COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Länderreport, 23.3.2010, 13.07 Uhr (1) Ärger vor Ort: Das bröckelnde Rathaus von Mainz Autor: Ludger Fittkau Red.: C. Perez Atmo 1 Rheinufer, überblenden mit Text Direkt am Rheinufer steht das erst 35 Jahre alte Rathaus der Stadt Mainz. Von den Rheinschiffen, die hier vor Anker gehen, werden Touristengruppen direkt am Rathaus vorbei in die Mainzer Altstadt geführt. An diesem Morgen erläutert die finnische Fremdenführerin Rita Sengenbusch die Baugeschichte des Rathauses, das als das bedeutendste Nachkriegsgebäude der Mainzer Stadtgeschichte gilt: O-Ton 1 (Englisch, Voice over) Es war ein dänischer Architekt, Arne Jacobsen. Das Baumaterial ist aus Norwegen importiert worden. So haben wir alle nordeuropäischen Länder hier an diesem Ort repräsentiert. Was Rita Sengenbusch der Gruppe nicht sagt: Es ist nicht ganz ungefährlich, auf dem Platz vor dem Rathaus zu stehen. Denn die aus Norwegen stammenden Fassadenplatten bröckeln, sind an vielen Stellen notdürftig mit zusätzlichen Befestigungen versehen. Die Platten haben sich durch Witterungseinflüsse verbogen, das ganze Rathaus ist sanierungsbedürftig. Innen dringt an vielen Stellen Wasser ein, die Buchenholzverkleidung vor dem Ratssaal musste zwischenzeitlich bereits entfernt werden. Alleine für die Sanierung der maroden Energieversorgung des denkmalgeschützten Gebäudes sind 15 Millionen Euro veranschlagt. Geld, das die Stadt schlichtweg nicht mehr hat. Für den diesjährigen Mainzer Rosenmontagszug hatte Wagenbauer Dieter Wenger dem Rathaus der Stadt einen eigenen Themenwagen gewidmet: O-Ton 2 Nebendran sehen wir einen Wagen (?) das ist das marode Rathaus von Mainz, das also unter Denkmalschutz steht, aber vollkommen marode ist und der Stadtrat zieht um, vorne in ein Zelt rein und da halten sie jetzt ihre Ratsitzungen ab. Noch sind die Ratssitzungen im Zelt ein Karnevalsscherz, doch der Hintergrund ist bitterernst. Der langjährige Mainzer SPD- Finanzdezernent Kurt Merkator sieht eine Mitschuld der Mainzer Politik: O-Ton 3 Wir verfrühstücken im Moment unser Eigenkapital, wir deinvestieren im Moment hier in Mainz. Das Rathaus ist ein gutes Beispiel. Es gilt als das architektonisch wichtigste Gebäude der Nachkriegszeit in dieser Stadt und wir haben nicht die Mittel, um es zu renovieren. Wir haben jetzt mal 400.000 Euro zur Verfügung gestellt, um das Innendach zu renovieren, weil das Wasser im Stadtrat die Wände runter gelaufen ist. Doch das Rathaus von Mainz ist nur eine der vielen unerledigten Baustellen, mit denen die Stadt zur Zeit überfordert ist. Der SPD-Politiker Kurt Merkator versucht gar nicht erst, die Schuld für die katastrophale Finanzlage in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt nur bei Anderen zu suchen. Einiges sei hausgemacht, so Merkator, auch durch Politiker seiner eigenen Partei in früheren Jahren: O-Ton 4 Man hat in Jahren, in denen wirklich Geld genug da war, 80er und 90er Jahre, keine Reserven gebildet, sondern man hat am Ende, habe ich auch noch erlebt, Haushaltsberatungen erlebt, nach dem Motto: Wir haben noch 15 Millionen, was machen wir damit. Ohne aber die Folgekosten zum Beispiel investiver Projekte zu überdenken, die dann in den Folgejahren durchschlagen. Jockel Fuchs ? das ist der Name des seinerzeit sehr beliebten Mainzer SPD-Oberbürgermeisters, der zwischen 1965 und 1987 die Geschicke der Stadt lenkte und auch für die Investitionen dieser Zeit verantwortlich ist. Das Anfang der 1970er Jahre gebaute Rathaus ist bis heute mit seinem Namen verbunden ? das wird auch den Touristen vermittelt: