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Frankfurter Allgemeine Zeitung Sprecher vom Dienst: Justitia und ihre Souffleure Rechtsfindung als öffentliches Schauspiel? Eine Sendung von Sabine Voss O-Ton 1 Koppenhöfer Der Großteil unserer Arbeit geht fast ohne öffentliche Beobachtung vonstatten, und selbst wenn wir hier Gerichtsreporter haben, lokale, für die ist natürlich viel interessanter, wenn ein Hund einen Rentner beißt oder ein Rentner einen Hund. Schwurgericht ist immer sehr interessant, Blut, Sex and Crime, das sind immer die Dinge, die interessieren. Aber nicht Wirtschaft. Sprecherin Als vorsitzende Richterin im sogenannten "Mannesmann-Verfahren" hat Brigitte Koppenhöfer dennoch viel Aufsehen erregt. Auf der Anklagebank saßen ehemalige Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsratsmitglieder des Unternehmens, darunter: Klaus Esser, Josef Ackermann, Joachim Funk. Gegenstand des Verfahrens waren dienstvertraglich nicht vereinbarte, als Anerkennungsprämien deklarierte Zahlungen in Millionenhöhe. Geld, das im Zusammenhang mit der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone floss. Was hier also vor Gericht verhandelt wurde, war aus Sicht der meisten Bürger eine vom Alltagsleben völlig entkoppelte Moral der Wirtschaftselite. Der öffentliche Druck war entsprechend groß. O-Ton 2 Koppenhöfer Der Druck war enorm. Den Druck merkt man daran, dass viele - nicht nur das enge Umfeld, die Verwandtschaft, die Putzhilfe, die Nachbarschaft, die Freunde, die Kollegen - interessiert sind, sondern man sieht das Verfahren in der Presse wieder. Man wird öffentlich benotet, manche Zeitungen schreiben auch: Mangelhaft für die Richterin, oder manche Verteidiger lassen sich dann ganz großväterlich herab und sagen, das macht sie gut oder weniger gut oder wie auch immer, das hat man ja sonst in den Verfahren nicht. Auch dass ich eine Frau bin, hat sicher eine Rolle gespielt, mein Aussehen wurde ständig irgendwie kommentiert. Ich wurde beschrieben als die kleine zierliche Frau - Sie sehen mich ja - das war ich nie, weder klein noch zierlich - mit der zarten Stimme, auch das hatt' ich nie. Im Nachhinein hat das einen hohen Unterhaltungswert, währenddessen habe ich mich schon manchmal gefragt, wo kommt das her, wer will da was mit erreichen? Sprecherin Der Richter repräsentiert das Recht, und es liegt in der Konsequenz seiner Unparteilichkeit, dass er ein Unbekannter ist. Alles Subjektive und Private würde ihn als einen Menschen mit Ansichten und Präferenzen erscheinen und Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit aufkommen lassen. O-Ton 3 Koppenhöfer Deswegen ziehen wir uns ja auch unsere Roben über. Damit wir nicht als Personen wahrgenommen werden, sondern als das Gericht, als die Kammer, als die Vorsitzende von mir aus, nicht als Brigitte Koppenhöfer. Sprecherin Stellt diese Vorkehrung eine ungestörte Rechtsfindung sicher? Immunisiert die Robe den Richter gegenüber Einflussnahme? O-Ton 4 Koppenhöfer In der Arbeit selbst, in der Hauptverhandlung, im Beratungsraum, in unseren Büros arbeiten wir ja als Strafkammer wie immer, im Team, unter den Bedingungen und den Umständen, die wir immer haben. Die Erwartung der Öffentlichkeit wird fühlbar, merkbar, lesbar außerhalb der Hauptverhandlung, außerhalb der Beratungen. Wir haben auch immer den Vorteil, wir sind fünf entscheidende Leute, drei Berufsrichter, zwei Schöffen, jeder erfährt das anders, erlebt das