COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Länderreport / 28.01.2010 Sachsen-Anhalt 2010 Autorin. Susanne Arlt Red.: Claudia Perez Atmo Das hier sind wir ... Autorin: In dem Werbekurzfilm tanzen junge, flippig gekleidete Menschen durch eine Straße in Magdeburg. Sie erzählen in einem Lied von ihrem Lebensgefühl in Sachsen-Anhalt. Atmo Wir stehen früher auf, sind cooler drauf, und kommen aus Sachsen- Anhalt, hier ging es los, hier wurde ich groß, doch ich habe keinen Plan, soll ich bleiben oder fahren? Autorin: Soll ich bleiben oder fahren? Diese Frage stellen sich nicht nur in Magdeburg junge Frauen und Männer nach ihrem Schulabschluss. Denn Sachsen-Anhalt ist das Land mit der bundesweit zweithöchsten Arbeitslosenquote und dem stärksten Einwohnerrückgang. Und glaubt man den Statistikern, dann kommt es noch dicker. In 20 Jahren sei Sachsen-Anhalts Bevölkerung die älteste in ganz Europa, sagt das Europäische Statistikamt Eurostat voraus. Atmo Was geht schon ab in diesem Land höre ich oft die Leute sagen, alles grau, sind das wir? Autorin: scheinen sich die jungen Frauen und Männer in dem Werbespot frustriert zu fragen, haben darauf aber eine Antwort. Atmo Doch ich mach mein Ding, dreh meinen Arsch von der Wand und fang an was zu bewegen, das alles hier, das sind wir, komm zeig dem Land deinen Verstand, das alles hier, das sind wir, gib nicht das Ruder aus der Hand, das hier sind wir. Autorin: Den 30-sekündigen Werbefilm hat die landeseigene Investitions- und Marketinggesellschaft in Auftrag gegeben. Er soll das Wir-Gefühl der unter 30-jährigen in Sachsen-Anhalt stärken. Umfragen hatten offenbart, dass diese Altersgruppe nichts mit dem Begriff Land der Frühaufsteher anfangen konnte. Vor fünf Jahren hatte das Land diesen Slogan für sich entdeckt. Denn laut einer Umfrage kriechen die Sachsen-Anhalter morgens neun Minuten früher aus den Federn als der Rest der Republik. Landespolitiker machten sich diesen zeitlichen Vorsprung zunutze. Die Devise heißt seitdem: Frühaufstehen - das ist die Mentalität eines Landes, das aufholen will, das nach vorne will. Bei den jüngeren Menschen fiel dieses Dogma bislang kläglich durch. Der neue Werbefilm soll das ändern, sagt Carlhans Uhle, Geschäftsführer der Investitions- und Marketinggesellschaft. Geschaltet wurde der Spot in mehreren Kinos in Sachsen-Anhalt und auch im Offenen Kanal. O-Ton Carlhans Uhle: Die das sehen, sie sollen sich angesprochen fühlen, sie sollen sich identifizieren mit Sachsen-Anhalt und sie sollen registrieren, dass sie selbst etwas bewegen können. Denn was wollen wir eigentlich. Wir wollen dafür sorgen, dass die Jugendlichen im Land bleiben. Autorin: Eine gute Idee, findet FDP-Politikern Lydia Hüskens, doch die Umsetzung des Werbefilms findet sie weniger gelungen. Inhaltsleer sei der Spot, kritisiert die Oppositionspolitikerin. O-Ton Lydia Hüskens: Ich glaube, dass wir hier eine ganze Reihe von anderen Informationen den jungen Menschen geben müssen. Wir haben über 20 Jahre gesagt, wenn ich etwas werden möchte, muss ich das Bundesland verlassen. Das hat sich natürlich in den Köpfen von jungen Leuten festgesetzt und dem müssen wir im Augenblick entgegenwirken, ich glaube das kann man mit so einem Spot