COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Noch lange nicht ausgeklappert - Wassermühlen in Brandenburg von Bettina Ritter Prod.: 18. und 19. Mai 2010 Sdg.: 22.05.2010; 15.05 Uhr Redaktion: Margarete Wohlan Regie: Karena Lütge Ton: Borris Manych Jingle Deutschlandrundfahrt O-Ton 1 Christina Orphal, Tr. 75 Wenn sich ein Mühlrad dreht - das hat was mit der Ewigkeit zu tun. Da wird man ein Teil der Unendlichkeit. Dieses ewige Drehen, dieses ewige Fließen des Wassers, das hat schon etwas ganz Besonderes. Musik hoch O-Ton 2 Stephan Theilig, Tr. 25 Wir als Historiker nennen diese Menschen "Menschen befallen mit morbus molarium", das ist die Mühlenkrankheit. Das sind zum Beispiel Architekten oder Freigeister, das ist komplett heterogen, wer sich dafür interessiert. Musik hoch O-Ton 3 Kerstin Becker, Gr. 3, 3 Wenn man in so ner Mühle lebt, dann kann man sich dem nicht entziehen. Mir ist im Nachhinein auch bewusst geworden, dass das, was die Mühle ausmacht, die Kraft, die Energie, die auch hier in der Landschaft liegt, dass das auch das ist, was ich gern male, was mich als Künstler interessiert. Musik hoch O-Ton 4 Müller Behrendt, 22 Da kommt auch das Mysteriöse des Müllerberufes aus dem Mittelalter her. Da hat man gesagt, komisch, dass der das weiß, der muss ja mit dem Teufel im Bunde stehen. Sprecher vom Dienst: Noch lange nicht ausgeklappert - Wassermühlen in Brandenburg Eine Deutschlandrundfahrt mit Bettina Ritter Atmo 1 Gr. 2, 8 Mühle von innen. Klackerndes, schleifendes Geräusch Autorin 1 Die Kanow-Mühle in Sagritz an der Dahme, etwa eine Auto-Stunde südlich von Berlin. Ein unspektakuläres weißes Häuschen mit hohem Dach und roten Schindeln. Innen: Ein hoher Raum, drei Etagen, verbunden über steile Holztreppen. Alles scheint aus Holz zu sein. Die Decke, in der durch eine Klappe Säcke gezogen werden, Räder, über die schwarze Riemen laufen und schmale, viereckige Säulen, die sogenannten Elevatoren. Atmo 2 Gr. 2, 9 Sack wird aufgeschnitten, ausgeschüttet, klappernde Mühlengeräusche, Müller sagt: Säcke werden nicht mehr aufgerissen, da ist heute so ein Faden dran, schwupps, ist er auf. (Atmo: Leinsamen rieselt raus) Autorin 2 Jörg Behrendt nimmt einen von etwa 20 aufeinander gestapelten weißen Säcken aus festem Papier, öffnet ihn, schüttet die unzähligen kleinen, braunen Leinsamen-Körner in einen trichterförmigen Holz- Trog. Seit 30 Jahren unzählige Male die gleichen Handgriffe. Er zeigt auf einen Elevator, einen Fahrstuhl für Leinsamen. Darin: Becherähnliche Behälter, die - angebracht an einem Band - die Körner nach oben ins Silo transportieren. O-Ton 5 Müller Behrendt, 43 Ölfrüchte werden gequetscht. Sie müssen sich das so vorstellen, man würde ne Eisenbahnschiene nehmen und da ein Korn nach dem anderen drauflegen, dann würde der Zug kommen und dann würde alles breit sein. So arbeitet die Quetsche, mit einer nicht geriffelten Walze. Dann kommt der Leinsamen hier unten an; über diesen Kanal fällt er hier hinein in diesen Kasten und so sieht er dann gequetscht aus. Autorin 3 Behrendt greift in einen Holzkasten voll mit gequetschtem, gelb- bräunlichem Leinsamen. Ein paar Arbeitsschritte weiter läuft ein fadendünner Strahl Öl in einen Becher. 100 Milliliter in einer Stunde. Dafür nimmt der Müller 2,50 Euro. Ein guter Stundenlohn sieht anders aus. Atmo 3 16 Schritte runter, Stimmen, Säcke, Papier, 0:30 Schritte nach draußen, 17 Turbine, Wasserrauschen Autorin 4 Behrendt geht hinaus auf den Hof. Er schaut auf den Mühlteich gegenüber. Aus ihm fließt ein schmaler Fluss unter einer kleinen Brücke direkt in die Mühle, so scheint es. Das Wasser sprudelt gewaltig. O-Ton 6 Behrendt, 35 Das hier ist das Turbinenhäuschen. Bis 1925 wurde die Mühle von einem unterschlächtigen Wasserrad angetrieben, ein großes - 6-Meter- Durchmesser. Das große Wasserrad, damit musste der Müller immer rausgehen, das vereiste, im Winter blieb es stehen. Das Wasser musste gebremst oder geöffnet werden. So hat er also ein Turbinenhäuschen gebaut und eine Francis-Turbine installiert. Autorin 5 Die wenigsten Wassermühlen in Brandenburg haben heute noch ein Rad, sagt der Müller. Trotzdem arbeiten sie, wie auch die Kanow- Mühle, noch immer mit der Kraft des Wassers. Allerdings viel eingeschränkter. Der Grund: Die Natur hat sich im Laufe der Zeit verändert. O-Ton 7 Behrendt, 77 (drinnen, eventuell mit Wasserrauschen-Atmo unterlegen) Das Problem ist, und das ist in vielen Mühlen heute so, dass das Wasser eben nur für eine Stunde ausreicht, und dann kommt's nicht mehr. Wir haben zu früheren Jahren, vor 100, 200 Jahren, eben heute weniger Wasser. Und wir müssten stundenlang stauen, weil eben so wenig Wasser kommt. Da nutzen wir das wenige Wasser, das wir haben, für bestimmte Arbeiten, wo wir nicht viel Kraft brauchen und keinen Elektromotor nutzen müssen. Atmo 4 21 Vögel, Wind rauscht durch Bäume Autorin 6 Jörg Behrendt schaut auf sein Grundstück. Ein richtiges Anwesen. Ein schönes, renoviertes, rot geklinkertes, lang gestrecktes Haus, gegenüber ein ehemaliger Stall, das weiße Wohnhaus und die Mühle, dazwischen ein großzügiger, gut gepflegter Hof. Da der Müller früher nicht allein vom Getreidemahlen