DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 26.02.2008 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr Im Jahre eins nach Fidel Was wird aus Kuba nach Castro? Von Ingrid Kummels URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik: "Lucha tu yuca? (Ray Fernández 12) 1. Sprecher/Liedtext: Um alles oder nichts geht es Das ganze Dorf weiß es An Kleidung mangelt es Knapp ist unser täglich Brot, teuer die Magie und noch teurer die Medizin Atmo: Fidels Neujahrsbotschaft verlesen von Ricardo Alarcón: Estados Unidos, país que no suscribió el convenio de Kyoto 2. Sprecher/Ricardo Alarcón: Die USA haben das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet und richten mit einem Ausstoß von 600.000 Milliarden Tonnen Kohlendioxid einen immensen Schaden an der Atmosphäre an, ohne die kein Leben möglich ist. Autorin: Die politische Tagessarbeit hat Fidel Castro seit Monaten seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Raúl überlassen. Der 81-jährige Comandante ist krank. Seine Botschaft zum Klimawandel muss vorgelesen werden. Derweil hat es der Bruder Raúl Castro mit den Alltags-Problemen zu tun, die den Kubanern unmittelbar auf den Nägeln brennen. Die Mehrheit kann vom staatlichen Peso-Lohn allein nicht mehr leben. Soll Kuba sozialistisch bleiben, fragen sich viele, und ist es überhaupt noch ein sozialistisches Land? Seit Jahren schon fahre ich ganz regelmäßig nach Kuba, habe als Sozialwissenschaftlerin dort Menschen quer durch alle Schichten kennengelernt. Jetzt erlebe ich zum ersten Mal, wie die Kubaner offen über Reformen debattieren. Musik: "Lucha tu yuca? (Ray Fernández 12) ANSAGE: Im Jahre eins nach Fidel. Was wird aus Kuba nach Castro? Ein Feature von Ingrid Kummels Atmo: Raúl-Rede, einzelne Stimmen Autorin: La Vibora, Havannas Arbeiterviertel. In einem dürftig renovierten Holzhaus aus den 20er Jahren verfolgt Dorita gebannt vor dem Fernseher einen Monolog von Raúl Castro, seine Neujahrsansprache für 2008. Dorita ist Mitte vierzig und eine Regierungs-Anhängerin, arbeitet aber längst nicht mehr für den Staat. Sie lebt von Dienstleistungen in der sog. Schattenwirtschaft. Atmo Raúl-Rede: ...reducir las importaciones al invertir los recursos en prioridades 3. Sprecher/Raúl Castro: Wir müssen die Importe reduzieren, die Unternehmensstruktur perfektionieren und damit die Glaubwürdigkeit Kubas erhöhen. Noch gibt es viele Mängel und die Kritik der Bevölkerung daran ist berechtigt. Ja, wir haben eine Reihe von internen Defiziten, wie ich schon in meiner Rede in Camagüey erklärte.... Atmo: Beifall, Dorita: Oye, si se hace lo que dijo ahí, cambiará esto. Está en talla. Se lo sabe todo. 4. Sprecherin/Dorita: Wenn wir nur alles tun würden, was Raúl sagte, würde sich hier alles ändern. Der blickt durch. Wir müssen an die Arbeit! Autorin: Dorita ist begeistert. Raúl Castros selbstkritische Töne kommen bei großen Teilen der Bevölkerung gut an. Wenn auch nicht bei Allen. Manche beklagen, dass nach wie vor private Unternehmen stark eingeschränkt sind und missliebige politische Meinungsäußerungen immer noch verfolgt werden. Kubaner dürfen ohne offizielle Genehmigung weder einen Satellitenfernseher noch einen Computer besitzen. Und wer einmal auswandert, darf sich nie wieder auf der Insel niederlassen. Atmo: Am Computer im Hotel Presidente Musik: instrumental (Suite Habana 7) Yoanis Blog: 2. Sprecherin (auf spanisch): 31 de Diciembre. Anuncios de agua potable todo el día, de caminos 1. Sprecherin/Yoanis Blog Übersetzung: 31. Dezember. Man kündigt uns an, dass wir bald täglich fließendes Wasser haben werden, dass die Straßen repariert und neue Busse für die Stadt angeschafft werden. Es sind die üblichen Versprechungen und sie erinnern an die Neuerungen und Ziele, die man vor vierzig oder fünfzig Jahren dringend herbeisehnte. Jetzt aber wirken sie beschränkt, verspätet und unehrlich. Musik: "Cuando aparezca el petroleo" (Eddie Sánchez 10): Cuando aparezca el petroleo y la cosa no esté tan dura 1. Sprecher/Liedtext: Wenn wir auf Erdöl stoßen Und alles nicht mehr so schlimm ist Wenn die USA die Blockade aufheben Und unsere Landwirtschaft blüht Wenn Guantánamo Ein Badeort im Osten der Insel ist Und bei den Vereinten Nationen Ein Kubaner Generalsekretär ist Musik: un cubano sea presidente Autorin: El Bloqueo, die Blockade, so nennt man in Kuba das Handelsembargo, das die USA 1961 verhängten, nachdem die neue sozialistische Regierung den US-Besitz verstaatlicht hatte. Bis zum Sturz des rechten Batista-Regimes 1959 durch kubanische Revolutionäre, beherrschten die USA die Wirtschaft und damit auch die Politik der Insel - trotz der formalen Unabhängigkeit. Die Blockade wurde seither für vieles, was in Kuba im Argen liegt, allein verantwortlich gemacht. Nun aber wird darüber diskutiert, dass manche Missstände auch hausgemacht sind. Mit Alicita bin ich seit Jahren befreundet. O-Ton Alicita García: Él le ha dado a Raúl una posiblidad de entender lo que sucede ... 