COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel am 11.03.2012 "Mensch oder Natur ? " Nutzungskonflikte zwischen Sport und Naturschutz Von Hendrik Maaßen Redaktion: Hannes Ostermann ------- (Atmo1 Wald) Ton 1. An schönen Tagen ist hier ein Verkehr mit Fußgängern, mit Hundeleuten, wie in der Fußgängerzone, die also alle unten von der Stadt her kommen, und was man gut hier sieht, im 90°- Winkel dazu haben sie jetzt die neu von Fahrradfahrern angelegten Downhill-Schneisen. Und die Geschwindigkeit, die hier erreicht wird, ist erheblich, sodass man auch nicht mehr bremsen kann, wenn unten der Kinderwagen kommt. Martin Lewin ist der Förster der Stadt Göttingen. Er hat ein ambivalentes Verhältnis zu den Radfahrern im Wald. Johannes Schilder fährt in seiner Freizeit gern Mountainbike, "Downhill" um genau zu sein. Er hat ein gespanntes Verhältnis zum Forst. Ton 2. Die Strecke wurde vor knapp zwei Jahren dicht gemacht, die haben damals da Baumschonungen angepflanzt. Also unter dem Vorwand von Baumschonung, haben da drei Bäume hingestellt und einen Zaun drum gemacht. Die sind da vorher mit einem Bulldozer durchgefahren und haben da alles weggeräumt, was da irgendwann stand. In wieweit das dann wieder mit dem Naturschutz korreliert, man weiß es nicht. (Atmo2. Wald) Göttingen in Süd-Niedersachsen. Je weiter der Hang aus dem noblen Ost-Viertel der Universitätsstadt hinauf führt, desto mehr wandelt sich eine Parkanlage mit Spielplätzen und asphaltierten Wegen zu einem Wald, dem Göttinger Stadtwald. Durch seine ideale Lage und seine Größe von mehr als 1100 ha ist er ein beliebtes Naherholungsgebiet. Bei den vielen Nutzern bleiben Konflikte natürlich nicht aus. In den 80er Jahren sorgt der Orientierungslauf für Streit. Seit ein paar Jahren treten die "Geocacher", also Schatzsuchende mit Navigationsgeräten in den Händen, neue Wege ins Unterholz. Und im vergangenen Sommer droht dann der Konflikt um das Mountainbiken im stadtnahen Wald zu eskalieren. Gerüchte von einem Verbot machen die Runde, von Polizeieinsätzen gegen Radfahrer ist die Rede. Mountainbiken in Göttingen - ein großes Thema. Es ist ein Beispiel dafür, wie schwer es fällt, Sport und Naturschutz unter einen Hut zu bringen. (Ton 3., Atmo, Schritte. O-Ton ab Sek 00.21) Ein nasskalter Tag im Januar. Mountainbiker Johannes Schilder schiebt sein voll gefedertes Fahrrad über einen schmalen Pfad durch den Wald. Er trägt einen Helm und dunkle Sportkleidung, doch Radfahren kann er hier nicht mehr. Ja, das hier ist die ehemalige Göttinger Mountainbikestrecke, hier war fast anderthalb Jahre ne Strecke, hauptsächlich von Locals gebaut. Und die wurde durch den Forst in der letzten Woche erst komplett gesperrt und jetzt halt abgerissen beziehungsweise mit Bäumen zugefällt. Die ganze Sache läuft eigentlich seit knapp 10 Jahren. Es gab vorher schon Strecken an anderen Plätzen und es ist immer mal wieder was platt gemacht worden, was Neues entstanden. Es ist halt so ein ewiger Kreislauf. Der schmale Weg führt ein paar Meter steil bergab in ein kleines Tal. Ton 4. Also das hier ist jetzt der Mittelteil, beziehungsweise, wir gehen jetzt in den unteren Teil. Oben schlängelt sich die Strecke so ein bisschen am Hang entlang, hier im unteren Teil sind noch zwei, drei große Sprünge, die sind komplett zugefällt, da liegen mehrere dicke Buchen und Eichen drüber. Da ist nichts mehr zu retten. Versuche, die mühsam, aber auch illegal gebaute Strecke zu retten, gab es: Sechs Monate zuvor lädt die Göttinger Sport und Freizeit GmbH zu einem runden Tisch. Die Konfliktparteien sollen sich aussprechen. Über 40 Diskussionsteilnehmer hätte sich Initiator Veit Hesse gefreut. 