anders, und das kann man, wenn man es bemerkt, diskutieren und dem entgegnen, durch Gespräche, durch Klarlegen. Und deswegen, denke ich, können wir in dem Moment, wo wir uns unsere Robe überziehen, auch davon abstrahieren. Wir probieren es zumindest. O-Ton 5 Cloidt Dieser öffentliche Druck, der in solchen Verfahren ist, führt zu einer, denk ich mal, ganz großen Vorsicht in dem, was man macht. Das führt nach meiner Erfahrung auch bei mir dazu, dass ich mir eine Äußerung, wem gegenüber auch immer, Verfahrensbeteiligten, der Öffentlichkeit gegenüber, nicht nur dreimal überlege, sondern fünfmal überlege. Sprecherin Als Staatsanwalt ist Thorsten Cloidt der staatliche Vertreter von Strafverfolgungs- und Sicherheitsinteressen. Vom öffentlichen Erwartungsdruck fühlt er sich immer dann betroffen, wenn der Ruf nach hohen Strafen, hartem Durchgreifen an ihn ergeht - zum Beispiel als Ermittler wegen Betrugs im millionenschweren Fußballgeschäft: Der damalige DFB-Schiedsrichter Robert Hoyzer ließ sich von der Wettmafia bestechen, manipulierte Spiele und löste eine Vertrauenskrise im deutschen Profifußball aus. O-Ton 6 Cloidt Die Presse machte Druck, sie wollte Hoyzer richtig heftig bestraft sehen, was ja auch nicht unbedingt falsch ist, aber wo man dann sieht, das, was sich die Öffentlichkeit oder die veröffentlichte Meinung da so vorstellt, das ist schon rein rechtlich gar nicht drin. Wir haben uns damals sehr umfangreich, auch unter Mithilfe einer speziellen Polizeitruppe, die extra dafür gegründet worden ist, mit dieser Sache beschäftigt, dadurch, dass die Öffentlichkeit so einen massiven Anteil daran genommen hat, war es für uns natürlich umso mehr ein Ansporn, sag ich mal, das Ganze möglichst weit und möglichst tief aufzuklären. Sprecherin Ein Staatsanwalt unterliegt in allem, was er tut, einer Objektivitätsverpflichtung, deren Verwirklichung allerdings mit einem Paradoxon behaftet ist: Denn der Staatsanwalt spielt in der Rechtsfindung eine Doppelrolle. Als Ermittler sucht und sammelt er Beweismittel, wertet sie aus und fällt eine Prognose-Entscheidung: Wenn die Beweise seiner Auffassung nach mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung führen werden, erhebt er Anklage. Spätestens als Anklagevertreter tritt er dem Angeklagten als Kontrahent gegenüber, als Prozesspartei, die im Wettbewerb mit der Verteidigung Staatsinteressen vertritt. Und gerade in dieser Rolle als Ankläger bekommen Staatsanwälte, die im Rampenlicht stehen, häufig öffentlichen Rückenwind. Regie 2 Sprecher Kinderporno-Razzia - Brisanter Fund erhärtet Verdacht gegen Bundestagsabgeordneten Tauss. Die Welt. Sprecherin U-Haft, um Männer vor Ansteckung zu schützen - "No-Angels"-Star Nadja HIV positiv. BILD. Sprecher Pikant! Neue Sex-Details aufgetaucht - Seit vier Monaten sitzt Jörg Kachelmann in U-Haft und wartet auf seinen Prozess. Die Bunte. O-Ton 7 Cloidt Die Staatsanwaltschaft ist die objektivste Behörde der Welt. Das wird manchmal in der Presse oder auch von Verteidigern gerne persifliert -: Unsere Aufgabe ist es, umfassend alles Be- und Entlastende zu ermitteln und objektiv, unter Nichtansehung der Person eine Entscheidung zu treffen. Und ich meine jedenfalls, dass ich in meiner bisherigen Laufbahn dem auch gerecht geworden bin, weil ich genau das auch versucht habe. O-Ton 8 Mönikes Die Ermittlungsbehörden machen zusehends PR in der eigenen Sache. Und sie wollen die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass es richtig ist, dass sie ermitteln, dass sie jemanden beschuldigen, dass sie Anklage erheben. Und diese Art von PR ist unserem Rechtswesen, anders als man es in amerikanischen Filmen kennt, fremd. Sprecherin Jan Mönikes war als anwaltlicher Beistand des damaligen SPD- Bundestags- Abgeordneten Jörg Tauss bei der Durchsuchung von dessen Büro und Dienstwohnung zugegen - und mit dabei auch all die Medienkonsumenten einer bizarren "Live- Übertragung" der Ermittlungsarbeit vor Ort. Im Viertelstundentakt wurden Ermittlungsergebnisse detailliert an Online-Medien weitergegeben, die bereits eine halbe Stunde nach Beginn der Durchsuchung einen Erfolg melden konnten: Die Ermittler seien fündig geworden mit "einschlägigem Material" - gemeint war Kinderpornographie, die sich beschafft zu haben, der ehemalige Medienbeauftragte der SPD verdächtigt wurde. O-Ton 9 Mönikes Ich bekam natürlich laufend von draußen sowohl E-Mails auf dem Blackberry und natürlich sofort Anrufe aus dem Büro, die mir gesagt haben, hör mal, auf dem Ticker bei n-tv läuft das und das, hier meldet dpa gerade das und das, und das ist schon sehr live gewesen, dass also live aus einer Durchsuchung berichtet wird, dass während des Erstkontaktes schon Kamerateams sich aufbauen vor der Tür und, bevor Sie überhaupt wissen, wie Ihnen geschieht, Sie schon in den Medien Thema sind. Aber Sie müssen sich heutzutage darauf einstellen. Die Redaktionszeit, leider, gerade bei Falschmeldungen gibt ihnen häufig nur noch Reaktionszeiten von einer vielleicht halben Stunde, in der Sie versuchen können zu verhindern, dass eine Falschmeldung erst mal draußen ist. Sprecherin Der Nachrichtensender Phoenix blendete während der laufenden Bundestagsdebatte auf seinem Newssticker ein, dass ausgerechnet "auf dem Rechner" des SPD- Abgeordneten Jörg Tauss, prominentester Gegner von Zensur im Internet, "kinderpornographisches Material gefunden wurde". Für die Befürworter der Internetsperren-Initiative der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen muss diese Nachricht ein Volltreffer gewesen sein. Denn ab jetzt wurde Tauss' Kritik an Verbotsregelungen für das Internet im Licht des verwerflichsten Eigennutzes gesehen. Was die Ermittler in seiner Dienstwohnung fanden, waren lediglich DVDs, Beweismittel zumal, die zum Zeitpunkt der Meldung noch gar nicht ausgewertet waren. O-Ton 10 Mönikes Es gibt eigentlich ein sehr geordnetes, sehr nachvollziehbares, sehr erprobtes System in unserem Rechtstaat, wie mit Beschuldigungen umgegangen wird. Es reicht in solch einem Fall völlig aus, darüber zu informieren, dass man jemanden festgesetzt hat, dass ihm Folgendes vorgeworfen wird, dass der Stand der Ermittlungen der und der ist, dass die Unschuldsvermutung gilt und dass ansonsten momentan bis zum Abschluss der Ermittlungen keine weiteren Informationen darüber erfolgen. Punkt. Das sichert ausreichend für die Öffentlichkeit, dass da niemand heimlich verschwindet in irgendwelchen Gefängnissen - weil daher kommt dieser Informationsanspruch. O-Ton 11 Cloidt Hier wird keine PR durch die Staatsanwaltschaft betrieben. Das ist nicht so. Wenn ich jetzt massiv in die Öffentlichkeit gehe und eine aggressive PR veranstalten würde, da kann ich Ihnen ganz klar sagen, mir als Staatsanwalt bringt das gar nichts! Das Verfahren findet eigentlich außerhalb meiner Ermittlungsakten statt, das behindert ganz klar ein Ermittlungsverfahren, weil das