und Öl leben konnte, hatte er noch Landwirtschaft und Nutztiere. Alles direkt am Mühlsee. Der ist von Bäumen und Grün umgeben, Blumen blühen am Ufer in Weiß, Gelb und Rot. Eine Idylle. Musik 1 Idyllische Musik ca. 1 Minute, instrumental Robert Volkmann, Tr. 16 Piano Duets, "In der Mühle", 0:48 O-Ton 8 Frau Behrendt, 33 Manche sagen, so einsam, wie du hier wohnst, da hätte ich Angst. Ja Gott, was soll ich machen, ich bin es gewöhnt, und ich finde es schön hier. Autorin 7 Christina Behrendt sitzt in einer knallblauen Fleece-Jacke vor der Mühle in einem Gartenstuhl. Seit ihrer Geburt vor 60 Jahren lebt sie hier. Sie ist die Tochter des ehemaligen Müllers. Seit fast 200 Jahren ist die Mühle in Familienbesitz, erzählt sie. O-Ton 9 Frau Behrendt, 30 Die Mühle hat vor 200 Jahren einem Neumann gehört, der war ganz verschuldet, und dann kam ein Müller aus dem Spreewald, ein Kanow, Karl-Christian Kanow hieß der, der hatte dort eine Mühle, das heißt, er war dort Müller-Sohn, hierher und hat die Mühle ersteigert für 2170 Taler. War damals ooch ne Menge Geld. Und da sagten die Leute damals, wir gehen zum Kanow-Müller und lassen unser Getreide verarbeiten. Dann ist der Name beibehalten worden. Und hier geblieben auf der Mühle sind immer die Mädchen. Die Müller-Söhne gingen auf die Walz, verdienten woanders ihren Unterhalt und sammelten Erfahrung. Und dann kam Kretschmann hierher, hat eingeheiratet, dann kam Schönefeld, hat hier eingeheiratet, ja, und nun ist es Behrendt. So hat sich der Name gewandelt. Autorin 8 Eigentlich heißt die Mühle Wuschak-Mühle. Das ist Wendisch und bedeutet "Kleines Wäldchen hinter dem Berg". Aber noch heute sagen die Leute im Dorf "Kanow-Mühle". Hier aufzuwachsen war spannend, sagt Christina Behrendt. Auf den drei Etagen der Mühle konnte man toll Verstecken spielen, hinter den Kornsäcken oder in den Mehlkisten. Aber es gab auch eine andere Seite der Mühlen-Romantik, erinnert sich die Müllerstochter. O-Ton 10 Frau Behrendt, 10 So ne Mühle hat die Müllersfamilie kaum allein ernährt. Da war meistens noch ein anderes Gewerk dazu. Ne Bäckerei, oder ne Gastwirtschaft oder noch n Sägewerk. Bei uns war es halt die Landwirtschaft. Und in der Landwirtschaft wird am Tage auf dem Feld gearbeitet und nachts musste in der Mühle gearbeitet werden, weil frühmorgens wurde das Mehl ausgefahren, was die Becker gekriegt haben und dann konnten die das verarbeiten. So war das wirklich ein 24-Stunden-Job. Autorin 9 Nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende der 50er-Jahre hätten ihre Eltern gut zu tun gehabt, sagt Christina Behrendt. Danach begann die Talfahrt der kleinen Mühle an der Dahme. In der DDR wurde die Landwirtschaft umstrukturiert, Bäcker durften ihr Mehl nur noch von bestimmten Großmühlen abnehmen. Da kam die Kanow-Mühle nicht mehr mit. Anfangs schrotete ihr Vater noch für Dorfbewohner, die ihr Korn an ihre ein, zwei Schweine verfütterten. Doch auch damit war in den 70er-Jahren Schluss. Der Vater stellte den Mahlbetrieb ein und meldete das Gewerbe ab. O-Ton 11 Frau Behrendt, 13 Zum Leben erweckt haben wir die Mühle erst wieder nach der Wende. Es gab wieder ne Umstrukturierung in der Landwirtschaft, und da haben wir uns auf unser zweites Gewerk besonnen und haben die Ölproduktion wieder zum Leben erweckt. Wir waren schon immer ne Ölmühle und wir haben für die Leute, die hier in der Gegend waren, Ölschlag vorgenommen. Das heißt, die kamen mit ihrem Säckchen Samen hier her, meistens war's Lein, oder Raps, oder Rübsen, und dann haben wir das zu Öl verarbeitet, und dann sind die Leute mit ihrer Kanne Öl wieder nach Hause gegangen. Autorin 10 Das Öl, abgefüllt in kleinen, braunen Fläschchen mit schönem Etikett, verkauft das Ehepaar Behrendt heute auf seinem Hof. Bis vor ein paar Jahren hatten sie eine Pension. Aber die Besucher hielten sich in Grenzen, heute gibt es keine Bewirtung mehr. Das Geld reicht gerade so zum Leben. Das sagen der Müller und seine Frau nicht direkt, lassen es aber durchblicken. Die Familie sei ja nicht mehr so groß wie damals. Eigentlich sind es nur noch er und sie. Was aus der Mühle mal wird? Die beiden zucken mit den Schultern. Ihr Sohn ist nach Amerika gezogen, weil er hier keine angemessene Arbeit bekommen hat. Und in den USA gehe es ihm gut, sagt Christina Behrendt halb freudig, halb betrübt. Dass er in sein brandenburgisches Heimatdorf wegen der Mühle zurückkommt, das bezweifeln die beiden. Musik 2 Romantisch ca. eine Minute, dann runter blenden Igor Stravinsky Tr. 16 Von Anfang oder ab 0:45 ca 1 Minute stehen lassen, Orchester Sprecher Eine schöne Mühle im Tal, Sechs schöne Pferde im Stall, Und ein schönes Weib im Bett, Das sind drei Wünsche, die ich gern hätt. Hausspruch an einer Mühle. Musik 2 wieder hoch für 30 sec, dann Text Autorin 11 Brandenburg und seine Wassermühlen. Die meisten finden sich im Süden des Bundeslandes, im Spreewald, wo sich der Fluss in unzählige Wasserarme, auch Fließe genannt, verzweigt. Sprecher Vor langer Zeit hatte der Teufel seine Ochsen vor den Pflug gespannt. Als er schon ein gutes Stück für das Flussbett der Spree frei gepflügt hatte, blieben die Zugtiere erschöpft stehen und wollten