120 sind gekommen. Im großen Ratssaal sitzen sich Jugendliche, Erwachsene und Senioren, Sportler und Anwohner gegenüber. Viele von ihnen sind Mountainbiker. Es geht um die Frage, wer den Stadtwald wie nutzen darf und wie man einen Kompromiss finden kann. Den Sportlern sitzen der Stadtförster, Vertreter der Naturschutzbehörde und genervte Spaziergänger gegenüber. Die Stimmung ist angespannt. Veit Hesse von der städtischen Sport und Freizeit GmbH erinnert sich: Ton 5. Der Beginn bestand darin, dass das Stadtforstamt einmal vorgestellt hat, wie die Problemlage momentan eigentlich ist. Das ist auf viel Widerstand bei den Mountainbikern gestoßen, weil die Mountainbiker gesagt haben, was uns jetzt hier alles in die Schuhe geschoben wird, das sind wir gar nicht alles. Und da gibt es natürlich auch viel mehr Interessensgruppen im Wald: Läufer, Fußgänger, von denen ja auch mal ein Trampelpfand entstehen kann. Es ist ja nicht so, dass das alles durch die Mountainbiker kommt. Der Ton im Ratssaal wird rauer, als Stadtförster Martin Lewin Fotos zeigt, die die angeblichen Zerstörungen durch Mountainbiker dokumentieren sollen. Viele Sportler fühlen sich provoziert und pauschal in die Schublade "Naturzerstörer" gesteckt, einige der jungen Mountainbiker schießen genauso oberflächlich zurück. Doch es gibt auch besonnene Redebeiträge. Ton 6. Und danach ist eigentlich eine recht konstruktive Diskussion zustande gekommen, wo gesagt wurde, es gibt sehr viele verschiedene Interessensgruppen bei den Mountainbikern. Es gibt die Downhillfahrer oder Freeridefahrer, wie auch immer man sie nennen will, die Interesse daran haben, irgendwo schnellstmöglich herunterzufahren. Dann gibt es natürlich auch die Geländefahrer, die sagen, ich möchte eine etwas längere Runde durch den Stadtwald drehen und nehme den einen oder anderen Trail, also schmalen Pfad, den ich hinunterfahren will, mit. Das eigentliche Problem stellen tatsächlich diejenigen dar, die sagen, sie wollen so schnell wie möglich irgendwo runterfahren, denn dort kommen dann wieder die ganzen verkehrsicherungspflichtigen Aspekte ins Spiel. Sprünge, Steilkurven... Je länger die Diskussion dauert, desto mehr Verständnis entsteht auf beiden Seiten füreinander. Stadtförster Martin Levin weiß nun mehr über Radsport im Wald und denkt erst einmal nicht an einen Polizeieinsatz. Und auch die Downhillfahrer zeigen Verständnis für den Förster, der ihnen erläutert hatte, dass er als gesetzlicher Vertreter des Waldes bei ihren Verletzungen persönlich haftbar sei. Das will keiner. Es entsteht eine kleine Gruppe von Sportlern, die sich für eine Legalisierung und Freigabe der Strecke engagieren will. Es soll ein Wegenetz ausgeschildert werden, damit jeder weiß, wann er sich von offiziellen Fahrwegen entfernt. Schon wenige Tage später treffen sie sich gemeinsam im Wald und finden einen Kompromiss. Bald darauf kommt der TÜV und prüft die selbst gebauten Sprünge. Die Radsportler versuchen die Hindernisse bis zur Legalisierung zu schließen. Mountainbiker Schilder: Ton 7. Die Strecke war die letzten drei Monate gesperrt, seit den Sommermonaten eigentlich. Idee war es, nicht unbedingt irgendwelche Stürze auf Herrn Levin zurückfallen zu lassen, dem Forst eigentlich entgegen zu kommen. Leider hat das nicht geklappt. (klappern einer Eisenkette) Da hängt auch noch das Zahlenschloss dran. Grandios! Kann ich mal wieder abmachen. Das war mal der Versuch, den Teil mit den zwei großen Sprüngen hier wirklich nur für geübte Fahrer zugänglich zu machen. Das war halt damals die Absprache mit dem Forst, dass der Streckenteil gesperrt wird, hatten wir