Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 7. Juni 2010, 19.30 Uhr Wie sagt man, wenn Soldaten schießen? Von den Schwierigkeiten mit dem Wort Krieg Ein Feature von Heiner Kiesel Regie: Musik When Johnny comes marching home O-Ton (Jung) Wir führen dort einen Stabilisierungseinsatz ... (Münkler) Krieg, das sagt Clausewitz, ist auch ein Chamäleon, (Guttenberg) Ein klassischer Krieg im Sinne des Völkerrechts ist einer, der zwischen Staaten stattfindet. (Essig) Das ist schon diese harte K und dieses heftige R dahinter, dieses lange I, da ist schon eine Abneigung zu spüren. (Lamers) Ich glaube man hatte den Eindruck, dass man durch den Nichtgebrauch des Wortes Krieg die Situation beschönigen und beschwichtigen wollte, aber das war nicht so gemeint. Spr. vom Dienst Wie sagt man, wenn Soldaten schießen? Von den Schwierigkeiten mit dem Wort Krieg Ein Feature von Heiner Kiesel Regie: Musik Kreuzblende/Einspielung Jingle und Programmteaser Radio Andernach Wir sind für dich da, Radio Andernach, 24 Stunden am Tag, in Afghanistan, in Bosnien, im Kosovo. Egal wo, egal wann. Das ist Dein Einsatzradio. Wir sind bei Dir. Radio Andernach ist eine Produktion des Dezernats Betreuungsradio im Zentrum Operative Information. anschl. Musik aus dem Mitschnitt: Lilli Marleen Autor Lale Anderson singt Lili Marleen, seit den vierziger Jahren der internationale Klassiker unter den Soldatenliedern. Im 2. Weltkrieg wurde es zum Programmende von den Sendern der Wehrmacht ausgestrahlt. Die Melodie der Sehnsucht für Soldaten fern der Heimat, im Krieg, Der Bundeswehrsender Radio Andernach spielt das Lied noch heute jeden Abend kurz vor zehn. Es ist die Gute-Nacht-Musik für die rund 3.500 deutschen Soldaten in Afghanistan. Acht Jahre sind deutsche Truppen nun dort. Entsandt durch einen Entschluss des Bundestages kurz vor Weihnachten 2001. O-Ton Thierse Mit Ja haben gestimmt 538, mit Nein haben gestimmt 35, Enthaltungen 8.Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Autor Der Auslands-, Aufbau und Stabilisierungseinsatz, der immer kriegerischer geworden ist, aber der kein Krieg sein darf. Am Anfang war er das wohl wirklich nicht. O-Ton (Korr. ) Bundeswehrsoldaten sind heute erstmals in Kabul Streife gefahren und dabei geradezu herzlich von der Bevölkerung begrüßt worden. Viele Menschen standen am Straßenrand. Kinder winkten und riefen "Hello. hello." (Struck) Wir müssen alles Menschenmögliche tun, um den größtmöglichen Schutz unserer Soldaten im Auslandseinsatz zu erreichen. (Korr.) Trauer um die Opfer und tiefe Bestürzung über das schwere Explosionsunglück, das deutsche und dänische Soldaten der internationalen Friedensgruppe in Afghanistan getroffen hat. (Struck) Für Kundus spricht die Sicherheitslage, die Kooperationsbereitschaft der lokalen Autoritäten und es gibt in dieser Region gute Chancen für den Wiederaufbau. Sprecher Am 24. Oktober 2003 beschließt der Bundestag eine Ausweitung des Mandats. O-Ton (Mod.) Die Bundeswehr bleibt weiterhin in Afghanistan und wird mit noch mehr Leuten noch mehr tun. Kurz bevor der Bundestag beinahe einstimmig über das Afghanistanmandat abstimmte, ging in Kabul eine Bombe hoch. (Robbe) Die Bundeswehrangehörigen sorgen dafür, dass in Afghanistan eine Demokratie, eine stabile Verfassung aufgebaut wird, dass die Menschen eine Perspektive haben. Sprecher Ende Oktober 2004 wird die Obergrenze der Truppen auf 2250 Mann festgelegt. O-Ton (Claudia Roth) Wir haben gerade in einem winzigkleinen Bergdorf Solarkochanlagen angeschaut, wir werden gleich Wasserkraftanlagen anschauen, die dort erreichtet worden sind. Das sind kleine Schritte der Hoffnung. (Jung) Stabsunteroffizier Patrick Behlke und Stabsgefreiter Roman Schmidt sind in Wahrnehmung ihres Auftrages, im Einsatz für