nicht mehr weiter. Wutentbrannt warf der Leibhaftige seine Mütze nach den Rindviechern und schrie sie an: "Soll euch verdammtes faules Vieh doch meine Großmutter holen." Voller Panik stoben die Tiere davon, mit dem Pflug hinter drein, so erschrocken waren sie. Kreuz und quer rannten sie, und statt eines ordentlichen Flusslaufes rissen sie unzählige Fließe in die Landschaft. So entstand der Spreewald. Atmo 5 26, Vögel zwitschern, Straßenlärm Autorin 12 So will es die Sage. Historiker hingegen behaupten, dass das Spree- Tal bereits in der Eiszeit angelegt wurde. Christina Orphal hat noch eine dritte Erklärung: O-Ton 12 Orphal, 15 Haben die Mühlenstaue in Lübben den Spreewald erst verursacht? Diese Theorie gibt es ja, dass durch die Einwanderung der Deutschen vom 10. bis zum 13. Jahrhundert, die auch die Technologie der Wassermühlen mitbrachten aus dem Westen, ob diese Stauanlagen letztlich zur weiteren Vernässung des ohnehin gefällearmen Gebietes des Spreewaldes geführt hat. Autorin 13 Die Direktorin des Stadt- und Regionalmuseums in Lübben steht vor den Überbleibseln der großen Amtsmühle ihrer Stadt, drei hohe Steinhäuser, braun und gelb. Heute hat das Landesumweltamt hier seine Büros. O-Ton 13 Orphal, 15 Natürlich ist der Spreewald nicht durch den Mühlenstau in Lübben entstanden, aber es ist eine viel größere Vernässung entstanden, sodass man gezwungen war, das Wasser durch Gräbenbauten abzuleiten. Und dadurch ist dann so ein recht Urstromtalmäßiges oder Deltamäßiges Gebiet entstanden mit vielen Wasserläufen. Ausgangspunkt sind zwei Mühlen gewesen. Das war die große Amtsmühle und die kleine Amtsmühle. Autorin 14 In alten Zeiten auch große und kleine Schlossmühle genannt. Heute sind davon nur noch Reste zu sehen. Ein Fachwerkhaus, es steht leer und verfällt. Gegenüber der Mühlteich mit ein paar schwarzen, schmalen Kähnen. Mehrere Jahre hat Christina Orphal den ehemaligen Mühlen zwischen Spreewald und Schwielochsee nachgespürt. Ein schwieriges Unternehmen, wie sich schnell herausstellte, denn von vielen Mühlen gab es weder Fotografien, noch Eintragungen oder andere Dokumente. O-Ton 15 Orphal, 10 ab 0:50 Wir konnten hier etwa 60 Standorte feststellen von Mühlen, die es zum Teil seit dem Mittelalter gab, viele ließen sich urkundlich zurückverfolgen bis ins 13. Jahrhundert. Ne große Zahl wurde auch gegründet unter Karl dem Vierten im 14. Jahrhundert. Die Masse lässt sich aber nachweisen nach dem 30-jährigen Krieg, also im späten 17., frühen 18. Jahrhundert. Autorin 16 Rund 3000 Wind- und Wassermühlen gab es zu Hoch-Zeiten im 18. Jahrhundert in Brandenburg. Insgesamt 900 Standorte kennt man heute noch. Die meisten Gebäude sind allerdings zerstört. Durch den Krieg, durch Brände oder durch die mangelnde Instandhaltung zu Zeiten der DDR. Ein großer Kulturverlust, sagt Christina Orphal. Als sie sich vor Jahren auf die Suche nach den Mühlen machte, fand sie oft nur verfallene Gebäude oder einfach gar nichts vor. Schuld daran, glaubt sie, ist die Natur des Menschen. O-Ton 16 Orphal, 12 Der Mensch ist ja nicht so angelegt, dass er am Alten haftet, nur weil es so romantisch oder so poetisch ist, oder weil es viel besungen wurde. Der Mensch guckt ja nach vorne und möchte sein Leben auch so produktiv und erträglich wie möglich machen. Und das erste waren natürlich Dampfmaschinen, die eingesetzt wurden, um sich eine neue Energieform zu schaffen und vom Wasser Abstand zu nehmen. Dann kamen Dieselmotoren zum Gebrauch und letztlich die Elektrizität, die durch Wasserturbinen erzeugt worden ist oder durch Motoren, die elektrisch betrieben worden sind durch ein elektrisches Netz. Und das war das Aus für die Mühlen insgesamt. Atmo 7 34 + 36 + 37 Schritte, 40 Wasserrauschen bei Schleuse Autorin 17 Christina Orphal geht auf dem Kiesweg an den ehemaligen Mühlengebäuden vorbei. Dahinter: eine grüne Parkanlage und ein schmaler Fluss - einer der vielen Arme der Spree. Heute ist hier eine Schleuse. Orphal grüßt den Schleusenwärter, der mit einem Buch in einem Klappstuhl sitzt. Im Sommer kommen hier manchmal paddelnde Touristen vorbei. Dafür ist es heute noch zu früh im Jahr. Atmo 8 Wasserrauschen kurz hoch Autorin 18 Die Museumsdirektorin sieht sich um. Nur Mühlen, die in der Nähe von großen Städten oder strategisch günstig lagen, schafften es bis ins 19. Jahrhundert, sagt sie. So wie die Amtsmühlen in Lübben und Lübbenau oder die Getreidemühle in Burg. Die ist heute noch in Betrieb und gehört der Familie Kümmel. Privatbesitz. So etwas wie den Privatbesitz einer Mühle gab es vor hunderten von Jahren noch nicht. Wind und Wasser gehörten dem Landesfürst, der die beiden Naturkräfte dem Müller schenken und ihm eine Mühle zuteilen konnte. Der wiederum war verpflichtet, dem Fürsten einen Teil des Mehles abzugeben. Und auch die Bauern und Bäcker waren bestimmten Regeln unterworfen. O-Ton 17 Orphal, 24 ab 0:20 Es gab den Mühlenzwang. Jeder, der in einer bestimmten Entfernung oder in einem bestimmten herrschaftlichen Gebiet ansässig war, wurde gezwungen, zu einer bestimmten Mühle zu gehen, um dort sein Getreide zu mahlen. Autorin 19 So sicherte der Fürst sich selbst und seinem Müller das