Deutschlandrundfahrt Bayrisch, bodenständig - und doch anders Die Gemeinde Volkach in Unterfranken Von Susanne Arlt Sendung: 03. Mai 2014, 15.05h Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014 COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden Atmo Schlachtschüssel O-Ton Ilse Englert: Schlachtschüssel, da gibt es frisch Geschlachtetes vom Schwein. Autorin: Volkach in Unterfranken: Auf den Tischen liegen einfache Holzbretter. Darauf Schüsseln mit dampfendem Sauerkraut, frischem Sahne-Meerrettich, Körbe voller Brotscheiben. Atmo Aha jetzt geht es los, … jetzt geht es los … Autorin: Zuerst landen die fetten Stücke des frisch geschlachteten und im Sud gegarten Schweins auf dem Tisch. Dann die mageren, schließlich die Innereien. Atmo Zunge, Herz und Niere, ja bitteschön … O-Ton Ilse Englert: Das wird rausgelegt, auf die Bretter gelegt und vom Brett gegessen. Da gibt es kein Teller oder so … das ist die so genannte Schweinfurter Schlachtschüssel, da wird es vom Tisch weggegessen. … Das ist so Original... Autorin: Ilse und Ernst Lippert von der Volkacher Schaubmühle, seit drei Generationen im Familienbesitz. Atmo Zum Wohl … zuprosten Autorin: Dem Ehepaar gegenüber sitzt Jane Thomas. Gebürtige US-Amerikanerin, 62 Jahre alt, Mutter von drei Kindern und wie Ernst und Ilse Lippert Mitglied im Volkacher CSU-Ortsverband. Und sie ist transsexuell. Über einen Meter achtzig groß, breite Schultern, ein tiefes, kehliges Lachen. Doch davon nimmt an diesem Abend kaum jemand Notiz. Jane Thomas scheint dazuzugehören und irgendwie in diese fränkisch-konservative Region auch zu passen. O-Ton Jane Thomas: Ich kann über die Zeit die Leute überzeugen, dass Trans-Leute oder Lesben und Schwule sind wie jeder andere. Sie haben ihre politischen Meinungen und dass muss nicht unbedingt links orientiert sein. Kennmusik Deutschlandrundfahrt Sprecher vom Dienst: Bayrisch, bodenständig - und doch anders Die Gemeinde Volkach in Unterfranken Eine Deutschlandrundfahrt von Susanne Arlt Atmo Ortsteil Escherndorf, … Tür öffnen, Treppe hochlaufen … Autorin: Volkach in Unterfranken liegt direkt an der Mainschleife. Der Fluss windet sich hier in einem besonders engen Bogen um einen Bergsporn. Rechts und links halten pralle Steilhänge den Main in seinem Bett. An ihnen wachsen Reben so weit das Auge reicht. Seit vielen Jahrhunderten wird in dieser Region Wein angebaut. Und die Steilhänge im Ortsteil Escherndorf gehören wohl zu den berühmtesten Weinbergen in ganz Franken. In diesem 350-Seelen-Dorf lebt Jane Thomas mit ihrer Familie. Eine alte, ausgetretene Holztreppe führt hinauf in den ersten Stock des riesigen Fachwerkhauses mit dem roten Giebel. Atmo Guten Morgen … Autorin: Es ist sechs Uhr früh. Jane Thomas steht ungeschminkt in ihrer Küche, das dünne, ergraute Haar zerzaust. Sie trägt T-Shirt und Jogginghose, bereitet gerade das Frühstück für ihren vierzehnjährigen Sohn Gwyn vor. Auf dem Herd gluckern in einem Kochtopf Eier. In einen Brotkorb schüttet sie vier Brötchen, stellt Himbeermarmelade, Butter und Salz auf den Frühstückstisch. Atmo Brötchentüte aufmachen, Brötchen in einen Korb schütten, Musik läuft im Hintergrund, Eier kochen … Morgen … guten Morgen … so, … was anderes… Ei habe ich auch … Himbeere … kleine Unterhaltung … Gwen schüttet sich Müsli in eine Schüssel … Autorin: Der vierzehnjährige Gwyn kommt gähnend in die Küche, setzt sich neben seine Mutter. Auf seinem Schoß liegt die Volkacher Lokalzeitung. Wie fast jedes Blatt an diesem Morgen titelt auch sie mit dem Prozessausgang um den fränkischen Wurstfabrikanten und noch Fußballpräsidenten vom FC Bayern. Atmo Teller auf den Tisch stellen … sagst du was zu Hoeneß, … ja das Urteil ist eigentlich schon gerecht … aber auch bei mir beim Fußballtraining, sind halt alle irgendwie ja BVB und Mönchengladbach-Fans. Die haben auch alle gesagt, dass er eigentlich sofort fünf Jahre oder länger hinter Gitter müsste… Eier kochen auf dem Herd. …. Autorin: Jane Thomas nickt. Ihr Sohn kickt in der Jugendfußballmannschaft. Sie selber hatte noch nie sehr viel übrig für diesen Sport. Auch nicht, als sie noch ein Mann war. Als Teenager musizierte sie lieber, übte stundenlang auf der Posaune. Sie hätte damals lieber mit Puppen als mit Plastiksoldaten gespielt, sagt sie. Und dass sie nicht im richtigen Körper steckt, habe sie schon als Kind gespürt. O-Ton Jane Thomas: Ja wenn meine Mutter aus dem Haus war, habe ich ihre Unterwäsche und Kleider angezogen und mich geschminkt und habe mich sehr wohl gefühlt. Natürlich habe ich alles beiseite geschaffen, bevor sie nach Hause kam. Ich weiß nicht, ob sie was gesehen hat, ich weiß nicht, wie bewusst es irgendjemand in der Familie war, was ich im Geheimen getan hab. Ich weiß aber sicherlich, dass ich mal in der Grundschule gelegentlich mit meiner Mutters Unterwäsche in die Schule gegangen bin. Autorin: Heute kann sie darüber lachen. Aber der Weg dahin war alles andere als leicht. Ende der 60er Jahre zog Jane, damals noch James, mit der Familie von Washington D.C. ins beschauliche München. Er war damals sechszehn Jahre alt. Die Eltern arbeiteten für das US-Verteidigungsministerium. Nach zwei Jahren hatte James seinen