Deutschlandradio Kultur Länderreport Resistent?! Geflügel, Antibiotika, Politik Autorin Friederike Schulz Redaktion Julius Stucke Sendung 19.01.2012 - 13 Uhr 07 M A N U S K R I P T B E I T R A G Leise piepsend sitzen die gelben Küken an der Futterstelle - andere laufen unsicher auf der Streu umher. Die 40.000 kleinen Tiere haben sich noch nicht optimal auf den rund 2000 Quadratmetern verteilt. Sie sind vier Tage alt, vor zwei Tagen wurden sie angeliefert - auf dem Hof von Rainer Wendt im niedersächsischen Groß Oesingen. Nun sollen sie sich schnell und gleichmäßig auf der Fläche verteilen, denn sonst wird es eng. Schließlich müssen sich 21 Hühner einen Quadratmeter teilen, bis sie nach gut einem Monat geschlachtet werden. Im Stall verlaufen dicht über dem Boden mehrere Rohrleitungen: Die so genannten Tränke- und Futterbahnen versorgen die Küken mit Nahrung und Wasser. Die Temperatur liegt bei rund 31 Grad - da wird es Rainer Wendt bei seinen Kontrollgängen schnell warm. Zweimal täglich schlüpft der Hähnchenerzeuger in die desinfizierte Kleidung - grüner Arbeitsanzug, Gummischuhe - und begutachtet die Tiere. "Meine Aufgabe besteht darin, zweimal am Tag durch den Stall zu gehen, mehrere Male rauf und runter und die Tiere genau zu beobachten und die Tiere, die irgendwelche Probleme haben, irgendwie zu selektieren und die rauszunehmen und zu töten und in die Abfalltonne zu bringen und die Tränkebahnen einzustellen und die Höhe der Tränkebahnen einzustellen, dass die immer mit dem Tier wächst, dass das Tier ganz leicht ans Wasser kommt, sich leicht strecken soll. Also immer genügend Wasser und Futter zur Verfügung hat. Also auch die Futterbahnen zu kontrollieren, das Wohl der Tiere zu kontrollieren oder irgendwelche Probleme, die mir auffallen, abzustellen." Alltag eines konventionellen Hähnchenerzeugers in Deutschland - Rainer Wendt ist seit 14 Jahren im Geschäft und kennt die Branche wie kaum ein anderer: Er ist Präsident des Bundesverbands bäuerlicher Hähnchenerzeuger. Seit zwei Monaten kommt der Landwirt wieder einmal kaum dazu, seiner Arbeit auf dem Hof nachzugehen. Er muss wütende Politiker und Bürger besänftigen, denn Mitte November veröffentlichte Nordrhein- Westfalens grüner Umweltminister Johannes Remmel eine Studie zur Verwendung von Antibiotika in der Hähnchenmast in NRW. Demnach erhielten 96,4 Prozent der untersuchten Tiere im Laufe ihres Lebens mindestens einmal Antibiotika. Lediglich Biobetriebe und so genannte "Kikok-Produzenten" verzichteten darauf. "Kikok" ist ein Markenname für Hähnchen, die auf Stroh gehalten werden, etwas mehr Platz im Stall haben und nicht mit Antibiotika gefüttert werden dürfen. Umweltminister Remmels Hauptkritik an den konventionellen Herstellern: Die immer kürzere Dauer der Mast macht offensichtlich den Einsatz von Antibiotika unverzichtbar. "Das ist doch ein Irrsinn, 30 bis 35 Tage 1,6 Kilo innerhalb dieser Zeit zuzulegen. Das war früher innerhalb von zwei Monaten das Mastziel. Da ist irgendwas faul an der Geschichte, und dass das dann irgendwo raus gepresst wird, ist auch klar. Deshalb ist das eine politische und gesellschaftliche Notwendigkeit, sich hier zu verständigen, dass das nicht Sinn und Zweck von Tierhaltung und Mast sein kann." Das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz NRW hatte zum ersten Mal in Deutschland flächendeckend über mehrere Monate anonymisierte Daten von Tierärzten ausgewertet. Auch die Dauer der Behandlungen wurde dokumentiert, erklärt der Präsident des Landesamtes, Heinrich Bottermann: "Neben der Gesamtzahl der Anwendungen von Antibiotika spielt für mich eine entscheidende Rolle, dass die Hälfte der Antibiotika ein bis zwei Tage lang erfolgte. Das ist eben deutlich abweichend von den Zulassungsbedingungen der Arzneimittel und damit auch fachlich nicht