Einkommen. Konflikte gab es jedoch immer wieder, allerdings mehr zwischen den Müllern. Der Spruch: "Jemandem das Wasser abgraben" kommt aus dieser Zeit. Damals lagen gleich mehrere Mühlen hintereinander an ein und demselben Flusslauf, sagt Christina Orphal. Da war Streit ums Spreewasser vorprogrammiert. (Atmo 9 81 Vögel, Blätterrauschen, eventuell mit vorhergehender Atmo kreuzblenden) O-Ton 18 Orphal, 84 Von Festlegungen, wie hoch wer stauen darf, wie lange jemand mahlen darf. Dann durfte er den Schieber ziehen und der nächste war dann dran, sodass das Wasser gerecht verteilt wurde. Autorin 20 Und der Streit ums Spreewasser ist noch lange nicht vorbei. O-Ton 19 Orphal, 85 Es gibt Mühlenbesitzer, die erst nach der Wende ihre Grundstücke zurück bekommen haben und nun plötzlich sehen: ach, der Fluss ist ja umgeleitet worden, hier ist ja gar kein Wasser mehr, und die auch heute klagen, um wieder Wasser an ihre Mühlen zu bekommen. Die zum Beispiel sich vorgenommen haben, Strom zu erzeugen in ihrer eigenen Mühle. Das ist nicht so einfach. Eventuell enden lassen mit Atmo Wasserrad - langsames Drehen und Rauschen, das leise unter O-Ton gelegt wird, Atmo in Musik blenden Musik 3 Noch mal Stravinsky, Tr. 16 "At the Mill". Andere Stelle, zum Beispiel ab 1:26 mit Oboe Sprecher So lange Welten stehen, So lange Menschen sind, Werd'n Mühlräder gehen, Durch Wasser, Dampf und Wind. Alter Müller-Spruch Atmo 10 80, Museum, viele Stimmen, hallend, Husten Blenden mit Atmo 11 81 Schritte auf Treppe nach oben in Stille, Klimaanlage rauscht, vereinzelt leise Stimmen oder Musik Autorin 21 Das Deutsche Historische Museum in Berlin. Im Foyer mit den hohen Decken und dem edel dunkelbraun glänzenden Steinboden stehen Schüler in kleinen Gruppen zusammen. Über eine große Treppe geht man in die erste Etage. "Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen" heißt die Dauerausstellung. Mühlen haben in dieser Geschichte eine herausragende Bedeutung, sagt Stephan Theilig, der Vorsitzende der Mühlenvereinigung Berlin-Brandenburg. Der junge Mann in Jeans, Turnschuhen und gelb-blau geringeltem Pulli zeigt auf ein Bild mit einer Wassermühle. O-Ton 20 Theilig, 57 ab 0:30 Jeder, der eine gewisse Industrie aufbauen möchte, ein Handwerk im größeren Forman, der braucht auch Maschinen oder Gerätschaften, mit denen er Maschinen antreiben kann, und Wind- und Wasserkraft ist fast überall verfügbar, und so wird das auch benutzt zum Beispiel beim Militär. Pulvermühlen. Da wird Schwarzpulver zerstampft oder hergestellt, indem die einzelnen Komponenten zerstampft werden. Oder es gibt Papiermühlen, wo die Lumpen so lang zerkleinert werden, bis man daraus Papier schöpfen kann. Oder Kugeln hergestellt werden. Da gibt es kleine Trommeln, da werden die Steine reingeworfen oder die Bleikugeln werden so lange gedreht, wie ne Waschtrommel eigentlich, bis die rauskommen. Autorin 22 Als "Kraftwerk der Menschheit" galt die Mühle lange Zeit, und nicht nur, weil sie das lebenswichtige Mehl mahlte. Lohmühlen walkten das Leder, Sägemühlen schnitten das Holz, und es gab sogar Schiffsmühlen - bewegliche Mühlen, installiert auf Schiffen. Musik 4 Ganz heilig klingende Kirchenchoräle unter Autorin und O-Töne, wird noch besorgt Autorin 23 Eine besondere Verbindung besteht zwischen Mühlen und Kirchen. Auf Hostienbildern etwa sieht man engelsgleiche Gestalten, die Psalmbänder aus Krügen in eine hölzerne Mühle schütten, dort, wo sonst das Getreidekorn hineingefüllt wird. Unten heraus kommt nicht etwa Mehl, sondern ein kleines Jesus-Kind, das von den Heiligen Drei Königen in Empfang genommen wird. Besonders im Mittelalter war die Gleichsetzung von Kirchen und Mühlen populär. O-Ton 22 Theilig, 12 ab 0:45 Aus der Bibel her kennt man das, dass das Martyrium von Jesus auch als ein Mahlprozess beschrieben wird, das heißt, Jesus wird geopfert in der Mühle und kommt als reines, sauberes Mehl heraus, aus dem die Hostie wird. Und diesen Mahlprozess will man natürlich schützen vor Bösem. Autorin 24 Stephan Theilig steht vor einer der unzähligen Vitrinen und zeigt auf eine Handdrehmühle - ein Beigefarbener, Schallplattengroßer, ausgehöhlter Stein. An der Außenseite, dort, wo das Mehl hinausrieselt, ist ein grimmig dreinschauendes Gesicht mit einem Loch als Mund. O-Ton 23 Theilig, 12 Das ist der sogenannte Kleie-Kotzer. Das ist ein Schreck-Kopf, und der sorgt halt dafür, dass nichts Böses hineinkommt, in die Mühle. Man kann sich ja solche Sachen wie Mutterkorn oder schlechtes Getreide nicht erklären, man nimmt das so als etwas Diabolisches, und sorgt damit für einen gewissen Schutz. Zum anderen findet man solche Schreckköpfe auch in der Bedeutung des christlichen Glaubens. Autorin 25 So mancher Kleie-Kotzer schmückt noch heute ein kirchliches Taufbecken. O-Ton 24 Theilig, 14 Zum einen hat es damit zu tun, dass man Leben spendet. Wenn man Getreide zu Mehl macht - Mehl als Nahrungsmittel - das ist sehr wichtig. Zum anderen hat es mit dem Naturglauben zu tun. Man opfert das Getreidekorn. Darum finden sich viele Mahlsteine in Kirchen, weil sie als Opferstätten benutzt worden sind in vorchristlichen Zeiten. Und die werden dann in der Zeit der