DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Hermann Theissen Dossier Die Lücke an der Wand Der Mythos von der unpolitischen Künstlerkolonie Worpswede Von Rainer Link Erzähler Sprecher: Zitator Regie: Hermann Theißen Erstsendung Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschütztund darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, d. 15. März 2013, 19.15 - 20.00 Uhr// Wiederholung: 21. April 2017 Musik. O-Ton, Worpswede - Werbung: Willkommen im Künstlerdorf Worpswede. Willkommen im Teufelsmoor, der Heimat der großen deutschen Landschaftsmaler. Willkommen. O-Ton Führung durch den Barkenhoff Hier stehen wir in dem sogenannten Weißen Saal, ein Raum der insoweit eine besondere Bedeutung hat, als dies der Treffpunkt der Künstler war. Das waren Paula Modersohn- Becker, Otto Modersohn, Rainer Maria Rilke, Clara Rilke-Westhoff, Heinrich Vogeler. Die trafen sich im Jahr 1900 hier an jedem Sonntag. Rilke hatte zum ersten Mal ein Publikum, dem er seine Gedichte vortragen konnte. Er war 24 damals. Es geht um die Verbindung von Leben und Kunst und die kann man nirgendwo so direkt, so unmittelbar erleben in Worpswede wie hier im Barkenhoff, wo eben alles zusammen kommt: die Kunst, das Wohnhaus, der Garten, also der Gesamttraum, Leben und Kunst zusammen zu bringen, der wird hier lebendig. Sprecher: Die Lücke an der Wand Der Mythos von der unpolitischen Künstlerkolonie Worpswede Ein Feature von Rainer Link Erzähler: Die Künstlerkolonie Worpswede, das ist eine kleine Gemeinde mit rund 5.000 Einwohnern, gelegen im malerischen Teufelsmoor in der Nähe von Bremen. Die Worpsweder Maler der ersten Generation - zu ihnen gehörten Fritz Mackensen, Otto Modersohn und Heinrich Vogeler - lebten in der von der Zivilisation weitgehend unberührten Moorlandschaft ihren künstlerischen Traum und der hieß "Raus aus den Akademien, zurück zur Natur". 1889 gilt als Gründungsjahr der Künstlerkolonie. Bis heute, so Bürgermeister Stefan Schwenke, wirke Worpswede wie ein Magnet auf Künstler. O-Ton Bürgermeister Stefan Schwenke Na ja, es gibt ja kein Zertifikat oder eine Qualifikation, die man abschließen muss, um sich dann Künstler zu nennen: Wir gehen jetzt davon aus, dass wir 150 hier lebende Kunsthandwerker und Künstler und Künstlerinnen, die hier leben und arbeiten, wobei natürlich über Qualität, das ist eine schöne Diskussion, die man noch mal führen kann, lacht, aber ich würde mich da raushalten. O-Ton Rinke Viele meiner Kameraden, mit denen ich da groß wurde in diesem Ort, haben alles dran gesetzt, kein Künstler werden zu müssen. Erzähler: Der Dramatiker und Romanautor Moritz Rinke ist in Worpswede aufgewachsen. O-Ton Rinke Ich hab Freunde, die ich mal wieder traf, die sind Automechaniker, Banker, aber eben keine Künstler. Wir haben früher immer so gesagt: es gibt zwei Alternativen zum Künstlerberuf, das ist der Galerist und der Drogenhändler Erzähler: Die Wohnhäuser in Worpswede präsentieren sich mehrheitlich als ausgesprochen hübsche Unikate. Die Architekten haben es verstanden, den verspielten Geist des Ortes auf die Gebäude zu übertragen. In den Vorgärten stehen Skulpturen, Plastiken, Installationen und andere Kunstobjekte; der deutsche Gartenzwerg hat hier keine Heimat gefunden. An den Eingangstüren liest man überraschend oft den Nachnamen Kück. O-Ton Rinke Ja die Kücks. die sind etwas sehr norddeutsches, norddeutsch-worpswederisches. Ich weiß nur, wenn ich als Kind in der Fußballmannschaft spielte, und am Wochenende die Wümme- Zeitung die Mannschaftsaufstellung bekannt gab, dann hieß es immer: Kück, Kück, Kück, Kück, Rinke, Kück, Kück, Kück. Ich spielte unter Kücks, und manche sagten auch - das sag ich aber nur ganz leise - dass bei den Kücks auch mal das Thema Inzucht nicht ganz unwichtig war bei der unglaublichen Verbreitung der Kücks. Also, es wimmelt von Kücks. Also, die sind so was wie die Buddenbrooks von Worpswede. Erzähler: Worpswede ist ein Ort, der viel Ruhe ausstrahlt, der aber auch vielfältige kulturelle Anregung verspricht. Auch die Landschaft hat einiges zu bieten: Da ist die Hamme, ein kleines Flüsschen am Ortsrand, auf dem in der Sommersaison alte Torfkähne Scharen von Touristen befördern. Die Vielfalt der heimischen Vogelwelt erlebt man auf den von Birken und Heidekraut gesäumten Wanderwegen im Teufelsmoor. Und dann ist da noch der gut 50 Meter hohe Weyerberg, an dessen Fuß das Künstlerdorf liegt. Ein idealer Ort, um hier den Lebensabend zu verbringen, dachte sich Ferdinand Krogmann und kaufte sich ein Haus in Worpswede. O-Ton Ferdinand Krogmann Da ich ja nun Politologe und Historiker bin, hab ich mich gefragt, was gibt es denn nun über Worpswede im Dritten Reich an Literatur? Und da bin ich dann in die