COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Viel Lärm um den Lärm Bürgerproteste hier und dort Autor Kemna, Verena 4.05 Fittkau, Ludger 4.02 Frantzen, Michael 4.05 Kußmann, Matthias 3.56 Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 07.02.2011 - 13.07 Uhr Länge 20.17 Minuten Moderation (in vorproduzierter Sendung) -folgt Script Sendung- Script Sendung M 01 ErkMu REGIE Musik kurz frei & unter Moderator legen MOD Viel Lärm um den Lärm. Bürgerproteste hier und dort in der Republik. Am Mikrofon begrüßt Sie Claus Stephan Rehfeld. REGIE Musik kurz frei & unter Moderator weg MOD Ist das Volk aufgewacht? Oder wird nur wieder hörbar da und dort auf das Mitspracherecht gepocht, also das Recht der Mitgestaltung lautstärker eingeklagt? Stuttgart 21 war und ist so ein Beispiel. Bürger, die sich verschaukelt fühlen, gehen auf die Straße, weiterhin. Ihr Protest beschäftigte und beschäftigt die überregionalen Medien. Aber auch andernorts artikuliert sich ziviler Widerstand, nicht immer so vehement wie in Stuttgart, aber doch sichtbar. Der Länderreport berichtet darüber. REGIE Musikeffekt MOD Steht der Juchtenkäfer, Feldhamster oder die Mopsfledermaus über dem Menschen? Gelegentlich hilft der Hinweis auf eine Tierart, um ein Bauprojekt zu stoppen. Bürgerproteste werden - im günstigsten Fall - schriftlich beantwortet und landen in der Verwaltungsschublade für "erledigt". Der BUND nun stellt gesunden Menschenverstand und notwendigen Tierschutz auf eine gleichberechtigte Stufe. Verena Kemna berichtet. LR-k BUND für mehr Bürgerbeteiligung / Kemna - 4'05" AUT Mehr Bürgerbeteiligung bei Großprojekten, das fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. In einem Fünf-Punkte-Programm fasst der BUND die Lehren aus Stuttgart 21 zusammen. Demnach sollen Raumordnungsverfahren zwingend vorgeschrieben werden. Bereits in diesem frühen Planungsstadium müssten Bürger die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen. Der Zweck der Baumaßnahme, die Notwendigkeit und mögliche Alternativen sollten ausführlich öffentlich erörtert werden, meint der BUND Vorsitzende Hubert Weiger. Er verweist auf eine Umfrage. Demnach meinen fast 80 Prozent der Bundesbürger, dass ihre Interessen zu wenig berücksichtigt werden. E 01 (Weiger) Das bedeutet, dass wir aktuell nicht mehr automatisch informiert werden, wenn im Land ein Großprojekt geplant ist, ein Planfeststellungsverfahren eröffnet wird für eine Bundesstraße, wo wir dann vier Wochen Zeit haben, um qualifiziert zu Plänen Stellung zu nehmen an denen andere jahrelang, um nicht zu sagen jahrzehntelang gearbeitet haben. AUT Grundsatzanhörungen mit offenem Ergebnis stehen im Fünf-Punkte-Programm des BUND auf dem Weg zu mehr Bürgerbeteiligung oben auf der Liste. Die Vorteile, so Hubert Weiger, liegen auf der Hand. Anders als bisher soll das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens nicht nur für Behörden, sondern auch für Bürger und Umweltverbände verbindlich sein. E 02 (Weiger) Wir sagen, auch aufgrund unserer eigenen Erfahrungen, wenn der Bürger umfassend informiert ist, wenn er die Möglichkeit hat, sich einzubringen, führt die qualifizierte Bürgerbeteiligung immer zu einer Verbesserung der Planung - und zwar kostenlos. Das gesammelte Wissen der Bürgerschaft wird über die Beteiligungsprozesse dem Staat kostenlos als Beurteilungsgrundlage