dann hier auch mit Kette und Zahlenschloss gemacht, das Problem ist halt nur, dass auch immer andere Leute auf der Strecke unterwegs sind, und dann war halt irgendwann die Kette offen, und dann war die Kette weg. Der Kompromiss funktioniert also nicht. Vermittler Veit Hesse, der selbst ab und zu auf dem Rad unterwegs ist, meint den Grund zu kennen: Den Drang zum individuellen Sporttreiben. Ton 8. Der Mountainbiker an sich liebt das Freisein, das Ungebundensein, und das heißt, man findet nur sehr schlecht und sehr schwer nur organisierte Mountainbikegruppen, so ist es in Göttingen auch. Es gibt hier ganz, ganz viele Einzeltäter, die wollen auch alle für sich Spaß haben und haben es bisher nicht geschafft, sich zusammenzuraufen oder einen Verein zu gründen, Interessensgemeinschaft, wie auch immer. Um zu sagen, wir haben ein gemeinsames Sprachrohr. Der Student Johannes Schilder hat es versucht. Er hat sich als Sprachrohr, als Vermittler angeboten und ist letztlich gescheitert. Für Stadtförster Martin Levin wird jetzt die Situation mit jedem Tag, an dem gefahren wird, heikler. Ton 9. Wenn dann was passiert, wir sind ja in Deutschland, dann ist es nicht die Frage, sind die Verursacher, also der Mountainbiker oder der Fußgänger schuld, sondern dann wird ja die Obrigkeit herzitiert. "Wie kann die das zulassen, dass so etwas möglich ist? Wer macht denn hier die Verkehrssicherung? Und Verkehrssicherung muss natürlich immer der Eigentümer machen, die Stadt Göttingen und meine Förster und ich. Die entscheidende Klärung wäre zum Beispiel gewesen, dass mein Oberbürgermeister mir sagt: "Levin, das kann weiterlaufen und ich stell dich von der persönlichen Haftung frei", das ist aber nicht passiert. Zweifellos sind die schnellen Bergabfahrten mit Sprüngen und engen Kurven nicht ungefährlich. Doch an die eigenen Grenzen zu gehen, sich auszuprobieren, das Adrenalin zu spüren ? für viele der jungen Sportler ist das Downhillfahren im Göttinger Wald gerade deshalb attraktiv. Wie eine perfekte Abfahrt auf ihrer Strecke aussah, haben sie in einem Video festgehalten. (Atmo3 Tonspur mit Geräuschen und Musik, abblenden zum Bett) Zwei Radsportler fahren schnell und wendig den schmalen Pfad hinunter, dicht zwischen den Bäumen, sie legen sich in die Kurven, springen über Wurzeln und Schanzen. Ihre Köpfe schützen sie mit Helmen, die wie Motorradhelme aussehen. Im Vergleich zu heute ist die Strecke nicht wiederzuerkennen. (Aufblenden Atmo3 bis Schluss)(ca.30) Der runde Tisch in Göttingen hat klare Ergebnisse. Das normale Mountainbiken im Stadtwald ist überhaupt gar kein Problem, wenn Radfahrer und Spaziergänger Rücksicht aufeinander nehmen. Die große Masse der Radsportler kann also weiterfahren. Die deutlich kleinere Gruppe der Downhill-Fahrer einigt sich mit dem Stadtförster darauf, dass sie besonders gefährliche Stellen ihrer Abfahrtsstrecke entschärfen und sich für eine Legalisierung einsetzen wird. Dafür muss das kleine Tal formell aus dem Landschaftsschutzgebiet genommen und als Sportstätte über einen Verein oder einen anderen Träger versichert werden. Deshalb ist es nötig, dass der TÜV die selbst gebauten Schanzen zertifiziert. Die Motivation nach dem runden Tisch ist gut. Die Probleme scheinen nun überschaubar. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Vermittler Veit Hesse: Ton 10. Der runde Tisch ist jetzt sechs Monate her und seitdem ist es einfach, muss man wirklich sagen, aufgrund des TÜVs im Wesentlichen, an vielen Stellen stagniert. Die Absprachen, die dann dort getroffen worden waren, dass die Mountainbiker erstmal nicht weiter bauen, und es wäre auch die Endabsprache gewesen, dass, wenn diese Strecke legalisiert wird, dass dann nirgendwo anders neue Strecken initiiert werden. Nach Aussage der Mountainbiker hat das funktioniert, nach Aussage des Stadtforstes hat es natürlich nicht funktioniert. Kurz vor Weihnachten schafft Förster Levin Tatsachen und fällt ein Dutzend großer Bäume so, dass sie die Strecke blockieren und teilweise zerstören. Die Legalisierung ist gescheitert. Ton 11. Wir haben nichts Spezifisches gemacht, wir haben jetzt hier einen normalen Holzeinschlag, der war sowieso geplant, und im Frühjahr wird das Holz gerückt, das wollen wir ja verkaufen. Nur wir werden nur nicht die Kronen weiter räumen, von der Strecke weg. Sondern wir versuchen jetzt erstmal, eine endgültige Klärung hinzukriegen. Der Goesf hatten wir eine Frist gesetzt, bis Weihnachten, da ist nichts gekommen, daraufhin haben wir dann den Holzeinschlag gemacht. Ton 12. Viele Mountainbiker sind mittlerweile so weit, dass sie sagen, sie haben da eigentlich gar kein Interesse mehr an einer Legalisierung. Also, viele sagen, wenn eine Legalisierung kommt, dann kommt sie, wenn nicht, dann geht es halt so weiter. Ist natürlich nervig, alle zwei Jahre eine neue Strecke zu bauen, aber wenn's keine andere Möglichkeit gibt, dann ist es halt so. Ich hab schon Sprüche gehört wie: "Wenn der letzte Baum fällt, können wir endlich ohne Probleme bauen." Die Enttäuschung der jungen Sportler findet Zuspruch in der lokalen Presse. Empört schreiben einige Bürger Leserbriefe: Ton 13. Kopfschüttelnd habe ich den Bericht über die zerstörte Bikerstrecke unterhalb des Bismarckturms gelesen. Hier wird die Chance verpasst, das vermeintliche "Problem" Mountainbiker, die an einer Stelle konzentriert werden könnten, konstruktiv und für beide Seiten einvernehmlich zu lösen. Der Wald hat mehrere Funktionen zu erfüllen: Neben der Holzproduktion und Schutzfunktion für Flora und Fauna auch eine wichtige Erholungsfunktion. Und die Erholungssuchenden bestehen nicht nur aus Spaziergängern, die oft mit ihren Autos erst einmal zum Kehr fahren, um von dort die Natur zu genießen. Ein anderer Leser sieht das fehlende TÜV-Gutachten nicht als das zentrale Problem: Ton 14. Gewichtiger ist der Vertrauensverlust gegenüber Obrigkeiten. Was geschehen ist, hat mit demokratischem Selbstverständnis nichts mehr zu tun. Hier wurde von denselben Entscheidungsträgern das Ansinnen der jungen Radfreunde zumindest ignoriert, die an anderer Stelle die politische Teilnahmslosigkeit der jungen Generation beklagt. Mountainbiken in Göttingen - das war einmal ein großes Thema. Trotz zahlreicher Verhandlungen, trotz der Bemühungen aller Beteiligten: Letztlich ist das Downhill-Fahren im Göttinger Wald daran gescheitert, dass ein paar Seiten eines TÜV-Gutachtens fehlen. Ein enttäuschendes Ende zwischen DIN-Normen, Haftungsfragen und dem simplen Wunsch, Sport zu treiben. (Atmo4 Kletterhalle) Voxpop kinder Ich bin der Lars, ich kletter' schon seit einem Jahr, hm, draußen geklettert, richtig am Fels, bin ich noch nie,... Ich bin die Lisa, bin 11 Jahre alt und war auch schon mal draußen, auf der Teufelslei und kletter' schon seit zwei Jahren.... Julius, ich kletter' seit etwa einem Jahr, ja, ich war schon mal draußen, im Frankenjura, das ist ungefähr vier Stunden entfernt von hier. ...Ich bin der René, ich kletter' schon seit einem halben Jahr und ich war noch nie draußen. (39) (Atmo5 als Bett.) Eine Halle zwischen Köln und Bonn. An den Wänden sind bunte Griffe und Tritte. Auf mehr als 1800 Quadratmetern können rund 300 verschiedene Routen geklettert werden. Jeden Dienstagabend trifft sich hier die Jugendgruppe vom Deutschen Alpenverein