Kirsten Westhuis "Und Gottes Nase brannte" - Über den Körper in Religionen Deutschlandradio Kultur 2013, RELIGIONEN, Redaktion Philipp Gessler, Ralf bei der Kellen Sendungslänge 49`50 Musik Dietrich Buxtehude: Membra Jesu Nostri - Betrachtung der sieben Körperteile Jesu am Kreuz. Track 1, Vorspiel 01 O-Ton Walter Rothschild O Gott, Du hast mich geschaffen wie ich bin. Ich habe alle diese Röhren in mir, sollte etwas verstopft sein, das nicht verstopft sein muss, sollte etwas geöffnet sein, das nicht geöffnet sein muss, dann kann ich einfach nicht mehr leben. Alles diese Sachen sind Teil von mir: Nieren, Milz, Lungen und Herzen und alles, Blutader und so, das ist Teil von der Schöpfung und man dankt Gott dafür, dass alles funktioniert. 02 O-Ton Zehra Yilmaz Der Körper ist von Gott gegeben und auch eine Prüfung für den Menschen. Und so ist der Mensch verpflichtet, den Körper, der eigentlich Gott gehört, für die Zeit unseres Lebens, wo wir ihn anvertraut bekommen haben, gesund zu erhalten. Sei es durch Ernährung, Gesundheit, Hygiene, Sport, was dazu gehört, damit dieser Körper gesund erhalten wird. 03 O-Ton Regina Ammicht Quinn Wenn wir die Haltung Jesu zu anderen Menschen anschauen, in den Heilungen, aber auch z.B. in der ganz klaren Aufwertung des Frauenkörpers, dem er offensichtlich ohne Angst begegnet, dann halte ich selbst die christliche Körperfeindlichkeit, die sich über viele hundert Jahre hinweg manifestiert hat, als das große und tragische Missverständnis des Christentums. 04 Musik_01 Buxtehude Vorspiel instrumental, darauf: 05Sprecher01: Seht auf den Bergen die Schritte des Freudenboten! Er verkündet Frieden! Aus dem Buch Nahum, Kapitel 2, Vers 1 04_Musik_01 weiter Ecce super montes pedes evangelizantis et annutiantis pacem. (Nahum 2:1) 1:08 Dietrich Buxtehude: Membra Jesu Nostri - Betrachtung der sieben Körperteile Jesu am Kreuz. Track 1: "Ad pedes - Zu seinen Füßen" Autorin: "Zu seinen Füßen, Ad pedes", heißt die erste Strophe dieses Werkes von Dietrich Buxtehude. In "Membra Jesu Nostri - eine Betrachtung der sieben Körperteile Jesu am Kreuz" greift der Barockkomponist Textstellen aus der Bibel auf, die sich sprachlich und im übertragenen Sinne auf die verschiedenen Körperteile beziehen. Nach und nach werden Füße, Knie, Arme, Seite, Brust, Herz und Gesicht besungen. Sehr konkret, sehr körperlich ist das. Jesus am Kreuz ist das letzte und höchste Symbol des Christentums. Es steht damit etwas ganz Physisches im Zentrum dieser Religion: der Körper. 06 Sprecher Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild uns ähnlich. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und als Frau schuf er sie. 07 O-Ton Schmitz Was meint dieses Ebenbild? Meint es, wenn wir es körperlich verstehen, Gott so aussehen müsste wie ein Mensch, dass man es quasi hochrechnen müsste, es ist ein potenzierter Mensch vielleicht von der Gestalt her? sagt Bertram Schmitz, Professor für Religionswissenschaften an der Universität Jena. 08 O-Ton Schmitz Oder bezieht sich das vielleicht auch auf etwas Geistiges, das wäre wieder die Sublimierung, dass wir sagen `wir sind ebenbildlich insofern, als wir wie Gott Freiheit haben`. Das wäre wieder ein abstrakter Begriff, dass wir einen freien Willen haben, dass wir selbständig handeln können, dass wir eine Seele eingehaucht bekommen. 09 Sprecher Da formte Gott den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. 10 O-Ton Schmitz Und deswegen auch der Name Adam. Adam, der einfach nur Mensch bedeutet, es muss nicht Mann bedeuten. Der Religionswissenschaftler Schmitz vergleicht Inhalte und Traditionen aller Religionen. Bei der Schöpfung und der Entstehung des Menschen gibt es zwischen Juden, Christen und Muslimen keine großen Unterschiede im Glauben. Die beiden Schöpfungsgeschichten aus dem Alten Testament oder der jüdischen Tora kennen auch die Muslime. 11 O-Ton Schmitz Ursprünglich war wohl erst der Konkretere, dass also Gott Erde genommen hat, Erdboden, adama, und daraus eben ‚Adam', den Menschen geschaffen hat, ganz plastisch. Eine Vorstellung, die wir auch im Alten Orient wiederfinden, der Mensch als Erde geschaffen, gestaltet, geformt, aber dann zu dem eigentlichen Menschen als solcher erst wird, wenn der göttliche Hauch, "nefesch", erst eingehaucht wird in den Menschen, und der dann ein Geistwesen wird. 12 O-Ton Rabbi Der Form des Körpers, Kopf, Schulter, Brust, Beine, Hüfte gehört alles zum Teil der Schöpfung. Es ist nicht, sagen wir, Gott schuf den Geist und ein Teufeldämon die anderen Teile. 