COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel Rempeln, Schubsen, Untertauchen Frauen in aggressiven Randsportarten Sendedatum 12. September 2010 Sendezeit | Programm 17.30 Uhr | DeutschlandradioKultur Autorinnen Christiane Hawranek und Tanja Tricarico Redaktion Hanns Ostermann Beitrag Einstieg: Best of Clip Atmo1_Bout O-Ton1_ Rosa: Rollerderby saved my soul. Ich habe gemerkt mir fehlte etwas in meinem Leben. Ich brauchte etwas in meinem Leben, das mich bewegt. Jetzt bin ich mit anderen Frauen zusammen, ich bin fit. Und dann kam Rollerderby. O-Ton2_Marleen: Dein Körper verändert sich. Du hast eine aufrechtere Haltung. Du fühlst dich besser, du bist echt selbstbewusster. Atmo2_Wasserballturnier O-Ton3_Alev Alev: Im Wasser bin ich sehr aggressiv. Man darf ja unter Wasser alles fast. Ich halte auf jeden Fall fest und dann kucke ich, wie die mit mir umgeht, dann kriegt die das wieder zurück, meistens mal kratzen oder kitzeln oder einfach mal die beschäftigen. O-Ton4_Heike: Es wird gezerrt, gezogen, festgehalten, am Badeanzug gehalten, am Arm gehalten - wenn du nicht hältst, hält der andere dich fest. Sprecher 1 Alev kann nicht nur austeilen, sondern auch einstecken: Sie hat sich schon sämtliche Rippen geprellt. Marleens Oberschenkel sind übersäht mit blauen Flecken. Und Janina hat sich beim letzten Training den Kiefer ausgekugelt. Frauen, die beim Rollerderby mitmachen oder Wasserball spielen, sind alles andere als zimperlich. Tagsüber arbeiten sie im Büro oder kümmern sich um Haushalt und Kinder. Nach Feierabend trainieren sie, wie man rempelt, austrickst, untertaucht. Die Sportlerinnen sind stark. Sie sind schnell und hart - Verletzungen nehmen sie in Kauf. Wasserball oder Rollerderby: Der rasante Sport füllt eine Lücke im Leben der Frauen. Und hinterlässt weit mehr Spuren als blaue Flecken. Teil 1 Atmo3_Bout_Einlauf Seid ihr bereit?! BoutModerator: Willkommen zum Bout. Und hier sind sie, die Berlin Bombshells gegen das Barockcity Rollerderby aus Ludwigsburg Sprecher 2 Eine Lagerhalle in Berlin-Treptow. Normalerweise finden hier Konzerte und Tanzveranstaltungen statt. An diesem Samstagabend stehen starke Frauen im Vordergrund. In der Mitte der Halle ist ein 20 mal 15 Meter großes ovales Spielfeld abgeklebt. Gleich werden zehn Frauen gegeneinander antreten. Auf Rollschuhen. Schiedsrichterin Rosa steht am Rand des Spielfelds und beobachtet, wie die Frauen in die Halle rollen. O-Ton5_Rosa Rollerderby ist echt eine Obsession. Man ist unter coolen Leuten. Die gute Stimmung machen. Atmo3_Bout (Einlauf geht weiter, dann runterziehen) Sprecher 3 Paranoia, Katapulta, Devilena. Der Kampfname gehört beim Rollerderby dazu. Schon beim Namen wird klar, dass man den Frauen nichts vormachen kann. Rosa nennt sich schlicht Rosa deLuxe. Auf 60 Minuten Härte, Stärke und Schnelligkeit kommt es an, sagt sie. Denn die Regeln sind einfach - im Prinzip fahren zwei Mannschaften auf Rollschuhen um die Wette. Eine fährt voraus. Die vier anderen halten ihr den Rücken frei. Das gegnerische Team versucht, an ihnen vorbeizuziehen. O-Ton6_ Rosa Es gibt fünf Spieler pro Team. Vier Blocker und einen Jammer. Die Blocker fahren ab einer bestimmten Linie. Die Jammer sind die Punktekriegerinnen und die müssen