Buchhandlung Netzel gegangen und da hab ich sofort gemerkt, das war die falsche Frage. Erzähler: In den Buchläden und Museen fand Ferdinand Krogmann viele Bücher, die sich der Historie der legendären Kolonie widmeten, die aber alle die Jahre zwischen 33 und 45 entweder ganz aussparten oder in nur wenigen Zeilen abhandelten. Über den Alltag Worpswedes unter dem NS-Regime und über das Verhältnis der Künstler zum Faschismus konnte er nichts finden. Als Pensionär mit viel Freizeit und als studierter Historiker entschloss er sich zu eigenen Recherchen. Was er herausfand - und das klingt paradox - konnte niemanden wirklich erschüttern, denn wer sich für die Geschichte des Dorfes interessierte, ahnte zumindest: Worpswede war ein nationalsozialistischer Muster-Gau, und die Maler und Schriftsteller hatten daran maßgeblichen Anteil. O-Ton Ferdinand Krogmann Die Zustimmung zu diesem Verbrechersystem, die war eben extrem hoch hier. Ich glaube, auch gerade, weil man Worpswede zum Zentrum niederdeutscher Kunst hier machen wollte, es sollte hier ja eine riesengroße Kunsthalle gebaut werden. Da sollte nicht nur die Kunst aus Worpswede oder aus dem Gau Ost-Hannover oder Weser Ems sondern auch aus Mecklenburg, aus Schleswig-Holstein und Westfalen. Im Grunde sollte hier eine Kunsthalle entstehen für die gesamte Kunst Niederdeutschlands. Erzähler: Krogmann beschreibt in seinem Buch nicht nur, in welchem Ausmaß die überwiegende Mehrheit der Worpsweder Künstler und Schriftsteller das NS-System unterstützt oder sich mit ihm arrangiert hatten, er belegt auch, wie die Gewerbetreibenden, Händler, Lehrer, Pastoren, die Verbände und selbst die unauffälligsten Vereine dem Nazi-Regime willfährig die Hand gereicht hatten. O-Ton Ferdinand Krogmann Eigentlich kann man sagen, alle Vereine, die ich untersucht habe, im Grunde genommen waren die alle der Meinung, ja, mit dieser neuen Regierung der nationalen Erhebung geht es in Deutschland wieder aufwärts. Da waren die Schützenvereine dafür, die Kriegervereine sowieso, dann der Männergesangverein, die Turnvereine. Also ich hab da von Widerstand nichts gemerkt sondern eher von großartiger Begeisterung. Erzähler Jeder, der hier in Worpswede gelebt habe, wisse, dass es unter den Künstlern jede Menge Nazis gegeben habe, aber man wolle sich dem nicht stellen und nehme eine bisweilen bizarre Abwehrhaltung ein, sagt auch Moritz Rinke. Das brachte ihn auf die Idee zu seinem Roman: "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel". O.Ton Rinke Worpswede ist ja schon als Bühnenbild ganz toll. Da stehen lauter Relikte dieser Zeit herum: der Barkenhoff. Das Moor, das in diesem Roman ja wie ein Archiv funktioniert, weil alles vergraben, alles versunken, alles wieder auftaucht. Ja, das war schon eine dankbare Kulisse. Erzähler: Als der Held der Tragikomödie das Haus seines bildhauernden Großvaters durch das Graben einer Drainage vor dem Absinken in den morastigen Untergrund retten will, gibt das Moor eine überlebensgroße Statue einer Nazi-Größe frei: Der Reichsbauernführer mit zum Hitler Gruß ausgestrecktem Arm steht nun im Vorgarten. Großvater Paul Kück hatte ihn geschaffen und 1945 dann eilends verbuddelt. Weil Opa kein Nazi gewesen sein darf, versucht man die Wirklichkeit umzudeuten. Zitator: "Wir haben Probleme mit dem Nationalsozialismus. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich in unserem Garten den Reichsbauernführer, den haben wir aus Versehen ausgegraben. Irgendjemand hat es an die Zeitung gegeben." Seine Mutter versuchte sich zu fangen. "Dein Großvater war Sozialdemokrat, woher willst Du wissen, dass es ein Bauern - was Führer. Was ist das überhaupt für ein Wort, ich weiß nicht mal, was das ist?" "Willy Brandt ist es auf jeden Fall nicht! Mensch, da wird ein Nazidenkmal gefunden, zufällig im Garten eines Bildhauers, der bekannt ist für seine historischen Skulpturen, dann steht auch noch Paul Kück am Sockel dran!" "Was weiß ich, wo der herkommt. Spiel dich nicht so voreilig als Richter auf. Diese Bronzemänner sehen sich oft sehr ähnlich, weil nämlich die Feinheiten im Guss nicht immer zur Geltung kommen. Bronzeköpfe von Karl Marx und Lenin oder Rilke und Ringo Starr kann man gut unterscheiden, aber mit welcher Sicherheit kann man von so einem Bauerndingsführer sprechen, den ein normaler Mensch gar nicht kennt? Es kann auch dieser Reiter von der Olympiade sein, der damals leider abgesackt ist." "Mit Hitler-Gruß?" "Vielleicht hält der Reiter die Zügel hoch." Erzähler: Ferdinand Krogmann hat das Wirken der NS-belasteten Künstler in den Jahren 1933 bis 1945 gründlich recherchiert und zu einem Who is Who des braunen Worpswedes zusammengefasst. Der Name des Malers und Kolonie-Mitbegründers Fritz