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Musik Titelmusik, der Zitator müsste eine Fassung sprechen, die auf die relativ harte Titelmusik passte, und eine geheimnisvollere für die Zitat-Musik später Oton Zitatorin O schaurig ist's, übers Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Heiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Musik Titelmusik Oton v.Venn: Es ist nicht so, dass tausende Menschen im Moor versunken sind, die Menschen, die hier umgekommen sind, sind meistens erfroren. Musik Titelmusik Oton Sabine Ich sag mal, es gibt Sachen zwischen Himmel und Erde, die kann man nicht erklären oder wir können sie noch nicht erklären, ich weiß es nicht, und hier in der Eifel gibt es eine Menge Leute, die diese Gabe haben und auch mit dieser Gabe arbeiten. Musik Titelmusik Sprecher/in v.D. Mythos Moor Das Hohe Venn zwischen Eifel und Ardennen Eine Deutschlandrundfahrt von Paul Stänner Regie Atmo Autofahrt mit Musik unterlegen - oder Telemann rein unterlegen. Autor Vom Rhein kommend wird die Landschaft immer welliger, dann hügeliger, dann schon mittelgebirgig aufgeworfen. Die Steigungen werden dramatisch, bergab stehen Warnhinweise, 5% - 7% Neigung. In den Niederungen liegen die Nebel des Frühherbstes. Die Wiesen glitzern im Tau, die Kühe auf den Weiden schnauben dicke Atemwolken ins Gras. Die intensiven Farben des Herbstlaubes leuchten noch matt im diffusen Licht der vernebelten Sonne. In der Ferne schweben zwei goldene Bögen über dem Nebel. Sie erscheinen so entrückt, so märchenhaft, dass ich einige Zeit brauche, bis ich sie als das ganz gewöhnliche "M" einer bekannten Fastfood-Kette erkenne. Aus ist es mit dem Märchen. Weiter geht es in Richtung Monschau, vorbei an Fachwerkhäusern, die sich hinter mehrere Meter hohen Hecken verborgen halten. Die Rotbuchenhecken haben die Eigenart, ihre Blätter erst im Frühjahr abzuwerfen, wenn die neuen Triebe kommen. So bieten sie einen zuverlässigen Wall gegen die scharfen Winde, die über das Venn fegen. Regie Glockenspiel und Atmo Monschau Oton Gillessen Vor uns der Berg, den wir sehen, da können wir feststellen, dass hier der Berg in Terrassenform mit Stützmauern unterteilt wurde, auf diesen Stützmauern befanden sich ursprünglich zur Feintuchmacherzeit Rahmen, Holzrahmen, hier vorne links können wir so ein Element noch erkennen, dass wie ein Geländer wirkt, das aber kein Geländer ist, sondern einem Rahmen nachempfunden, auf dem damals die Tuche getrocknet wurden. Autor Ottmar Gillessen ist Stadtführer in Monschau, einer Stadt im äußersten Westen Deutschlands, dicht an der Grenze zu Belgien. Monschau, malerisch in einem tief eingeschnittenen Tal gelegen, hatte seine ganz große Zeit, als hier im 18. Jahrhundert feine Tuche gewoben und in viele Länder exportiert wurden. An den Hängen des Tals wurden die Tuche getrocknet. Was für die Bewohner Monschaus wohl eine anrüchige Belästigung war, denn die Tuche waren zuvor mit Ammoniak aus menschlicher Produktion, vulgo: Urin, behandelt worden. Monschau muss geduftet haben wie eine sehr wohlhabende Kläranlage. Regie Gillessen Die Monschauer Bürger zogen durch die Stadtstraßen und sammelten die flüssigen Produkte der letzten Nacht ein, falls man die nicht dem Nachtwächter wegen seines schrägen Gesanges auf den Kopf geschüttet hatte. Die wurden dann eingesammelt und verkauft an die Monschauer Feintuchmacher. Autor Monschau bildet, wenn man von Osten kommt, das Einfallstor in eine Landschaft, die das Hohe Venn heißt. Das Hohe Venn ist eine Moorlandschaft und das ist der Anlass, warum ich in dieser schönen, fachwerkgeschmückten Stadt bin und mir von Ottmar Gillessen Geschichten erzählen lasse. Oton Gillessen Nun sagt man den Monschauer Bürgern Schlitzohrigkeit nach, das mag für einige wenige zutreffen, - die kamen ja auf die Idee: Wenn ich für zehn Liter einen Taler bekomme, bekomme ich ja für zwanzig den doppelten Erlös. Was tat man? Man verdünnte diesen Stoff eins zu eins. Natürlich, wenn man ein Konzentrat verdünnt, lässt auch dessen Wirksamkeit nach und die Feintuchmacher, die großen Unternehmer, waren auch nicht auf den Kopf gefallen, und haben einen Gegenpart kreiert, dass war der so genannte Urinschmecker (Auto fährt vorüber, darüber: ) Autor Urinschmecker? Oton Gillessen Der Urinschmecker musste dann anhand des Geschmacks die Konsistenz des damals wichtigen Stoffes bestimmen und kontrollieren. Regie Atmo Monschau endet unter Autor / wird ersetzt durch Atmo plätscherndes Wasser Autor War Urin der eine Stoff, der für die Herstellung feiner Tuche unbedingt vonnöten war und in Monschau selbst produziert wurde, so findet sich der andere ein paar Kilometer westlich. Wir fahren ins Hohe Venn. Wir gehen über Stege, die in ca. einen halben bis einen Meter Höhe über das nasse Erdreich führen. Oton Gillessen Bei Nordwestströmung, die wir hier häufig haben, kommen die Wolken von der Nordsee hier hoch, regnen sich aus und das Venn...speichert das und gibt das langsam ab und speist fünf Gewässer. Und sie sehen hier auch die durch Monschau fließende Rur und die Rurtalsperre und die diente damit der Tuchmacherindustrie in Monschau als Antrieb für die Maschinen der Walkmühlen bzw. zum Waschen und zum Färben wegen seiner Weiche. Das war also ein sehr weiches Wasser. Autor Besagte Rur im Übrigen schreibt sich ohne "h" und ist nicht mit der Ruhr im Ruhrgebiet zu verwechseln. Das Wasser, das Moor, die Nebel, all die schaurigen Geschichten - da