eher weniger. Autorin: Um einen guten Ausbildungsplatz zu ergattern, muss heutzutage keiner mehr Sachsen-Anhalt verlassen. Aufgrund des Geburtenrückgangs gibt es hier inzwischen fast genau so viele Ausbildungsplätze wie Schulabgänger. Auch wirtschaftlich hat das Land aufgeholt. Das ostdeutsche Bundesland zählt zur wirtschaftlich dynamischsten Region in ganz Deutschland. Zugegeben, beim Vergleich der Wirtschaftskraft rangiert Sachsen-Anhalt immer noch auf dem vorletzten Platz. Doch es lohne sich, in Sachsen-Anhalt zu investieren, sagt Lydia Hüskens und das bekämen auch immer mehr Unternehmer mit. O-Ton Lydia Hüskens: Wenn sie in einem großen Bundesland irgendwo eine Genehmigung haben wollen, dann gehen sie einen sehr bürokratischen Weg, das ist halt so. Da sind Entscheidungsinstanzen deutlich tiefer gestaffelt als bei uns. Sachsen-Anhalt ist hierbei deutlich flacher in der Hierarchie aufgebaut. Und es gibt gerade auch in den Kommunen immer wieder die Möglichkeit, mal eben mit dem Bürgermeister direkt zu sprechen und das führt in der Umsetzung dazu, dass Genehmigungen deutlich schneller erteilt werden als einfach in den großen Bundesländern. Atmo Ich fang an was zu bewegen, das alles hier, das sind wir, komm zeig dem Land deinen Verstand, das alles hier, das sind wir, gib nicht das Ruder aus der Hand, das hier sind wir. Autorin: Doch wer sein Leben nicht selbst in die Hand nimmt, der kann auch nichts bewegen ? das soll der Imagespot vermitteln, argumentiert Carlhans Uhle. Christoph Schönefeldt, 23 Jahre jung, Student der Kulturwissenschaften an der Uni Magdeburg, hat sich den Spot angesehen. Technisch sei er toll gemacht, lobt er. Ihm fehlt aber der wichtigste Aspekt. Er könne sich nicht mit dem Inhalt des Films identifizieren. Was dort gezeigt werde, sei doch auf jedes Bundesland beliebig übertragbar, kritisiert Christoph Schönefeldt. O-Ton Christoph Schönefeldt: Mir fehlt die Glaubwürdigkeit, das heißt, ich hätte mir eigentlich mehr gewünscht, echte Geschichten zu sehen, zu hören, Wege aufzuzeigen, direkte Wege von Leuten, meinetwegen die hier tatsächlich was geschafft haben und einfach ne Möglichkeit, vielleicht auch mit nem Augenzwinkern eben was geht in Sachsen-Anhalt. Autorin: 100.000 Euro steckte die Landesregierung in Produktion und Vermarktung des neuen Werbefilms. Weitere 40.000 Euro wurden in den Aufbau eines neuen Internetportals investiert. Geld, das gut angelegt ist, glaubt Geschäftsführer der Investitions- und Marketinggesellschaft Carlhans Uhle. Die Internetseiten sollen ein Kanal vom Land zur Jugend und umgekehrt sein, sagt er. Man kann aktuelle Meldungen über das Land abrufen, spannende Porträts über junge Sachsen-Anhalter lesen, nach Stellenangeboten suchen. Man kann aber auch in sogenannten Foren seine eigene Meinung kund tun. Wünsche und Kritik an Politiker richten und somit das Portal aktiv mit gestalten. O-Ton Carlhans Uhle: Die erste Funktion ist, dass wir Nachrichten vom Land an die Jugendlichen bringen wollen, das sind ganz spezifische Nachrichten, die die Jugendlichen interessieren, meistens sind es kulturelle Sachsen, es sind Nachrichten aus Hochschulen, es sind Nachrichten über neue Jobs. Die zweite Seite ist aber, dass wir wiederum das Feedback