COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen ab- geschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Sprecher: Prekäres Arbeiten Alltag auf dem Jugendamt Eine Reportage von Susanne Arlt Atmo 1 Büro, Vögel zwitschern draußen Autorin 1: Das Jugendamt des Berliner Bezirks Tempelhof liegt in einer ruhigen Seitenstraße. Im ersten Stock ist das Büro von Cornelia Reszat, auf dem Schreibtisch liegen zwei dicke Aktenordner. Die Sozialpädagogin hat das Fenster geöffnet, um frische Luft herein zu lassen. Zweiein- halb Wochen lang war sie im Urlaub, Sonne tanken. Die Bräune in ihrem Gesicht steht ihr gut, hebt ihre Lachfältchen um die grau-blauen Augen hervor. Atmo 2 Seufzen Autorin 2: Jetzt wartet Ben auf sie, zwölf Jahre alt. Sein Leben steckt in den bei- den Akten auf dem Schreibtisch. Vor dreieinhalb Jahren hat Cornelia Reszats Vorgängerin den Jungen aus der Familie genommen. Die Grundschullehrerin hatte das Jugendamt informiert. Denn Ben schwänzte die Schule, prügelte sich mit Mitschülern und legte sich auch mit seiner Lehrerin an. Nach einem unangemeldeten Hausbe- such war der Sozialpädagogin schnell klar: Die alleinerziehende Mut- ter ist mit ihren vier Kindern überfordert. Seither lebt Ben in einer be- treuten Wohngruppe. Gleich soll es ein Treffen mit Ben, seiner Mutter und allen anderen Beteiligten geben, eine sogenannte Hilfekonferenz. Cornelia Reszat wird sie leiten. Hoffentlich kommt jetzt in letzter Se- kunde nichts mehr dazwischen, sagt sie leise. O-Ton 1 Cornelia Reszat: Wir arbeiten in einem Bereich, wo ganz schnell Krisen hochge- hen. Und das müssen Sie sich vorstellen, als wäre es beim Arzt, bei der Notaufnahme oder bei der Feuerwehr. Und da gibt es einen Anruf und die ganze Woche ist gesmasht. Autorin 2: Ben ist nur ein Fall von insgesamt 129, die in dem vollgepackten Ak- tenschrank an der Wand hängen und sich stapeln. Ein vergleichs- weise einfacher Fall für Cornelia Reszat, weil das Jugendamt die Kontrolle darüber hat. Schlaflose Nächte bereiten ihr die Familien, in denen sie Gewalt, Missbrauch, Drogenprobleme vermutet, die aber alles vertuschen können. Dann darf das Jugendamt nicht eingreifen und die Kinder einfach mitnehmen. O-Ton 2 Cornelia Reszat: Spontan fallen mir drei Familien ein, wo ich diese Ängste wohl auch ab und an habe. Wo ich halt weiß, ich muss da eigentlich öfter mich mit beschäftigen, ich müsste da eigentlich mehr rein, aber hier in diesem Arbeitsalltag ist es nicht möglich. Ich habe definitiv zu viele Familien, die ich betreue. Es gibt zu viele Kri- seneinsätze und überraschende Entwicklungen, die es nicht zu- lassen, fachlich so genau zu arbeiten, wie ich das für notwendig halten würde. Autorin 3: Ihr Blick fällt auf ein hölzernes Schild auf dem Aktenschrank. "Lä- cheln" steht darauf. Cornelia Reszet will damit ihre Klienten aufmun- tern, die in der Regel nicht so gerne zu ihr kommen. Inzwischen hilft ihr die Aufforderung selber bei der Arbeit. Sie zieht den Besucher am Ärmel ins benachbarte Büro. Atmo 3 Also ... Schlüsselgeräusche, ja das ist das Büro einer Kollegin, die sich letztes Jahr im Sommer wegbeworben hat. Autorin 5: Ein verwaister Raum, es riecht nach Wurst und Schmelzkäse. Auf einem langgestreckten Tisch stehen Tassen und stapeln sich benutz- te Teller. Die Mitarbeiterinnen des Tempelhofer