COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel 22.9.2013 TATORT TURNHALLE Von Anja Schrum Geräuschtake 1 Moin, Hey... Guten Tag, guten Tag... Sprecherin: Der letzte Sonntag vor den großen Ferien. Nach und nach trudeln Trainer, Betreuer und Vorstandsmitglieder im Vereinsheim des SV Südkirchen ein. Ein Dorf rund 30 Kilometer nördlich von Dortmund. Geräuschtake 1 Sprecherin: Draußen, vor dem backsteinernen Flachbau liegt der Fußballplatz in der warmen Morgensonne. Drinnen, im Vereinsheim bemüht sich Vinz Uhlmann die verkrampfte Stimmung ein wenig zu lockern. Take (Uhlmann) 0'11 Ich weiß, das ist ein sehr bitteres Thema, aber ich möchte von Anfang an mit einer gewissen Lockerheit damit umgehen, weil wir wollen ja auch enttabuisieren, nicht. Sprecherin: Vinz Uhlmann ist Referent des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen. Das "bittere Thema" ist "Sexualisierte Gewalt im Sportverein". Take (Uhlmann) 0'09 Wir haben ja keine Verdachtsmomente und wir sind auch schon sehr sorgsam, aber wir müssen das Thema nochmal sehr deutlich machen. Sprecherin: "Keine Verdachtsmomente", betont Uhlmann. Ein deutlicher Hinweis in die Runde und auch in Richtung der Reporterin. Der Referent weiß: Beschäftigt sich ein Verein präventiv mit dem Thema "Missbrauch", heißt es ganz schnell: "Die machen das, weil etwas vorgefallen ist". Doch der SV Südkirchen hat mit dem benachbarten SC Capelle eine neue Jugendspielgemeinschaft gegründet, die JSG Südcap. Der Vorstand will das zum Anlass nehmen, den Kinderschutz stärker im Verein zu verankern. Geräuschtake 2 Stühle schieben, "seht ihr was?" Sprecherin: Uhlmann verbindet seinen Laptop mit dem Beamer, wirft ein paar Texte an die Wand. Fast jedes Wochenende ist er unterwegs, erarbeitet mit Sportvereinen sogenannte Handlungsleitfäden. Dabei geben sich die Vereine Regeln, um Kinder und Jugendliche besser vor Missbrauch zu schützen. Sie lernen aber auch, wie man im Verdachtsfall vorgeht. Auf der Leinwand erscheint jetzt die Definition von sexualisierter Gewalt. Bei den meisten Missbrauchs-Fällen steht nicht die sexuelle Befriedigung des Täters im Vordergrund, erläutert Uhlmann. Es geht vielmehr um Macht. Take (Uhlmann) 0'23 Sexualisierte Gewalt ist folgender Zustand: Machtausübung - und da, wo wir Macht haben, ist Demütigung auf der anderen Seite vorzufinden und das Ganze nicht irgendwie, sondern die Demütigung mit den Mitteln der Sexualität. So und dabei umfasst die Gewaltform jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind vorgenommen wird. Sprecherin: Und das beginnt nicht erst beim Begrapschen, etwa unter dem Vorwand die Sportkleidung kontrollieren zu müssen. Auch Worte, Gesten, Bilder können verletzen und demütigen, macht der Referent deutlich. Take (Uhlmann) 0'18 Ich habe meine Kinder und Jugendlichen und ich schreie denen zu: Hör mal, sieh mal zu, dass du dein Holz vor der Hütte bißchen besser einpackts, damit zu schneller laufen kannst. - Ist das jetzt der raue Ton im Sport oder ist das Kultur oder ist das schon sexueller Übergriff? Sprecherin: Die Vereinsmitglieder sind unsicher. Arme vor dem Bauch verschränkt wiegen manche den Kopf. Andere nicken zustimmend. Take (Uhlmann) 0'33 Ich hab das tatsächlich mal, genau diesen Wortlaut, persönlich erlebt, und in diesem Fall war es keine Kultur, es war auch nicht die derbe Sprache des Sports, sondern es ist tatsächlich ein Übergriff