DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 02.04.2010 Redaktion: Marcus Heumann 23.05 ? 23.57 Uhr Operation Black Tulip Die Vertreibung der Deutschen aus den Niederlanden Von Annette Birschel URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo: Radio Oranje: Aufruf an die Deutschen 5. Mai 1945 O-Ton Johan Fabricius "Deutsche! Eine lügenhafte Propaganda hat euch im Mai 1940 gesagt, dass wir dankbar waren, von Deutschland geschützt zu werden gegen die Gefahr einer englischen Invasion. Wir wollten aber keinen solchen Schutz, und an allerletzter Stelle von Deutschland. Denn wir verabscheuten den Nationalsozialismus und seine tierische Rassenlehre. Ihr habt geglaubt, stärker zu sein als das Recht, das ihr mit Füßen tratet. Das war eure Schwäche und daran seid ihr zugrunde gegangen. Wir sind kein hasserfülltes Volk. Wir hoffen nur, dass Deutschland, wenn es einmal wieder aus seinen Ruinen emporsteigt, sich die Lehre merkt.? Ansage Operation Black Tulip Die Vertreibung der Deutschen aus den Niederlanden Ein Feature von Annette Birschel O-Ton Rudolf Tieben Wir waren zu Hause. Um sechs Uhr wurde geklopft. Abgesperrt, also alles Polizisten. Wir durften das Notwendigste zusammenpacken und dann stand ein Viehtransporter bereit, und ab, und dann sind wir nach Nijmegen geschickt worden ins Lager, ganz unverhofft. Mussten wir aus dem Haus raus. Und fertig, ab nach Deutschland. Meine Mutter war am Weinen wie verrückt, das ist klar. Und ich fang auch schon bald an. Na ja, ist vorbei. Nix durften wir mitnehmen. Nicht mal meinen Stabilbaukasten durfte ich mitnehmen. Messer durfte man nicht mitnehmen, nur Gabel und Löffel, praktisch nur Handgepäck durften wir mitnehmen aus Holland. Eine Stunde höchstens, dann mussten wir weg. Autorin Am Morgen des 5. September 1947 sollte sich das Leben des zehnjährigen Rudolf Tieben im holländischen ter Apel dramatisch verändern. Bis zu jenem Tag hatte er sich als ganz normaler holländischer Junge gefühlt. O-Ton Tieben Ich konnte kein Wort deutsch, die Holländer sagten zu uns, dutsche mof, und das wussten wir als Kinder gar nicht, dass wir Deutsche waren. Autorin Tiebens Vater war 1920 als 14-Jähriger in die Niederlande gekommen. In ter Apel, einer kleinen Stadt im Osten der Niederlande, nicht weit von der deutschen Grenze, arbeitet er als Autoschlosser, heiratet eine Niederländerin, sie bekommen fünf Kinder. Durch die Heirat werden alle automatisch zu sogennanten Reichsdeutschen. Als die deutschen Truppen 1940 die Niederlande besetzen, wird Vater Tieben zur Wehrmacht eingezogen. Dort war er Filmvorführer, erinnert sich sein heute 73 Jahre alter Sohn, Er hat nie einen Schuss abgegeben. Warum also musste die Familie Tieben weg? Die Antwort steht in seinem alten Flüchtlingsausweis. Die "Genehmigung der Durchreise durch die britische Zone?. "Im Rahmen der britisch autorisierten Operation Black Tulip? steht auf englisch auf der Karte. O-Ton Tieben Ja, das war die Aktion, dass die Deutschen aus Holland ausgewiesen wurden. Schwarze Tulpe. Wir haben das als Kind nicht richtit begriffen. Ich jedenfalls nicht. Hinterher ist das ne komische Sache gewesen, das ist klar. Ich kanns nicht erklären. Ich weiss es nicht. Autorin Black Tulip war der Codename der niederländischen Regierung für die nach dem Weltkrieg beabsichtigte Vertreibung aller Deutschen. Eine weitgehend unbekannte Geschichte. Rein zufällig hat Professor Melchior Boogaarts, Historiker an der Radbouduniversität von Nijmegen, die Dokumente zu dieser Operation im Archiv des Justizministeriums entdeckt. O-Ton Boogaarts Ik was bezig met een onderzoek... het was gewoon te pijnlijk 1. Übersetzer Ich forschte damals in den Protokollen des Kabinetts und stieß dabei plötzlich auf Papiere, in denen es um die Ausweisung von Deutschen ging. Ich habe sofort beim Archivar alle Dokumente dazu bestellt, zwei Kisten, und da sah ich es sofort. Es ging darum, alle Deutschen mit ihren niederländischen Frauen und Kindern auszuweisen. Ich war wie vor den Kopf geschlagen und habe den ganzen Nachmittag kopiert. Der Archivar hat später zu mir gesagt: Wenn wir gewusst hätten, was das für Papiere waren, dann hätten Sie die nie bekommen. Das war einfach zu peinlich. Autorin Die Ausweisung von Nazis oder Kollaborateuren kurz nach dem Zweiten Weltkrieg scheint auch aus heutiger Sicht noch verständlich. Schließlich waren die Deutschen die Feinde, die ehemaligen Besatzer. Doch hier ging es um die Vertreibung aller Deutschen, die in den Niederlanden lebten, ganz egal, wie sie sich im Krieg verhalten hatten. Eine nicht ganz blütenreine Angelegenheit, meint der Historiker Boogaarts. Und vielleicht wählte man auch deshalb damals 1945 schon den englischen Codenamen Black Tulip. O-Ton Boogaarts Al voor de oorlog...... op alle documenten 1. Übersetzer Schon vor dem Krieg wurden ja Blumen nach Deutschland exportiert, und man wusste natürlich auch, dass diese Ausweisung aller Deutschen keine angenehme Sache war. Man wählte den englischen Namen, weil man mit den englischen Instanzen zu tun hatte. Also stand auf allen Dokumenten black tulip. Atmo: Krieg Radio Hilversum DRA 10. Mai 1940, Mitteilung des Hauptquartiers: "Heute um drei Uhr haben deutsche Truppen die Grenzen überschritten...? Autorin 1940 ? Deutsche Panzer überrollen die Niederlande. Die deutsche Luftwaffe legt Rotterdam in Schutt und Asche. Nach nur wenigen Tagen bricht der Widerstand der schlecht ausgerüsteten Niederländer zusammen. Das Land ist besetzt. Die königliche Familie flieht ins Exil nach England und Kanada. Statt der rot-weiß-blauen Flagge flattern nun Hakenkreuzfahnen in Den Haag und Amsterdam. Atmo: Kundgebung in Utrecht anläßlich des 9. Jahrestages der Gründung der NSB (Nationaal Socialistische Beweging) der Niederlande Autorin