den Frieden in Afghanistan gefallen. (Major Fischer) Ja, und dann hat man natürlich eine Schweigeminute eingelegt und ganz zum Schluss die beiden Särge durch ein Spalier zum Tor von unserem Camp geleitet. (Stolze) Inzwischen werden wir von Talibankämpfern auch verwickelt in stundenlange Gefechte, die symmetrische Kriegsführung darstellen, das heißt, die Taliban holen Verstärkung und Nachschub heran, sie gehen taktisch geordnet vor, militärisch. (Jung) Wir führen dort einen K.. [stockt] Stabilisierungseinsatz, aber es ist wahr, wir sind dort in Kampfsituationen und insofern ist das auch ein Kampfeinsatz. Aber was wollen die Taliban? Die wollen genau, dass wir von Krieg sprechen ... , aber es sind Verbrecher, Terroristen und es ist kein Krieg. Regie: Einspielung Musik flappendes Geräusch (Beginn Doors, The End) Autor Krieg oder nicht? - ist seit 2008 die Gretchenfrage für deutsche Verteidigungsminister. Damals noch Franz Josef Jung. Fast täglich Anschläge, die Sicherheitslage verschlechtert sich kontinuierlich. Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg nähert sich im Herbst 2009 ebenfalls dem "K"-Wort an und spricht von kriegsähnlichen Zuständen. Da hatte der deutsche Oberst Klein einen Bomberangriff auf zwei entführte Tanklaster angeordnet. Regie: Geräusch: F18 Hornet Überflug Autor Ein halbes Jahr danach, sieben tote deutsche Soldaten später unterscheidet Guttenberg nicht mehr zwischen Krieg und kriegsähnlich. O-Ton (Guttenberg) Was wir am Karfreitag bei Kundus erleben mussten, das bezeichnen die meisten verständlicherweise als Krieg - ich auch. Unsere Soldaten wissen von den Gefahren und sie wissen das. Und es hält und hielt sie nicht davon ab, ihren Dienst tapfer und entschlossen zu erfüllen. Autor Der Verteidigungsminister hat lange gezögert mit dieser Begriffswahl und er steht mit seiner vorbehaltlosen Verwendung noch immer allein unter den deutschen Regierungspolitikern. Ein Grund dafür ist, dass der gewaltsame Konflikt am Hindukusch schlecht zu dem passt, was in Europa als Krieg erlebt worden ist. Regie: Geräusch: "Die deutsche Wochenschau 1942" Stukas belegen Häuser an der Wolga mit Bomben (Geräusche, Flieger, Explosionen, Artillerie) Regie: Geräusch: Hurra-Geschrei, div. Kriegsgeräusche, ruhiger werdend Regie: Musik: Einblenden Sergej Prokofiev Leutnant Kije II. Akt Romanze Andante. Autor Vor 180 Jahren schrieb der preußische General Carl von Clausewitz das Buch "Vom Kriege", den Klassiker zur Theorie der bewaffneten Auseinandersetzung. Clausewitz stellt fest: Sprecher Alles was im Kriege geschieht, geschieht durch Streitkräfte; wo aber Streitkräfte, das ist bewaffnete Menschen, angewendet werden, da muss notwendig die Vorstellung des Kampfes zum Grunde liegen. Es gehört also alles zur kriegerischen Tätigkeit, was sich auf die Streitkräfte bezieht. Autor Trifft das auch heute noch zu? Der Grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, ein profilierter Gegner von militärischen Interventionen, zögert. O-Ton (Ströbele) Ist alles was Soldaten machen Krieg? Sicher nicht! Ist alles was Soldaten machen, die Waffen vor sich herhalten, ist das Krieg? Könnte schon eher richtig sein. Ist jede Gewaltausübung von Soldaten Krieg? Sicher nicht. Auch Soldaten können in Nothilfesituationen Gewalt ausüben. Autor Für Karl A. Lamers klingt das Wort zu sehr nach zerbombten Städten und Massenoffensiven. Das CDU-Mitglied ist stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestags. O-Ton (Lamers) Wenn man in einem offenen Gespräch, wie ich das als Abgeordneter tue, den Menschen darlege, dass die Beschreibung, die ich benutze - nichtinternationaler bewaffneter Konflikt - auch Kampf bedeutet, und es sind ja dramatische Kämpfe, mit Toten auf allen Seiten, dann wird die