gewesen, weil das Mädchen sich entsprechend verhalten hat: Sie ist hochrot angelaufen, weg vom Fußballplatz, sofort in die Kabine rein. Dieses Mädchen befand sich in der Pubertät und es war tatsächlich so, dass ihre Brüste gewachsen waren in den letzten Monaten, auch sichtbar, und das hat der Trainer zum Anlass genommen, ihr das auch entsprechend deutlich vor Publikum - in Anführungszeichen - "vorzuwerfen'". Sprecherin: Statistiken, die zeigen, wie oft es im Sport zu sexuellen Übergriffen kommt, gibt es nicht, referiert Uhlmann. Man weiß aber, dass bei Mädchen etwa die Hälfte der Übergriffe außerhalb der Familie stattfindet. Bei Jungen ist das noch häufiger der Fall. Das kann im Kindergarten sein oder in der Schule, im Chor, in der Kirchengemeinde oder eben im Sportverein. Die Täter - oder auch Täterinnen - sind völlig unauffällig: Take (Uhlmann) 0'16 Sie sind vertrauenserweckend, sie übernehmen ungeliebte Aufgaben, sie tun das auch ohne zu meckern, räumen das Feld nachher auf, sind Ansprechpartner für ihre Kinder, investieren auch nochmal eine halbe Stunde nach dem Training vielleicht für Einzelgespräche, gehen mit Eltern in Kontakt...abblenden Sprecherin: Täter sind aber nicht nur Erwachsene, macht Uhlmann deutlich. Etwa ein Drittel der Delikte findet unter Gleichaltrigen statt. Der Referent zeigt ein paar Comic-ähnliche Zeichnungen. Auf einem Bild sind vier Jungen in einem Umkleideraum zu sehen. Take (Uhlmann) 0'16 Hier rechts eine Situation in der sog. Peergroup selbst, in der Altersgruppe - Hast du schon Haare am Sack? Der Übergriff: Hose runterziehen in der Kabine - ist das ein Jungenstreich? Und auch da müsste ich möglicherweise als Trainer - wenn mir so etwas bekannt wird als Trainer - mal eingreifen und sagen: Leute, das geht nicht. Geräuschtake 3 (Frager) 0'08 Nachfrage: Aber macht es nicht das ganze eventl. schlimmer ... Sprecherin: Ein Trainer meldet sich. Er will wissen: "Macht man es nicht schlimmer, wenn man einen rausnimmt und sagt: Hört auf den zu mobben". Uhlmann wiegt den Kopf. Take (Uhlmann) 0'15 Ich muss mich selber in der Lage fühlen, dieses Gespräch zu führen -sonst würde ich das lassen und jemanden anders das überlassen. Aber hier kann ich sagen: Pass mal auf, das geht nicht und ich möchte auch nicht, dass das wieder passiert. Das sind die Regeln, die wir selber festsetzen. Unsere Regeln, die uns als Sportverein umgeben, das sind die Regeln. Sprecherin: Vinz Uhlmann deutet auf eine andere Zeichnung. Ein Vereinsbus, die Kinder sitzen Schulter an Schulter, der Trainer quetscht sich dazwischen, grapscht. Das nächste Bild: Duschen nach dem Training: Take (Uhlmann) Dusch-Situation. Aktives Einseifen durch den Trainer. Gelächter... Krass... War doch gar nicht so schlimm. War doch noch so klein. Konnte doch nicht aufm Rücken einseifen. ... Und das alles, diese vier Dinge, gehen gar nicht und das sind tatsächlich beschriebene Situationen von Kindern, wie sie ihre Übergriffe erlebt haben, die jetzt mal illustriert worden sind. Geräuschtake 4 blättert im Ordner... 