Rhein-Sieg. Es ist nur eine von 355 Sektionen in ganz Deutschland. In ihnen sind knapp eine Million Menschen organisiert. Damit ist der Alpenverein der fünftgrößte Sportverband in Deutschland, er liegt sogar noch vor den Leichtathleten. Seit 2005 ist der Verein auch als Naturschutz- verband anerkannt. Die 11-Jährige Lisa ist ein junges Kletter-Talent. Sie versucht sich gerade an einer sehr schwierigen Route. Lisa ist eines der wenigen Kinder, die schon mal richtigen Fels in den Händen hatte. Ton 15. Also hier in der Halle, das sind mehr so Übungen, da kann man sich eher so vorbereiten auf's Felsklettern. Und Felsklettern ist halt so, wie soll ich das sagen, so... interessanter, da muss man, da ist es viel aufregender, neue Routen zu entdecken. (Abblenden Atmo 5) Jetzt im Winter gibt es kaum Alternativen zum Training in der Halle. Aber in den kommenden Monaten würde ihr Trainer und Sektionsvorsitzender Michael Droste gern raus an den Fels. Denn eigentlich haben sie ein Klettergebiet direkt vor der Haustür, den Stenzelberg. (Atmo 6 Auto) Südöstlich von Bonn liegt das Siebengebirge. Der Weg zu den Kletterfelsen führt durch verwinkelte Ortschafen mit Fachwerkhäusern. Eine schmale Straße führt den Berg hinauf zu dem alten Steinbruch, der seit dem 2. Weltkrieg brach liegt und seit Jahrzehnten beklettert wird. (Atmo 7 Schritte) Von einem Parkplatz geht es zu Fuß durch den Wald weiter, immer den Hang hinauf. Nach ein paar Minuten tauchen die ersten Felsen zwischen den Bäumen auf. Michael Droste war hier lange nicht mehr. Ton 16. Das letzte Mal Klettern mit meiner Jugendgruppe war ich hier im Mai 2005. Das ist also wirklich sehr lang her. Das war ein richtig schöner Tag, mit Sonne hier drin, das war das Abschieds-Klettern. Und einige der älteren Kinder und Jugendlichen, die jetzt noch dabei sind, die kennen das noch, die Anderen den Stenzelberg nur noch vom Hörensagen. Oben angekommen zeigt sich der Stenzelberg als Plateau mit zerklüftetem Fels. Die nördliche Seite besteht aus einem Kessel, nach Westen gibt es eine breite Front, genau wie nach Süden, nur dass die Formation dort kleiner ist. Von einem mit Baumstämmen eingegrenzten Weg aus zeigt Michael Droste das ehemalige Klettergebiet. Ton 17. Also, hier gibt es mehrere Touren. Direkt an der Kante kann man hoch, hier sehen sie ja auch noch Haken, da vorne ist's zu bröselig. Wir haben nicht überall geklettert, um das noch mal ganz klar zu sagen. Da gibt's ne Tour, dazwischen nichts, dann kommen da wieder zwei Touren nebeneinander, dann kommt wieder lange Zeit nichts. Dann kommt da in der Ecke die sogenannte Eule. Besonders eine der Touren, da in der Mitte, das war die Einfachste, die sogenannte Baby- Rinne. Da sind wir dann mit Anfängern geklettert, die zum allerersten Mal draußen waren. Aber auch da, weil in der Route keine Haken sind, musste einer vorsteigen, an dem Baum dort oben eine Verankerung platzieren, dann wieder absteigen, die Kinder einbinden und dann konnte man dort klettern. Die Felsen des alten Steinbruchs sind nach den großen Wänden der Dolomiten benannt. Punta Frida, Campanile Alto, Campanile Basso. Von hier oben hat man einen beeindruckenden Blick auf Bonn und das gesamte Rheintal. Das weitläufige Gelände gehört zum Staatswald des Landes Nordrhein- Westfalen, für Verwaltung und Pflege ist somit das zuständige Forstamt verantwortlich. Bis 2002 hatte es mit dem Alpenverein eine Art Duldung verabredet. Das Klettern am Stenzelberg war mit Einschränkungen erlaubt. Doch vor genau zehn Jahren spielte das Forstamt nicht mehr mit. Der Kompromiss habe sich nicht bewährt, hieß es. Seitdem ist das Klettern am