3. Sprecherin/Alicita García: Raúl versteht mehr als Fidel von dem, was tagtäglich in Kuba passiert. Er blickt durch, ist ein guter Organisator und das gibt mir neuen Mut, wobei ich noch vor kurzem am Regime zweifelte. Soll man das hier nun Sozialismus, Tropensozialismus oder eine kubanische Laune nennen? Auf der einen Seite wollen wir nicht alle Errungenschaften der Revolution verlieren. Auf der anderen Seite sind Reformen nötig. Sie kommen aber nur in Schneckentempo voran, weil zwei Lager um die Vormacht kämpfen: Die "Taliban", das sind Kader, die starr an Fidels Planwirtschaft festhalten, während die Reformer um Raúl ein offeneres Modell anstreben. Raúl hat als Armeechef die Rückendeckung der Militärs. Die Castro-Brüder sind sich uneins, Fidel widerspricht in seinen Briefen, die im Parteiorgan "Granma" abgedruckt werden, Raúl öffentlich. Atmo: Am Computer im Hotel Presidente, unterlegen evtl. Musik: instrumental (Suite Habana 7) Yoanis Blog: 2. Sprecherin (auf spanisch): Algo me arrastró a escribir un blog 1. Sprecherin/Yoanis Blog Übersetzung: Ein Antrieb, diesen Blog zu schreiben, war der bittere Nachgeschmack, den die Debatte im Januar 2007 hinterließ. Wir, eine Gruppe von jungen Leuten, wollten uns Zutritt zu einer eilig einberufenen Konferenz über das "Graue Jahrfünft" verschaffen. Es gab einen Sturm der Entrüstung, weil einer der damaligen Verantwortlichen für die Zensur und die Verhaftung von Schriftstellern rehabilitiert worden war. Ein erlesener Gästekreis durfte zur Diskussionsveranstaltung in der "Casa de las Américas", während Wachleute dafür sorgten, dass wir Kritiker draußen blieben. Drinnen wiederholte der Kulturminister die alte Formel: im belagerten Kuba bedeutet jede abweichende Meinung Verrat. O-Ton Concepción Nieves: Como pueblo y al cual se convocó fue al pueblo de Cuba a discutir sobre sus problemas.... 4. Sprecherin/Concepción Nieves: Das kubanische Volk wurde einberufen, um über seine Probleme zu reden. An meinem Arbeitszentrum analysierten wir, dass das Grundlegende die Wirtschaft ist. Autorin: Die Philosophieprofessorin Concepción Nieves ist ein Kind der Revolution. Im Kostüm sitzt mir die lebhafte Mittvierzigerin in ihrem Büro gegenüber. Es liegt in einem dieser herrschaftlichen Gebäude aus der Jugendstilzeit, in denen gerne staatliche Einrichtungen untergebracht wurden. Raúl Castro hat einen viel beachteten Schritt getan und die Kubaner dazu aufgerufen, in ihren Arbeitszentren alle Missstände beim Namen zu nennen. Wurde dort wirklich offen diskutiert? O-Ton Concepción Nieves: como lograr que las necesidades con el resultado de su trabajo 4. Sprecherin/Concepción Nieves: Die Wirtschaft muss so gestaltet sein, dass jeder seine Bedürfnisse auf der Grundlage seiner Arbeit befriedigen kann. Aber seit der Notwirtschaft des Período Especial der 90er-Jahre ist die Berufs- und Einkommenspyramide auf den Kopf gestellt worden und wir Fachleute sind am Sockel gelandet. O-Ton Concepción Nieves: ...sino estaban en la base (lacht). 4. Sprecherin/Concepción Nieves: Die Gehälter müssen neu geordnet werden. Ich verdiene 750 kubanische Pesos, das heißt dreißig Dollar, im Monat. Als Folge haben viele junge Leute ihr Studium abgebrochen, sie haben andere Wege eingeschlagen. Einer dieser Wege war die Prostitution. Wir sollten uns nicht schämen, sie offen anzusprechen, um sie so zu überwinden. Autorin: Concepción Nieves' Reflexionen wurden in der kubanischen Zeitschrift "Temas" veröffentlicht, in einer Ausgabe, die sich mit der so genannten "Transition" beschäftigt. Es geht um die Frage, ob Kubas Wirtschaft nicht zumindest in Teilbereichen mehr unreglementierten Markt zulassen sollte. Wer darüber laut nachdachte, beging noch vor ein paar Monaten einen Tabubruch. Die Philosophieprofessorin überrascht es, dass ich das kontrovers diskutierte Heft schon kenne. O-Ton Concepción Nieves: ...y Temas lo leyó aquí o allá? 4. Sprecherin/Concepción Nieves: Haben Sie das Temas-Heft hier in Kuba oder in Deutschland gelesen? O-Ton Autorin: Lo bajé por internet.. Autorin: Ich habe es aus dem Internet heruntergeladen. O-Ton Concepción Nieves: Aaaaaah, que bien 4. Sprecherin/Concepción Nieves: (etwas skeptisch) Aaaaah, das ist gut. Nun ja, das Thema Transition motiviert. Der Übergang wird nicht schnell zu erreichen sein und verläuft als Prozess voller Widersprüche. Musik: "Lucha tu yuca? (Ray Fernández 12) 1. Sprecher/Liedtext: Er schuftet und schuftet Der kleine Indianer, wie er schwitzt! Sein Stamm lebt am Rande der Illegalität Der Rum reicht dem Häuptling nicht als Diät Für die Feste kassiert er Dollars Musik: Que te está poniendo en fula el areíto Autorin: Wenig später bin ich mit Rafael Hernández verabredet. Er gibt die Zeitschrift "Temas" heraus. Sie bildet eine Art von regierungsnahem Think Tank. In seinem klimatisierten, fensterlosen Büro bereitet er gerade die nächste Ausgabe vor und erklärt mir, warum der Begriff Transition ein heißes Eisen ist: O-Ton Rafael Hernández: Yo pienso que la transición que puso en circulación... 