Schulabschluss in der Tasche und ging wieder zurück in die Staaten. In Cleveland Ohio studierte er Musik, Philosophie und Bibliothekswissenschaft. Eine Anstellung als Posaunist fand er nicht, schlug sich stattdessen als Busfahrer durch und leitete schließlich ein Omnibusunternehmen. Da kam ihm der Anruf seines Vaters Ende der 70er Jahre gerade recht. Der Vater sollte für die US-Armee nach Würzburg und suchte eine Art Haushaltshilfe. James willigte ein. Er blieb in Deutschland, als der Vater wieder in die USA zurückkehrte, und lernte seine Frau Angela kennen. Sie haben katholisch geheiratet, wollten unbedingt Kinder haben. Sie machte als Medizinerin Karriere bei der Bundeswehr, er blieb als Hausmann zuhause, zog die drei Kinder groß. Eine völlig normale Familie. Dass James sich aber in seiner eigenen Haut nicht völlig normal fühlte, verdrängte er jahrzehntelang. O-Ton Jane Thomas: Der Tod meines Vaters war ein bisschen eine Befreiung. Vielleicht hatte ich allgemein Angst vor ihm, er war immer ein bisschen schwierig. Ich wollte eigentlich auch ihm versuchen zu gefallen. Damit würde ich ihm bestimmt keinen Gefallen tun. Ich weiß nicht, aber Tatsache ist, dass ich nach seinem Tod diesen Weg gegangen bin. Autorin: Aus James wird Jane. Das passiert aber nicht über Nacht, das passiert zuerst im Kopf und erst später im Körper. Er fühlt sich mehr und mehr in seinem eigenen Körper gefangen. Es vergehen noch vier Jahre, bis sich James seiner Jane ganz sicher ist. O-Ton Jane Thomas: Es musste dieses Widerliche eigentlich entledigen, um mein Leben zu genießen. Autorin: 9/11 habe, so traurig das klinge, dabei eine große Rolle gespielt, sagt Jane Thomas rückblickend. Als die Flugzeuge der Terrororganisation Al-Quaida in die New Yorker Zwillingstürme fliegen und sie zum Einsturz bringen, habe sie wochenlang unter Schock gestanden. Danach sei ihr dann klar geworden, dass sie erst sie selber sein kann, wenn sie sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen lässt. O-Ton Jane Thomas: Man hat ein Leben, es kann von heute auf morgen vorbei sein, schade, dass man nicht versucht die Dinge zu machen, was man unbedingt machen wollte in seinem Leben. Atmo Küche… am Sonntag ist Tag der offenen Tür, hast du irgendwas zu tun oder ist das mehr eine Sache für die Kleinen? … Das ist halt alles so freiwillig. Autorin: Als Jane zum ersten Mal geschminkt und in Frauenkleidern auf die Straße in Escherndorf tritt, habe ihr Herz gerast, erinnert sich die 62jährige. O-Ton Jane Thomas: Es ist eine sehr katholische Gemeinde hier in Escherndorf. Sehr viele haben sehr komisch mich angeschaut, aber die Leute, mit denen ich Worte gewechselt habe, die haben mich nicht angepöbelt, nicht angegriffen, sie haben vielleicht gefragt warum. Ich kann darüber reden und sagen, was ich fühle. Und ich habe jedem, der das Bedürfnis hatte zu fragen, eine Antwort gegeben. Autorin: Die beiden älteren Töchter Anna und Leah gehen damals in die erste und vierte Klasse. Als ihr Vater sie wie gewohnt von der Schule abholt, dabei aber zum ersten Mal einen Rock anhat, seien sie schon ein bisschen geschockt gewesen, erinnert sich Jane. Das sei aber Teil ihrer Therapie gewesen und habe zur Vorbereitung auf die Umstellung gehört, rechtfertigt sie sich. O-Ton Jane Thomas: Die Zeiten, als ich angefangen habe, regelmäßig Kostüme anzuziehen bzw. Röcke oder mich zu schminken, eine Perücke zu tragen, war am Anfang sehr überraschend und ein bisschen schwierig für die Kinder. Die hatten Angst, was bin ich für ein Mensch jetzt. Mache ich das aus Spaß, ist Fasching wieder? Aber ich habe ihnen klar gemacht, was ich machen muss, um mich wohlzufühlen. Und ich glaube, die haben das akzeptiert. Autorin: Gwyn war erst drei Jahre alt, als sein Vater beschloss, eine Frau zu werden. Für ihn sei es darum völlig normal, dass er keinen Vater, dafür aber zwei Mütter habe, sagt der heute Vierzehnjährige. Ein Nachteil sei das auf jeden Fall nicht. O-Ton Gwyn Thomas: Weil ich bin ja damit aufgewachsen. Aber man bemerkt schon, dass irgendwas anders ist, weil immer, wenn ich zu den Freunden gehe, bei denen es halt noch normal ist, war es halt schon immer ein bisschen anders das Familienleben. Aber so jetzt ist es für mich halt schon relativ normal. Autorin: Seine andere Mutter Angela sieht er meist nur am Wochenende. Die Bundeswehroffizierin verrichtet momentan ihren Dienst in einer Kaserne bei Würzburg. Sie war aber auch schon mehrere Monate lang im Ausland stationiert. Darum ist Gwyn froh, dass Jane zu Hause bleibt und sich um ihn kümmert – obwohl er diese Bemutterung inzwischen nicht mehr ganz so wie früher braucht, grinst er. Das einzige, was er wirklich vermisse, seien gemeinsame Familienurlaube. Seine beiden älteren Schwestern sind inzwischen ausgezogen. Anna, die älteste, studiert in München, und die 19-jährige Leah in den USA. Für alle drei ist die leibliche Mutter ihre Mama und der leibliche Vater ihre Mom. Ob seine Mitschüler sie auch akzeptieren? Gwyn hält kurz inne, hebt dann die Schultern. O-Ton Gwen Thomas: Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Weil, die reden jetzt nicht wirklich darüber. Die lästern nicht, aber wirklich genau mich ausfragen dazu tun sie auch nicht. Natürlich gibt es auch hier Leute, die sehr christlich aufgewachsen sind, katholisch. Die sind dann manchmal schon so ein bisschen misstrauisch. Aber eigentlich wird sie akzeptiert, ja. MUSIK I Walk on the wild side Interpret und Komponist: Lou Reed Label: RCA, LC-Nr. 00316 Atmo Dorf mit Kirchgeläut Autorin: Volkach an der Mainschleife. Der Ortsteil Escherndorf liegt direkt am Fluss, am Fuße mehrerer Steilhänge, die alle Richtung Süden schauen. 