Deutschlandradio Kultur - Zeitreisen 2. Mai 2012 Das cäsaristische Zeitalter der Presse Axel Cäsar Springer und der Kampf um die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik Deutschland von Sylvia Conradt 1 DOK-TON Gespräch mit Axel Cäsar Springer, 09.04.1976, Sendebeiträge Bereich Politik 1976, DRadio DC020202 0'13 Wissen Sie, ich fühle mich ja gar nicht wohl als dieser Pressecäsar, der hinter einem riesigen Verlagshaus steht, riesige graue Eminenz, die man nicht kennt, der also von hinten mit gewaltiger Faust dann die Dinge vorwärts treibt. Das ist ja alles Quatsch. AUTORIN Axel Cäsar Springer, Verleger und Publizist, 1976 in einem Studiogespräch mit dem RIAS Berlin. 2 DOK-TON Gespräch mit Axel Cäsar Springer, 09.04.1976, Sendebeiträge Bereich Politik 1976, DRadio DC020202 0'27 Das Hervorstechende meiner ganz unbedeutenden Eigen- schaften ist, dass ich mit Menschen gut auskommen kann. Wenn Sie mich nun fragen, ob ich alles getan habe, so muss ich fragen: Habe ich eigentlich als Verleger überhaupt alles tun können, oder hätte ich nicht doch in die Politik gehen sollen, um da direkt etwas zu tun. Diese Frage lege ich mir häufig vor. Aber ich muss Ihnen sagen, die Zeiten haben sich so verhärtet, die politischen Lager haben sich so verhärtet, dass das wohl im Augenblick keine Aktualität hat. AUTORIN 1976 hatte der damals 63jährige im Nachkriegsdeutschland bereits das größte Zeitungsimperium des Kontinents aufgebaut. Vielen Intellektuellen des linken und liberalen Milieus galt er als der Buhmann schlechthin: Nicht zuletzt dank der Bild-Zeitung, die er im Juni 1952 auf den Markt gebracht hatte und die sich schnell zum größten Boulevardblatt Europas entwickelte. Axel Cäsar Springer, geboren am 2. Mai 1912 in Altona, war das "Zeitungsmachen" in die Wiege gelegt: Sein Vater war Verleger und Herausgeber der Altonaer Nachrichten, dort sammelte er seine ersten Erfahrungen. 3 DOK-TON Gespräch mit Axel Cäsar Springer, 09.04.1976, Sendebeiträge Bereich Politik 1976, DRadio DC020202 0'20 Ich habe das Ganze wirklich, mein Handwerk, von der Pieke auf gelernt, setzen und drucken, Verlagsfachkaufmann, Buchhändlerlehrling bin ich gewesen, in Papierfabriken habe ich gearbeitet, dann in Wolffs Telegraphischem Nachrichtenbüro, in Provinzzeitungen, aber letztlich bin ich Journalist und so bezeichne ich mich auch, und so will ich auch gerne genannt werden. AUTORIN Groß geworden in einer bürgerlich-liberalen Familie, die auch zu Sozialdemokraten Freundschaften pflegte und sich während der NS-Herrschaft nichts hatte zuschulden kommen lassen, erhielt Axel Cäsar Springer 1946 von den Britischen Besatzungsbehörden die Lizenz zum Zeitungsmachen. Gemeinsam mit seinem Vater gründete der damals 34jährige im selben Jahr den Axel Springer Verlag. Er brachte die Hörzu heraus, die erste deutsche Programmzeitschrift, damals eine reine Rundfunkzeitschrift, die sich als solider Grundstock seines zukünftigen Imperiums erweisen sollte. 1946 legte auch ein anderer Mann den Grundstein zu seiner Karriere als Zeitungsverleger und Meinungsmacher: Rudolf Augstein, der Herausgeber des "Spiegel". In Hannover wurde der damals 23jährige von den britischen Besatzungsbehörden als Redakteur für die Wochenzeitschrift "Diese Woche" herangezogen. Eine Zeitschrift, die sich an der britischen News Review und dem amerikanischen Time Magazine orientierte. Augsteins mitunter aufmüpfige, gegen die Besatzungsbehörden gerichtete Artikel sorgten immer wieder einmal für Unmut. Dennoch erhielt er eine Verlegerlizenz - und am 4. Januar 1947 erschien die erste Ausgabe des ersten deutschen Nachrichten- magazins: "Der Spiegel". 