3. Sprecher/Rafael Hernández: Transition war ursprünglich ein sozialistisches Konzept, doch als die Berliner Mauer fiel, verwendeten es die US-Amerikaner nur noch im Sinn von Kubas Rückkehr zum Kapitalismus. Aber ich bin der Meinung, dass auch Venezuela unter Hugo Chávez gerade eine Transition erlebt, weil darunter sehr unterschiedliche Phänomene zu verstehen sind. Kubas aktuelle Phase ist eine Transition, aber eine, die innerhalb des Sozialismus stattfindet. Und alle, die sich in der Zeitschrift Temas an der Debatte beteiligen, stimmen darin überein, dass wir einen Sozialismus mit Markt brauchen, aber dass dieser Markt reguliert werden muss. Musik (instrumental): "Los libros no..." (= Kalinka-Melodie; Ray Fernández 9) Autorin: Nach dem Ende der Sowjetunion wurde der US-amerikanische Dollar legalisiert und mit Hilfe des Tourismus gelang ein ökonomischer Aufschwung. Seither aber zerfällt das Land in einen Sektor der harten Währung - umtauschbare Pesos, die die Bevölkerung "Dollars" nennt - und die Welt der entwerteten kubanischen Pesos. Seit 1995 können Kubaner kleine Privatunternehmen betreiben, etwa Restaurants, die aber nicht mehr als zwölf Stühle haben dürfen. Sollten Kubaner Wohnungen und Liegenschaften besitzen dürfen und sich mit ihrem Kapital an Joint-Ventures beteiligen, frage ich Rafael Hernández. Denn Ausländer und Kader wie das Militär dürfen das längst. O-Ton Rafael Hernández: Pero esa desigualdad no es de las más preocupantes, porque la mayor parte de la gente no tiene capital 3. Sprecher/Rafael Hernández: Dass nur Auslandsunternehmen Joint-Ventures eingehen können, trägt zwar zur Ungleichheit bei, aber das ist es nicht, was uns am meisten beunruhigt. Die Mehrheit der Kubaner hat doch gar kein Kapital. Auch betreibt das Militär Tourismusunternehmen wie "Gaviota", um sich zu finanzieren und nicht als kapitalistische Unternehmer. Das Problem sind also allein die Löhne. Was eine Reform anbelangt, ist es keineswegs so, dass nur "die da unten" mehr Marktwirtschaft wollen und "die da oben" Widerstand leisten. Viele in der Bevölkerung haben Angst vor großen Veränderungen und sind logischerweise abgeneigt. Musik: "Lucha tu yuca? (Ray Fernández 12) 1. Sprecher/Liedtext: Hurrikan, Keule und der Rauch einer Cohiba Auf zur Massenkundgebung! Sie blasen das Horn Der Häuptling hat die Macht, die absolute Macht! Musik: El cacique tiene el power - absoluto!, bis 2'48 unterlegen Autorin: Ich habe mir vorgenommen auch Regierungskritiker zu besuchen, die die Entwicklung aus anderem Blickwinkel betrachten. Reinaldo Escobar ist einer, er wohnt im vierzehnten Stock mit atemberaubenden Blick über Havanna. Doch das einst moderne Hochhaus hat gelitten, die Aufzüge sowjetischer Bauart sind längst defekt. Das Gebäude liegt nahe der Plaza de la Revolución, in einem früheren Vorzeigeviertel für Ministeriumsangestellte. Escobar ist 60 Jahre alt, trägt ein T-Shirt und ist Journalist. Früher arbeitete er bei der staatlichen Zeitung "Juventud Rebelde". 1988 verlor er seine Stellung, weil er in seinen Artikeln die Planwirtschaft kritisierte. O-Ton Reinaldo Escobar: pongo ejemplo que yo vivo en una casa... 2. Sprecher/Reinaldo Escobar: Nehmen wir zum Beispiel meine Wohnung, ich habe dafür 5.000 Pesos bezahlt, das sind nur 200 Dollar. Damals jubelte ich vor Freude über das Schnäppchen. Aber inzwischen weiß ich, dass die Vorteile, die ich als Wohnungsbesitzer genieße, auf einem Irrweg beruhen. Denn gleichzeitig hat meine erwachsene Tochter mitsamt ihrer Familie keine Wohnung. Wie viele andere ist sie gezwungen, bei ihren Eltern zu leben. Nur wenn die Regierung ein rentables, marktorientiertes Wohnungsbauunternehmen betreiben würde, dann hätte auch sie ein eigenes Dach über dem Kopf. Autorin: Wie sollten die Wirtschaftsreformen aussehen? O-Ton Reinaldo Escobar: lo he pensado bien... cambios tienen una dirección, velocidad, profundidad... 2. Sprecher/Reinaldo Escobar: Also, dazu habe ich mir einige Gedanken gemacht. Der Wandel hat drei Dimensionen: Richtung, Tempo und Tiefe. Was die Wirtschaft anbelangt, können wir in Kuba nur in eine Richtung gehen, in Richtung Marktwirtschaft. In der Politik brauchen wir mehr Demokratie. Atmo: Am Computer im Hotel Presidente Musik: instrumental (Suite Habana 7) Yoanis Blog: 2. Sprecherin (spanisch) Presenciamos - entre atónitos y felices - el rebrote de la pequeña empresa privada 1. Sprecherin/Yoanis Blog: Verdutzt und voller Freude verfolgten wir das Wiederaufblühen der privaten Kleinunternehmen. Doch bald merkten "die da oben", dass die wirtschaftliche Liberalisierung zugleich mehr politische Autonomie bedeutete. Cuco, Besitzer des bekanntesten Privatrestaurants in meinem Viertel, hatte vor, seine Gewinne in eine Reise nach Paris, einen modernen Wagen und eine Gastronomiezeitschrift zu investieren. Seine "Klassenallüren" bereiteten den Funktionären Kopfzerbrechen. Sie überzogen Cuco und die anderen mit hohen Steuern, heimtückischen Kontrollen und zahllosen Regeln und Verboten. Cuco musste sein Restaurant schließen, und wir nahmen Abschied vom Kreativitätsboom und dem Karneval der Geschmäcker. Atmo: Im Hotel Presidente Autorin: Freie Meinungsäußerung auf Kuba - Yoani Sánchez leistet sich die Nagelprobe, sie schreibt einen Blog namens "Generation