13 O-Ton Yilmaz Und wie der Körper aussieht, das ist Schöpfung Gottes, da haben wir keinen Einfluss, ob ich eben weiblich oder männlich erschaffen wurde, ob ich mit dunkler Haut oder heller Haut, oder ob ich einen behinderten Körper oder einen gesunden Körper habe, das ist Gottes Schöpfung. (0:13) Juden sollen nach ihrem Glauben Respekt vor ihrem Körper haben, sagt Walter Rothschild, Landesrabbiner von Schleswig-Holstein. Zehra Yilmaz ist Leiterin der Begegnungsstätte eines der größten islamischen Zentren Deutschlands, der Merkez-Moschee in Duisburg- Marxloh. Muslime sehen den Körper als anvertraut von Gott, als Leihgabe, sagt sie. Und mit etwas Anvertrautem müsse man besonders gut umgehen: 14 O-Ton Yilmaz Das ist dann fürs Individuum die Prüfung hier auf der Erde: Wie kommen wir mit diesem Körper zurecht? Zum Beispiel wenn wir krank sind oder behindert sind, verzweifeln wir an Gott und sagen: Warum nur ich? Oder finden wir gerade aufgrund unserer Beschaffenheit den Weg und die Liebe zu Gott? Tue nichts, was dem Körper schadet - lautet vereinfacht die praktische Richtlinie für Muslime. Kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Drogen, kein Übermaß an Essen und Trinken. Auch Juden kennen diese Maßgabe, sagt Rabbi Walther Rothschild. 15 O-Ton Rothschild Wir hatten Konzepten schon vor tausenden Jahren, dass man die Hände waschen soll, bevor man essen geht oder zum Gebet geht, regelmäßig waschen, oder baden, besser gesagt, in einem Tauchbad mit fließendem Wasser. Wir reden von alten Texten, die 2000 plus Jahre alt sind, wir reden nicht von heißem Wasser und Shampoo, aber wir reden davon, dass man den ganzen Körper badet, dass man sauberes Wasser dafür benutzt, dass man regelmäßig die Kleider wechseln soll (0:33) Andere Vorstellungen über den Menschen als in den drei monotheistischen Religionen gibt es etwa im Hinduismus. So wird zum Bespiel in den Veden, der ältesten hinduistischen Literatur, das Bild des Urwesens Purusha gezeichnet. Es wird zerteilt und aus den einzelnen Teilen entstehen Himmel und Erde, die Himmelsrichtungen, die Jahreszeiten und schließlich auch die Menschen, erzählt Bertram Schmitz: 16 O-Ton Schmitz Da wird gefragt: Was wird aus dem Kopf erschaffen? Das sind die Brahmanen, die geistliche Kaste, die Religiösen. Dann wird gefragt: Was wird aus den Armen erschaffen? Das sind die Kämpfer, der ganze Adel, die weltliche Macht. Dann die ökonomische Macht, die wird aus dem Bauch, aus dem Oberkörper, aus den Schenkeln erschaffen, und unten die Füße, die "Schudras", das ist die Dienerkaste und so wird dann aus diesem ursprünglichen Modell des kosmischen Menschen erklärt, wieso es diese vier verschiedene Kasten gibt. In der anderen östlichen Weltreligion, im Buddhismus, gibt es kein Schöpfungsdenken in diesem Sinne. Der Mensch entsteht erst in einem Geflecht aus Zusammenhängen. Das bedeutet: Durch das Denken und durch die Bedürfnisse des Menschen formt sich ein Bewusstsein. Der Mensch erschafft seine eigene Welt. 17_Musik_02 Vorspiel zu Track 2, (0:40)(Vorspiel Gesamtlänge 2:00) darauf: 18 Sprecher: Ihre Kinder wird man auf den Armen tragen und auf den Knien schaukeln. Aus dem Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 66, Vers 12 17 Musik_02 weiter II: Ad genua - to his knees Ad ubera portabimini, et super genua blandientur vovis 19 O-Ton Yilmaz Der Mensch besteht aus Körper und Geist oder Seele. 20 O-Ton Rabbi Nach jüdischen Perspektiven besteht der Mensch aus Körper und Geist. 21 O-Ton Schmitz Wir erleben uns selbst als Körper, und diese geistig- körperliche Einheit, die uns eigentlich von uns aus viel näher ist als das Abstrahierte, mit dem wir erziehungsmäßig aufgewachsen sind, dass beides voneinander getrennt sein soll. Die Trennung von Körper und Seele ist ein Dualismus, der im Laufe der europäischen Kulturgeschichte entstanden ist und verhängnisvolle Formen angenommen hat. Das zeigt sich zum Beispiel im zweiten Jahrhundert nach Christus bei dem Kirchenvater Origenes: 22 O-Ton Ammicht Quinn Origenes sagt: Und Gott schuf die Welt und fesselte die Seele an den Körper zu ihrer Bestrafung. Sagt Regina Ammicht Quinn, katholische Theologin und Ethikerin an der Uni Tübingen. 23 O-Ton Ammicht Quinn Das ist wirklich scharf, weil das dann bedeutet, dass die Seele im Grunde in so einem Kerker-Körper lebt, die Aufgabe des Menschen darin besteht, den Körper schon während des Lebens abzutöten, um der Seele mehr Raum zu verschaffen, die dann letztendlich nur im Tod wirklich lebt. Die Spaltung zwischen Körper und Seele gipfelte im 17. Jahrhundert mit René Descartes, der das Mantra moderner Denker formulierte: Ich denke, also bin ich. Was zählt, ist der Geist. Vom Körper keine Spur mehr. In den religiösen Ursprungstexten ist von dieser Trennung oder gar Abspaltung noch nichts zu entdecken. In der Sprache der Texte werden viele Dinge körperlich-konkret ausgedrückt. Sogar an Textstellen, an denen von Gott die Rede ist. Zum Beispiel im 2. Buch Mose, Kapitel 4, Vers 14. Dort heißt es in der modernen Einheitsübersetzung der Bibel: 24 Sprecher Da entbrannte der Zorn des Herrn über Mose. Im hebräischen Urtext kann man lesen: Und Gottes Nase brannte. Eine Sprache, die von dem Bewusstsein geprägt ist, eine Einheit von Körper und Seele zu sein, sagt Regina Ammicht Quinn. Eines der ganz zentralen Körperteile, die immer wieder vorkommen, ist die "nefesch", die Kehle. 