Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 23. September 2013, 19 Uhr 30 "Das sagt man nicht!" Wie korrekt muss Sprache sein? Eine Sendung von Michael Meyer Musik Sprecherin: Negerkuss, Hilfsschüler, Zigeunerschnitzel, Schlitzauge, Behinderter, Mohrenkopf, Krüppel, Furie, Tunte, Kopftuchmädchen. Sprecher vom Dienst: "Das sagt man nicht!" Wie korrekt muss Sprache sein? Eine Sendung von Michael Meyer. O-Ton Broder Niemand kann diesen Begriff definieren, Political Correctness, in dem Sinne, wie sie in Amerika existiert, gibt es sie in der Bundesrepublik nicht. Was es freilich gibt, ist eine Art von Sprachregelung, oder es gibt den Versuch, eine Sprachregelung durchzusetzen. Sprecher: Erklärt Henryk M. Broder in einem Kulturzeit-Interview. Anlass sind schlichte und verquaste Äußerungen der TV-Kollegin Eva Hermann zur nationalsozialistischen Vergangenheit. O-Ton Broder Und das erstaunlichste an diesem Versuch ist, das er nicht von oben geschieht. Es gibt keine Reichsschrifttumskammer, keine staatliche Instanz... Das ist eine Tendenz, die die aus der Gesellschaft selbst kommt. Man könnte sagen, die Gesellschaft kastriert sich freiwillig, indem sie auf den Gebrauch bestimmter Begriffe verzichtet. Sprecher: Sagt der Publizist, der gewissermaßen von Grenzüberschreitungen, von sprachlichen und gedanklichen Provokationen lebt. O-Ton Martenstein Ja natürlich gibt es das bei uns. Man könnte bereits eine Geschichte der Politischen Korrektheit schreiben am Beispiel von Bezeichnungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Sprecher: Harald Martenstein, Journalist und Kolumnist bei der "ZEIT", dem "Tagesspiegel" und im Radio: O-Ton Martenstein Der Behinderte, der ursprünglich ein Ausdruck der politischen Korrektheit gewesen ist, wird ja heute als diskriminierend empfunden, man sagt: Menschen mit Handicap, statt Behinderte. Viele Leute kennen sich da nicht so aus, und kennen nicht die neuesten Sprachregelungen. Denken, sie sind nett, wenn sie von Behinderten sprechen, ist aber gar nicht der Fall, man muss sich auf dem Laufenden halten. Man muss immer die neuesten Sprachregelungen kennen. Sprecher Harald Martenstein befasst sich regelmäßig in seinen Texten mit dem Thema Politische Korrektheit. Und das auf ironische Art und Weise - was Martenstein zuweilen erboste Leserreaktionen eingebracht hat - oder wie man neudeutsch sagt: Er war Gegenstand eines "shitstorms. PC ist zum Kampfbegriff geworden, der für die einen nach Befreiung klingt, für die anderen nach Bevormundung. Musikakzent Sprecher Politisch korrekte Sprache - was das ist und vor allem: Wer sie definiert, darum wird seit Jahrzehnten gestritten. Woher der Begriff stammt, ist nicht ganz genau auszumachen. Was man mit Sicherheit sagen kann: Politische Korrektheit, PC, ist ein Begriff und ein Konzept, das zunächst aus der linken Ecke kam. Öffentlich bekannt wurde PC mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die ihren Höhepunkt in den unruhigen sechziger Jahren hatte. Damals ging es um die Rechte von Minderheiten, um Diskriminierung von Schwarzen, Schwulen und Frauen und um die Befreiung von Unterdrückung. Und mit den gesellschaftlichen Veränderungen ging der Wandel von Sprachgewohnheiten einher. Noch heute wird in den USA um Begriffe, Worte und Definitionen gerungen - nicht, dass in den USA der Rassismus verschwunden wäre, aber: zumindest ist das Niveau der Diskussion um die richtige Sprache, die Menschen miteinschließt, statt sie aus der Gesellschaft auszugrenzen, in den Vereinigten Staaten deutlich höher. Und vor allem: die Debatte wird bereits bedeutend länger geführt, als in Europa. Seit mehr als vierzig