Y". Die junge Kubanerin sitzt in Bermuda- Shorts an einem der drei Computer im feudalen Hotel Presidente, inmitten der großen Empfangshalle mit ihren Möbeln im Kolonialstil, der spiegelgetäfelten Bar, den in weiß gekleideten Kellnern und den an der Rezeption plaudernden Touristen. Mit ihrer hellen Haut könnte sie hier auch als Touristin durchgehen. O-Ton Yoani Sánchez: el acceso a internet es muy limitado, incluso Cuba... 1. Sprecherin/Yoani Sánchez: Der Zugang zum Internet ist extrem eingeschränkt und weniger als ein Prozent der Kubaner nutzen ihn. Natürlich haben hohe Funktionäre Zugang und an manchen Arbeitsplätzen in den Büros gibt es vernetzte Computer. Aber die Kommunikation über Internet wird kontrolliert und viele haben Angst, sie für alle Zwecke zu benutzen. In den wenigen Cybercafés ist das Surfen sehr teuer und daher ein bitteres Vergnügen. Ich benutze meist das Internet, das es in den Luxushotels gibt, die nicht wirklich für Kubaner offen sind. Das gelingt mir nur, wenn die Portiers kulant sind oder mich mit einer Ausländerin verwechseln. Ich kann es mir nicht leisten, im Netz zu lesen. Ich versuche nur schnell den Artikel vom USB-Stick auf meine Blog-Seite zu laden, was um die dreißig Minuten dauert und mich drei Dollar kostet - ein Drittel des staatlichen Mindestlohnes. Aber gerade in diesem Medium mit dem restriktivsten Zugang kann man sich am freiesten äußern. Autorin: Auf www.desdecuba.com kommentiert Yoani Sánchez, die keiner politischen Gruppe angehört, all die Irritationen, die sie beim täglichen Einkauf, in der Schule ihres elfjährigen Sohnes, beim Fernsehen und beim Ausgehen erfährt. O-Ton Yoani Sánchez: Yo me considero una cubana con muchas dudas... 1. Sprecherin/Yoani Sánchez: Ich bin einfach eine Kubanerin, die viele Zweifel hegt und sie äußert. Natürlich gelte ich damit nach dem beschränkten Klassifizierungsraster der Regierung als Oppositionelle und die Nachbarn nennen mich misstrauisch eine "Menschenrechtlerin". Aber ich wende mich vor allem an meine Generation. Ich nenne sie Generation "Y", weil man in den 70er-Jahren Kindern gern Vornamen gab, die mit einem Y anfangen. Das klang ausländisch und schick. Meine Generation hat den Untergang der großen Mythen und Ismen erlebt und das hat uns zu Zynikern gemacht. Die meisten von uns haben sich für das Schweigen oder das Auswandern entschieden. Die Schule hat uns nicht gelehrt kontrovers zu diskutieren und das will ich nun mit meinem Blog ändern. Ende O-Ton Yoani Sánchez: ...y es de alguna manera lo que quiero cambiar con mi blog Atmo: Fernsehen Atmo: Am Computer im Hotel Presidente Musik: instrumental (Suite Habana 7) 2. Sprecherin (auf spanisch): 12 de Diciembre. El martes lo pasamos entre el teléfono y los amigos que venían para contarnos 1. Sprecherin/Yoanis Blog: 12. Dezember. Am Dienstag klingelte das Telefon andauernd und Freunde besuchten mich, um zu erzählen: Der Fernsehmoderator Carlos Otero hatte in den USA um Asyl gebeten. Mich hat das nicht groß erstaunt. Ich bin's gewohnt, dass jedes Jahr mehrere Freunde von mir das Land verlassen, warum sollte einer unserer "Erfolgreichen" es nicht auch tun? Sie alle sehen keine Zukunft mehr für sich in Kuba. "Denen da oben" ist es nicht gelungen, ein Land aufzubauen, in das die Menschen ihre Energie investieren wollen. So lange sie das nicht erkennen, gibt es für das Drama der Auswanderung keine Lösung und mit jeder Auswanderung wird für uns, die zurück bleiben, diese Insel zunehmend leer und schrecklich öde. Musik: "Civilización" (X Alfonso 5) Autorin: Rubiel García ist erst Anfang 30 und Sekretär für Kultur des Studentenbundes FEU, eine von Kubas wichtigsten Massenorganisationen. Er macht sich Sorgen um die Generation, die noch jünger ist als er selbst. O-Ton Rubiel García: Y esta gegeración que te decía que viene del noventa para acá tiene otra forma de pensar... 3. Sprecher/Rubiel García: Die Generation, die in den 90er Jahren aufwuchs, ist anders. Damals verkamen die klassischen Werte, jene Generation wuchs unter den grausamsten Defiziten des Período Especial, der Wirtschaftskrise, auf. Die Solidarität, die in unseren Adern fließt, erlaubte uns, vieles zu überwinden. Trotzdem, unter der Jugend bleibt eine große Apathie, sie ist apolitisch, aber sie hat durchaus ihre eigene Kultur. Wir vom Studentenbund versuchen, sie massenhaft zu mobilisieren, aber früher war das viel leichter. Jetzt arbeiten die Nahverkehrsprobleme und eben diese Apathie gegen uns. Aber erst vor kurzem hatten wir eine riesige Resonanz. Beim letzten Konzert des Studentenbundes, alles kostenlos, füllte sich das Stadion; wir haben die Jugendlichen wirklich angesprochen... O-Ton Autorin: Y cuáles artistas eran? Autorin: Ich frage, welche Bands haben beim Konzert gespielt? 