geboten. In diesem Zeitraum kann man keine therapeutische Wirkung entfalten und wenn man die Arzneimittel nicht ausreichend und intensiv genug anwendet, werden dadurch selbstverständlich genetisch kodierte Resistenzen in Mikroorganismen erzeugt." Die Forderung des Landesumweltministeriums: ein nationaler Plan zur Reduzierung von Antibiotika, und zwar um 50 Prozent innerhalb von drei Jahren. Zudem schlägt Umweltminister Remmel vor, die Arzneimittelverordnung zu ändern - beides klar adressiert an seine CSU-Kollegin im Bund, Ilse Aigner. Für Nordrhein-Westfalen kündigte der Minister strengere Kontrollen an - und die Schaffung einer freiwilligen Datenbank, um dauerhaft zu kontrollieren, wie viele Antibiotika in der Hähnchenmast eingesetzt werden. Nur wenige Wochen nach der Aufregung in Nordrhein-Westfalen, Anfang Januar, legte der Bund für Umwelt und Naturschutz nach. Er präsentierte das Ergebnis einer Stichprobe aus mehreren Supermärkten in verschiedenen Regionen Deutschlands. Bei 20 Testkäufen von Hähnchenfleisch habe man auf zehn Produkten resistente Keime entdeckt, darunter auch MRSA-Bakterien, die unter anderem Blutvergiftungen hervorrufen können. Reinhild Benning vom BUND: "Die Ursachen sind, dass in industriellen Tierhaltungsanlagen Resistenzen herangezüchtet werden. Durch den massiven Einsatz der Antibiotika in den Ställen überleben ja dort so gut wie nur resistente Keime. Diese Keime gelangen über Lebensmittel auch in unsere Haushalte. Das darf nicht sein. Wenn ich an der Ursache ansetzen will, dann muss ich Antibiotika aus der Tierhaltung raushalten, damit diese Resistenzen gar nicht erst herangezüchtet werden." Sofort meldete sich Bundesverbraucherschutzministerin Aigner zu Wort - mit einem Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes. Demnach sollen die Überwachungsbehörden der Bundesländer mehr Befugnisse bekommen. Weiter heißt es: "Tierärzte werden verpflichtet, auf Ersuchen der Überwachungsbehörden der Bundesländer alle Daten zur Abgabe und Anwendung von Antibiotika zusammengefasst zu übermitteln. Damit wird die Überwachung deutlich erleichtert, Kontrollen werden vereinfacht und beschleunigt." Schwere Vorwürfe also von Bund, Ländern und Umweltschutzorganisationen gegen Züchter und Hersteller. Deren Antwort kam prompt, offenbar hat die Branche aus den Skandalen der Vergangenheit - zumindest in Sachen Öffentlichkeitsarbeit - gelernt. So griff der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft zum Beispiel in einer Pressemitteilung sämtliche Vorwürfe des BUND auf und nahm dazu Stellung: "Die deutsche Geflügelwirtschaft ist sich ihrer Verantwortung für Tier und Verbraucher bewusst und geht mit dem Einsatz von Antibiotika entsprechend sorgfältig um. Aus diesem Grund hat die Geflügelwirtschaft selbst bereits im vergangenen Sommer eine Zielvereinbarung beschlossen, den Einsatz von Antibiotika durch ein weiter optimiertes Tierhaltungsmanagement in den kommenden fünf Jahren um 30 Prozent zu reduzieren." "Wir haben nichts zu verbergen, wir wissen um die Verantwortung und nehmen sie wahr, machen Sie sich keine Sorgen", so die Botschaft zwischen den Zeilen. Außerdem öffnen die Züchter inzwischen ihre Stalltüren für Medienvertreter und Bürgerinitiativen. Allerdings nicht in Nordrhein-Westfalen. Eine entsprechende Anfrage von DeutschlandRadio Kultur beim Landesverband verlief im Sande. Dafür antwortete der Bundesverband der bäuerlichen Hähnchenerzeuger und bot ein Interview mit seinem Präsidenten aus Niedersachsen an. Rainer Wendt besitzt insgesamt drei Ställe: Die Flachbauten aus Backstein stehen auf der grünen Wiese - mehr als einen Kilometer vom nächsten Haus entfernt, um Ärger mit den Nachbarn zu vermeiden. Im Vorraum jedes Stalls zeigt ein Computer die Raumtemperatur an, die Futtermenge und die Wasserzufuhr. Daneben