Lange haben die Niederlande geglaubt, dass sie ebenso wie im ersten Weltkrieg neutral bleiben können. Doch nun müssen sie zum erstenmal seit 150 Jahren einen fremden Herrscher dulden. Zeitungen und Parteien werden verboten, die niederländische nationalsozialistische Bewegung, die NSB, wird zur einzigen legalen politischen Partei, Oppositionelle gehen in den Untergrund, die Judenverfolgung setzt ein. Eine Widerstandsbewegung gegen die verhassten Deutschen - die Moffen - formiert sich. Für die meisten Bürger jedoch geht das Leben zunächst ganz normal weiter. Auch für die sogenannten Reichsdeutschen, wie die Familie Sonnemann in Amsterdam. Franz Sonnemann war als Kind mit seinen Eltern 1924 aus dem hessischen Kelkheim in die Niederlande übergesiedelt. Sie hofften auf ein besseres Leben als im damals krisengeschüttelten Deutschland. Franz Sonnemann heiratete später eine Niederländerin, sie bekamen eine Tochter. Annie den Daas hat ihren Vater als echten Amsterdamer in Erinnerung. O-Ton Annie den Daas Het Duits was weg..... nooit vervelend gedaan. 1. Übersetzerin Das Deutsche war total weg. Es gehörte nicht mehr dazu. Er sprach Niederländisch, ohne Akzent. Wir wohnten damals im Westen von Amsterdam. Es ging gut. Im Krieg lief er sogar in Uniform über die Straße. Die Leute kannten uns doch, nie hat jemand uns angepöbelt. Autorin Unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen wird Sonnemann zum Wehrdienst eingezogen. Nach einigen schweren Magenoperationen erweist er sich aber als für den Dienst an der Front untauglich. Doch die Besatzer können den Mann, der ja fließend niederländisch spricht, trotzdem gut gebrauchen. O-Ton Annie den Daas Toen de oorlog kwam... Hitlerschule zoals de echte Duitsers 1. Übersetzerin Als der Krieg kam, haben sie ihn natürlich gleich gefunden. Mein Vater hat einen Bürojob bei der Wehrmacht bekommen, im Carltonhotel in Amsterdam. Und ich musste sofort von der holländischen Schule abgehen und auf die deutsche Schule in Amsterdam. Sie wollten, dass wir echte Deutsche wurden, man wollte uns indoktrinieren. Danach wäre ich zur Hitlerschule gekommen. Autorin Für den zehnjährigen Rudolf Tieben in ter Apel dagegen ändert sich nicht viel. Für ihn ist die Besatzung vor allem ein Abenteuer. O-Ton Tieben (deutsch) Damit mussten die Holländer fertig werden. Ja, damals war ich ja auch noch Holländer. ... Bei uns gegenüber war so ein Holzlager, da haben sich die Deutschen stationiert und mussten immer antreten morgens. Da ist ein Major davor am Schreien. Einmal kommt unser Ziegenbock, der hat ihn von hinten in die Knie gestupst. Er dreht sich um, Pistole, und da war es nur ein Ziegenbock. Alle natürlich am Lachen. Autorin Den Reichsdeutschen geht es besser als ihren niederländischen Nachbarn. Sie erhalten mehr Lebensmittelkarten, müssen ihre Wohnung nicht aufgeben, wenn Deutsche diese beanspruchen. Ganz im Süden des Landes, nahe der belgischen Grenze, erlebt auch Rudol Fischer eine unbeschwerte Kindheit. Sein Vater führt eine kleine Strumpffabrik in der Kleinstadt Hulst. 1940 ist Rudolf Fischer zehn Jahre alt. O-Ton Fischer ik ben altijd bij de verkenners geweest en ik heb het nooit ondervond.... maar hij liet af en toe mensen door, heeft hij problemen me hehad. 2. Übersetzer Ich war immer bei den Pfadfindern und ich hab nie anti-deutsche Dinge erlebt. In den ersten drei Jahren des Krieges gab es hier auch keine große Feindschaft zwischen Deutschen und Niederländern. Manchmal wurde was gesagt, aber nicht zu meinem Vater. Er war sehr beliebt, ein braver Mann. 1943 wurde er einberufen, er musste dann in Laren eine Brücke bewachen, die war abgesperrt. Aber ab und zu hat er Leute doch durchgelassen, deswegen hat er auch Schwierigkeiten bekommen. Atmo: Befreiung (Polygoonjournaal) Autorin 1944 erreichen die Allierten den Süden der Niederlande. Am 5. Mai 1945 ist dann das Ganze Land befreit. Im Freudentaumel kommt es auch zu Übergriffen auf Deutsche. Hohe NS-Bonzen werden verhaftet, niederländische Nazis und Kollaborateure interniert. Aber auch unbescholtene Bürger werden Opfer des Volkszorns. Niederländische Frauen, die mit deutschen Wehrmachtssoldaten eine Beziehung hatten, werden in Lagern interniert. Unter ihnen auch die Mutter von Marga Kuik. Sie selbst kommt in eine Pflegefamilie. Nur ab und zu darf sie ihre Mutter sehen und über den Stacheldraht hinweg mit ihr reden. O-Ton Marga Kuik (deutsch) Sie durfte nur Kartoffelschalen essen und ihr wurde der Kopf kahl geschoren, weil sie mit nem deutschen Mann verheiratet war. Ungefähr drei, vier Monate hat sie da gesessen und weil sie noch kleine Kinder hatte, wahrscheinlich freigekommen. Sie konnte in Holland nichts aufbauen, weil sie keine Genehmigung kriegte zum Aufbauen, weil sie Deutsche war. Nix, sie kriegte nichts. Autorin Marga Kuiks Vater ? er lebte schon seit 30 Jahren in den Niederlanden - befindet sich damals in Gefangenschaft irgendwo in Deutschland. Seine Frau weiß nicht, wo. Ihre Zukunft in den Niederlanden, ihrer Heimat also, ist ungewiss. Wie soll sie ihre Kinder durchbringen? 