zur Verfügung gestellt. AUT Auch sollen betroffene Bürger und Verbände laufend und umfassend über jeden einzelnen Planungsschritt informiert werden. Zu einer Reform der Bürgerbeteiligung zählt auch die Eigenverantwortung des Staates. Rechtswidrige Entscheidungen, die sich durchsetzen, weil "keiner etwas merkt" müssen der Vergangenheit angehören. Stuttgart 21 habe gezeigt, dass viele Bürger weder staatlichen Behörden noch politischen Akteuren vertrauen. So soll, nach den Vorstellungen des BUND, eine parlamentarisch gewählte Ombudsperson jedes Verfahren begleiten. Ebenso hält Hubert Weiger die Einführung von Volksbegehren auch auf Bundesebene für überfällig. E 03 (Weiger) Je umfassender die Beteiligung, umso besser die Ergebnisse, umso akzeptierter sind auch die Ergebnisse. Je schlechter die Beteiligung ist, umso größer ist die Gefahr, dass am Ende gegen das Ergebnis geklagt wird. Das sich über die Klage herausstellt, die Bürgerproteste sind keineswegs unbegründet und dass dann die Gerichte zu dem Ergebnis kommen, das gesamte Verfahren muß von vorne beginnen. Das führt dann tatsächlich zu der Verzögerung. AUT Auf Länderebene sind Volksentscheide möglich, doch die Hürden sind oft zu hoch. Etwa in Baden-Württemberg, wo das erforderliche Quorum bei 16,6 Prozent der stimmberechtigten Einwohner liegt. Auf Bundesebene sind Volksentscheide noch eine Vision, nur möglich mit einer Änderung des Grundgesetzes. Doch nach Stuttgart 21 scheint die Zeit für Reformen gekommen. E 04 (Weiger) Die FDP hat sich sehr offen gezeigt, die SPD ist ebenfalls sehr offen für diese Diskussion einschließlich der Möglichkeit von Bürgerbegehren und Volksbegehren. Also mehr direkte demokratische Elemente einzubauen. Es gibt auch einen wachsenden Kreis innerhalb der Union der sagt, ja, die Bürgergesellschaft die wir wollen, erzwingt auch einen anderen Umgang mit den Bürgern. -ENDE Kema- MOD Einen Vorwurf wollen sich Naturschützer in der Eifel nicht gefallen lassen. Nämlich den, sie hätten sich zu spät eingemischt. In der Vulkaneifel planen staatliche Behörden eine Ausweitung der Flächen für den Abbau von Lavasand und Basalt aus Vulkangestein. "Rohstoffsicherung" heißt es. Doch würde die Lava in der Vulkaneifel im behördlich geplanten Umfang abgebaut werden, dann könnte ein einmaliges Landschaftsbild unwiederbringlich zerstört werden. Bis zu 40 von 80 Vulkankegeln im Landkreis Vulkaneifel wären dann in einigen Jahrzehnten verschwunden, befürchten die Naturschützer. Deshalb melden sich jetzt früh, in der ersten Planungsphase nämlich, lautstark zu Wort. Ludger Fittkau berichtet. LR-k Tanz um den Vulkan / Fittkau - 4'02" G 01 Schritte im Schnee AUT Zwei Männer und eine Frau stapfen auf einem kleinen Plateau bei Daun in der Eifel durch den Schnee. Am Rande des Plateaus bleiben die drei stehen. Sie sind Mitglieder der Naturschutzverbände NABU und BUND und organisieren den Protest gegen den Lavaabbau in der Vulkaneifel. Peter Felten vom NABU ergreift als erster das Wort und deutet in die Landschaft. E 01 (Felten) Wir stehen hier auf dem Fuchskopf, einem ehemaligen Vulkan, und ein Blick von hier oben zeigt uns, warum diese Gegend in der Eifel zu recht den Namen Vulkaneifel trägt. Alles Vulkane ... AUT Die verschwinden könnten, würden die Pläne des Landesamtes für Bergbau und Geologie Wirklichkeit, befürchten Felten