der Jugendlichen an das Land hinkriegen wollen. Autorin: Junge Menschen in Sachsen-Anhalt bekommen einen immer höheren Stellenwert. Sie sind die Zukunft. Das hat auch die Landesregierung erkannt und lässt nichts unversucht, sie zum Bleiben zu bewegen. Doch wer bleibt, der will nicht nur einen guten Job, der will auch Lebensqualität. Die Internationale Bausstellung, kurz IBA genannt, widmet sich genau diesem Thema. Sie kommt in diesem Jahr aus Sachsen-Anhalt, trägt den Titel Stadtumbau und dient vor allem einem Zweck: Sie soll das bürgerschaftliche Engagement der Menschen für ihre Städte wecken. Das Land hat zwar auch finanzielle Mittel bereitgestellt. Doch mit 174 Millionen Euro lassen sich die Städte in Sachsen-Anhalt weder aufhübschen noch gar umbauen. Karl-Heinz Daehre, Minister für Landesentwicklung und Verkehr: O-Ton Karl-Heinz Daehre: Wir müssen aufmerksam machen auf eine Tatsache, demographischer Wandel, Abwanderung. Die Städte werden kleiner, sie schrumpfen, eine hohe Leerstandsquote und da müssen wir versuchen, hier in diesem Prozess des Stadtumbaus, nicht nur die Bürgermeister, die Stadträte, sondern auch die Bevölkerung mit einzubeziehen, ihnen klar machen, dass wir erstmalig in unserer deutschen Geschichte schrumpfende Städte haben. Autorin: Auf die Herausforderungen des demographischen Wandels will die IBA Stadtumbau in diesem Jahr nun erste Antworten liefern. Im Kern geht es dabei um die ganz simple Frage: Wie lässt sich aus weniger Masse mehr Klasse gewinnen? Die Initiatoren der IBA Stadtumbau haben darum vor acht Jahren achtzehn Städte ausgewählt. Darunter ter zum Beispiel die Landeshauptstadt Magdeburg, Dessau-Roßlau, Köthen, Sangerhausen, Wanzleben, Halberstadt, Halle und auch die Lutherstadt Eisleben. Atmo Marktplatz Eisleben Autorin: Voraussetzung war, dass sich jede Stadt ihr ganz spezifisches Profil erarbeitet, um auf ihre wirtschaftlichen, sozialen aber auch kulturellen Potenziale aufmerksam zu machen. Eisleben ? eine mittelalterlich geprägte Stadt. Eingebettet in die Hügellandschaft der Mansfelder Mulde. Sie war viele Jahrhunderte lang eines der bedeutendsten Montanreviere der Welt. Der Kupferschieferbergbau machte sie einst reich. Viele denkmalgeschützte Gebäude sind inzwischen restauriert. Zwischen den Häuserreihen tauchen aber auch immer wieder Ruinen auf. Die Fenster sind mit Brettern vernagelt, aus den Dachrinnen sprießt das Unkraut. Die Besitzer lassen ihre Häuser einfach verfallen, sagt Maik Knothe. Der Pressesprecher der Stadt steht auf dem abschüssigen Marktplatz, blickt auf eine bronzene Statue. Ihren Weltruhm verdankt die Stadt aber nicht dem Kupferschiefer, sondern Martin Luther. Der Theologe wurde 1483 in Eisleben geboren und starb 62 Jahre später dort. Sein Geburtshaus, die Armenschule gehören zum UNESCO Weltkulturerbe. Atmo Raben Autorin: Im Rahmen der IBA ist die Idee entstanden, einen innerstädtischen Lutherweg zu initiieren. Zwölf Stationen erinnern an das Leben und Werk des Reformators. Die Strecke führt zu authentischen und inszenierten Orten. Zum Geburtshaus, zu seiner Taufkirche und seinem Sterbehaus. Maik Knothe zeigt nach unten. Über die Altstadt verteilt wurden 144 bronzene Rosen in das Kopfsteinpflaster eingelassen. Ein