60 Prozent Steigung sind keine Seltenheit. Diese Lage ist eines der begehrtesten Weinanbaugebiete in ganz Franken. Atmo Triebe schneiden Autorin: Wie Bergziegen stehen die Weinbauern in ihren Hängen, wenn sie im Frühjahr die Triebe an den Rebstöcken zurückschneiden. Nur zwei dünne Äste bleiben stehen. Aus ihren Knospen kommen die neuen Reben und damit sie nicht kreuz und quer wachsen, bindet Petra Schäffer sie akkurat an zwei Drähten waagerecht fest. O-Ton Petra Schäffer: Wenn ich alles durcheinander wachsen lasse, dann kann es sein, dass Traubenklumpen mehr oder weniger ineinander hängen und dann werden die Trauben nicht richtig durchlüftet, ich brauche mehr Spritzmittel, ich brauche mehr Arbeit, ich habe nicht die schöne, gute Qualität, die ich brauche. Autorin: Sie hilft seit vielen Jahren im Betrieb ihres Bruders mit. Egon Schäffer baut auf gut drei Hektar Fläche Wein an. Seine Filetstücke liegen allesamt im Lump. So nennen die Einheimischen hier die kantigen Steilhänge an der Mainschleife. Mit Gaunerei habe das aber nichts zu tun, sagt Winzer Egon Schäffer, und grinst. O-Ton Egon Schäffer: Die Weinberge sind schmal, wenn man so hinschaut. Schmal und klein. So wie Handtücher oder Lappen oder Lumpen. Autorin: Sie sind rund um Escherndorf so schmal, weil sie so begehrt sind. Egon Schäffer wohnt mit seiner Familie nur ein paar Häuser von Jane Thomas und ihrer Familie entfernt. Vor mehr als 20 Jahren habe er Jane noch als James kennengelernt, erzählt er. James spielte damals noch Posaune im Kirchenchor, zog die drei Kinder groß, während Ehefrau Angela eine Offizierskarriere bei der Bundeswehr begann. Unsere Töchter sind gemeinsam zur Schule gegangen, erzählt Egon Schäffer. Doch als er James zum ersten Mal in Frauenkleidern auf der Straße sah, habe ihn das schon irritiert. Aber sie hätten ganz offen darüber geredet. Das konnte man damals schon mit James und heute noch immer mit Jane. Und nach der Operation vor zehn Jahren hätten auch die meisten anderen im Dorf James Entscheidung, von jetzt an Jane zu sein, akzeptiert. O-Ton Egon Schäffer: Liegt vielleicht auch dran, dass Escherndorf auch ein kleiner Ort ist, wo jeder jeden kennt, und dass auch die Escherndorfer gelernt haben, mit Entscheidungen der anderen zu leben. Autorin: Seine Schwester, die anfangs noch still zugehört hat, schüttelt den Kopf. Nach der Operation hätten die Leute sehr wohl hinter ihrem Rücken getuschelt, erinnert sie sich. Das fand sie verletzend und verlogen. O-Ton Petra Schäffer: Also, was mir sehr viele Gedanken gemacht hat, ich bin ja auch Mutter von zwei Kindern, war, dass die Operation von James zu Jane eigentlich dann war, als zwei seiner drei Kinder noch in der Pubertät waren. Ich habe es ihm auch kürzlich gesagt, Sie merken, ich sage immer noch ihm, manchmal sage ich Jane, manchmal sage ich James. Ich habe es ihr kürzlich gesagt, dass das damals für mich eigentlich unvorstellbar war, weil ich gedacht habe, jetzt hätte er doch die paar Jährchen auch noch warten können und hätte sich dann erst operieren lassen sollen. Also da habe ich mir gedacht, was müssen die Kinder in der Schule mitmachen. Autorin: Familie Schäffer ist eine ur-fränkische Familie. Vor fast 500 Jahren haben ihre Vorfahren schon in der Gegend gelebt. Sie sind hier verwurzelt, kennen die Stärken und Schwächen der Menschen. Sie wissen, wie schwierig es für Jane Thomas gewesen sein muss, sich vor den Dorfbewohnern als Transsexuelle zu bekennen. Doch es kommt auch nicht von ungefähr, dass Jane bis heute in Volkach lebt – und nicht weggezogen ist nach ihrer Umwandlung. Denn die Menschen hier sollen erdverbunden, bodenständig, aber auch lebenslustig sein. Das habe auch mit dem Weinbau zu tun, meint Egon Schäffer. O-Ton Egon Schäffer: An der Weinschleife hängt viel von Weinbau ab, der ganze Tourismus, der hier ist, hat mit dem Weinbau zu tun. Und wenn der Weinbau nicht wäre, wäre auch der Tourismus nicht so stark. Autorin: Seit mindestens sechs Generationen baut Familie Schäffer an der Volkacher Mainschleife Wein an. Die kantigen Steilhänge am Lump sind schon seit vielen Jahrhunderten fest vergeben. Denn je steiler der Hang, je größer die Neigung, desto stärker der Aufprallwinkel der Sonnenstrahlen, die dem Berg dann so richtig einheizen können. Das hätten schon die Kelten vor 1.000 Jahren begriffen. Direkt unter der Vogelsburg, einer keltischen Fliehburg, haben sie damals Wein angebaut. Die sogenannte Eulengrube, vermutlich einer der ersten Weinberge in dieser Gegend, wurde im Jahr 778 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. O-Ton Egon Schäffer: Es ist Südhang, es ist also eine sehr klimatisch begünstigte Gegend. Es ist wie ein Kessel oder wie ein