Mackensen taucht dabei an prominenter Stelle auf. 14. O-Ton Ferdinand Krogmann Das ist die berühmt berüchtigte Villa von Fritz Mackensen, dem Gründer der Worpseder Künstlerkolonie. Und diese Villa, die hier ja gar nicht in den dörflichen Charakter hineinpasst, das ist ja eine Stadtvilla, das ist ja ein typische Gründerzeitbau. Mackensen war SA-Mitglied, er war Vorsitzender im Kampfbund für Deutsche Kultur, er war Direktor der ersten nationalsozialistischen Kunsthochschule in Bremen, er war NSDAP-Mitglied, es ist immer noch eine Straße nach ihm benannt, weil man eben offensichtlich heute nicht wirklich zur Kenntnis nehmen will, dass dieser Mann ein Nationalsozialist war. O-Ton Kalina Für mich ist es schwierig Mackensen nur durch eine Mitgliedschaft in der NSDAP gleich als Nationalsozialisten voll abzustempeln, er war ein Nationaler, ein Deutschnationaler, warum er direkt in die NSDAP eingetreten ist, soweit bin ich nicht in den Forschungen, das kann ich nicht beurteilen. Aber, wer z. B. nicht Mitglied war in der Reichskulturkammer, wer da nicht aufgenommen wurde, der konnte auch nicht weiter arbeiten, der hatte Berufsverbot. Erzähler: sagt Erhard Kalina. Der Worpsweder Maler besitzt dort auch eine Kunstschule und er ist Vorsitzender des Bundes Bildender Künstler vor Ort und dessen Landesvorsitzender in Niedersachsen. Mackensen war indes nicht nur Mitglied der Reichskulturkammer; gleich nach dem Machtantritt der Nazis gründete er in Worpswede die Ortsgruppe des "Kampfbundes für Deutsche Kultur" und wurde dessen Vorsitzender. Die von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg gegründete Organisation hatte es sich zum Ziel gesetzt, die deutsche Kultur von allem "Undeutschen" und "Entarteten", "Jüdischem" und "Bolschewistischen" zu befreien, also Museen, Galerien, Ateliers und Bibliotheken zu "säubern". In der gleichgeschalteten Wümme-Zeitung hieß es dazu: Es gehe darum, "den kulturzersetzenden Kräften der liberal-marxistischen Vergangenheit, den Boden zu entziehen", und die zu fördern, die sich zu Blut, Rasse, Volkstum und Heimat bekennen. Welche Künstler und welche Kunstwerke Mackensen und seinen Kulturkampfkameraden zum Opfer fielen, ist nicht bekannt. Niemand hat es bisher für nötig gehalten, diese Vorgänge aufzuarbeiten. Manche sagen auch, die Worpsweder Honoratioren wollten das gar nicht so genau wissen, denn darunter würde nur der gute Ruf des Ortes leiden. O-Ton Kalina Mackensen wurde 1926 zum Ehrenbürger von Worpswede ernannt. Und seit 1926 gibt es viele Bürger, die Mackensen in Schutz nehmen, er hat vielen anderen Künstlern geholfen. Da wird jetzt vielleicht jemand sagen, das ist Legendenbildung, aber diese Legenden sind im Raum. O-Ton Rospek Vor einigen Jahren gab es hier einen Diskussionsabend zu dem Thema. Und da passierte es dann, dass ein älterer Herr aufstand und mit tränenerstickter Stimme und wässrigen Augen, davon erzählte: Nein, der Mackensen kann kein Nazi gewesen sein, denn er war immer so gut zu uns Kindern. Und das ist so ein typisches Beispiel, dass so alte Erinnerungen vermischt werden, die aber überhaupt nicht hilfreich sind. Erzähler: sagt Ralf Rospek. Seit fast 20 Jahren berichtet er für den "Osterholzer Anzeiger" aus Worpswede. Das kleine Worpswede besitzt allein vier große Museen und eine Unzahl privater Sammlungen. Die wohl größte Schau der Meister ist in der "Sammlung Bernhard Kaufmann" zu bestaunen. Hier hängen Originale von Fritz Mackensen, von Otto Modersohn und von Heinrich Vogeler. Sigrid Kaufmann, die Schwiegertochter des Gründers führt mich durch die Sammlung. O- Ton Frau Kaufmann Also Mackensen kommt meiner Meinung nach ein bisschen zu kurz. Vielleicht wird er aber auch abgetan, weil der in der NSDAP gewesen ist. Dass mit der Nazi-Zeit, das sollte man einem Menschen, der damals gelebt hat, das sollte man eigentlich nicht so ernst nehmen. Und man sollte auch nicht so nachtragend sein. Man muss, finde ich, ein bisschen lieb mit diesem Künstler umgehen, denn er war ja auch nicht mehr ganz jung, er war ja schon ein bisschen älter, als er das gemacht hat. Erzähler: Als die Nazis an die Macht kamen war Mackensen 67 Jahre alt, bei bester Gesundheit und von ungebrochener Schöpferkraft. Die "Sammlung Bernhard Kaufmann" besitzt auch eine große Auswahl an Werken von Paula Modersohn Becker, die kurz vor der Jahrhundertwende nach Worpswede kam und alsbald einen ganz anderen Weg beschritt als Mackensen und seine Freunde. O-Ton Kaufmann Das geht, es waren ja beides Künstler, die in Worpswede gelebt haben. Sie waren ja friedlich, sie haben ja gelebt für ihre Kunst. Sie haben keinem etwas getan, sie kamen sich ja gar nicht in die Quere. Mackensen war ja eine Zeitlang der Lehrer von Paula Becker. So