legal an den Blockern vorbeikommen. Dann muss man besonders stark sein. Das gilt für die Blocker, damit die Jammer nicht an dir vorbeikommen. Und man muss besonders hart sein. Sprecher 4 Seit Anfang des Jahres ist Rosa bei den Berlin Bombshells. Zart und zierlich wirkt die 30- Jährige, mit ihren langen, schwarzen Haaren, den weichen Gesichtszügen. Noch fährt Rosa nicht mit bei den Wettkämpfen - den sogenannten bouts. Für sie ist das Rollerderby der Ausgleich zu ihrem Job als Übersetzerin. Ihre Familie tut sich schwer, mit der neuen Sportart. O-Ton7_ Rosa Als ich meiner Familie das zum ersten Mal erzählt habe, hat mein Vater später gesagt: "Ich hab gehört, das ist ganz gewalttätig." Darum haben Mädels auch ein gewisses Interesse daran, dass nicht alles nicey, nicey ist und alle machen Yoga. Wir sind hart, wir haben Energie, wir haben Leidenschaft, ja. Atmo3_Halle (Einführung check) Sprecher 5 Gleich treten die Berlin Bombshells gegen das Barockcity Rollerderby Team aus Ludwigsburg an. Konzentriert fahren die Spielerinnen ein letztes Mal auf und ab, schütteln die Arme, lockern die Muskeln. Dann rollen die Frauen auf die Mitte des Spielfeldes zu. Die meisten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Die Frauen stellen sich in einer Reihe vor Rosa und den anderen Schiedsrichtern auf. Ein letzter Sicherheitscheck. Knieschützer, Armschoner, Helm, Mundschutz. Alles muss an der richtigen Stelle sitzen. Denn gleich wird gezogen, gezerrt und gefoult. Atmo5_bout_40sec Sprecher 6 Jetzt geht es los. Rosa rollt auf ihre Position in der Mitte des Spielfelds. Die Spielerinnen stellen sich an der Startlinie auf. Die Knie gebeugt, den rechten Fuß nach vorne, die Ellenbogen ausgefahren. Wer am besten startet, hat die größten Chancen, die meisten Punkte für sein Team zu holen. Atmo5_bout_40sec TEIL 2 Atmo6_ Aufbauen Wasserballturnier: Leinen rattern über Rolle Sprecher 7 Ein Freibad in Hohenlimburg. Alev Ates zerrt widerwillig an einem Seil mit kleinen weißen Boien. Die Wasserballerin baut das Spielfeld für das Bundesliga-Finale der Damen auf. Sie will die Leine mit dem schwimmenden Tor verknüpfen. Doch das Seil hat sich verhakt. O-Ton8_Alev (8:27 min) Nein, nein! Das wickelt sich wieder auf! Wer war das schon wieder?! Atmo7_Am Beckenrand: Vögel zwitschern, im Hintergrund lachen die Mannschaftskolleginnen Sprecher 8 Alev blinzelt in die Sonne. Jetzt, um acht Uhr morgens, ist die Wasseroberfläche noch spiegelglatt. In wenigen Stunden wird das Becken zur Kampfarena; hier, in einem Ortsteil von Hagen, werden die sechs besten Frauen-Teams aus Deutschland gegeneinander antreten. Seit sie 12 Jahre alt ist, spielt Alev Wasserball - und sie liebt diese Sportart, weil es eben kein Ballett ist oder Aerobic. O-Ton9_Alev Im Wasser bin ich sehr aggressiv, zu viel wahrscheinlich. Wenn unser Trainer sagt: ihr müsst mal ein bisschen mehr ran, bisschen Aggressivität zeigen, dann kuckt er mich an und sagt: Du nicht! So ist das, wahrscheinlich weil ich weiß, dass ich ein bisschen kleiner als die bin und wenn die 100 Prozent geben, dass ich dann 200 Prozent geben muss. Sprecher 9 Die 20-jährige Friseurin reicht den anderen Frauen im Team gerade bis zur Schulter, aber sie gleicht das mit ihrem Kampfgeist