steht ein weißer Trog, der über eine Rohrleitung mit der Tränkeanlage verbunden ist. "Wir geben jetzt zurzeit gerade Säure zur Darmstabilisierung, also natürliche Säure, die wird jetzt dem Wasserstrom zugemischt über einen Dosierer." Das verhindert im besten Fall, dass die Tiere erkranken und mit Antibiotika behandelt werden müssen. Rainer Wendt blättert in einem Ordner, der auf dem Schreibtisch im Vorraum des Stalles liegt. Darin dokumentiert er sämtliche Rezepte und Tierarzt-Briefe. Der Landwirt versichert: Seine Hähnchen mussten zuletzt vor einem halben Jahr mit Antibiotika behandelt werden. "Wir haben glücklicherweise schon relativ lange keine Antibiotika mehr eingegeben, weil ich ein Verfechter bin von natürlichen Medikamenten, zum Beispiel jetzt der Säuren, und nur im Notfall Antibiotika einzusetzen, wenn es denn erforderlich ist, in Absprache mit meinem Tierarzt. Dann geben wir auch mal Antibiotika. Es ist durchaus gängige Praxis, dass mehrere Durchgänge ohne Medikamente laufen, aber dann kann es auch mal vorkommen, dass man Antibiotika einsetzen muss. Dazu sind wir vom Tierschutzgesetz her auch verpflichtet, Tiere auch gesund zu halten, genau wie der Mensch sich auch gesund hält." Dass er damit anscheinend in der absoluten Minderheit in der Branche ist, hat Rainer Wendt überrascht. Er wolle noch immer nicht glauben, dass, wie die NRW-Studie vom November zeigt, im Schnitt 96 Prozent aller Masthähnchen mit Antibiotika behandelt werden, meint der Züchter. "Ich kenne auch viele Betriebe und kenne auch viele Betriebe, die gar nichts eingesetzt haben, und da spiegeln sich diese Zahlen so nicht wieder. Es wird was eingesetzt in Absprache mit dem Tierarzt, aber 95 Prozent der Betriebe? Ich bin selber Vorsitzender einer Erzeugergemeinschaft mit mehreren Betrieben, da spiegeln sich die Zahlen so nicht wider. Deshalb kann ich auch nichts Konkretes zu der Studie sagen." Rainer Wendt ist klar, dass seither sein gesamter Berufsstand am Pranger steht. Deswegen reagierte sein Verband auf die Kritik aus der Politik und erklärte: Man habe bereits im letzten Sommer eine eigene Studie zur Verwendung von Antibiotika beim QS- Prüfsystem für Lebensmittelsicherheit in Auftrag gegeben. "Grundsätzlich muss die Geflügelwirtschaft auch daran interessiert sein, dass das, was sie macht, auch kommunizierbar ist. Das möchte ich mal ganz deutlich sagen. Und wenn die Zahlen wirklich so sind, wie die Remmel-Studie aussagt, dann muss schnellstens daran gearbeitet werden, dass wir den Antibiotika-Einsatz reduzieren, und dass wir über Qualität der Tiere, über Qualität des Futters, auch über Stallmanagement eine deutliche Senkung der Antibiotikagaben erzielen, und zwar schnell." Nach Einschätzung der Bundestierärztekammer kommen die Züchter unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht um den Einsatz von Antibiotika herum. Manfred Pöppel betreibt eine Veterinärpraxis in Delbrück bei Paderborn, die sich auf Geflügel spezialisiert hat. Nebenbei engagiert er sich bei der Kammer und hält in ganz Deutschland Vorträge zum Thema Antibiotika. Das Hauptproblem bei der Hähnchenmast seiner Meinung nach: das hochkonzentrierte, extrem energiereiche Futter, das die Darmflora der Tiere stört. "Das ist auch der höchste Anteil an Behandlungen. Alles andere an Behandlungen von Atemwegserkrankungen und Gelenksentzündungen, das ist alles hier und da mal da, aber das ist nicht der Hauptgrund. Der Hauptgrund ist die Behandlung der Darmgesundheit. Denn die Darmgesundheit rutscht ihnen aus den Fingern, und bei dem Kikok-Hahn, der nicht mit Antibiotika behandelt werden darf, ist das Futter mit seinem Eiweißgehalt runter gefahren worden. Damit funktionieren relativ viele Durchgänge ohne Antibiotika. Und wenn sie Antibiotika bekommen würden, fallen sie aus dem