ist sie ja hier hergekommen. Der Mackensen gab Korrektur, Paula Becker hat gesagt: Ja. Und einen Augenblick später hat sie gesagt: Ich sehe es aber doch anders. Also konnte ihr Mackensen nichts mehr geben. Erzähler: Paula Modersohn-Becker malte in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmend abstrakter, fast expressionistisch und beschritt damit einen eigenen Weg. Was sie schuf, kam bei den Heroen der Künstlerkolonie schlecht an. 20. O-Ton Kaufmann Rilke ist in ihr Atelier gekommen und hat dann ja gesagt, sie konnten schweigen bei Kerzenlicht, sie konnten sich toll unterhalten, sie war eine ganz beschlagene Frau, und er sagte dann: Ach ja, ihre Stimme war wie Falten in Seide und ihr Haar von florentinischem Golde. Aber auch er hat ja nie gefragt nach ihrer Kunst. Erzähler: Mehrfach floh sie vor den realen Worpsweder Verhältnissen nach Paris. Sie starb bereits 1907 mit nur 31 Jahren. Ihr künstlerischer Nachlass umfasst dennoch rund 700 Bilder und weit über 1.000 Zeichnungen. Sie fielen der Nazi-Zensur zum Opfer. O-Ton Kaufmann Sie waren "entartet", ja, sie waren verpönt. Einige Werke fehlen, aber es tauchen immer noch wieder welche auf. Welche exakt und genau verbrannt worden sind, oder ob sie einfach im Krieg umgekommen sind oder was man ihnen getan hat. Erzähler: Mackensen dagegen, der sich ganz in den Dienst des NS-Systems stellte, wurde mit Auszeichnungen überschüttet. Das Reichspropaganda-Ministerium hatte eine "Gottbegnadeten-Liste", auch "Führerliste" genannt, erstellt, die die für Hitler und Propagandaminister Josef Goebbels wichtigsten Künstler benannte. Auf dieser Liste fand sich auch der Name Mackensen. Goebbels verlieh ihm zudem die höchste künstlerische Auszeichnung des Staates, die Goethe-Medaille. Mackensen, der Hausmaler der Herrenmenschen - Paula Modersohn-Becker, die Entartete. Gern wüsste man, wie der Vorsitzende des Kampfbundes für Deutsche Kultur in Worpswede mit dem Erbe seiner einstigen Schülerin umgegangen ist. Auch hierzu gibt es jedoch keine Aufzeichnungen. O-Ton Ferdinand Krogmann Na ja, hier gab es schon ein paar mehr. Worpswede war Hochburg der Nationalsozialisten und der DNVP, also der Deutschen Nationalen Volkspartei. Wenn Sie sich die Wahlergebnisse anschauen vom 5. März 1933, da gab es im Reichsdurchschnitt 51,9 Prozent für NDSDAP und DNVP. In Worpswede gab es 80 % in manchen Ortsteilen und Gemeindeteilen. Im Ortskern von Worpswede, da gab es 66 %, da lagen sie noch 14 % über dem Reichsdurchschnitt. Musikeinspieler: ( Ernst Lichts Arrangement von Löns-Liedern) Erzähler: Verse des Heide-Dichters Hermann Löns, musikalisch arrangiert vom 1965 verstorbenen Worpsweder Komponisten Ernst Licht. Sprecher: Ernst Licht, NSDAP- Mitglied Nummer: 5.767389 Musikeinspieler: ( Ernst Lichts Arrangement von Löns-Liedern) Erzähler: In Kenntnis seiner politischen Biografie bereitete es den Worpsweder Kommunalpolitikern kein Problem, den Parteigenossen Ernst Licht durch die Benennung einer Straße zu ehren, vielleicht weil der örtliche Männergesangsverein "Concordia" dem Komponisten so viel zu verdanken hatte. O-Ton: Ich finde, dass es ein schwaches Bild ist, dass man nach wie vor neue Wege und Plätze benennt nach ehemaligen Nationalsozialisten. Es gibt hier noch einen Weg für Mackensen, einen Fritz Mackensen Weg. Und der war so eindeutig Nationalsozialist, eindeutiger geht's nicht. Dann gibt es hier einen Walter Bertelsmann Weg, auch, die ganze Familie der Bertelsmänner, waren alle Parteimitglieder. Sprecher: Walter Bertelsmann, NSDAP Mitglied Nummer 4.182818 Eintrittsdatum: 01.05.1937 Erzähler Dann gibt es den Willi Ohler Weg, der ist jetzt neu dazugekommen. Das hat man vor ein paar Jahren entschieden, obwohl ich darauf hingewiesen habe, dass der auch Parteimitglied war Erzähler Willi Ohler war ein bekannter Keramikkünstler, dessen gebrannte Werke noch heute hoch gehandelt werden. O-Ton Ferdinand Krogmann Ich hab dann schon mal den Vorschlag gemacht, man sollte doch den Fritz Mackensen Weg umbenennen und zwar nach einer ukrainischen Zwangsarbeiterin, die im Haus von Fritz Mackensen gearbeitet hat. Und diese Frau, die konnte es nicht mehr aushalten im Haus von Mackensen, ist dann weggelaufen und zu einem anderen Bauernhof gelaufen und das hat der Mackensen gehört und hat dann einen Brief geschrieben und hat sich furchtbar beschwert : Wie kannst Du diese Frau aufnehmen? Und das muss ich einfach mal wörtlich zitieren, einen Augenblick ."Es handelt sich hier nicht mal um ein ordentliches Mädchen sondern um einen ausgesprochen ostischen Typ, den der Führer als Bestie charakterisiert hat." Und der Hausherr bekennt, dass er das Mädchen wegen der Unverschämtheit gegenüber seiner Frau, mit der Hundepeitsche