und seine Mitstreiter. Das Amt will zum Zwecke der Rohstoffsicherung in der Vulkaneifel die Flächen, auf denen Lavaabbau möglich ist, über die jetzt schon bestehenden 30 Abbaugruben hinaus um ein Vielfaches ausweiten. E 02 (Felten) Wir stehen jetzt hier auf diesem Plateau. Ob wir hier in fünf oder sechs Jahren noch stehen können, ist eine Frage. Nämlich auch dieser Bereich, auf dem wir jetzt stehen, diesen herrlichen Rundumblick haben, auch der soll als Vorranggebiet ausgewiesen werden und damit wird er praktisch zum Abbau freigegeben. E 03 (Thea Merkelbach) Wir haben von Anfang an gesagt, Lava ist zu billig. Lava ist ein wunderbarer Stoff. Lavasand kann gebraucht werden für Filteranlagen in Wasseraufbereitungsanlagen oder auch als Dünger. Aber das muss dann dosiert und ganz gezielt eingesetzt werden und es muß entsprechend teuer sein. Es kann nicht sein, dass hier unsere Berge abgetragen werden, damit irgendwo in Norddeutschland eine Autobahn gebaut werden kann. Überall wird Lava hingebracht, weil sie so billig ist. Das kann nicht sein. AUT Thea Merkelbach engagiert sich seit 20 Jahren im Bund Umwelt und Naturschutz gegen die Vielzahl der Lava-Gruben in der Vulkaneifel. Sie steht jetzt am Rande der gut zehn Fußballfelder großen Grube in der Nähe des Fuchskopfes bei Daun. Der Lavasand ist schwarz und fein, er ist leicht mit Raupenfahrzeugen zu bewegen. Doch an einer Stelle türmen sich mitten in der Grube neue, kleinere Berge auf, mit frischem Gras bedeckt. Was darunter weiß niemand so recht, sagt Norbert Leinen, Vorsitzende des BUND in Daun. E 04 (Leinen) Wir wissen nicht was da drin liegt. Das ist noch eine kleine Anschüttung. Beispielsweise in der Grube neben dem Nerother Kopf, da wurden Bauschuttabfälle aus dem ganzen westlichen Europa hingekarrt. Da standen morgens um 6 Uhr schon die ersten LKWs aus Belgien, Holland und haben munter abgekippt im Dunkeln, keine weiß, was da ist. Das wurde zwar mittlerweile gestoppt, diese Verkippungen, aber wer weiß, was da drunter liegt. E 05 (Merkelbach) Dieses große Loch, was wir jetzt vor uns sehen, ist doch ein ideales Loch, um allen Schutt und Dreck und Abraum und alles hinzubringen. Und vor Jahren kamen sogar die Abbaumassen vom Frankfurter U-Bahn-Bau hier in die Eifel. E 06 (Leinen) Wir haben aktuell 30 aktive Gruben und die müsste man täglich überwachen und das ist personell nicht zu machen. Da hofft man, das es gut geht, das nichts passiert. AUT Doch es ist schon einiges passiert - auch Kriminelles. So wurde vor einigen Jahren giftiger Müll aus Köln in eine Grube gekippt. Heute muss dort das Wasser im Untergrund ständig kontrolliert werden. Norbert Leinen: E 07 (Leinen) Man darf also nicht vergessen, dass diese Vulkanberge gigantische Wasserspeicher sind. Es gibt hier im Landkreis riesige Wassersicherungsgebiete von einigen tausend Hektar Größe. Auf der einen Seite weist man solche Gebiete aus und sagt: Passt auf, da ist sehr viel Grundwasser, sehr viel Trinkwasser. Auf der anderen Seite lässt man es zu, das die Oberflächen an vielen Stellen angekratzt wird und das Schadstoffe ruckzuck an vielen Stellen ins Trinkwasser gelangen können. Irgendwie scheinen mir die Fachbehörden mir da falsch abzuwägen. AUT Und weil die Naturschützer in der Eifel das so sehen, gehen sie jetzt auf die Barrikaden. Sie wollen verhindern, dass die