4 DOK-TON "Gespräch zur Zeit": Gespra?ch mit Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, 04.01.1987, Hanno Kremer u. Peter Schulz, Sendebeiträge Politik, RIAS, DZ169923 0'17 Ich habe niemals geglaubt, dass der Spiegel - oder auch "Diese Woche" -, dass diese Zeitschriften etwas werden würden. Ich habe mir nur gesagt: Warum nicht ein Jahr so was machen, du kannst immer noch studieren. AUTORIN Rudolf Augstein in einem Gespräch mit dem RIAS 1987. 5 DOK-TON "Gespräch zur Zeit": Gespra?ch mit Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, 04.01.1987, Hanno Kremer u. Peter Schulz, Sendebeiträge Politik, RIAS, DZ169923 0'25 Ich habe so gut wie gar keine Voraussetzungen mitgebracht, außer, dass ich vielleicht insgesamt zwei Jahre als ein Sub- Editor oder als ein Volontär tätig gewesen war. Ich wusste nicht einmal, was eine Gewerkschaft war. Ich dachte, eine Gewerkschaft, die wird Öl fördern. AUTORIN Bald schon sollte sich Augsteins Nachrichtenmagazin zu dem kritischen, polemischen Sprachrohr entwickeln, das federführend politische Skandale aufdeckte und zum "Angstgegner" manch eines Politikers aufrückte. Damit übernahm der Spiegel eine Vorreiterrolle, denn die allgemeine Politisierung der Medien - und damit auch der Öffentlichkeit - begann erst Ende der 1950er Jahre. 1946 stieg noch ein dritter Mann in das Zeitungsgeschäft ein: Gerd Bucerius, promovierter Jurist, Richter und Rechtsanwalt, Herausgeber der Zeit und bald auch schon der Illustrierten Stern, die geprägt wurde von dessen Chefredakteur Henri Nannen. Der damals knapp 40jährige Gerd Bucerius war ein aufrechter Nonkonformist: Nach dem Novemberpogrom 1938 hatte er seine jüdische Ehefrau nach Großbritannien in Sicherheit gebracht, bis zum Beginn der Deportationen Juden verteidigt, im Mai 1945 "mit Vergnügen" von der Kapitulation Kenntnis genommen. Von den Briten wurde er als Bausenator in die Hamburger Bürgerschaft berufen, kooperierte gut mit dem ebenfalls von den Briten eingesetzten Nachkriegsbürger- meister Hamburgs, Rudolf Petersen. 6 DOK-TON Gerd Bucerius im Gespräch mit Harald von Troschke, 25.04.1986, NDR, Archiv-Nr. F825475 0'44 Als der Krieg zu Ende ging, da trafen sich in Hamburg eine Reihe von Freunden, meist aus Berlin, und wir kamen zu dem Ergebnis: das letzte Mal haben die anderen die Politik und die Presse gemacht und diesmal müssen wir das machen. Und so habe ich mich mit Petersen bekanntgemacht, der dann auch tatsächlich zugegriffen hat und wir haben uns gemeinsam um eine Zeitungslizenz beworben. Und so war ich also in der Politik und in der Presse. Wir sahen als wichtigste Aufgabe an, die Deutschen, die sich sehr tief mit dem Nationalsozialismus eingelassen hatten, davon zu befreien. Wir waren nicht der Meinung, dass es möglich sei, diese Nation kollektiv zu bestrafen, ganz sinnlos gewesen sei, aber man müsse sie überzeugen, dass sie den falschen Weg gegangen war. Das war eigentlich unsere Hauptaufgabe. AUTORIN Die Presselandschaft lag im Nachkriegsdeutschland danieder, weil das Gros der Journalisten durch die mehr oder weniger intensive Mitarbeit in der gleichgeschalteten NS-Presse kompromittiert war. Für den nahtlosen Übergang der Weimarer Presse in die NS- Presse war vor allen Dingen ein Mann verantwortlich gewesen: Alfred Hugenberg, der Medienzar der Weimarer Republik. Er war 1928 Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei und instrumentalisierte seine Blätter, um antidemokratische Parteipolitik zu betreiben. 