Programm raus und die Mäster geben sich große Mühe, das da drin zu behalten." Das Problem bei Massentierhaltung generell: Sobald ein Tier erkrankt ist, muss meistens der gesamte Bestand behandelt werden. Das erklärt, warum auch bei der Zucht von Schweinen und Kälbern häufig Antibiotika verwendet werden, wie eine Studie des Umweltministeriums Niedersachsen von 2010 belegt. Die Bundestierärztekammer begrüßt die Idee einer freiwilligen Datenbank, in der die Gabe von Antibiotika in ganz NRW dauerhaft festgehalten werden soll - zudem sei man bereit, nach Möglichkeiten zu suchen, die Menge der verabreichten Medikamente zu reduzieren, meint Manfred Pöppel. "Ich glaube, dass allein die Diskussion, die wir seit zweieinhalb Monaten führen, zu einer gewaltigen Veränderung geführt hat. Ich glaube auch, dass die Gesetze, die Frau Aigner jetzt ändern möchte, die Sachen nicht wesentlich ändern können, wenn nicht ein gesamtes Umdenken stattfindet. Aber die Tierärzteschaft alleine und die Landwirtschaft wird das nicht leisten können. Sondern wir brauchen zusätzlich dringend ein Verständnis im gesamten Netzwerk. Das fängt beim Verbraucher an, das geht über die Vermarkter, das geht über den Tierarzt, über den Halter. Wir alle zusammen können etwas dran ändern, aber nicht einzelne." Rainer Wendt macht zum Abschluss noch eine Runde durch den Stall, bückt sich nach einem Küken, das reglos am Boden liegt. "Ne, ist nicht tot." Rund 2.000 der 40.000 Küken verenden vor Erreichen des Schlachtalters - eine normale Quote nach Einschätzung von Tierärzten. Rainer Wendt muss fast täglich tote Küken aussortieren - aber so ist das halt, wenn man Nutztiere züchtet, sagt der Landwirt. "Die Tiere sind, das muss man ganz klar sagen, dazu da, um Menschen zu ernähren, um Fleisch zu produzieren. Dafür sind diese Tiere da. Es gibt sicher auch andere Tiere, die andere Zwecke haben, aber diese Tiere sind zur Schlachtung vorgesehen. Ganz häufig wird auch gefragt: Identifizieren Sie sich mit Ihren Tieren? Natürlich identifiziere ich mich mit den Tieren, aber ich weiß, wenn die Tiere in den Stall kommen, dann sind sie so circa 40 Tage da, dann werden sie geschlachtet. Das weiß man vorher, insofern ist man darauf vorbereitet, dass die Tiere irgendwann wieder rausgehen." Für ein Kilo Hähnchenfleisch bekommt Rainer Wendt bei seinem Abnehmer Wiesenhof rund 85 Cent. Zieht er die Betriebsausgaben, die Kosten für Futter, Heizung, Tierarzt ab, bleiben fünf Cent übrig. Ein Markt, der extrem geringe Gewinnmargen lässt und auf dem man nur mit Masse bestehen kann, sagt der Züchter. Er verweist auf die Zahlen seines Verbandes, nach denen der Anteil von Biogeflügel gerade mal bei einem Prozent liegt. "Der Verbraucher möchte gern hochwertiges Fleisch haben zu einer optimalen Qualität und zum günstigsten Preis. Das ist leider so. Es gibt in der Diskussion ganz viele Verbraucher, die sagen, dass sie ohne Probleme bereit sind, mehr fürs Tier auszugeben, aber die Verkaufszahlen sprechen für sich. Der Handel möchte Umsatz machen, und die Verbraucher möchten günstiges Fleisch mit hoher Qualität haben. Das ist Verbraucherverhalten. Die Aussage ist eine andere, aber die Zahlen sprechen für sich." Knapp 400 Kilometer weiter westlich, auf dem "Hof am Deich" in Meerbusch bei Düsseldorf. Landwirt Volker Rahm hat einen schwarzen Eimer in der Hand, gefüllt mit Hafer. Vorsichtig öffnet er die Tür zum Hühnerstall. Sofort kommen 30 weiße Hähnchen angelaufen und wollen eine Extraportion. Volker Rahm ist Biobauer. Alle seine Produkte, auch das Fleisch, entsprechen den Richtlinien des "Demeter-Siegels", des strengsten Biosiegels überhaupt. Das Geflügel gehört zu den "Drei-Monde-Hähnchen", einer extra langsam wachsenden Rasse. Mit den herkömmlichen Rassen für Masthähnchen habe er zu Anfang schlechte Erfahrungen