Jugendamtes treffen sich hier zum Mittagessen, seit die Kollegin die Segel gestrichen hat. Ihr ist einfach alles zu viel geworden, sagt die 51-jährige Sozialpäda- gogin. Atmo 4 Büro O-Ton 3 Cornelia Reszat: Das ist wirklich eine Kollegin, die dezidiert gesagt hat, dass sie die Verantwortung in ihrem Berufsleben so nicht mehr ertragen möchte und hat sich wegbeworben. Diese Stelle ist im Moment nicht besetzt. Autorin 6: Und es ist nicht die einzige. Cornelia Reszats öffnet die nächste Tür. Dahinter wieder gähnende Leere. Wird eine Kollegin schwanger, hält sich die Freude von Cornelia Reszat und ihren Mitstreiterinnen inzwi- schen in Grenzen. O-Ton 4 Cornelia Reszat: Das ist eine Kollegin, die in Erziehungsurlaub ist. Eine von ak- tuell zwei Kolleginnen und dieser Erziehungsurlaub wird nicht mit Vertretungen unterlegt. Und wir wissen nicht genau wann sie wiederkommen wird, sie hat Zwillinge bekommen. ... weiter laufen ... das ist eine der wenigen Vollzeitkräfte, die wir noch haben (lacht) und die auch weder krank ist noch sonst irgend- wie im Urlaub, sondern noch heute hier. Autorin 7: Weil die Personalsituation so prekär ist, weil fünf Stellen fehlen we- gen Dauererkrankung und Erziehungsurlauben. Cornelia Reszat hat darum mit ihren Kolleginnen einen Brandbrief verfasst. O-Ton 5 Cornelia Reszat: ... mit dem Tenor, Kinderschutz ist so nicht mehr zu gewährleis- ten. Kinderschutz lässt sich nicht zum Nulltarif machen und auch nicht finanzneutral. Und insofern muss da eigentlich die Entscheidung getroffen werden beim Senat, da wird mehr Geld investiert, in dieser Stadt soll Kinderschutz gewährleistet sein oder sie verzichten darauf. So einfach ist das. Autorin 8: Solch ein Hilferuf dringt immer öfter aus deutschen Jugendämtern. Dabei geben Bund, Länder und Gemeinden jährlich über 30 Milliar- den Euro für die Kinder- und Jugendhilfe aus. Ein Rekord. Zeitgleich nimmt die Anzahl der Kinder zu, die verwahrlosen, misshandelt oder gedemütigt werden. Die Angst sitzt uns ständig im Nacken, sagt Cornelia Reszat. Die Angst davor, dass die Zeitungen über einen spektakulären Fall schreiben und zu dem Schluss kommen: Das Ju- gendamt hat weggeschaut. Niemand von uns schaut absichtlich weg, sagt Reszat verärgert, fügt dann hinzu: Und keiner von uns macht diesen Job wegen des Geldes. Die Berliner Sozialpädagogin verdient nach 28 Berufsjahren monatlich 1.900 Euro netto. Atmo 5 ...Schritte... Autorin 9: Cornelia Reszat, kräftiger Typ in weitem, schwarzem Leinenhemd, wirkt besonnen, sie strahlt Ruhe aus. Sie läuft zurück zu ihrem Schreibtisch, nimmt ein Packen Briefe in die Hand. Atmo 6 Büro O-Ton 6 Cornelia Reszat: Und hier habe ich noch einen Stapel, den ich noch gar nicht be- arbeitet habe. .. Ja (seufzt) mit dem Mut der Verzweiflung. Also das sind alles Extrafälle. Autorin 10: Auch an diesem Montagmorgen gehen gleich drei Kinderschutzmel- dungen ein: Ein Nachbar meldet sich anonym am Telefon. Der kleine Junge nebenan schreit, seine Mutter nimmt Drogen. Ein Lehrer ruft an. Ein Schüler hat schon wieder blaue Flecken im Gesicht hat. Beim Kinderarzt ist eine kleine Patientin aufgetaucht, die vermutlich miss- handelt wurde. Eigentlich müssten jetzt zwei Jugendamtsmitarbeite- rinnen zusammen losziehen und die Fälle prüfen. Es kann aber nur eine gehen, wegen der angespannten