7 DOK-TON Alfred Hugenberg: Wahlrede für die DNVP, August 1930, Stimmen des Jahrhunderts, Band 1, Deutsche Politiker 1914- 1990, CD 1, edition q 1991 8013/1, Dradio Berlin DC225762/bTitel 08 0'38 Den marxistischen Parteien gilt unser Hauptkampf. Die geschichtliche Schuld aber, dass die Sozialdemokratie .... (weiter unter Autorin) AUTORIN Alfred Hugenberg im August 1930. 7 DOK-TON Alfred Hugenberg: Wahlrede für die DNVP, August 1930, Stimmen des Jahrhunderts, Band 1, Deutsche Politiker 1914- 1990, CD 1, edition q 1991 8013/1, Dradio Berlin DC225762/bTitel 08 So erblicken wir den Sinn dieses Wahlkampfes in der Erweckung des Willens, das Steuer herumzuwerfen, dass nicht der Marxismus und seine Verbündeten unser Volk zugrunde richten, sondern dass eine starke geläuterte Rechte es auf neuen Bahnen zu einem neuen gereinigten Reiche führt. Macht mir den rechten Flügel stark. AUTORIN Hugenbergs Presse machte Hitler hoffähig. Nach der Machtübergabe fiel das Gros seines Verlagswesens an NS- Verlage. Eine solche Entwicklung galt es im befreiten Deutschland zu verhindern - genauer: in den Westzonen. Während die sowjetische Besatzungsmacht die Presse in ihrer Zone parteipolitisch ausrichtete, sollte sich in den Westzonen keine stark parteipolitisch zugeordnete Presselandschaft etablieren, auch eine Medienkonzentration à la Hugenberg sollte verhindert werden. Der Historiker und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, Frank Bösch. 8 O-TON Frank Bösch, ZZF 0'28 Die Zeitungen zeigten relativ früh ein politisches Profil, jedoch bewegte sich das noch stark. Die Zeit beispielsweise stand damals noch eher rechts von der CDU, kritisierte also die CDU von nationaler Seite. Der Spiegel löste große Verunsicherung an der Politik aus, weil er keiner Partei recht klar zuordenbar war, sowohl die Linke als auch insbesondere die Rechte kritisierte, und bei Springer wusste man gar nicht, wo er politisch hingehört. AUTORIN 1948 war Axel Cäsar Springer mit dem "Hamburger Abendblatt" in das Tageszeitungsgeschäft eingestiegen, aber erst 1952 gelang ihm der große Wurf - mit der Bild-Zeitung, einem Novum auf dem deutschen Zeitungsmarkt, orientiert am britischen Massenblatt Mirror. Axel Cäsar Springer im Rückblick: 9 DOK-TON Gespräch mit Axel Cäsar Springer, 09.04.1976, Sendebeiträge Bereich Politik 1976, DRadio DC020202 1'20 Dank einer Leseranalyse stellte ich fest, wie wenig Leute den Wirtschaftsteil lesen, wie wenig Leute das Feuilleton lesen, und dann ging ich zu meinem väterlichen Freund Karl-Andreas Voss und sagte: Herr Voss, wir müssen doch auch mal eine Zeitung machen, wo wir so 90 Prozent aller Leser ansteuern können. Und dann habe ich mich auf 14 Tage zurückgezogen mit dem geistigen Rüstzeug eines Redakteurs, mit Kleistertopf und Schere bin ich in mein Haus gegangen und habe dieses neue Modell entworfen, was ich meinen Direktoren dann vorgelegt habe. Die lachten sich tot, etwas gedämpft tot, weil ich ja immerhin der Chef war, aber sie lachten offensichtlich. Und als dann die Frage kam: Ja, Herr Springer, haben Sie denn auch schon einen Titel? Und in dieser süffisanten Frage lag eigentlich schon die ganze Ablehnung. Und ich sagte: Ja, und die fragten dann: Wie heißt er denn? Und da sagte ich: Bild, und da ging das laute Gelächter los. Wissen Sie, da habe ich gar nicht mitbestimmen lassen, sondern hab es gemacht und nach einem Jahr hatten wir eine Million Auflage. Und ich könnte mir vorstellen, dass mancher politische Gegner von mir sehr gern die Bild-Zeitung mir abnehmen würde. Ich habe sie immer bezeichnet als die gedruckte Antwort auf das Fernsehen. AUTORIN Der in Hamburg ansässige Springer-Konzern