2004 haben sie das Hausverbot aufgehoben... Sprecherin: Im oberbayerischen Kolbermoor blättert Sigrid Kumberger in einem Din A4-Ordner, der vor ihr auf dem Küchentisch liegt. Take (Kumberger) 0'24 Da hab ich nochmal den Bayerischen Eissportverband angeschrieben, dass eben der Trainer nicht mehr da ist, aber der Trainer in dem naheliegenden Österreich kleine Kinder trainiert und da bekam ich nur die lapidare Anschreiben, dass er nicht mehr als Schiedsrichter tätig ist. Sprecherin: Die zierliche, blonde Frau schüttelt den Kopf. Sigrid Kumberger lebt mit Mann und zwei Söhnen in einem kleinen Ort, ganz in der Nähe von Rosenheim. Gemeinsam mit einigen wenigen Eltern hat die Familie versucht, sich gegen einen übergriffigen Eishockey-Trainer zu wehren. Gut zehn Jahre ist das her. Doch die Erlebnisse von damals sind keineswegs verblasst. Take (Kumberger) 0'15 Das wühlt immer noch auf, wenn man betrachtet, wie das abgelaufen ist. Nicht nur die Tat an sich, sondern wie die Mitwisser gehandelt haben, das wühlt auf. Dort hat man - der Glauben an eine Gesellschaft, der geht da verloren. Sprecherin: Sigrid Kumbergers Söhne sind damals fünf und sieben Jahre alt. Beide spielen Eishockey, bei den "Starbulls Rosenheim". Drei Mal die Woche fährt Kumberger sie zum Training, am Wochenende dann zu den Spielen. Kurz vor Saison-Ende erzählt ihr eine Mutter, wie froh sie sei, dass ihr Sohn nach den Ferien in eine andere Mannschaft wechsele, einen neuen Trainer bekomme. Der jetzige mache unter der Dusche so "komische Sachen". Er würde auf seinem Penis Geige spielen und dazu singen. Sigrid Kumberger ist unsicher, schließlich haben ihre Söhne nichts davon erzählt. Doch einige Wochen später wartet sie vor dem Umkleideraum auf ihre Kinder. Nebenan ziehen sich die ganz Kleinen um. Take (Kumberger) 0'33 Und ein Junge war noch alleine drin und der Trainer kam vom Duschen mit so einem dunkelblauen Handtuch um sich gewickelt, ging dann in diesen Raum, wo der kleine Junge alleine war und es hat ein paar Minuten gedauert, dann kam der kleine Bub schreiend aus dieser Kabine, hat um Hilfe, Mama, Mama, Hilfe gerufen und ich hab gesehen in diese Kabine rein, in diesen Raum rein, wie der Trainer hinter der Tür stand, in diesem toten Winkel, sah aber noch, wie er das dunkelblaue Handtuch vom Boden wegzog. Sprecherin: Sie beobachtet dann, wie die Mutter des Jungen den Trainer zur Rede stellt und hinterher weinend die Kabine verlässt. Kumberger fährt nach Hause. Aufgewühlt berichtet sie ihrem Mann, redet mit einer Freundin, ruft schließlich anonym beim Kinderschutzbund an. Dort rät man ihr, nicht wegzugucken. Es könnte mehr dahinter stecken. Sie solle sich an den Vereins-Vorstand wenden, ein Duschverbot durchsetzen. Zufällig trifft Kumberger die Frau des Nachwuchsleiters beim Einkaufen: Take (Kumberger) 0'21 Und dann hat sie gesagt: Ja, das wundert mich gar nicht, weil ihr Sohn hat selber schon was erzählt. Zu ihm habe er mal gesagt unter der Dusche: Schau her, das ist jetzt meiner, jetzt ist er so groß und wenn er mal steht, ist er soo groß und hat dieses Groß mit den Händen angedeutet. Und da war ich dann platt.Und dann hab ich gesagt: Was? Dein Mann ist Nachwuchsleiter und ihr wisst das und ihr schaut über Monate zu? Sprecherin: Kumberger spricht mit dem Nachwuchsleiter und einem weiteren Vorstandsmitglied. Dem Trainer wird ein Duschverbot erteilt. Begründet wird es nicht. Der Trainer beruft sofort einen Elternabend ein. Take (Kumberger) 0'29 Auf diesem Elternabend hat er kundgetan, er dürfe nicht mehr duschen, weil es Mütter gäbe, zwei Mütter, die behaupten, er mache etwas mit Kindern. Und daraufhin, da waren also 22 Elternteile anwesend, haben sofort 18 gesagt: Eine Schweinerei und wer sind die zwei Mütter