Stenzelberg illegal. Der Umweltdezernent des Rhein-Sieg-Kreises, Christoph Schwarz: Ton 18. Das totale Verbot hat den großen Nachteil, dass es ja auch überwacht und kontrolliert werden muss. Und das Gelände ist sehr unübersichtlich, sehr groß. Personal und Geld bei der Kreisverwaltung ist knapp, das heißt, es gab von Anfang an Defizite bei der Kontrolle und Überwachung des Verbots. So dass wir dann gesagt haben, lasst uns doch mal versuchen, die beteiligten Organisationen am Klettern mit an den Tisch zu holen und über den Weg eines Kompromisses zu versuchen, dort eine einvernehmliche Lösung zu finden. Die Gespräche sind fruchtbar. 2005 gibt es einen Entwurf für eine Kletterregelung die vom Alpenverein und dem Rhein-Sieg-Kreis getragen wird. Mit zwei Gutachten sollen die Kletterer die Verträglichkeit von Sport und Naturschutz nachweisen. Denn der Stenzelberg ist auch bei den Mauereidechsen beliebt. Das Reptil sonnt sich bevorzugt in den südlichen Felsen. Doch dann will die Lokalpolitik das Siebengebirge zu einem Nationalpark machen. Die Kletterregelung rückt in weite Ferne. Das Verbot hingegen bleibt bestehen und wird kontrolliert. Michael Droste vom Alpenverein: Ton 19. Ganz zum Schluss, ist der Rhein Sieg Kreis hin und wieder mit einer größeren Gruppe hier hingegangen, auch mit Personen, die befugt waren die Leute festzuhalten, Namen aufzuschreiben etc. und Bußgeld zu verhängen. Man hat mir dann noch gesagt, dass, wenn in Zukunft Mitglieder des Deutschen Alpenvereins hier angetroffen werden würden, die müssten dann das doppelte Bußgeld bezahlen, denn schließlich müssten die ja das über die Vereinshefte wissen, dass man hier nicht klettern dürfe. 2008 stimmen die Bürger in einem Volksentscheid gegen einen Nationalpark. Die Aktiven des Alpenvereins suchen wieder das Gespräch mit dem Kreis. Umweltdezernent Schwarz: Ton 20. Wir hatten den Alpenverein gebeten, wenn er Interesse hat an einer Kletterregelung, entsprechende Unterlagen zu erarbeiten, das muss einfach sei.. Das hat der Alpenverein dann auch getan und es führte dann letztlich dazu, dass wir im Jahr 2010 dann soweit waren, dass diese Regelung im Landschaftsbeirat beraten werden konnte. Muss man vielleicht erklären, der Landschaftsbeirat ist ein Gremium aus ehrenamtlichen Naturschützern und auch Naturnutzern, das die Landschaftsbehörde in allen Fragen des Naturschutzes berät. Der Deutsche Alpenverein präsentiert zwei Gutachten, aus denen hervorgeht, dass das Klettern am Stenzelberg nach der vereinbarten Kletteregelung von 2005 mit den strengen Erhaltungszielen des Flora-Fauna-Habitat-Gebietes und den Schutzzielen des Naturschutzgebietes vereinbar ist. Doch trotz der intensiven Vorbereitung - die Sitzung des Landschaftsbeirates verläuft für Michael Droste anders als erhofft: Ton 21. Ich habe eine sehr ungute Erinnerung an diese Sitzung, weil die ganze Atmosphäre direkt mit Beginn des Tagesordnungspunktes eine war, die mich schon gleich vermuten ließ, dass der Antrag abgelehnt würde. Denn nach Eröffnung des Tagesordnungspunktes und nach einem kleinen Vortrag des Referenten, der die Gutachten erstellt hat, gab es ausschließlich Fragen, die sich nicht direkt mit dem Gutachten befassten, sondern generell aufs Klettern gingen. Wo dann Begriffe genannt wurden, wo man merkte, dass die entsprechenden Leute davon keine Ahnung haben, sag' ich jetzt mal so. Wo sie sich Vorstellungen machten, die in eine völlig falsche Richtung gehen. Es ging auf jeden Fall gegen das Klettern, egal wie gut das Gutachten jetzt war, das wurde gar nicht bewusst aufgenommen. Doch Michael Droste gibt nicht auf und versucht die Beiratsmitglieder auf