Christianisierung eingebaut als heilige Steine zum Beispiel in Kirchen, werden umfunktioniert zu Taufbecken. Dort findet man die überall wieder. Wenn Sie mal in alten Dörfern unterwegs sind und in Feldsteinkirchen schauen, werden Sie immer kleine Elemente von Mühlen finden. Musik 4 kurz hoch O-Ton 25 Theilig, 62 Man kann auch sagen, dass die Mühlen auch eine Art Asylrecht haben. Das macht sie mit Kirchen sehr ähnlich. Das ist das sogenannte Mühlen-Asyl. Sie haben auch im Alten Testament schon betont die Bedeutung von Mühlen, oder vom Mahlstein. Dort heißt es, verpfände niemals deinen Mahlstein, denn er bedeutet dein Leben. Musik 4 länger stehen lassen, dann Abbrechen durch Atmo 12 Geräusch lautes Knallen Tür mit Hall oder ähnlich Unheil bringendes, unangenehmes Geräusch Autorin 26 Doch es gibt auch eine andere Seite der Mühle. Die unheimliche, Unheil bringende, diabolische. Musik 5 unter Autorin und O-Töne, dann wegblenden Soundtrack "Krabat" Tr. 3, unheimlich Autorin 27 Immer etwas außerhalb des Dorfes und der Gemeinschaft, das machte die Mühlen und auch ihre Besitzer zu Außenseitern und verdächtig. Wassermühlen hatten es besonders schwer, lagen sie doch oft in einem dunklen Wald - von jeher Symbol unbeherrschbarer, oft böser Naturkräfte. Das hat Müllerstochter Christina Behrendt selbst erlebt. O-Ton 26 Christina Behrendt, 6 ab 0:30 Keiner wusste, was passiert denn da drinnen. Und dann war viel Technik in den Mühlen, und das ratterte, und das Korn wurde bewegt und verarbeitet und hinterher kam was raus, was man gebrauchen konnte zum Essen. Das war schon sehr mysteriös. O-Ton 27 Theilig, 43 Wenn jetzt eine Mühle, zum Beispiel eine Wassermühle, wenn die also wirklich in dieser dunklen Waldgegend ist mit einem dunklen Fluss, und man sagt, so manch seltsame Dinge geschehen da in diesem Wald, wenn man dort lang läuft und dann gibt es noch Nebelschwaden dazu, und dann klappert die Mühle ganz langsam und das Holz ächzt so vor sich hin, das gibt manchmal schon eine gruselige Stimmung. Musik 5 kurz hoch und stehen lassen, dann weg Autorin 28 So gruselig und unheimlich, kein Wunder, dass die Mühle eine Inspiration für jede Menge Märchen und Sagen ist. Heinrich Heine schrieb gleich mehrere Gedichte über das vermeintlich romantische Müller-Gewerbe. Franz Schubert lässt in seinem Liederzyklus der "Schönen Müllerin" eben diese besingen. Und dann natürlich Wilhelm Busch, der den Mahlprozess zynisch und brutal darstellt. O-Ton 28 Müller Behrendt, 78, im Hintergrund: leise Mühlen-Atmo (drinnen) Ja, wie heißt es denn bei Wilhelm Busch: Max und Moritz wehe euch, das ist euer letzter Streich. Wozu müssen auch die beiden Löcher in die Säcke schneiden. Seht, da trägt der Bauer Mecke einen seiner Malter-Säcke. Aber kaum, dass er von hinnen, fängt das Korn schon an zu rinnen und verwundert steht und spricht er: Zapperment, das Ding wird lichter. Hei, da sieht er voller Freude, Max und Moritz im Getreide. Raps, in einen großen Sack schaufelt er das Lumpenpack. Max und Moritz wird es schwüle, denn nun geht es nach der Mühle. Meister Müller, he, heran, mahl er das, so schnell er kann. Her damit, und in den Trichter, schüttelt er die Bösewichter. Ricke racke, ricke racke, geht die Mühle mit Geknacke. Hier kann man sie noch erblicken, fein geschrotet und in Stücken. Und sogleich verzehret sie Meister Müllers Federvieh. Autorin 29 Der Müller als herzlose, sogar böse Gestalt - nicht nur Wilhelm Busch beschreibt ihn so. Ihm eilt ein schlechter Ruf voraus, er sei ein Betrüger, ein Sklaventreiber und überhaupt, ging nicht sowieso etwas Diabolisches von ihn aus? Oft wurde er zu Tätigkeiten herangezogen, die andere nicht machen wollten, oder konnten. So war er auch derjenige, der den Galgen aufbauen musste, wenn im Dorf jemand gehängt werden sollte. Und das war keine besondere Ehre. O-Ton 29 Müller Behrendt, 22 ab 0:18 Man hat den Müller da für viele Sachen genommen, und da kommt auch das Mysteriöse des Berufes und des Müllers aus dem Mittelalter hervor - in der heutigen Sprache: sie mussten für vieles qualifiziert sein. Sie mussten das Wasser beherrschen und komplizierte Maschinen. Und dann noch die Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte. Und da hat man gesagt, was der alles weiß! Komisch, dass der das weiß, der muss mit dem Teufel im Bunde stehen. Autorin 30 Und noch einen Grund gibt es, warum die Dorfbewohner den Müller nicht mögen: Er ist ein Liebling des Fürsten, da er ihm Geld einbringt. Die Mühle, Wind und Wasser gehören dem Landesherrn und der Müller muss dafür bezahlen. Darum behält er bei jedem Mahlgang von den Bauern die sogenannte Metze ein, ein sechzehntel des vermahlenen Getreides. Natürlich können sie das nicht genau überprüfen und verdächtigen den Müller des Betrugs. Ein Missverständnis, sagt Müller Jörg Behrendt. Er überlegt kurz, dann versucht er zu erklären: O-Ton 31 Müller Behrendt, 23 Es ist ja so jewesen: Der Bauer hat 50 Kilo in die Mühle gebracht, der Müller hat 50 Kilo jewogen. Dann muss man immer daran denken, dass das Getreide ja feucht ist. Und, nehmen wir mal an, das Getreide hat ne Feuchte von zehn Prozent, dann würde der Bauer anstatt 50 Kilo Weizen 45 Kilo Weizen in die Mühle bringen und fünf Kilo Wasser. Jetzt verarbeitet der Müller den Weizen und macht Getreideschrot daraus, und dann trocknet das runter. Dann würde der Bauer aber sagen: Ich hab dir 50 Kilo gebracht, jetzt musst du mir 50 Kilo wiedergeben. Und da sagt der Müller, da waren ja zehn Prozent Wasser! Das haut nicht hin. Musik 6 "Das Mühlrad" von Conrad Kreutzer gesungen von Fischer-Dieskau "Lieder der Romantik", Tr. 2, sehr romantisch Atmo 13 Vogelgezwitscher, zusammenfaden mit Atmo Autofahren Autorin 31 Das Dahmetal, etwa 75 Kilometer südlich von Berlin. 