COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Neue Heimat Hinterhof - Roma ziehen nach Berlin-Neukölln - Autor Lisa Steger Red. Bettina Ritter Sdg. 18.5.11 - 13.07 Uhr Länge 20.00 Minuten (incl. Moderation) Moderation Der Berliner Stadtteil Neukölln erlebt seit Monaten einen beispiellosen Zuzug von Roma- Familien, vielfach aus Rumänien und Bulgarien. Hier, wo die Mieten niedrig und die Lebensmittel günstig sind, können viele bei Verwandten unterkommen. Die Zahl der Berliner Roma schätzt das Institut für Weltbevölkerung aktuell auf 20.000. Genau kann man das nicht sagen. Denn die Zuzügler melden sich oft nicht an. Und wenn sie es tun, geben sie ihre Nationalität an - nicht die ethnische Zugehörigkeit. Kommunalpolitiker erwarten, dass in diesem Sommer der Strom der Zuzügler weiter anschwellen wird. Denn seit dem 1. Mai können sich Bürger aus vielen osteuropäischen Ländern, unter anderem aus Ungarn, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Slowenien, unbefristet in Deutschland niederlassen. Der Zuzug wirft Probleme auf - und stellt die Toleranz der Berliner auf die Probe. Lisa Steger berichtet. Script E 01: Musik, 20 Sek (SD 1, 518) REGIE: Musik unterlegen bis zum Ende des E 02 AUT: Der Platz unter der S-Bahn-Brücke Berlin-Friedrichstraße ist ihr Platz. Früh am Morgen, wenn die Berufspendler in die Stadt kommen, fängt Anna Lakatusch an zu spielen. Bei Sonnenuntergang packt sie ihr Akkordeon wieder ein. Passanten werfen Geld auf eine karierte Decke. Anna Lakatusch verdient zwischen zehn und fünfzehn Euro am Tag. E 02: (SD 1, 518.2.00): "Immer, ich bleibe immer in Berlin. Ein oder zwei Jahre, weiß ich nicht. Mit Kinder. Habe ich Kinder. Kinder und meine Mann verkaufen Zeitung. Ich mache Musik. Ich auch kann arbeiten. Meine Mann auch." AUT: Die 21-Jährige wohnt seit etwa einem Jahr in Berlin. Die Adressen wechselten, der Stadtteil blieb derselbe. Immer Neukölln. Zur Zeit lebt Anna Lakatusch mit ihren Eltern, der Schwester, dem Schwager, dem Ehemann und insgesamt vier Kindern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Hübsch sei es, sagt sie. Und sauber auch. Viel besser als in ihrer alten Heimat. E 03: (SD 1, 518.4.00) "Ich hab keine Wohnung in Rumänien. Bleiben hier - muss machen Geld für Wohnung." E 04: Trenner Musik (518) AUT: Es gibt viele Annas in Neukölln. Und etliche von ihnen wohnen in Häusern wie dem in der Treptower Straße. E 05: (SD 2, Ton 54): Schritte im Flur AUT: Die Haustür der Gründerzeit-Mietskaserne steht weit offen. Es riecht nach Urin im Flur, Kabel hängen aus den Wänden. Licht und Klingel funktionieren nicht. Viele der über 20 Briefkästen tragen keine Namensschilder und im Treppenhaus haben die Bewohner Mülltüten, Wäscheständer und Schränke abgestellt. Im Hinterhof liegen Matratzen, Kleidung und Schuhe herum, auch ein Kochtopf mit Resten eines Reisgerichts. Einige Erdgeschossfenster sind mit Brettern vernagelt, in anderen ersetzen Plastiktüten die fehlenden Scheiben. Im Hinterhaus öffnet eine Frau um die fünfzig die Tür und zeigt ihre düstere Wohnung. Kisten verstellen den Flur. Sechs Matratzen lehnen an der Wand. Sie werden abends auf den Boden gelegt. Im Moment ist Lugica Gogan, eine Roma aus Rumänien, allein mit einem Kind von etwa zwei Jahren. E 06: (SD 2, Ton 55) "Papa, Mama, Arbeit, Arbeit. Papa Arbeit." AUT: Im Vorderhaus läuft ein