wuchs stetig: 1953 übernahm er unter anderem die britisch lizensierte Tages- zeitung "Die Welt", diverse lokale Blätter folgten. Dabei firmierte die Bild-Zeitung, die jährlich ihre Auflagen steigerte, weiterhin als eher unpolitisches Blatt. Anders der Spiegel, der sich unter anderem auch der unrühmlichen jüngsten deutschen Vergangenheit annahm. Historiker Frank Bösch: 10 O-TON Frank Bösch, ZZF 1'10 In den 50er Jahren wurde ja der Nationalsozialismus generell zunächst kaum thematisiert. Es gab gewisse Ausnahmen: Anfang der 50er Jahre kritisierte beispielsweise die Frankfurter Rundschau die hohe Kontinuität von NSDAP-Mitgliedern im Auswärtigen Amt, aber das war eher selten. Eine große Ausnahme war schon in den 50er Jahren, und vor allen Dingen seit den späten 50er Jahren, der Spiegel. Der Spiegel brachte zunehmend Stories, Berichte und dann auch tatsächlich gut recherchierte Geschichten darüber, wie die Deutschen sich im Nationalsozialismus verhalten hatten. Der Spiegel beauftragte zu zentralen Fragen, wie der Frage, wer eigentlich den Reichstagsbrand ausgelöst hatte, Recherchen. Und der Spiegel machte umfangreiche Titelgeschichten, beispielsweise zur Geschichte der SS, also zu Themen, die damals selbst die Geschichtswissenschaft noch kaum aufgearbeitet hatte. Und hier liegt sicherlich ein großes Verdienst des Spiegels, der hier in durchaus kritischer Art und Weise eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit angestoßen hat, die weit über die Skandalisierung von einzelnen Politikern hinausreichte. AUTORIN Gegen Ende der 1950er Jahre schlugen auch die Springer- Blätter einen politischeren Kurs ein. 1957/58, nach Überwindung gesundheitlicher Probleme, mystisch-religiöser Anwandlungen und Depressionen, fühlte sich Axel Springer zu Höherem berufen. 11 DOK-TON Gespräch mit Axel Cäsar Springer, 09.04.1976, Sendebeiträge Bereich Politik 1976, DRadio DC020202 0'58 Bis 1957, will ich einmal sagen, war der Aufbau des Springer- Hauses in Westdeutschland beendet. Und dann kam die ganz große Anteilnahme von mir an dem Geschick der 17 Millionen in Mitteldeutschland, die so ungleich schlechter dran waren und sind als wir. Und das hat sich dann in mir so nieder- geschlagen, dass ich mich solchen Politikern voll angeschlossen habe, die auf die Einheit Deutschlands, nicht im nationalistischen oder chauvinistischen Sinne, sondern vor dem Hintergrund eines geläuterten Patriotismus das ganze Deutschland haben wollten, und insbesondere eben nur aus den Gründen, auch die 17 Millionen mit drin im Verband zu haben. Das war auch der Ausgangspunkt meiner Reise nach Moskau. AUTORIN Anfang 1958, wenige Monate vor dem Chruschtschow- Ultimatum, das den Abzug der Alliierten aus Berlin und die Umwandlung West-Berlins in eine freie Stadt verlangte, reiste Axel Springer nach Moskau, um mit Nikita Chruschtschow über die Wiedervereinigung Deutschlands zu verhandeln. 12 DOK-TON Gespräch mit Axel Cäsar Springer, 09.04.1976, Sendebeiträge Bereich Politik 1976, DRadio DC020202 1'01 Und ich bin rübergefahren als einer der progressivsten Politiker, die es überhaupt gab, die also sehr gern auch die Aussöhnung auch mit der Sowjetunion wollten und kehrte total ernüchtert zurück, weil ich in Gesichter gesehen habe, die mich sehr an Gesichter einer anderen Zeit erinnert haben, und die haben mir die Hoffnung genommen. Und das hat gar nichts mit partei- politisch zu tun, denn damals neigte ich der SPD viel mehr zu als irgendeiner anderen Partei. Die CDU war mir zu sehr am Rhein beheimatet und die FDP kannte ich eigentlich nur von den ....., wo mein Vater