Diskussion schon ruhiger. Ich glaube man hatte den Eindruck, dass man durch den Nichtgebrauch des Wortes Krieg die Situation beschönigen und beschwichtigen wollte, aber das war nicht so gemeint. Regie: Einspielung Musik flappendes Geräusch (Doors, The End) Autor Den klassischen zwischenstaatlichen Krieg gibt es 2010 nirgends auf der Welt, das geht aus einer Erhebung der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg hervor. Friedlich ist es auf der Erde trotzdem nicht. Allein im vorderen und mittleren Orient stellen die Konfliktforscher neun kriegerische Auseinandersetzungen fest, acht davon gelten als Kriege. Die Kämpfe in Afghanistan zählen hier als ein weiteres Kapitel eines Krieges, der seit 1978 andauert. Dieser Einschätzung liegt die Kriegsdefinition des ungarischen Friedensforschers István Kende zugrunde. Sie hat weltweit Verbreitung gefunden. Sprecher Krieg ist ein gewaltsamer Massenkonflikt. Mindestens zwei bewaffnete Streitkräfte sind daran beteiligt, zumindest auf einer Seite sind es reguläre Streitkräfte einer Regierung. Es besteht ein Mindestmaß an zentral gelenkter Organisation der Kriegführenden und des Kampfes, dazu zählen auch organisierte bewaffnete Verteidigung oder planmäßige Überfälle. Die bewaffneten Operationen sind kontinuierlich, also nicht nur gelegentliche, spontane Zusammenstöße. Beide Seiten operieren nach einer planmäßigen Strategie. O-Ton (Münkler) Krieg, das sagt Clausewitz, ist auch ein Chamäleon, das heißt er verändert sich mit den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, unter denen er stattfindet. Autor Herfried Münkler ist Professor für politische Theorie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er stellt fest, dass sich die Gestalt des Krieges in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt hat. Von der Symmetrie zur Asymmetrie. Zuvor, seit dem Beginn der Neuzeit, waren die Staaten Monopolisten der Kriegsführung. O-Ton (Münkler) Das ist eigentlich die Phase, in der die verbreitete und dominierende Vorstellung von Krieg ausgeprägt ist, also Staatenkrieg und in den letzten 20, 30 Jahren [geschieht] die Rückkehr privater Akteure vom PMCs - Private Military Companies - von denen Blackwater vielleicht die bekannteste ist - auf der einen Seite und auf der anderen Seite, lassen Sie mich das mal ein bisschen keck sagen, bewaffneten Nichtregierungsorganisationen, etwa Al Kaida. Damit hat sich der Krieg natürlich fundamental verändert. Autor Zwischenstaatlicher Krieg ist teuer. Kostspielige Waffen, knappe Bevölkerungsressourcen - zu teuer für rational handelnde Staaten. Ein Auslaufmodell, sagt Herfried Münkler: O-Ton (Münkler) Eigentlich wollen wir mit Soldaten als Soldaten nichts zu tun haben - bestenfalls als bewaffnetes technisches Hilfswerk. Vielleicht nicht alle in Deutschland, aber die Mehrheit ist dieser Überzeugung. Und das ist natürlich der Grund dafür, warum kein Politiker sich trauen darf, einen dieser Einsätze als Krieg zu bezeichnen, sondern das müssen natürlich Friedenseinsätze sein. Regie: Geräusch entfernte Einschläge und Schüsse, darüber: Autor Die Haltung der Gesellschaft zum Krieg hat sich in den entwickelten Demokratien des Westens in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg drastisch geändert. (Regie: Musik: Triller/Fanfare Walküre Akt 3/1) Krieg hatte bis dahin - vor allem für Angehörige gehobener Schichten - eine durchaus positive Konnotation. Sprecher Der Krieg, aller Dinge Vater, ist auch der unsere; er hat uns gehämmert, gemeißelt und gehärtet zu dem, was wir sind. Und immer, solange des Lebens schwingendes Rad noch in uns kreist, wird dieser Krieg die Achse sein, um die es schwirrt. Er hat uns erzogen zum Kampf, und Kämpfer werden wir bleiben, solange wir sind. Autor Ernst Jünger 