junges Mädchen einem Kleinkind hinterher, das aus der Wohnung ins Treppenhaus ausgebüchst ist. Das junge Mädchen - es mag 15 sein oder 16 - zeigt auf sich selbst und sagt "Mama". Sie ist die Mutter des Kindes und heißt Roviza Obremaris. Ihr Mann ist nicht da: E 07: (SD 2, Ton 56): "Mein Mann Baustelle. Rumänisch." AUT: "Rumänenhäuser" nennen die Berliner diese Unterkünfte. Und das kann, je nachdem, wie es ausgesprochen wird, durchaus feindselig klingen. Auch Vera Zoran wohnt in so einem Haus. Sie heißt anders. Ihr richtiger Name soll nicht im Radio genannt werden, sagt sie. Auch nicht die genaue Adresse. Denn das Haus ist bekannt in der Gegend. Ein Mitarbeiter des Bezirksamtes hat einmal erlebt, dass Fäkalien, in einer Tüte verpackt, aus dem Fenster in den Hof flogen. Er fand dann heraus, dass einige Wohnungen mit zehn bis 20 Menschen belegt waren. Die Toiletten waren einfach überfordert. Vera Zoran, eine Roma aus Serbien, sagt, sie ist hier sesshaft geworden. Zum ersten Mal im Leben. Zuhause in Serbien ist sie oft umgezogen. E 08: (SD 2, Ton 51.2.36): "Überall ein bisschen. Wohnwagen, Haus, also ein bisschen überall." AUT: Vor vier Jahren schon setzte sich die Familie in Bewegung. Auf der Suche nach besser bezahlter Arbeit, auf der Flucht vor Diskriminierung. Über Italien und Österreich ging es nach Deutschland. Inzwischen sind alle Angehörigen in Westeuropa. Wo genau, weiß Vera Zoran nicht. E 09: (SD 2, Ton 51.3.02): "Also, ich hab niemanden mehr. Ich habe überhaupt niemanden. Ich hab auch niemanden da. Keine Ahnung. Mein Vater ist gestorben, als ich noch 13, 14 war. Und ich bin dann allein geblieben. Ich bin hier, um zu bleiben." AUT: Vera Zoran teilt sich die Anderthalb-Zimmer-Wohnung mit ihrem dreijährigen Sohn. Es ist elf Uhr, Kevin frühstückt auf der Couch. Eine Kindermilchschnitte. Der Junge ist nur mit einem Schlafanzug-Oberteil bekleidet, sein Po ist nackt. Drei seiner oberen Schneidezähne sind halb abgefault. Eigentlich sollte Kevin um diese Zeit im Kindergarten sein, heute hat er frei. Wegen des Regens, sagt die junge Mutter. Vera Zoran ist froh, dass der Junge nicht in Serbien aufwächst. E 10: (SD 2, 51.8.28) "Dort ist Armut. Manche Leute, die krank sind, können sich nicht dort pflegen lassen und so. Man braucht Geld und ganz viele Leute haben das nicht. Und die arbeiten auch den ganzen Tag für fünf Euro. In Deutschland ist es besser. Man könnte für eine Stunde fünf Euro bekommen! Nicht den ganzen Tag." AUT: Vera Zoran führt durch die Wohnung, zeigt stolz auf den Fernseher, die Schrankwand, das Bad. Es ist sehr sauber hier, darauf legt sie Wert, allein schon des Kindes wegen. Die 29-Jährige hat vor einiger Zeit einen Asylantrag gestellt, der vermutlich abgelehnt werden wird. Seit mehreren Jahren schon haben serbische Asylbewerber im gesamten Bundesgebiet keine Chance mehr, weil Serbien als sicher gilt. Die junge Mutter darf aber dank einer "Duldung" in Deutschland bleiben, wenn sie sich um Arbeit bemüht. Vera Zoran hat sich jetzt als Zimmermädchen beworben. Weil sie ein Kind hat, hat sie Anspruch auf "Hartz IV". Kevin, der Sohn, ist hier geboren. Er ist Deutscher, sagt die Mutter und lächelt. In Serbien ist sie seit ihrer Ausreise nicht mehr gewesen. E 11: (SD 2, Ton 51.12.58) "Ich möchte nicht dahin. Die Roma sind immer das Müll. Wie sagt man das? Das Letzte. Alle sind ein