aus dieser untersten Schublade ohne Zweifel und überhaupt den Gedanken daran zu verschwenden, stimmt das nicht tatsächlich und was läuft da ab. Sprecherin: Die Eltern, die die Vorwürfe zurückweisen, erlauben per Unterschriften-Liste, dass der Trainer weiterhin mit ihren Kindern duschen darf. Die Söhne von Sigrid Kumberger duschen fortan zu Hause. Take (Kumberger) 0'28 Dann gab es am Freitag eine Liste an der Kabine und das war Maßgabe: Wer nicht duscht, der spielt nicht. Das war von ihm angeordnet. Und dann hat der 2. Vorstand zu mir gesagt: Der Trainer macht die Ansage und an das muss man sich halten. Sprecherin: Der Fall liegt einige Jahre zurück und ist doch immer noch aktuell. Aufgrund der oft ähnlich ablaufenden Verhaltensmuster. "Schweigen schützt die Falschen" heißt eine Kampagne, die der Landessportbund Nordrhein-Westfalen bereits Ende der 90er Jahre ins Leben rief. Take (Sahle) 0'03 Es geht darum, dass das ein Thema auf jeden Fall für den Sport ist Sprecherin: Dorota Sahle, Referentin beim Landessportbund NRW. Take (Sahle) 0'18 Nicht nur aufgrund der Körperlichkeit, sondern auch aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen, die entstehen zwischen Sportlerinnen und Sportlern und Trainerinnen und Trainern und dass es Sinn macht sich damit auseinanderzusetzen und dass die Übungsleiterinnen und Übungsleiter auch gut über das Thema informiert sind. Sprecherin: Sahle ist Referentin für "Prävention und Intervention sexualisierter Gewalt im Sport". Lange Jahre war sie bundesweit die einzige Hauptamtliche, die sich innerhalb des organisierten Sports mit dem Thema "sexuelle Gewalt" beschäftigte. Mittlerweile haben andere Landessportbünde nachgezogen. Oft nicht ganz freiwillig. Das Bekanntwerden der Missbrauchsfälle in Kirche und Internaten im Jahre 2010 erhöhte auch den Druck auf Sport-Organisationen und -Vereine. Take (Sahle) 0'14 Und danach war es schon so, dass auch Vereine sich melden, die sagen, sie haben es erlebt, dass im Verein nebenan, wie es zu einer Aufdeckung eines Falls kam und für welche Unruhe das gesorgt hat und wie überfordert der Verein auch damit ist und haben beschlossen: Wir wollen uns gut aufstellen. Sprecherin: Einen Handlungsleitfaden entwickeln, Mitarbeiter schulen, einen Ehrenkodex unterzeichnen, ein erweitertes Führungszeugnis von den Betreuern verlangen - all das empfiehlt der LSB seinen Vereinen. Mit dem Ehrenkodex signalisiert der Verein: Wir kümmern uns um das Thema sexualisierte Gewalt. Und in dem erweiterten Führungszeugnis sind Verurteilungen von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vermerkt, auch Jugendstraftaten sind aufgelistet. In einem Handlungsleitfaden können die Vereine für sich festlegen: Take (Sahle) 0'40 Gibt es bei uns im Verein Vereinbarungen über Wochenendfahrten, über Ausflüge? Also Gruppen werden immer von weiblichen und männlichen Begleitpersonen begleitet, wir haben im Vorfeld von Ferienveranstaltungen für die Betreuerinnen und Betreuer eine Qualifizierung zum Thema - also solche Dinge, die man sich auch auf der Liste anschauen kann, das könnten wir für uns umsetzen... abblenden Sprecherin: Gut 20.000 Sportvereine gibt es in Nordrhein-Westfalen, bislang hat sich allerdings erst ein Teil schulen lassen. Dass an der Vereinsbasis noch erheblicher Informationsbedarf besteht, legt auch eine Untersuchung des Leichtathletik Verbandes Niedersachsen nahe. Der Verband hatte Ende 2012 300 seiner 900 Vereine angeschrieben. 