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Einige Bundesländer haben bereits Lockerungen durchgesetzt - wie wirkt sich das in der Praxis aus? Andere Länder verfolgen eine härtere Linie. Beitrag 1: Harte Linie - wie lange noch? Die Residenzpflicht in Hessen. (Anke Petermann) Bryan Rattan jobbt in einem Hamburger-Restaurant in Gießen. Sein Vater ist ein umstrittener Politiker in der indischen Provinz Punjab, vor fünf Jahren vertraute die Familie den damals 17-jährigen Bryan einem Schlepper an. Der sollte den Jungen zu Verwandten nach England bringen, in Punjab hielt ihn die Mutter für gefährdet. Der Schlepper setzte Bryan aber nicht in London, sondern in München ab. Von dort wurde der junge Inder einer betreuten Jugend-WG bei Gießen zugewiesen. Sein Asyl-Antrag scheiterte, er bekam eine Duldung. Im Zeitraffertempo lernte Bryan Deutsch, schaffte die Hauptschule. Seit kurzem hat er die Fachhochschulreife und einen Abschluss als Assistent im Fremdsprachensekretariat in der Tasche und - die Zusage für seine Traum-Lehrstelle bei einem Bonner Unternehmen, das im Fair-Trade Bereich arbeitet, sich also für fairen Handel engagiert: "Was auch sehr gut zu meiner Ausbildung passt, zum Beispiel spanisch und englisch und deutsch. Und weil das Unternehmen auch mit Indien arbeitet und mit südamerikanischen Ländern, wo überwiegend Spanisch gesprochen wird. Dann dachte ich mir, das wäre eine sehr gute Möglichkeit. Ich will ja auch so eine Arbeitsstelle ausüben, wo ich moralisch mitten drin bin, wo ich weiß: 'Hier leiste ich was.' Nicht nur für mich, dass ich Ende des Monats Geld auf meinem Konto habe, sondern dass ich auch diese Zufriedenheit habe: 'Ich habe heute gearbeitet, und damit habe ich auch anderen Menschen geholfen.'" Im August soll Bryan die Stelle in Bonn antreten, es ist Zeit, seinen Umzug vorzubereiten. Aber er ist geduldeter Flüchtling in Hessen, unterliegt der Residenzpflicht, darf also den Regierungsbezirk Gießen nur mit einer Ausnahmegenehmigung verlassen. Die Grenze Hessens zu überschreiten, ist ihm untersagt. "Theoretisch und praktisch darf ich nicht nach Bonn umziehen, bzw. nicht nach Bonn fahren, weil ich unter diese Residenzpflicht falle, und das ist ein sehr großes Problem für mich." Der Fall liegt dem Petitionsausschuss des Hessischen Landtags vor. Fraglich allerdings, ob der rechtzeitig entscheidet, damit Bryan die einzigartige Ausbildungschance ergreifen kann. Damit es klappt, müsste der Ausschuss das Pendeln über die Landesgrenze nach Nordrhein-Westfalen gestatten. Oder das CDU-geführte Hessische Innenministerium kippt die Residenzpflicht per Verordnung und trifft entsprechende Absprachen mit der Landesregierung in Düsseldorf. Hessens Nachbarländer machen vor, wie man den Aktionsradius für Flüchtlinge und Geduldete erweitert. Gerhard Merz, flüchtlingspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, sieht in der Zusammenarbeit zwischen dem grün-rot regierten Baden-Württemberg und dem rot- grünen Rheinland-Pfalz ein Modell: "Beispielsweise Rhein-Neckar ist ja auch etwas, wo es hessische Beziehungen gibt, wo man eher nach Mannheim oder Ludwigshafen pendelt als ins Rhein-Main-Gebiet. Umgekehrt haben Sie einen gemeinsamen Raum Kassel-Göttingen. Da wäre das sicher auch sinnvoll, und es gibt sicherlich Gebiete, wo man eher nach Nordrhein-Westfalen pendelt. Aber zunächst einmal geht es darum, die Begrenzung auf einen Regierungsbezirk aufzuheben und wenigstens für ganz Hessen einen legalen Aktionsradius für Flüchtlinge herzustellen." Bryan Rattan hat sich fast daran gewöhnt, dass er seine Butzbacher Freunde nie spontan besuchen kann: Sie wohnen im benachbarten Regierungsbezirk Frankfurt - er muss einen Besuch bei der Ausländerbehörde beantragen und zehn Euro für den bürokratischen Akt zahlen. Für Bryan, der bislang von Schüler-Bafög lebte, ist das teuer und lästig. Dass Asylbewerber im