Nebenkriegsschauplätze eröffnet werden, die mit dem eigentlichen Ermittlungsverfahren gar nichts zu tun haben. Regie 3 Sprecher Intimes inszeniert und vorgeführt - Wie die Staatsanwaltschaft nach der Verhaftung einer Pop-Sängerin Details ausbreitete, über die sie besser geschwiegen hätte. Süddeutsche Zeitung. Sprecherin Fall Kachelmann - Beschwerden wegen "blindem Jagdeifer" der Behörden. Focus Sprecher Urteil jetzt - Prozess später. Mal trifft es einen Abgeordneten, nun eine Sängerin. Was die vorverurteilende Medienarbeit vieler Staatsanwälte anrichtet. Süddeutsche Zeitung Sprecherin Dass eine Ermittlungsbehörde nicht öffentlich sondern abgeschirmt operiert, entspricht der Logik, insofern ein Durchsuchungsbeschluss nur Sinn macht, wenn der Durchsuchte davon überrascht wird und Beweismittel nicht vorher beiseite schafft. Das Recht billigt deshalb dem Staatsanwalt einen Informationsvorsprung zu und erlegt ihm gleichzeitig besondere Vorsicht mit öffentlichen Verlautbarungen auf: Diese dürfen den Untersuchungszweck nicht gefährden und dem Ergebnis nicht vorgreifen. In der Logik der Medien aber liegt es, im schnellen Spiel mit Nachrichten - geprüften wie ungeprüften Informationen - der Aufklärung vorauszueilen, den Prozess um Schuld und Strafe vorzuverlagern. Und genau dieser Medienlogik muss eine Staatsanwaltschaft, wenn sie nicht aus der Rolle fallen will, widerstehen. O-Ton 12 Cloidt Wir sind nicht der Auslöser einer Medienberichterstattung, sondern in der Regel ist die Medienberichterstattung bereits vorher da. Die Öffentlichkeit ist da, die Presse ist da. Die haben da, das ist meine Erfahrung aus langen Jahren, offensichtlich eigene Wege, um an Informationen zu kommen. Wir sind sozusagen nur der Nachläufer, indem wir etwas, was in der Öffentlichkeit bereits thematisiert wird, nur entsprechend kommentieren, mit Informationen vielleicht auch objektiverer Art entgegentreten. O-Ton 13 Mönikes Wenn aber so ein öffentliches Vorverfahren stattfindet, initiiert von wem auch immer, spätestens dann hat die Staatsanwaltschaft ,gerade dann, wenn sie einen hohen Druck verspürt, sich zu rechtfertigen in der Öffentlichkeit, gerade dann fängt sie an, auch gezielt und bewusst , Informationen rauszugeben. Sie haben es hier mit einem Hoheitsträger zu tun, Sie haben es mit einer Staatsanwaltschaft zu tun, die Ihnen gegenüber als Staat auftritt, als Behörde. Und das verleiht deren Äußerungen eine ganz andere Wirkung, als wenn ein Verteidiger sagt oder ein Beschuldigter sagt, ich bin unschuldig, ich war das nicht. Sprecherin Die medial verstärkte Kommunikation auf Anklägerseite kann so laut werden, dass sie die Äußerungen der Verteidigung im Vorfeld der Hauptverhandlung übertönt, die Waffengleichheit zunichte macht und sogar ein faires Verfahren bedroht. Denn Öffentlichkeitsarbeit einer Strafverfolgungsbehörde, die dem Ansehen eines Beschuldigten großen Schaden zugefügt hat, wird als Dienstvergehen in der Praxis so gut wie nie sanktioniert. Staatsanwalt Thorsten Cloidt sieht sich jedoch an sein Berufsethos gebunden. O-Ton 14 Cloidt Ich habe kein Interesse daran, dass Beschuldigte bereits vorab in der Öffentlichkeit, in Anführungszeichen, "aufgehängt" werden, und dort massive Vorverurteilungen stattfinden. Ich habe auch kein Interesse daran, mein Strafverfahren, mein Ermittlungsverfahren im Prinzip in der Öffentlichkeit zu führen. Ich habe ein Interesse daran - und das ist jedenfalls meine Vorstellung von