früher mal Schatzmeister war, und Ernst Reuter war überhaupt ein Leitbild überhaupt für alles politische Denken bei mir. Und dann stimmten sich meine Zeitungen so ein, und es kann mir nie jemand vorwerfen, dass wir nur jeweils eine Partei gestützt haben, sondern wir sind überall da aktiv geworden, wo wir glaubten, dass für Deutschland und für die 17 Millionen eine richtige Politik gemacht werden würde. AUTORIN Der Verleger wurde zum glühenden Antikommunisten und schwor seine Redakteure auf vier Grundsätze ein: Wieder- vereinigung, Versöhnung mit Israel, Kampf gegen jede Art von Extremismus und für die Soziale Marktwirtschaft. Sein Verlangen nach einem wiedervereinigten Deutschland, seine Liebe zur geteilten Stadt Berlin, genauer West-Berlin, veranlassten ihn im Mai 1959 zur Grundsteinlegung seines Verlagshauses in unmittelbarer Nähe zur Sektorengrenze, in der Kochstraße in Berlin-Kreuzberg. Ende desselben Jahres übernahm er den Ullstein-Verlag, wurde damit auch Eigner der "Berliner Morgenpost" und der "B.Z". Damit beherrschte Axel Springer rund 80 Prozent des Westberliner Zeitungsmarktes. Anders als Springer, der mit seinen naiv-romantischen Vorstellungen, Politik zu machen, scheiterte, der sich aber mit Bravour für den Ausbau seines Verlages engagierte, war der Zeit- und Stern-Herausgeber Gerd Bucerius auch Politiker: Seit 1949 saß er für die CDU im Bundestag, amtierte bis 1957 als Bundesbeauftragter für die Berliner Wirtschaft, befürwortete die Politik Adenauers. Erste "Basismeinungsverschiedenheiten", so Bucerius, entzündeten sich Anfang der 1960er Jahre an der von Adenauer und der CDU verweigerten Ostpolitik. Zum Bruch mit der Partei kam es 1962. 13 DOK-TON Gerd Bucerius im Gespräch mit Harald von Troschke, 25.04.1986, NDR, Archiv-Nr. F825475 1'13 Der Streit entzündete sich ganz lächerlich an einem Artikel im "Stern", dessen Verleger ich ja damals war. Da stand ein Artikel, der hieß: "Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer?" Ursache: Im Konzil, das damals stattfand, wurde gestritten zwischen den Dominikanern und den Jesuiten über die Frage: Was geschieht im Jenseits? Über diese Frage schrieb ein junger Redakteur des Sterns einen etwas komischen, witzig sein sollenden Artikel, von dem ich gleich sagte: Sehr schön ist der nicht und der hat das ganze Problem eigentlich nicht erkannt. Jedenfalls regten sich große Kreise in der CDU fürchterlich darüber auf. Sie wollten das Recht haben, mich in den Hintern zu treten, und ich sollte dann trotzdem bei ihnen bleiben und in Zukunft brav und folgsam sein - womit sie sich nun allerdings verrechnet hatten - und fassten Beschlüsse, in denen a) die Fraktion, b) der Landesvorstand in Hamburg aufgefordert wurden, zu prüfen, ob angesichts dieses Artikels meine Zugehörigkeit zur CDU noch zu vertreten sei. Darauf habe ich kurzerhand ... bin aus dem Bundestag ausgetreten und aus der CDU ausgetreten. AUTORIN Von nun an widmete sich Bucerius ganz seiner verlegerischen Arbeit, griff, anders als Springer, nie in die redaktionelle Arbeit ein, sondern konterte gegebenenfalls mit eigenen Artikeln. 