schwarzes Kreuz auf einem roten Herz, eingebettet in fünf weiße Rosenblätter. O-Ton Maik Knothe: Die Rosen wurden so eingesetzt, dass man immer, dieses Kreuz soll die Richtung symbolisieren. Man soll mit dem Kreuz mitlaufen und jetzt gehen wir hier in den Schöpfungsgarten. Atmo Laufen Autorin: Andere Stationen sind neu inszeniert wie beispielsweise der Schöpfungsgarten. Er liegt gleicht hinter Luthers Geburtshaus und soll das Paradies symbolisieren. Vier Aprikosenbäume strecken ihre dürren Zweige in den blassen Himmel. In der Mitte des Gartens wölbt sich die schneebedeckte Erde nach oben. Vor wenigen Jahren standen an dieser Stelle noch Häuserruinen. Kein schöner Anblick sei das gewesen, sagt Maik Knothe. O-Ton Maik Knothe: Das ist auch wieder so ein bisschen ein Novum. Die Anwohner haben sich bereit erklärt, mal ein bisschen ein Auge zu werfen hier drauf, das ist das Schöne an der Geschichte, wenn sich die Bürger damit identifizieren. Autorin: Ein paar Querstraßen weiter befindet sich der flüsternde Garten. Auch an dieser Stelle wurden Gebäude abgerissen, damit Neues entstehen konnte. Auf der Grünfläche pflanzte die Stadt Ohrenweiden. Im Zwei- Stunden-Takt werden aus installierten Hörrohren Texte und Zitate des Reformators geflüstert. Atmo Luthersprüche gemischt Autorin: Entdichten nennt Oberbürgermeisterin Jutta Fischer diesen innerstädtischen Prozess. Vor dem Mauerfall lebten in Eisleben knapp 27.000 Menschen ? heute sind es 21.000. Der Kupferschieferbergbau kam sofort zum Erliegen, erinnert sich die parteilose Politikerin. O-Ton Jutta Fischer: Also das war ein ganz harter Schlag hier für die Lutherstadt Eisleben, wenn auf einmal über 10.000 Arbeitsplätze wegfallen. Natürlich müssen junge Menschen eine Perspektive haben. Und viele haben sich die Perspektive in den anderen Bundesländern dann gesucht und das heißt, wir sind geschrumpft. Der demographische Wandel hat auch vor der Lutherstadt Eisleben keinen Halt gemacht. Und natürlich muss man jetzt gucken, dass man das kompensiert. Autorin: Nicht jedes denkmalgeschützte Haus können man in Zeiten leerer Haushaltskassen erhalten, betont die Oberbürgermeisterin. An mehreren Stellen in Eisleben wurden darum verfallene oder leerstehende Gebäude abgerissen. O-Ton Jutta Fischer: Es hat zu keinem Aufschrei geführt, weil das hier wirklich eine Qualitätsverbesserung für das verbleibende Umfeld gegeben hat. Autorin: Viele dieser Flächen wurden für das IBA-Projekt genutzt. Von April bis Oktober präsentieren die achtzehn IBA-Städte ihre Ideen der Öffentlichkeit. Jede Stadt wird ihre Identität nach außen tragen und in Eisleben, sagt Jutta Fischer, sei das nun mal Luther. Auch wenn nur zwölf Prozent der Bewohner einer Konfession angehören. Jutta Fischer macht eine wegwerfende Handbewegung. Das Wichtigste sei doch, dass man engagierte Bürger mit ins Boot nehme. O-Ton Jutta Fischer: Und dann stecken Menschen dahinter, die andere Menschen anstecken. Und das ist die Wahrheit. Das Feuer, das in einem brennt für die Stadt, das muss auf andere übertragen werden und die muss man mitziehen. Atmo Motor Autorin: Sachsen-Anhalt ? nach der Wiedervereinigung lag das ostdeutsche Bundesland industriell und ökologisch am Boden lag. Doch