wieder aus. Alev ist Türkin. Schon oft hat ihre Familie nachgebohrt, wann sie denn endlich mit diesem aggressiven Sport aufhört - bei dem es üblich ist, unter Wasser zu kratzen, zu zerren, zu treten. O-Ton10_Alev Muss ja jetzt nicht jeder sagen: Oh ich find das toll. Bei den Türken ist das auch ein bisschen anders, dass man dann sagt: Oh du hast ja einen Badeanzug an! Die finden das freizügig, dass meine Eltern zu freizügig sind, dass ich das überhaupt darf, wie kann ich nur?! Als ich 16, 17 war, da wird man ja so langsam erwachsen und dann meinen viele, dass ich dann mal anstatt zum Training zu gehen, muss ich dann mal zu hause kochen lernen und solche Sachen, denken viele, aber ich kann heute noch nicht kochen. Atmo7_ am Beckenrand: Vögel zwitschern, Frauen lachen Sprecher 10 Wasserball zu spielen bedeutet für Alev ein Stück Freiheit - hier kann sie so sein wie sie will. Die Jüngsten der Mannschaft sind 17, die Älteste 42. Am Wochenende fährt das Frauenteam aus Hagen oft zu Turnieren, vier Mal pro Woche trainieren sie. Atmo8_Kiste (10:34) Sprecher 11 Alev holt die gelben Wasserbälle aus einer Blechkiste am Spielfeldrand. Die Frauen spielen mit etwas kleineren Bällen als die Männer. Weil Alev eine der jüngeren Spielerinnen ist, muss sie sich um die unbeliebten Vorbereitungen zum Turnier kümmern. O-Ton11_Alev Die müssen dann immer schleppen: Bälle, Kappen, Wasserflaschen. Da sind die Kappen. Atmo9_Beckenrand, Platsch - andere springen ins Wasser, Atmo einschwimmen Sprints (10:53) Sprecher 12 Alev bändigt ihre Haare mit den blond gefärbten Strähnen zu einem strengen Dutt und stülpt die Kappe mit den Ohrenschützern über. Eine Mannschaftskameradin hat kürzlich ohne Kappe trainiert - der harte Wasserball hat sie am Ohr getroffen und das Trommelfell ist geplatzt. Atmo10_ einwerfen, Ball tatzt auf dem Wasser auf (12:16) Sprecher 13 Sieben gegen sieben Spielerinnen werden gleich im Wasser um den Ball kämpfen, das Prinzip ist genauso wie beim Handball: Die Mannschaft mit den meisten Toren gewinnt. Wer den Ball in der Hand hat, den darf der Gegner festhalten und sogar untertauchen. Fouls sind offiziell natürlich nicht erlaubt - und doch gehören sie zur Taktik. Was unter Wasser passiert, kann der Schiedsrichter nicht sehen - und deshalb auch nicht abpfeifen. Cordt Ahlers - weiße kurze Hose, weißes Hemd, Trillerpfeife um den Hals - ist Wasserball- Schiedsrichter. O-Ton12_Ahlers (12:37) Bei den Frauen, wir sagen, sie gehen als Freunde ins Wasser, sind Feinde im Wasser und gehen als Feinde wieder raus. Sie gönnen sich wirklich keinen Meter Platz, sie sind sehr intensiv, können sehr sehr aggressiv werden. Manchmal greifen die zu unfaireren Mitteln als bei den Herren. TEIL 3 Sprecher 14 Was reizt Frauen daran, gegeneinander zu kämpfen, bis - im schlimmsten Fall - Blut fließt? Sportpsychologe Manfred Wegner von der Universität Kiel forscht über Frauen in körperbetonten Sportarten - so werden aggressive Sportarten in der Wissenschaft genannt. Frauen in Rugbymannschaften, Boxerinnen oder eben Wasserballerinnen wollen ihre Gegnerinnen nicht verletzen, hat er herausgefunden; sie wollen ihre Kräfte messen. O-Ton13_Wegner (12:50) Es sind Rituale, die stattfinden, die liegen auch in der Natur des Menschen, sich