1965 hob er zusammen mit John Jahr sen. und Richard Gruner die "Gruner + Jahr GmbH & Co" aus der Taufe: der nach dem Axel-Springer-Verlag zweitgrößte Pressekonzern der Bundesrepublik war geboren. Der wirtschaftlich dagegen vergleichsweise schmächtige Spiegel-Verlag hatte seit den 1950er Jahren ungebrochen eine schwergewichtige Sonderrolle in der westdeutschen Presselandschaft eingenommen. "Der Spiegel", laut Rudolf Augstein, das "Sturmgeschütz der Demokratie", bestach als meinungsstarkes, nicht auf eine Partei festgelegtes Nachrichtenmagazin durch seine investigative Berichter- stattung. Frank Bösch: 14 O-TON Frank Bösch, ZZF 0'21 Insgesamt muss man Augstein zugutehalten, dass er sehr, sehr früh hier eine Form von Journalismus etablierte, wie sie in Großbritannien oder in den USA längst gang und gäbe war. Augstein spielte in gewisser Weise eine Vorreiterrolle, um die Presse als vierte Macht zu etablieren, aber da waren natürlich auch viele andere Blätter dran beteiligt. AUTORIN Als der Spiegel im Oktober 1962 den Artikel "Bedingt abwehrbereit" veröffentlichte und dem damaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß eine friedensgefährdende Politik unterstellte, erschütterte wenig später die sogenannte "Spiegel-Affäre" die junge Bundesrepublik: Augstein und sein Chefredakteur Conrad Ahlers waren verhaftet, die Redaktionsräume des Spiegel geschlossen, Unterlagen beschlagnahmt worden. Bundeskanzler Konrad Adenauer bezichtigte sie des "Landesverrats". Die Solidarität der Verleger-Kollegen ließ nicht lange auf sich warten: ob die Blätter aus dem Hause Springer oder aus dem Hause Bucerius kamen - beide Verleger verurteilten das staatliche Vorgehen als Angriff auf die Pressefreiheit. Gerd Bucerius wies seine Zeit-Mitarbeiter an zusammenzurücken: Die Mitarbeiter des Spiegel fanden Unterschlupf in den Redaktionsstuben der Zeit und konnten weiterarbeiten. 15 O-TON Frank Bösch, ZZF 1'25 Die Spiegel-Affäre trug zweifelsohne dazu bei, dass der Spiegel jetzt als das Flaggschiff der Demokratie erschien. Man kann in gewisser Weise sagen, dass die Spiegel-Affäre eine längere Vorgeschichte hatte. Seit 57/58 nahmen im Spiegel die Artikel zu, die Strauß kritisierten, und entsprechend war die Spiegel- Affäre auch eine Art Rache von Strauß. Es war der Versuch, dem Spiegel, der ihn jetzt über Jahre hinweg gepiesackt hatte, jetzt einen Maulkorb zu verpassen und damit mundtot zu machen. Nur, Strauß scheiterte damit und schließlich musste er selbst zurücktreten, was nun definitiv ein Sieg von Augstein über den Politiker bedeutete. Der Spiegel hatte hier ausgefochten, durchgefochten, dass er eine Meinung vertreten konnte, dass er Berichte auch gegen Politiker machen konnte, die kritisch waren und die auch auf internen Dokumenten beruhten. Und die nachfolgenden Prozesse, auch die Pressegesetze, die Mitte der 60er Jahre als Reaktion auf die Spiegel-Affäre erschienen, die zementierten in gewisser Weise diese Meinungsfreiheit, für die der Spiegel gekämpft hatte. Er wurde so zum mythenumwobenen Flaggschiff, auf das sich Generationen von Journalisten beriefen, wenn sie für die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Journalisten gegenüber der Politik eintraten. AUTORIN Axel Cäsar Springer hatte Anfang 1967 die Pressemetropole Hamburg verlassen und den Hauptsitz seines Verlages nach Berlin verlegt. Das im Jahr zuvor fertiggestellte Verlagsgebäude an der Kochstraße lag direkt an der Berliner Mauer. Als die studentische außerparlamentarische Opposition gegen die USA und den Vietnamkrieg, gegen den Schahbesuch und die Erschießung Benno Ohnesorgs demonstrierte, entpuppten sich die Springer-Blätter als ihre publizistischen Hauptfeinde. Sie titelten: "Stoppt den Terror der Jungroten", oder: "Man darf nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei überlassen", schmähten Studenten als "Krawallmacher", "Politgammler", "rote SA", "Radikalinskis" und empfahlen "Polizeihiebe auf Krawallköpfe". Nicht zuletzt machten die Studenten die Springerblätter B.Z. und Bild für das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke im April 1968 verantwortlich. 