Hohlspiegel. Es ist von oben, durch den Wald der auf dem Bergrücken ist, geschützt vor den Nordwinden, von den Westwinden, und von Süden scheint die Sonne rein. Am guten Stücke des Lumps, also in der ehemaligen Eulengrube, da ist der Fluss direkt unten am Weinberg, und da spiegelt sich dann die Sonne und wirft die Sonnenstrahlen zurück in den Weinberg. Also das ist klimatisch sehr begünstigt. Atmo Kellergewölbe Atmo Flasche öffnen, eingießen… Autorin: Egon Schäffer baut schon längst nicht mehr nur die typisch fränkischen Rebsorten an wie Silvaner, Müller-Thurgau oder Bacchus. In seinem Weinkeller lagern in riesigen Stahlfässern Weißburgunder, Riesling oder Schwarzriesling. Die drei Holzfässer, die dort unten noch stehen, nutzt er nur noch sporadisch. Atmo… Sehr zum Wohl, Anstoßen … Autorin: Kork, das war einmal, sagt Schäffer, öffnet eine Flasche Silvaner aus dem Jahr 2012 und gießt einen Schluck in ein Weinglas. O-Ton Egon Schäffer: Wir haben damit beste Erfahrungen gemacht! Wir hatten Kunden dabei, die am Anfang gesagt haben, wenn du umstellst, ich kaufe keinen Wein mehr, die sind dann auch weggeblieben. Sind aber nach vier, fünf Jahren, wie sie gemerkt haben, dass sie den Wein, den wir machen, woanders nicht bekommen, wieder zurückgekommen. Autorin: Erst schwenkt Egon Schäffer sein Glas, riecht dann hinein, schwenkt es noch einmal, nimmt einen Schluck und macht - was nur echte Weinkenner können. Atmo Schlürfen MUSIK II „Klavierkonzert Nr. 5 Es-dur op. 73 – Rondo: Allegro ma non troppo Komponist: Ludwig van Beethoven Interpret: Evgeny Kissin, Klavier London Symphony Orchestra Emi Classics, LC-Nr. 06646 Atmo Zentrum Volkach, Mütter mit Kindern, Auto fährt vorbei … Fahrrad … Autorin: Knapp 10.000 Einwohner leben in der nordbayerischen Kleinstadt Volkach, zu der zehn umliegende Dörfer gehören. Es liegt nicht weit von Schweinfurt und Würzburg entfernt. Holpriges Kopfsteinpflaster und verwinkelte Wege erinnern an eine mittelalterliche Stadt. Die Baustile wechseln sich ab. Mal gotisch, mal barock, mal Renaissance. An diesem Freitagnachmittag sitzen Mütter mit ihren Kindern und verliebte Paare in den zahlreichen Eiscafés. Dass die Stadt vor allem durch ihren Weinanbau existiert, erkennt man durch die noch zahlreicheren Vinotheken. In den Schaufenstern stehen die typisch fränkischen Bocksbeutelflaschen, gefüllt mit erlesenem Wein aus Riesling-, Silvaner- oder Bacchus-Traube. Atmo Zentrum kurz hoch ziehen Autorin: Wer gemeinsam mit Jane Thomas durch das Zentrum läuft, dem fallen die Blicke auf, die ihr einige Menschen verstohlen zuwerfen. Doch es sind nicht die Einheimischen, die sie irritiert anschauen, sondern meistens Touristen. Jane Thomas macht eine wegwerfende Handbewegung. Das sei normal, sagt sie, und läuft in ihren Stöckelschuhen Richtung Marktplatz. O-Ton Jane Thomas: Vielleicht auch ein Grund, warum ich lebe hier gerne auf der Mainschleife, weil ich bin hier eine Person aus der Gemeinde, ich kenne die anderen Leute aus der Gemeinde, in der Großstadt bin ich ein relativ anonymes Wesen und das möchte ich nicht sein. Autorin: Die 62jährige hat sich schick gemacht. Statt Jogginghose trägt sie jetzt ein schwarzes Kostüm, darunter eine weiße Bluse. Auf ihren Wangen und Lippen liegt ein Hauch Rouge. Die Haare trägt sie kinnlang, in den Ohren stecken winzige, lindgrüne Anhänger. Sie sieht jetzt viel weiblicher aus. Und es ist ihr egal, dass man trotz Schminke, Kleidung und Perücke noch sieht, dass sie früher einmal ein Mann gewesen ist. Was zählt sei das Hier und Jetzt. Atmo Gang zum CSU-Stand … hier sind alle Stadtrat-Kandidaten … Autorin: Jetzt ist Jane Thomas auf dem Weg zum CSU-Wahlkampfstand, denn in wenigen Tagen ist Kommunalwahl. Fast alle Stadtrat-Kandidaten sind gekommen. Auf runden Stehtischen liegen die faltbaren Flyer aus. Auf der Vorderseite eine Wanderkarte rund um die Volkacher Mainschleife, auf der Rückseite die CSU-Kandidaten aus den dazugehörigen Ortsteilen. Es gibt selbstgebackenen Kuchen und frisch gebrühten Kaffee. Atmo Möchten Sie einen Kaffee? … Wollen Sie auch unseren Kuchen probieren? Atmo Wahlkampfstand … Autorin: Vor acht Jahren ist Jane Thomas in die Christlich-Soziale-Union eingetreten. Sie engagiert sich im Ortsverband, vor ein paar Monaten wurde sie zur Kassenwartin gewählt. Mit etwas mehr als der Hälfte der Stimmen. Kein überragendes Ergebnis, sagte Jane Thomas. Aber es hat gereicht, kontert Gerlinde Martin und klopft ihr auf die Schulter. Die 52jährige Fränkin kandidiert zum ersten Mal für das Bürgermeisteramt. Dass eine Transsexuelle zu ihrem Wahlkampfteam gehört, findet sie normal. O-Ton Gerlinde Martin: Also wir hier vor Ort sind tolerant. Die Jane macht einen guten Job, hilft gut mit, engagiert sich und da hat es ne Toleranz und wenn jemand mitarbeitet und wenn jemand sich engagiert, dann ist das bei uns bei jedem so, dass man sagt, ja, das akzeptiert man. Jeder hat seine Eigenarten und andere müssen auch mich akzeptieren. Wie gesagt, die Jane tut da mithelfen und da wird das akzeptiert. Autorin: Allerdings ging die Akzeptanz nicht so weit, dass die Mitglieder des CSU-Ortsverbands Jane Thomas auch gleich mit auf die Kandidatenliste setzen wollten. Dabei