25 O-Ton Ammicht Quinn: Es ist die rufende, die singende, die schreiende, die flüsternde oder krächzende Kehle. Die Kehle ist begierig und hungrig und durstig und d.h. die "nefesch" ist ein ganz breites Symbol, es steht für den bedürftigen, für den endlichen Menschen, der eben Luft braucht, sonst stirbt er, der eben Nahrung braucht, sonst stirbt er, aber gleichzeitig auch für den "elan vitale", also die Lebenskraft des Menschen. Mit den Bibelübersetzungen vom Hebräischen ins Griechische im dritten Jahrhundert nach Christus wurde aus der Kehle an rund 600 von 755 Stellen die Psyche, die Seele. Aus einem konkreten Organ wird etwas Merkwürdiges, Durchsichtiges, Unfassbares, Geflügeltes, was in meinem Innenraum wohnt, das ich aber nicht genau kenne, sagt Regina Ammicht Quinn: 26 O-Ton Ammicht Quinn: Lobe den Herrn meine Kehle! Lobe den Herrn, du lachender und singender und schreiender und weinender, bedürftiger, aber ganz und gar lebendiger Mensch. Und das ist etwas, woran wir uns erinnern müssen. 27 O-Ton Schmitz: 28 Sprecher: 29 Schmitz: Und selbst bei Jesus, der noch in diesen Kontext hineingehört und aramäisch gedacht hat, dass er, wenn er von Gefühlen redet, oft von Körperlichkeit redet. Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verlorengeht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 5, Vers 29. Ein physischer Prozess, den wir geistig umschreiben würden. Wir würden sagen ich bin neidisch, ich bin gierig oder ich bin wollüstig oder so etwas. 32 Musik_03 Vorspiel zu Track 3, darauf: 33 Sprecher Was sind denn das für Wunden inmitten Deiner Hände? Aus dem Buch Sacharja, Kapitel 13, Vers 6 32 Musik_03 weiter III: Ad manus - to his hands. Quid sunt plagae istae in medio manuum tuarum? Zach. 13:6. 34 O-Ton Filatov Es ist unsere koschere Küche, koscher bedeutet ein strenge Trennung von fleischige und milchige Dinge. Asja Filatov wird von den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein liebevoll-bewundernd die "Fünf-Sterne-Koscher- Köchin" genannt. 35 O-Ton Filatov In unserer Küche haben wir zwei Spülmaschinen, zwei Kühlschränke, zwei Herde, und so weiter und so fort, und so geht es mit Geschirr auch, Teller mit roter Seite, Besteck, alles mit Markierung, das gehört noch auf die rote Seite, und auf die blaue Seite meistens alles weiß und aus Glas. 36 O-Ton Rothschild Gesundbleiben ja, aber obsessiv nein. Wir haben Diätfragen, aber Diätfragen sind nicht wegen wenig Salz oder wenig Zucker oder keine Farbstoffe. Es geht um was man essen darf von Gottes Schöpfung, es geht um Tierarten, es geht um wie das Essen vorbereitet ist, es geht um eine Trennung von Milch und Fleischprodukten, aber es geht nicht um wie viele Vitaminen oder Kalorien drin sind. (0:29) Atmo Gesang aus jüdischem Gottesdienst Koscher. Rein. Reinheit spielt eine große Rolle für Juden. Sie habe mit einem Gefühl zu tun, erklärt Rabbi Rothschild: 39 O-Ton Rabbi Reinheit ist eigentlich interessanterweise eine Frage von der geistlichen Haltung durch den Einfluss des Körpers. Und ich würde es so formulieren: Die meisten von uns können ohne Probleme ein bisschen Ton, ein bisschen Staub auf unsere Finger haben, kein Problem. Man hat vielleicht eine Leiche berührt, oder man hat Blut berührt, oder man hat Kot oder etwas ähnliches berührt, oder etwas das total verschimmelt ist, man fühlt sich nicht mehr in der Lage, normal zu handeln, man muss zuerst den Körper reinigen, damit der Geist sich besser fühlt. Im Keller des Hauses zeigt Walter Blender, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, die jüngste Neuanschaffung und den Stolz der Bad Segeberger Juden: eine Mikwe, das rituelle Bad. 40 O-Ton/ Atmo Blender Da ist der Männerbereich und da ist ein eigener Bereich für Frauen. Im Vorraum ziehen sich die Gläubigen um und waschen sich. Dann geht es in das eigentliche Bad: 41 O-Ton Blender An der Wand die Segensformel "Baruch...". Wir sind gehalten, uns regelmäßig unterzutauchen, das ist ein Gebet von Gott aus der Tora, und das spricht man dann als Segensspruch wenn man untertaucht. Das Bad an sich ist ein besonderes Bad, es hat einen Zulauf, der ganz unten ist, keinen Ablauf, das Wasser müsste rausgepumpt werden. Das ist so religiös vorgeschrieben. Der 52jährige Kriminalbeamte ist ganz in seinem Element. Vieles hat die Gemeinde hier in Eigenregie gebaut. Und das Ergebnis kommt sehr gut an: Ein echtes, also koscher gebautes, rituelles Bad ist selten in Deutschland. Mit dem Neubau in Bad Segeberg gibt es nun eine zentrale Mikwe für die Juden in Schleswig Holstein. Sie benutzen das Bad zwischen den hohen Feiertagen oder etwa vor Hochzeiten. In der Mikwe geht es nicht ums körperliche Reinigen. Das geschieht draußen, im Vorraum. Schmuck wird abgelegt, Nagellack muss entfernt werden, Haare sollen nicht gefärbt sein - nichts soll zwischen dem Körper und dem reinen Wasser stehen. Walter Blender erklärt, er versuche auch Hektik und Alltagssorgen hinter sich zu lassen: 42 O-Ton Blender Dann betrete ich die Mikwe und versuche, mich vollkommen in eine Ruhe zu bringen, geistig, und durch das Untertauchen und diesen Moment der Stille alles abzustreifen, was mich noch belastet, um dann wieder sagen zu können, wenn ich wieder auftauche, beginnt mit einem Tag Ruhe etwas Neues für mich. Das reinigt die Seele, das hilft. 