einem Ermittlungsverfahren -, dass die Tat - wenn's denn eine gab - aufgeklärt wird, dass ein Ergebnis am Ende dabei rauskommt, das gerecht ist, das ich zumindest auch als gerecht empfinde, und das kann durchaus auch ein Freispruch sein. O-Ton 15 Mönikes Der konkret ermittelnde Beamte hat in der Tat vielleicht überhaupt kein Interesse daran, unter Druck zu geraten, indem in die Öffentlichkeit Informationen kommen. Die Staatsanwaltschaft als solche allerdings agiert ja als Behörde auch in einem politischen Raum. Das Problem im politischen Bereich ist, dass der Kreis der Beteiligten, der von Ermittlungen weiß, der Kreis, der von Planungen weiß, ist naturgemäß sehr viel größer als bei einem Ladendiebstahl. Und wie die Logik eines Beamtenapparates ist, versichert sie sich möglichst weit und breit nach oben hin zurück. Sprecherin Einer der Haupteffekte der Anschuldigungen im Fall Tauss war, dass der Widerstand der SPD-Fraktion gegen die geplanten Eingriffe des Bundeskriminalamtes ins Internet erlosch und der Gesetzentwurf der Großen Koalition "zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen" vom Bundeskabinett gebilligt wurde. Dem in den Medien breitgetretenen Vorwurf der Anklage, Tauss habe aus sexuellem Interesse gehandelt, ist das Gericht in der Hauptverhandlung schließlich nicht gefolgt, sondern begründete das Urteil damit, dass kein Parlamentarier bei seinen Recherchen illegale Wege gehen darf. O-Ton 16 Koppenhöfer Wir haben ein sehr formales Beweisrecht, ein ganz formales Beweisrecht, das bringt uns unsere formale Wahrheit. Das ist völlig egal, was in der BILD oder der FAZ dazu steht. Wir haben da unsere Prinzipien, und ich kenne kein besseres Strafprozess- recht als das unsere, das ist nicht geprägt von Kreuzverhören, von einem Machtverhältnis zwischen Verteidigung und Staatsanwalt, sondern das läuft sehr überschaubar und vor allen Dingen auch überprüfbar ab. Regie 4 Sprecherin Streitfall Mannesmann-Verfahren - CDU-Chefin Angela Merkel sieht im Vorgehen der Justiz einen Schlag gegen den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wirtschaftswoche Sprecher Die Zahlung der Millionenprämie bei der Mannesmann-Übernahme war eine Straftat. - Rechtsprofessor wertet Prämien als kriminelles Delikt. Frankfurter Allgemeine Zeitung Sprecherin Im Zentrum der Wahrheitsfindung im Mannesmann-Fall stand die Frage, ob die Bonuszahlungen eine gravierende Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht durch das Aufsichtsratspräsidium war und die Untreue bewusst oder irrtümlicherweise begangen wurde. Die Berichterstattung zum Tatvorwurf dokumentiert, wie Gutachten und Expertenmeinungen zur Sachverhaltsaufklärung und - bewertung eine mediale Verbreitung erfahren und daraus ein Disput um "die Wahrheit" in einem zur Hauptverhandlung parallelen Forum entstehen kann. Manche Debattenbeiträge, die scheinbar ein Zugriff von außen waren, konnten aber genauso auf die Initiative von Verfahrensbeteiligten zurückgehen. Richterin Brigitte Koppenhöfer. O-Ton 17 Koppenhöfer Das hab ich erstmalig damals so deutlich erfahren, dass einer der bedeutendsten deutschen Aktienrechtler sich zu diesem Verfahren auslässt, so als kenne er die Akten - und offensichtlich kannte er sie - , und seine Schlussfolgerungen daraus zog und dann auch noch in einer Fachzeitschrift veröffentlichte. Er war nicht der einzige, die Gutachten häuften sich dann dadurch, es wurden alle Meinungen vertreten, in alle