will ich hin. Ins Moor. Wie in der Ballade von Anette von Droste-Hülshoff: Regie Wasser weg, Musik Musik 1: Allegretto aus: Etudes dexécution transcendante, S. 139, No. 5 feux follets Interpret: Sviatoslav Richter Komponist: Franz Liszt Label: Philips, LC 00305 Zitatorin O schaurig ist's, übers Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Heiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, Wenn aus der Spalte es zischt und singt, O schaurig ist's, übers Moor zu gehn, Wenn das Röhricht knistert im Hauche! Fest hält die Fibel das zitternde Kind Und rennt, als ob man es jage; Hohl über die Fläche sauset der Wind - Was raschelt drüben am Hage? Das ist der gespenstische Gräberknecht, Der dem Meister die besten Torfe verzecht; Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind! Hinducket das Knäblein zage. Regie Musik endet / Atmo Kinder stellen sich auf Autor Vor dem Umweltzentrum von Botrange, fast in der Mitte des Hohen Venn, werden Kinder einer belgischen Grundschule in 2er-Reihen aufgestellt. Die Lehrerin hat sich einen Trick einfallen lassen, um den Schülerinnen und Schülern das Abenteuer Natur nahe zu bringen: Die beiden Kinder, die das GPS haben, dürfen in die erste Reihe. GPS - das klingt wichtig und nach großen Taten an Orten, die selbst ein Indiana Jones nur mit Satellitennavigation finden könnte. Fantasielose Erwachsene sehen, dass die beiden Pfadfinder in der ersten Reihe lediglich laminierte Übersichtskarten in den Händen halten. Für die kleinen Forscher ist es hightech vom Feinsten. Regie Kinder einen Moment frei, abblenden Autor (weiter) Neben den Kindern steht eine Dame von der Information. Sie raucht hier draußen ihre Zigarette. Je mehr Kinder kommen und je lauter sie werden, desto heftiger und giftiger glüht ihre Zigarette auf. Als ich mit meiner Führerin unsere eigene kleine Wanderung antrete, fragt die Dame von der Information, ob ich nicht ein paar von den Kindern mitnehmen könne. Ich kann nicht. Ich muss mit Rita Braun ins Hohe Venn, in die C-Zone. Regie Atmo Gehen im Moor, danach Atmo Natur gesamt unterlegen Oton Braun Das ist meine Genehmigung, das zeigt, dass ich die Lizenz habe, durch das Hohe Venn, durch die C-Zone zu gehen und diese Armbinde muss ich jetzt tragen (Geräusche als Atmo) Autor Rita Braun, kurze weiße Haare, sportliche Kleidung, zwei Wanderstöcke und ein kleiner Rucksack, ist lizenzierte Führerin durch das Moor. Wir stehen am Rande eines eingezäunten Bereiches. Hüfthoch steht Pfeifengras, nur einige wenige Bäume ragen empor, weiter hinten ist eine große Fläche gemäht. Oton Braun (weiter) Gestern habe ich bei der Verwaltung hier in Belgien angerufen und mitgeteilt, dass ich hier mit ein oder zwei Personen, mit mir drei, in diese Vennfläche gehen will und welche Wege ich benutzen möchte, wann ich reingehe und wann ich rauskomme, das muss ich festhalten und nachher der Forstverwaltung mitteilen, wie viele Personen wirklich im Venn waren. Wahrscheinlich dient das der Statistik, um festzustellen, wie viele haben so im Jahr die Schutzzone betreten. Autor Und es dient auch dem Schutz der Wanderer - selbst bei gutem Wetter kann man binnen Minuten von Regen oder Nebel überrascht werden. Dann ist es sicherer, wenn am Abend noch mal durchgezählt wird, ob alle wieder draußen sind. Musik 2: Riders on the storm Interpreten: Creed Komponist: The Doors Label: Wind-Up, LC 00637 Autor Das Hohe Venn mit seinen ca. 4500 ha liegt zum kleineren Teil auf deutschem Boden, zum größeren auf belgischem. Es erstreckt sich zwischen Monschau im Osten, Eupen im Norden, Spa im Westen und Malmedy im Süden. Das Hohe Venn gehört zum Naturpark Hohes Venn - Eifel und ist besonders geschützt. Selbst die Führer dürfen diesen Bereich nicht mehr als zweimal im Monat betreten. Noch in den 60iger Jahren waren hier alle Wege offen, aber seit immer mehr Menschen ein Auto haben und in ihrer Freizeit mal eben ins Venn fahren, hat die Gefährdung des Gebietes zugenommen. Also wurde Ende der 70iger Jahre mit der Einrichtung von Schutzzonen reagiert. Oton Braun A ist die Landwirtschaftszone, B ist dann die Forstwirtschaft und, was wir außerhalb der C-Zone gehen können. Dann kommt C, das ist diese Zone und dann kommt D-Zone, in der man annimmt oder vielleicht auch weiß, dass die Torfbildung noch aktiv ist. Die darf dann gar keiner betreten, dass gehen auch Wissenschaftler hinein, fünf oder sechs im Jahr, um das zu kontrollieren, ansonsten darf da gar keiner rein. Autor Und dann tritt Rita Braun an einen kleinen Graben und deutet auf vielleicht handlange, sattgrüne Pflanzen mit Stengeln und kleinen Blättern. Oton Braun Das ist das Torfmoospflänzchen...und das ist der Schwamm hier im Hohen Venn. Man sagt, dass ein Quadratmeter von diesem Moos, etwa 20 Zentimeter lang, ich denk, das ist hier 20 Zentimeter, 72 Liter Wasser aufnimmt. Sie sehen ich habe hier nur ganz wenig Moos in der Hand, wie viel Wasser da rauskommt. Autor Wir ducken uns unter einem Geländer weg und entern die C-Zone, die ich nur mit meiner lizenzierten Führerin betreten darf. Es herrscht wunderbares Herbstwetter, der Himmel ist knallblau und so ganz und gar nicht moorgerecht. Mehr als 140 Liter Wasser auf jeden Quadratmeter fallen im Jahr vom Himmel, statistisch aufgeteilt in 175 Nebeltage, 172 Regentage und 43 Schneetage, Doppelbuchungen sind möglich. Nur wenn ich komme, scheint die Sonne. Bis zur Hüfte steht das Pfeifengras. Hätte es geregnet, würden mir jetzt