3. Sprecher/Rubiel García: Equis Alfonso und Buena Fe. Die spielen eine Musik, die eine Botschaft in sich trägt und zu der sich jeder seine eigenen Gedanken machen kann. Musik: "Civilización" (X Alfonso 5) (historia, historia, historia) Atmo: Straße Obispo, Markt Autorin: Die Wünsche nach höheren Einkommen und einem besseren Warenangebot scheinen nicht allein die Gründe für die aktuelle Auswanderungswelle zu sein. Ich bahne mir den Weg durch die Menschenmenge zu den Marktständen des sogenannten "Agro" und entdecke dort eine Vielfalt von Produkten. Doch wer sich mit allem Notwendigen eindecken will, muss auch komplizierte Einkaufstouren zu inoffiziellen Märkten auf sich nehmen. Yanet habe ich im Arbeiterviertel La Víbora kennengelernt. Die 33-Jährige im modischen, körperbetonten Outfit erzählt mir, was es mit dem berühmten Glas Milch auf sich hat, das Raúl Castro in seiner allseits gelobten Rede vom 26. Juli 2007 zum Thema gemacht hatte: O-Ton Yanet: Se garantiza a los niños de zero a siete años, ya después de los siete... 3. Sprecherin/Yanet: Subventionierte Milch auf Lebensmittelkarte erhalten die Kinder bis zu sieben Jahren, dann gibt es für die bis zwölf Jahren zwei Joghurt-Beutel und auch für die Alten über 65 Milch. Ich falle aus diesen Altersgruppen heraus und so kaufe ich regelmäßig Milch auf dem Schwarzmarkt. Einen Dollar zahle ich für das Pfund Trockenmilch, denn ich mag Milch, ich trinke sie mit Schokolade. In den Dollar-Läden ist die Milch viel zu teuer. Mein ganzes Leben habe ich Milch auf den Schwarzmarkt kaufen müssen. Musik: "Lucha tu yuca? (Ray Fernández 12) 1. Sprecher/Liedtext: Anacaones, Caribes und Guanahatabeyes Bis hin zu den naiven Ciboneyes schnappen sich ihr Kanu Und wandern zu den reichen Indianerdörfern aus Musik: Y emigran a los prósperos caneyes Autorin: Zur Zeit sind es 33.000 Menschen im Jahr, die Kuba den Rücken kehren. Auch Yanet, die das Abitur in der Tasche hat, hat "el bombo", das große Los, gezogen. Der Hauptgewinn ist eine Green Card, eine unbeschränkte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für die USA. Seit 1994 gibt die US-Regierung 20.000 Visa speziell an Kubaner aus, mit dem Ziel, die unkontrollierte Massenflucht der Bootsflüchtlinge einzudämmen. Yanet möchte Kuba eigentlich gar nicht endgültig verlassen, doch der Staat lässt ihr keine andere Wahl. O-Ton Yanet: Bueno, cuando llega el sorteo se solicita primero un día de entrevista 3. Sprecherin/Yanet: Wer in der Lotterie einen Gewinn zieht, muss zunächst einen Termin für die Befragung in der US-Botschaft beantragen. Auf der kubanischen Seite muss ich noch zum Wohnungsamt gehen, denn wer das Land verlässt, ist per Gesetz verpflichtet, alle Güter, die er besitzt, dem Staat zu übergeben. Zum Glück besitze ich nichts oder besser gesagt, mein Kühlschrank und mein Fernseher sind nicht auf meinen Namen registriert. Also kann ich sie unter der Hand verkaufen. Damit will ich mir die Reise finanzieren, die ungefähr 900 Dollar kosten wird. Autorin: Verkaufst Du auch heute etwas, frage ich Yanet. O-Ton Autorin: Estás vendiendo algo hoy? Yanet: (lacht) Sí, ropa. Sí, hoy sí he tenido un buen día. (lacht) 3. Sprecherin/Yanet: Gerade habe ich meine Garderobe verkauft, es war ein guter Tag. Meine Kleidung, meine Schuhe, alles ist weggegangen. Neben den 900 Dollar für die Reise brauche ich zusätzlich 800 für den ersten Monat in den Staaten, weil ich dort niemanden kenne und nicht weiß, wie die Sachen dort funktionieren. Autorin: Hast Du die 800 schon beisammen? O-Ton Autorin: Te falta mucho? Ya los tienes? Yanet: (lacht verzweifelt) No los tengo, pero los estoy tratando de buscar. 2. Sprecherin/Yanet: Von Wegen! Ich bin dabei das Geld zusammenzukratzen. Ich laufe herum, verkaufe alles, denn ich muss versuchen, aus dem Nichts Geld zu schlagen. Atmo Kinosaal: Estoy muy emocionada de estar aquí con todos ustedes, presentando la película en el país donde nací... 4. Sprecherin/Vivian Lesnik: Es ist sehr bewegend hier im Land zu sein, in dem ich geboren bin... Autorin: Das Kino gegenüber vom kubanischen Filminstitut ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Vivian Lesnik, die fast ihr ganzes Leben in Miami verbracht hat, stellt einen Dokumentarfilm über ihren Vater vor. Max Lesnik ist ein alter Weggefährte von Fidel Castro. Doch er kehrte dem Comandante und Kuba 1964 den Rücken. Fidel Castros Weg, sich wirtschaftlich und politisch einseitig an die Sowjetunion zu binden, wollte er nicht mitgehen. Jahrzehntelang war Lesnik in Kuba eine persona non grata. Doch heute sitzt sogar der Parlamentspräsident Ricardo Alarcón mit im Kino und macht dem Abtrünnigen aus Miami seine Aufwartung. Atmo: (Vivian Lesnik stellt im Kinosaal Max Lesnik vor:) también quisiera presentarles a mi padre Max Lesnik, el protagonista de la película (Applaus) O-Ton Max Lesnik: La película "El hombre de las Dos Habanas? que es una historia.. . 