Personalsituation. Cornelia Reszat bleibt. Ben steht bereits vor der Tür. Atmo 7 Blättern in Unterlagen, ... so, aufstehen, zur Tür gehen ... Hallo, alle da, Tach, Hallo Ben, ja kommen sie doch rein ... hinsetzen, Stühle rücken ... Autorin 11: Die Begrüßung - vertraut. Der Zwölfjährige strahlt Cornelia Reszat offenherzig an. Nur die Mutter, Anfang 30, wirkt ein bisschen nervös. Fährt sich mit den Fingern immer wieder durch ihre langen, blondier- ten Haare. Bens Erzieherin und der Chef des privaten Trägers, der die Wohngruppe betreut, sind ebenfalls bei dem Treffen dabei. O-Ton 7 Dialog Cornelia Reszat mit Ben: Wie geht´s dir denn im Moment? Wie ist es gelaufen? ... Also die ersten Tage waren gut, am Freitag da hatten wir den Antige- waltworkshop und am Samstag sind wir dann zum Boxen ge- gangen und dann waren wir alle kaputt aber am nächsten Tag war ich der einzige, der keinen Muskelkater hatte. .. Wow, du hast ja jetzt auch weitere Wege in die Schule, wie ist das für dich? ... Also ein bisschen anstrengend, aber es geht. ... Autorin 12: Die Situation von Ben hat sich deutlich verbessert, das Jugendamt hat darum entschieden, dass der Junge wieder bei der Mutter und seinen Geschwistern leben darf. Alle strahlen. Ein erfreuliches Treffen für Cornelia Reszat an diesem Montag. Ihre Kollegin, die wegen der drei Notrufe losgezogen ist, hat es schwerer. Genauso wie Sabine Lenk und Sema Karaoglan, beide Sozialpädagoginnen beim Jugend- amt Kreuzberg. Auch sie sind an diesem Montagmorgen unterwegs. Auch sie haben einen Notruf erhalten. Atmo 8 Straße unterlegen... Autorin 13: Berlin - Kottbusser Tor. Die große Straßenkreuzung mitten in Kreuz- berg ist Hauptumschlagplatz für die harten Drogen der Stadt. Gewal- tige, graue Betonleiber, zehn Stockwerke hoch, stehen im Kreis, um- schließen den Platz. Sabine Lenk und ihre Kollegin haben für einen kurzen Moment den Überblick verloren. Sie suchen die Hausnummer fünfzehn. Atmo 9 Wo ist die Nummer 15, mein Gott ... such sie mal (lacht). ... Von der an- deren Seite hast du aber geguckt. ...Schritte ... Autorin 14: Hier soll ein Drogenabhängiger allein mit seinen beiden Kindern le- ben. Die sind in Gefahr, so die Nachricht des Drogennotdienstes, der gerade angerufen hat. Schließlich fragt Sabine Lenk eine Bewohne- rin, die die beiden neugierig von ihrem Balkon aus im ersten Stock beobachtet. Atmo10 Entschuldigen Sie! Wissen Sie, wo die Reichenberger Straße 15 ist? ... Ja, das ist hier ... das ist da unter weiter ... okay, Dankeschön, zurücklau- fen... so vergeht die Zeit. Autorin 15: Die beiden Sozialarbeiterinnen wollen sich vor Ort ein Bild darüber machen, wie es den beiden Kindern geht. Immer häufiger gehören auch türkische Familien zu ihren Klienten. O-Ton 8 Sabine Lenk: Es gibt mehr Trennungen. Als ich hier angefangen habe, war das hier noch eher selten, dass hier zum Beispiel türkische Fa- milien von Scheidung redeten. Die hatten dann fünf, sechs Kin- der und haben es zusammen geregelt. Da ist mittlerweile auch früher die Bereitschaft zu sagen, wir trennen uns! Autorin 16: Nach einer zwanzigminütiger Suche haben die beiden endlich Erfolg. Sabine Lenk lässt diesmal ihrer Kollegin lieber den Vortritt. Sema Ka- raoglan spricht türkisch. Atmo 11 Klingeln ... Hallo. ... Karaoglan vom Jugendamt. ... Warum Jugend- amt?... Autorin 