O-Ton 5/Collage: Es hieß also Fuchsbau, weil es der Fuchs gebaut hat. Und dann hat man gesagt, das ist der Beamtenkäfig, weil die Fenster alle vergittert waren. Those dark?. (voice over) Diese dunkelgrünen Gitter sind keine Gefängnisgitter, sondern das ist Sonnenschutz. Ein Spitzname für das Rathaus ist Gefängnis, ein anderer Spitzname ist Fuchsbau. Nicht nur für die Sanierung des ?Fuchsbaus? fehlt das Geld in Mainz, sondern auch für die anstehende Restaurierung des Barockschlosses nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt rheinabwärts gelegen. Im Falle des Schlosses haben Aufsichtsbehörden des Landes der Stadt Mainz de facto verboten, jetzt Geld für die Sanierung auszugeben. Dezernent Kurt Merkator: O-Ton 6 Wir stehen unter Haushaltsvorbehalt der Aufsichtsbehörde, die gesagt haben, das sind Investitionen, auf die könnt ihr erstmal verzichten, die Stadt Mainz lebt auch weiter, wenn es das Schloß in dieser Form nur gibt, seht erst mal zu, das ihr eure Kindergärten-Rechtsansprüche erfüllt, das ihr eure Schulen entsprechend instand setzt und anschließend könnt ihr das Schloß machen. Wir haben das zwar im Haushalt verankert, aber im Moment kommen wir an das Geld nicht ran und wenn man ehrlich ist, der städtische Anteil ist auch kreditfinanziert. Dass seine Stadt immer noch Kredite von den Banken bekommt, wundert den städtischen Spitzenbeamten Kurt Merkator bisweilen. Allein in diesem Jahr klafft im Haushalt der Stadt Mainz eine Lücke von 110 Millionen Euro. Auch von Land und Bund erwartet Merkator in nächster Zeit keine entscheidende Hilfe: O-Ton 7 Es gibt noch ein grundsätzliches Problem, das muß man ja ganz offen sagen: Ich sehe das Problem, das auch der Bund nicht die Mittel hat, alle so zu bedienen, wie sie es eigentlich gerne hätten und das ist das Problem, das über allem steht, was Finanzen betrifft: Wir bauen im Moment eine kredit- finanzierte Finanzblase auf, auf allen Haushaltsebenen, von den Kommunen angefangen, über die Länderhaushalte bis zum Bundeshaushalt, und ja nicht nur in Deutschland. Man sieht, was in Griechenland passiert, man sieht was in Island passiert ist, das ist die nächste Blase die zu platzen droht. Ärgerlich ist für den gelernten Ökonomen Merkator, dass die Mainzer Kommunalpolitiker aller Parteien dennoch nicht den Mut für einen strikten Sparkurs haben. So habe er unlängst vorgeschlagen, die Sparte Ballett des Mainzer Staatstheaters zu schließen, an dem die Stadt jährlich mit 12 Millionen Zuschuss beteiligt ist. Die Chance sei da gewesen, so Merkator, da der Mainzer renommierte Ballettchef Markus Schläpfer die Stadt stromabwärts Richtung Düsseldorf verlassen hatte: O-Ton 8 Wir betreiben ein Drei-Sparten-Theater, auch sicher einer Landeshauptstadt angemessen. Als vor zwei Jahren der Herr Schläpfer mit seinem gesamten Ensemble bis auf zwei Leute verlassen hat, habe ich gesagt, das wäre die Gelegenheit, wir reduzieren um eine Sparte, kaufen Ballett ein aus den Nachbartheatern, wir haben Darmstadt, Wiesbaden, Frankfurt in der Nähe. Die Politik hat innerhalb von vier Wochen einen neuen Ballettmeister bestellt, mit einer neuen Kompagnie. Ich glaube, der Leidensdruck ist immer noch nicht große genug. Beim bröckelnden Rathaus der Stadt ist der Leidensdruck aber immerhin schon so stark, das man inzwischen einen Evakuierungsplan angekündigt hat. Für den Fall, dass das Rathaus wegen Baufälligkeit irgendwann gar nicht mehr benutzt werden kann. Atmo Rheinufer Dann könnte der Karnevalsscherz vielleicht doch noch Wirklichkeit werden: Ratssitzungen in einem Zelt am Rheinufer. Atmo ausblenden und Ende