verhauen hätte, wenn er zur Stelle gewesen wäre. Ich hatte damals gefordert, man solle doch mal den Namen dieser Frau nehmen. Na ja, das Ganze ist natürlich wieder im Weltenraum verpufft O-Ton Bürgermeister Stefan Schwenke Jetzt einfach reflexartig, weil Mackensen in der NSDAP war und Nazi war, zu sagen, obwohl er eigentlich der Begründer dieser Künstlerkolonie war, jetzt machen wir den Mackensen Weg, der recht kurz ist und in einem schlechten Ausbauzustand, keine Prachtstraße in Worpswede ist, dass wir das jetzt unbedingt umbenennen müssen. Also was ich auch nicht mag, sind diese reflexartigen Dinge. Erzähler: Im Zentrum des Ortes hat die Stadt 2007 einen kleinen Platz umgestaltet und ihm einem Mann gewidmet, der als Worpsweder Bürgermeister und als Landrat nach 1945 viel für die Gemeinde geleistet haben soll. Alle dürften auch gewusst haben, dass der Namensgeber vor 1945 viel für das damalige Regime geleistet hatte. O-Ton Ferdinand Krogmann Albert Reiners Platz. Na, ja. Muss das denn sein? Ein Nazi-Name, der 5. oder 6. hier im Dorf nicht. Obwohl man weiß, dass dieser Albert Reiners SA - was war er? - SA- Obertruppführer war. Also, muss man heute immer noch alte Nazi-Namen nehmen, um irgendwelche Plätze in Worpswede zu bezeichnen? Ich hab schon das Gefühl, Ich glaub schon, dass die das wissen. Aber offensichtlich will man an diesen lokalen Heroen festhalten. Musikeinspieler: ( Ernst Lichts Arrangement von Löns-Liedern) Erzähler: Die Maler der Worpsweder Kolonie arbeiteten am Anfang eng zusammen. Man besaß gemeinsame Motive: die Moorlandschaft und die einfachen, bäuerlichen Bewohner. Daraus schuf jeder Werke im eigenen Stil. So etwas wie eine gemeinsame Kunstauffassung oder eine Worpsweder Malschule hat es indes nie gegeben. Man organisierte gemeinsame Ausstellungen und hatte vereint künstlerischen und kommerziellen Erfolg. Das habe Nachahmer ins Dorf gezogen, und das Fundament gelegt für den Mythos der Künstlerkolonie, sagt Matthias Jäger, der Geschäftsführer des Worpsweder Museumsverbundes. O-Ton Jäger Die Idee dieser Künstlergemeinschaft, diese Utopie, die da hinter stand, ist sehr schnell zerbrochen. Und dann hat jeder für sich weiter gemacht. Und gerade Mackensen und Vogeler verband da ja - kann man sagen - Feindschaft. Mackensen hat ja auch versucht, Vogeler bei der Polizei anzuschwärzen. Insofern sind die Wege dann in ganz unterschiedliche Richtungen auseinander gedriftet. Erzähler: Heinrich Vogeler, das zweite Urgestein des Künstlerdorfes, ging als Freiwilliger in den 1. Weltkrieg und kam schon bald ernüchtert zurück. Er richtete einen Protestbrief und Friedensappell an den deutschen Kaiser und wurde daraufhin aus dem Militärdienst entlassen und auf seinem Anwesen, dem Worpsweder Barkenhoff, unter Polizeiaufsicht gestellt und psychiatrisch zwangsbehandelt. Der Barkenhoff war ursprünglich ein heruntergekommenes, aber geräumiges Bauernhaus. Vogeler, der mehr sein wollte als ein Maler - er verstand sich auch als Architekt, als Landschaftsgestalter, als Möbeldesigner und als Kunsthandwerker - machte aus dem alten Gehöft eine Art Gesamtkunstwerk. O-Ton Jäger Für mich hat das immer so etwas wie Fitzcaraldo, der ein Opernhaus im Dschungel baut, er hat hier im Moor etwas Außergewöhnliches, Einmaliges gebaut und was überhaupt nicht hier in die Umgebung hineinpasste. O-Ton Jäger Dies ist das sogenannte Rilke-Zimmer. Man sieht hier von Vogeler selbst gestaltete Möbel. Rilke hat gar nicht in diesem Zimmer gewohnt, er war ja für 3 Monate im Winter 1899/1900 hier zu Gast bei Vogeler, war total begeistert von diesem Haus und diesem Künstler. Er hat nicht hier sondern in einem anderen Zimmer gewohnt. Erzähler: Anfang der 1920er Jahre gründete Vogeler auf dem Barkenhoff eine sozialistische Siedlungskommune, die allerdings nicht lange funktionierte. Schließlich wurde das Anwesen umgewidmet zum Heim für Kinder von politische Verfolgten und Gefangenen. Dem Kuratorium dieses Kinderhilfswerks der Roten Hilfe gehörten so namhafte Unterstützer wie Heinrich Zille, Thomas Mann, Albert Einstein oder Martin Buber an. 1932 floh Vogeler vor dem heraufziehenden Faschismus schließlich in die Sowjetunion. Sein Barkenhoff fiel in die Hände der Nazis. O-Ton Ferdinand Krogmann Wir gehen jetzt zur Wohn- und Abeitsstätte von Heinrich Vogeler, dem sogenannten Barkenhoff. Und dieses ganze Ensemble - manche haben auch gesprochen vom Versailles Worpswedes - und nach 1933 wird dieses ganze Ensemble übernommen von einem Parteigenossen, einem Landschaftsgärtner, Schwarz hieß der Mann. Und dieser Mann hat hier auch biologisch dynamisch angebaut, Gemüse angebaut. Und dann gab es eine Meldung in der Wümme Zeitung, ich glaube von 1935, dass hier vom Barkenhoff