1922 in seinem Essay "Der Kampf als inneres Erlebnis". Fronterfahrungen aus dem ersten Weltkrieg. Jüngers Pathos wirkt heute fern und fremd. Krieg hat einen schlechten Klang. Besonders in Deutschland, nach zwei verlorenen Weltkriegen und den Verbrechen des Dritten Reiches. Regie: Geräusch Autor Der Diskurs wird heute über Konflikte geführt, denn Konflikte werden gelöst, in einem Krieg aber geht es um Sieg und Niederlage. Die entwickelten Demokratien der nördlichen Hemisphäre sind zu postheroischen Gesellschaften geworden, die sich durch Arbeit, Spaß und Konsum definieren, aber nicht mehr durch Opferbereitschaft, Tapferkeit und Ruhm. O-Ton (Münkler) Diese Gesellschaften können sich nur in sehr geringem Maße leisten, Opfer an Menschen zu bringen. Das heißt, wir als europäische Staaten gehen in diese Konflikte eigentlich mit gesellschaftlichen Handschellen hinein. Die andere Seite hat eine hohe Opferbereitschaft. Sie hat erstens sehr viele junge Männer und hat zweitens ein Ethos des Kampfes und dem kann man allenfalls technologisch gewachsen sein. Autor Oder aber indem man den feindlichen Akteuren materielle Anreize gibt, den Kampf einzustellen. Geld für Frieden, eine Art Freikaufmentalität. Krieg als Aktionsform hat in einem postheroischen Wertesystem keinen produktiven Platz mehr. Wir tolerieren ihn allenfalls noch als Vokabel, zur Emphase für alltägliche Dinge. Regie: Einspielung Fernsehclips Kaum eine Beleidigung, die unausgesprochen blieb. Im Krieg der D-Janes ... // Droht in Deutschland ein Rockerkrieg? // Der Fußballkrieg in Afrika hat längst eine politische Dimension. // Das ist sie, die Mutter aller Schnäppchen. // Wembleystadion, es gibt Krieg. // Kochen ist Krieg heißt das Buch. // Ein Preiskampf auf Biegen und Brechen. // Laut Experten dürfte der Preiskrieg im Lebensmittelsektor noch mindestens ein halbes Jahr andauern. Musik: Walküre im Hintergrund Sprecher im Wechsel rechts/links Manöverkritik an vorderster Front in die Bresche springen einen Vorschlag torpedieren klare Fronten mit offenem Visier Gnadenstoß Kollateralschäden auf einem Pulverfass sitzen Kreuzfeuer der Kritik der lange Marsch kamikazemäßig etwas in Angriff nehmen das Feld räumen voll wie eine Haubitze 08/15 in den eigenen Reihen Schlachtenbummler Bombenstimmung. Regie: Aufzählung fade, darüber O-Ton Essig O-Ton (Essig) Es gibt glaube ich keine Sprache ohne Krieg, es gibt sicherlich das Deutsche ohne Krieg nicht, der Krieg ist allgegenwärtig. Autor Rolf-Bernhard Essig, Publizist und Literaturforscher. Er beschäftigt sich mit Sprichwörtern, Etymologien und Redensarten. Ihm fallen aus dem Stegreif Dutzende von Wörtern und Wendungen ein, die der Krieg in unserer Sprache hinterlassen hat. Wir benutzen sie sorglos im Alltag. O-Ton (Essig) Wenn ich jetzt sage, ich gehöre zur Avantgarde, dann komme ich nicht darauf, dass damit die Vorhut gemeint ist. Oder wenn ich von mir aus sage, ich muss das jetzt etwas unterminieren, dann denke ich dabei nicht an die Sprenggänge, die die Türken oder die Wiener gegenseitig unter ihre Stellungen gegraben haben, um dort Explosionen hervorzurufen. Und wenn ich sage, ich steh da an vorderster Front, dann geht es mir nicht unbedingt direkt um den Krieg. Autor Das Wort ist mit vielfältiger Bedeutung aufgeladen und wandelt seinen Sinn stetig mit dem Kontext, in dem es verwendet wird. Der Krieg ist ein Chamäleon, das gilt auch für den Begriff selbst. O-Ton (Essig) Also wenn ich üblicherweise Krieg sage, dann merke ich in der Art und Weise, wie ich es sage, dass da etwas Entschiedenes, etwas Ablehnendes, etwas Brutales dabei ist. Das ist schon diese harte K und dieses heftige R dahinter, dieses lange I, da ist schon eine Abneigung zu spüren. Gleichzeitig tief in mir drin, das muss ich