350 Einwohner leben hier, verteilt auf die zwei Ortschaften Görsdorf und Wildau- Wentdorf. Nach wenigen Kilometern: Ein Aufstell-Schild am Wegesrand: Heidemühle - Kunstatelier Kerstin Becker. Von der Landstraße geht es auf einen unbefestigten Weg. Am Ende: Ein etwa sechs Meter hoher, vierstöckiger, schmaler Bau aus rotem Stein. O-Ton 32 Kerstin Becker, Gr. 5, 2 Das ist das Mühlengebäude an sich. Da war früher der Mahlvorgang drinne. Da es viele Jahre ohne Dach da stand, sind alle Etagen mehr oder weniger kaputt - das nutzen wir als Scheune. Da sind alle Böden raus, das ist im Prinzip ein hohler Zahn. Autorin 32 Kerstin Becker steht im Hof vor dem Mühlengebäude auf einem Kiesweg, links von ihr das Wohnhaus. Vor 28 Jahren haben Kerstin Becker und ihr Mann die Mühle entdeckt und gekauft. O-Ton 33 Becker, 7 (drinnen, eventuell mit Draußen-Atmo unterlegen) Ende 82 haben wir die entdeckt, da war im Prinzip alles eingestürzt und zugewachsen, wie ein verwunschenes Märchenschloss. Das war als Mühle natürlich nicht mehr genutzt, schon lange nicht mehr. Und dann war zwischenzeitlich auch die LPG mal drin mit Broiler-Aufzucht. Und als dann die Gebäude anfingen, kaputt zu gehen, sind die einfach wieder ausgezogen und haben alles sich selbst überlassen. Und nun stand es viele Jahre schon leer und fiel in sich zusammen. Ja, da gab es ne Menge Arbeit. Autorin 33 Die bis heute anhält. Ein ständiger Prozess, sagt die Künstlerin. Über die Tausende von Euro, die sie hier hinein gesteckt hat, will sie lieber nicht reden. Atmo 14 Gr. 6, 4 Schritte draußen, Wind, Regen, 0:20 Wasserrauschen, Wehr, aus Rinne plätschert Regen Autorin 34 Dass das Anwesen mal eine Wassermühle war, daran erinnert heute kaum noch etwas. Anders als bei Windmühlen, die auch nach dem Verlust ihres Rades durch ihre runde Form als ehemalige Mühlen zu erkennen sind, sehen Wassermühlen aus wie normale, solide gebaute Wohnhäuser. Nur ihre Lage, immer an einem Fluss, immer etwas außerhalb des Dorfes, verrät sie. Kerstin Becker macht eine Geste, ihr zu folgen. Sie geht um den "hohlen Zahn", wie sie das Mühlengebäude nennt, herum, unter einem gemauerten Bogen hindurch. Atmo 15 Wasserrauschen Autorin 35 Hinter dem Haus ist plötzlich alles klar: Ein saftig grün blühendes Wäldchen, bemooste Steine und die Dahme, die wild über ein Wehr fließt. Hier ist sie spürbar, die Romantik, die der Wassermühle nachgesagt wird. Und auch die Mühle ist auf einmal wieder da. Kerstin Becker zeigt auf eine halbrunde, hölzerne Konstruktion, die auf einem Moosbett im Wasser liegt. O-Ton 34 Becker (hat Eigenatmo Wasserrauschen), 10 Da drüben liegt so ein kleiner Rest noch vom Rad, und das sind die Achsköpfe, die früher die Achse begrenzt haben, die das Wasserrad geführt hat. Hier auf der Seite sieht man noch, da war die Achse drin, und da hinten noch Dachpappe, da war das überdacht. Atmo 16 Schritte auf Kies, dann nach innen Autorin 36 Kerstin Becker dreht sich um, geht in ihr Atelier. Ein 200 Quadratmeter großes Zimmer. Auf zwei raumfüllenden Tischen stehen ihre Werke: Plastiken aus heller Keramik. An den Wänden: Landschaftsbilder mit Bäumen, die der Wind wild zur Seite beugt. Wie viele, die sich heute in ehemaligen Mühlen niederlassen, kommt Kerstin Becker ursprünglich nicht aus Brandenburg. Sie ist eine der Hergezogenen. Die Landschaft habe sie sofort fasziniert und inspiriert, sagt sie. Das zeigen auch ihre Bilder: weite Felder und Wiesen, der freie Himmel und glitzernde Flüsse und Seen. O-Ton 35 Becker, Gr. 3, 4 Es ist ständig bewegt. Es hier fast wie an der Küste. Die Bäume bewegen sich, die Wolken ziehen, das Bild ändert sich ständig, die Lichtverhältnisse! Die Energie, die hier in der Natur ist, die reizt mich, und, Sie werden es auch immer wieder in meinen Bildern sehen, das zu malen. Musik 7 "Das wandern ist des Müllers Lust" "Männerchöre singen die schönsten Volkslieder", Tr. 1, Männerchor acapella Autorin 37 Der Müller als Symbol für Freiheit und Romantik. So wird er in Literatur, Kunst und Musik gern dargestellt. Aber es umgibt ihn auch ein zweifelhafter Ruf. Der des Betrügers, der bösen Gestalt. Zum Beispiel in Otfried Preußlers Jugendbuch "Krabat". Krabat, ein Waisen- Jungen, der als Geselle in der Schwarzen Mühle im Koselbruch anheuert. Die Geschichte spielt in der Lausitz und hat ihren Ursprung in einer sorbischen Sage. Getrieben von Hunger, macht sich der 14 Jahre alte Krabat auf, die Mühle zu suchen und erlebt gar Unheimliches. Musik 8 Eventuell Spannungsmusik aus Schallarchiv Ausschnitt Otfried Preußler liest "Krabat", oder, falls das rechtlich