Jahren gibt es eine Diskussion darüber, was es bedeutet, Amerikaner zu sein. Daraus leiteten sich denn auch die sogenannten "Bindestrich-Identitäten" ab: wie Asian-American, Afro- American. Erst deutlich später kam die Debatte auch nach Deutschland. O-Ton Politische Korrektheit muss man immer von der jeweiligen Kommunikationsgemein- schaft abhängig machen. Sprecher Heiko Girnth, Polit-Linguist an der Universität Marburg O-Ton Und hier in Deutschland ist Politische Korrektheit etwas anderes als in Amerika. Und politisch korrekt ist gerade in Deutschland insbesondere das Sprechen über die nationalsozialistische Vergangenheit, hier sieht man sehr deutlich Verstöße gegen die politische Korrektheit, hier wird das auch stark geahndet, wenn jemand nationalsozialistische Vergleiche anbringt, die unangemessen sind, also hier in Deutschland liegt darauf zumindest ein Schwerpunkt. Sprecher Wenn man zurückblickt, dann fällt auf: Gerade vor 1968 stand es um politisch korrekte Ausdrucksweise schlecht - das Bewusstsein dafür war nur gering ausgeprägt. Nicht nur in der großen Politik, auch im Alltag war die Sprache deutlich härter - heute würde man sagen: Politisch unkorrekt. Wie das konkret geklungen hat, zeigte vor ein paar Jahren der Film "Contergan". In dem Fernseh-Zweiteiler, der die Geschichte des Contergan-Skandals Ende der fünfziger Jahre in Deutschland thematisierte, war die Sprache sehr hart. Sprecherin: (Krankenschwester) Herr Wegener? Sie haben leider ein verkrüppeltes Kind...Es hat keine richtigen Arme, nur so kleine.... Sprecher: (Vater) Aber... wachsen die nicht noch? Sprecherin: Was für eine dumme Frage. Natürlich wachsen die nicht mehr. Und es hat auch nur ein Bein. Sprecher: Ich will sofort mein Kind sehen.... Sprecherin: Hören Sie: Die Arme ihrer Tochter sind stark verkürzt, die Hände sind verkümmert, der linke Fuß ist direkt am Beckenknochen angewachsen, also... da kann man wohl nichts machen. Sprecher Das Drehbuch hat Benedikt Röskau geschrieben. Der Autor hat für den Film lange recherchiert, hat mit Betroffenen gesprochen, den Eltern und den Contergan- geschädigten Kindern genau zugehört: O-Ton 6: Das, was wir gezeigt haben, war die Spitze eines Eisberges. Damals wurde viel härter über Menschen geredet, vor allem über Behinderte, als man das heute tut. Damals war es ganz normal von Krüppeln zu sprechen, von Missgeburten, da gab es überhaupt keine Scham, keine Zurückhaltung und wir haben in dem Film eigentlich eher die Sache beschönigt, als wir sie noch verstärkt haben. Sprecher Sprache in den fünfziger Jahren - das war eine eigentümliche Mischung von Zuvorkommenheit alter Schule und Diskriminierung, hat Röskau festgestellt: O-Ton 7: Was mir bei der Arbeit erst aufgefallen ist, eigentlich während der Dreharbeiten, als ich die Schauspieler sprechen gehört habe, dass es damals eine förmliche Höflichkeit im Umgang der Menschen miteinander kontrastierte mit einer unfassbaren sprachlichen Brutalität. Also die Leute wurden immer mit: Sehr geehrter Herr, oder Hochwürden oder mit gnädigem Fräulein oder gnädige Frau angesprochen, es gab eine unglaublich liebedienerische Sprache, was man auch in schriftlichen Dokumenten sehen konnte, gleichzeitig war die Sprache unglaublich brutal in der Definition von gesellschaftlichen Unterschieden, von Andersartigkeit der Menschen. Musikakzent Sprecher Wie korrekt muss Sprache sein, das ist auch und gerade in der Politik eine ungemein wichtige Frage. Menschen wollen überzeugt, Probleme müssen angesprochen werden. Früher wurde bedeutend häufiger in öffentlichen Reden auf die sprichwörtliche Pauke gehauen und vor allem: Es wurde persönlich, wie folgenden Beispiele zeigen: Franz Josef Strauß 1980, Helmut Kohl und Willy Brandt in einer Fernsehdebatte 1987: O-Ton 8 a: Strauß: " Halten Sie doch den Mund....Sie Trottel.....