laufenden Verfahren für die Behörden stets erreichbar sein müssten, hält Timo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat für ein vorgeschobenes Argument. Die Asylsuchenden seien ja postalisch an ihren Wohnorten erreichbar, zusätzlich könnten die Behörden Meldeauflagen erlassen. "Die Residenzpflicht ist aus unserer Sicht eine reine Schikanemaßnahme gegenüber den Betroffenen, und sie dient auch dazu, einen Teil der hier lebenden Bevölkerung zu kriminalisieren." Geldstrafen drohen Flüchtlingen, die Gottesdienste ihrer Religionsgemeinschaft oder einen Facharzt in einem anderen Regierungsbezirk besuchen, ohne dafür die vorgeschriebene Ausnahmegenehmigung zu beantragen. Diese Bußgelder, so kritisiert Timo Scherenberg, könnten sich über ein Jahrzehnt summieren, ohne zu verjähren: "Wenn ich dann zehn Jahre da bin, und hab' dann alle drei, vier Jahre mal einen Residenzpflicht-Verstoß begangen, weil ich unangemeldeter Weise das Weihnachtsfest bei meiner entfernten Tante verbracht habe und dabei kontrolliert worden bin, dann gelte ich irgendwann als vorbestraft, und diese Vorstrafen verhindern dann, dass ich Bleiberecht über eine Bleiberechtsregelung bekommen kann." Geht es nach den Sozialdemokraten, dann fordert der Wiesbadener Landtag die schwarzgelbe Landesregierung bei der nächsten Sitzung Ende des Monats auf, die Residenzpflicht abzuschaffen. Warum Hessen neben Bayern noch daran festhält, erklärt sich Gerhard Merz von der SPD so: "In Hessen muss man in der hessischen CDU offensichtlich immer damit rechnen, dass die Schlachten ausgetragen werden zwischen den letzten Mohikanern einer restriktiven Ausländer,- Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitspolitik und den Vertretern einer eher liberalen Auffassung in Sachen Integration und Migration." Innenminister Boris Rhein rechnet sich selbst dem großstädtisch-liberalen Flügel der CDU zu und fasst den Erfahrungsaustausch auf der jüngsten Innenministerkonferenz so zusammen: "Ich hab' mit der Kollegin aus Rheinland-Pfalz über das Thema gesprochen und mit dem Kollegen aus Brandenburg, die allesamt sagen, sie haben im Grunde gute Erfahrung mit der Aufhebung der Residenzpflicht gemacht, dass es zu keinen größeren Problemen führt, wenn man die Regeln, die wir derzeit haben, ein bisschen auflockert. Ich denke schon, dass wir den Weg gehen, den andere Bundesländer gegangen sind, dass wir die Residenzpflicht aufheben." Hat also der SPD-Antrag im Landtag Aussicht auf eine von den Regierungsfraktionen getragene Mehrheit? "Der ist gar nicht notwendig. Ich brauche keine Anträge der SPD, um entsprechende Regelungen zu treffen. Lassen sie uns im Plenum darüber diskutieren - zu dem Zeitpunkt haben wir höchstwahrscheinlich die Dinge schon längst vollzogen,..." ... verkündet der Minister überraschend. Hoffentlich weiß seine Partei schon, dass er die bisherige Linie verlässt. Wenn Rhein dann auch noch die Ankündigung wahr macht, länderübergreifende Gespräche zu führen, dann kann Bryan Rattan vielleicht doch noch seine Ausbildungsstelle in Bonn antreten. Nur: Die Zeit drängt in sechs Wochen soll er anfangen. Beitrag 2: Mehr Bewegungsfreiheit? Die Residenzpflicht in Brandenburg. (Axel Flemming) Seit fast zwei Jahren dürfen sich Asylbewerber und Geduldete in Brandenburg aufhalten wo sie wollen, ohne vorher um Erlaubnis fragen zu müssen. Theoretisch jedenfalls. In der entsprechenden Rechtsverordnung zum Asylverfahrensgesetz heißt es, dass sich Flüchtlinge vorübergehend in einem größeren Gebiet aufhalten können, das die Bezirke mehrerer Ausländerbehörden umfasst. "Diese Lockerungen sind zweifellos positiv, und sind wirklich eine Verbesserung in der Lebensqualität von vielen Flüchtlingen." So bewertet es Kay Wendel vom Flüchtlingsrat Brandenburg. Aber man muss auch festhalten, dass die Residenzpflicht, genauer gesagt die räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf ein bestimmtes Territoriumj, dass die Residenzpflicht ihre Funktion gewandelt hat. " ... früher wurde die gesamte Gruppe der Flüchtlinge diskriminiert, ihre Lebensbedingungen wurden verschlechtert, um sie zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen, meint der Flüchtlingsrat." Jetzt wird die Residenzpflicht, die nur gelockert, nicht aber aufgehoben ist, weiterhin eingesetzt - als Sanktionsmittel. "Gegen eine bestimmte Gruppe der Geflüchteten: einen Teil der Geduldeten, denen die Ausländerbehörden eine Verletzung ihrer so genannten Mitwirkungspflichten vorwirft. Das heißt, wenn die Betroffenen nach Ansicht der Behörden nicht genügend kooperieren bei der Passbeschaffung für die Ausreise oder sogar bei ihrer Identität täuschen, dann werden sie von den Lockerungen ausgeschlossen, dann müssen sie weiterhin in ihren Landkreisen wohnen und jedes Mal, wenn sie den Landkreis verlassen wollen oder nach Berlin fahren wollen, müssen sie einen Antrag stellen, der auch wie vorher manchmal genehmigt wird und manchmal abgelehnt wird." Ein Beispiel: Louis, ein 20-Jähriger aus Kenia, der seit fast zwei Jahren in Brandenburg lebt; in Prenzlau, nordöstlich von Berlin. Er floh aus seinem Heimatland, weil er mit dem Regime in Konflikt geriet, und beantragte hier Asyl. Anfangs durfte er sich frei bewegen, nach sechs Monaten wurde ihm dieses Recht wieder entzogen. Und die sozialen Kontakte? - Die Behörden erklärten ihm, er solle sich doch Freunde in der Uckermark suchen. Ich erreiche Louis auf seinem Handy: "(übersetzung) Selbst wenn ich nach Schwedt gehe, ist es schwer Freunde zu finden. In Berlin ist das leichter, aber da habe ich die Erlaubnis nur für einen Monat. Wenn der Juni vorüber ist, muss ich wieder eine neue beantragen. Ich könnte hier auch arbeiten, aber dafür bekomme ich auch keine Erlaubnis. Ich warte, aber die Behörde sagt, m,ein Fall sei abgewiesen. Ich bin nur geduldet." Sanktionen wie die gegen Louis werden von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich gehandhabt. Das klingt mehr nach Willkür als Ermessensspielraum der Behörden, sagt Kay Wendel vom Flüchtlingsrat: "Also diese Feststellung der Verletzung von so genannten Mitwirkungspflichten variiert von Landkreis zu Landkreis. Es gibt Landkreise wie Bernau, Barnim also, wo bei keinem einzigen Flüchtling, Geduldeten so eine Verletzung festgestellt wurde. Und es gibt Landkreise wie Elbe-Elster, da ist es gut die Hälfte bei denen die Behörden das feststellen." Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke muss sich beim Thema Residenzpflicht mit Vorurteilen und Ängsten gegenüber den Flüchtlingen auseinandersetzen. Bei der vorläufigen Bilanz zum Umgang mit der Residenzpflicht zeigte sich der SPD-Politiker zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen: "Die von vielen auch außerhalb der Region Berlin-Brandenburg befürchteten Probleme nach den Lockerungen wie verstärktes Untertauchen, Zunahme von Straftaten, Verzögerung von Asylverfahren mangels Erreichbarkeit - sie sind nicht eingetreten." Die Regierungsfraktionen von SPD und LINKEN in Brandenburg wollen sogar, dass der Bund die Residenzpflicht ganz abschafft, bisher aber ohne Erfolg. Dort haben sich bislang die Skeptiker durchgesetzt. Eine Linie die auch die Landes-CDU verfolgt. Rechtsexperte Danny Eichelbaum: "Brandenburg hat es bis jetzt versäumt, hier belastbare Zahlen vorzulegen, dass sich die Lockerung der Residenzpflicht auch wirklich dementsprechend hier gelohnt hat bzw. dass es dadurch Vorteile gibt. Diesen Nachweis hat Brandenburg bisher nicht erbracht und wir erwarten hier belastbare Zahlen." Es war eine günstige politische Konstellation, der die Kampagne gegen die Residenzpflicht den Durchbruch verdankt. Kurz nach den Landtagswahlen 2009 beschloss die rot-rote Regierung Brandenburgs die Erweiterung des Aufenthaltsbereichs von Flüchtlingen