43 Atmo Im Waschraum, Wasserhahn auf, Wasser läuft 44 O-Ton Yilmaz Man wäscht erstmal dreimal die Hand, dann wird dreimal der Mund ausgespült, dreimal wird die Nase ausgespült, dann dreimal das Gesicht gewaschen, dann werden die Unterarme bis zu den Ellbogen, erst rechts, körperlich rechts ist immer wichtig. Man isst nur mit der rechten Hand. Und dann werden die Haare symbolisch benässt, Ohren, Hals, zum Schluss rechter Fuß, linker Fuß... Zehra Yilmaz hockt im Frauenwaschraum der Duisburger Merkez-Moschee vor einem niedrigen Waschbecken. Vor jedem Gebet in der Moschee steht für Muslime die rituelle Waschung. 45 O-Ton Yilmaz Weil die Gebete sind nicht nur spiritueller Art bei uns, sondern sie sind auch körperlich. 46 Atmo Schritte, Schlüssel, Treppensteigen Oben, vor dem großen hellen Gebetsraum der Merkez- Moschee, zieht die 49-jährige Leiterin der Begegnungsstätte ihre Schuhe aus. Das Freitagsgebet ist gerade vorüber, ein paar einzelne Betende sind noch in der Moschee. 47 O-Ton Yilmaz Für die Menschen, die das Gebet fünf Mal täglich beten, bedeutet das Gebet eine Art Meditation. Das fängt mit der Körperhaltung an, so, dass wir alles, was uns im Alltag beschäftigt hinter uns werfen und sagen "Gott, ich höre, ich höre jetzt nur noch auf Dich." Dann ist der Körper symbolisch abgeschlossen nach außen, das heißt die Arme werden verschränkt, die Augen sind nach unten gerichtet, Stolz als Schöpfung stehen wir aufrecht, so werden kürzere Verse aus dem Koran rezitiert, und dann als Zeichen der Ehrerbietung an Gott wird der Oberkörper, das Haupt wird verneigt, und die letzte Haltung sehen Sie gerade bei dem Mann da vorne, warten wir einen Augenblick, genau: die Niederwerfung. Die Stirn soll den Staub berühren, das heißt also wirklich Stirn und Nase berühren den Boden. Und das ist der Grund weshalb wir die Schuhe ausziehen müssen, wenn wir in eine Moschee kommen. (0:59) 48 O-Ton Schmitz Es ist religiös gesprochen das fühlbare Hingeben, die Hingabe des Menschen an Gott. (0:05) erklärt der Religionswissenschaftler Bertram Schmitz. 49 O-Ton Schmitz Der Mensch erlebt in seinem Niederwerfen: Es gibt etwas Größeres als ihn selbst. Er selbst empfindet sich in seiner körperlichen Gestalt, betet als solche und wirft sich in dieser körperlichen Gestalt und in seinem Geist vor diesen höheren, nicht mehr körperlichen Gott hin. Zur Hingabe an Gott gibt es im Islam die sogenannten fünf Säulen: den einen Gott bekennen, das Gebet fünf Mal am Tag, das Fasten im Ramadan, das Almosen geben, und die Wallfahrt nach Mekka - zum Teil sehr körperlich-konkrete Vorhaben. Aber auch im Alltag gibt es für gläubige Muslime viele Gebote. Ähnlich wie im Judentum gibt es Speisevorschriften. Die Gebote stehen im Koran, sie gelten als Wegweiser und sind von Gott gegeben, besagt die Religion. Aber natürlich gebe es auch Muslime, die sich nicht daran halten: 50 O-Ton Yilmaz: Alle Gebote stehen im Koran und jeder muss für sich selbst entscheiden, wie er damit umgeht. Ob ich Alkohol trinke, ob ich faste, ob ich bete, das ist meine alleinige Entscheidung, denn ich alleine muss vor Gott Rechenschaft für mein Tun und Handeln ablegen. Ich kann dann nicht sagen, aber der hatte das doch so gesagt, und der hat das doch auch gemacht, nein, ich bin nur für mein eigenes Tun und Handeln verantwortlich und ich entscheide, ob ich das mache oder nicht. 51 Atmo Schellenklingeln aus Messe. Die Religionspraxis der Christen teilt sich in verschiedene Riten. Die protestantischen Konfessionen betonen das Schlichte, den Geist und das Nachdenken. Im Gebet werden die Augen geschlossen, um sich ganz zu sammeln. In anderen Konfessionen, etwa bei den Katholiken oder den Orthodoxen, zeigt sich in der Messe eine sehr sinnliche, körperbezogene Seite der Gebetspraxis, sagt die Tübinger Theologin Regina Ammicht Quinn: 52 Ammicht Quinn Da wird berührt und gewaschen und gesalbt und ins Ohr geflüstert, da wird auch gegessen, getrunken, da ist auf eine Weise sehr viel Nähe da und sehr viel Körperlichkeit, und im katholischen Ritus werden ja nun alle Sinnesorgane bis hin zum Geruchsorgan aufgefordert, mitzutun in einer Feier. Es ist alles da, nur hat die Angst vor der Körperlichkeit des Menschen daraus sehr oft Formales gemacht, also wir halten uns selbst unsere eigene Tradition auf eine Weise vom Leibe. 