(Applaus) Ich seh Sie schon seit längerer Zeit, wenn Sie schon kein Hirn haben, so halten Sie's Maul wenigstens...(Applaus. Gejohle) Dieses dämliche Gequatsche eines politisierenden Beatles...Was glauben Sie denn, Sie Pilzkopf... Kohl/ Brandt: "Lassen Sie doch Heiner Geißler beiseite...Heiner Geißler tut für unsere Partei seine Pflicht, wie ihre Leute auch. // Ein Hetzer ist er, seit Goebbels der schlimmsten Hetzer in diesem Land... Sprecher Heutzutage geht es gemächlicher zu - Ausrutscher und bewusste Seitenhiebe nicht ausgeschlossen. Neben der politischen Strategie sind Mentalität, rhetorische Begabung, Sprachbewusstsein und das Nervenkostüm Impulsgeber für solche Äußerungen. Nach langweiligen Parlamentsreden und Interviews, in denen sich Politiker winden klare Aussagen zu treffen, wird gern auf die gute alte Zeit verwiesen. Doch wünscht man sich die rauen Jahre eines Strauß, Wehner oder Geißler zurück? Auch heute noch können Debatten und Interviews zuweilen erbittert geführt werden, das zeigte sich erst vor kurzem, als die taz ein Gespräch zum Thema Rassismus mit Philip Rösler, FDP führte, und dieser dann das Interview nicht autorisierte. Die taz veröffentlichte daraufhin, eingeschnappt, nur die Fragen. "Wann haben Sie bewusst wahrgenommen, dass Sie anders aussehen als die meisten Kinder in Deutschland?" fragte die taz, und setzte nach: "Warum werden Sie gehasst?" Mal ganz abgesehen davon, wie geschickt diese Fragen waren, zeigt die Debatte: Political Correctness erregt die Gemüter. Auch die Leserreaktionen hatten es in sich: "faschistoid" und "rassistisch" lauteten die Vorwürfe. Dabei ist eine direktere, klarere Sprache zu bevorzugen, und kommt meistens beim Publikum auch gut an, meint der Polit-Linguist Heiko Girnth: O-Ton 9: Dieser Begriff von der Klaren Kante, und deutlich aussprechen, was man denkt, was man meint, wir können ja als Gegenbeispiel die Sprachverwendung von Angela Merkel heranziehen, die das Gegenteil von klar und direkt ist, hier geht es ja darum, möglichst alles offen zu halten, möglichst im vagen zu lassen, um eben sich Handlungsspielräume zu eröffnen. Sprecher: Jedoch ist die Frage, was Politiker wirklich meinen, wenn sie bestimmte Dinge nicht sagen. Man könnte es auch so formulieren: Wie viel Toleranz steckt dahinter, wenn in der Öffentlichkeit bestimmte Begriffe nicht mehr benutzt werden? Nicht viel, meint Kolumnist Harald Martenstein. Außerdem sei das Problem, dass sich so manches Sprachgebot oder - verbot ins Gegenteil umkehrt: O-Ton 10 Das spricht nicht gegen Verbote, sondern nur gegen die Illusion, man könnte irgendwas aus der Welt schaffen, in dem man es verbietet. Verbote machen natürlich manche Sachen attraktiv. Was verboten ist, das macht uns gerade scharf, hat Wolf Biermann mal gesungen. Und Verbotenes zu tun, verleiht einem so ein Outcast und Rebellen-Image. Ich merke das bei jungen Leuten, die manchmal eine diebische Freude haben, gegen diese Sprachregelung zu verstoßen, weil es ein Zeichen des Unangepassten, des Rebellischen ist - wir pfeifen drauf, was ihr uns da vorschreibt, darüber muss man sich im Klaren sein: Man bringt es nicht zum Verschwinden, man macht es vielleicht sexy. Musikakzent Sprecher: Einer derjenigen, der auf der Klaviatur der gezielten Provokation und der damit schon antizipierten Empörungswelle ebenfalls gut spielte ist Thilo Sarrazin: "Ich muss niemanden anerkennen, der von diesem Staat lebt, diesen Staat ablehnt und für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue, kleine