nicht geht, vom Sprecher gelesen Da sah Krabat die Mühle. Sie lag vor ihm, in den Schnee geduckt, dunkel, bedrohlich, ein mächtiges, böses Tier, das auf Beute lauert. Er klopfte einmal, zweimal: Nichts rührte sich drinnen. Da drückte er probehalber die Klinke nieder: die Tür ließ sich öffnen, sie war nicht verriegelt, er trat in den Hausflur ein. Grabesstille empfing ihn und tiefste Finsternis. Hinten jedoch, am Ende des Ganges, etwas wie schwacher Lichtschein. Der Schimmer von einem Schimmer bloß. Sein Blick fiel in eine schwarze, vom Schein einer einzigen Kerze erhellte Kammer. Die Kerze war rot. Sie klebte auf einem Totenschädel, der lag auf dem Tisch, der die Mitte des Raumes einnahm. Hinter dem Tisch saß ein massiger, dunkel gekleideter Mann, sehr bleich im Gesicht, wie mit Kalk bestrichen; ein schwarzes Pflaster bedeckte sein linkes Auge. Nun hob er den Kopf und starrte herüber, als habe er Krabat hinter der Tür ausgemacht. Der Blick ging dem Jungen durch Mark und Bein. "Ich bin hier der Meister. Du kannst bei mir Lehrjunge werden, ich brauche einen. Du magst doch?" "Ich mag", hörte Krabat sich antworten. Seine Stimme klang fremd, als gehörte sie gar nicht ihm. "Und was soll ich dich lehren? Das Müllern - oder auch alles andere?", wollte der Meister wissen. "Das andere auch", sagte Krabat. Autorin 38 "Alles andere", das ist im Krabat die Schwarze Magie. Einmal pro Woche verwandelt der Müller, der auch ein Zauberer ist, die zwölf Gesellen in schwarze Raben, die für ihn ausschwärmen müssen. Er lehrt sie, sich in jedes erdenkliche Tier und wieder zurück zu verwandeln, oder ihren Körper zu verlassen. Einmal im Jahr kommt einer von ihnen zu Tode und wird durch einen neuen Lehrling ersetzt. Bevor es zum Show-Down kommt und Krabat und sein Meister sich gegenüber stehen, müssen er und seine Gesellen-Kollegen in der Mühle arbeiten bis zum Umfallen. Das ist die Geschichte von Krabat. Einen wahren Kern hat sie, sagt der Historiker Stephan Theilig. Atmo 17 Geräusch: Steine mahlen aufeinander, unter O-Ton O-Ton 36 Theilig, 46 Es gibt dieses Bild der Knochen-Mühle. Die Müllerei an sich ist ja nicht nur ein spaßiger Job, sondern es ist ein harter, harter Arbeitstag, der immer dann läuft, wenn die Natur es zulässt. Das geht auch auf die Knochen, und Knochenmühlen sind bekannt. Vor allem im 19. Jahrhundert gibt es von den anfänglichen Gewerkschaften diese Bedeutung der Knochenmühle, wenn man gegen Industrielle vorgehen will, die ihre Arbeiter ausbeuten, dann sagt man, die zermahlen und missbrauchen dort ihre Angestellten, bis es nur noch Knochenmehl ist. Autorin 39 Aber es gibt auch positive Darstellungen, vor allem der Mühle und des Müller-Handwerks. Volkslieder wie "Es klappert die Mühle am rauschenden Bach" besingen die Mühle fast immer als romantischen Ort. Die Literatur beschreibt die Müllerei als ehrenwerte Tätigkeit. Auch die Gemälde des Barock zeigen oft eine Mühle. Sie steht für die Hinwendung zur Natur - Romantik pur. Besondere Aufmerksamkeit bekommt aber die Müllersfrau. Musik 8 "Die schöne Müllerin", Franz Schubert, gesungen von Tomas Quasthoff Tr. 8 Guten Morgen, schöne Müllerin! Wo steckst du gleich das Köpfchen hin, als wär dir was geschehen? Verdrießt dich denn mein Gruß so schwer? Verstört dich denn mein Blick so sehr? So muss ich weiter gehen. O lass mich nur von ferne stehn, nach deinem lieben Fenster sehn, von ferne, ganz von ferne. Du blondes Köpfchen, komm hervor! Hervor aus eurem runden Tor, ihr blauen Morgensterne! O-Ton 37 Theilig, 38 Die schöne Müllerin, das muss man direkt dem Schubert anlasten. Der ist mit daran Schuld, dass man dieses Bild hat von dieser schönen, netten Frau, die sich aus dem Fenster lehnt, und einfach immer nur lächelt, vielleicht manchmal etwas devot, und manchmal stark erotisierend. Tatsächlich sind Mühlen tatsächlich manchmal als Rotlichtbezirke benutzt worden. Sie sind ja außerhalb der Gesellschaft, des sozialen Gefüges, und da gibt es manchmal die Idee, dass es dort ein Techtelmechtel gibt. Vereinzelt ist das wahrscheinlich auch vorgekommen, aber wie das bei den Menschen so ist, ein Beispiel reicht, um das zu generalisieren. Und des öfteren wurden Müllerinnen als, ich würd nicht sagen, schlampig bezeichnet, aber doch sehr, sehr leger im Umgang mit Männern. Autorin 41 Die schöne Müllerin selbst - wie Christina Behrendt ja eine ist - sieht das natürlich ein bisschen anders. O-Ton 38 Christina Behrendt, 16 Die schöne Müllerin, ja! Die Prinzessinnen waren damals auch immer schön. Ja, waren se schön? Auf jeden Fall hatten se Geld. Das wurde damit assoziiert. Ob das mit der Mühle auch so war? Weiß nicht. Vielleicht. Es war ein Unternehmen, das dort stand, das die Familie ernährt hat, und jeder hat sich darum gerissen. Und somit hat man sich auch um die Müllers-Tochter gerissen, weil man dort einheiraten konnte und die Existenz weiterführen konnte. Früher waren die Zeiten wesentlich härter als heute. Musik 9 Hart oder mit Schallplatten-Kratzen raus Autorin 42 Noch einmal zurück zum Unheimlichen, bevor wir es vergessen. Natürlich spukt es auch in der Mühle! Nicht nur Geister sorgen dafür, dass es nachts in der Mühle knackt und