Haufen. Mir ist es schwierig, dass ich erzähle, aber ich sag mal so ganz kurz. Ich wurde geschlagen und auch ganz andere Sachen. Wenn mich jetzt jemand hier auf der Straße sieht und überhaupt - niemand guckt dahin. Und in Serbien ist auch ganz viel mal passiert, dann sagen sie schlechte Wörter. Dann sagen sie, guck mal die Zigeunerin. Ah, seine Mutter, ne? Und hier, ich hab das hier nicht erlebt. Dass ich normal auf der Straße gehe und jemand sagt, dass ich eine Zigeunerin bin. Und dass sie schlechte Wörter sagen. Man hat hier seine innerliche Ruhe und ein normales Leben." E 12: Atmo Straßenlärm REGIE: 3 Sekunden stehen lassen AUT: Ein normales Leben - dieser Traum geht längst nicht für alle Roma in Erfüllung. Die Reise ins Ungewisse endet manchmal auch hier: in der Neuköllner Flughafenstraße. Über mehr als 200 Meter reihen sich Clubs, sogenannte "Sport Bars" und "Musik-Cafés" aneinander. Es sind Bordelle, vor denen oft schon tagsüber Frauen auf Kundschaft warten. Die Frauen rauchen vor der Tür Kette, ihre Männer sitzen hinter der Fensterscheibe und behalten sie im Blick. Die meisten sind Roma, hergekommen meist aus Rumänien und Bulgarien. Hier, in einem Hinterhof, arbeiten auch die Berater von "Amaro Drom". E 13: Atmo Beratung (SD 2, Ton 61) REGIE: Atmo 5 Sekunden frei stehen lassen: "Unterhaltsvorschuss für ihre Tochter..." AUT: Die Roma-und-Sinti-Beratungsstelle in der Flughafenstraße ist an jedem Werktag zehn Stunden lang geöffnet, manchmal auch länger. Eine junge Mutter aus Bulgarien hat eine ganze Tüte voller Briefe und Rechnungen mitgebracht und legt sie auf den Tisch. Sie versteht kein Wort Deutsch. Mariela Nikolova, eine bulgarische Muttersprachlerin, übersetzt ihr die Schreiben. REGIE: Atmo kurz hochziehen, wenige Sekunden stehen lassen Am Nebentisch kümmert sich der Berater Marius Krauß um einen 29-Jährigen Rom aus Rumänien. Er will ein Gewerbe als Hausmeister anmelden. Der gelernte Schmied trägt Hosen mit Bügelfalte und sorgfältig gescheiteltes Haar. Er ist seit drei Monaten hier. Ganz legal, als Tourist. Seit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union vor vier Jahren dürfen sich die Bürger dieser Staaten drei Monate lang hier aufhalten, ohne sich anzumelden. Nun aber muss der Rumäne entweder einen Gewerbeschein beantragen oder aber ausreisen, sonst ist er mit Frau und Kindern illegal in Deutschland, wie so viele andere Berliner Roma. Und das möchte der Handwerker auf keinen Fall: E 14: (SD 2, Ton 66.0.00 ff) "Copino sont de la scuola... problem, no." Übersetzung: "Wir sind hier, damit die Kinder in die Schule gehen können. Sie sollen eine normale Schulausbildung bekommen, was in Deutschland funktioniert. Und was die Arbeit angeht, soll alles legal sein, mit dem Finanzamt muss es geregelt sein und mit der Gewerbeanmeldung. Wir haben keinen Ärger mit der Polizei und wir sind nicht hier, um zu klauen und zu betteln." AUT: Marius Krauß hört zu, füllt die Formulare für den jungen Mann aus und schreibt anschließend noch einen Brief an die zuständige Kindergeldstelle in Transsylvanien. Dort meldet er seinen Klienten - wie die Rat Suchenden hier genannt werden - ab, damit der in Berlin Kindergeld beantragen kann. Krauss macht alles allein, der Klient sitzt nur daneben. E 15: (SD 2, Ton 65.1.50) "Weil er die Sprache nicht kann. Und bei ihm würde ich einschätzen, dass