17: Klingelt das Jugendamt an der Haustür, sind in den seltensten Fällen die Menschen darüber erfreut. Die beiden Frauen kennen das, neh- men es gelassen, bleiben höflich, aber hartnäckig. Atmo 12 Könnten Sie bitte aufmachen, ich würde gerne vor der Haustür mit Ih- nen sprechen ... Türöffner ... hoch laufen ... Autorin 18: Der Mann mit den Kindern wohnt im fünften Stock. Sabine Lenk seufzt kurz gequält auf, steigt dann hinter ihrer Kollegin die steilen Stufen hinauf in den obersten Stock. Oben angelangt drückt sie noch einmal auf die Klingel. Ein etwa 30-jähriger Mann öffnet die Woh- nungstür. Zu sehen ist ein langgestreckter Flur, aber keine Kinder. Dafür taucht ein älterer Mann um die 60 plötzlich im Türrahmen mit auf. Die beiden Männer beäugen die beiden Frauen neugierig, aber nicht unfreundlich. Atmo 13 Beratungsstelle für Drogen haben Sie sich anscheinend hingewendet. ... Nee, ... Nein? ... Aber man hat uns angerufen ... Unterhaltung geht auf Tür- kisch weiter ... Autorin 19: Sema Karaoglan setzt das Gespräch lieber auf Türkisch fort, das schafft mehr Vertrauen. Sabine Lenk studiert den Wohnungsflur, lauscht. Vielleicht gibt es Kinderstimmen, vielleicht liegt Spielzeug herum. Die beiden Männer kriegen von alledem nichts mit. Sie hören aufmerksam ihrer Kollegin zu, schütteln ab und an ihre Köpfe. Atmo 14 Okay, ... kein Problem, ihr wollt nur helfen, aber das sind falsche An- gaben... kein Problem, ...schönen Tag, Tschüss ... wieder runtergehen ... Autorin 20: Sema Karaoglan dreht sich achselzuckend zu ihrer Kollegin um. Auf dem Weg nach unten fasst sie das Gespräch kurz zusammen. Ver- mutlich handelt es sich bei dem Drogenabhängigen um den Bruder. Der hat aber keine Kinder. Und auch keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Also viel Lärm um nichts? Sabine Lenk schüttelt den Kopf. Atmo 15 Straße, zurück zum Jugendamt laufen O-Ton 9 Sabine Lenk: Na ein Stück weiter sind wir! Wir müssen jetzt mal weiter nach- haken, müssen jetzt mal mit der Drogenberatungsstelle Kontakt aufnehmen und denen mitteilen, dass die Angaben, die der Mann gemacht hat, falsch sind, dann war es viel Mühe für nichts. Autorin 21: Aber das kann man ja vorab nicht ahnen. Also lieber eine Kinder- schutzmeldung zu viel überprüfen als eine zu wenig. An Kevin aus Bremen oder an Chantal aus Hamburg, zwei Fälle von Kindstötung, denkt jeder Jugendamtsarbeiter fast jeden Tag. Sabine Lenk ärgert sich über die pauschalen Urteile, die dann zumeist in den Zeitungen stehen. O-Ton 10 Sabine Lenk: Der Ruf des Jugendamtes besteht ja so aus zwei Anteilen. Also wir kommen zu spät oder wir kommen zu früh. Wir nehmen die Kinder weg oder wir haben nicht ordentlich unsere Arbeit ge- macht. Dazwischen gibt es relativ wenig. Dazwischen passiert aber extrem viel. Fälle, wo Kinder wirklich zu Schaden kommen, die sind nicht wirklich verhinderbar, davon bin ich überzeugt! Atmo 16 Wasserkocher anstellen ... Atmo 17 Büro Autorin 22: Zurück im Büro kocht sich Sabine Lenk einen Kaffee. In ihrer Abtei- lung in Kreuzberg arbeiten immerhin elf Frauen und Männer. Im Nachbarbezirk Tempelhof bei Cornelia Reszat sind es nur neun. Statt 129 Fälle wie Kollegin Reszat bearbeitet Sabine Lenk "nur" 78. Auch das sind viel zu viele, denn die schweren, komplexen Fälle steigen