gemacht, erzählt Volker Rahm: "Es war also so, dass die Tiere nach gut anderthalb, zwei Wochen immer so Fundamentschwierigkeiten bekommen haben. Die knickten immer mehr ein und legten sich auf die Brust. Je schwerer die wurden, desto schlimmer sah es aus. Dann habe ich gesagt, so was machst du nicht wieder. Durch Zufall habe ich dann in der Literatur gelesen, dass es eben langsam wachsende Hähnchenrassen gibt, die Drei-Monde- Hähnchen in Frankreich. Dann haben wir also versucht, an Küken heranzukommen. Das hat mich einen ganzen Tag am Telefon gekostet, bis wir jemanden gefunden hatten, der das machen würde. Und seitdem machen wir das also." Bei Volker Rahm haben die Hühner, wie ihr Name sagt, drei Monde, also gut 90 statt 40 Tage Zeit, um das Schlachtgewicht von etwa zwei Kilo zu erreichen. Das Futter entspricht strengen Richtlinien, in den Ställen liegt Stroh. Pro Quadratmeter dürfen nur acht statt 21 Hühner gehalten werden. Es gibt einen Auslauf im Freien und Holzgerüste im Stall, damit die Tiere klettern können, schließlich hocken sie auch in ihrem natürlichen Lebensraum gern im Gebüsch. Automatische Tränke- und Futterbahnen sucht man auf dem Hof am Deich vergeblich, Volker Rahm füttert per Hand. Wenn die Tiere krank werden, darf er sie nicht mit Antibiotika behandeln. Verkauft wird direkt im Hofladen. Es gibt Wartelisten, denn die Nachfrage übersteigt das Angebot. Trotz des stolzen Preises: gut zwölf Euro das Kilogramm - etwa sechs Mal so teuer wie das Kilo Hähnchenfleisch beim Discounter. "Drunter geht es nicht", sagt Volker Rahm: "Weil wir hier keine Massentierhaltung haben. Die Besatzdichte ist ja auch wesentlich geringer wie im konventionellen. Die Tiere laufen hier alle schön im Stroh, das ist alles viel Handarbeit. Das muss seinen Preis haben. Ganz klar." Zurück in Groß Oesingen - Rainer Wendt hat seinen Rundgang durch den Stall beendet. Alle 40.000 Hähnchen sind bei guter Gesundheit, Wendt zieht den grünen Overall aus, schließt die Tür. Im Büro wird auch heute wieder das Telefon pausenlos klingeln. Noch immer rufen viele besorgte Kollegen an, die wissen wollen, wie sie auf die Kritik aus Politik und Umweltverbänden reagieren sollen. Rainer Wendt wird sich bemühen, die Züchter zu beruhigen. Schließlich hat sein Verband so weit wie möglich Schadensbegrenzung betrieben: durch die eigene Studie und den Hinweis auf die freiwillige Selbstverpflichtung zur Reduzierung der Antibiotika. Mehr kann auch der Bundesverband derzeit nicht versprechen, sagt der Landwirt. Zumal die Konkurrenz aus dem europäischen Ausland oft noch billiger produzieren kann, weil dort die Besatzdichte höher sein darf. In Deutschland liegt sie bei maximal 39 Kilo pro Quadratmeter, laut EU- Recht darf sie jedoch bei 42 Kilo liegen. Die wenigen deutschen Biobetriebe betrachten die konventionellen Züchter dagegen nicht als Konkurrenz, und daran wird auch der jüngste Antibiotika-Skandal nichts ändern, sagt Rainer Wendt und zuckt mit den Schultern. Er weiß: Nach rund vier Wochen kaufen eh wieder alle ihr Fleisch beim Discounter. "Ein Prozent des Geflügelfleischverzehrs ist Bioware, nicht mehr und nicht weniger. Der Rest ist konventionelle Ware, und das ist das, was wir hier produzieren." Der Verbrauch an Hähnchenfleisch steigt in Deutschland jedes Jahr um rund 600 Gramm pro Kopf - daran hat bisher noch kein Skandal etwas geändert. Um den wachsenden Bedarf zu decken, müssen jedes Jahr 100 neue Mastställe gebaut werden. Die Debatte über die Antibiotika-Studie aus Nordrhein-Westfalen zeigt zwar, dass Züchter und Politik durchaus nicht beratungsresistent sind. Doch am Ende können nur die Verbraucher dafür sorgen, dass sich die Produktionsbedingungen ändern: Wenn sie bereit sind, deutlich mehr als 1,70 Euro für das Kilo Hähnchenschenkel auszugeben. -E N D E- 1