er es vielleicht auch nicht lesen kann. Also auch, wenn es da auf Rumänisch stehen würde, würde er es trotzdem nicht lesen können." AUT: Eine ältere Frau streckt den Kopf zur Tür herein. "Papiere, Papiere", sagt sie. Auch sie hat ein Formular dabei, das sie nicht ausfüllen kann. Ein anderer Klient hat Marius Krauß kürzlich zwei dicke Packen mit Briefen auf den Tisch gelegt. Es waren Rechnungen, doch mehr wusste der Klient nicht - er kann weder lesen noch schreiben. Bis zu 30 Prozent der Roma aus Rumänien und Bulgarien sind Analphabeten, schätzt Krauss. Diese Menschen sind in Berlin hilflos - leichte Beute für Betrüger. E 16: (SD 2, Ton 70.0.53) "Großteils werden die Leute ausgenommen, ausgetrickst. Meistens. `Warten sie, ich bezahle Sie morgen, übermorgen.´ Irgendwann sind Monate vergangen und die Rechnungen sind alle offen. Es sind leider, muss ich sagen, unter anderem auch selbst Rumänen, die länger hier sind, die schon in Berlin eine Nische gefunden haben und die anderen abzocken. Auf Deutsch gesagt. Oder es sind große deutsche Firmen, die ihre Aufträge weiter geben an Subunternehmer. Und die Subunternehmer sind dann auch aus dem grauen Bereich." AUT: Kürzlich war eine Putzfrau hier, die für 2.50 Euro die Stunde arbeitet. Möbelpacker verdingen sich für drei bis fünf Euro Stundenlohn. Auch bei der Wohnungssuche werden Roma-Familien übervorteilt, hat Beraterin Mariela Nikolova erfahren. E 17: (SD 2, 59.6.00): "Ich kenne zum Beispiel eine Familie: Zwei Personen zahlen nicht pro Monat, sondern pro Tag, 30 Euro für eine Ein-Zimmer-Wohnung. Das heißt, das sind über 900 Euro pro Monat für die ein-Zimmer-Wohnung. Im schlechten Zustand, es ist auch keine schöne Wohnung. Der Punkt ist aber: Die können sich dort weder anmieten noch irgendwas da machen. Damit eine Familie, die jetzt ganz neu nach Deutschland kommt, eine Wohnung ganz normal mieten kann, muss man eine Einkommensbescheinigung haben. Und diese Papiere haben die Leute meistens nicht." AUT: Oft erhalten die Roma nicht einmal einen Mietvertrag. Mit der Folge, dass der Vermieter den Mietzins jederzeit erhöhen oder aber seine Untermieter hinauswerfen kann: E 18: (SD 2, 59.7.10): "Uns ist es auch bekannt, dass ganz viele deutsche Staatsbürger, die Leistungen vom Staat bekommen - sprich Hartz IV beziehungsweise ALG II - die vermieten auch die Wohnungen, die durch den Staat bezahlt werden, weiter. Das ist auch der Polizei bekannt. Aber die Polizei kann nur dies tun: Sie kann die Wohnung räumen. Aber dann haben wir die Leute auf der Straße. Und was machen wir weiter." AUT: Der Schmied, der in Berlin ein Gewerbe als Hausmeister anmelden will, verabschiedet sich mit Handschlag und bittet noch einmal darum, dass sein Name nicht im Radio genannt wird. Man weiß ja nicht, wer zuhört! Die neuen Nachbarn und der Vermieter sollen nicht wissen, dass der Hausmeister und seine Frau Roma sind. Die Sorge ist berechtigt, sagt Berater Marius Krauß. Viele Vermieter lehnen Roma grundsätzlich ab. E 19: (SD) "Es gibt ja auch Roma, die sehr traditionell gekleidet sind. Das fällt dann schon auf. Dann sind die Chancen gleich auf die Hälfte reduziert." AUT: Hürden wie diese schrecken viele Roma nicht ab, denn anderswo in Westeuropa haben sie es noch schwerer. Seit Italien und Frankreich Roma-Lager räumen, kommen mehr Roma nach Berlin, sagt Erich Mitbach, der Leiter