5. Sprecher/Max Lesnik: Der Film "Der Mann aus beiden Havannas? zeigt vieles, was bisher in Kuba nicht gezeigt werden konnte, zum Beispiel einen Herren, der gegen die kubanische Regierung konspiriert hat, weil er dagegen war, dass die Beziehungen mit der Sowjetunion so eng wurden - also mich! Und heute wurde dieser Film sogar wohlwollend in der Granma besprochen. Also wenn das keine Wende ist, was ist dann eine Wende? Autorin: Der quirlige Max Lesnik ist ein Beispiel für die Vielfalt der politischen Lager jenseits der Ultra-Rechten in Miami. Die künftige Haltung der USA gegenüber der Insel ist ein Schlüsselfaktor für die politischen Möglichkeiten, die dem kubanischen Sozialismus offen stehen. Im noblen Hotel Nacional, der Zentrale der Filmfestspiele, erklärt mir der Linke Lesnik, warum die bisherige US-Politik der harten Linie, bei den nächsten Präsidentschafts- und Senatorenwahlen in den USA Risse bekommen könnte. O-Ton Max Lesnik: pero el resto, a gran emigración cubano no está en favor de la política.... 5. Sprecher/Max Lesnik: Die Mehrheit der Migranten in den USA ist nicht auf der Seite der rechten Hardliner. Die Exil-Kubaner setzen sich aus verschiedenen Auswanderungswellen zusammen, wie der von Mariel, als 125.000 das Weite suchten, dann die der Bootsflüchtlinge und jetzt aus Menschen, die vorwiegend legal in die USA einreisen. Es gibt keine homogene Exil-Gemeinde. Im November steht die Wahl der US-Senatoren an. Die bisherigen Senatoren, die Brüder Díaz-Balart - die Söhne von Fidel Castros Schwager aus erster Ehe - sind rechte Hardliner. Bisher diktierten sie die Kuba- Politik der USA. Ihr Gegenkandidat ist Raúl Martínez. Als erster Exil-Kubaner wurde er Bürgermeister in Miami, ohne Kuba aufs Tapet zu bringen. Castro bei Kommunalwahlen in den USA zum Thema zu machen - das ist doch lächerlich. Atmo: Hiphop an der Straße Autorin: Ebenso wie die von Miami ist auch die inselkubanische Opposition vielfältig. In einer Mittelklassewohnung in Miramar, die gleichzeitig als Parteibüro dient, besuche ich Dimas Castellanos, Theologe und ehemaliger Marxismus-Professor. Er ist Gründer der sozialistisch-demokratischen Bewegung Kubas, eine von Dutzenden winziger Parteien neben der KP. Nach der noch gültigen kubanischen Verfassung dürfte es sie gar nicht geben, was Castellanos unfreiwillig zum Dissidenten macht. O-Ton Dimas Castellanos: Osvaldo Payá con el movimiento cristiano... 2. Sprecher/Dimas Castellanos: Osvaldo Payás Bewegung war bisher am populärsten, das Referendum für mehr wirtschaftliche und politische Rechte, das 25.000 Bürger unterzeichneten. Danach hat er weitere Projekte entworfen, sie jedoch nicht umsetzen können. Marta Beatríz Roque ist sehr bekannt, sie gehört zum rechten Spektrum, und ich finde, das gilt es zu tolerieren. Dann gibt es die sozialistisch-demokratische Bewegung, die ich mitbegründete, aber die ich nun, weil es intern Korruption gab, verlassen habe. Die Opposition ist schwach, weil sie stets nach dem Motto handelte: Der Feind meines Feindes ist mein Freund, also sind die USA mein Freund. Die kubanische Regierung hat es verstanden, Vorteile daraus zu ziehen. Leider ist das in unserer Geschichte angelegt. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekam Kuba seine Verfassung von den USA diktiert. Was die Opposition anbelangt, lebt dieser Geist der Abhängigkeit von den USA noch heute fort. Atmo: Gespräche in der Wohnung in Miramar Autorin: In Miramar mache ich noch einen weiteren Besuch. An den Wänden in der kleinen Wohnung von Oscar Espinosa, den alle Chepe nennen, stehen Bücher bis unter die Decke. Er ist Ökonom und Journalist. "Vergehen gegen die territoriale Integrität des Staates" warf man ihm vor, als er zusammen mit 74 weiteren Dissidenten im "Schwarzen Frühling" 2003 festgenommen und zu einer hohen Haftstrafe verurteilt wurde. Doch auf internationalen Druck wurde Chepe vorzeitig entlassen, er ist schwer krank. O-Ton Oscar Espinosa Chepe: nosotros debemos confesar que por muchos años apoyamos al gobierno de Fidel Castro... 2. Sprecher/Oscar Espinosa Chepe: Ich muss zugeben, dass meine Frau und ich viele Jahre lang die Regierung Castros unterstützt haben, weil auch wir den Traum von einer souveränen Nation hegten, deren Bürger alle gleich sind. Ich war Ökonom im diplomatischen Dienst und arbeitete in Belgrad, als ich 1987 Sympathien für Gorbatschows Perestroika bekundete. Daraufhin wurde ich entlassen. 1992 begann ich zudem in Miami zu publizieren, dort hatte ich sogar eine Radiosendung in Radio Martí. Man ließ mich zunächst gewähren, denn ich stehe auch den USA und ihrer Kuba-Politik kritisch gegenüber. 2003 aber klagte man mich an, ein Söldner der USA zu sein. Auf der Basis zahlloser Lügen wurde ich zu zwanzig Jahren Haft verurteilt und saß über zwei Jahre im kubanischen Teil von Guantánamo. Autorin: Was auf Havannas Filmfestival als Geschichte der DDR das Kinopublikum das Gruseln lehrt, ist für Chepe und seine Frau auch ein Teil kubanischer Wirklichkeit: O-Ton Oscar Espinosa Chepe: precisamente es estos día nos emocionó mucho "La Vida de los Otros? 2. Sprecher/Oscar Espinosa Chepe: Der Film "Das Leben der Anderen" hat uns sehr bewegt, denn viele Details ähneln sich. Hier oben gibt es ein Büro der kubanischen Staatsicherheit und wahrscheinlich hören sie uns in diesem Moment zu, aber ich habe nichts zu verbergen. Ich werde meine Schreibmaschine nicht unter dem Boden verstecken. Sie wissen, dass wir dem Miami-Fernsehen Telefoninterviews geben oder mit Ihnen sprechen. O-Ton Miriam Leiva: los cambios en Cuba cuando se inicien tienen que inciarse por la liberación... 