53 Musik04 Instrumental,(0:28) darauf: 54 Sprecher Steh auf meine Freundin, meine Schöne so komm doch! Meine Taube im Felsennest, versteckt an der Steilwand. Aus dem Hohelied der Liebe, Kapitel 2, Vers 13 Musik_04 weiter IV: Ad latus - to his side. Surge, amica mea, speciosa mea, et veni, Columba mea in foraminibus petrae, in caverna maceriae. Cant. Cantic 2,13-14 55 Atmo_aus_Messe (Messe vom Fronleichnam 2013) Sende Deinen Geist auf diese Gaben von Brot und Wein, dass sie uns werden zum Leib und Blut deines Sohnes unseres Herrn Jesus Christus. Denn am Abend, an dem er ausgeliefert wurde und sich dem Leiden unterwarf, nahm er das Brot und sagte Dank, brach es, reichte es seinen Jüngern und sprach: Nehmet und esset, das ist mein Leib der für euch hingegeben wird. Im Zentrum der katholischen Messe steht die Eucharistie. Brot und Wein werden zu Leib und Blut Christi gewandelt, und mit der Teilnahme an der Kommunion treten die Gläubigen in die Gemeinschaft mit Jesus Christus. Für Katholiken ist er in der gewandelten Hostie präsent - deswegen gilt sie als das Allerheiligste. Religionswissenschaftler Schmitz: 56 O-Ton Schmitz Was ist "sakral"? Etwas Physisches, in dem das Göttliche im Physischen, im Irdischen wirkend wird, etwas Gegenständliches, in dem das, was eigentlich ungegenständlich ist, das Heilige, sich in Gestalt formt und in die Welt hineinwirkt. 57 Atmo Messe: Wir bitten dich, schenke uns bei dieser Kommunion Anteil an Jesus Christus, seinem Leib und Blut, lass uns eins werden durch den Heiligen Geist. 58 O-Ton Schmitz Da sieht man sehr schön den Unterschied zwischen protestantischen Vorstellungen insgesamt und katholischen, dass dieses Sakrale im Katholischen auch bleibend physisch zu verstehen ist. Da kann etwas Heiliges kontinuierlich vorhanden sein in einem Gegenstand, zum Beispiel in der Oblate die physisch- leiblich den Körper Christi darstellt und zwar bleibend, auch wenn das Abendmahl vorbei ist, ist das Blut immer noch Blut Christi. Und es ist nun Leib Christi, Fleisch Christi, das was vorher Brot gewesen ist, das ist bleibend. 59 Atmo Messe So seht und empfangt nun Jesus Christus, das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt. 60 Atmo/ Musik Zur Kommunion: Solo Gesang Latein.... (aus Messe) darauf: Ich bin der Leib und ihr seid die Glieder, heißt ein Wort von Jesus aus dem Neuen Testament. Wo sich das Judentum als Volk Gottes sieht, die Muslime als Umma, als Gemeinschaft, da versteht sich das Christentum als Verkörperung. Und deswegen sind Gläubige, genau gesprochen, auch nicht Mitglied einer Kirche, sondern Glied der Kirche, Körperteil. 61 Musik_05 Vorspiel instrumental, darauf: 62 Sprecher Verlangt, gleichsam als neugeborene Kinder, nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und das Heil erlangt. Denn ihr habt erfahren wie gütig der Herr ist. Aus dem ersten Petrusbrief, Kapitel 2, Vers 2 Musik_05 weiter V: Ad pectus - to his breast, Sicut modo geniti infantes rationabiles, et sine dolo concupiscite, ut in eo crescatis in salute. Si tamen gustatis, quoniam dulcis est dominus. 1 Petrus 2:2-3, (0:38 - 1:48) Sprecher In den 10 Geboten der Tora heißt es: Du sollst dir kein Bild von Gott machen. Auch im Islam gilt ein Bilderverbot. Vorstellungen von Gott gibt es aber, und da betonen Judentum wie Islam gleichermaßen, dass Gott nicht menschlich gedacht werden kann. Er besitzt keine Eigenschaften einer Körperlichkeit. Man stellt sich Gott nur rein geistlich vor. Im Christentum ist das Gottesbild ein dreifaltiges: Gott ist Vater, Sohn und Heiliger Geist. Eine menschliche Gestalt, Jesus von Nazareth, verkörpert die Religion. Im Johannesevangelium heißt es: Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. 63 O-Ton Schmitz Das Christentum betont, dass Jesus Christus vollkommener Mensch ist und gleichzeitig vollkommener Gott. Also beide Aspekte, das körperlich Immanente, Gestaltete, Physische, der Gott, den man ansehen kann, dem man ins Gesicht sehen konnte als er gelebt hat. Also das wäre im Gegensatz zu den beiden anderen abrahamitischen Religionen, zum Judentum und zum Islam die Betonung eines physisch Fassbaren. Es wird ja auch im Evangelium zum Schluss gesagt, selbst bei der Auferstehung noch, zu Thomas: Rühr mich an, fass mich an, ich bin wirklich da." Im Zentrum des Christentums steht also die Gestalt Jesus, und im Mittelpunkt des Buddhismus steht ebenfalls eine konkrete Person: Siddharta Gautama, der Buddha. Wobei er nicht als Gottheit betrachtet wird, sondern als Mensch. Es gibt ganz typische Formen der Darstellung Buddhas: etwa sitzend, mit übereinandergeschlagenen Beinen, die Hände ineinandergelegt wie eine Schale vor dem Becken, die beiden Daumen berühren sich - die klassische Meditationshaltung. Im Hinduismus variieren die Gottesvorstellungen von sehr abstrakt bis körperlich-konkret, sagt der Religionsexperte Schmitz. Das berühmteste Beispiel für eine Gestalt: Der tanzende Shiva: 64 O-Ton Schmitz Wenn Sie in ein indisches Restaurant gehen, normalerweise sehen Sie diesen tanzenden Shiva, den Tänzerkönig vor sich, wie er da mit seinen vier Armen... , ja, "steht" kann man gar nicht sagen, es ist eigentlich eine Bewegung, eine Dynamik, die ausgedrückt wird, die das Entstehen und Vergehen der Welt ausdrückt. Und da haben Sie in menschlicher Gestalt - abgesehen von den vier Armen - eine göttliche