157 beantworteten den Fragebogen. Rita Girschikowski, Präsidentin des niedersächsischen Leichtathletikverbandes. Take (Girschikowski) 0'15 Und das Ergebnis war dann, dass 94 Prozent der Vereine die Behandlung des Themas für sehr wichtig bzw. wichtig halten, 38 Prozent der Vereine haben das Thema von sich aus schon behandelt und präventive Maßnahmen ergriffen. abblenden Sprecherin: Zwei Drittel der Vereine aber hatten noch nichts unternommen. Obwohl sie das Thema für wichtig hielten. Am Ende der kurzen Untersuchung wurde auch die Frage nach Verdachtsfällen bzw. tatsächlichen Vorfällen gestellt. Take (Girschikowski) 0'23 Wir haben insgesamt acht sexuelle Gewalttaten, 12 Verdachtsfälle damit aufgetan, mit unserer Umfrage und ich denke, das ist - wenn man jetzt das mal umrechnet - ziemlich viel, aber grundsätzlich würde ich sagen, es ist Gott sei Dank noch nicht so viel, dass man sagen muss, man muss hier ganz doll die Alarmglocken läuten. Sprecherin: Allerdings: Allein vier der Vorfälle ereigneten sich in den letzten 3 Jahren vor der Umfrage. Damit waren 2,5 Prozent der befragten Vereine betroffen. Rechnet man diese Zahl auf alle 900 Leichtathletik-Vereine Niedersachsen hoch, so ergibt sich die - Zitat - "vernichtende Zahl von 23 sexuellen Gewalttaten mit Kindern für den Zeitraum von drei Jahren", wie der Leiter der Studie, der Sportwissenschaftler Prof. Herbert Hopf, schreibt. Bei der Umfrage hatten darüberhinaus rund zwei Drittel der Vereine angegeben, sie würden etwaige Verdächtige selbst ansprechen. Ein Vorgehen, das von Experten als falsch eingestuft wird. Empfohlen wird vielmehr, sich professionelle Hilfe von außen zu holen. Das ist auch in den zahllosen Handlungsleitfäden und Ratgebern für Sportvereine nachzulesen. Doch sind die Inhalte offenbar noch nicht wirklich an der Vereinsbasis angekommen. Dr. Bettina Rulofs, Soziologin an der Deutschen Sporthochschule Köln, wundert das nicht. Take (Rulofs) 0'28 Einerseits ist es diese komplexe, ein bisschen unübersichtliche, hierarchische Struktur des deutschen Sports, die da eine Rolle spielt. Wenn der Dachverband, der DSOB oder die Deutsche Sportjugend Maßnahmen initiieren, dann ist er erst mal nur der Verband der Verbände. Das muss dann wiederum über die Landessportbünde und die Spitzen-Verbände runtergebrochen werden an die Basis. Das ist ein langer Weg. Geräuschtake 5 0'21 ... blättert... "Das war auch was Interessantes"... blättern... Sprecherin: Im oberbayerischen Kolbermoor blättert Sigrid Kumberger durch ihre Unterlagen und erinnert sich: Take (Kumberger) 0'19 Es war das Thema: Wir müssen den Verein schützen, wir haben einen guten Namen, wir sind mehrmals deutscher Meister, wenn so etwas an die Öffentlichkeit kommt, dann laufen uns die Sponsoren davon, wir finden keinen Nachwuchs mehr, also es gab viele, viele Gründe, die wichtig waren für den Verein, was überhaupt keine Rolle spielte, war der Schutz der Kinder. Sprecherin: Doch Sigrid Kumberger lässt nicht locker. Die Eishockey-Saison neigt sich dem Ende. Die Vorstellung, dass zu Beginn der neuen Saison wieder die Kleinsten, die fünf und sechsjährigen dem Trainer ausgeliefert sind, lassen ihr keine Ruhe. Take (Kumberger) 0'21 Ich hab dann mittlerweile mich auch anonym bei der Kinderschutz-Beauftragten der Polizei gemeldet, die dann gesagt hat: Bitte, bitte, bitte unternehmen sie etwas. Er tut es wieder. Das ist nur die Spitze vom Eisberg. Jetzt sucht er sich erst mal ein Kind aus. Also, diese ganze Systematik von einer Täterschaft hat die Frau mir erklärt. Und dann denkt man sich: Keiner tut da was und guckt man zu? abblenden Sprecherin: Gleichzeitig wächst in Sigrid Kumberger die Angst. Rosenheim ist eine Kleinstadt. 