auf das Bundesland und begann mit dem ebenfalls rot-roten Berliner Senat über eine länderübergreifende Vereinbarung zu verhandeln. Erfolgreich, die Residenzpflicht zwischen Berlin und Brandenburg ist gelockert - und bleibt es wohl auch, obwohl die Farben der Berliner Landesregierung auf rotschwarz wechselten. Kay Wendel vom Flüchtlingsrat Brandenburg: "Es ist von Brandenburger Seite aus so, dass die brandenburgische Landesregierung an die Berliner Landesregierung herangetreten ist, mit der Bitte, die Regelung über die Residenzpflicht zu erneuern, so dass in Zukunft Flüchtlinge aus Brandenburg ohne Antrag nach Berlin fahren können. Das ist nämlich nach einer Gesetzesregelung die Mitte letzten Jahres in Kraft getreten ist, jetzt möglich und andere Bundesländer handeln das auch jetzt schon so. Da muss man sehen, wie der Berliner Senat jetzt darauf reagiert. Aber ich bin da eigentlich relativ zuversichtlich." Der Flüchtlingsrat betrachtet die Lockerung der Residenzpflicht als erste Etappe. Als nächste Herausforderungen sieht er an, die Ausschlussklauseln für vermeintliche "Mitwirkungsverletzer" und "Straftäter" zu beseitigen, länderübergreifende Vereinbarungen zwischen möglichst vielen Bundesländern zu erreichen und schließlich durch Initiativen auf Bundesebene die weiterhin geltende Residenzpflicht abzuschaffen. Beitrag 3: Protest gegen die Situation von Asylbewerbern in Bayern. (Lisa Weiß) Zwischen ihre Lippen passt nur noch in der Mitte ein Strohhalm - der Rest ihres Mundes ist zugenäht: Zwei Stiche links, zwei Stiche rechts, wer genau hinsieht, kann die dünnen Fäden erkennen. Sprechen können sie kaum noch, aber ihr Blick ist fest, durchdringend und richtet sich auf jeden, der am Protestcamp vor dem Würzburger Rathaus vorbeikommt. Eine Aktion, die unter Politikern, Bürgern, Flüchtlingsorganisationen, selbst unter Asylbewerbern umstritten ist. Doch die Iraner sind von ihrem Vorhaben überzeugt, sagt einer ihrer Sprecher: "Die haben selbst entschieden, das zu machen und natürlich: Wiir unterstützen jede Aktion von uns, weil: Wir sind ein Team. Und mit unserer Forderung gibt's also viele Probleme noch." Die Asylbewerber wollen nicht nur selbst als politische Flüchtlinge anerkannt werden - ihnen geht es um mehr: Sie fordern ein menschenwürdigeres Leben für Asylbewerber in Bayern. Keine Gemeinschaftsunterkünfte mehr, keine Essenspakete. Und: Keine Residenzpflicht. Die bayerischen Regelungen zur Residenzpflicht seien schon vor rund zwei Jahren gelockert worden, sagt Innenminister Joachim Herrmann. Geduldete Flüchtlinge dürfen sich seither in ganz Bayern aufhalten. Und auch Asylbewerber haben mehr Bewegungsfreiheit: "Wir haben ja auf Bundesebene einheitlich die Regelung, dass sich Asylbewerber - damit das Verfahren möglichst zügig vorangebracht werden kann - in dem Sitz der jeweiligen Ausländerbehörde, das heißt in dem Landkreis, in der Stadt aufhalten sollen. Die Länder können das etwas lockern. Wir haben davon Gebrauch gemacht, so dass jetzt jeder Asylbewerber in dem Regierungsbezirk, in dem er seine Aufnahme gefunden hat, sich aufhalten soll. Das ist sinnvoll und richtig, damit in jedem Fall das Verfahren zügig weitergeht." Die neuen Regelungen werden offenbar von den Ausländerbehörden auch angewandt - keine Selbstverständlichkeit in Bayern. Ganz im Süden, im Raum Rosenheim gibt es keine Klagen, ebenso wenig wie in Nürnberg oder ganz im Norden, im unterfränkischen Würzburg. Ausnahmen finden sich aber doch - zum Beispiel im Raum Kempten im Allgäu, zum Beispiel bei Omid. Das ist nicht sein richtiger Name, den will er nicht sagen. Nur so viel: Er kommt aus dem Iran, ist seit sieben Jahren in Deutschland, hat eine Duldung. Und: Er darf seinen Landkreis nicht verlassen. "Man fühlt sich wie ein Vogel in einem Käfig. Das ist eigentlich ein großer Käfig, aber trotzdem, das ist ein Käfig. Ich kann nur 35 km in