Vorstellung in Bronze gegossen, die vor einem steht und damit anschaulich wird. (0:32) Die andere sehr konkrete Gottgestalt im Hinduismus ist Vishnu - oder besser: die Gestalten des Vishnu. Er zeigt sich in verschiedenen Formen: Zum Beispiel als Fischer, als Mann-Löwe oder in der Gestalt des Krishna, des Hirtengottes mit der Flöte. Alles ist nach hinduistischer Auffassung in Gott vorhanden, alle menschlichen Wesen genauso wie alles Kosmische. Und ein Gott, wenn er als Mensch lebt, kann sich natürlich auch verlieben: Der Hirtengott Krishna verliebt sich in das Hirtenmädchen Radha. Rund um dieses Pärchen gibt es zauberhafte Liebesmystik. Der Körper als Liebeskörper spielt in Christentum, Judentum und Islam keine große Rolle, selbst wenn es auch dort hoch erotisch-poetische Texte gibt, etwa im Hohelied der Liebe im Alten Testament: 65 Musik_06 Vorspiel instrumental, (soviel wie nötig vor 2:36) darauf: 66 Sprecher Du hast mir das Herz geraubt, meine Schwester, meine Braut. Aus dem Hohelied der Liebe, Kapitel 4, Vers 9. Musik 06 weiter VI: ad cor - to his heart - vulnerasti cor meum, soror mea, sponsa. Cant. Cantic 4:9, 2:36 - 4:30, bei 4:00 rausschleichen) Ein Auszug aus dem Hohelied der Liebe. Woher stammen diese Texte, die zum Teil hoch erotisch klingen: Besingen sie die Liebe zwischen Mann und Frau oder sind sie religiösen Ursprungs? Diese Lieder gehören zu der ersten Literatur, die lange und ausführlich im Judentum diskutiert wurde und dann als eine geistige Liebe interpretiert wurde: zwischen dem Volk Israel und Gott. Und auch aus christlicher Perspektive werden die körperlichen Beschreibungen metaphorisch betrachtet: Als die Liebe des an Christus glaubenden Menschen, der sich seinem Gott hingibt. Also kein Ratgeber in Sachen Erotik, keine tantrischen oder kamasutrischen Beschreibungen wie in fernöstlichen Religionen. Wobei: Buddhisten und Hinduisten ist es wichtig, nicht zu stark dem Körperlichen anzuhaften, auch nicht der körperlichen Lust. Wenn die Welt die Herrschaft über den Körper annehme, dann könne der Körper auch etwas Schlechtes sein. Das gleicht der christlichen Sicht: Nicht die Körperlichkeit an sich ist schlecht, sondern dass man sich von ihr leiten und sogar beherrschen lässt: 67 O-Ton Schmitz: Und da eben die sogenannten Todsünden, die einen im Jenseits daran hindern würden, das ewige Leben zu erlangen. Todsünden sind vor allem erstmal physische Sünden, das heißt, dass man so, etwas aus dem Leben gegriffen, so vom Besitz eingenommen wird, so gierig wird nach Besitz, dass man dafür alles Geistige und Geistliche zurückstellt oder gar vergisst und damit auch den Glauben vergisst. 68 O-Ton Ammicht Quinn: Der geschlechtliche Körper, indem er sozusagen abgespalten ist von einem Ich, dass diesen Körper nicht kontrolliert. Damit reiten wir uns natürlich in große Probleme rein, in große theologische Probleme, weil die Frage nach der Güte der Schöpfung hier grundsätzlich infrage gestellt wird, auch nach der Schönheit der Schöpfung. Regina Ammicht Quinn stellt in Frage, ob es die Gotteserfahrung nur im Umgang mit dem Kranken, dem Schwachen, Häßlichen, Ekeligen gibt, wie es oft postuliert wird, oder nicht auch im Schönen, Ästhetischen, in der Freude und Lust am Körper. Sexualität ist im Christentum an die Fortpflanzung gekoppelt, genau wie im Judentum, sagt Walter Rothschild. 69 O-Ton Rabbi Das allererste Gebot im ersten Buch Mose ist: Seid fruchtbar und vermehrt euch. Also das heißt, das erste Gebot von Gott ist, wir sollen noch mehr Menschen schaffen, muss man das nicht vergessen. Okay? 70 O-Ton Rabbi So, ja, es gibt moralische Perspektiven dabei, was ich dazu sagen möchte: Sex ist nicht schlimm, was man mit Sexualität tut, könnte schlimm sein, könnte andere Menschen verletzen, betrügen, das muss man sehr vorsichtig kontrollieren, aber dass man einen Trieb hat, dass man jemanden attraktiv findet, dass man Kinder zeugen möchte, das ist völlig ok. Es gibt jede Menge Regeln rund um das Thema Sex: Respekt vor dem Partner, er solle innerhalb einer Ehe stattfinden, nicht zu jedem Zeitpunkt, so zum Beispiel nicht, wenn die Frau menstruiert. Der vorgegebene Rahmen der Ehe, wie er im Judentum und im Christentum besteht, gilt grundsätzlich auch bei Muslimen. Außerehelicher Geschlechtsverkehr ist sowohl für den Mann als auch für die Frau verboten, erklärt Zehra Yilmaz aus Duisburg: 71 O-Ton Yilmaz Wenn ein Mann und eine Frau Geschlechtsverkehr haben in dem Rahmen der ihnen vorgegeben ist, in der Ehe, ist es praktisch wie ein Gottesdienst. Sie halten sich an die Gesetze Gottes, sie machen nichts falsch, auch wenn es nur zur Befriedigung ist, es muss nicht der Fortpflanzung dienen. Übrigens, Sexualität wird es auch im Jenseits geben, weil die Wonnen aus dem Paradies, da wird z.B. gesagt, dass der Orgasmus ein Vorgeschmack ist auf die Wonnen im Paradies, wenn nur ein kurzer aber ein Vorgeschmack. Muslime werden zur Schamhaftigkeit erzogen. Den komplett nackten Körper darf nur eine Person sehen - der Ehepartner. Das geht zurück auf die Geschichte von Adam und Eva im Paradies, die dem christlich- jüdischen Sündenfall entspricht, erzählt Zehra Yilmaz. Von einem verbotenen Baum durften Adam und Eva die Früchte nicht essen, taten es dennoch und, so steht es in Bibel wie Koran: Sie erkannten, dass sie nackt waren. Vor Scham begannen sie, sich mit Blättern zu bedecken. 