Ausweitungspläne in Kraft treten. Sie wollen, dass die Vulkaneifel auch in einigen Jahrzehnten noch zu Recht ihren Namen tragen darf. -ENDE Fittkau- MOD "Wutbürger" sagen die einen, andere tauschen das W gegen ein M aus und sprechen vom Mutbürger. Meinen jene, die sich dagegen wehren, "dass politische Entscheidungen über ihren Kopf hinweg getroffen werden." Im sächsischen Plauen können sie davon ein Lied singen. Was den Stuttgartern ihr Bahnhof, ist den Plauenern ihre Autobahn, die A 72. Die sorgt dafür, dass der Warenverkehr zwischen Ost und West wie geschmiert rollt, und sie macht Lärm. Viel zu viel, findet die "Bürgerinitiative Lärmschutz". Michael Frantzen hat sich mit drei Mitgliedern der Initiative getroffen. LR-k Lauthals für Flüsterasphalt / Frantzen - 4'02" E 01 (Frau Hiebl) "Zänkisches Bergvolk... (lacht) ... sind wir. (lacht) Wir sind schon sehr drauf aus, unsere Rechte auch ordentlich durchzusetzen. Zwar innerhalb der Gesetze, aber schon mit Nachdruck. Voriges Jahr haben wir das mal richtig erprobt." AUT In Plauen, genauer gesagt auf der A 72, zwischen Plauen Ost und Plauen Süd. 134 Fahrzeuge zockelten im Hochsommer letzten Jahres gut eine Stunde lang die sechs Kilometer im Schneckentempo entlang. Aus Protest. Wie Ursula Hiebl von der "Bürgerinitiative Lärmschutz" betont. E 02 (Hiebl) "Und haben uns dabei richtig wohl gefühlt, dass wir denen mal zeigen konnten, wie stark wir sind." AUT Haben sie nicht schlecht gestaunt - die im Verkehrsministerium, in Dresden und Berlin. Waren sie bislang nicht gewohnt - von den "Leisetretern" aus dem Vogtland. E 03 (Hiebl) "Die haben uns sogar in der Wahlzeit gesagt: Machen se doch nicht son Aufwand! Wenn sie jetzt son Aufwand machen, dann machen sie ja alle anderen drauf aufmerksam, dass dieser Lärmschutz in Deutschland so schlecht ist! Sie müssen leise sein, dann können wir ihnen helfen! Das war der größte Fehler, den wir gemacht haben: Dass wir leise waren!" A 01 Autobahnlärm Regie Frei stehen lassen und dann unter Autor blenden AUT Leiser Protest - davon hält auch Steffen Gneipel nichts mehr. Wenn man so will, hat sich der Schriftführer der Bürgerinitiative dem Lärmpegel der A 72 angepasst. Der hat es in sich. 57 Dezibel wurden in Gneipels Siedlung am Rande Plauens nachts gemessen, erlaubt sind maximal 49. E04 (Gneipel) "Ursprünglich, als ich hierher gezogen bin 1993, hatten wir unser Schlafzimmer noch zur Autobahnseite hinaus. Das können wir mittlerweile nicht mehr nutzen. Aufgrund dieser Lärmbelästigung. Wir schlafen jetzt zur Straßenseite hinaus, in einem kleineren Zimmer." AUT Bei geschlossenen Fenstern. Auf drei eng geschrieben DINA4-Seiten hat der Außenhandelsvertreter aufgelistet, an wen sie sich in den letzten vier Jahren alles schon gewandt haben: An Bundesverkehrsminister Ramsauer, seinen Vorgänger Tiefensee, Bundes- und Landtagsabgeordnete, den Petitionsausschuss des Bundestages. E 05 (Gneipel) "Wir haben an den Ministerpräsidenten des Landes, Herr Tillich, geschrieben, wiederholt. Es werden Anschreiben mit der Bitte um ein Rundentisch-Gespräch zur Erörterung der akuten Probleme - darauf wird halt nicht eingegangen. " AUT Gneipels Mitstreiter Volker Ebersbach wundert das schon lange nicht mehr. Auch so ein "zänkischer Aufständischer", der schlecht zu sprechen ist auf "die da oben". E 06 (Ebersbach) "Was mich am meisten ärgert: Dass Zusagen gemacht werden, vor allen in Zeiten, wo es an die Wahl geht. Da tun sich die Politiker, die gewählt werden wollen, ins Zeug legen und versprechen das Blaue vom Himmel. Dann: Aus, vorbei, alles anders. Und dann rührt sich keiner mehr. Und das hat mich am meisten geärgert. Deshalb hab ich dann vor einem Jahr gesagt, ich mach jetzt hier aktiv mit." E08 (Hiebl) "Bürgerlich. Eindeutig bürgerlich. Und es ist halt auch so, dass wir einen so seriösen Eindruck machen, dass halt das Landratsamt zum Beispiel auch die Demonstration gelobt hat in jeder Richtung. Weil das halt ganz diszipliniert gelaufen ist. Also, da gibt's keine, die quer schlagen. Sondern das ist halt einfach: Wir wollen für uns Hilfe!" AUT Ursula Hiebl hat eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie diese Hilfe aussehen sollte. Schon seit längerem fordern sie und die anderen höhere Lärmschutzwände. Und dass die Strecke zwischen Plauen Ost und Süd mit Flüsterasphalt asphaltiert wird. E 09 (Hiebl) "Dieser Flüsterasphalt, der würde circa eine Million Euro zusätzliche Kosten verursachen. Aber das muss eh gemacht werden. Also werden sich die Kosten im Rahmen halten. Wir wollen ja bloss in der Nacht ruhig schlafen." AUT Danach sieht es nicht aus. In Dresden und Berlin stellen sie weiter auf Durchzug. Hilft nur eines: Eine Neuauflage der Autobahnblockade. Im Sommer wollen Hiebl und Co wieder den Verkehr lahm legen. Damit es vielleicht doch noch was wird mit der Nachtruhe. E 10 (Hiebl) "Schön wär's. (lacht) Schön wär's." -Ende Frantzen- MOD Von Stuttgart 21 war zu Beginn der Sendung die Rede, mit Stuttgart 21 auf Badisch soll sie enden. Stuttgart 21 bewegt die Gemüter in der Landeshauptstadt und republikweit. Ein ähnliches, wenngleich auch etwas kleineres, aber immer noch millionenschweres Bauprojekt gibt es in Karlsruhe, also immer noch Baden-Württemberg. Nur: Man hört nichts davon. Als wir darauf aufmerksam gemacht wurden, baten wir Matthias Kußmann um einen erklärenden Beitrag dazu: Badische Gemütsruhe oder Liberalität? LR-k Stuttgart 21 auf Badisch / Kußmann - 3'56" E 01 (Demo Stuttgart) "Mappus weg, Mappus weg!!!" AUT Ja, so klingt der schwäbische Mutbürger. - Und so klingt es in Baden: G 01 Baulärm Karlsruhe Europaplatz. AUT "Stuttgart 21" bewegt noch immer die Gemüter. Auch nachdem der Schlichter sprach, gehen die Diskussionen weiter - und die Demonstrationen, hörbar über die schwäbischen Landesgrenzen hinaus. E 02 (Demo Stuttgart) "Oben bleiben, oben bleiben!!!" AUT Und in Baden? Keine Demo, nirgends. Obwohl es auch in Karlsruhe ein Bauprojekt gibt, das umstritten ist. Das Reizwort heißt "U-Strab", was nichts mit Strapsen zu tun hat, sondern für "Unterirdische Straßenbahn" steht. Alle Bahnen sollen aus der Fußgängerzone verschwinden, ab unter die Erde. Weil man nämlich nicht mehr von einer Shopping-Seite auf die andre käme, ohne von durchfahrenden Bahnen bedroht zu werden. E 03 (Passant) Wir kommen ab und zu in die Stadt rein, wir sind von außerhalb. Wenn Sie sehen, welche Engpässe hier mit der Straßenbahn bestehen! Da isch eine Straßenbahn an die andere gereiht! Für Fußgänger in einer so interessanten Einkaufszone wirklich nicht von Vorteil, und deswegen bin ich dafür, dass es richtig isch. AUT Das ist der Fluch einer Stadt, deren öffentliches Nahverkehrsnetz als vorbildlich gilt und bis ins