andere Weise zu erreichen: Ton 22. Ich habe versucht das zusammenzufassen, was in den letzten Jahren passiert ist. Diese Verhandlungen, diese Bemühungen auch seitens der Unteren Landschaftsbehörde, den Good-Will darzustellen, der auf allen Seiten da war, das Sinnvolle des Kletterns generell, für die Kinder, für die Erziehung, den Umweltschutz einzubringen. Allerdings wurde mir von dem Sitzungsleiter ich glaube sogar nur eine Minute zugestanden. Ich glaube, ich habe dann drei Minuten geredet, oder so etwas, allein auch diese rein formale Sache zeigte mir ganz deutlich, dass überhaupt nicht der Wille da war, zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Entsprechend fällt dann das Votum aus: Zehn Nein-Stimmen, eine Ja-Stimme und eine Enthaltung. Der mühsam erarbeitete Kompromiss ist abgeschmettert. Natürlich wollten wir dazu auch den Vorsitzenden des Landschaftsbeirates, den Vertreter des Naturschutzbundes, Wolfgang Kemmer, befragen. Doch der reagierte auf unsere Anfragen nicht. Die Kletterer hoffen trotzdem noch, denn die Abstimmungen des Landschaftsbeirates sind für die Verwaltung nicht bindend. Christoph Schwarz, der Umweltdezernent des Rhein-Sieg-Kreises erläutert: Ton 23. Man bekommt eine Empfehlung. Wir haben aber eigentlich eine ganz gute Tradition hier in der Kreisverwaltung, dass wir sagen, diese Beiratsvoten werden auch beachtet, das heißt, selbst wenn es keine bindende Wirkung hat, halten wir uns dran, weil das sind wichtige Partner für uns, ehrenamtliche Naturschützer und Naturnutzer, die brauchen wir ständig als Partner, und wenn man da eine fachliche Meinung hat, ist das für uns schon ein wichtiges Kriterium. Es war also klar, dass wir in Folge des Beiratsvotums die Ausnahmeregelung nicht so zulassen können, wie vom Alpenverein beantragt. Doch in diesem Fall folgt die Verwaltung dem Votum, obwohl es objektiv keine Gründe dafür gibt. Die als Bedingung geforderten Gutachten belegen, dass Sport und Naturschutz am Stenzelberg funktionieren können. Michael Droste vom Alpenverein resigniert seit der Sitzung. Ton 24. Es war eine große Frustration vorhanden, besonders, wenn man so viele Stunden Zeit investiert hat, auch vernünftige Argumente hat, auch weiß, dass man recht gut argumentiert hat, und eigentlich für viele Argumente gar kein vernünftiges Gegenargument gehört hat, sondern sehr oft auch nur Phrasen oder Wiederholungen alt bekanntes, das man eigentlich schon ausdiskutiert hatte. Ja, dann verzweifelt man ein bisschen an der Struktur des Miteinanders hier in unserem Gemeinwesen, ja. Nach dem gescheiterten Votum unternimmt Umweltdezernent Schwarz einen letzten Versuch. Ton 25. Wir haben dann aber noch mal das Gespräch gesucht, weil ich selbst auch der Meinung bin, beim guten Willen aller Beteiligten, müsste sich auch ein Kompromiss finden lassen. Wir sind deshalb die Punkte, die der Alpenverein aufgelistet hat, also die Routen, die Randbedingungen, noch mal im Einzelnen durchgegangen, haben das Konzept noch einmal abgespeckt und das Ergebnis ist dann Vorschlag einer sogenannten kleinen Kletterregelung gewesen. Mit der gleichzeitigen Bitte an den Alpenverein, oder der Aufforderung an den Alpenverein, eine gewisse ordnende Rolle vor Ort zu übernehmen, und zusätzlich noch Pflegearbeiten im Gelände zu übernehmen. Denn der Steinbruch ist für den Naturschutz sehr wichtig, er kann nur wichtig bleiben, wenn er entsprechend gepflegt wird. Das heißt, unerwünschter Aufwuchs muss wieder weg, damit die besonnten Felsen auch weiter so frei gehalten werden, wie jetzt bisher auch. Zu all dem sind die Kletterer um Droste bereit. Sie wollen nur ihrem Sport in der Natur