16 DOK-TON Demonstration vor dem Springer-Hochhaus 11.04.1968, Kalenderblatt v. 22.09.2000, DRadio, DZ001221, 1'03 (Demonstrant) Wir stellen vor aller Öffentlichkeit mit dieser Demonstration klar, wer der eigentliche politische Gegner für uns in dieser Stadt und in der Bundesrepublik ist. (Beifall) Gerade deshalb machen wir keine Demonstration zum Schöneberger Rathaus, wo der abhängige Senat sitzt, sondern machen eine Demonstration zum Springer-Hochhaus, wo die Drahtzieher und Hintermänner sitzen. (Sprechchöre u. Reporter) Meine Damen und Herren, Sie hören, was sich hier vor dem Springer-Hochhaus in der Kochstraße abspielt. Ein Polizeikordon sperrt den Eingang hermetisch ab, ein weiterer Polizeikordon hier auf der Rampe hält die Demonstranten zurück. Sie hören die Rufe: Springer - Mörder... (Blenden unter Autorin) AUTORIN Anschläge unter anderem auf Springers Verlagshäuser in Berlin und Hamburg ließen nicht lange auf sich warten. "Enteignet Springer!" mit dieser Kampfparole richteten sich die 68er gegen die marktbeherrschende Meinungsmacht der Springer-Presse, die den bundesdeutschen Medienmarkt mit rund 40 Prozent beherrschte. Und tatsächlich sah auch eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission die Meinungsfreiheit durch Presse-Imperien wie den Springer-Verlag gefährdet. Daraufhin trennte sich Springer von einigen Zeitschriften, aber seiner Medienmacht tat das keinen Abbruch. Die bekam auch die sozialliberale Koalition zu spüren, gegen deren Ostpolitik die Springer-Presse erbarmungslos zu Felde zog. 17 DOK-TON Gespräch mit Axel Cäsar Springer, 09.04.1976, Sendebeiträge Bereich Politik 1976, DRadio DC020202 0'05 Und ich will auch nicht auf Mecklenburg, Schlesien, Pommern, Ostpreußen, auf gar nichts verzichten. AUTORIN Axel Cäsar Springer im RIAS-Gespräch 1976. 18 DOK-TON Gespräch mit Axel Cäsar Springer, 09.04.1976, Sendebeiträge Bereich Politik 1976, DRadio DC020202 0'12 Das verstehen einige und andere nicht. Und es ist wirklich einer meiner schwärzesten Tage gewesen, als die Ostverträge unterzeichnet wurden. 19 DOK-TON Gerd Bucerius im Gespräch mit Harald von Troschke, 25.04.1986, NDR, Archiv-Nr. F825475 1'16 Ich habe 1969 sozialdemokratisch gewählt... (weiter unter Autorin) AUTORIN Der Verleger und einstige CDU-Bundestagsabgeordnete Gerd Bucerius 1986 in einem Interview mit dem NDR. 19 DOK-TON Gerd Bucerius im Gespräch mit Harald von Troschke, 25.04.1986, NDR, Archiv-Nr. F825475 Damals kam langsam zwischen Leuten, die mit der Studenten- bewegung nichts zu tun hatten, wie zum Beispiel Scheel, Brandt, kam die Vorstellung hoch, dass das, was Adenauer nach dem Westen erfolgreich gemacht hatte, müsse verändert und angepasst nun auch nach dem Osten nun durchgeführt werden. Man müsse versuchen, einen standard of living mit dem Osten herzustellen. Und da hat die CDU - nach Adenauer -, wie ich glaube, versagt. Die Mehrheit der CDU-Fraktion hat ja dann den Ostverträgen widersprochen, Barzel hin- und hergerissen, im Grunde für die Ostverträge, hat sich dann bewegen lassen, ich glaube, dagegen zu stimmen. Ein Teil der Fraktion hat sich der Stimme enthalten - in einer Frage enthalten, bei der es um Sein oder Nichtsein der Bundesrepublik..., da können sie "ja" sagen, oder "nein" sagen, aber Sie können nicht sagen: ich weeß nicht. Das war nicht möglich. Da hat eigentlich das Ende der damaligen CDU begonnen. AUTORIN Der Potsdamer Historiker Frank Bösch: 20 O-TON Frank Bösch, ZZF 0'40 Im Unterschied zu vielen Journalisten heute hatten die Verleger der frühen Bundesrepublik