zugeben eine Faszination. Das hängt damit zusammen, dass ich aus einer Generation komme, wo meine Mutter Kriegsflüchtling war und mein Vater im Krieg war, ich insofern Krieg auch immer persönlich erlebt habe und als Kind Krieg fasziniert fand. Regie: Atmo Straße O-Ton Voxpop (Mann) Was ist ein Krieg, hm, wenn sich zwei Parteien nicht einigen können und das militärisch ausfechten zu einem Thema oder ausfechten müssen, weil sie sich nicht einigen können. (Frau) Zerstörung, Hungersnot, ich meine vor allen Dingen denke ich an die Zivilisten, die unschuldig dabei umkommen. (Mann) Na, dass zwei Länder miteinander kämpfen, für etwas, das vielleicht richtig, vielleicht auch falsch ist. (Frau) Was ist ein Krieg, ich kann nur sagen, dass er Scheiße ist. (Frau) Kein Krieg ist ein friedliches Zusammenleben in einem Land. (Mann) Ähnlich, wie das Clausewitz vor Hundert Jahren schon ausgedrückt hatte, nur ein ein anderes Mittel um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, auch wenn es unmenschlich sein sollte. (Frau) In Afghanistan ist es Krieg. (Frau) Krieg? Das sind doch immer nur die Oberen, die Krieg machen. Die Bevölkerung will keinen Krieg! (Mann) Krieg hat sich in den letzten Jahren schon weiterentwickelt, schon mit dem ganzen Terrorismus. Von daher hat sich der Krieg, den man so kennt, dass irgendjemand irgendwo einmarschiert schon dahin verlagert, dass kleine Splittergruppen irgendwelche Flughäfen in die Luft jagen. Regie: Musik: Flappendes Geräusch O-Ton (Merkel) Dass die meisten Soldatinnen und Soldaten das, was sie täglich in Afghanistan erleben Bürgerkrieg oder einfach nur Krieg nennen, das verstehe ich gut. Wer täglich fürchten muss, in einen Hinterhalt zu geraten oder in gezieltes Feuer zu kommen, der denkt nicht in juristischen Begrifflichkeiten. Wer so etwas erlebt, der fürchtet vielmehr, dass derjenige, der völkerrechtlich korrekt vom nichtinterationalen bewaffneten Konflikt spricht, seine Situation zu verharmlosen versucht. Regie: Musik: Ein paar Takte Trommelwirbel aus Johnny/Strangelove Autor Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag. Sie reagiert auf die Kritik von Soldaten und Soldatenvertretern an der offiziellen Sprachregelung vom nichtinternationalen bewaffneten Konflikt. Die sperrige Bezeichnung orientiert sich an der Sprachpraxis des humanitären Völkerrechts. O-Ton (Nolte) Ich bin Völkerrechtler und deshalb schaue ich auf die völkerrechtlichen Verträge. Und die verwenden den Begriff Krieg nicht mehr. Autor Georg Nolte, Rechtswissenschaftler und Völkerrechtsexperte an der Berliner Humboldt-Universität. O-Ton (Nolte) Frühere völkerrechtliche Verträge haben das getan, aber heutzutage tut man das nicht mehr. Man hat sich nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland darüber gestritten, was Krieg ist, sondern auch in anderen Zusammenhängen und deshalb hat man sich nach dem Zweiten Weltkrieg geeinigt, für juristische Zwecke nur noch den Begriff des bewaffneten Konflikts zu verwenden. Autor Das soll nicht heißen, dass die Völkerrechtler den Krieg aus den Augen verloren haben - im Gegenteil. Der Begriff bewaffneter Konflikt umfasst auch Kämpfe mit Guerillaeinheiten und Unabhängigkeitsbewegungen, kleine Kriege, die oft nicht zwischenstaatlich und ohne Kriegserklärung stattfinden. Liegt ein bewaffneter Konflikt vor, kommen die Regeln des humanitären Völkerrechts zur Anwendung, zum Beispiel die Genfer Konvention. Die sprachliche Präzisierung im Recht soll helfen, Exzesse in der Auseinandersetzung zu vermeiden und die Zivilbevölkerung so weit wie möglich zu schützen, sagt Nolte. O-Ton (Nolte) Wichtig ist, dass man erkennt, ob die Situation in einem bestimmten Gebiet so ist, dass die Sonderregeln für bewaffnete Konflikte anwendbar sind oder