Richtungen, immer von Spezialisten, die weder die Akten kannten, wirklich, noch in der Hauptverhandlung waren, aber alle hatten sie eine Meinung. Sprecherin Ungewöhnlich war, dass ein von der Deutschen Bank in Auftrag gegebenes aktienrechtliches Gutachten zwei Monate vor Beginn der Hauptverhandlung im Mannesmann-Verfahren als Beilage in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Dass dieses Gutachten insbesondere Josef Ackermann stark entlastete, war angesichts des Auftraggebers nicht erstaunlich. Und dass populäre Medien mit größerer Reichweite sich des Gutachtens durch ausführliche Zitate und Kommentierungen annehmen würden, darauf konnte man sich verlassen. O-Ton 18 Koppenhöfer Inwieweit die Verteidigung die Strippen zieht, inwieweit die Staatsanwaltschaft die Strippen zieht, bleibt mir oft verborgen, das weiß ich nicht. Manchmal krieg ich im Nachhinein dann Erkenntnisse, die mich doch erstaunen. Das machen beide Seiten. Regie 5 Sprecherin Kachelmann und die Medien - Wer reichte die Akten weiter? Süddeutsche Zeitung Sprecher Die Akte Kachelmann - Täter oder Opfer? Die geheimen Gutachten der Justiz Der Spiegel Sprecherin Die Akte Kachelmann - Tausende Ermittlungsseiten protokollieren die Spurensuche im Kriminalfall des Jahres. Focus dokumentiert exklusiv die wichtigsten Indizien, Aussagen und Gutachten. Sprecher Gutachten entlastet ihn - Kachelmann schon diese Woche frei? BILD Sprecherin Die Presseinformationsarbeit des Anklägers und der Verteidigung kann sich zu rivalisierenden PR-Kampagnen verdichten: Behördenvertreter begehen gezielte Indiskretionen am Telefon; Fax-Irrläufer landen "versehentlich" in den falschen Händen, die das brisante Material an ein Boulevardmedium weitergeben; Verteidiger fädeln heimliche Exklusivverträge für ihre Mandanten mit Zeitungen ein. O-Ton 19 Mönikes Ich gebe nie Einblick, in keinem Fall Einblick in Ermittlungsakten, keinem Journalisten, ich mach das nicht, ich lehn das ab. Ich kann nicht einerseits das Staatsanwaltschaften und Ermittlern vorwerfen und das selber tun, das geht nicht. Es ist allerdings schon so, wenn die eine Seite unfair spielt, Sie gegebenenfalls als Verteidigung auch gar keine andere Möglichkeit haben, als darauf zu verweisen und sagen, Leute, da fehlen aber ein paar hundert Seiten, die für meinen Mandanten sprechen. Sprecherin Für den Kampf darum, den Prozess in den Medien nicht zu verlieren, stehen inzwischen auch immer mehr PR-Spezialisten für "prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit" bereit, sogenannte Litigation-PR-Berater, wie Uwe Wolff. Als ein Instrument der Rechtsfindung will er seine Litigation-PR verstanden wissen, als eine moderne, der Mediengesellschaft angepasste Möglichkeit, sogar Notwendigkeit, Standpunkte zu äußern und Informationen zu verbreiten - als eine medienkompatible Form, sich "rechtliches Gehör" zu verschaffen. O-Ton 20 Wolff Es wird ja immer so dargestellt, wir würden Richter beeinflussen wollen. Um das geht es ja nicht. Litigation-PR hat nichts mit klassischer PR zu tun. Kampagnenführung ist das, was wir machen. Wir sind da, wir kontaktieren die Medien, die Interessen- verbände, sagen auch klipp und klar, für wen wir einstehen und welche Seite wir vertreten. Wir wollen größtmögliche Transparenz und Offenheit. Das sag ich auch all meinen Mandanten - ich lüge nicht, ich werde nicht lügen. Es wird vielleicht nicht immer alles gesagt, das ist auch okay so, aber wir lügen