72 O-Ton Yilmaz Das ist in der Schöpfung mit drin, so sind wir erschaffen, dass man nicht nackt da steht, sondern dass wenn man nackt ist, sich schämt, deshalb haben Adam und Eva versucht, sich zu bedecken, und deshalb hat die Menschheit immer schon irgendwelche Fell oder Leder, mit dem sie sich den Körper bedeckt haben. Das ist von Gott mitgegeben in der Schöpfung, dass man nicht nackt rumläuft. Für muslimische Frauen und auch für Männer gibt es Bekleidungsvorschriften. Bei Männern soll der Körper zwischen Bauchnabel und Knien nicht sichtbar sein, also enge Jeans oder kurze Badehosen sind tabu. Einige Männer tragen Pluderhosen oder auch Gewänder, wie zum Beispiel in Saudi Arabien oder Afrika. Die Kleiderordnung für muslimische Frauen ist strenger. Zehra Yilmaz: 73 O-Ton Yilmaz Zu Hause können sie rumlaufen, wie sie möchten, aber wenn sie rausgehen, sollen sie nicht nur die Haare verhüllen, nicht das Wort "Kopftuch" steht im Koran, sondern da ist von Verhüllung oder Bedeckung die Rede oder von einem Überwurf, das heißt sie sollen die Haare und die Körperformen bedecken. Es geht um die Reize der Frau. Man hat den Propheten gefragt, was sind die Reize, was darf sichtbar sein? Er hat auf Gesicht, Hände und Füße hingewiesen, also diese drei Körperteile dürfen sichtbar sein, alle anderen Körperteile müssen bedeckt sein. Tschador und Burka, die das ganze Gesicht bedecken und nur Schlitze für die Augen freilassen, sind also keine Vorschrift. Das Kopftuch ist heftig umkämpft, bei Gegnern wie auch Befürwortern. In der laizistischen Türkei galt bislang ein ziemlich weit gefasstes Kopftuchverbot. Als Ausdruck des Glaubens war es in öffentlichen Einrichtungen untersagt. Seit dem Herbst 2013 ist es mit einigen Ausnahmen erlaubt, in öffentlichen Ämtern ein Kopftuch zu tragen. Andernorts, in Iran oder Saudi-Arabien, ist es auf der anderen Seite kaum denkbar, als Frau ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten. In Deutschland wurde 2003 das sogenannte Kopftuchurteil erlassen und schlug hohe Wellen. Die Bundesländer mussten regeln, ob muslimische Lehrerinnen an staatlichen Schulen ein Kopftuch tragen dürfen. Eine gespaltene Kopftuchrepublik war die Folge. Zehra Yilmaz hat sich für das Tuch entschieden: 74 O-Ton Yilmaz Ich fühle mich durch mein Kopftuch freier im Umgang mit muslimischen Männern, weil ich dadurch zeige ich nicht meine Weiblichkeit, nicht mein weiblicher Körper steht im Vordergrund, sondern das, was ich unter dem Kopftuch habe, meine Persönlichkeit ist das Wichtige, und deshalb halte ich mein Kopftuch für ein Symbol der Freiheit, nicht der Unterdrückung, im Gegenteil. Wegweiser fürs Sexualleben gibt es also für Juden, Christen, Muslime in unterschiedlichen Abstufungen. Doch diese moralische Verhaltensmaßgabe der Religion gehört heute für viele Menschen, auch für Gläubige, ins Reich der Theorie. In puncto Sex und Kirche beobachtet Regina Ammicht Quinn: 75 O-Ton Ammicht Quinn Dann sehen wir ja, dass die Kirche so was wie ein Counterculture, also so was wie eine Gegenkultur entwickelt zu einer öffentlichen Kultur, was nicht ganz richtig gelingt, sodass christliche Botschaften einer traditionellen Moraltheologie, die ganz stark den Körper kontrollieren und Sexualität regeln möchte in unserer Gesellschaft, immer mal wieder so wie Botschaften von 'nem anderen Stern ankommen, wenn man nicht nur Jugendliche heute anschaut. Die öffentliche Kultur ist geprägt von einer enormen Körperbetonung. Noch nie habe der Körper, historisch gesehen, einen solchen Stellenwert gehabt wie heute, sagt die Ethikerin. Zugleich habe sie den Eindruck, dass Körperverachtung und Körperkult viel näher beieinander liegen, als man auf den ersten Blick glauben könnte. 76 O-Ton Ammicht Quinn Es geht beides Mal um Kontrolle, es geht um Fasten, es geht um Praktiken der Selbstkasteiung, nur nennen wir die anders. Es geht um Sport und Fitness und Diät und nicht mehr irgendwie Fasten und Buße, aber die Praktiken sind ganz ähnlich, und was dahinter steht, ist ein vergleichbares Bild des Körpers: Nämlich der Körper, so wie er ist, ist schlecht, und er muss erstmal gezähmt und kasteit und kontrolliert werden, in beiden Bereichen, im religiösen Bereich und im gesellschaftlichen Bereich, dass er auch nur annähernd gut genannt werden kann.