würde sie sehr gerne ein politisches Mandat für die CSU übernehmen. Sie habe viel Lebenserfahrung, argumentiert sie, und lächelt ihr kokettestes Lächeln. Insgeheim weiß sie ganz genau, dass das nicht klappen wird. Gerade ihre Partei tue sich bei diesem Thema schwer, gibt sie offen zu. Die anwesenden CSU-Mitglieder wiegeln das lieber ab. O-Ton Roman Wagner, Gerlinde Martin und Jane Thomas: Wir haben damit kein Problem, nee, kein Problem. … Die CSU ist traditionell eine reine Volkspartei, sie möchte natürlich die ganzen breiten Bevölkerungsschichten vertreten. Und insofern denke ich auch, dass wir uns auch innerhalb unserer Kandidatenliste auch ein sehr breites Spektrum haben. Wir haben alle möglichen Berufsgruppen, die Junge Union ist stark vertreten, wir haben Ältere, ich denke, wir sind da eigentlich relativ breit aufgestellt. … Also das muss man mit den Mitgliedern, nominiert wird mit den Mitgliedern, das wird sich dann zeigen, ne. Sie war ja immer dabei, Jane. … Ich mache hoffentlich eine gute Arbeit und in einige Jahre mal schauen. Autorin: Trotz dieser versteckten Vorbehalte fühlt sich Jane Thomas in der CSU gut aufgehoben. Auch wenn sie das traditionelle Familienbild der CSU – Vater, Mutter, Kind – heute nicht mehr lebt, kann sie die starre Haltung ihrer Partei dazu tolerieren. Die Familie, die Ehe seien wichtige Säulen in der Gesellschaft, findet auch die 62jährige. Darum habe sie sich auch nicht scheiden lassen. Und so wie man als Frau Mitglied in der CSU sein kann, kann man das auch als Transsexuelle. Das müsse ja nicht jeder verstehen, sagt sie. O-Ton Jane Thomas: Bis jetzt hat niemand in der Partei mich angepöbelt. Persönlich. Ich weiß nicht, was die sagen, wenn ich nicht da bin, aber ich habe keine schlechte Erfahrung mit irgendeinem Politiker in der CSU. Mehr Probleme habe ich mit Anhängern von den Grünen. Die haben ein Problem, dass ich Trans bin und eine Familie habe. Autorin: Und dann gebe es auch ja CSU-Mitglieder, die sie in ihrem politischen Engagement offen unterstützen und sich für sie einsetzen. Das seien vor allem jüngere Frauen. Jüngere Frauen wie Manuela Martin. Kennengelernt haben sie sich vor vielen Jahren im Fitnessstudio. Die Tochter der Bürgermeisterkandidatin nimmt kein Blatt vor den Mund. O-Ton Manuela Martin: Es ist halt einfach ganz schwierig. Viele trauen sich gar nicht, sich zu outen und ich finde das - und das habe ich schon oft gesagt - total mutig. Sie ist ja auch mit mir in der Umkleidekabine und die Hemmschwelle dazu, wenn man beim Sport ist und man weiß ja nicht, was da… also ich bin da direkt und habe sie auch drauf angesprochen, wie das denn bei ihr ist. Und ich finde das gut, dass man dazu steht. Es sind genauso Menschen wie jeder andere und ich finde es schlimm, wenn man da so Vorurteile setzt. MUSIK III Titel: Praying for time Interpret+Komponist: George Michael Label: BMG Entertainment, LC-Nr. 01413 Atmo Kirchglocken und Brunnenplätschern Autorin: Das Rathaus am Marktplatz ist das Herzstück der unterfränkischen Kleinstadt Volkach. Das historische Fachwerkhaus wurde 1544 erbaut, ein typisch fränkischer Renaissancebau. Rechts und links führt eine steinerne Freitreppe hinauf in den ersten Stock des weiß getünchten Hauses. In der Mitte des Marktplatzes befindet sich ein Brunnen, über dessen Mitte eine Figur aus Stein thront: Maria Immaculata. Also die Mutter Jesus. Spätestens jetzt weiß der Besucher, dass dieser Ort auch ein sehr gläubiger sein muss. O-Ton Heiko Bäuerlein: Die Maria werden Sie hier in Franken noch sehr oft sehen, weil wir hier früher ja nicht gesagt haben wie heute patrona bavariae, sondern patrona franconiae, also unsere Frankenkönigin. Wir haben hier eine sehr große Marienverehrung. Autorin: Franken – das Land der Wallfahrten und Marienverehrungen. Heiko Bäuerlein arbeitet eigentlich als Verwaltungsbeamter bei der Polizei. Als Stadtführer ist er nur an den Wochenenden unterwegs. Und auch nur dann, wenn er sich nicht gerade für seine Partei engagiert. Der 41jährige führt die CSU-Fraktion im Volkacher Stadtrat an. Er kennt viele Menschen in Volkach, natürlich auch Jane Thomas. Mit ihrer Transsexualität habe er kein Problem. Aber die Menschen hier manchmal schon –das habe durchaus etwas mit ihrem Glauben zu tun, einer besonderen Form des Katholizismus. O-Ton Heiko Bäuerlein: Wir sind hier geschichtlich katholisch geprägt. Ganz einfach deswegen, weil wir sehr lange beim Würzburger Fürstbischof waren, unserem Stadtherrn, und eius regio, cuius religio – wie der Herr so auch die Untertanen. Und als bischöfliche Stadt sozusagen hat er natürlich schon aufgepasst, dass wir aus einer Sicht nicht vom rechten Weg abkamen. Das hat sich auch bis heute eher gehalten. Autorin: Gehalten haben sich auch die städtischen Wallfahrten. Atmo durch die Stadtmitte laufen Richtung Kirchberg … wir gehen jetzt den alten Kreuzweg sozusagen wie vor 500 Jahren die Pilger auch zu unserer Wallfahrtskirche Maria im Weingarten außerhalb der Stadt gelegen … Autorin: Maria im Weingarten – allein der Name klingt verlockend. Heiko Bäuerlein verlässt den Marktplatz, läuft die Einkaufsstraße hinunter, durchquert das untere Stadttor. Die Wallfahrtskirche