1946 stellen die Behörden Marga Kuiks Mutter vor die Wahl. O-Ton Marga Kuik (deutsch) Sie musste nicht weg, aber scheiden lassen oder den Vater suchen oder den Mann, den sie dann gefunden hat, und dann ist sie nach Deutschland gegangen. ... Meine Mutter durfte nicht nach Holland zur Beerdigung von ihrem Vater, und das war in dem gleichen Monat, wie wir rüber gegangen sind. Für meine Mutter selbst ist das wahrscheinlich doch bitter gewesen. O-Ton: Johan Fabricius: Dass ihr es wisst: Gegen unseren Willen seid ihr in Holland eingebrochen. Ohne Bedenken habt ihr die Schleusen Hollands geöffnet und das Wasser, unseren Erbfeind, über unsere grünen Fluren laufen lassen, die wir, nicht ihr in Jahrhunderte langem Kampf dem Meer abgewonnen hatten. Was bedeutet das für euch? Es war ja nicht euer Land. Autorin Über den Exilsender Radio Oranje wendet sich der niederländische Schriftsteller und Journalist Johan Fabricius am 5. Mai 1945 an die Deutschen. O-Ton Johan Fabricius: Eure Soldaten haben Holland zuerst gründlich ausgeplündert und sich dann bis zuletzt gut genährt von diesem holländischen Boden, während sie zusahen, wie unsere Frauen in den kalten Straßen vor Erschöpfung zusammenbrachen und wie unsere Kinder die Mülleimer umkehrten, auf der Suche nach Nahrung. Autorin Nach fünf Jahren deutscher Besatzung sind die Niederlande wirtschaftlich am Ende. Die Hafenstadt Rotterdam ist zerstört, 80 000 Wohnungen liegen in Trümmern, Deutsche haben bei ihrer Flucht die Deiche durchstochen, kostbares Ackerland ist überflutet, Fabriken und Vorräte sind geplündert. Die Fahrräder gestohlen. Bis heute ist der Satz "Ik wil mijn fiets terug? - Ich will mein Rad zurück - das Symbol für die ohnmächtige Wut der ruinierten und erniedrigten Niederländer. Atmo Autorin Die Regierung fordert Schadenersatz von Deutschland. 23 Milliarden Gulden und Gebiete im Grenzbereich. Als erste Wiedergutmachung demontieren nun Holländer deutsche Fabriken, in Hannover zum Beispiel Lampen und Maschinen für die Philipsfabrik in Eindhoven. Atmo: Demontage Lampenfabrik (Polygoonjournaal) Autorin Doch es geht nicht nur um Schadenersatz. Die niederländische Regierung will Vergeltung für erlittenes Leid. Nun sollen Deutsche leiden. Bereits 1945 entwickelt die damalige katholisch-sozialdemokratische Koalition den Plan für deren Ausweisung. Operation Black Tulip. Ein Plan, der von der breiten Mehrheit des Parlamentes unterstützt wurde, sagt der Historiker Boogaarts. O-Ton Boogaarts Natuurlijk was het een wraakactie... erg kosher is het natuurlijk niet 1. Übersetzer Natürlich war es Rache. Rache gegen Deutsche. Die Niederlande waren in Westeuropa eines der am schwersten getroffenen Länder. 1945 waren sie total am Boden, es herrschte bittere Armut, wir lebten von amerikanischen und schweizer Krediten, argentinisches Getreide wurde auf Pump geliefert. Vor dem Krieg lebten wir vom Handel mit Deutschland und den Kolonien Niederländisch-Indien, und beides funktionierte nicht mehr. Die Häfen lagen still. ... Und dafür wurde d e r Deutsche verantwortlich gemacht. Zurecht wurde später, 1948, im Parlament kritisiert, dass ausgerechnet die Deutschen für unser Kriegsleid büßen sollten, die auch hier gelebt hatten. Denn darauf lief es hinaus. Es war eine ethnische Säuberung, sehr koscher war das nicht. Autorin 25 000 Reichsdeutsche, 8 000 Familien sollen das Land verlassen. Zunächst sind die an der Reihe, die mit den deutschen Truppen, also zwischen 1940 bis 1945, gekommen waren. Bei denen wurde wohl nicht zu unrecht vorausgesetzt, dass sie überzeugte Nationalsozialisten waren oder im Dienst der Besatzer standen als Beamte etwa. Aber, so Professor Boogaarts: O-Ton Boogaarts Het ging natuurlijk ook om die mensen .... zaten er nog een paar duizend van 1. Übersetzer Es ging dann natürlich auch um diejenigen, die vor dem Krieg geflohen waren, Sozialisten, Kommunisten, die hier untergetaucht waren, und deutsche Juden. Davon gab es auch noch ein paar Tausend. Autorin Dazu gehörte die Familie Goldstein. Der Vater, ein deutscher Jude, heiratete 1924 in Berlin eine Niederländerin. Die Familie floh nach den ersten Progromen in die Niederlande. Der Vater überlebt den Krieg im Versteck in einem holländischen Pflegeheim. Seine Mutter, so erinnert sich der heute 73 Jahre alte Sohn, Edgar Goldstein, war im Widerstand aktiv. Am 5. Mai feiert die Familie Goldstein in der kleinen Festungsstadt Naarden rund 20 Kilometer südlich von Amsterdam die Befreiung. O-Ton Goldstein (deutsch) Am 7. Mai kamen zwei Leute vom politschen opsporingsdienst an die Küchentür und an die Fronttür und sie erzählten, dass sie kamen, meine Mutter zu verhaften. "Ihre Mutter ist Deutsche, Reichsdeutsche. Und die nehmen wir mit, denn da sind Verdächtigungen gegen ihr.? Autorin Frau Goldstein besteht allerdings darauf, den Leiter des politischen Nachforschungsdienstes persönlich zu sprechen. Denn er war drei Jahre lang der Chef ihrer Widerstandsgruppe, und wusste, dass sie untergetauchte Juden und Oppositionelle versteckt hatte. Edgar Goldsteins Mutter wurde sofort freigelassen und die Ausweisung der Familie war vom Tisch. O-Ton Goldstein (deutsch) Meine Mutter war in dieser Hinsicht sehr phlegmatisch, die hat so viele Sachen mitgemacht in ihrem Leben, die war nicht beeindruckt. Die hat es als Zwischenfall erfahren. Wir wussten, dass meine Mutter so viele Beziehungen hatte und so gut bekannt war im Dorf und im Lande, das hat uns auch nicht beeindruckt. ... Wir haben natürlich Erzählungen gehört von Leuten, denen man Sachen weggenommen hatte, während sie verhaftet waren und eigentlich nicht verhaftet sein sollten, aber das war nun einmal so, da konnte man nicht mehr viel gegen machen. Das war Nachkrieg. Autorin Der ursprüngliche Plan, auch geflüchtete Juden und Gegner des Naziregimes auszuweisen, wird schnell fallen gelassen, zumal die Allierten dies nie geduldet hätten. Schließlich mussten alle Ausgewiesenen von den Briten in ihrer Zone entlang der niederländischen Grenze zugelassen werden. Doch damit war die Operation Black Tulip keineswegs beendet. O-Ton Boogaarts Eind 1945 is er een beleidslijn ontwikkeld... die mensen gaan er eigenlijk uit 1. Übersetzer Ende 1945 wurden Richtlinien entwickelt. Diejenigen, die vor dem Krieg gekommen waren, durften nur bleiben, wenn sie positiv hinter dem niederländischen Widerstand gestanden hatten. Streng genommen war das eine unmögliche Forderung. Eigentlich lief es darauf hinaus, dass man jeden abschieben wollte. Autorin 