kontinuierlich. Arbeitslosigkeit, Drogen, Gewalt, Alkohol, Verwahrlosung - oft kommt alles zusammen. Darum beschleicht auch Sabine Lenk manchmal ein ungutes Gefühl. O-Ton 11 Sabine Lenk: Bei 78 Fällen ist es so, dass man an der Qualität an einigen Stel- len reduzieren muss. Also indem man Gespräche kürzer macht, indem man Hilfepläne kürzer formuliert, indem man Dinge, die man gerne im privaten Gespräch klären will auch mal telefo- nisch klärt. Es ist das eine, dass man die Qualität nicht mehr ab- liefern kann, und das andere, dass es einen im Prinzip dann sel- ber auch belastet. Das ist so. Autorin 23: Nach einer Studie im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung sollte ein Jugendamtsmitarbeiter nicht mehr als 35 Fälle gleichzeitig be- treuen, wenn es um Hilfen zur Erziehung geht. Dazu können pro Mit- arbeiter noch ungefähr 25 sogenannte leichtere Fälle kommen, für die z.B. das Familiengericht eine Einschätzung des Jugendamts for- dert. Sabine Lenk kann über diese Zahlen nur müde lächeln. Seit sechseinhalb Jahren arbeitet die Sozialpädagogin für das Jugendamt Kreuzberg. Sie hat reichlich Erfahrung mit Kindern aus schwierigen Verhältnissen. Nach dem Fall der Mauer hat sie jahrelang in einer Jugendfreizeiteinrichtung in Friedrichshain gejobbt. So schnell wie die Mauer damals in einzelne Teile zerfällt, zerbrechen auch einige Familien. Vor allem die Kinder leiden darunter. Sie möchte den Men- schen aus solch einer Misere helfen - allen. Nicht nur den Kindern. O-Ton 12Sabine Lenk: Ich habe viel Wut auf Elternteile, klar. Aber ich habe auf der an- deren Seite auch sehr viel Verständnis. Es gibt wenig Elterntei- le, die sich hinsetzen und sagen, ich habe Spaß daran, dass es meinem Kind nicht gut geht. Autorin 24: Sie hat die Erfahrung gemacht: Die meisten Väter und Mütter wollen eigentlich nur das Beste für ihre Kinder. Nur wissen sie manchmal nicht, was das Beste ist. Da helfen nur lange, intensive Gespräche und eine gute Betreuerin, die immer wieder nachhakt. O-Ton 13 Sabine Lenk: Man muss wirklich neugierig auf die sein. Man muss die wirklich fragen, hey was ist da los, was beschäftigt sie da, was denken sie dazu. Und wenn die das Gefühl haben, dass man das wirk- lich hören will, dann... dann passiert da auch was. Also nicht bei allen, aber bei den meisten passiert dann wirklich was. Atmo 18 Wat gucken Sie denn so erschrocken... oder fremdelst du grad, kom- men Sie rein. Sie ist groß geworden. ... ins Büro gehen Autorin 25: Seit zwei Jahren ist Sabine Lenk neugierig auf Manuela Schwarz und ihre beiden Jungs. Das dritte Kind von Frau Schwarz hält Sabine Lenk gerade auf ihrem Arm. Atmo 19 ... Die krabbelt jetzt. ... Die krabbelt? Du krabbelst, Wahnsinn, mit neun Monaten krabbelst du schon? ... Du willst erst mal gucken, was? ... Autorin 26: Die beiden Frauen setzen sich an einen runden Tisch. In der Spiel- ecke im Büro stapeln sich Kuscheltiere und Bilderbücher. Sabine Lenk schnappt sich ein Gummitier. Das neunmonatige Mädchen ist schnell von dem Krokodil fasziniert. O-Ton 14 Sabine Lenk: Ich habe eigentlich drei Anliegen. Ich würde gerne über den Großen reden wegen der stationären Unterbringung. Wie ihr Empfinden ist. Müssen wir da gegensteuern? ... Blättert Akten auf ... Atmo 20 Büro Autorin 27: Als das Jugendamt vor zwei Jahren plötzlich an der Wohnungstür von