60.000 Einwohner. Im Vereinsvorstand sitzen die Großen des Ortes. Der Vorstand verhängt ein Hausverbot über die Kumbergers. Sie dürfen das Eisstadion nicht mehr betreten. Gelten als Nestbeschmutzer. Take (Kumberger) 0'08 Ein Exempel wurde statuiert: Eltern, die so etwas erfinden, werden aus dem Verein rausgeschmissen. So hat es der Vorstand präsentiert. Sprecherin: Doch das Ehepaar lässt sich nicht unterkriegen, erstattet anonym Anzeige gegen den Trainer. Der Staatsanwalt ermittelt. Sieben Jungen sagen schließlich vor der Polizei aus. Folgende Tathandlungen gelten - unter anderem - als nachgewiesen - Zitat: ZITATOR "In mehreren Fälle klemmte der Beschuldigte, der jeweils nackt mit den Buben duschte, sein Glied zunächst zwischen die Beine und äußerte dabei, so sehe eine Frau aus. Nachdem er das Glied wieder nach vorne gleiten ließ, gab der Beschuldigte an, jetzt sei er wieder ein Mann." In einem Fall hielt der Beschuldigte mit einer Hand sein Glied fest, während er mit den Fingern der zweiten Hand darüber strich, als ob er Gitarre spielen würde. Dabei sang er: "Ding, ding, ding" dazu. Sprecherin: Trotz dieser und anderer Aussagen der Jungen wird das Ermittlungsverfahren gegen den Trainer eingestellt. In der Begründung heißt es, es handele sich zwar bei dem Vorgehen um grobe Takt- und Geschmacklosigkeit, nicht in jedem Fall aber - Zitat - "kann und muss ein sozial schädliches Verhalten auch mit den Regularien des Strafrechts geahndet werden". Take (Kumberger) 0'20 Der Staatsanwalt schreibt von Geschmacklosigkeit. Und der Staatsanwalt sagt zu mir: Was soll ich jetzt machen. Das ist eben in diesem Graubereich, ich kann jetzt auch nicht sagen, er darf nicht mehr mit Kindern trainieren. Bis heute - das ist jetzt mehr als zehn Jahre - bis heute steht der mit den Kindern auf dem Eis. Und zwar immer in verschiedenen Vereinen... Sprecherin: 2010, nachdem die Missbrauchs-Vorfälle in Kirchen, Schulen und Internaten bekannt werden, macht auch Sigrid Kumberger ihre Geschichte öffentlich. Es melden sich bei ihr andere, die ähnliches erlebt haben. Das sind keine Einzelfälle, sagt Ursula Enders, Gründerin und Leiterin von Zartbitter, einer Kölner Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch. Take (Enders) 0'28 Wir hatten jetzt gerade wieder eine junge Frau hier in der Beratung, die im Leistungssport ist und den Verein gewechselt hat und Übergriffe aufgedeckt hat und ja - wirklich gemobbt wird und sich nur entscheiden kann, bin ich noch weiter im Sport oder nicht. Und dann ist es ganz wichtig, dass sie eine unabhängige Unter- stützung hat. Sofern die Unterstützung im Sport selber ist, ist sie sehr begrenzt. Sprecherin: Enders plädiert dafür, den Vereinen auch Ansprechpartner zur Seite zu stellen, die außerhalb des Sports stehen. Take (Enders) 0'18 Alle Institutionen brauchen ein Beschwerdemanagement mit internen und unabhängigen externen Ansprechpartnern. Weil es gibt Menschen, die wollen sich an die eigenen Institutionen wenden und welche wollen sich nur an Leute