25 000 Menschen - Viele von ihnen waren als Wirtschaftsflüchtlinge zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Niederlande gekommen, auf der Suche nach Arbeit, einem besseren Leben. Die Minenarbeiter im Süden Limburgs zum Beispiel, oder deutsche Dienstmädchen in den Städten. Die organisierte Abschiebung begann 1946 zunächst in den Großstädten. Die Regierung mutmaßte, dass dort die Anwesenheit von Deutschen als besonders unangenehm erfahren wurde, denn aus Amsterdam, Rotterdam oder Den Haag waren schließlich die meisten Juden deportiert worden. Kurz darauf läuft die Operation Black Tulip auch in anderen Teilen des Landes an. Die Familie Tieben wird in Ter Apel abgeholt. Marga Kuik und ihre Mutter im Osten des Landes, weil sich diese nicht von ihrem Mann scheiden lassen will. Und im Süden an der belgischen Grenze trifft es die Familie des Strumpffabrikanten Josef Fischer. O-Ton Fischer De marechausse kwam op een bepaalde dag, we hebben bevel om u op te halen. ....zal in de loop van de week gebeuren 2. Übersetzer Die Polizei kam eines Tages und sagte, Herr Fischer, wir haben den Befehl, Sie abzuholen. Das wird im Laufe der Woche geschehen. Autorin Ein rettender Hinweis, zumindest für Fischers Mutter, die ja ursprünglich Belgierin war. Sie flüchtet zu Fuß über die Grenze, gemeinsam mit fünfen ihrer Kinder. Rudolf Fischer, damals 17 Jahre alt, und sein Vater Josef bleiben zurück. O-Ton Fischer Hij vond in eerste instantie.... terug naar Duitsland te sturen. 2. Übersetzer Er dachte, dass er es verhindern konnte und wollte die Firma nicht im Stich lassen. Da arbeiteten ja viele Leute. Die Polizei hat meinem Vater noch erklärt, dass es nicht um etwas ging, was er getan hatte. Sondern, es war dieser Plan schwarze Tulpe, um Deutsche zurück nach Deutschland zu schicken. Autorin Offenbar wusste der Vater, Josef Fischer, dass eine positive Erklärung von Niederländern, eine Art Zeugnis für gutes, das heißt pro-niederländisches Verhalten im Krieg, seine Rettung bedeuten könnte. Ein Nachbar der Familie, Meneer H.A. Jansen, stellt ihm eine solche Erklärung aus. Zitator (Erklärung von H.A. Jansen) "Unterzeichneter H. A. Jansen, wohnhaft in Sint Jansteen, erklärt, dass Herr Fischer bis September 1944 während der deutschen Besatzung immer auf anti-niederländische Taten verzichtet hat, und dass er, sofern es dem Unterzeichneten bekannt ist, niemals etwas zum Nachteil von irgendeinem Niederländer getan oder gesagt hat. Im Gegenteil hat er 1941 zugunsten des Sohnes des Unterzeichners, der vom Sicherheisdienst gefangen gehalten wurde, ein Schreiben an den deutschen SD in Terneuzen gerichtet. Es ist Unterzeichnetem bekannt, dass Fischer strikt gegen Hitler und seine Nazipartei war. Schon vor 1940 hat er sich gegenüber Unterzeichnetem folgendermaßen ausgelassen: Hitler pflegt Verrat am deutschen Volk. 1943 musste Fischer auch Soldat werden und besuchte, wenn er Urlaub hatte, meistens auch den Unterzeichner. Bei seinem letzten Besuch vor der Invasion der Alliierten drückte er seine Meinung und die von vielen Deutschen aus, dass die Invasion der Alliierten etwas Wunderbares sei, von der die größten Optimisten noch perplex sein würden. Und er fügte hinzu: Mein Versteck kenne ich bereits, und ein ziviler Anzug liegt auch schon bereit. Fischer und seine Frau sind tiefgläubige Katholiken, was ihre Anti-Nazi-Gefühle umso mehr unterstreicht.? Autorin Doch auch diese Erklärung hilft nicht. Ein paar Tage später steht die Polizei vor der Tür, nun mit einem Lastwagen. Josef und Rudolf Fischer kommen ins Lager. Der gesamte Besitz, Fabrik, Haus und Möbel wird beschlagnahmt. O-Ton Fischer Vrijdag zijn we opgehaald ... dag en nacht, gewapent 2. Übersetzer Freitag haben sie uns abgeholt. Wir durften einen Koffer mitnehmen und dann gings nach Marienbosch. Das war ein echtes Lager mit Baracken, Stacheldraht und Soldaten, die Tag und Nacht bewaffnet rumliefen. Autorin Vater und Sohn werden voneinander getrennt. Rudolf kommt in Baracke 22 unter. Er besitzt immer noch den Blechnapf aus jener Zeit, in diesen hat er mit einem Nagel die Namen der anderen Jungens aus seiner Baracke eingeritzt. O-Ton Fischer We hebben we ons verveeld... niemand sprak Duits 2. Übersetzer Wir haben uns gelangweilt. Wir konnten Tischtennis spielen. Aber sonst gabs nichts. ... Rudi Pfeiffer war da, der kam aus Rijswijk bei Den Haag, Rudi Pfeifer wollte Trompeter werden... das war mein bester Kamerad. ... Eddie Busemann, der kam aus Hilversum. ... Hasenpflug ... Willi Müller, der musste dafür sorgen, dass abends das Licht ausging. ... Hans Bender, war der Sohn von einem Tennislehrer. ... Karel Burckhard, den seh ich noch vor mir. ... Wir sprachen alle holländisch, niemand sprach deutsch. Zitator Die katholische Tageszeitung De Volkskrant schrieb: "Das geschieht heute in den Niederlanden. Unmenschliche Behandlung von Deutschen und unerwünschten Fremden. Das Lager Marienbosch: trotz des wunderbaren Waldes mit riesenhaften Sträuchern und blühenden Rododendren ähnelt es einem Verbannungsort für Aussätzige. Halbrunde Baracken aus Wellblech, die den Kanadiern als Lager für Munition dienten, rostig und leckend, ohne Fenster, hier und da ein Ofenrohr durch das Dach. Sie sind vielleicht zweieinhalb Meter breit und sieben bis acht Meter tief, nur in der Mitte kann ein Mensch aufrecht stehen. ... In so einer Hütte wohnen vier bis fünf Familien, nur von kleinen Gardinen voneinander getrennt. ... Die Menschen haben den ganzen Tag nichts zu tun. Zum großen Teil sind es Arbeiter und kleine Leute.? Autorin Nach einem Monat werden Vater und Sohn Fischer nach Avegoor an der Ijssel gebracht, nördlich von Arnheim, das Zweite Lager der Operation Black Tulip. Hier war es angenehmer, erinnert sich Fischer. Es gab