Kopftuchmädchen produziert." Bemerkungen wie diese waren durchaus kein Ausrutscher, meint die leitende Redakteurin der "Süddeutschen Zeitung", Evelyn Roll. Roll hatte in einem langen Artikel das "Prinzip Sarrazin" analysiert: O-Ton: 12 Ich glaube, dass der Sarrazin eines verstanden hat, was die meisten verstanden haben, was mit Öffentlichkeit zu tun hat, nämlich das sich da was geändert hat. Früher war die Währung, was jemand gilt in der Gesellschaft, glaube ich, Leistung, heute ist das eher Aufmerksamkeit. Das sehen Sie auch daran, was wir für Stars haben. Und ich glaube, dass der Sarrazin verstanden hat, wie man Aufmerksamkeit bekommt: Wie halt ein kleiner Junge, der morgens von der Mama gesagt bekommen hat: Dieses böse Wort sagst Du nicht mehr und nachmittags kommen die Tanten zu Besuch und es ist ein bisschen still und keiner hat mehr aufmerksam auf dieses Kind geschaut und der sagt dann auf einmal: Tara, blöder Nazi oder alte Schwuchtel, und schon merkt er: Jetzt habe ich das, und schon hat er Aufmerksamkeit. Sprecher: Dieses "Kleine-Jungen-Prinzip" bediene Sarrazin, meint Roll. Dem Sarrazin-Skandal wohnte aber noch ein anderes Phänomen inne: Der Gegensatz zwischen öffentlichem und privatem Sprechen. Man spricht - normalerweise - anders, wenn man weiß, dass die eigenen Worte womöglich in die Öffentlichkeit gelangen. Normalerweise. Evelyn Roll: O-Ton 13: Ich habe das mal ausprobiert mit Freunden, wenn Sie das Leuten vorlesen, auch die Stellen, über die wir alle so lange diskutiert haben: Die Menschen nicken. (...) Natürlich sagen wir: Berlin muss aufpassen, dass die Türken das nicht so mit uns machen wie die Kosovaren mit dem Kosovo, die kriegen die vielen Kinder, wir haben im Durchschnitt ein halbes Kind, und die kriegen sieben Kopftuchmädchen, um jetzt mal die provozierendsten Stellen zu sagen, wenn Sie das jemandem vorlesen, der Berlin kennt, die nicken alle. Und trotzdem hat sich bei uns ja so eine politisch- korrekte Sprache eingebürgert, dass jeder, der bei Verstand ist, weiß, dass es provokativ ist, es so zu sagen. Niemand sagt, der Mann hat Unrecht. Alle sagen, was ich auch ein bisschen scheinheilig finde: So hätte er das nicht sagen dürfen. Der ist doch immerhin Sozialdemokrat und ein Banker. Musikakzent Sprecherin: Die kleine Hexe Wie kamen die beiden Negerlein auf die verschneite Dorfstraße? Und seit wann gab es Türken und Indianer in dieser Gegend? Türken mit roten Mützen und weiten Pluderhosen - und Indianer, die gräulich bemalte Gesichter hatten und lange Speere über den Köpfen schwangen? "Sie werden vom Zirkus sein", meinte der Rabe Abraxas. Aber die beiden Negerlein waren nicht vom Zirkus und ebenso wenig die Türken und Indianer. Auch die kleinen Chinesinnen und der Menschenfresser, die Eskimofrauen, der Wüstenscheich und der Hottentotten-Häuptling stammten nicht aus der Schaubude. Nein, es war Fastnacht im Dorf! Sprecher: Mekonnen Mesghena, las seiner kleinen Tochter "Die kleine Hexe" von Ottfried Preussler vor, und so fiel mehrmals das Wort "Negerlein". Die Tochter fühlte sich beleidigt. Erbost legte Mesghena das Buch zur Seite und schrieb an den Verlag, dass er die entsprechenden Stellen bitte ändern möge. Autor Preussler lehnte das ab - doch besann er sich, kurz vor seinem Tod im Februar dieses Jahres, eines besseren - und stimmte den Änderungen zu. In der Neuauflage sind nun die Negerlein und die Türken in Pluderhosen zu Messerwerfern, die Eskimofrauen zu Indianerinnen und die Hottentottenhäuptlinge zu Seeräubern geworden. Mekonnen Mesghena, erhielt eine Welle von Emails, Briefen und Anrufen. Darin beschwerten sich Menschen