4. Sprecherin/Miriam Leiva: Eine Wende in Kuba wird es erst dann geben, wenn die Inhaftierten, die keinerlei Verbrechen begangen haben, frei kommen, und auch deren Familien nicht mehr unter der Sippenhaft leiden müssen. Autorin: Chepes Frau, Miriam Leiva, ist eine der Sprecherinnen der Gruppe "Damen in Weiß". Sie und andere Familienangehörige ziehen immer noch sonntags weiß gekleidet durch die Straßen Havannas, um auf das Schicksal ihrer Männer aufmerksam zu machen, denn 59 von ihnen sitzen noch im Gefängnis. Seitdem das Europäische Parlament den "Damen in Weiß" den Sacharow-Preis verlieh, ist Miriam Leiva eine internationale politische Figur. Sie kommentiert regelmäßig Kubas aktuelle Situation. O-Ton Miriam Leiva:...que ellos no tienen mucho tiempo más para detenerlo porque ya la población... 4. Sprecherin/Miriam Leiva: Viel Zeit bleibt der Regierung nicht mehr, um den Wandel aufzuhalten, den die Bevölkerung fordert. Sie muss die Wirtschaft in Schwung bringen, denn von den Subventionen aus Venezuela allein werden wir nicht leben können. Das ist nicht sehr würdevoll für uns und droht unsere Souveränität zu untergraben. Wenn eines Tages Hugo Chávez dort nicht mehr Präsident ist, wird sich Kuba die schlechten Beziehungen mit der ganzen Welt nicht mehr leisten und sich nicht allein auf Venezuela und dessen Petro-Dollars stützen können. Ende O-Ton Miriam Leiva: lo único que queda es el gobierno de Venezuela con sus petrodólares Atmo: Live-Konzert von Pedro Luis Ferrer "100 Prozent cubano?: Mi Cuba es ciento por ciento cubana 1. Sprecher/Liedtext: Mein Kuba ist ja hundertprozentig kubanisch und so reservier' ich mir morgen das beste Hotel von Havanna Dann fahr ich nach Varadero und miet' mir ein Haus am Strand mit diesem meinem Geld das ich mir bei der Zuckerrohrernte verdient habe Atmo: Live-Konzert von Pedro Luis Ferrer "100 Prozent cubano?: que me gané en la zafra Autorin: Hunderte von Menschen haben sich an der malerischen Plaza Vieja in Alt-Havanna versammelt - obwohl der Auftritt des Liedermachers Pedro Luis Ferrer nirgends offiziell angekündigt wurde. Sein Lied "Hundertprozent kubanisch" ist ebenso wie Ray Fernández' "Lucha tu yuca", das die Versorgungsmisere in ein Indianerdorf verlegt, bereits ein Evergreen. Atmo: Live-Konzert von Pedro Luis Ferrer "100 Prozent cubano? Autorin: 100 prozent Kubanisch, ein unabhängiges Kuba, das beschäftigt auch die Intellektuellen hier. Die Veränderungen in Südamerika, die lauter werdende Kritik am politischen Druck der USA, und vor allem Hugo Chavez' Konzept für einen neuen, lateinamerikanischen Sozialismus sind vieldiskutierte Themen. O-Ton Concepción Nieves: ...lo que pasa en Suramerica, resurección del movimiento revolucionario alentadora 4. Sprecherin/Concepción Nieves: In Südamerika findet eine Wiederauferstehung der revolutionären Bewegung statt und das ist ermutigend, sie schwächt den Imperialismus. Venezuelas neue Vorschläge in Bezug auf den Sozialismus des 21. Jahrhunderts sind großartig, das dortige Volk hat eine Verbesserung seiner Situation direkt vor Augen, weil es nun direkt vom Erdöl profitiert. Venezuela ist eine Lokomotive, die den ganzen Kontinent bewegt und deshalb würden die USA das Land am liebsten eliminieren. Auch die neue Bank des Südens und die Tatsache, dass in Bolivien ein Angehöriger der indigenen Völker Staatspräsident ist, stärken uns. Autorin: Im Gegensatz zur Philosophieprofessorin Concepción Nieves behagt die Übernahme fremder Modelle "Temas"-Herausgeber Rafael Hernández grundsätzlich nicht. O-Ton Rafael Hernández: necesitamos un socialismo nuevo... 3. Sprecher/Rafael Hernández: Jedes Land braucht seinen eigenen Sozialismus. Die Verfassungsreform, über die Hugo Chávez am 2. Dezember per Referendum abstimmen ließ, wurde knapp abgelehnt. Er konnte sein Vorhaben, die Wiederwahlbeschränkungen des Staatspräsidenten aufzuheben, nicht durchsetzen, weil die Idee einer potentiell lebenslangen Präsidentschaft nicht populär ist. Zur Zeit wird auch viel diskutiert, ob China für Kuba ein Vorbild sein könnte. Die Bedeutung dieses Modells für Kuba wird meines Erachtens überschätzt, denn zwischen beiden Ländern gibt es große Unterschiede allein in Bezug auf Größe und geopolitische Lage. Zudem ist Kuba offensichtlich einzigartig, aber natürlich können wir auch von anderen Ländern lernen, etwa von Schweden und Norwegen. Musik: "Cuando aparezca el petroleo" (Eddie Sánchez 10) 1. Sprecher/Liedtext: In Miami bleibt die Mafia ohne ihren Paten wir wechseln vom Russischen zum Chinesischen über Sagt mir, wie die Geschichte weitergeht Denn ich bin ein Kubaner vom Stamm der Paranoiker Höre immer das Gleiche seit der Zeit vor der Perestroika Musik: oyendo lo mismo desde antes de la Perestroika Autorin: Dimas Castellanos, der Theologe und Verfechter eines demokratischen Sozialismus, hat eine eigene Zukunftsvision für Kuba. O-Ton Dimas Castellanos: ...no están en la prensa! Y por eso puede dar la impresión... 