Oberallgäu mich bewegen. Zum Beispiel ich kann nicht nach Augsburg oder nach München nur Oberallgäu." Wie kann das sein? Innenminister Herrmann kennt zwar den Einzelfall nicht, versucht aber eine Erklärung: Omid dürfte gegen Mitwirkungspflichten verstoßen haben, das heißt, vielleicht ist er einmal nicht zu einem Gerichtstermin erschienen, vielleicht einmal außerhalb Bayerns erwischt worden. In solchen Fällen kann die Ausländerbehörde den Aufenthaltsraum wieder beschränken. Wenn Omid jetzt seinen Landkreis verlassen will, muss er eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Seit kurzem sei die im Raum Kempten nicht mehr so schwierig zu bekommen, sagt Omid selbst. Einschränkend sei die Regelung aber doch - weil man genau sagen müsse, wohin man reisen wolle: "Der Problem ist, zum Beispiel, ich möchte zu meinem Bruder fahren nach Reutlingen und wenn ich zufällig mit meinem Bruder woanders fahren wollte und wenn ich von Polizisten erwischt werden werde ich bestraft. Ich kann nirgendwo gehen außer diesem bestimmten Ort. Das ist problematisch halt." Auch Ausländer mit einer Duldung ohne Auflagen, die beispielsweise ihre Verwandten außerhalb Bayerns besuchen möchten, brauchen eine so genannte Residenzpflichtbefreiung. Ebenso wie Asylbewerber, die innerhalb Bayerns zum Beispiel von der Oberpfalz nach Oberbayern reisen möchten. Ob diese Genehmigung erteilt wird, liegt aber im Ermessen der Ausländerbehörde, sagt Anni Kammerlander von Refugio München, einer Organisation, die Therapien für traumatisierte Asylbewerber anbietet: "Also wir haben ja Klienten aus Dingolfing, aus Passau, aus Schwaben. Und die brauchen ja dann immer noch eine Erlaubnis der Ausländerbehörde, dass sie zu uns fahren dürfen. Und das wird schon unterschiedlich gehandhabt. Wir haben bei manchen Ausländerämtern schon noch ein Problem, bis wir erreichen, dass die Flüchtlinge zu uns zur Therapie fahren können." Auch Naim Mohamedi wird von Refugio betreut. Wenn er lacht, blitzt es in seinen Augen und er lacht viel. Mittlerweile. Denn auch Naim hat Schweres durchgemacht: Ohne Eltern ist der Jugendliche vor zwei Jahren aus Afghanistan nach Bayern gekommen, geflohen, vor Armut und Verfolgung. Er hat Deutsch gelernt, sich integriert, macht gerade seinen Hauptschulabschluss, danach will er eine Ausbildung anfangen. Naim will einfach ein ganz normales Leben führen, aber jedes Mal, wenn er Verwandte besuchen oder auf Klassenfahrt gehen will, erinnert ihn die Residenzpflicht daran, dass er hier in Bayern eigentlich nicht gewollt ist: "Verliert man viel Zeit. Erst mal muss man vorbereiten oder vorplanen, man muss dahingehen und warten, bis wenn sie das entscheiden ob wir dahin fahren dürfen oder nicht. Dann müssen wir auch irgendwas da bezahlen." 10 Euro muss Naim jedes Mal bei der Münchner Ausländerbehörde bezahlen, wenn er eine Residenzpflichtbefreiung haben will. Für Asylbewerber oder Geduldete ist das in der Regel viel Geld. Innenminister Joachim Herrmann kennt das Problem: "Wir haben in der Regel die Empfehlung, dass dann, wenn es jedenfalls für den Aufenthalt woanders einen vernünftigen Grund gibt, dazu gehört durchaus auch ein Arztbesuch, dazu gehört ein sinnvolles Treffen mit Verwandten oder Angehörigen, vielleicht auch in anderen Bundesländern, dann sind das alles Fälle, bei denen wir empfehlen, in den Fällen von Gebührenerhebungen abzusehen. Letztlich liegt die Entscheidung aber bei der Ausländerbehörde. Und genau da liegt allgemein das Problem, sagen viele Mitarbeiter von Flüchtlingsorganisationen in Bayern: Für Geduldete und Asylbewerber sei es ein Glücksspiel, welchem Landkreis oder welcher Stadt sie zugeteilt werden. Ob sie bei einer Ausländerbehörde landen, die einen harten Kurs verfolgt, oder bei einer, die eher liberal eingestellt ist. Das müsse man ändern. Oder, noch besser, die Residenzpflicht einfach abschaffen. - ENDE SENDUNG - 10