die Zeiten ändern sich. In keinem anderen Bundesland sei die wirtschaftliche Dynamik derzeit so stark wie zwischen Zeitz und Salzwedel. Das ergab eine Studie der Wirtschaftswoche. Woher aber kommt diese neue Dynamik? Nach einer langen Durststrecke scheint es dem Land gelungen zu sein, an alte Industrietraditionen anzuknüpfen und neue anzulocken. Gemeint sind beispielsweise die Chemie- und Automobilzuliefererbranche sowie die Solarindustrie. Und um dynamisch zu bleiben, investiert das Land viel Geld in Forschungsinstitute, die vor allem kleinere Unternehmen unterstützen sollen. Mitte dieses Jahres wird das Institut für Kompetenz in Automobilität, kurz IKAM genannt, nahe der Landeshauptstadt Magdeburg seine Arbeit aufnehmen. Die Landesregierung unterstützt es mit 32 Millionen Euro. Das Institut soll die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft hinbekommen, sagt Mitinitiator Jürgen Ude. In Sachsen-Anhalt gibt es 250 Automobilzulieferer mit 18.500 Beschäftigten, aber keinen einzigen Automobilhersteller. Die kleinen- und mittelständischen Unternehmen können oder wollen sich oftmals keine eigene Forschungsabteilung leisten, sagt Ude. O-Ton Jürgen Ude: Genau das ist die Achillesverse, die wir haben, dass wir hier keine starken Forschungsabteilungen haben. Und dieses Forschungszentrum muss eben kooperieren mit der Wissenschaft und natürlich mit den Unternehmen selbst. Autorin: Ude teilt sich seine Aufgaben darum mit dem Hochschuldozenten Helmut Tschöke. Der Professor doziert an der Otto-von-Guericke- Universität im Fachbereich Maschinenbau. Bei uns geht es um die Entwicklung innovativer Werkstoffe und Antriebstechniken, sagt Tschöke. In dem neuen Institut sollen verschiedene Unternehmen an einem Thema forschen. Durch die Kooperation wollen wir eine neue Qualität erreichen, sagt der Uni-Dozent, und hofft, in fünf bis sechs Jahren erste Früchte ernten zu können. O-Ton Helmut Tschöke: Wir wollen ja nicht das Standardautomobil und die Standardtechnik nur vorantreiben, sondern auch über den Zaun gucken. Das heißt, das Thema Mobilität steht bei uns ganz oben in Verbindung mit Antrieben. Und zwar aller denkbaren Antriebe, die wir hier versuchen wollen, zu untersuchen. Und in dem IKAM ist es uns jetzt gelungen, dank der finanziellen Möglichkeiten uns auch auszustatten, wo wir weit über dem Durchschnitt der anderen Institute liegen. Autorin: Jürgen Ude und Helmut Tschöke sehen für die Automobilzuliefererbranche in Sachsen-Anhalt rosige Zeiten anbrechen. O-Ton Helmut Tschöke: Und vor allem brauchen wir unheimlich viel Nachwuchs, der das auch entwickelt. Also im Prinzip die Perspektiven sind fantastisch. Atmo Lied Die Moritat von Meckie Messer Autorin: Auch in der Stadt Dessau, im Osten von Sachsen-Anhalt, brechen gerade rosige Zeiten an, geradezu fantastische Perspektiven für die Menschen in dieser Stadt. Zumindest wenn es nach dem Willen der drei neuen Kulturschaffenden geht. Gemeint sind Michael Kaufmann, seit kurzem Direktor des Kurt-Weill-Zentrums, André Bücker, Dessaus neuer und recht junger Generalintendant und Philipp Oswalt, Direktor der Bauhausstiftung. Atmo Musik hochziehen Autorin: Dessau ist die Stadt, die einst Kurt Weill, Moses Mendelssohn und Hugo Junkers