über die sprachlichen Änderungen, das Wort "Zensur" war im Raum: O-Ton Meshgena : Also ich habe das am Anfang als ziemlich heftig erlebt. Ich habe mit diesen Reaktionen tatsächlich nicht gerechnet, sondern es war eine Initiative eines Vaters, der an der Enttäuschung seiner Tochter etwas arbeiten wollte, also wir wollten einfach diskriminierende Begriffe aus den Kinderbüchern entfernen. Die Reaktion darauf war eine politische, eine heftige politische Reaktion, nämlich um Zensur, um Sprachpolizei, auch darüber, wer darf eigentlich definieren, wie unsere Bücher geschrieben werden. Es wurde daraus eine andere Debatte, mit der ich nicht gerechnet hatte, vielleicht aber auch ganz symptomatisch für die Art und Weise wie wir kommunizieren. Sprecher: Mesghena, der aus Eritrea stammt, und vor 27 Jahren nach Deutschland kam, meint, dass man an der Debatte ablesen konnte, wie hierarchisch eine solche Diskussion ablaufen kann: O-Ton Meshgena Migrantinnen oder auch zugewanderte Menschen, so wie ich, haben wenig Sichtbarkeit im Diskurs und diese Reaktion zeigt ein bisschen auch die Angst: Wer darf eigentlich was sagen? Wer ist eigentlich Herr im Hause, und wer darf Begrifflichkeiten definieren, was gesagt wird und welche Bedeutung Wörter hatten, und auch haben dürfen. Und jetzt meldet sich ein Teil der Bevölkerung, die sich als deutsch definiert, die auch sagt: Ich bin auch Teil dieser Gesellschaft und ich habe auch was zu sagen, und zwar ich möchte auch an den Definitionen beteiligt werden, und vor allem: Wörter sind ja auch eine Absichtserklärung, wie wir auch zusammen leben wollen, es ist nicht nur irgendein technisches Instrument, mit dem man nur etwas austauscht, sondern mit Wörtern, mit Begrifflichkeiten drückt man ja auch aus, wie ich Sie sehe, und ich Sie wahrnehme. Sprecher: Im Laufe der Debatte um korrekte Sprache in Kinderbüchern meldeten sich viele Leser, aber auch viele Autoren und Medienmacher zu Wort. O-Ton Scheck Musik / Seit einigen Tagen diskutiert ganz Deutschland die Frage, ob in Astrid Lindgrens Pipi Langstrumpf Romanen oder in Ottfried Preußlers kleiner Hexe Begriffe wie "Neger" oder "Negerkönig" entfernt werden sollten. Sprecher: Ganz besonders dreist verpackte Dennis Scheck, Literaturkritiker des Deutschlandfunks und der ARD, seine Kritik. In der Sendung "Druckfrisch" trat er mit schwarz bemaltem Gesicht auf, dazu weiße Handschuhe - als Krönung wurde auch noch Südstaaten-Musik eingespielt. Die Anspielung zielte auf das sogenannte "Minstrel Theater" der amerikanischen Südstaaten. Darin persiflierten weiße Schauspieler Schwarze und machten so ihre angebliche Minderwertigkeit deutlich: O-Ton Scheck Wer heute in Deutschland von "Negern" spricht, ist ein Holzkopf, aber: Sprache ist etwas Lebendiges und auch Kinderbücher sind Literatur. Gerade junge Leser sollten lernen, dass der Gebrauch der Sprache einem steten Wandel unterliegt. Die Alternative hat George Orwell in seinem Roman "1984" - beschrieben, in dem die Angestellten des Wahrheitsministeriums permanent die Vergangenheit umschreiben und auf diese Weise auslöschen. Sprecher: Das Ganze war starker Tobak und brachte die Debatte um korrekte Sprache und missliche Begriffe noch mal so richtig ins Rollen. Musik-Akzent Sprecher: Sprache spiegelt die gesellschaftliche Realität, oder die Absicht, etwas zu tun oder zu lassen. Reden bedeutet sehr wohl Handeln, meinte der SPD-Vordenker Erhard Eppler einmal, und genau diese Maxime gilt wohl auch, wenn es um die Anerkennung von Frauen geht. Festzuhalten bleibt: Noch immer wird in der Öffentlichkeit abfällig von jenen Frauen gesprochen, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen. Eine