des Neuköllner Jugendamtes. Jede zehnte Familie, die seine Behörde betreut, ist derzeit eine Roma-Familie. Oft wird das Jugendamt aktiv, weil Kinder betteln oder nachts auf der Straße zu sehen sind. Viel mehr Sorgen macht Mitbach etwas anderes. Das sind die Eltern, die sich eben nicht nach drei Monaten mit einem Gewerbe anmelden, sondern einfach untertauchen. E 20: (SD 2, 44.4.20): "Das hat zur Folge, dass viele Kinder seit Wochen, seit Monaten und manche seit Jahren nicht die Schule besuchen. Dieses Problemfeld war uns in diesem Maße bisher gar nicht bekannt und wird jetzt eigentlich immer deutlicher. (...) Wir gehen davon aus, dass es laufend weitere Zuzüge gibt. Aus Bulgarien und Rumänien vor allem. Das fällt auch bei unserem Kinder- und Jugendgesundheitsdienst auf, dass dort ganz viele Kinder vorgestellt werden, die nicht krankenversichert sind und die Anzahl derer scheint immer weiter zuzunehmen." AUT: Erich Mitbach schätzt, dass allein im nördlichen Teil Neuköllns rund 300 schulpflichtige Kinder wohnen, die in keiner Schule angemeldet sind. Der Staat kann nichts tun: Denn wenn die Kinder nicht polizeilich gemeldet sind, existieren sie offiziell gar nicht. Der Berliner Senat versucht, den Familien eine Brücke zu bauen. Seit dem Frühjahr gibt es eine neue Vorschrift: Jedes Kind kann in einer Schule angemeldet werden. Auch dann, wenn die Eltern sich illegal in Deutschland aufhalten. Sie müssen lediglich eine Adresse und eine Telefonnummer hinterlassen. Seither sind allein in Berlin-Neukölln rund 600 Kinder neu eingeschult worden. In einigen Grundschulen, wie zum Beispiel in der Boddin- Grundschule, stellen Roma-Kinder inzwischen ein Viertel der Schüler. E 22: (SD 1, 519.5.30): "Was ist das?´- `Das ist ein Buch.´`- `Ein Lesebuch. Schön.´ - `Das ist ein Lesebuch.´" REGIE: Atmo unterlegen AUT: Deutschunterricht für Roma-Kinder in der Boddinschule: Rektor Volker Steffens hält Bilder in die Luft und fragt die 15 Kinder nacheinander, was sie sehen. Die jüngsten sind sieben, die ältesten elf - so wie Deborah. E 23: (SD 1, 521.0.30): "Ich bist in Berlin... ich bin in Berlin sieben Monate." AUT: Im normalen Unterricht verstehen diese Kinder kaum etwas, sagt Volker Steffens. Deshalb sind sie hier, fünf Tage die Woche, drei Stunden am Tag. In diesem Extra-Kurs gibt es weder Bücher noch Hefte für die Schüler. E 24: (SD 1, 524.1.30): "Sie haben teilweise in ihren Heimatländern keine Schule besucht und teilweise nur sehr sporadisch. Die Intentionen der Eltern, die Kinder auch der Bildung näher zu bringen, sind sehr, sehr gering, wie wir erkennen. Und das spürt man auch hier. (...) Also, ich sehe nicht sehr viele Kinder, die lesen und schreiben können. Das heißt, sie müssen in diesen Anfangskursen auch die Grundfertigkeiten erlernen." AUT: Zwar gibt es auch in Rumänien und Bulgarien eine Schulpflicht, doch häufig halten sich die Roma-Familien nicht daran. Die dortigen Behörden, so Steffens, lassen die Eltern in Ruhe. Und viele Schulen wollen die Roma-Schüler gar nicht haben. Diese Tradition wirkt fort, sagt Volker Steffens. Kürzlich hat er zum Elternabend eingeladen. Nur ein einziger Vater erschien. E 25: (SD 1, 524.2.30): "Wir müssen die Schulsozialarbeiter hier im Hause beauftragen, die Kontakte herzustellen. Die schriftlichen Kontaktaufnahmen sind schwierig und die telefonischen erst recht. Es