Theatervorstellungen, Sport, Ausflüge. Nach sechs Monaten, im Herbst 1948, werden die Fischers endgültig abgeschoben, nach Metzingen bei Stuttgart, dem Geburtsort des Vaters. In anderen Fällen aber helfen die Proteste von Nachbarn tatsächlich. Sie retten zum Beispiel die Familie Haslöver aus Haaksbergen südlich von Enschede. Die Haslövers werden im September 1947 in den frühen Morgenstunden abgeholt und ins Lager Marienbosch gebracht. Ein paar Kleider und die Bettdecken dürfen sie mitnehmen, erinnert sich der Sohn, Ben Haslöver. Ihr gesamter Besitz wird beschlagnahmt. Im Lager Marienbosch kommt die Famlie in Baracke 21 unter. O-Ton Haslöver Ik denk 14 dagen, drie weken. ... daar was een opvanglager, of weet ik veel hoe dat heet 3. Übersetzer 14 Tage oder drei Wochen blieben wir da. Immer donnerstags kamen dann blaue Lastwagen der Reichspolizei, da waren Maschinengewehre drauf montiert, und in diese wurden Frauen und Kinder... na, getrieben ist ein bisschen übertrieben. Wir blieben da, alle anderen wurden nach Osnabrück transportiert. Da war ein Auffanglager. Autorin Aber Familie Haslöver ist in Haaksbergen eine bekannte und sehr beliebte Familie. Und die Nachbarn protestieren massiv gegen ihre bevorstehende Deportation. O-Ton Haslöver Aan zijn excellentie... verricht had ... Haslöver liest Namen der Unterzeichner vor September 1947 3. Übersetzer "An seine Exzellenz, den Justizminister zu Den Haag. Exzellenz, Wir möchten uns erlauben, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass Frau Haslöver die extra Lebensmittelkarten, die sie empfing, an Niederländer verteilte, dass sie Radiotteile im Wert von ca. 3000 Gulden in ihrer Wohnung versteckte, dass sie Personen die Gelegenheit gab, daraus Radios zu bauen, um englische Sender zu hören von Mai 1943 bis zum Winter 1945. Sie nahm Niederländer in ihrem Haus auf, holte von Deutschen gestohlene Fahrräder zurück und gab regelmäßig die Gelegenheit, englische Sender zu hören. Sie war gegen die deutsche Schule, wollte keine Versammlung der Deutschen besuchen, weigerte sich, der deutschen Frauenschaft beizutreten und hat schließlich in Deutschland kein einziges Familienmitglied, das Mitglied der NSDAP war. Dies Obengenannte haben wir bereits dem Reichsfremdendienst zur Kenntnis gegeben, doch darauf ist nie eine Antwort erfolgt. Wir ersuchen Sie höflichst, Obenstehendes gründlich zu untersuchen und erhoffen ihre günstige Entscheidung. (Namen)... September 1947? Autorin Der Brief hat Erfolg: Nach ein paar Wochen darf Familie Haslöver wieder nach Hause. Ihr Besitz wird bis auf ein Radio und eine Uhr zurückgegeben. O-Ton Haslöver Dat onze meubels weggevoerd werden.... voor niks weer opgehaald 3. Übersetzer Den Abtransport unserer Möbel mussten wir selbst noch bezahlen. Aber als wir zurück konnten, hat einer der Leute vom Widerstand ein Auto zum Lager geschickt, und das hat uns gratis abgeholt. Autorin War die Familie Haslöver nur ein Opfer übereifriger Bürokraten gewesen? Oder ging es um etwas anderes? Es ging um unser Haus, sagt Ben Haslöver. Der neue Bürgermeister von Haaksbergen brauchte eine Unterkunft, die deutsche Familie war im Weg. War das nur ein Gerücht? Wohl kaum. Im Archiv des Justizministeriums finden sich zahlreiche Dokumente, Protokolle oder Briefe, aus denen hervorgeht, dass die Kommunen nach legalen Gründen suchten, um schnell und billig an Wohnraum zu kommen. Der legale Grund: die Operation Black Tulip. Atmo: 'Een huis een huis' (Polygoonjournaal) Autorin Nach dem Krieg herrscht große Wohnungsnot in den Niederlanden. 100 000 Wohnungen fehlen. Es gibt kein Geld und kein Material für Neubauten, berichtet die holländische Wochenschau, das Polygoonjournal 1946. Gleichzeitig werden aber auch Fachkräfte dringend gebraucht, um die Industrie wieder in Gang zu setzen, die zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen. Einer der Gründe, um Deutsche nicht auszuweisen. Wer wirtschaftlich von Nutzen war, durfte oft bleiben. Gerade in Dörfern oder Kleinstädten waren es auch eigennützige Motive der Behörden, die über den Befehl aus Den Haag entschieden. Das zeigt das Beispiel der Familie Tieben. O-Ton Tieben (deutsch) Von meinem Vater waren noch zwei Brüder da, die wohnten praktisch auf der holländischen Seite an der Grenze. ... Das waren Landwirte... Ich meine, dass die Sache mit unserem Papa Konkurrenzneid war durch diesen Chef, wo er 17 Jahre lang gewesen ist. Unser Vater, der war wohl bei der Wehrmacht , aber der war Filmvorführer, kein Organ, nichts ... Nachher hat er sich dann selbständig gemacht, mit Autos reparieren und so weiter, er war ein gefragter Mann gerade mit all den alten DKWs, den Zündspulen kannte er sich aus und die anderen nicht... er war ein Genie..... Ich hab nichts gefunden, mein ganzes Leben hab ich immer wieder gedacht, dass etwas Böses gewesen ist, ich kann nichts finden, ich finde nur, dass Konkurrenzneid es sein könnte, das ist mein Glaube, ja. Autorin Inzwischen nimmt in den Niederlanden die Kritik an den Ausweisungen zu. Vor allem im Süden der Provinz Limburg kommt es zu zivilem Ungehorsam. Polizisten und Bürgermeister weigern sich, die Befehle aus dem fernen Den Haag auszuführen. Viele Minenarbeiter unterstützen die deutschen Kumpel. Das Band, entstanden in jahrelanger gemeinsamer harter Arbeit unter Tage, ist stärker als der Wunsch nach Vergeltung. Vor allem die katholische Kirche protestiert massiv. Die katholische Tageszeitung De Gelderlander: Zitator "Man verstehe uns gut. Wir haben nichts dagegen, dass politische Verbrecher mit der deutschen Nationalität ausgesetzt werden. Im Gegenteil. Aber wogegen wir Einwände haben, ist, dass ... noch immer Fremde - nicht politische Verbrecher - gejagt werden, als ob es Wild ist. Wir wollen nicht schönreden, was viele Reichsdeutsche