nicht, garantiert nicht. Sprecherin Uwe Wolff wählt als Beispiel eine PR-Kampagne, die sofort den Eindruck erweckt, sie diene einem guten Zweck: Den Fall verarmter Kommunen, die Wege suchten, ihren Haushalt zu sanieren. Deren Kämmerer hatten sich von einer großen deutschen Bank zum Kauf von Finanzprodukten zur Zinsoptimierung raten lassen und am Ende damit horrende Verluste erlebt. Rund 200 Kommunen waren betroffen, rund 500 Mittelstandsunternehmen. Zusammen mit einer auf Finanzprodukte spezialisierten Kanzlei ging der Litigation-PR-Spezialist in die Offensive, um in einem Zivilverfahren einen Vergleich zu erwirken. O-Ton 21 Wolff Die Kommunen hatten natürlich Bedenken, gegen eine große deutsche Bank vorzugehen, mit ihren Legionen von Anwälten, David gegen Goliath. D.h. um eine Klagemacht zu bekommen, ein massives Klagegewicht zu bekommen, musste man natürlich erst mal eine Öffentlichkeit herstellen, das haben wir gemacht. Die Banken sind mit einem fehlerhaften Produkt auf die Kommunen zu, die Kommunen haben Verluste erlitten, diese Verluste werden jetzt an die Bürger weitergereicht über höhere Müllgebühren, über geschlossene Schwimmbäder, Bibliotheken usw. Und Sie müssen sehen, wir reden hier immer von den Medien, wir reden aber eigentlich von den Medienvertretern, die Kinder haben, in Kommunen leben und so weiter, die selbst betroffen sind. Das ist der Kern meiner Kampagne gewesen. Sprecherin Theoretisch gibt es PR-Strategen, die alles tun, was dem Mandanteninteresse nutzt, egal, worin es besteht. Welche und wie viel Litigation-PR aber ist vom Grundgesetz erlaubt? Gibt es saubere und unsaubere Methoden oder nur saubere und unsaubere Ziele? Reinigt der Zweck die Mittel? Litigation-PR ist - anders als das Recht und die Justiz - nicht der Wahrheit oder der Gerechtigkeit verpflichtet sondern, wie jede PR, dem Auftraggeber, also dem kommunikativen Erfolg. PR-Arbeit steht nicht für Wahrheitssuche sondern für Medienkompetenz, Medienmacht und Cleverness. Für den ehemaligen Journalisten Uwe Wolff besteht "gute" Litigation-PR in der konsequenten Anwendung der Medien- und Öffentlichkeitslogik auf rechtliche Verfahren. O-Ton 22 Wolff Letztendlich steht hinter allem, hinter jedem Richtertisch, hinter jeder Zeitung ein Mensch. Wir haben's mit Menschen zu tun, und das ist meine Jury, an die ich appelliere mit der Perspektive meines Mandanten. Die Emotion ist der Schlüssel, mit dem ich die Tür aufmache zu dem Menschen, mit dem ich kommunizieren möchte. Manche Fälle liefern averse Reaktionen, und diese aversen Reaktionen, das ist die ganz hohe Kunst unserer Litigation-PR, diese aversen Reaktionen umzudrehen. Das kostet viel Geld, viel Zeit, viel Nerven - dass man, und das haben wir auch schon gemacht, aus einem Betrüger einen Betrogenen macht und aus den vermeintlichen Betrogenen die Betrüger macht. Weil sie es waren! Wir haben einfach auch ein Gerechtigkeitsempfinden, mit diesem Gerechtigkeitsempfinden gehen wir nach vorne und verkaufen den Fall! Sprecherin Öffentlichen Erwartungsdruck erzeugende Stimmungsmache ist gerade das Gegenteil zu einer Prozesskultur, die von Nüchternheit geprägt ist, von mühsamen, sich oft zäh entwickelnden Verfahrensabläufen um der "formalen juristischen Wahrheit" willen. Dass Strafverfahren von einem in der Gesetzeslage gründenden juristischen Wahrheitsverständnis geleitet sind, das sich mit dem öffentlichen Gerechtigkeitsempfinden nicht unbedingt deckt, zeigt