meine Gummistiefel auch nichts nützen, dann hätte nur eine Wathose geholfen, wie sie Angler tragen. Oton Braun Wenn Sie kaum noch sehen, wo sie ihre Füße setzen hier im Venn ... dann kann´s unheimlich werden. Man weiß wirklich nicht, bin ich jetzt rechts oder links, was ist richtig, wo ist weniger Wasser und wo ist die Richtung. Ich finde es im Venn sehr schwer bei Nebel und Schnee vor allen Dingen beizubehalten, ich hab dann meistens einen Kreisel drin, ich dreh dann rund.... Regie Unterlegen mit Musik Musik 3: E-Mail Interpret+Komponist: Ry Cooder Label: Outpost, LC 07266 Zitator Das Venn ist überwältigend. Die endlose Weite, der entrückte Horizont und darüber, noch im späten Herbst, ein hoher, blauer Himmel. Der Klimawandel nimmt dem Moor den Schrecken. Aber was, wenn das Wetter umschlägt? Wenn der Himmel tief hängt und die Wolken von der Nordsee und vom Atlantik kommen und hier von der Eifel in 690 Metern Höhe gestaucht werden, sich verdichten und im Sturm Regen abwerfen? Wenn im Winter der Regen als Schneesturm über die Moorflächen fegt? Dann werden aus kleinen Grasbüscheln Schneewehen und die abgedeckten Wasserflächen bilden eine tückische Falle für den Wanderer. Die Wege über das Venn sind schmal, oft nur fußbreite Rinnen, die in das Grasland getreten wurden. Gruppen gehen im Gänsemarsch. Wurzeln und Stockreste behindern den Gang. Wer vom schmalen Pfad abkommt, muss auf die kleinen, grasbewachsenen Erhebungen treten, die sehr bildhaft als Totenköpfe bezeichnet werden. In der Tat sehen sie aus wie die Schädelwölbungen von Menschen, die im Moor versunken sind. Nur - von diesen Totenköpfen kann man leicht abrutschen - der Fuß landet unweigerlich im Matsch. Man muss den nassen Schuh, den nassen Fuß herausziehen gegen den Sog des Moores. Dann geht es weiter, von Totenkopf zu Totenkopf, die verschlammten Schuhe finden keinen Halt mehr und immer häufiger rutscht der Wanderer in den Matsch oder er landet in einer Pfütze. Und weiter. Allmählich verschleiert sich die Sicht: Nebel zieht über die gestaltlose Ebene oder ein dichter Vorhang fallender Schneeflocken hüllt den Wanderer ein. Nach wenigen Minuten sind keine Orientierungspunkte mehr auszumachen. Ein white-out: Oben, unten, rechts, links - alles ist weiß. Und alles ist kalt. Unser Wanderer im Nebel oder - noch schlimmer - im Schneesturm geht und geht. Er weiß nicht, ob sein Gehen überhaupt Sinn macht oder ob er nur im Kreis läuft. Er wird versuchen, sich nach einem Geräusch zu orientieren - früher wurde in der Baraque Michel eine Glocke geläutet, heute könnte der Autolärm auf der Straße einen Hinweis geben. Aber auch die Geräusche werden durch den Nebel und den Schnee gedämpft. Der Wanderer ist taub und blind. Aber stehen zu bleiben ist auch keine Option. Also geht er weiter, ohne Orientierung, durchnässt, verfroren, erschöpft, müde, verängstigt, von Panik ausgelaugt. Und dann übersieht er vielleicht einen Tümpel. Regie Musik Ende, Natur-Atmo Autor Ich habe einmal an der Küste das Nebelspiel gespielt. Während einer Wattwanderung bei strahlendem Sonnenschein wurden zwei Teilnehmern die Augen verbunden. Dann wurden sie aufgefordert, geradeaus zu gehen. Was beide auch entschlossen taten - um nach wenigen Metern in einem weichen Bogen aus der Spur zu kommen. Immer in der festen Überzeugung, die gerade Richtung zu halten, waren beide nach ungefähr fünfzig Metern fast im Neunzig-Grad-Winkel abgebogen. Oton Braun Selbst voriges Jahr hat man hier noch jemanden gefunden, der ich glaub zwei oder drei Jahre vermisst war. Das war ein Niederländer, der wohl eine Vorwanderung machen wollte für Jugendliche und ist dann vermisst gemeldet worden. Der kam dann nicht nach Hause und ein Schäfer hat dann - ich meine - voriges Jahr Knochenreste gefunden und man hat dann festgestellt über DNA, dass es wohl der Gesuchte ist. Aber warum der so vom Wege abgekommen ist, ob es Schwäche war oder verlaufen, ich weiß es nicht.... Autor Das Pfeifengras, das uns beim Gehen stört, gehört eigentlich nicht hierhin. Es behindert die Torfmoospflanzen in ihrem Wachstum und deshalb versucht man bei den Renaturierungsmaßnahmen, dieses Gras abzumähen. Weiter hinten kann ich am Horizont eine Fläche von hellem Grün erkennen, wo das Gras radikal gemäht wurde. Rita Braun erklärt mir, dass das wohl ein Tanzplatz für die Birkhühner sei, die dort ihre Balztänze ausführten. Im hüfthohen Pfeifengras hätte der Tänzer keine Chance, seine Talente zu entfalten, seine Angebetete bliebe unbeeindruckt, um die Nachkommenschaft müsste man sich Sorgen machen. Also wird stoppelkurz gemäht, damit der Hahn balzen kann. Dann, auf einem schmalen Steg über sumpfigem Untergrund, kommen wir zu einem kleinen, aber tiefen Tümpel. Eine knorrige Birke steht hier und ein hohes Kreuz. Oton Braun Also dieser Weiher, den wir hier sehen, das ist der Rest von einem Flugzeugabsturz, es ist also ein Flugzeug im Zweiten Weltkrieg hier abgestürzt. Es ist nicht bekannt, dass hier Soldatenzüge durchgegangen sind, durch die Vennfläche, drumherum natürlich schon, aber die Flugzeuge sind hier drübergeflogen, hier hat es etliche Flugzeugabstürze gegeben, denn wenn die Bombergeschwader nach Deutschland flogen, waren ja auch die Jäger, die Flugzeugjäger unterwegs und haben versucht, abzuschießen. Hier ist also ein Flugzeug abgeschossen worden oder abgestürzt und in Erinnerung an all die Flugzeuge, die hier in der Vennfläche, in der Gesamtfläche, abgestürzt sind, steht