wirklich eine Mission: Sie sahen sich als Männer, die die politische Öffentlichkeit gestalten wollten. Es gab in gewisser Weise zwei ganz große Persönlichkeiten, die dauerhaft herausragten: Axel Springer und Rudolf Augstein würde ich hier eine besondere Rolle zuschreiben, da sie mit ihren beiden großen Blättern, mit Bild und mit dem Spiegel, tatsächlich über Jahrzehnte, auch persönlich, die Öffentlichkeit prägten und weil sie in gewisser Weise Stellvertreter wurden für zwei politische Richtungen in der Bundesrepublik, die auf sehr unterschiedliche Weise miteinander rangen und damit eben tatsächlich auch das politische Denken von Generationen mit begleiteten. AUTORIN Auch wenn parteipolitische Vorlieben mitunter durchaus erkennbar waren, betont Frank Bösch, wäre es zu kurz gegriffen, die großen Verleger parteipolitisch "festnageln" zu wollen. 21 O-TON Frank Bösch, ZZF 1'19 Nur, weil Augstein beispielsweise der FDP angehörte, ihn jetzt als einen Liberalen zu bezeichnen oder einen Linksliberalen, das griffe sicherlich zu kurz. Wofür Augstein stand, das war kritisches Denken, war eine Kritik in alle Richtungen. Seine Feinde warfen ihm deshalb oft Nihilismus vor. Aber natürlich stand er insbesondere auch für die Unterstützung der Ostpolitik und damit für den Politikwechsel, den Brandt einleitete. Was nicht bedeutete, dass er Willy Brandt nicht kritisierte. 1973/74 nahm die Kritik des Spiegels an Brandt zu und trug sicherlich auch zu der Verunsicherung bei, die zu Willy Brandts Rücktritt am Ende führte. Umgekehrt, auch Axel Springer war sicherlich nicht einfach nur ein CDU-Mann. Er war jemand, der in der zweiten Hälfte der 60er Jahre sehr eng an die Unionsparteien heranrückte und der dann insbesondere als Kämpfer gegen die Ostpolitik klares politisches Profil gewann. Aber nichtsdestotrotz war auch die Bild-Zeitung natürlich in der Lage, sich anders zu positionieren, in Zweifelsfällen, sah sich nie nur als Abhängige von einer einzelnen Partei, und insofern wäre es auch hier verkürzt, eben dieses Blatt lediglich als eine erweiterte Parteizeitung zu sehen. AUTORIN Siegerin blieb die westdeutsche Demokratie. Denn im Unterschied zur Weimarer Republik herrschte in der Bonner Republik ein Wettbewerb zwischen Pressezaren, die eindeutig demokratisch ausgerichtet waren. Deshalb entbrannte kein Kampf für oder gegen die demokratische Staatsverfassung. Mehr noch: Der Streit um die "richtige" Demokratie, und um die Gefährdungen der Demokratie, war (vor allem in den 1960er Jahren) Teil des Kampfes der Pressezaren um publizistische Meinungsführerschaft. In diesem Kampf gab es allerdings keinen eindeutigen Sieger. 22 O-TON Frank Bösch, ZZF 0'55 In gewisser Weise sind alle großen Verleger Sieger geworden in einem Prozess der Medienkonzentration, der insbesondere in den 60er/70er Jahren an Fahrt gewann. Denn viele große Zeitschriften der 50er Jahre, wie Kristall oder Revue oder auch Quick, sind längst eingegangen. Man erinnert sich heute kaum noch. Was übrigblieb und was an Auflage gewann, waren eben Blätter wie der Spiegel, wie der Stern, auch die Zeit dann später, die alle in den 60er Jahren dramatisch, oder man könnte sagen, auch kometenhaft an Auflage gewannen. Sie waren Sieger eines allgemeinen Politisierungsprozesses, und insofern kann man nicht sagen, dass am Ende einer dieser Großverleger über den anderen triumphierte. Sie triumphierten alle gemeinsam über die vielen mittelgroßen und kleineren Verleger, die seit den 70er Jahren in die Krise geraten sind. AUTORIN Bis heute ist die Axel Springer AG Europas größter Zeitungskonzern. 20