unserem Land und Volk angetan haben, aber wir dachten, dass ... die schlechten Reichsdeutschen aufgegriffen wurden. Jetzt muss man endlich einen Schlussstrich ziehen.? Autorin Prister setzen eine regelrechte Kampagne gegen die Operation Black Tulip in Gang. Regelmäßig besuchen sie die Internierungslager und berichten von den Zuständen, üben Druck auf die verantwortlichen Politiker in Den Haag aus. Der katholische Justizminister Johannes Hendrikus van Maarseveen gibt nach und entscheidet, die Kriterien für die Ausweisung zu lockern. Künftig müssen Deutsche nicht mehr nachweisen, dass sie aktiv den Widerstand unterstützt haben, sondern nur, dass sie nicht aktiv gegen das niederländische Volk vorgegangen sind. Selbst ehemalige Wehrmachtssoldaten können eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Die Lockerung der Kriterien aber führt zu heftigen Protesten vor allem von linksgerichteten Parteien und Zeitungen. Die ehemalige Untergrundzeitung, die Amsterdamer Tageszeitung Het Parool schreibt am 29. August 1947: Zitator "Tausende junger Niederländer suchen verzweifelt Wohnraum und verschieben die Gründung einer Familie Jahr um Jahr. Die Niederlande stehen vor einem schweren Winter mit einer äußerst schwierigen Versorgungslage. Tausende Familien wissen nicht, wie sie von ihren Lebensmittelkarten leben sollen. Aber im Licht dieser Tatsachen beschließt unsere Regierung, zwei Jahre nach der Befreiung von der Barbarei der Moffen, dass es wieder Platz und Wohnraum gibt, dass es wieder Karten für tausende von Deutschen gibt, deren Rechtfertigung ihrer Anwesenheit daraus besteht, dass sie 'nicht gegen uns' waren, zumindest nicht schlimmer, als aus ihrem 'erzwungenen' Dienst in den Armeen von Adolf Hitler oder in seinen Wachbataillonen hervorgeht. Diese 'negativ-guten'Deutschen, diese Alt-Gedienten aus Hitlers Armeescharen ... haben keine Sorgen. Häuser, Lebensmittelkarten, Schutz. O unvergessene Freunde aus schweren Zeiten, wofür seid ihr gefallen?? Autorin Die katholisch-sozialdemokratische Koalitionsregierung ist in der Zwickmühle. Welcher Seite soll sie folgen? Man beschließt, zunächst weiter zu machen wie bisher. Die Ausweisungsmaschinerie läuft weiter. Daraufhin setzt die holländische katholische Kirche ihre höchste Autorität ein. Der Utrechter Kardinal De Jong tritt auf den Plan. Zitator Telegram von Kardinal de Jong an den Ministerpräsidenten Louis Beel vom 22. September 1947: "Exzellenz, wir haben von sehr zuverlässiger Quelle erneut vernommen, dass Ihre milderen Richtlinien keine allgemeine Anwendung finden. ... Demzufolge ersuchen wir, die ehrenwerten Bischöfe, mit Nachdruck die unverzügliche Beendigung der Transporte und Ausweisungen, einschließlich des Transports vom Dienstag, 23. September, am morgen 5 Uhr, bis Ihre Exzellenz die Angelegenheit näher untersucht hat. Sollten Sie wider Erwarten meinen, diesem nicht entsprechen zu können, dann sehen sich die ehrenwerten Bischöfe gezwungen, sehr bald in der Öffentlichkeit unsere ernste Missbilligung deutlich zu machen und katholischen Beamten zu verbieten, an der Ausführung mitzuwirken. Im Namen des Ehrwürdigen Episkopats, Johannes Kardinal de Jong.? O-Ton Boogarts het telegramm kwam binnen op een maandag .... Stel je voor dat meneer Beel plotseling niet meer naar de communie kon gaan 1. Übersetzer Das Telegramm kam an einem Montagnachmittag. Die Sitzung des Kabinetts wurde sofort unterbrochen, denn man musste erst entscheiden, was man mit dem Telegram des Kardinals tun sollte. Er könnte ja Maßnahmen ergreifen wie ein Verbot, die Sakramente zu empfangen. Und das war doch für die katholischen Mitglieder des Kabinetts äußerst schwierig. Man stelle sich vor, dass Ministerpräsident Beel auf einmal nicht mehr zur Kommunion hätte gehen können. Autorin Zur Exkommunikation der katholischen Kabinettsmitglieder kommt es nicht. Die Regierung verspricht, jeden einzelnen Fall erneut zu prüfen und die milderen Kritieren nun auch wirklich umzusetzen. Die katholischen Proteste haben Erfolg. Die Unruhe im Parlament nimmt zu. Die Niederlande befanden sich in einem Dilemma, sagt Professor Boogarts. Denn von der Ausweisung waren schließlich auch Niederländer betroffen. Die Frauen und Kinder der Deutschen. O-Ton Boogarts Dat kon natuurlijk niet... de honger prijs te geven 1. Übersetzer Das ging natürlich nicht. In Deutschland herrschte Hunger. Die Frage kam also auf, ist es eigentlich moralisch zu verantworten, niederländische Frauen und Kinder in die Hungersnot zu schicken. Autorin Im zerstörten Nachkriegsdeutschland müssen Millionen Vertriebene aus dem Osten untergebracht und versorgt werden. Täglich sollen 500, 600 Reichsdeutsche in die britische Zone abgeschoben werden. Die Briten versuchen, dies zu blockieren, und lassen nur diejenigen zu, die die Aufnahme von Angehörigen nachweisen können. Das Ziel von Familie Tieben ist Rütenbrock, bei Osnabrück. O-Ton Tieben (deutsch) Wir wollten zu unserem Vater seinen elterlichen Haus. Das ging aber nicht, das war Sperrzone, britische Sperrzone. Mein Onkel war außerhalb der Sperrzone. Sind wir nachts um zwölf oder ein Uhr angekommen, von da aus, zwei Tage später nach Rütenbrock zu meinem Vetter sein Haus, da war noch kein Fenster, keine Türen, nichts drin, kein Fußboden, da haben wir dann erst mal zwei Nächte so geschlafen, bis die Fenster reinkamen, dass es ein bisschen wohnlicher wurde ... ein paar provisorische Bretter, wo wir dann unsere Matrazen hinlegen konnten, kein Bettgestell, hatten wir ja nicht, dann haben wir da erst mal geschlafen, im September im kalten Bau. ... Mein Bruder und ich haben direkt unterm Dachziegel geschlafen, wenn dann Winter kam und Frost, das Eis war am Dachziegel und bei uns auf der Bettdecke, alles voll Eis. Das erste Mal, wie wir zur