der Mannesmann-Fall. Die Diskrepanz zwischen dem, was Bürger als gerecht empfanden und das Gericht als wahr erkannt hat, dürfte besonders groß und das abschließende Urteil besonders unpopulär gewesen sein. Die sich da die Taschen voll geschaufelt haben, hätte man gern verurteilt gesehen - stattdessen kamen sie letztlich mit einer Geldbuße davon. O-Ton 23 Koppenhöfer Der Zusammenhang zwischen Moral, moralischem Versagen und strafrechtlicher Sanktion lag sofort auf der Hand. Und deswegen dachte ich, ich mag das ja vielleicht auch unanständig finden und viele andere, aber dafür bin ich nicht zuständig, für Moral, für Anstand, sondern für die strafrechtliche Sanktion, und das ist eben die Untreue. Das ist auch für Nicht-Juristen sehr schwer nachvollziehbar. Es wird auch immer gerade Wirtschaftsstrafsachen geben, die sehr schwer verständlich zu machen sind, weil man sie nicht so weit kann runter brechen, dass jeder Laie zu versteht, dann werden sie falsch. Sprecherin Ihre Erfahrungen im Mannesmann-Verfahren veranlassten Brigitte Koppenhöfer dazu, ihrer mündlichen Urteilsbegründung ein persönliches Vorwort voranzustellen. Darin thematisierte sie die Kooperation von Verfahrensbeteiligten und Nicht- Verfahrensbeteiligten mit den Medien. Noch nie während ihrer 25-jährigen Dienstzeit als Richterin sei wie in diesem Verfahren derart massiv versucht worden, direkt oder indirekt Einfluss zu nehmen, auch durch Politiker. Eine Richterin, die persönlich wird, streift ihre Robe ab und tritt aus der Rolle als Recht sprechende Gewalt heraus. O-Ton 24 Koppenhöfer Wir sind nicht unabhängig per se, nur weil's im Grundgesetz steht. Ich sag ja nach wie vor, der Prozess findet im Saal statt und wird beraten im Beratungszimmer und nicht in den Medien. Aber es muss eine Auswirkung geben. Es gibt mittlerweile so viele Wissenschaftler, die das behaupten, die das untersuchen, die Kollegen befragen, die Fragebögen verschicken, und es gibt genug Kollegen, die bekennen, dass es zumindest auf die Strafzumessung Auswirkung hat. Ich für mich bestreite das ja immer. Ich bin mir da auch sicher, dass das so ist, aber das frage ich mich ja auch immer. Wenn ich das wüsste, dann könnte man dem ja auch entgegnen, dann könnte man sich da wappnen, da könnte man sich da immunisieren. Sprecherin Im Rahmen von Studien befragte Richter bestreiten den Einfluss eines öffentlichen Meinungsklimas auf das Beweisergebnis, räumen ihn aber auf die Urteilsbegründung und das Strafmaß ein. Allerdings findet überhaupt nur ein Bruchteil der Verfahren unter öffentlicher Beobachtung statt. Richterin Brigitte Koppenhöfer wünscht sich deshalb Prozessbeobachter mit juristischem Verständnis, Medien, die der Öffentlichkeit abbilden können, was in deutschen Gerichtssälen vor sich geht. O-Ton 25 Koppenhöfer Was kann Recht? Sehr viel weniger, als wir alle erwarten. Auch für Richter selbst. Wenn wir jetzt zum Beispiel Bankenprozesse machen, dann arbeiten wir nicht die Finanzkrise auf. Das kann Recht nicht. Recht kann den Einzelfall entscheiden, kann vielleicht generalpräventiv wirken, kann die Rechtsprechung weiterführen, mehr kann Recht nicht. Denn Recht, vor allem Strafrecht reagiert auf Unrecht, mehr nicht. Sprecher vom Dienst Justitia und ihre Souffleure Rechtsfindung als öffentliches Schauspiel? Eine Sendung von Sabine Voss Es sprachen: Eva Kryll und Norbert Langer Ton: Barbara Zwirner Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1