nicht. Ob eine genügende Intensität organisierter bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Gruppen stattfindet, oder ob es sich um kriminelle Akte handelt, die man mit den normalen Methoden der Polizei bekämpfen muss. Autor Auch im deutschen Grundgesetz wird der Kriegsbegriff weitgehend vermieden. Nicht wegen der Präzision, sondern um einen eher friedlichen Grundton zu erzeugen. Von einem Spannungsfall und einem Verteidigungsfall ist die Rede, die jeweils vom Bundestag beschlossen werden. Dann übernimmt die Kanzlerin den Oberbefehl. In Artikel 26 verbietet sich Deutschland den Angriffskrieg. Überhaupt, der Krieg sollte ja längst abgeschafft werden. So steht es in der Charta der Vereinten Nationen von 1945. Kapitel VI: Musik: Edward Elgar Pomp and Circumstance, no. 1 d-Dur (ab 1,57) Sprecher (feierlich) Die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden, bemühen sich zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl. Regie Musik Elgar Ende, Leutnant Kije Autor 238 Kriege haben die Kriegsforscher der Hamburger Universität seit 1945 gezählt. Nicht alle der großen und kleinen Feldzüge, Kampagnen, Guerillakämpfe, Säuberungsaktionen, Aufstände und militärischen humanitären Operationen wurde von den Beteiligten als Kriege oder bewaffnete Konflikte anerkannt. Wer legt da eigentlich fest, ob und wann das internationale Recht zum Zuge kommt? O-Ton (Deiseroth) Im Zweifel diejenigen, die diese Vorschriften anzuwenden haben, und im Konfliktfall gegebenenfalls Gerichte. Autor Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. O-Ton (Deiseroth) Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts ist unabhängig von der Feststellung, die ein nationales Parlament hierzu trifft, denn es handelt sich um völkerrechtliche Regelungen, die nicht abhängig sind von der Zustimmung oder Entscheidung eines nationalen Parlaments. Autor Deutschland hat zentrale Punkte des humanitären Völkerrechts in sein Völkerstrafgesetzbuch aufgenommen. Es ist 2002 in Kraft getreten. Darin werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen unter Strafe gestellt. Besteht der Verdacht, dass - beispielsweise ein Bundeswehrsoldat irgendwo eine solche Tat begangen hat, beginnt die deutsche Staatsanwaltschaft zu ermitteln. Letztlich entscheidet dann ein Gericht, welche Rechtsnormen zur Anwendung kommen und somit - ob rechtlich gesehen - ein bewaffneter Konflikt vorliegt. Wie es die Bundesregierung einordnet, als bewaffneten Konflikt, Stabilisierungseinsatz oder Krieg, ist da irrelevant, sagt Bundesrichter Deiseroth. O-Ton (Deiseroth) Mit der Verwendung der Begrifflichkeit verändert sich überhaupt nichts. Es ist völlig gleichgültig, ob man die bewaffneten Auseinandersetzungen, die in Afghanistan stattfinden als Krieg bezeichnet oder als internationalen bewaffneten Konflikt, oder als nichtinternationalen bewaffneten Konflikt. Jedenfalls die Differenz zwischen Krieg und bewaffneten internationalem respektive nichtinternationalem Konflikt sind rechtlich insoweit bedeutungslos. Regie: Geräusch Atmo Veranstaltungsraum O-Ton Moderator Ja, wir stellen uns heute die Frage, Deutschland im Krieg? Und beschäftigen uns mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr....(fade) Autor Berlin, eine Gesprächsrunde mit Politikern, Medienvertretern und Militärs. Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg diskutiert mit. Hochziehen der Atmo, wenige Sekunden frei O-Ton Guttenberg ... zivile Opfer zu vermeiden und trotzdem befinden wir uns in Afghanistan in dem, was man völkerrechtlich beschreiben kann, wie es beschrieben wurde, oder in dem, was man umgangssprachlich als Krieg bezeichnet, ich sag jetzt bewusst umgangssprachlich. Weil die völkerrechtliche Entscheidung ... Autor Kein Regierungsvertreter spricht offener vom "Krieg", als der Verteidigungsminister. Soldaten freuen sich darüber und auch die Bevölkerung schätzt das, vermutet Manfred Güllner, Geschäftsführer und Gründer des Meinungsforschungsinstituts Forsa. O-Ton (Güllner) Wir müssen ja grundsätzlich sehen, dass die Menschen in vielen Bereichen oft schlauer sind, als die Politiker glauben. Autor Der Meinungsforscher stößt bei seinen Umfragen auf die postheroische Gesellschaft. Die wenigsten wollen irgendeine Form von Truppenaufstockung für Afghanistan, die Bevölkerung steht nicht hinter dem Einsatz. Für die Mehrheit ist es eine kriegerische Auseinandersetzung, bei der die Bundeswehr nicht mitmachen soll. O-Ton (Güllner) Verschleierungstaktiken durch schöne Worte helfen den Akteuren in der Politik nicht. Die Menschen vertragen ja die Wahrheit und im Falle Afghanistan kann man der Politik eigentlich nur raten, nicht den Menschen etwas vorzugaukeln, das untergräbt das Vertrauen in die Politik weiter. Man kann hier "Klartext" reden und da sollte man nicht durch verschleiernde Worthülsen etwas anders darzustellen, als es die Menschen ohnehin wahrnehmen. Regie: Musik Flappen O-Ton (Schäfer) Klartext heißt, die Bundesrepublik ist in einen Krieg verstrickt und mehr und mehr in diesen Krieg verstrickt und unsere Schlussfolgerung ist klar und eindeutig, wir wollen raus aus diesem Krieg. Auto Paul Schäfer ist verteidigungspolitischer Sprecher der Linken. Keine Partei im Bundestag lehnt Auslandseinsätze so dezidiert ab, keine Partei spricht so unumwunden von Krieg. Das "Nie wieder" aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg schwingt immer mit. Musik: Johnny/Strangelove, nur Trommeln Autor Doch in Afghanistan gibt es mehr als nur Militärstreifen, Talibanhinterhalte, Minenfallen und Bomberflüge. Das hebt SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold hervor. Der sich gegen die zunehmende Verwendung des Wortes Krieg wendet. O-Ton (Arnold) Es ist interessant, wer den Begriff Krieg verwendet: Es sind die Linken, um Ängste zu schüren, es sind die Taliban um Kriegspartei zu sein und einen besonderen Schutz der Genfer Konvention zu haben und ich sage ganz offen, es sind einige Soldaten, die diesen Heldenmythos verstärken wollen im Krieg und vielleicht ist auch der eine oder andere Journalist dabei, der sich auf die Schlagzeilen freuen wird, Deutschland ist im Krieg!, und da frage ich mich am Ende als Sozialdemokrat. Muss ich deren Geschäft und deren Interessen machen? Nein! Regie: Musik: Leutnant Kije Autor Mit dem Wort wird letztlich kein Politiker glücklich. Es ist ein grobes Instrument im Diskurs, aber argumentativ eher unhandlich - zu vielfältig sind seine Assoziationen und Implikationen. Selbst diejenigen, die sich seiner bedienen, wie der Linke Paul Schäfer, haben Angst davor, was passiert, wenn es aus dem - irgendwie - falschen Mund kommt, aus dem des politischen Gegners, des Verteidigungsministers. O-Ton (Schäfer `38) Diese Kriegssemantik dient natürlich dazu, die Bevölkerung reif zu machen für diese Art von Kriegen und dass wir uns daran beteiligen, das ist das Schlimme daran. Es ist zwar eine Anerkennung der Realität - insofern sagen wir: ja, richtig. Man sieht, diese ganzen merkwürdigen Verschleierungsformeln, wie Stabilisierungseinsatz, Hilfseinsatz und so weiter, die sind weg, man nennt das Kind beim Namen. Das ist positiv, aber das Motiv dahinter ist zu sagen, wir müssen da schon mal zulangen vor Ort und die Bevölkerung muss das verstehen. Regie: Geräusch Spr. vom Dienst Wie sagt man, wenn Soldaten schießen? Von den Schwierigkeiten mit dem Wort Krieg Ein Feature von Heiner Kiesel Es sprachen: der Autor und Christian Gaul Ton: Alexander Brennecke Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1