Schule mussten, konnte ich nicht deutsch reden, musste platt, mussten wir uns unterhalten... Beim ersten Diktat hatte ich 96 Fehler, das Wort Hund wird in Holland klein geschrieben und mit o, und in Deutschland, das wisst ihr ja, so gings, und die haben uns immer ausgelacht, die deutschen Jungens, das ist klar, war nicht so einfach. Autorin Marga Kuik und ihre Mutter ziehen ebenfalls in der Nähe von Osnabrück zum Vater und leben dort einige Jahre in einer Bodenkammer. Vater und Sohn der Familie Fischer werden von Verwandten in Metzingen bei Stuttgart aufgenommen. Kontakt mit der holländischen Familie ist für die Vertriebenen praktisch unmöglich, die Grenze ist abgeriegelt. Allenfalls illegal dürfen die deutschen Holländer einen kurzen Besuch wagen. Die Sonnemanns aus Amsterdam waren über Umwege in Thüringen gelandet. Bei der Familie des Vaters. O-Ton Annie ten Daas Mijn moeder ist twee keer in Berlijn geweest.... maar illegaal bij familie 1. Übersetzerin Meine Mutter ist zweimal in Berlin gewesen, um Auswanderungspapiere zu bekommen. Wir wollten zurück. Das ging nicht. Dann haben wir es illegal versucht. Wir wurden aufgegriffen, meine Mutter kam ins Gefängnis, und bekam ein halbes Jahr auf Bewährung. Aber sie ließen uns laufen. Dann sind wir zusammen mit meinem Vater gegangen. Und das ging. Bauern in Holland und Deutschland haben uns geholfen, gaben uns Essen, ein Bett und sogar Geld, um nach Amsterdam zu reisen. Und dann waren wir in Amsterdam, illegal, bei Verwandten. Autorin Vater, Mutter, Tochter - jeder wohnt bei einer anderen Familie, erinnert sich die Tochter Annie den Daas. Zwei Jahre lang. Alle Anträge auf eine Aufenthaltsgenehmigung in den Niederlanden werden abgewiesen und 1948 wird die Familie endgültig nach Deutschland abgeschoben. Annie wird erst in den 50er-Jahren in ihre Heimat zurückkehren, diesmal legal. Sie heiratet einen niederländischen Mann. Ihre Eltern aber bleiben verbittert zurück. Alle Versuche, die Eltern legal nachzuholen, scheitern. Ihr Vater, sagt Annie den Daas, hat es nie verwunden, nicht wieder in seinem geliebten Amsterdam leben zu dürfen. 1969 nimmt er sich das Leben. O-Ton Annie ten Daas met al die dingen die je meemaakt als kind blijft dart hangen, ... ik ben .... kwaad, kwaad.... maar het , gaat niet weg. ... immer zu spät 1. Übersetzerin All die Dinge, die man als Kind mitmacht, bleiben hängen. Bin ich wütend? .. Ich weiß nicht. Aber die Frustrationen. Ich konnte nicht zur Schule, keine Ausbildung machen, erst später habe ich das über Fernkurse nachgeholt. Aber man muss als Kind lernen .... immer zu spät. Autorin 1948 wird die Grenze allmählich durchlässiger, zumindest für den Handel. Die Niederlande haben auch keine Wahl. Deutschland war immer der wichtigste Exportpartner gewesen, und Handelsbeziehungen mit ihm sind nun mehr denn je lebensnotwendig. O-Ton Boogaarts In 1948 dreigde nog iets anders.... Nederland zat helemaal niet op de 100 000 te wachten , die kregen ong esxtra ovedespaketten en dat doet nautuurl+ijk sterk aan deknen aan die dutisers die in de oorlog toen extra voesdespaketten van hun overheid kregen 1. Übersetzer 1948 drohte noch etwas anderes. Die Niederlande mussten aufpassen, dass sie es mit der Ausweisung der Deutschen nicht auf die Spitze trieben. Denn die Engländer vertraten den Standpunkt, dass das nur nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit möglich war. In Deutschland wohnten damals 100 000 Niederländer in der britischen Zone, im Ruhrgebiet. Die Niederlande warteten aber nun wirklich nicht auf diese 100 000. Autorin Die Operation gerät ins Stocken. Einerseits durch den Druck der katholischen Kirche, die zunehmend kritischen Fragen im Parlament, und nun auch durch den Druck der Briten. Doch besiegelt wird das Schicksal der Operation Black Tulip schießlich durch die Weltpolitik. Atmo: Vier-Mächte-Konferenz in London Autorin Bei ihrer Konferenz Ende 1947 in London hatten sich die vier Siegermäche nicht über die Zukunft Deutschlands einigen können. Die Teilung Deutschland und damit auch Europas in zwei Machtblöcke wird immer wahrscheinlicher. Der Kalte Krieg beginnt. O- Ton Boogarts 1948 ist er een geheime zes-landen-conferentie... niet met alle soorten wraakacties doorgaan. 1. Übersetzer Anfang 1948 gab es eine geheime Konferenz zwischen England, Frankreich, den USA und den drei Beneluxstaaten. Auf dieser Konferenz wurde bereits die Rolle eines künftigen westlichen demokratischen Deutschlands skizziert. Das hieß, dass die Niederlande mit ihrem Racheplan ins Abseits gestellt wurden. Denn die großen drei hatten andere Ideen über die Zukunft von Westdeutschland. Deutschland sollte in den westlichen Verband integriert werden und dazu passten solche Racheaktionen nicht. Autorin Ende 1948 wird die Operation Black Tulip eingestellt, die beiden Lager an der Grenze werden geschlossen. Von den 25 000 Deutschen, die ursprünglich ausgewiesen werden sollten, sind bis dahin 3691 aus ihrer holländischen Heimat vertrieben worden. Einige wenige sollten später zurückkehren, als die Grenzen durchlässiger wurden. Josef und Rudolf Fischer zum Beispiel. Drei Jahre lang lebten sie bei Stuttgart. Den Rest der Familie, Mutter und die übrigen fünf Kinder, die in Belgien wohnten, konnten sie in jenen Jahren nur ab und zu bei illegalen Besuchen sehen. O-Ton Fischer op gegeven moment... ben ik hiergekomen 2. Übersetzer Irgendwann hieß es dann, dass wir zurück konnten. Wir konnten wählen zwischen Belgien und den Niederlanden. Mein Vater sagte, als Ausländer hast du in einem Land nur Nachteile. Und nach belgischem Recht konnte ich Belgier werden, wie meine Mutter. Also bin ich dahin gegangen. Autorin Die Fischers bauten sich dort, direkt an der belgisch-niederländischen Grenze, ein neues Leben auf. Zurück