war einst die Urpfarrkirche in der Region. Wer vor 900 Jahren den Gottesdienst besuchen wollte, musste gut einen Kilometer bis hinauf zum Kirchberg laufen. Der Berg mit der Kapelle war damals Zentrum der Mainschleife. Der Weg hinauf lohnt sich. Von hier oben hat man eine wunderbare Sicht auf den gewundenen Fluss und die üppigen Weinstöcke, die sich akkurat in Reih und Glied an die steilen Hänge schmiegen. Allein im Umkreis von Volkach wird auf etwa 3.000 Hektar Wein angebaut. In ganz Franken sind es etwa 7.000 Hektar. Das sei nicht immer so gewesen, sagt Heiko Bäuerlein. O-Ton Heiko Bäuerlein: Wenn wir mal 500 Jahre zurückgehen, dann hatte man hier um die 18.000 Hektar Rebfläche. Also ein Vielfaches der Rebfläche wie heute. Und die gesamte Erwerbsstruktur war eben auf diesen Weinbau ausgelegt. Und nach 1800 ist dieser Weinanbau fast komplett zusammengebrochen, weil wir hier Napoleon und die Reblaus hatten. Die Reblaus, die hatte also hier die Weinberge befallen und dann brachte man auch verstärkt französische Weine rüber, die damals natürlich etwas hochwertiger waren. Und damals ist dann hier eine große Armut ausgebrochen, die Leute haben dann einen Großteil der Weinberge rausgerissen und haben dann Obstanbau betrieben. Autorin: Noch vor 80 Jahren war die Obstbaumblüte hier die Touristenattraktion. Heute kommen die meisten Gäste wieder im Herbst zur Weinlese. Und inmitten dieser Weinberge steht die alte Wallfahrtskirche. Atmo reingehen in die Kirche … Tür fällt zu Atmo Kirche Autorin: Heiko Bäuerlein betritt die Kirche, bekreuzigt sich. Im Jahr 1519 beauftragen die Volkacher Stadtväter darum den berühmten Künstler Tilman Riemenschneider, eine besonders anbetungswürdige Maria im Dornenkranze anzufertigen. Riemenschneider war einer der bedeutendsten Bildschnitzer und Bildhauer in der Zeit der Spätgotik zur Renaissance. Die zweieinhalb Meter große Figur aus Lindenholz wiegt drei Zentner und hängt heute über dem Altar. Außen ein Rosenkranz, in der Mitte Maria, die von Engeln flankiert wird. Die beeindruckende Figur steht leichtfüßig auf einer Wolkenkonsole, ihr Fuß ruht auf einer Mondsichel. Als Heiko Bäuerlein klein war, war er Ministrant in dieser Kirche. Schon damals hätten ihn der wallende Faltenwurf des Mantels und die exakt geschnitzten Finger der Figur beeindruckt. O-Ton Heiko Bäuerlein: Und nach diesem Rosenkranz kann man quasi auch den Rosenkranz beten. Es sind 50 stilisierte Rosen und fünf Medaillons mit Szenen aus dem Leben von Maria. Also die Medaillons eben die Vaterunser, die Rosen die 50 für die Ave Maria. Autorin: Ohne Frage. In dieser Region leben noch immer gottesfürchtige und bodenständige Menschen. Für eine gute Ernte aber steigen die Bauern heute nicht mehr den Berg hinauf, um in der Wallfahrtskirche 50 Rosenkränze zu beten. Die Zeiten ändern sich – und auch die Menschen. Vor 40 Jahren wäre es vermutlich undenkbar gewesen, dass sich eine Transsexuelle im Ortsverband der CSU engagiert. Heute aber sei das anders, glaubt Heiko Bäuerlein. Wer sich hier in der Gemeinschaft ehrenamtlich engagiert, der werde auch akzeptiert. Egal welches Lebensbild er oder sie in sich trägt. Nicht egal aber scheint, wie stark man dieses Bild nach außen lebt. Jane Thomas sagt über sich, sie kleide sich sehr moderat. So wie ihre Nachbarinnen, die in den Weinbergen arbeiten. Dort trägt Frau Hose und schminkt sich dezent. O-Ton Heiko Bäuerlein: Das kommt wieder diesem Fränkischen vielleicht eher entgegen, dass man da halt eher etwas zurückhaltend ist. Wir drehen uns ja jetzt auch nicht so nach außen, dass liegt halt nicht in unserer fränkischen Art, und da kommt man sich dann auch so ein bisschen entgegen. Wenn man das dann weit mehr nach außen bringen würde, dann hätten wir dann da wahrscheinlich eher Probleme. Das ist halt so unsere fränkische Mentalität. MUSIK IV Titel: Ungarischer Tanz No. 3 Interpret: Münchner Posaunenquartett Komponist: Johannes Brahms Label: audite, LC-Nr. 04480 Atmo Glocken läuten, reingehen in die Kirche … Guten Morgen … eigentlich war ich das letzte Mal hier als sie die Kirche eingeweiht haben … Morgen… Morgen … Gemeindesaal Autorin: Gottesdienst in Dettelbach in Unterfranken. Die meisten Bewohner in der Region um Volkach sind katholisch. Es gibt aber auch evangelische Enklaven. Jane Thomas trägt an diesem Morgen einen dunklen Hosenanzug, darüber eine Trachtenjacke. Sie sei evangelisch getauft und ein gläubiger Mensch, sagt sie über sich. Geheiratet haben sie zwar katholisch, und ihrer Ehefrau gab sie damals das Versprechen, die drei Kinder katholisch zu erziehen. Doch ihre evangelischen Wurzeln habe sie trotzdem nie ganz verloren - und den Glauben an Gott sowieso nie. Eine Scheidung von ihrer Ehefrau Angela komme für sie darum auch nicht in Frage. O-Ton Jane Thomas: Angela und ich beide meinen, dass es wichtig für die Kinder ist, dass wir beide da sind. Ich halte mein Wort. Was ich damals versprochen habe, als Gelübde, hat einen gewissen Wert für mich. Autorin: Doch als sie 1998 ihrer Ehefrau das erste Mal von ihrer Transsexualität erzählt und davon, dass sie sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen will, war diese geschockt. Sie habe geweint