(0:40) Ähnliche Praktiken, ähnliches Körperbild, aber unterschiedliche Ziele: Einmal geht es um die Kontrolle des Körpers zugunsten der Seele. Und dann um die Kontrolle zugunsten eines neuen und "richtigen" Körpers in der Gesellschaft. Und der ist genauso mit Heilsversprechungen behaftet, wie die Seele in den religiösen Vorstellungen, sagt Ammicht Quinn. In Schlankheit und Schönheit liegt das Heil des 20. und 21. Jahrhunderts: 77 O-Ton Ammicht Quinn Und es gibt schon aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts eine große Umfrage aus den USA, ich glaube an 35.000 Frauen, die gefragt wurden, was sie lieber würden: Erfolg im Beruf oder Glück in der Liebe zu haben oder 15 Pfund abzunehmen. Und eine ganz hohe Anzahl, also in den 80er Prozenten sagten, sie möchten lieber 15 Pfund abnehmen. Und das ist nicht so absurd, wie es klingt, weil es eine eigene Logik hat, und die Logik heißt: Wenn mein Körper erst richtig ist, und endlich richtig ist, dann kommt ja alles von alleine. Wie blöd sind wir denn? 78 Atmo aus Messe Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber spricht nur ein Wort, so wird meine Seele gesund. Jesus redete vom Reich Gottes und heilte alle, die seine Hilfe brauchten. Heil sein. Gesund sein. Unter den Texten des neuen Testamentes der christlichen Bibel sind sehr viele Wunder- und Heilungsgeschichten. Jesus heilt Blinde, Lahme, Taube, Tote leben. Diese tatkräftige Wiederherstellung der körperlichen Ganzheit durch Jesus sei ein Zeichen dafür, dass das Reich Gottes spürbar realisiert werden könne, sagt Regina Ammicht Quinn. Das Heil für Christen habe eine konkrete und körperliche Seite: 79 O-Ton Ammicht Quinn Wenn wir das alles anschauen, dann halte ich selbst die christliche Körperfeindlichkeit, die sich über viele hundert Jahre hinweg manifestiert hat, als das große und tragische Missverständnis des Christentums. Und das beginnt sozusagen ganz am Anfang der christlichen Geschichte, wenn wir die Kindheitsgeschichte lesen, bei Lukas, da heißt es: Und Maria gebar ihren erstgeborenen Sohn und wickelte ihn in Windeln. Was heißt das denn? Was heißt das, wenn ein Kind, das als Gottessohn erkannt wird, so menschlich ist, dass es Windeln braucht? 80 Musik_07 Vorspiel instrumental, darauf: 81 Sprecher: Lass Dein Angesicht leuchten über deinem Knecht, hilf mir in deiner Güte. Psalm 31, Vers 17. Musik_07 weiter VII: ad faciem - to his face, Illustra faciem tuam super servum tuum; salvum me fac in in misericordia tua. Ps. 31:17 Von den Füßen, ad pedes, beim Gesicht, ad faciem, angekommen. Das Werk "Betrachtung der sieben Körperteile Jesu am Kreuz" von Dietrich Buxtehude endet mit dem Angesicht Gottes und der Vorstellung und dem Wunsch, Gott blicke den Menschen an. Ein körperlicher Ausdruck, der den Gläubigen zu allen Zeiten beim Verstehen half - und immer noch hilft? Der Körper. Ein wichtiges Thema in allen großen Religionen, hin und her geworfen zwischen Erhöhung und Erniedrigung, zwischen Heiligung und Verdrängung, Moral und Tradition. Zwischen gedanklicher Theorie und berührbarer Glaubenspraxis. Aus Fleisch und Blut, mit Herz und Nieren, Hand und Fuß steht der Mensch zwischen allen Anforderungen seiner Zeit und seines Alltags. Ein religiöser Blick auf den menschlichen Körper muss heute kritisch die Traditionen von Judentum, Christentum und Islam hinterfragen, kann den Einzelnen aber auch stärken für das Bestehen in einer körperfixierten Gesellschaft: 82 O-Ton Rabbi Rothschild Die ganze Fitnessindustrie von heute wäre total fremd für die meisten Juden. Das heißt nicht, dass Juden gehen nicht joggen oder Juden gehen nicht zum Fitnesscenter, aber es liegt an Priorität. Priorität ist, man soll ein relativ gesunden Lebensstil sowieso leben, also nicht so viel essen, sondern man sitzt und man liest und man liest und man liest und man lernt und man lernt und man lernt. 83 O-Ton Ammicht Quinn Wenn ich als gläubiger Mensch in unserer Gesellschaft tue, was vielleicht gläubige Menschen auch manchmal tun, auch in der Bibel lesen und dann steht da: Euer Herz sei ohne Angst. Vielleicht geht es genau darum, diese Angst abzulegen, auch diese Angst vor unserer eigenen Körperlichkeit. Das heißt aber auch, die Angst davor abzulegen, dass mein Körper vielleicht nicht allen Normen entspricht, die die Gesellschaft aufstellt, auch die Angst davor abzulegen, dass der Körper nicht und auf keinen Fall auf Dauer diesen Idealen entsprechen wird, weil wir hinfällig und anfällig und sterblich sind. Und wenn uns das zumindest zu einem gewissen Grad gelingt, dann können wir vielleicht, gerade auch in religiösen Kontexten, nicht nur das, was bei Plutin "die Scham, im Leibe zu sein" heißt, entdecken, sondern auch eine Lust, Leib zu sein. 84 O-Ton Yilmaz Einen wunderschönen Satz aus dem Koran ist: Von Gott kommen wir alle und zu ihm kehren wir alle zurück. Gott ist ja nicht körperlich, er ist nicht materiell, d.h. unser Ursprung ist auch nichts Materielles, unser Ziel ist auch nicht das Materielle. Für uns Muslime ist das Leben ja eine Prüfung, und das materielle Dasein ist eben die Prüfung, wie wir damit umgehen. #00:04:34-9# 85 Musik_07 Track 7: ab 5:58 - 7:10, Amen // für Ende, Länge je nach Bedarf. ENDE Gesamtlänge 49`50 Über den Körper in Religionen 1