jede Woche eine Kiste Gemüse an den Tisch des Stellvertreters des Führers, also Rudolf Hess, nach Berlin geliefert wurde. Erzähler: Vogelers Name stand prominent auf der Fahndungsliste des Reichssicherheitshauptamtes der SS. Er kehrte nie wieder nach Worpswede zurück und starb 1942 in Kasachstan. O-Ton Jäger Also, er ist letztlich jemand, der immer wieder an den Grenzen der Realität auch gescheitert ist, weil sein Traum ein utopischer Traum war. Er hat - das macht seine Größe aus - diesen Traum nie aufgegeben bis zu seinem Ende nicht. Er hat sehr offen gegen Hitler und gegen Nazi-Deutschland agitiert, er hat seine Kunst in den Dienst seines Kampfes gestellt. Erzähler: Widerstand war eine Kraft, die im Worpsweder Biotop schlecht gedieh, Heinrich Vogeler war da eine Ausnahmeerscheinung. O-Ton Ferdinand Krogmann Jetzt ist man vielleicht froh, dass man ihn hat, weil man jetzt sagen kann, hör mal, es war doch gar nicht so schlimm in Worpswede. Nur war der nicht mehr da, er war 1932 schon nicht mehr in Worpswede. Insofern kann man sich auf ihn nicht berufen. Erzähler: Otto Modersohn, der andere Gründungsvater der Kolonie, verstritt sich mit seinen Malerkollegen schon zur Jahrhundertwende und zog 1908 ins Nachbardorf Fischerhude. Seine beseelte Landschaftskunst und seine schwärmerische Naturauffassung ließen Modersohn in der NS - Zeit zu einem der ganz großen Malerfürsten werden, vergleichbar nur noch mit Mackensen. Ob der Vielgelobte den NS-Staat aktiv unterstützt hat, lässt sich nicht belegen. Dass er Nutznießer des Systems war, liegt dagegen auf der Hand. Seine Werke fanden ungeahnt viele Käufer und erzielten Spitzenerlöse. O-Ton Ferdinand Krogmann Ja, das ist jetzt das Museum am Modersohn Haus. Modersohn und Mackensen wurden gefeiert und mit Preisen bedacht wie kaum andere Künstler. Modersohn bekam zu seinem 75. Geburtstag die Goethe-Medaille, das war schon die höchste Auszeichnung für Künstler und Wissenschaftler. 1942, ich glaube am 11. Jahrestag der nationalen Erhebung, da bekam er dann den Professorentitel zugesprochen. Obwohl Hitler eigentlich gesagt hatte, 1940 hatte Hitler gesagt, die Leute, die zu Hause sind - Künstler und so weiter - die können wir nicht mit einem Professorentitel versehen, sondern nur die Leute, die an der Front kämpfen und die an der Front ihr Leben aufs Spiel setzen. Aber dann hat er gesagt, na gut, bei Modersohn machen wir mal die Ausnahme, weil die Gefahr besteht, dass er den Krieg nicht überlebt. Und insoweit wurde das dann befürwortet. Erzähler: Im Modersohn Museum in Fischerhude ist das Werk des Altmeisters akribisch dokumentiert. Der Lebenslauf dagegen hat Lücken. Unter dem Eintrag 1930 lesen wir, dass Modersohn ein Bauernhaus im Allgäu erwarb. Unter dem Eintrag 1943 lesen wir von seinem Tod nach kurzer Krankheit. Zwischen1930 und 1943 klafft in Modersohns Vita eine Lücke. Musik: Erzähler: Ferdinand Krogmann hat die Künstler, die dem NS System nahe standen, beim Namen genannt. Wenn in Moritz Rinkes Worpswede-Roman eine Liste der NS-belasteten Künstler auftaucht, versucht ein Besessener sie vergeblich öffentlich zu machen. Zitator: Ohlrogge hängt sie an die Tür von Stolte, dem Lebensmittelgeschäft. Er bringt sie im Cafe Worpswede an. Im Gasthof zum Hemberg. Und im Barkenhoff, aber überall hängt seine Liste höchstens zehn Minuten. Kaum hat er die Räume verlassen, verschwindet auch die Liste. Ohlrogge entscheidet sich nun für andere Plätze. In der Marcusheide hängt er sie an die Birken. Auf dem Weyerberg legt er sie auf Parkbänken aus. An der Hamme klebt er sie an die Brückenpfeiler. Auf den Ortseingängen über die weißen Schilder, auf denen STAATLCH ANERKANNTER ERHOLUNGSORT steht, aber auch hier hält sie sich nicht lange. Es ist, als gäbe es in Worpswede Wachposten, die Worpswede rund um die Uhr von der Liste säubern, die an eine unschöne Vergangenheit erinnert. Einmal versteckt er sich hinter einem Baum unweit eines Schildes über das er seine Liste geklebt hat, und wartet auf die Wachposten. Nach einer Stunde, in der niemand gekommen ist, tritt er vor das Schild, doch die Liste ist weg. Es ist gespenstisch. Musik: Erzähler: Worpswede in der Frühlingszeit. Ein Paradies am Rande des Moores. Wenn das zarte Grün aus den Birken sprießt, die Sonnenstrahlen die Hamme-Niederung erwärmen, wenn die weißen Wolken über den unendlich erscheinenden Horizont wandern, und der Blick vom Weyerberg fast bis nach Bremen reicht, dann beginnt die Hochsaison. O-Ton Bürgermeister Schwenke Der Kulturtourismus ist die Kernkompetenz Worpswedes und das ist eigentlich der Leuchtturm. Wenn wir sehen, was wir für Tourismus haben, dann haben wir 50.000 Übernachtungen circa ...und wir haben ca. 300.000 Tagesgäste im