sind nur, wenn wir Hausbesuche machen, Erfolge zu verzeichnen. Dass wir also sagen, kommt mal in die Schule, wir haben da etwas zu besprechen, mit einem Dolmetscher." AUT: Extra-Klassen für Roma-Kinder: Die gibt es bisher nur vereinzelt - obwohl der Senat Geld dafür bewilligt hat. Es fehlt an Personal. Gesucht werden Lehrer, die gut Rumänisch oder Bulgarisch sprechen. Leute wie Hamze Bytyci. Der gebürtige Kosovare, selbst ein Rom, ist Sozialarbeiter an der Adolf-Reichwein- Förderschule in Berlin-Neukölln. Hier stellen Roma ein geschätztes Drittel der Schüler. Die Reichwein-Oberschule ist eine der Schulen mit den höchsten Fehlzeiten in ganz Berlin. Tag für Tag fehlt ein Viertel der Kinder und Jugendlichen. Manche bleiben weg, weil sie bereits arbeiten, erzählt Hamze Bytyci. E 26: (SD 1, 515.21.00): "Scheibenputzen, Musik machen, andere versuchen sich auch mit irgendwelchen kleinen Gelegenheitsjobs an Baustellen. Die bulgarische Community hat das Glück, dass sie Türkisch kann. Viele von denen. Und die sind dann bei Türken untergebracht mit Gelegenheitsjobs." AUT: Die Klassen hier sind klein, sie bestehen aus nur 15 Schülern. Es gibt Extra- Deutschstunden und viele Praktika, damit die Schüler Kontakte zu späteren Arbeitgebern knüpfen können. Doch viele Roma-Jugendliche brechen die Schule ab - unter anderem, um zu heiraten oder verheiratet zu werden, berichtet Rektor Jens-Jürgen Saurin. E 27: (SD 1, 515.11.00): "Vor allen Dingen tut uns das weh, weil viele Kinder auch hier Fuß fassen an unserer Schule, auch viele Roma-Kinder, und sie dann sehr früh, wie es der Tradition entspricht, sehr früh schon verlobt werden und verheiratet werden oder versprochen werden. Und dadurch schon in der neunten oder zehnten Klasse herausfallen. Da haben wir sicher in jeder Klasse zehn bis zwanzig Prozent, die früh verheiratet werden. In jeder neunten, zehnten Klasse." AUT: Franziska Giffey ist Bildungsstadträtin in Neukölln. Und sie bringt das Problem auf eine harte Formel. Die Integration der Roma-Familien in die Schulen, sagt sie, sei schwer, weil eine ganze Reihe von Familien gar nicht integriert werden wollten: E 28: (SD 1, 513.12.00): "Schulbesuch wird von vielen Familien dieser Community eher als unverbindliche Empfehlung teilweise betrachtet. Das ist schon ein großes Problem." AUT: Das Problem muss angepackt werden, die Zeit drängt, sagt die Bildungsstadträtin. Seit dem 1. Mai dürfen Menschen aus acht mittel- und osteuropäischen Ländern in Deutschland ohne Genehmigung arbeiten. Das gilt unter anderem für Ungarn, Slowenen, Slowaken und Tschechen. Dort leben viele Roma in elenden Verhältnissen, sagt Franziska Giffey. E 29: (SD 1, 513.1.00): "Wir rechnen damit, dass die Zuzüge, die wir ja im vergangenen Jahr hatten, noch sich steigern werden, dass wir also noch mehr Menschen haben, die diese Möglichkeiten nutzen, die sagen, wir suchen ein besseres Leben in Deutschland, in Berlin. Und dann ist natürlich die Frage, wo bringt man diese Kinder entsprechend unter." E 01: (SD 1, 518) Atmo Musik Akkordeonspielerin AUT: Unter dem S-Bahnbogen Berlin-Friedrichstraße macht Anna Lakatusch nach zehn Stunden Feierabend. Mit der U-Bahn geht es zurück nach Neukölln, in die Wohnung, die sie sich mit neun Angehörigen teilt. Für sie ist es ein ganz normaler Tag. REGIE: Musik hochziehen, 5 Sekunden frei stehen lassen ENDE