wenden, die wirklich unabhängig außerhalb stehen und deshalb ist beides anzubieten. Sprecherin: Bei Verdachtsfällen verweise der Sport zwar gerne an die Fachberatungsstellen. Diese aber seien in der Fläche kaum finanziert, sagt Enders. Zartbitter Köln verfügt zum Beispiel gerade mal über vier Planstellen. Außerdem sollten sich die Sportverbände noch stärker als bislang darum kümmern, dass die Vereine sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen. Take (Enders) 0'35 Es ist ein wirkliches Ärgernis, dass der Deutsche Olympische Sportbund sich immer so progressiv gibt und sich gleichzeitig, wenn er mit konkreten Fällen konfrontiert wird, sich immer zurücklehnt und sagt: die Vereine sind rechtlich unabhängig. Damit hat er zwar Recht, aber er hat sonst auch politische Macht. Dann soll er diese politische Macht, die er immer und immer wieder nutzt, auch mal nutzen, um wirklich diesen Vereinen ein klares Vorgehen abzuverlangen. Geräuschtake 6 Viele Stimmen, Grill zischt, Vogelgezwitscher Sprecherin: Zurück beim SV Südkirchen, in der Nähe von Dortmund. Mittagspause bei Bratwürstchen, Nackensteaks und Krautsalat. Trainer, Betreuer und Vorstände stehen in kleinen Grüppchen beisammen. Diskutieren. Einigen der Männer fällt es schwer über das Thema sexuelle Gewalt zu sprechen. Andere antworten ganz locker. Auch weil sie in ihrem Beruf regelmäßig Fortbildungen zum Thema machen. Etwa der Trainer der D-Mädchen-Mannschaft. Take (Trainer 1) 0'20 Ich hab das eben schon mal drin zum Kollegen gesagt, da ich zwei Töchter habe, habe ich eigentlich gedacht, mir kann da nichts mehr passieren. Aber gerade, wenn es sich um andere Mädchen handelt, da hat sich jemand wehgetan, verletzt, wo darf man die anfassen, wie darf man die anfassen. Weil das sind meistens irgendwelche Zusammenstöße mit den Beinen. Darf man anfassen, darf man drücken und reiben, damit der Schmerz weggeht. abblenden Sprecherin: Wie schnell gerät man da unter falschen Verdacht, sorgt sich der Trainer. Take (Trainer 1) 0'06 Jeder hat ein Handy, wo man mit Videos aufnehmen kann, Fotos machen kann, völlig aus dem Zusammenhang gerissen und dann steht man plötzlich am Pranger. Sprecherin: Sein Co-Trainer nickt. Take (Trainer II) 0'12 Meine Frau fährt viel mit, dass die in die Kabinen gehen können, beim Umziehen helfen, weil wir können nicht mit reingehen. Anderer: Ist ein Tabu-Thema, geht gar nicht. Erster: Deshalb versuchen wir es auf die Schiene, dass immer irgendwelche Mütter dabei sind. Sprecherin: Für die neue Saison hat der SV Südkirchen mit dem SC Capelle eine Jugendspielgemeinschaft gegründet, die JSG Südcap. Von den Mini-Kickern bis zur A-Jugend werden nun fast 300 Kinder und Jugendliche trainiert und betreut. Der Vorstand möchte die Neugründung zum Anlass nehmen, den Kinderschutz im Verein stärker zu verankern. Der Verein will sich Handlungsleitlinien geben, einen Ehrenkodex, den Trainer und Betreuer unterschreiben sollen und die Vorlage des erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses auch für die Ehrenamtler einführen. Vorstands-Mitglied Rainer Bolte: Take (Bolte) 0'18 Und ja, wir erhoffen uns eine Art Werbung in so weit, dass sich die Eltern guten Gewissens ihre Kinder uns anvertrauen können. Dass sie ein gutes Gefühl haben, dass sich alle wohl fühlen, alle Beteiligten, das liegt uns sehr am Herzen. Um unser Ziel, Breitensport, weiter fortführen zu können. 1