Jahr. Erzähler: Die Straßen-Cafés sind belebt. Manche Besucherinnen haben sich gekleidet, geschminkt und frisiert, wie die leibhaftige Paula Modersohn-Becker; andere geben sich als ein getreues Abbild von Frida Kahlo. Vor dem Barkenhoff stehen Staffeleien dicht an dicht, dahinter angereiste Malschülerinnen, die - so lästert man hier gern - eigentlich Studienrätinnen waren oder sind. Die Läden bieten handsignierte Originale von noch unbekannten Worpsweder Künstlern und Drucke von bekannten Altmeistern. Die Kultur ist eindeutig das Kapital des Ortes und die derzeit aktiven Generationen der Worpsweder Kunstszene tragen durch offene Ateliers, Malkurse aller Schwierigkeitsgrade und auch durch viel erschwingliches Kunsthandwerk zum Erfolg des Gesamtkunstwerks Worpswede bei. Nicht auszumalen, was Worpswede ohne seine Künstler wäre. O-Ton Bürgermeister Schwenke Dann wäre Worpswede eine ganz normale kleine Gemeinde im niedersächsischen Nirwana, mit dem Weyher Berg vielleicht noch, der für die Bremer als Ausflugsziel interessant wäre. Aber das wäre es dann schon gewesen, aber das ist eben Worpswede nicht. Worpswede ist eben etwas ganz besonderes und wird im europäischen Kontext der Künstlerkolonien als ganz wichtiger Kulturort angesehen. Erzähler: Worpswede will noch attraktiver für Kulturtouristen werden. Ein millionenschwerer Masterplan sieht den Ausbau der Prachtstraße des Ortes zu einem Kultur-Boulevard vor. Inmitten des neu gestalteten Ensembles steht das historische Philine Vogeler Haus. Die Namensgeberin war Mitglied des damaligen Worpsweder "Kampfbundes für Deutsche Kultur". Man hat das Haus der Galeristin im vergangenen Jahr zu einem Anlaufpunkt für die Besucher Worpswedes umgebaut. Die Werbung schwärmt unter anderem von den vielen "informativen Schautafeln, auf denen die Geschichte unseres Künstlerdorfes in ansprechenden Texten und Bildern dargestellt ist." Tatsächlich hat man in der Villa eine Zeittafel mit markanten Daten der Künstlerkolonie angebracht, die Zeit des Dritten Reiches dabei jedoch ausgespart. Auf einen Eintrag mit der Jahreszahl "1920" folgt der Eintrag "nach 1945" .Trotz solcher Lücken schwärmt der Bürgermeister von der neuen Anlaufstelle. Musik: O-Ton Bürgermeister Schwenke die wunderschön geworden ist, finde ich. Wenn Sie das betrachten und sie die kulturelle Vielfalt gesehen haben, was tatsächlich passiert ist, dann ist in der Zeit bis 33 viel passiert. Aber in dieser Zeit 33 bis 45 wegen dieser inneren Emigration der Künstler, der Zurückhaltung, des sagen wir mal: des geheimen Malens im Stübchen, und der Schwierigkeit, dass einige Maler Malverbot hatten, Berufsverbot hatten, hier in Worpswede ja auch, dass man da in dieser Zeit, was Kulturelles angeht, ist in dieser Zeit hier wenig passiert ist. Erzähler: Auch Matthias Jäger, der Geschäftsführer des Worpsweder Museumsverbundes verteidigt die historischen Auslassungen. O-Ton Jäger Eine Tourist-Information ist sicher nicht der geeignete Ort, um das ganze Thema Worpswede und die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Insofern ist die Tourist-Information ein "apetizer", ein Ort, wo man Lust bekommen soll, sich tiefer in diese Dinge hinein zu bewegen und den weiteren Interessen zu folgen. Und das werden wir in den Museen, aber nicht ausschließlich und nicht jederzeit, aber das ist ein Thema mit dem wir uns in den Worpsweder Museen in Zukunft auseinandersetzen werden. O-Ton Bürgermeister Schwenke Ich weiß gar nicht, ob das so wie eine Lücke da wirkt. Man hätte da auch, was politisch angeht, ich glaube schon dass hier auch politisch Interessantes, anders als überall in Deutschland, was Interessantes nicht passiert ist. Man hätte auch - und das ist ein guter Hinweis - aber ich muss zugeben, hab ich auch nicht dran gedacht in der Zeit, als wir das da fertig machten, das musste ja auch dann alles sehr flott gehen, dass man diese Zeit beschreiben könnte, wer z. B. als "entartet" angesehen wurde und welcher dieser Künstler in Worpswede von den alten Worpswedern hier auch den Nationalsozialisten zugerechnet werden mussten. Man könnte sich noch einmal darüber Gedanken machen, ja O-Ton Jäger So weit sind wir noch nicht, aber wir sind am Thema dran und wir werden das auch sauber aufarbeiten und das ist gar nicht ausgeschlossen, dass, wenn wir das so sauber und klar aufgearbeitet haben, dass das dann vielleicht auch mal in der Tourist-Information in irgendeiner Form benannt wird. O-Ton Rinke Der Romangräbt oder holt aus dem Moor Fragen, die man in Worpswede immer aus einer missverstandenen Scham auch nicht traute, erst einmal zu veröffentlichen. Es ist ja immer so, dass die Zahlen plötzlich immer fehlen in den künstlerischen Annalen dieses Dorfes, und das