2. Sprecher/Dimas Castellanos: Man liest es nicht in der Presse, aber Kuba bewegt sich, ein stillschweigender Kurswechsel hat bereits stattgefunden. Man erlaubt den Bauern bei Trinidad bereits so viele Schweine zu produzieren, wie sie wollen. Vor Weihnachten war in Havanna das Schweinefleisch billig wie seit langem nicht mehr. Deshalb habe ich folgende Zukunftsvision: Ein echter Machtwechsel zu Raúl Castro könnte Raum für neue Wege und für unverbrauchte Politiker öffnen. Das sage ich, obwohl ich auf einen Wandel versessen bin, aber ich möchte, dass er zum Guten ist und ein plötzlicher Wandel wäre schädlich. Ob man das neue System Sozialismus nennt, ist im Prinzip egal, es muss vor allem demokratisch sein. Das kubanische Volk erwartet jetzt konkrete Maßnahmen anstatt bloße Ankündigungen und die Stimmung ist explosiv. Die Leute haben ihre Angst verloren und da kann leicht Benzin auf ein brennendes Streichholz treffen. Die Regierung weiß das und wird sich der Schubkraft, die von der Geschichte ausgeht, nicht widersetzen können. Autorin: Ist ein solcher "echter Machtwechsel" und sind damit "echte Reformen" über Wahlen möglich? Am 20. Januar wurde unter großer internationaler Aufmerksamkeit ein neues Parlament gewählt. Reinaldo Escobar, Regierungskritiker und Journalist, glaubt, dass das Parlament neue Akzente setzen kann, obwohl das Wahlverfahren undemokratisch war: O-Ton Reinaldo Escobar: si no se reelige al señor Fidel Castro.... 2. Sprecher/Reinaldo Escobar: Wenn nun Ende Februar Herr Fidel Castro nicht zum Staats- und Ministerratsvorsitzenden wiedergewählt wird, wird der Staffelstab ganz offiziell an andere weitergegeben, wie an Fidels Zögling, Außenminister Felipe Pérez Roque, aber auch an Reformer wie Vizepräsident Carlos Lage. Wir erleben damit das Ende der Struktur einer allmächtigen Autoritätsperson. Fidel Castro war bisher wie Gott. Das Volk hatte ihm einen Blanko-Scheck ausgestellt und er hat seinen Kredit weit über alle vorhandenen Rücklagen hinaus aufgebraucht. Seine Nachfolger haben nicht die gleiche Autorität und werden mehr politische Debatte zulassen müssen. Allein das ist ein entscheidender Fortschritt in der Geschichte Kubas. Atmo: Hotel und Computer Musik: instrumental (Suite Habana 7) 2. Sprecherin (spanisch)Yoanis Blog: 23 de Enero. Desde un par de días hay un nuevo parlamento... 1. Sprecherin/Yoanis Blog: 19. Februar. Das Telefon klingelt seit drei Uhr früh, seitdem im Internet bekannt gegeben wurde, dass Fidel Castro endgültig zurücktritt. Es ist wie in einem Film von Hitchcock, wir erfahren gerade mal fünf Tage vor den Wahlen in der Nationalversammlung, dass unsere disziplinierten Parlamentarier ausnahmsweise nicht den gleichen Kandidaten werden wählen müssen. Obwohl ich todmüde bin, schaffe ich es noch wahrzunehmen, dass heute eine Ära zu Ende gegangen ist. Ob der Neue den Weg unserer Sehnsüchte beschreiten wird oder ob sich das noch einmal 50 Jahre verzögert? Im Moment schließe ich einfach nur die Augen und fühle bereits etwas leichter. Autorin: Nun hat Fidel Castro nach langem Zögern doch noch von sich aus den historischen Schlussstrich gezogen, den viele herbeisehnten. Der Weg für Castro den II. ist endgültig frei. Folgen aber nun postwendend auch die Reformen? Meine Freundin Alicita ist wie viele in Havanna derart optimistisch, dass der Erwartungsdruck auf die neuen Regierenden täglich steigt. O-Ton Alicita: lo importante es que Raúl pueda seguir. Eso yo no lo decía un año atras 3. Sprecherin/Alicita: Für mich ist jetzt der springende Punkt, dass Raúl Castro mit seinen Reformen weiter machen kann. Vor einem Jahr hätte ich das nicht gesagt. Ich glaube nicht, dass die außerparlamentarische Opposition Kubas eine wichtige Rolle spielen wird. Für mich ist der größte Dissident Raúl Castro. O-Ton Yoani Sánchez: Eso dicen. No sé si eso pertenece (lacht) al guión de la telenovela, a la telenovela que nos están poniendo.... 1. Sprecherin/Yoani Sánchez: Dass Raúl ein Reformer ist, gehört vielleicht nur zum Drehbuch der Telenovela, die sie uns gerade vorführen. Autorin: Bloggerin Yoani Sánchez mit ihrer großen Skepsis gehört gegenwärtig eher zu einer Minderheit. O-Ton Yoani Sánchez: Es un hombre atrapado en una coyuntura 1. Sprecherin/Yoani Sánchez: Raúl Castro ist eine Gefangener dieser Konjunktur, er tritt am Ende von diesem Traum, den man Revolution nennt, auf den Plan. Wichtiger ist, dass jeder Kubaner das Stückchen Mauer bewegt, das ihn einengt. Wenn es eine wirtschaftliche Mauer ist, dann gilt es die zu bewegen, wenn es eine Mauer der Zensur ist, dann die. Warten wir nicht auf Raúl, auch er ist ein alter und kranker Mann. Wir sollten lieber unsere Hoffnungen auf María, Juan, Pedro und Yoandri setzen, die Jedermanns, die die Situation besser kennen. Absage: Im Jahre eins nach Fidel Was wird aus Kuba nach Castro? Ein Feature von Ingrid Kummels Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2008 Es sprachen: Ursula Illert, Axel Gottschick, Günter Dybus, Hendrik Stickan, Hans Bayer, Claudia Mischke, Claudia Herrera-Pahl, Daniela Bette, Marietta Bürger Ton und Technik: Petra Pelloth und Hans-Martin Renz Regie: Peter Behrendsen Redaktion: Karin Beindorff 24