügung stellen, unterstützen diejenigen, die Hilfe brauchen. Gemeinsam wird etwa darüber diskutiert, wie die Gruppe auf unterschiedlichen Wegen durch ein großes Netz kommt. Teamarbeit ist gefragt: Atmo 16 (O:20) Autor: Die rund 40 sind mit Feuereifer dabei. Und Detlef Kemesies strengt sich besonders an. Er ist 41, spastisch gelähmt. Der hagere Schnauzbartträger freut sich unbändig, als er später mit seiner Mannschaft, den „Roten Teufeln“, den Siegerpokal erhält. Take 21 (O:21) Ja, dass ich dabei war und dass ich auch was kann und das hat Spaß gemacht in der Gruppe. Autor: Schon zum vierten Mal dabei ist Anja Döring, eine 40-jährige dunkelblonde Frau. Sie hat Epilepsie und multiple Sklerose: Take 22 (O:32) Die hat sich bemerkbar gemacht 1998, 2000 ist es bestätigt worden. Es müssen erst immer mehrere Schübe erfolgen, ehe das 100%ig gesagt werden kann. Es gibt verschiedene Krankheiten, die ähnliche Symptome aufweisen. Ich sitze momentan im Rollstuhl seit vorigem Jahr. Bei dem letzten Schub hat es mich dann in den Rollstuhl reingesetzt und bin noch nicht so richtig wieder raus gekommen. Autor: Und wie lebt man mit einer solchen Erkrankung? Es geht, meint die frühere Artistin aus Zschopau, für die der Sport immer besonders wichtig war. Man müsse das Schicksal annehmen: Take 23 (042) Ich sag’ immer, wenn man den Kopf in den Sand steckt, das bringt einem nichts. Was aber nicht heißt, dass man Momente hat, wo man Momente hat, wo man sagt, die ganze Welt kann mich mal am Abend besuchen, ne? (lacht) Oder wo man einfach nicht zufrieden mit sich und seiner Welt ist. Autor: Erstaunlich ist bei dieser Freizeit in Reudnitz, wie gut die 13 geistig und 16 Körperbehinderten miteinander auskommen. Bei einer Schnitzeljagd zum Beispiel ergänzt man sich, erzählt Anja: TAKE 24 (O:14) Das finde ich gar nicht so schlecht, weil, dadurch hat man doch mal den einen oder anderen, der einen schieben kann oder helfen kann, auch wenn er geistig behindert ist. Das ergänzt sich, auf jeden Fall. Autor: Als Kay Uhrig, der Leiter der mobilen Behindertenhilfe in Chemnitz, anfing, Freizeiten für körperlich und geistig Behinderte zu orga-nisieren, da war es auch für ihn und seine Helfer ein Experiment. Ein Wagnis, das sich gelohnt hat, stellt der mittelgroße 35-Jährige mit langem Pferdeschwanz fest: Take 26 (O:34) Das ist immer ein Geben und Nehmen. Das habe ich gelernt. // Es kommt ganz viel zurück. Es kommen Rückmeldungen über einen selber, es kommt viel Dankbarkeit zurück. Ich sage immer, ihr müsst euch nicht für jeden Handschlag bedanken und trotzdem ist es schön, wenn man etwas tut und es kommt ein Danke zurück. Und wenn man Behinderten ein Stück Lebensinhalt geben kann, dann gibt einem das auch selber Inhalt. Autor: Noch wichtiger für die Gesellschaft sei etwas anderes, meint Carsten Exner, der Sozialwissenschaftler: Take 27/Exner Wenn mir jemand mit Behinderung in meinem Betrieb begegnet, ich ihn nicht nur auf Grund seiner Äußerlichkeit, seiner Einschränkung beurteile, sondern dass mir klar wird, das ist ein Kollege, …dass er vielleicht Schachspieler ist, dass er also als Gesamtpersönlichkeit in unser Bewusstsein tritt und nicht allein über das Merkmal Handicap oder Behinderung… (über Musik) Autor Und diese Gesamtpersönlichkeit könne auch Schattenseiten auf-weisen, frech, link, unverschämt sein. Erst wenn die verschiedenen Seiten eines Menschen mit Handicap gesehen würden, erst dann könne man von wirklicher Gleichberechtigung sprechen. Musik: „Lied ohne Worte“ I: Peter Nagy K: Felix Mendelssohn-Bartholdy O:45 Min. „Come in peace“ von der CD „Viva El Klezmer“ Giora Feidmann LC 0972 2:30 Min. 14