ferne Asien kopiert wird: Bahnen im Minutentakt. Um die unter die Erde zu bringen, wird nun zehn Jahre gebaggert und gebohrt. Die Kaiserstraße, das Zentrum der Stadt, gleicht einer einzigen Baustelle, überall Lärm und Dreck. E 04 (Passant) Ich bin dafür, weil: Den Fortschritt könnwa nich aufhalten. AUT Aber ist das Ganze überhaupt stabil? Wie gut trägt der oberrheinische Kies, fragt sich mancher mit Blick auf das Unglück von Köln. Und vor allem: Wo nimmt die Stadt, die derzeit so klamm ist wie andre Städte auch, das Geld her? Über eine halbe Milliarde Euro soll der Spaß kosten, der Karlsruhe dann die kleinste U-Bahn der Welt beschert: grade mal ein paar hundert Meter lang ... E 05 (Passant) Also ich kann´s noch nicht ganz abschätzen, ob das Ganze nicht ne Nummer zu groß geraten ist ... E 06 (Passantin) Ich find´s gut, dass der Tunnel gebaut wird, bloß dauert´s ziemlich lange. Die Zeit, bis es fertig ist, ist halt ne harte Zeit für alle. Für uns, wenn wir in der Fußgängerzone rumlaufen, und für die Geschäfte ... AUT Die Laufkundschaft drückt sich an Bauzäunen vorbei, der Einzelhandel darbt: Umsatzrückgang bis 80 Prozent, Existenzangst inklusive - doch ins Reporter-Mikro sagt das keiner. Auch hält sich das Gerücht, der Oberbürgermeister wolle sich, kurz vor der Pensionierung, mit dem Halb-Milliardenbau ein Denkmal setzen ... E 07 (Passant) Die Sportvereine, die Ehrenamtlichen, die kriegen kein Benzingeld mehr usw.! Also: Irgendwo wird dann gespart, um diese U-Bahn zu finanzieren ... AUT Pläne für die U-Strab gibt es seit den 70er Jahren, seitdem wird gestritten. Es gab Petitionen der Gegner, Klagen, auch Bürgerbegehren, doch alles ziemlich moderat - und seit Baubeginn herrscht, vom Baulärm abgesehen, wieder Ruhe in Karlsruhe. E 08 (Passant) Äh, ja gut, ich mein, ich bin auch ein bisschen, wie soll ich sagen, über das Alter hinaus, wo man mit der Pfeife in der Gegend rumläuft und groß Krawall macht. AUT In Stuttgart protestierten Zehntausende gegen den neuen Bahnhof, die nur durch Tränengas und Wasserwerfer zu stoppen waren. Und in Karlsruhe? Auch da gibt es Menschenaufläufe, nur anders. Die Leute stehen vor den Baugruben - aber nicht aus Protest, sondern um zu "gugge", wie es badisch heißt: "Gugg amol, so en großa Bagga!" E 09 (Passant) Die Badener sind etwas zurückhaltender. Sie sind halt Badener, net? Des sinn net so Querköpf wie die Schwoba da. Mir sinn Badener! Und die sinn halt vornehm und zurückhaltend, ja? AUT Manchmal ist der badische Stoizismus fast beängstigend. Neben der größten Baugrube, am Europaplatz, sitzt eine Frau am Tisch vor einem Café - in ohrenbetäubendem Lärm raucht sie vergnügt eine Zigarette. Gibt es keinen ruhigeren Platz? E 10 (Passantin) Ja, aber da sitz ich net so bequem ... Ich hab sogar ne Decke hier! -ENDE Kußmann- MOD Viel Lärm um den Lärm, aber manchmal auch nicht. Wie und warum Bürgerproteste und Bürgerinitiativen von ihrem Recht auf Mitwirkung bei Entscheidungen dringen - Matthias Kußmann, Verena Kemna, Ludger Fittkau und Michael Frantzen vermittelten uns ein Bild davon. Morgen dann im Länderreport ab 13.07 Uhr geht es um den schlichten Sachverhalt, dass sich die EU und die CSU in vielen Fragen der Landwirtschaft einig sind, nur für Bayerns Bauern sind noch viele Fragen offen. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld. -ENDE Sendung- 1