ist, glaube ich, was etwas zu tun hat, mit dieser wahnsinnigen Scham, dass der Ruhm des Ortes auf den Säulen einer Geschichte steht, die man eher heute kaschieren will. Der Ruhm ja, aber das Zustandekommen dieses Ruhms bitte nicht. Erzähler: Moritz Rinkes Roman stand schon bald nach seiner Veröffentlichung im Jahr 2011 auf allen Bestseller-Listen. Überall im deutschsprachigen Raum amüsierten sich Leser über die erfolgsfernen Eskapaden im Umgang mit der braunen Vergangenheit. O-Ton Rinke Am Anfang war das ja so, dass der Roman in Worpswede nicht unbedingt erhältlich war. Sondern, wenn mein Bruder, Thomas Rinke, nicht gewesen wäre, der dort ein Goldschmiede Geschäft hat, der ist Goldschmied und der hat sie halt in seinem Laden verkauft. Am Anfang war das schon so, man wusste nicht, wie soll man das einschätzen: ist das eigentlich eine Anklage Worpswedes, dieses Buch? Ist es vielleicht doch eine Liebeserklärung, weil es sich ja so wahnsinnig mit der Geschichte Worpswedes auseinandersetzt? Wann erscheint schon mal ein großer Roman über dieses Dorf, eigentlich war es der erste. Je mehr der Roman publik wurde, je mehr er sich verkaufte, er Bestseller wurde, je höher die Auflagen wurden - mittlerweile sind es ja über 150.000. Je mehr Menschen aufgrund des Romans in diesen Ort kamen, hat man vielleicht gesehen, das schadet ja gar nicht. O-Ton Glocken der Zionskirche Erzähler: Mitten im Ort, leicht erhöht, steht die Zionskirche. Um sie herum liegen die Grabfelder des Friedhofs. Hier ruht Fritz Mackensen. Nur wenige Schritte entfernt findet man das Grab von Paula Modersohn Becker, das von einer steinernen Skulptur, die eine Mutter mit Kleinkind darstellt, geschmückt wird. Wenn die Tage wieder länger werden, ziehen Hunderte Touristen über den Friedhof. O-Ton Ferdinand Krogmann Wenn Mackensen Geburtstag hat, dann gehen sie auf den Friedhof zu diesem markanten Grabstein. Da wird dann zur Rolle Mackensens im Dritten Reich nichts gesagt, sondern wird nur gesagt, welche große Bedeutung dieser Mann für den Künstlerort Worpswede hat. O-Ton Rinke Es gibt in Worpswede eben die Verneiner: das hat es alles bei uns nicht gegeben, und das muss man gar nicht erwähnen. Und die, die jetzt immer in Worpswede abgelehnt wurden mit ihren historischen Publikationen und die quasi sowie gegen Windmühlen in Worpswede anrannten mit ihrem historischen Wissen. Das führte zu Verbitterungen, die natürlich für einen Romanautor sehr dankbar sind. Erzähler: Die Lokalstudie von Ferdinand Krogmann enthält Fakten, die den Mythos von der unpolitischen Künstlerkolonie gründlich zerstörten. Fehler konnte man ihm bisher nicht nachweisen. Was also tun? Der Autor wurde gemieden, auch schon mal rüde verwarnt, er solle damit aufhören, anständige Leute durch den Dreck zu ziehen. Ferdinand Krogmann hat persönliche Konsequenzen gezogen und lebt jetzt in Bremen. O-Ton Ferdinand Krogmann Da ist für mich kein wirkliches geistiges, freies Klima. Hier weht keine frische Luft. Ich kann hier nicht gut atmen, nech. Obwohl es hier eigentlich schön ist, und weil ich auch diese Landschaft mag. Aber das geistige Klima hier, das ist nicht durch Toleranz geprägt sondern letztlich doch nur durch Abwehr. Erzähler: In Moritz Rinkes Roman unternimmt der Enkel einen allerletzten Versuch, den Ruf des unter NS-Verdacht geraten Großvaters zu retten. Er präsentiert ein Stück tiefgefrorenen Butterkuchen. Dies sei der Kuchen, den sein Großvater vor Jahrzehnten gemeinsam mit Willi Brandt gegessen habe, die fehlende Ecke zeige den Gebissabdruck des großen Sozialdemokraten. Jemand, der mit dem Friedensnobelpreisträger Brandt Kuchen gegessen habe, könne kein Nazi gewesen sein. (Pause) Über Fritz Mackensen weiß man übrigens, dass er ein großer Freund des Apfelkuchens war. Sprecher: Die Lücke an der Wand Der Mythos von der unpolitischen Künstlerkolonie Worpswede Ein Feature von Rainer Link Es sprachen: Bernt Hahn, Gregor Höppner und Christoph Wittelsbürger Ton und Technik: Daniel Dietmann und Jutta Stein Redaktion und Regie:: Hermann Theißen Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2013 P.S. Diese Sendung wie auch weitere Publikationen sorgten 2013 für Aufregung im Künstlerdorf. Engagierte Einwohner kritisierten den Bürgermeister wegen dessen verharmlosender Äußerungen über die Rolle Fritz Mackensens zur NS-Zeit. 2014, zum 125-jährigen Jubiläum der Künstlerkolonie Worpswede, gab es die Ausstellung "Mythos und Moderne". Sie versuchte, die Wahrnehmungs-Lücke zwischen 1933 und `45 zu schließen. Noch heute tragen mehrere Straßen unkommentiert die Namen von Künstlern und Funktionären, die dem NS-Regime willig dienten, etwa der Fritz-Mackensen-Weg, der Ernst - Licht-Weg oder der Albert - Reiners - Platz.