und geschrien, erinnert sich Jane. Ihr vorgeworfen, sie habe sie ausgetrickst und ausgenutzt. Aber das stimme alles nicht. O-Ton Jane Thomas: Ich habe gesagt, ich bin halt so, ich habe das lange überlegt, ich habe festgestellt, ich bin halt Transsexuell. Autorin: Zu lange habe sie sich vor sich selbst geekelt und versucht, dieses Gefühl zu unterdrücken. Und eine Zeitlang habe sie wohl auch gehofft, dass eine Ehe und die Kinder ihr dabei helfen könnten. Nach dem Schock, den Vorwürfen und Tränen stellt Angela sie vor die Wahl: entweder lebt sie ihre Gefühle im Verborgenen aus oder sie lässt sich scheiden. Drei weitere Jahre lang macht Jane, was sie bislang ihr ganzes Leben gemacht hat: sie unterdrückt ihre Gefühle, lebt höchstens zur Faschingszeit ihre Bedürfnisse aus oder verkleidet sich nachts unten im Keller als Transvestit. O-Ton Jane Thomas: Frauensachen anzuziehen hat letztlich mich nie besonders gereizt. Auf der anderen Seite, ich hatte auch erhebliche Angst, was denken die Nachbarn, was denken die Familien usw. im Verborgenen nicht öffentlich zu zeigen. Autorin: Inzwischen habe Angela ihre Entscheidung respektiert, sagt Jane. Doch der Versuch, mit ihr darüber direkt zu reden, scheitert. Die Bundeswehroffizierin möchte nicht über ihre Gefühle in der Öffentlichkeit reden. MUSIK V Titel: In between Interpret+Komponist: Eckhard Richelshagen Label: Mons, LC-Nr. 06458 Atmo Gemeindesaal Autorin: Der Gemeindesaal in Dettelbach ist gut gefüllt. Das Kirchengebäude der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Neuses am Berg im Ortsteil Dettelbach ist noch jung. Bis vor gut 20 Jahren hatten die evangelischen Dettelbacher keine eigene Heimat. Sie mussten in die Nachbargemeinde nach Neuses am Berg ausweichen. Von außen erinnert das moderne Kirchengebäude an ein Feuerwehrhaus, auf dem ein Türmchen mit Glocke thront. Ulrich Vogel ist jetzt Pfarrer von zwei Gemeinden, an manchen Wochenenden hält er in drei Kirchen Gottesdienste. Atmo Im Gemeindesaal, Leute unterhalten sich … Orgelspiel beginnt Autorin: Licht durchflutet den modernen Gemeindesaal. Eine Empore gibt es nicht. Der Altar wirkt nüchtern. Die Stühle bilden ein Hufeisen um den hölzernen Altar. Eine Fußbodenheizung sorgt für Wärme, für eine Wohnzimmeratmosphäre, meint Ulrich Vogel. Jedes Gemeindemitglied begrüßt er mit Handschlag. Auch Jane Thomas. Ihr Lebensweg habe ihn sehr beeindruckt, erzählt er später. Als im vergangenen Jahr das Themenjahr der Lutherdekade unter dem Motto „Toleranz“ stand, habe er gleich an sie gedacht. Er bat Jane Thomas, sich für den Gemeindebrief zu diesem Thema interviewen zu lassen. O-Ton Ulrich Vogel: Weil es von meiner Seite ein Interesse war, zu erfahren, wie sie sich selbst sieht und versteht und ihre Wahrnehmung in der Bevölkerung auch selber sieht. Ich finde, Menschen soll man nicht nach ihrer sexuellen Neigung einstufen. Und auch ihr politisches Engagement, auch ihre Stärke, das dann auch in einer größeren Organisationsform in der Gesellschaft zu platzieren, das ist eine sehr erstaunliche, mutige Haltung. Autorin: Ihm war klar, dass sein Vorschlag nicht bei allen Gemeindemitgliedern gleich auf Gegenliebe stoßen würde. Kirche müsse Profil zeigen und diese Verantwortung müsse auch er als Pfarrer übernehmen. Jane Thomas sei ihm da eine willkommene Mitstreiterin. Zumal sie von sich aus das Thema Intersexualität vorangetrieben habe. O-Ton Ulrich Vogel: Ich habe, abgesehen davon, dass mich das erst mal ein bisschen gewundert hat, dass sie das in der CSU macht, gemerkt, dass ihre Stärke ist, dass sie nicht in einer Radikalität auftritt. Und vermutlich ist sie mit unter denen, die dieses Thema im politischen Sektor platzieren können, mit auch die geeignetste. Weil sie es in einer selber toleranten und auch offenen und nicht aggressiven und nicht extrem missionarischen Art und Weise vorantreibt. Und daher passt es schon wieder in das Feld, in dem sie das momentan auch platziert. Autorin: Darum sei sie auch für seine Kirchengemeinde eine Bereicherung, meint der evangelische Pfarrer. Im Gespräch mit ihr stelle man schnell fest, dass sie ein offener und ehrlicher Mensch ist, der sich über verbale Ausrutscher des Gegenübers nur dann ärgert, wenn sie beleidigend gemeint sind. Sie sei eben sehr tolerant. Aber sicherlich gebe es in seiner Gemeinde auch Menschen, die mit transsexuellen Menschen so ihre Probleme haben, glaubt Ulrich Vogel. In dem einstündigen Gottesdienst ist davon jedoch kaum etwas zu spüren. Nur ab und zu streifen Jane Thomas an diesem Sonntagmorgen ein paar verstohlene Blicke. Oder vielleicht ist es auch nur die Neugier, ob in diesem Körper wirklich eine Frau steckt. O-Ton Ulrich Vogel: Die Frage nach der Sexualität ist für die meisten natürlich schon der Punkt auch, wo man nicht gerne drüber redet und wenn, dann nur über andere. Und wenn dann nur, auch wenn es so nicht ist, wie man sich denkt, dass es sein soll. Und ich glaube, das entscheidende ist, lernt man einen Menschen kennen. Oder redet man nur über sie. MUSIK VI Titel: Himmel auf Interpret: Silbermond Komponist: Thomas Stolle, Stefanie Kloß Label: SME Media, LC-Nr. 02604 Atmo Hallo … Hey grüß dich hey. Grüß