wollten sie nie. Auch die Familie Tieben blieb in Deutschland, unweit der holländischen Verwandtschaft in Haren. Hassgefühle gegen die Niederlande, hatten seine Eltern nicht, sagt Rudolf Tieben. O-Ton Tieben (deutsch) War nicht so einfach, aber wir haben schnell Kontakt gekriegt. Das war ja so, die haben uns rausgejagt, die wollen uns ja nicht. Also haben wir Abstand genommen. Die Eltern sagten, uns gehts gut hier, warum sollen wir nach Holland wieder zurückgehen. Autorin Marga Kuik kehrte in den 60er-Jahren zurück. Auch sie hatte zufällig einen niederländischen Mann kennengelernt und geheiratet. Ihre Mutter aber wollte nie wieder in ihrer holländischen Heimat wohnen. Als Marga Kuik 1967 mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern nach Hengelo zieht, wird sie nicht herzlich wie eine verlorene Tochter aufgenommen. Für die Nachbarn ist sie Deutsche. O-Ton Marga Kuik (deutsch) Es war schwierig, wie ich hier gekommen bin, wenn die Nachbarn, die alle gewusst haben, dass ich eine Deutsche bin. Ich hatte es nicht so einfach hier, am Anfang, wie wir hierhin gezogen sind. Irgendwie ließen sie es dich fühlen, dass du keine Holländerin bist oder Niederländerin... die sind alle so kurzsichtig hier, das sehen die nicht. Wenn ich jetzt deutsch gesprochen hätte, dann hätte ich gesagt, ja, aber ich hab ja holländisch gesprochen. Die haben es ja gar nicht gemerkt, dass ich aus Deutschland komme und trotzdem haben sie dich das fühlen lassen, wie sie es dann gewusst haben. Autorin Anti-deutsche Gefühle und der Rachegedanke waren lange sehr lebendig. Die Deutschen blieben d e r Feind. Das erlebte auch die Familie Haslöver, die dem Widerstand geholfen hatte und nach Protesten der Nachbarn bleiben durfte. Für sie endet der Krieg am 31. Mai 1951 mit einem Brief des niederländischen Beheersinstituut. Die Behörde, die alle beschlagnahmten Güter von Reichsdeutschen verwaltete. O-Ton Ben Haslöver Bij de beeindigiging van de door u verleende ontvijandig deel ik u mee dat door u dient te ontvangen de din belsag genomen geld 50 gulden ... Entfeidnug 3. Übersetzer Bei der Beendigung der an Sie verliehenden Entfeindung teile ich Ihnen mit, dass Sie noch zu empfangen haben, die beschlagnahmten 50 Gulden, und das auf der Reichssparkasse noch anwesende Saldo von 100 Gulden und 44 cents, bezahlt wurden an Kosten 85 cents, die in Rechnung gestellten Verwaltungsgebühren betragen 120 Gulden und 50 cents. Das Saldo von 29,09 wird Ihnen überwiesen. ... Entfeindung... Na ja, wir waren doch Deutsche, und Deutsche waren im Prinzip die Feinde. Nur meine Mutter nicht .... Autorin Die Forderungen nach Schadenersatz und Gebietsansprüchen gab der Staat erst spät auf. Noch 1967 wurde per Gesetz festgehalten, dass das beschlagnahmte Vermögen von in den Niederlanden lebenden Deutschen endgültig dem niederländischen Staat zufiel. Rund eine halbe Milliarde Euro. O-Ton Boogaarts Het punt is dat Nederland die wraakgedachte vrij uniek is geweest, we hadden eigenlijk nog nie deel genomen aan het wereldverkeer, dat moesten we nog leren. 1. Übersetzer Der Rachegedanke in den Niederlanden war ziemlich einzigartig. Belgien zum Beispiel hat ja im Osten eine deutsche Minderheit. Die haben sie nicht ausgewiesen. Die Belgier hatten uns noch gewarnt. Fangt damit nicht an, dann kriegt ihr ein Minderheitenproblem, die wollen dann zurück. Die Niederlande haben doch weiter gemacht. Belgien hatte natürlich den ersten Weltkrieg mitgemacht und wusste genau, wozu Ressentiments gegen Deutsche geführt haben. Wir wussten das nicht, wir hatten eigentlich noch nicht an diesem Weltverkehr teilgenommen, das mussten wir noch lernen. Autorin Die Operation Black Tulip geriet in Vergessenheit, bis jetzt der niederländische Rundfunk die Vorgänge dokumentierte und ein Buch erschien. Anlass für fast alle Medien, nun 65 Jahre nach Kriegsende, ausführlich über die Vertreibung der Deutschen zu berichten. So ein Vorgehen passte nicht in das bisherige einseitige Bild vieler Niederländer vom Krieg, sagt der renommierte Fernsehjournalist Ad van Liempt. O-Ton Ad van Liempt (deutsch) Wir nennen uns selber immer tolerant und vernünftig. Es ist kaum zu glauben, auch für mich, als ich das zum ersten Mal hörte, dass das überhaupt möglich gewesen ist. Dass wir ein Jahr nach dem Krieg selber tausende Leute in ein Lager setzen würden und deportieren würden, aber das ist alles geschehen. Autorin Seit der deutschen Wiedervereinigung hat sich die Haltung der Niederländer zu ihren deutschen Nachbarn positiv verändert. Der Krieg spielt dabei einer Studie zufolge für die meisten keine Rolle mehr. Das macht den Weg frei, so der Fernsehjournalist van Liempt, dass Niederländer auch ihre eigene Rolle im Krieg und in der Nachkriegszeit mit anderen, kritischen Augen sehen können. O-Ton Ad van Liempt (deutsch) Es gibt verschiedene Bücher, auch Filme, der letzten 20 Jahre, dass wir uns das bewusst geworden sind, dass wir kein Volk von Helden waren, das sind wir nicht. Es hat in Holland viel Kollaboration gegeben, auch mit der holländischen Haltung zur Deportation der Juden, da hat es auch sehr viel Kollaboration gegeben, und dass wir auch im eigenen Land eine solche Aktionen wie Black Tulip gemacht haben, das ist für viele Leute ein Schock, aber man muss das an die Öffentlichkeit bringen, das ist die einzige Art, um damit fertig zu werden. Absage Operation Black Tulip Die Vertreibung der Deutschen aus den Niederlanden Ein Feauture von Annette Birschel Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2010. Es sprachen: Susanne Barth, Gregor Höppner, Hans-Gerd Kilbinger, Hansjoachim Krietsch, Claudia Mischke und Ernst August Schepmann Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Anne Bartel Regie: Anna Panknin Redaktion: Marcus Heumann 2