nachgehen können, der für sie einen ganz besonderen Reiz hat. Ton 26. Es geht über das hinaus, was man auch als ähnliche Faszination hat, wenn man wandert, beziehungsweise Bergsteigen betreibt. Es ist noch ein bisschen unmittelbarer, weil man den Fels und den Weg, den man begeht, in den Händen hat, quasi, nicht nur unter den Füßen spürt. In der heutigen Zeit, wo man ja viel am Schreibtisch sitzt, das unmittelbare Erleben in der Natur zu spüren, die eigenen Möglichkeiten, irgendwo hochzukommen, wo es eigentlich erstmal schwierig aussieht. Und dann die ganze Natur unmittelbar zu erleben - Sprich, der Schmetterling, der sich aufs Knie setzt, wenn man das Butterbrot verzehrt, alles Mögliche. Vogelgezwitscher, die Gerüche im Frühling, im Herbst, im Sommer. Das ist halt etwas völlig anderes als Klettern in der Halle. Umweltdezernent Christoph Schwarz lässt die neu ausgehandelte kleine Kletterlösung zur Sicherheit noch einmal im eigenen Haus prüfen. Mit Erfolg. Die Regelung geht zur Bezirkregierung Köln - die dann überraschend nicht zustimmt. Ton 27. Es hängt immer von den Personen ab, vor Ort, die miteinander auskommen können oder nicht. Bei uns ist es ja jetzt so, dass die Bezirksregierung letztlich formaljuristische Bedenken vorgetragen hat, weil es heißt, dass generell in FFH Gebieten nicht eine Verabredung, auch nicht mit den Behörden getroffen werden kann, die nicht in der Naturschutzverordnung drin steht. Die ist zwar gerade umgearbeitet worden. Aber nur für die paar Kletterer des Alpenvereins scheint da kein Bedarf zu bestehen, diese Verordnung zu ändern. ...erzählt Michael Droste. "Die paar Kletterer" sind in ihrer Sektion immerhin 2100 eingetragene Mitglieder. Dem örtlichen Schützenverein gehören weit weniger Menschen an. In der Naturschutzverordnung steht bisher, dass die Untere Landschaftsbehörde Ausnahmen für das Klettern am Stenzelberg zulassen könne, wenn sie mit den Erhaltungszielen des Flora-Fauna-Habitat-Gebietes und des Naturschutzgebietes vereinbar sind. Da die Alpenvereins-Gutachten genau das bestätigen und da sie keiner beanstandete, machen sich die Sportkletterer berechtigte Hoffnungen darauf, ihren Sport im nahe gelegenen Naturschutzgebiet treiben zu dürfen. Doch in der neuen Verordnung soll der Passus mit der Ausnahme nicht mehr stehen. (Atmo 8 Stenzelberg) Kletterer Michael Droste steht immer noch auf dem Stenzelberg. Es ist still hier oben. Die Nachmittagssonne taucht die Felsformationen in warme Farben. Ton 28. Nach der ganzen Zeit bin auch ich, der ich ja schon ziemlich lange dabei bin, fast von Anfang an, ja so, dass ich noch nicht mal die Kraft habe, vor Wut in den Tisch zu beißen, was ich früher vielleicht eher gemacht hätte. Mehr als zehn Jahre hat sich Droste für eine Lösung am Stenzelberg eingesetzt. Letztlich ist es fast die gleiche Geschichte wie die der Mountainbiker in Göttingen. Es sind engagierte Menschen, die alles versucht haben, um ihren Sport vor Ort treiben zu können - im Einklang mit der Natur. Und trotzdem scheitern sie. Ton 29. Mir ist es selber auch mal passiert, dass mir eine Mauereidechse über die Hand gelaufen ist, natürlich ist mir klar, dass sich die Tiere in dem Moment, in dem wir in der Route hochgehen, an der Stelle nicht weitersonnen, sondern zur Seite gehen und auch manchmal schreckhaft zur Seite gehen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass nach dem eigenen Erleben und dem Lesen vieler Gutachten, dass es nicht nur kein Problem ist, sondern jenseits eines Problem ist, dass wir, die Natur und die Kletterer, im speziellen Fall die Mauereidechsen, sehr gut miteinander leben können, an derselben Wand. 9