dich, schön. Klasse, wo gehen wir hin?... Gute Frage … ´ Autorin: Die Umarmung ist herzlich. Jane Thomas drückt Barbara Becker an sich, dann haken sich die beiden Frauen unter, laufen in Volkach Richtung Marktplatz auf der Suche nach einer Vinothek. Im Weinkrug direkt neben dem Rathaus werden sie fündig. Das Ambiente - urig. Die Gäste sitzen auf Hockern vor hochkant gestellten Weinfässern. Barbara Becker kandidiert als einzige Unterfränkin für die CSU bei der Europawahl. Die 44jährige steht auf dem achten Listenplatz, ein Einzug ins Straßburger Parlament ist darum ungewiss. Jane Thomas unterstützt sie in ihrem Wahlkampf. O-Ton Barbara Becker: Jane passt gut in dieses Wahlkampfteam, weil wir, glaube ich, beide für eine neuere CSU stehen. Wir sind schon sehr wohl verpflichtet bestimmten Grundwerten, was man auch klassisch mit der CSU verbindet, eine gute Wirtschaftspolitik, damit es genügend Arbeitsplätze gibt, weil Menschen sich über Erwerbsarbeit definieren. Aber schon auch nicht diese krachlederne, was man echt außerhalb Bayerns mit der CSU verbindet. Sondern da sind wir intern schon ein bisschen weiter, von daher passt Jane super in dieses Team, weil sie beides vermittelt…. Autorin: Besser kennengelernt haben sich die beiden 2008 nach der desaströsen Landtagswahl. Desaströs, weil die CSU nach fast 40 Jahren Alleinherrschaft die absolute Mehrheit im Landtag verloren hatte. Atmo … Du musst doch schon in Escherndorf sein! … Erst in einer Stunde … ein bisschen Zeit haben wir noch. Dann marschieren wir gemeinsam ein… Autorin: Ein Mann mit graumeliertem Haar und gelbem Anstecktuch im Jackett grüßt Jane Thomas beschwingt, prostet ihr zu. Warum sie noch nicht im Wahllokal in Escherndorf sei, witzelt er. Sie sei doch Beisitzerin für die Kommunalwahl. Er selber saß früher im Stadtrat. Für die FDP. Doch die hat diesmal für Volkach noch nicht einmal einen Bürgermeisterkandidaten aufgestellt. Also genießt er jetzt das Leben - und das vorzugsweise im Weinkrug. Atmo Wollen Sie einen Riesling, einen Schoppen? … Einen Schoppen. … Sehr zum Wohl … Autorin: Die beiden Frauen setzen sich einen Tisch weiter. Ihre Themen drehen sich so kurz vor dem Wahlkampf vor allem um Politik. Gleichstellung, Europa, Sozial- und Familienpolitik. Nicht immer sind sie dabei einer Meinung. O-Ton Barbara Becker und Jane Thomas: Mein Thema ist, wie kriegen wir die Männer dazu, 50 Prozent der Familien- und Sorgearbeit zu übernehmen. Damit nicht Frauen permanent zwischen diesem wahnsinnigen Spannungsfeld zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit stehen. Und da hat Jane einen anderen Schwerpunkt. Aber das ist okay und wir ringen da immer um gute Ideen … Aber ich kenne mich auch in diese Frauenpolitik sehr gut aus und ich betrachte mich selber als eine Frau. … Natürlich … Ja natürlich, aber das bedeutet auch feministisches Interesse. Zum Beispiel gerade in der CSU/CDU die Frage der Prostitution. Autorin: Prostitution würde Jane Thomas am liebsten ganz abschaffen. Erzkonservative CSU-Männer wie Norbert Geis oder Peter Gauweiler würden Jane Thomas sicherlich zustimmen. Aber in der Debatte um die steuerliche Gleichstellung homosexueller Paare sind sie gänzlich unterschiedlicher Meinung. Oder beim vollen Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Ein Modell, das die 62jährige jeden Tag mit ihrer Familie lebt - auch wenn sie keine sexuelle Beziehung mehr zu ihrer Ehefrau hat. Trotzdem sei dies für sie kein Widerspruch, Mitglied der CSU zu sein. Sogar Barbara Becker wundert sich manchmal darüber, dass es trotz all dieser Gegensätze so gut zwischen der CSU und Jane Thomas harmoniert. O-Ton Barbara Becker: Jane geht damit sehr entspannt, also offen, aber entspannt um, und das erleichtert natürlich so ganz wertkonservativen, klassischen CSUlern den Umgang damit. Sie will niemanden missionieren, sie macht mit, sie benennt sehr klar ihre Position und ich glaube mit Klarheit können die CSUler ganz gut umgehen. Und dann gibt es auch in Nordbayern dieses grundsätzliche Lebensgefühl, Leben und Leben lassen. Autorin: Jane Thomas lebt heute ein Leben, das sie leben will: Sie ist transsexuell. Und: Sie lebt in dem fränkisch-konservativen Ort, der für sie Heimat ist. Beides passt nicht zusammen? Für Jane schon. Vielleicht ist sie auch gerade darum so tolerant geblieben. Sie weiß: Klischees und Gemeinplätze treffen selten zu. Und vielleicht liegt es auch daran, dass sie gerade hier in Volkach zu ihrer vollen Identität stehen kann: O-Ton Jane Thomas: Ich bin konservativ, ich bin bürgerlich, ich bin Landperson jetzt, ich bin transsexuell, ich arbeite für die Rechte von Lesben und Schwulen und Trans in Europa, ich bin in dem Arbeits- und Sicherheitspolitikkreis der CSU in der Frauenunion. Alle die unter einen Hut zu bringen ist nicht einfach, aber so ist das Leben. Autorin: Ein ganz klassisches Frauenleben eben. Kennmusik Deutschlandrundfahrt Sprecher vom Dienst: Bayrisch, bodenständig - und doch anders Die Gemeinde Volkach in Unterfranken Eine Deutschlandrundfahrt von Susanne Arlt Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2014 Manuskript und das Audio der Sendung finden Sie im Internet unter deutschlandradiokultur.de 1