Manuela Schwarz klingelt, ist die Mutter alles andere als erfreut. Vermutlich hat die Ex-Schwiegermutter sie angeschwärzt und be- hauptet, die Söhne würden in der Wohnung verwahrlosen. Am liebs- ten hätte Manuela Schwarz damals den Jugendamtsmitarbeiterinnen die Tür wieder vor der Nase zugeschlagen. O-Ton 15 Manuela Schwarz: Ich glaube, das ist für keinen ein gutes Gefühl, wenn auf einmal das Jugendamt da steht, nein ist es nicht, natürlich Angst. We- gen meinen Kindern, wegnehmen. Mittlerweile ist es okay (lacht). Autorin 28: Wenn die 34-jährige Mutter lacht, zeigt sie ihre schiefen Zähne. Seit vielen Jahren lebt sie von Hartz IV. Frau Lenk ist schon in Ordnung, sagt sie plötzlich. O-Ton 16 Manuela Schwarz: So dieses Gegenüber, das muss stimmen. Ich kann auch nicht mit jedem. ... Macht es einem wahrscheinlich wesentlich einfa- cher, wenn man so das Gefühl hat, der nimmt einen ernst. ... Und wo man auch das Gefühl hat wirklich auch, dass jemand jemandem helfen möchte. Und wo ich auch nicht das Gefühl ha- ben, dass man mir mein Kind wegnimmt. Autorin 29: Dabei ist genau das vor sechs Monaten passiert. Sabine Lenk will den ältesten Sohn aus der Familie nehmen und stationär in einer Wohngruppe mit Gleichaltrigen unterbringen. Der Elfjährige ist ver- haltensauffällig, die Wohnung zuhause ist verdreckt, die Mutter über- schuldet. Für Manuela Schwarz ist das keine leichte Entscheidung, schließlich liebt sie ihren Sohn. Anfangs ist sie strikt gegen die Wohngruppe, schließlich gibt sie nach. Inzwischen versteht die Mut- ter, dass das Beste für sie, nicht unbedingt das Beste für ihren Sohn ist. Atmo 21 Und dann kommen wir noch zu unserer dritten Lieblingshilfe, Fami- lienhilfe. Wie läuft denn die? ... Ja ganz gut so... Autorin 30: Regelmäßig schaut bei ihr jetzt ein Familienhelfer vorbei. Er hilft ihr bei ihrem Finanzplan, erklärt ihr, wie man frisches Gemüse und ein warmes Mittagessen zubereitet und dass Kinder in ihrem eigenen Bett schlafen sollten und nicht auf dem Sofa neben der Mama. Nach einer Stunde ist das Gespräch vorüber. Manuela Schwarz strahlt über das ganze Gesicht. Kriegt sie ihre Schulden in den Griff und den Haushalt unter Kontrolle, dann steht der Rückkehr ihres Sohnes nichts mehr im Weg. In vierzehn Tagen soll Manuela Schwarz wie- derkommen. Sie seufzt leise. O-Ton 17 Manuela Schwarz und Sabine Lenk: Ich will einfach nur, dass mein Sohn wieder da ist. Ich bin schon froh, dass ich ihn besuchen kann, dass ich mit ihm reden kann, der gehört halt zu mir. Und so schlimm ist er eigentlich nicht, wenn ich so andere Kinder manchmal sehe. ... Atmo 22 Büro Autorin 31: Cornelia Reszat brütet in ihrem Büro im Jugendamt Tempelhof schon wieder über Akten. Die Hilfekonferenz mit Ben ist gut gelau- fen, die Sozialpädagogin wirkt zufrieden. Der Zwölfjährige geht zu- rück zu seiner Mutter, das Ziel ist erreicht. Auch wenn es kaum einer glaubt: Das Jugendamt will Familien wieder zusammenbringen - oh- ne dass jemand dabei zu Schaden kommt. Cornelia Reszat beugt sich unter den Schreibtisch, holt sich aus ihrem Rucksack eine Tup- perwaredose. Atmo 23 Tupperwaredose öffnen Autorin 32: Darin liegt ihr Mittagessen. Eine Klappstulle, belegt mit gekochtem Schinken. O-Ton 18 Cornelia Reszat: Kauen ... Ich muss ehrlich sagen, in den letzten Wochen esse ich hier am