jener Feministinnen ist die Soziologin Kathy Messmer. Sie hatte vor einem halben Jahr viel Aufmerksamkeit erregt mit einer Art Brandbrief, den sie und fünf andere Feministinnen an Bundespräsident Gauck geschrieben hatten. Darin kritisierte sie die Wortwahl Gaucks, der in der deutschen Gesellschaft eine Tendenz zum "Tugendfuror" festgestellt hat. Messmer und ihre Mitstreiterinnen erkannten in dem Wort eine Herabsetzung von Frauen, schließlich habe das Wort ja auch mit "Furien" zu tun: O-Ton Messmer In erster Linie war das einfach eine inhaltliche Auseinandersetzung damit, dass er gerade so ein Wort wie "Furor", das ja für Wut steht, und eben auch einen gemeinsamen Wortstamm mit der Furie auch hat, ausgerechnet wieder in einem Kontext verwendet hat, in dem es um ein sogenanntes Frauenthema ging und das ist eine sehr typische, sehr alte Strategie, um die Stimmen von Frauen unsichtbar zu machen, oder als übertrieben oder überemotional zu kennzeichnen. Sprecher: Messmer kritisiert aber nicht nur die Wortwahl des Bundespräsidenten, sondern auch allgemein die Wortwahl, wenn es im öffentlichen Diskurs um Minderheitsthemen geht - gerade auch die Frage um Aufstieg und Teilhabe von Frauen werde häufig aggressiv geführt, meint Kathy Messmer: O-Ton Messmer Es werden sehr häufig und das überrascht mich sehr, sehr gewaltvolle oder gewalttätige Bilder konstruiert. Wenn von "Sprachvergewaltigung" die Rede ist, Vergewaltigung ist ja tatsächlich eines der schlimmsten Verbrechen, die wir kennen in unserer Gesellschaft, und wenn mit solchen Wörtern gearbeitet wird, dann wird eine emanzipatorische Bewegung oder eine emanzipatorische Sprachkritik in eine gewalttätige Ecke gestellt und das finde ich höchst problematisch, denn in erster Linie geht es ja gerade darum, Sprache aufzubrechen und sprachlich neue Freiheiten zu schaffen, und eben vor allem auch sprachlich Menschen sichtbar zu machen und nicht mehr zu diskriminieren. Sprecher: Und dennoch sieht Messmer die Debatte um die richtige Sprache erst einmal sehr positiv - denn sie zeige zum einen, dass man alles sagen könne in unserer Gesellschaft und zum anderen gehe es auch um eine Art Normverhandlung, was angemessene Sprache im Jahr 2013 ist. O-Ton Messmer Was dabei gerade passiert, ist, dass eine Norm, die vorher unhinterfragt war, und die typischerweise bezeichnet wird, als die des weißen, heterosexuellen Mannes, der vielleicht auch einen ganz guten gesellschaftliche Status hat, der nicht behindert ist, dass diese bisherige unhinterfragte Norm auf einmal in Frage gestellt wird. Und das schafft natürlich Unsicherheit, weil es darauf verweist, dass Dinge auch anders sein könnten, als sie gerade sind. Sprecher: Wie viel Verunsicherung es gibt beim Thema Sprache und Political Correctness zeigte vor einigen Monaten auch eine Regelung an den Universitäten von Potsdam und Leipzig. Was war geschehen? In den Geschäftsordnungen der beiden Universitäten ist künftig nur noch von "Professorinnen" die Rede - im Sinne einer geschlechter-gerechten Sprache. Wann immer also vom Lehrkörper als Ganzes die Rede ist, wird nur noch die weibliche Form auftauchen. Im persönlichen Umgang ändert sich nichts, wie die Sprecherin der Uni Potsdam mitteilte. Eigentlich eine Kleinigkeit, was die Medien jedoch nicht hinderte, aus der Geschichte eine Riesen- Story zu machen. Kathy Messmer ist von der Debatte begeistert, zeige sie doch, wie in Deutschland derzeit Sprache neu verhandelt wird: O-Ton Messmer Das Bild, das entsteht ist das von Sprachzensur, und von Einschränkung der Meinungsfreiheit, dabei hat niemand an einer dieser beiden Universitäten dazu aufgerufen, einen