knarzt. Auch der Mühlenkobold! So einen hat jede Mühle, sagt Müllers-Tochter Christina Behrendt. O-Ton 39 Christina Behrendt, 7 Vielleicht war es aber auch so ein bisschen Abschreckung, damit nicht alle Kinder dort spielten, denn es war ja für Kinder was ganz interessantes, so ne Mühle! Na, da hat man gern drin gespielt. Da waren Verstecke in allen Ecken. Das war spannend! Aber so ne Mühle ist eben auch gefährlich! Und es ist leider oft zu Unfällen gekommen, und da hat man den Kobold als Abschreckung herbeizitiert. Autorin 43 Als Abschreckung, aber auch als Schutz der Müllersleute. Gut und Böse liegen im Aberglauben nah beieinander. Natürlich hat auch die Kanow-Mühle einen Kobold. Ganz oben sitzt er im hölzernen Gebälk, direkt unter dem Dach. Müller Behrendt legt den Kopf in den Nacken, schaut nach oben. Da ist er, der Kobold, hat ein rundes, Rosafarbenes Gesicht, einen blauen Pulli an und grinst auf uns herunter. O-Ton 40 Müller Behrendt, 73 ab 0:44 Reporterin: Ne Puppe! Müller Behrendt: Sehen Sie so, ne Puppe! Ich sage, das ist der Kobold! (lacht) Musik 10 Es klappert die Mühle am rauschenden Bach (als quasi Spieluhrmelodie, kindlich, instrumental), "Spieuhrmelodien", Tr. 12 Atmo 18 Orphal, 80 Wasser rauscht an Mühle, 81 Vögel zwitschern, ab und zu fährt ein Auto vorbei, Wind in Bäumen Autorin 44 Die Historische Mühle in Schlepzig, einem kleinen Dorf bei Lübben. Ein großes Fachwerkhaus mit hohem, rotem Dach. Über der Eingangstür aus massivem, dunklem Holz das Müller-Wappen: zwei Löwen, die von rechts und links ein Zahnrad greifen. Darunter zwei Weizenähren und der Spruch: Glück zu! Der Müller-Gruß. 1740 erbaut, ist sie seit dem Jahr 2000 wieder in Betrieb. Im Shop verkaufen die Angestellten Vollkornbrot und Müsli, hauptsächlich dient sie aber als Museum. Sie ist eine der ganz wenigen Mühlen in Brandenburg, die wieder restauriert wurden, sagt Christina Orphal. Die Direktorin des Lübbener Stadt- und Regionalmuseums hat sich auf eine der beiden Bänke vor dem Fachwerkhaus gesetzt und schaut kritisch. Sie findet es schade, dass so wenige Mühlen in Brandenburg unter Denkmalschutz gestellte wurden. O-Ton 41 Orphal, 95 Gerade im Altkreis Lübben ist es sehr traurig, wenn man sich diese alten Mühlenstandorte anschaut. Ich hab mich auch immer bemüht, wo könnte man was erhalten, oder jemanden animieren (seufzt), ja, aus seiner einstigen Mühle wieder eine Mühle zu machen, aber es ist eben doch ein großer Aufwand und das kann man auch privaten Leuten nicht zumuten, und ohne Fördermittel geht das glaub ich gar nicht. Autorin 45 Deshalb gibt es nur wenige, die sich trauen, eine Wassermühle zu kaufen und sie wiederherzurichten. 55 Mühlen gibt es laut Mühlenvereinigung Berlin-Brandenburg geben, die instand gesetzt wurden. Davon werden wiederum mindestens zwölf Gebäude anders genutzt: Als Gaststätten, Ausflugslokale, Museen, Ateliers, Pensionen, Fitnessstudio oder auch einfach zum Wohnen, weiß Stephan Theilig, der Vorsitzende des Vereins. O-Ton 42 Theilig, 36 Wenn man das macht, dann ist das schon was Besonderes, das hat was Exotisches. So ein bisschen Extravaganz ist schon dabei. Wenn man jenseits vom museologischen Aspekt, technisch-historisch oder so, ne Mühle betreiben will, sondern in einer Mühle nur wohnen will, ist das schon ne Art Individualismus, der nach Außen hin schon etwas "posig" wirkt ... Eventuell Musik 11 Loungemäßg, Lifestylemäßig Autorin 46 Der Architekten-Traum vom Holzboden mit Geschichte, großzügigen Wohnflächen mit einem Designer-Teppich hier und einem Leder- Stühlchen dort - der hat sich bisher nur für wenige erfüllt, weiß Christina Orphal. O-Ton 43 Orphal, 86 Ich habe eine Mühle gesehen, die hatten sich zwei Aussteiger aus Berlin - so würde ich sie nennen - gekauft, und ich hab mir gedacht: so will ich nicht leben. Wenn ich Angst haben müsste, dass durch die Bodendielen dann jede Nacht Wasserratten in mein Schlafzimmer kommen, das hätte ich nicht drauf. Aber so was gibt es durchaus, die Romantik geht soweit, dass sich manche Leute sagen, och, einmal im Leben ne Wassermühle besitzen. Meistens platzen solche Träume aber. Man verkalkuliert sich und dann kann es unter Umständen ein trauriges Ende nehmen. Autorin 47 Auch wenn der Lifestyle-Traum für manchen platzt, die Mühlen, die noch in Betrieb sind, mahlen noch. Und das seit Hunderten von Jahren. Die Arbeit hat sich nicht verändert. Ein bisschen einfacher ist sie geworden. Kein Fürst, der mehr die Hand aufhält, und von den Naturkräften ist man unabhängig. Aber es ist nicht unbedingt leichter geworden, sagt Müllersfrau Christina Behrendt: O-Ton 44 Frau Behrendt, 33 ab 0:36 Mit Romantik - ja, hat manches nicht viel zu tun, denn die Romantik hat auch immer die zweite Seite, es hat immer mit viel Arbeit zu tun, damit es ein bisschen hübsch aussieht, muss man doch ne ganze Menge tun. Da hat man mit dem Ufer zu tun und mit dem Wasserlauf. Ach, da sind so viele Sachen, die einem spontan einfallen, wo immer was zu tun ist. Eventuell Musik und Mühlen rauschen blenden mit Kennmusik Absage/Sprecher Noch lange nicht ausgeklappert - Wassermühlen in Brandenburg Das war eine Deutschlandrundfahrt mit Bettina Ritter 1