dieses Kreuz hier. Regie Natur Atmo Ende, Musik Musik 4: Vesoul Interpret: Sébastien Farge Komponist: Jacques Brel Label: HDC, LC 08867 Regie dann Atmo Autofahrt mit Musik wie eingangs Autor Die Menschen in der Region am Rande des Venn sind sich bewusst, dass sie etwas abseits leben von der großen Welt. Das war nicht immer schön. Bis vor wenigen Jahren war es noch üblich, wenn man gefragt wurde, woher man denn käme, kryptisch anzudeuten, man stamme Aus der Nähe von Aachen. Mittlerweile ist ein bodenständiges Selbstbewusstsein gewachsen. Man ist Eifeler und stolz darauf. Die Bewohner dieses Landstriches stehen mit ihrem rechten Bein in der Fröhlichkeit des Rheinlandes, mit ihrem linken in der Bedächtigkeit des Hochmoores. Sie pflegen eine Neigung zur Vereinsbildung, die sich vielleicht aus den lang andauernden, nebligen Herbst- und saukalten Wintertagen erklärt. Als Autofahrer ist der Venn-Eifler eine besondere Spezies - er jagt auf kurvenreichen, abschüssigen Straßen durch tiefen Schatten und grellen Sonnenschein, immer ohne Licht und immer mit überhöhter Geschwindigkeit. Kreuze am Wegesrand künden von dieser urwüchsigen Form der Bevölkerungskontrolle. Regie Atmo Auto+Musik weg, Autoverkehr auf der Strecke zwischen Eupen und Malmedy Musik 5: La Bière Interpret+Komponist: Jacques Brel Label: Universal, LC 00126 Autor Auf belgischer Seite verschärft sich die Situation noch, weil man dort keinen Respekt vor dem Zebrastreifen kennt. Wieso auch, hat das Land doch seit über 15 Monaten keine Regierung mehr, die die Einhaltung von Gesetzen überwachen würde. An den Fußgängerüberwegen hat es schon manchen Wanderer erwischt, bevor er den Schönheiten und Gefahren des Moores nahe kommen konnte. Ich selbst musste mich mitten im Hohen Venn, direkt vor dem Naturschutzzentrum Botrange, vor einer rasenden und telefonierenden Frittenmamsell mittleren Alters durch einen Sprung vom Zebrastreifen zurück ins Gebüsch retten. Dies war mir nur möglich, weil ich von besorgten Ortskundigen vorgewarnt war und diesen Sprung innerlich schon vorbereitet hatte. Sonst gäbe es diese Sendung nicht. Und Sie würden jetzt nur Musik hören. Regie Atmo ausblenden, dann Musik Musik 6: Man in black Interpret+Komponist: Johnny Cash Label: Columbia, LC 00162 Oton v.Venn Wir sind vielleicht ein bisschen, aber freundlich laut, das kommt aber durch unsere Naturgeräusche, die hier sind, die wir übertönen müssen, zur Zeit sind es die Windräder, die sehr laut sind, aber ich glaube es ist eine gewisse Ehrlichkeit da, und - damit kann ich leben. Autor Aber er langweilt sich und deshalb bringt er den Tod ins Venn. Der Mann ist untersetzt, hat lange, weiße Haare wie ein alter Indianer. Er trägt einen schwarzen Hut mit Silberschmuck und türkisfarbenen Steinen. Dazu ein schwarzer Rock aus einer vergangenen europäischen Hofkultur, Hemd und Hose ebenfalls in Schwarz und auch die spitzen Cowboystiefel sind schwarz. Die nehmen sich im Matschland des Hohen Venn, wo man wegen des morastigen Untergrundes eher Gummistiefel tragen sollte, recht unpassend aus. Die großrahmige Brille - ebenfalls schwarz! Man kann also annehmen, der Mann ist Humorist. Regie Ausschnitt Eifel-Lied Musik 7: Das Eifel-Lied Interpret: Hubert vom Venn/Jupp Hammerschmidt Komponist: Phan Trat Quan/Hammerschidt/v.Venn Label: Rhein-Mosel-Verlag, LC 06737 Autor Hubert vom Venn - sein bürgerlicher Name sei wie gewünscht verschwiegen - war früher Journalist, war Gagschreiber für verschiedene Radio- und Fernsehanstalten und ist heute Theatermacher und Krimiautor. Sein Held Nusselein ist freier Journalist bei einem Anzeigenblatt, ist Schottland-Fan und wohnt in Ruitzhof, einer deutschen Exklave in Belgien. Regie starker Regen, darunter Musik Musik 8: Amazing Grace Interpret: Pipes & Drums 1st Bat. Scots Guards Komponist: trad. Label: EMI, LC 00464 Zitator Nusselein hatte sich seinen Schottenrock angezogen und blies auf einem Billig-Dudelsack undefinierbare Töne, während im Hintergrund von seinem Plattenspieler "Amazing Grace" den Raum, die Erde und Ruitzhof beschallte. Weit entfernt wohnende Nachbarn schlugen die Fenster zu. Nach dieser Zugabe verneigte sich der einsame Bläser am Venn gen Schottland (also Eupen), warf die Kleidung in die Ecke, zog sich ein Nachthemd an und kroch zu seinem Kater ins Bett. Regie Regen Ende Oton v. Venn Also, den Schottenrock, den hab ich noch nicht, der kann aber kommen, und die Lust, seltsame Kleider anzuziehen - also nicht Frauenkleider - die Lust seltsame Kleider anzuziehen, die Nusselein hat, Schottenrock, er kann auch schon mal Indianerschmuck anzuziehen, die hab ich auch. Autor Nusselein gerät zusammen mit seinem Freund, dem einzigen Kriminalbeamten in Monschau, in einen Mordfall. In Roetgen, nach lokaler Art: Rötschen gesprochen, ist ein gewisser Fritz Rumbach erschossen worden. Verschiedene Spuren tun sich auf, rechtsradikale Kameradschaften scheinen aktiv zu sein, aber es gibt auch andere Hinweise. Die führen zurück in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als der Zweite Weltkrieg gerade zu Ende war und das grenzenlose Europa noch nicht existierte. Auf Spurensuche sind wir im Wald unterwegs, in der Gegend von Roetgen. Es ist schlammig hier. Oton v.Venn ... Wir befinden uns in einem Gebiet, was jetzt sehr sehr ruhig ist, aber wo bis 1953 das war, was auch dann Spielfilm wurde, nämlich die "sündige Grenze", denn hier wird geschmuggelt auf Teufel komm raus. Es hat mal einen