hervorbrachte. Auf den ersten Eindruck entspricht sie heute den Klischees, die manch Westdeutscher gegenüber dem Osten hegt: Es gibt moderne Umgehungsstraßen, ein hässliches Einkaufszentrum, einige Vorzeigeprojekte wie das mondäne Umweltbundesamt - und es gibt immer weniger Menschen. Ein Viertel der Einwohner hat Dessau seit dem Mauerfall verlassen. Zurück blieben dramatische Lücken, eine ganze Generation fehlt. Doch was will Dessau in Zukunft sein? Ein großes Museum oder eine zupackende Stadt mit Potential? Die drei neuen Kulturschaffenden wollen der Stadt ein neues Image verpassen und fordern die Bewohner auf: Jetzt wird gedessauert. Kurt-Weill-Direktor Michael Kaufmann: O-Ton Michael Kaufmann: Da glaube ich, ist das Tolle eben an dieser Idee des Dessauern, dass jeder sich einbringen kann, der sich einbringen will. Vom kleinen Programmkino eben bis zum Anhaltischen Theater. Damit eine Stadt überhaupt ne Stadt ist, wo Menschen grundsätzlich was miteinander anfangen und nicht nebeneinander herleben, dass man das einfach damit aufbrechen und diskutieren kann. Autorin: Die drei betonen dabei immer wieder ihren Willen zur Zusammenarbeit. Der Kurt-Weill-Direktor will die Dessauer auch außerhalb des Weill-Festivals regelmäßig mit Veranstaltungen beglücken. Und zwar im Bauhaus oder im Foyer der Stadtsparkasse. Generalintendant André Bücker will mit seinem Anhaltischen Theater ebenfalls hinaus in die Stadt, zu den Menschen. Dafür hat er einen Container angeschafft. Der steht vor dem Haupthaus und ist zu bestimmten Zeiten geöffnet und die Bürger können ihn als eine Art Bühne nutzen. Die Idee des Dessauerns hatte Stiftungsdirektor Philipp Oswald. Als die Nazis das Bauhaus in den 20er-Jahren aus Weimar verjagten und die Künstler in Dessau eine neue Heimstätte fand lästerte der Maler Lyonel Feininger: Es hat sich ausgeweimart, jetzt wird gedessauert. In dieser Art Aufbruchstimmung scheinen sich auch die drei neuen Kulturschaffenden zu befinden. Generalintendant André Bücker. O-Ton André Bücker: Es ist nicht unbedingt der Lebenstraum von einem Theatermenschen in Dessau zu sein. Aber es ist natürlich dieses unglaubliche Potential, das die Leute gereizt hat und letztendlich die Offenheit, die da ist, diese Kooperationsprojekte anzugehen. Das geht im Moment mit einem unheimlichen Tempo und mit einer großen Dynamik und das bereichert das Theaterleben in Dessau, das bereichert aber glaube ich, auch das städtische Leben. Autorin: Für den Bauhaus-Direktor Philipp Oswalt ist Dessau ein fantastischer Arbeitsort. Auf der einen Seite habe man das anregende historische Erbe aus der Moderne. Die mitteldeutsche Industrieregion sei damals eine Art High-Tech-Region gewesen, schwärmt Oswalt. Mit seiner Filmindustrie, dem Flugzeugbau von Junker, der Chemieindustrie war sie praktisch das Silicon-Valley der 20er-Jahre. O-Ton Phillip Oswalt: Und zum anderen hat man nicht jetzt die glamourösen Zeiten, das kann man ja nun wirklich nicht sagen, sondern hat einfach sozusagen die Fragen der Zeit in einer Zuspitzung auf dem Tappet. Diese Mischung, die macht es interessant. Autorin: Und so hoffen die drei Kreativen darauf, dass von Dessau aus wieder so etwas wie eine Phase der Aufklärung ausgehen könnte. 1