Mann mit Frau Professorin anzusprechen. Das Spannende ist, dass Menschen, die davor die Kritik an Sprache als übertrieben gekennzeichnet haben, das auf einmal diese Personen jetzt voranpreschen und sagen: Sprache ist total wichtig und jetzt auf einmal diesen Identitätsaspekt von Sprache adressieren, und sagen: Wir können doch jetzt nicht auf einmal Männer mit einer weiblichen Anrede ansprechen - klar, das schafft natürlich erst mal Unsicherheit bei denen, die es nicht gewohnt waren, dass sie zum Beispiel in der Sprache nicht auftauchen, oder dass sie von Sprache diskriminiert werden. Und die machen jetzt die Erfahrung, wie es ist, wenn man sich mit einem Begriff selbst nicht identifizieren kann. Sprecher: Manchmal entstehen neue Worte, die schnell akzeptiert werden und glatt über die Lippen gehen, wie Burkini, das deutsche Wort für die Ganzkörper-Badebekleidung muslimischer Mädchen. Doch die Frage bleibt, ob wir mit politisch korrekter Sprache nicht manchmal übers Ziel hinausschießen. Stößt Sprache nicht irgendwann an Grenzen, wenn stets das große "I" an jede männliche Form angehängt wird? Und wie steht es um Formulierungen, wenn auch transsexuelle Menschen miteinbezogen werden sollen? Oft wollen sich Transsexuelle ja weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zuordnen. Niemand wünscht sich die Welt der fünfziger Jahre zurück, meint Drehbuchautor Benedikt Röskau, und dennoch müsse man abwägen, was nötig und was richtig ist: O-Ton Röskau Das Kind mit dem Bade auszuschütten, nützt niemandem was. Und ich kenne Diskussionen mit Schwarzen, etwa mit einem Schwarzen in der Schulklasse von meinem Sohn, der einfach sagt, er wird lieber Neger genannt, weil das ehrlicher ist, als wenn irgendjemand, der ihn zutiefst verachtet, ihn Schwarzer nennt. Weil Sprache lügt, wenn sie nicht aufrichtig benutzt wird. Und man muss bei diesen Veränderungen, diesen Modernisierungen, finde ich, sehr sehr umsichtig und sehr sehr vorsichtig sein, dass man nicht, gerade wenn man einen positiv besetzten Begriff nimmt, eigentlich die Bosheit vergrößert. Sprecher: So ähnlich sieht es auch Harald Martenstein: O-Ton: Martenstein Wir haben es da mit einem sprachlichen Regelwerk zu tun, dass so ein bisschen an die höfische Kultur des 18.Jahrhunderts erinnert, wo es auch ganz feine, detailverliebte Regelungen gegeben hat. Ich habe kürzlich eine Publikation aus Österreich in die Hand bekommen, vom dortigen Kulturministerium oder Bildungsministerium, tatsächlich ein Wörterbuch, in dem aufgelistet wurde, welche Begriffe man verwenden darf, welche man nicht mehr verwenden darf, und das wurde dann so übersetzt: Richtig ist...die eine Spalte, nicht mehr sagen sollte man: Die andere Spalte. So ist das also schon, zumindest in Österreich, es so ein kleines Handbuch gibt, das natürlich ständig aktualisiert werden muss, weil sich Bedeutungen immer verschieben. Sprecher: Doch ganz so streng sehen das Sprachbeobachter nicht: Die Diskussion um richtige Sprache in der Öffentlichkeit sei immer eine Gratwanderung, meint der Polit-Linguist Heiko Girnth: O-Ton Girnth Politische Korrektheit ist ja eine nicht-juristische Norm. Und wenn Sie in einer öffentlichen Position sind, sind Sie natürlich verpflichtet, sich daran zu halten. Und das kann natürlich dazu führen, dass Sie noch vorsichtiger agieren. Aber insgesamt sehe ich das jetzt nicht als Gefahr oder Einschränkung der Rede- oder Meinungsfreiheit. Sprecher vom Dienst: "Das sagt man nicht!" Wie korrekt muss Sprache sein? Eine Sendung von Michael Meyer. Es sprachen: Bettina Kurth und Viktor Neumann Ton: Bernd Friebel Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 1