Fall gegeben, da musste die erste Mannschaft aus der Kreisklasse abgemeldet werden, weil acht Spieler, glaub ich, im Gefängnis saßen. Geschmuggelt hat damals hier im Prinzip das kleine Mädchen, der alte Mann, selbst der Pastor war meistens noch dran beteiligt, weil er immer etwas ab bekam. Deshalb heißt zum Beispiel die Kirche in Schmidt bis zum heutigen Tage St. Mocca, weil sie einfach mit Schmuggelgeld gebaut worden ist. Autor Was an sich kein Wunder ist, denn wie man sich erinnert, hatte die katholische Kirche schon in der Bibel ein schlechtes Verhältnis zu Zöllnern. Oton v.Venn Ich habe in meinem Theater mal einen Schmuggelabend veranstaltet und hatte das Glück, zwei der Schmugglerkönige der damaligen Zeit, einer war Belgier, einer war Deutscher, einer ist zwischenzeitlich schon verstorben, wieder an einen Tisch zu bekommen, nachdem sie sich 30 Jahre nicht mehr gesehen haben. Als sie in meinem Theater wieder zusammentrafen - sie waren Todfeinde früher gewesen - sagte der eine zum anderen nur: Hör mal, Du schuldest mir noch einen Panzerspähwagen, das weist Du ja! Regie starker Regen, wie oben Zitator "Der Unterschied zu deinen Dorfkönigen ist aber, dass Rumbachs Geschäfte bis heute nachwirken. Selbst nach der Schmugglerzeit, so 1953, war der nie ein kleiner Fisch, sondern hat immer Sachen im großen Stil gemacht." "Aber, wie kam denn ein kleiner Einzelhändler, dem die Amerikaner vertrauten, in all diese miesen Geschäfte rein?" Horst nickte heftig: "Amerikaner, genau, da sagst du was. Als die hier abgezogen sind und die Engländer kamen, stand plötzlich ein, wie nannte man die, Panzerspähwagen aus US-Heeres-Beständen bei dem Rumbach in der Scheune. Der Panzer war nicht besonders groß, aber wirkungsvoll. Ehemalige Panzerfahrer, das waren nicht nur Deutsche, sondern auch Belgier, waren Fahrer für den und fuhren querfeldein über die Grenze. Die Nagelketten von den Zöllnern, da lachten die drüber mit Vollgummireifen..." Regie Regen Ende Oton v.Venn Der Schmuggel fand damals mit Panzerspähwagen, Vollgummireifen, statt. Die Schmuggler sagten, weil die bösen Zöllner mit Leuchtpistolen auf uns schießen (was verboten war), hatten die als Rache sich Krähenfüße ausgedacht und diese Krähenfüße schmissen sie hinten zum Panzerspähwagen raus und die verfolgenden Zöllner, die noch Luft in den Reifen hatten, die waren alle platt und es hat Fälle gegeben, da stand hier auf der Himmelsleiter der ganze Berufsverkehr, stand der flach, alle Busse, alle so, weil die ganze Straße voll Krähenfüße war. Und dieser Panzerspähwagen war legendär hier. Autor Es ging um Kaffee, Schnaps und Zigaretten. Auf beiden Seiten der Grenze im Hohen Venn war der Schmuggel perfekt und dabei ausgesprochen volkstümlich organisiert. Da war zum Beispiel ein Musiker, der immer im Dachgeschoss seines Hauses auf dem Klavier übte. Wenn er sah, dass die Zollbeamtem sich im Wald auf die Lauer legten, spielte er beispielsweise laut und vernehmbar die beliebte Melodie "Ein Männlein steht im Walde" und alle wussten, was sie davon zu halten hatten. Hubert vom Venn kennt solche Geschichten, weil sein Vater auf der falschen Seite stand, er war Zöllner. Oton v.Venn Wie mein Vater mir erzählte, dass ein Schmuggler zu ihm gekommen und fragte. Was verdienst du im Monat? Mein Vater sagte - ich glaub 1949 - 170 D-Mark, und der Schmuggler zog die Summe aus der Tasche und zündete sich damit dann die Zigarette an. Diese großen Bosse, die hat`s danach nicht mehr gegeben, nach 1953. Autor Da nämlich wurden die Luxussteuern auf Kaffee und Zigaretten abgeschafft, so dass sich der Schmuggel nicht mehr lohnte. Der Staat, in Gestalt seiner Zöllner, hatte sich im Moor an der deutsch-belgischen Grenze ohnehin zum Narren gemacht. Dabei aber den Stoff für viele Geschichten geliefert. Die Hauptfigur in Herbert vom Venns Kriminalroman lebt ein paar Kilometer weiter in Ruitzhof. Oton v.Venn Der lebt in Ruitzhof, das ist eine deutsche Enklave in Belgien, da wohnen ungefähr 80 Leute. Ich wäre gern in diesen Ort gezogen, es darf nicht mehr da gebaut werden, es ist eine traumhafte Landschaft, schöne alte Höfe sind da, und da ich Nusselein kein Haus kaufen konnte, hab ich ihm einfach ein Grundstück vererbt, auf das er einen Wohnwagen gestellt hat. Autor Jacques Berndorff, der äußerst erfolgreiche Vater des Eifel-Krimis hat einmal gesagt Die Eifel, als ich da hinzog, war so ruhig und so leise, da hab ich mir gedacht, da legst du ein paar Leichen rein. Daraus ist mittlerweile eine florierende Industrie entstanden. Und tatsächlich - in dieser Gegend trifft man auf Geisterdörfer, auf verlassene Gemeinden, die bis auf die Grundmauern abgerissen im Nebel des Moores liegen und wilde Fantasien heraufbeschwören. Ein geplantes, aber nie beendetes Wochenendhaus für Konrad Adenauer steht hier im Nichts und wartet auf einen, der endlich eine ruchlose Tat zwischen seinen durchfeuchteten Mauern begeht. Oton v.Venn Die Landschaft hat natürlich abends - das hat schon was Spannendes. Wenn wir gestern hier gewesen wären, wären wir im dicken Nebel gelaufen, dann kann man natürlich sich vorstellen, dass dann die Hand kommt und sich auf die Schulter legt, - Autor Da ist der Mord schnell geschehen, aber was tun mit der Leiche? Oton v.Venn - aber mit dem Versinken: Ich hab`s mal mit einem Ziegelstein probiert, es ist nicht so, dass tausende Menschen im Moor versunken sind, die Menschen, die hier umgekommen sind, sind meistens erfroren. Autor