Computer. Weil, was Sie ja jetzt hier nicht sehen, ist die ganze Bürokratie, die liegenbleibt. Na ja, Kostenübernahmen zu schreiben, Bescheide, Hilfepläne, Statistiken. Und das sind alles Dinge, die mache ich dann während des Essens. Atmo 24 ... reinbeißen, kauen ... so ..., seufzen ... eMails aufklicken, drucken, Telefonnummer wählen ... Autorin 33: Cornelia Reszat beißt noch einmal in die Schinken-Stulle, legt ihr Mittagessen zurück in die Dose. In ihrem Postfach entdeckt sie zwei Dutzend neue Emails, auf dem Display des Telefons blinken die ein- gegangenen Anrufe. Sie ruft zurück, aber keiner nimmt am anderen Ende ab. Cornelia Reszat klickt sich durch die digitalisierten Akten von Seite zu Seite, dokumentiert das Gespräch mit Ben und seiner Mutter. Beißt erneut in die Stulle. Atmo 25 Finger ablecken, durchs Postfach klicken, ... Verbindung neu anwäh- len, seufzen ... weiter kauen und klicken, ... ausdrucken... Blätter sortieren, durchreißen... Autorin 34: Schließlich steht sie auf, läuft zum Aktenschrank, vorbei am hölzer- nen Lächele-Schild. Sie sucht im Hängeregister nach einer neuen Akte. In einer halben Stunde beginnt schon die nächste Hilfekonfe- renz. Das wird ein schwieriges Gespräch, denn Cornelia Reszat will ein kleines Mädchen aus der Familie nehmen. Die Mutter soll zu- stimmen. Seit mehreren Wochen führt sie mit ihr darum intensive, manchmal zermürbende Gespräche. Cornelia Reszat schaut auf ihre Armbanduhr, in zehn Minuten müsste sie da sein. Die Tür geht auf. Doch statt der Mutter steht ihre Kollegin Astrid Langbein plötzlich im Zimmer. O-Ton 19 Dialog Astrid Langbein und Cornelia Reszat: Tür geht auf ... Ich habe eine Kinderschutzmeldung bekommen und brauche eine zweite Fachkraft. ... Ach, ich habe in zehn Mi- nuten hier ne riesen Hilferunde. Wen hast du denn schon ge- fragt? ... Ich war bei Claudia, die ist zum Hausbesuch, Susanne hat gleich auch eine HK und dann sieht´s schon wieder schlecht aus. ... Atmo 26 Büro mit Computersurren (!!!fehlt!!!) Autorin 35: Cornelia Reszat runzelt die Stirn, spielt im Geist kurz alle Möglichkei- ten durch, schüttelt dann den Kopf. Eine Kinderschutzmeldung hat immer Vorrang. O-Ton 20 Dialog Astrid Langbein und Cornelia Reszat: Es geht um einen einjährigen Säugling, der kein kindgerechtes Zuhause hat, wo abgeklärt werden muss, wie es ihm geht ... Wer hat gemeldet? ... Habe ich vom Drogennotdienst bekommen. ... Autorin 36: Mehr Infos gibt es nicht. Die Frau, die den Drogennotdienst informiert hat, will anonym bleiben. Schließlich geht es um ihre Schwester. Be- kannt sind nur die Straße und die Hausnummer. Und dass Drogen im Spiel sind. Astrid Langbein und Cornelia Reszat beraten sich kurz, kommen schnell zu dem Schluss: Sie müssen handeln. Gemeinsam. Jetzt. O-Ton 21 Dialog Astrid Langbein und Cornelia Reszat: Gib mir fünf Minuten, ich rufe alle an, ja misslich, wenn dann doch ein paar kommen, ich sage Amira vorne Bescheid, dann müssen die halt warten, dann komme ich kurz mit. Ja, okay? ... Okay, bis gleich. ... Tür geht wieder zu. Atmo 27 zur Ablage gehen, Hängeordnern einordnen, Akten verschieben ... in Akte blättern ... Papier durchreißen ... Schublade zuschieben ... Autorin 37: Cornelia Reszat klappt die Akte zu, schiebt den Rest der Stulle in den Mund und schnappt sich den Mantel. Die Zeit drängt. 7 1