Eigentlich enttäuschend, ein Moor, in dem man nicht versinkt. Regie: Musik Liszt, darauf Musik 9: s. Musik 1 Zitatorin Vom Ufer starret Gestumpf hervor, Unheimlich nicket die Föhre, Der Knabe rennt, gespannt das Ohr, Durch Riesenhalme wie Speere; Und wie es rieselt und knittert darin! Das ist die unselige Spinnerin, Das ist die gebannte Spinnlenor', Die den Haspel dreht im Geröhre! Voran, voran! nur immer im Lauf, Voran, als woll es ihn holen! Vor seinem Fuße brodelt es auf, Es pfeift ihm unter den Sohlen Wie eine gespenstige Melodei; Das ist der Geigemann ungetreu, Das ist der diebische Fiedler Knauf, Der den Hochzeitheller gestohlen! Annette von Droste-Hülshoff Regie Musik frei, dann unterlegen, endet bei um ihre Hochzeit anzumelden Autor Im Venn ist es Tradition, zu Ehren der Toten ein Kreuz zu errichten. Das wohl berühmteste davon ist das Kreuz der Verlobten. Zwei Verlobte, die sich wohl im Sommer kennen gelernt hatten und im Winter heiraten wollten, waren Ende des 19. Jahrhunderts bei Schnee und Eis über das Venn gegangen, um ihre Hochzeit anzumelden. Sie sind Mitte Januar losgezogen und kamen nie an. Erst im März wurden sie gefunden, erfroren in der Kälte und von hohem Schnee bedeckt. Und dabei hätten sie es nicht mehr weit gehabt bis zur Baraque Michel. Regie Atmo Straße vor Baraque Autor Auf der Straße von Eupen nach Malmedy, fast exakt auf der Hälfte der Strecke, liegt das wohl berühmteste Gasthaus Belgiens, die Baraque Michel. Da will ich hin. Aus Erfahrung klug lege ich beim Überqueren der Straße einen Sprint ein - hier gibt es nicht einmal einen der nutzlosen Zebrastreifen. Regie Atmo Baraque innen, Radiomusik und Tellergeräusche Autor Heil auf der anderen Seite angekommen, lasse ich mich erleichtert nieder. Und treffe auf einen blutbespritzten Mann. Hubert vom Venn war hier. War er nicht. Oton Bodarwe Das ist Rote Beete. Ich habe keinen auf die Nase bekommen. Ich bin Gemüse am Vorbereiten, weil ich morgen einen Linseneintopf mache und eine Bouillonsuppe, da bin ich Gemüseklein am Schneiden und hab noch Rohkost vorbereitet für meine Salatbar und die kalten Platten. Autor Patrick Bodarwe ist der Chef und Koch der Baraque Michel. Er hat schweres Übergewicht, einen zerzausten Bart und die langen Haare zu einem Zopf zusammengebunden. Und er hat ein wildes Leben hinter sich. Oton Bodarwe Ich war Diskjockey in den Jahren 75 bis 78, dann ab 1981 in dem Piratensender, ist inzwischen zum Kultsender geworden, war damals Radio Benelux, hier in Baraque Michel waren wir stationiert, bei mir zuhause und da hatten wir 3 Jahren lang gesendet, hatten sogar Nonstop-Programme, die über Nacht liefen. Musik 10: s. Musik 2 Autor Die Baraque Michel besteht aus mehreren Gebäudeteilen, die in Jahrhunderten nach Bedarf angebaut worden sind. Wir sitzen im ältesten Teil, einer kleinen, gemütlichen, holzgetäfelten Gaststube. Draußen donnern die LKW vorbei. Oton Bodarwe Wenn ich schon mal Lust hatte so zwischendurch, dann ging rauf auf den Speicher, machte zwei, drei Stunden Sendung und das war superschön. Autor Die Sache mit dem Piratensender war nur ein Hobby. Im Wesentlichen wurde Musik gespielt, und in der Tradition der Schmuggler im Hohen Venn hatten die Macher Spaß daran, mit den Behörden Katz und Maus zu spielen. Es gab eine Ehrenmitgliedschaft, die die Hörer für fünf D-Mark erwerben konnten, so finanzierte sich der Sender unter dem Dach, während unten in der Gaststube gegessen und getrunken wurde. Eines Tages war Schluss - Oton Bodarwe - weil wir letztendlich Probleme mit dem Staat bekommen haben. Autor Dann lassen wir diese unerquickliche Geschichte mal auf sich beruhen. Die Baraque Michel fast exakt in der Mitte der Moorlandschaft des Hohen Venn hat eine lange Geschichte. Oton Bodarwe Seit 1880. Autor Stand dort schon ein festes Haus. Die Ursprünge gehen noch weiter zurück, bis ins Jahr 1808, als sich ein gewisser Michel Schmitz vom Niederrhein hier eine Hütte baute. Oton Bodarwe Das war eigentlich ein Einsiedler, der eigentlich, wie die richtige Geschichte ist, Bigamist war und sich im Hohen Venn einfach - ich will nicht sagen, grad versteckt hat, aber eine kleine Hütte gebaut hat, war dann Schneider und ging dann ins Dorf runter, war da als Schneider tätig. Autor Auf einer fast schnurgeraden Strecke zwischen Eupen und Malmedy hatte man gerade eben das Moor begehbar gemacht, erst für Wanderer, dann für Fuhrwerke. Für solche, die sich im Hohen Venn verirrten, war die Baraque mit einer Glocke und Laterne wie ein Leuchtturm im Einerlei von Sumpf und Wald. Oton Bodarwe Das war eine gottverlassene Gegend, das kann man wohl sagen. Die Frauen waren nicht mehr hier, die sind in Deutschland geblieben. Autor Was für die bigamistischen Träume des Schneiders im Hochmoor eine schmerzhafte Enttäuschung gewesen sein muss. In einer Winternacht fallen im Hohen Venn gern einmal 70 Zentimeter Schnee. Da wird der Weg des Liebenden zur seiner Erfüllung, über Totenköpfe hinweg und um Schneepfützen herum, sehr, sehr lang. Erst 1830 ist neben der Baraque Michel eine tröstende Kapelle errichtet worden. Oton Bodarwe Die Kapelle Fischbach ist aufgebaut worden von einem Ritter namens Fischbach aus Malmedy, der sich im Venn verirrt hat und hat gesagt, da wo ich mich zurecht finde, werd ich eine Kapelle an Notre Dame de Bon Secour, also Maria von der Gut Hilfe nennt man das, (bauen) und hier am Baraque Michel wurde geläutet und da war auch eine Laterne, die bei Nebel und Nacht anblieb. Und da hat er sich wieder gefunden und hat dann diese Kapelle gebaut, die dann auch zum Pilgerort geworden ist. Autor In der Postkutschenzeit wurde hier eine Station zum Pferdewechsel eingerichtet. Und so nach und nach wuchs mit den Jahren die Restauration. Heute ist auch ein Hotel angegliedert. Die kleine, rechteckige Kapelle nebenan, für die ich mir den Schlüssel am Tresen der Baraque hole, ist mehr oder weniger verwaist. Oton Bodarwe Da wird jetzt noch höchstens noch eine Messe abgehalten. Früher wurde mehr gepilgert, aber seitdem diese Kapelle renoviert worden ist mit diesem neuen katholischen System, haben sie sie zugemacht. Autor Das neue katholische System? Oton Bodarwe Mit den ganzen Geschichten Personaleinsparung, Pädofilität und so weiter und so fort. Wir haben ja keinen eigenen Pastor, dann mussten Pastöre geholt werden, die da gar nicht in die Gemeinde reinpassten und dann wurde auch in Lüttich als störend empfunden, die Kapelle zu benutzen. Autor Ende einer Tradition - für den Bischof von Lüttich bedeutete diese Entscheidung sicherlich keinen Popularitätsgewinn. Da hat sich im deutschen Schmidt die Schmuggler-Kirche St. Mocca deutlich besser gehalten. Vielleicht gedeiht Unrecht gut doch prachtvoller als ein Gelübde. Patrick Bodarwe wäre gern Kunstschreiner geworden, aber eines Tages, wie er von der Kapelle zurückkam, machte ihm seine Tante deutlich, dass er sich als Koch in der elterlichen Gastwirtschaft ins gemachte Bett legen könne. Oton Bodarwe Dann hab ich die Lehre angefangen als Koch, hab die Schreinerlehre fallen lassen und nach drei Monaten hatte ich keine große Lust mehr, aber da sagte meine Mutter, was man angefangen hat, macht man zu Ende. Und so bin ich Koch geworden und bin es trotzdem noch mit Leib und Seele. Autor Wild aus dem Venn steht auf dem Speiseplan, ich selbst habe Wildschweinbouletten gegessen und dazu die in Belgien unvermeidlichen Pommes Frites. Heute steht auch der Sohn mit in der Küche und die Tochter, die Bäckerin gelernt hat, backt das Brot. Dazu gibt es selbst geschlachtetes Fleisch, das ist vielleicht nicht ganz EU-konform, schmeckt aber lecker. Umtost vom Lärm der Straße kommen wir in Bodarwes alter Gaststube auf die Gefahren des Moores zurück. Schnee, Regen, Nebel - und dann noch etwas: Feuer! Oton Bodarwe Das letzte Großfeuer war Ostern, da haben wir einen Grossbrand gehabt, ich denke, das waren über 3000 ha, die abgefackelt sind. Wir sind dann Ostermontag um 5 Uhr evakuiert worden, obwohl ich abends die Hütte noch voll hatte. Wir hatten gerade den Aperitif serviert, da mussten alle Leute raus, da sind wir dann evakuiert worden. ...das war ein ziemlich großes Inferno. Autor Feuer in einer trockenen Torflandschaft findet Nahrung ohne Ende - das ist das Problem; und das Problem hält sich lange. Oton Bodarwe Das ist sehr schwer zu kontrollieren, weil das Feuer im Hohen Venn im Torf reinbrennt und dann irgendwo wieder rauskommt. ...Wir haben auch schon erlebt, dass es im Oktober gebrannt hat und im März das Feuer wieder anfing zu brennen. Regie Unter Autor Atmowechsel: Ende Atmo Lokal, Atmo Straße Autor Das ist durchaus hässlich, aber die wahren Gefahren des Hochmoores, und da bin ich ganz einer Meinung mit Patrick Bodarwe, liegen auf der Straße. Direkt vor seiner Haustür. Oton Bodarwe Nachts ist es ruhig, kommt doch immer der eine oder andere dann richtig geflogen, nachts ist ja gar nichts los, da kann man richtig auf die Pedale drücken. Aber am Tag, und gerade wenn der Berufsverkehr ist, zwischen sechs und halb neun, haben Sie hier ein Inferno. Es geht sogar soweit, wenn Schnee ist, also die Garagentür, da hab ich schon die fünfte auf drei Jahre, einen Sattelschlepper bei mir in der Terrasse, noch einen anderen Lastwagen in den Strommast, - hier ist immer action auf dem Hohen Venn. Regie: Musik, wie oben Musik 11: s. Musik 1 Zitatorin Da birst das Moor, ein Seufzer geht Hervor aus der klaffenden Höhle; Weh, weh, da ruft die verdammte Margret: "Ho, ho, meine arme Seele!" Der Knabe springt wie ein wundes Reh; Wär nicht Schutzengel in seiner Näh, Seine bleichenden Knöchelchen fände spät Ein Gräber im Moorgeschwele. Da, mählich gründet der Boden sich, Und drüben, neben der Weide, Die Lampe flimmert so heimatlich, Der Knabe steht an der Scheide. Tief atmet er auf, zum Moor zurück Noch immer wirft er den scheuen Blick: Ja, im Geröhre war's fürchterlich, O schaurig war's in der Heide! Regie Musik Ende Annette von Droste-Hülshoff , 1842 Musik 12: My Manic and I Interpret+Komponist: Laura Marling Label: Virgin Records, LC 03098 Oton Sabine Also ich bin als kleines Kind, da war ich ungefähr drei Jahr alt, mit der Hand, mit dem Handrücken an einen heißen Ölofen gekommen und hatte eine ganz schwere Verbrennung und meine Mutter ist dann sofort mit mir zu meinem Opa gefahren, mein Opa kann, wie man hier in der Eifel so schön sagt, die Schmerzen nehmen, und das hat funktioniert. Als Kind kann man an nichts glauben und an nichts nicht glauben, und innerhalb von ein oder zwei Minuten, also er hat die Hand aufgelegt, sagt meine Mutter und ich hatte aufgehört zu weinen und ich hatte nie mehr Schmerzen und die Hand ist narbenfrei verheilt.... Autor Sabine - der Vorname soll uns reichen - blond, schmales Gesicht, dunkelbraune Augen, führt ihr rechte Hand vor und demonstriert, dass nichts zurück geblieben ist von dem Unfall damals. Oton Sabine Man muss eigentlich nur drum bitten, um Heilung bitten. Und man muss an die Heilung glauben, auf jeden Fall, wenn man sagt, wird sowieso nix, dann funktioniert das auf jeden Fall nicht, also man muss schon dran glauben, das ist aber die einzige Voraussetzung, die bestehen sollte, - man muss einfach nur drum bitten und dann kommt wieder das, was keiner weiß - es gibt Sachen zwischen Himmel und Erde, die können wir nicht erklären. Regie ev. Musik unterlegen, Telemann so lange es passt (das ist der, er zu Beginn im Auto gehört wurde) Autor Wir sitzen in Sabines Wohnzimmer am Rande des Hohen Venn. Der Ort bei Monschau ist modern, neue Einfamilienhäuser stehen hier, ein wenig weiter in der Nachbarschaft stehen die etwas traditionelleren Wohnhäuser, etliche von ihnen bezahlt mit dem Schmuggelgeld aus den Fünfziger Jahren. Rundum ist alles gut katholisch, also drängt sich die Frage auf, wen man denn um Heilung bittet? Oton Sabine Also meiner Ansicht nach gibt es da noch eine andere Welt, wo ein Schöpfer von uns ist und auch wahrscheinlich Heilige, und man bittet und die, die sich da angesprochen fühlen, die helfen. Autor Das muss dann nicht unbedingt der Gott der Katholiken sein, letztlich scheint es auch nicht wichtig, wer sich in der anderen Welt als Person angesprochen fühlt, Hauptsache: Es hört jemand zu. Nach ihrem Großvater und ihrem Onkel hat nun auch Sabine an sich selbst entdeckt, dass sie über die heilenden Kräfte verfügt. Eine Gabe, sagt sie. Oton Sabine Eine wirkliche Erklärung habe ich nicht und ich weiß auch, dass die anderen, die die Gabe haben, die Erklärung nicht haben. Man spürt eigentlich lange Zeit im Voraus, dass man irgendwas kann, was keiner kann und irgendwann wird einem klar gemacht, du hast diese Gabe und du kannst das jetzt weitergeben. Du kannst damit arbeiten, wenn du möchtest. Autor In der modernen Welt erscheint die Kultur der Heiler in einem etwas flackernden Licht - Menschen in Berlin, Köln, Aachen neigen dazu, mit ihren Krankheiten Universitätskliniken aufzusuchen. Dort sollen Apparate die Heilung bewerkstelligen, die Hand des Arztes bekommen die Patienten eigentlich nur noch zu spüren, wenn sie sich verabschieden. Oton Sabine Ich sag mal, es gibt Sachen zwischen Himmel und Erde, die kann man nicht erklären, oder wir können sie noch nicht erklären, ich weiß es nicht und hier in der Eifel gibt es eine Menge Leute, die diese Gabe haben und auch mit dieser Gabe arbeiten. Eine Erklärung dafür wäre zum Beispiel, weil wir hier ziemlich am Ende der Welt sind, dass es hier früher sicher keine Ärzte gab, weil das Gebiet ja hier sehr groß und verstreut ist, dass diese Leute mit diesen Gaben gearbeitet haben, würde ich sagen, und die Leute, die hier wohnten, sind auch zu diesen Leuten hingegangen, zu diesen Dorfheilern, so nennt man die, und haben Schmerzen genommen bekommen und sind irgendwie wieder geheilt worden. Und dadurch, dass das hier sehr lange der Fall war, dass es hier keine Ärzte gab, ist diese Tradition weiter geblieben und wird auch heute noch von den Leuten sehr in Anspruch genommen. Autor Der wissenschaftliche Beweis für die Heilkraft ist die Erfahrung des Alltags: Schmerzen verschwinden, Verletzungen heilen, selbst seelische Probleme lassen sich beeinflussen. Oton Sabine Ja, da funktioniert es auf jeden Fall auch, es dauert wohl auch länger, bei Schmerzen kann man davon ausgehen, dass das oft innerhalb von 24 Stunden gut ist, erledigt ist, bei psychischen Problemen dauert das oft auch Monate, aber man kriegt schon mal ein feedback von den Leuten so nach vier, fünf Wochen, Oh ich merke eine Verbesserung, und das geht dann so peu à peu, das geht sehr langsam , aber es klappt. Autor Sabine, die offenbar eine Familientradition ererbt hat, steht selbst noch staunend vor ihren Fähigkeiten, die sie sieht, deren Herkunft sie aber nicht erklären und deren Potential sie nicht abschätzen kann. Dazu fehlt noch die Erfahrung. Aber sie genießt das Erleben. Oton Sabine Doch, das ist eine große Verantwortung, weil auch Leute auf einen zukommen, die wirklich schwere Krankheiten haben, wo man dann erst mal jetzt denkt Wird das jetzt funktionieren? weil man es nicht weiß, man hatte den Fall noch nie, das ist Erfahrungen sammeln auf jeden Fall und es ist auf jeden Fall eine Verantwortung weil man möchte Leuten helfen, man möchte auf jeden Fall helfen und fühlt sich auch so ein bisschen dafür verantwortlich, dass es funktioniert, aber es macht wahnsinnig Spaß , wenn sich Leute nach ein oder zwei Tage wieder melden und sagen, Mir geht es gut, es ist alles schon weg oder halt nach längerer Zeit melden Mir geht es schon viel viel besser und dann gleicht sich das Gefühl wieder aus, dieses Verantwortungsgefühl und diese Freude, die man dann damit hat. Ist ein gutes Gefühl. Regie Element frei, dann wieder unterlegen Oton Sabine Für die Leute, die hier aufwachsen, ist das zum größten Teil normal und auch die Leute, die hier zuziehen kommen doch immer häufiger um Hilfe bitten. Viele haben doch mittlerweile Beschwerden, wo die Ärzte ratlos sind oder wo Ärzte nicht mehr helfen können und kommen dann zu solchen Leuten hin und bitten um Hilfe. Regie Schlussmusik Sprecher/in. v. D. Mythos Moor Das Hohe Venn zwischen Eifel und Ardennen Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Paul Stänner Ton: Christiane Neumann Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2011 Manuskript und eine Online-Version der Sendung finden Sie im Internet unter dradio.de 1