zu messen mit anderen, dann sich gegeneinander zu reiben im wahrsten Sinne des Wortes und zu zeigen: Ich bin der Stärkere und ich bin der Cleverere, also das Platzhirsch-Gehabe haben wir natürlich in vielen Sportdisziplinen, aber es geht in einigen auch richtig ordentlich zur Sache. Sprecher 31 Frauen in harten Sportarten sind selten. Viele Menschen wissen gar nicht, dass es beim Wasserball auch Frauenteams gibt. Das Rollerderby kennen auch nur wenige. Die "toughen Mädels" werden deshalb oft belächelt. Fast immer müssen sie erklären oder rechtfertigen, warum sie soviel Zeit für ihren aggressiven Sport aufbringen, den zudem kaum einer kennt. Sportpsychologe Wegner hat durch seine Studien die Erfahrung gemacht, wie mühsam das für die Frauen ist. Doch der Sport in der Nische stärkt gerade deshalb den Zusammenhalt unter den Frauen und macht sie selbstbewusst. O-Ton14_Wegner (13:22) Gerade, wenn man in Randsportarten aktiv ist, versucht man diese Sportart stark zu machen. Das geht los, dass man sich stark fühlt in der Gruppe, diese Gruppe nach außen hin auch repräsentiert, ein Gruppenphänomen, und da lässt man wenig Kritik aufkommen und man tritt auch immer wieder gemeinsam auf, versucht, es aktiv zu kommunizieren, das ist etwas, wie man Gruppen in sich stark machen kann, wie man Cliquen stark macht und das machen diese Sportlerinnen sicherlich ganz bewusst, um auch in der Öffentlichkeit bestehen zu können. Atmo1_bout (ab 01:25) Sprecher 15 Spielpause in Berlin-Treptow. Die Luft ist stickig - die Stimmung gut, schließlich liegen die Berlin Bombshells bis jetzt vorne. Rosa deLuxe ist nicht nur Schiedsrichterin. Beim nächsten Wettkampf will sie unbedingt mitfahren. Dreimal pro Woche trainiert sie. O-Ton15_Rosa (13:55) Ich bin zum ersten Mal wieder auf Skates, seit 20 Jahren. Ich bin viermal auf den Arsch gefallen. Als Übersetzerin war das natürlich sehr, sehr ungünstig(lacht), weil ich drei vier Tage lang nicht so richtig sitzen konnte. Aber es gibt andere Mädels, die sich so krass verletzt haben, das gehört auch dazu. Als Schiedsrichterin wird man nicht so krass verletzt als die Spielerinnen. Sprecher 16 Janina alias Kamikatze hat sich zu Rosa gesellt. Janina nimmt den Helm ab, wischt sich den Schweiß von der Stirn, schüttelt die pinkfarbenen Haare. Seit sie zu den Bombshells gehört, hat sie schon einiges mitgemacht: einen ausgekugelten Kiefer, Rippenprellungen oder eingeklemmten Nerven. O-Ton16_Janina (14:25) Ich habe ein lustig großes Hämatom am Oberarm, das ist vom Training letzter Woche. Das sieht man natürlich schon. Meine Kollegen fragen auch, was haste da wieder gemacht. Aber die meisten wissen was ich tue und können dann rückschließen: haste wieder gespielt. Ein Stückweit ist man ja auch stolz darauf, wenn man dann irgendwie, das ist ein bisschen so wie eine Kampverletzung. Man hat das beste gegeben und dann gehört das auch dazu. Sprecher 17 Janinas Oberarme sind mit feinen Stichen bunt tätowiert. An ihrer Lippe funkelt ein Piercing. Ihre dunkelbraunen Augen hat sie mit einem schwarzen Kajalstift dick umrandet. Janina ist seit der Gründung 2008 bei den Bombshells dabei. O-Ton17_Janina (14:55) Es macht schon Spaß, Action zu haben, Schach ist für mich zu langweilig, Tennis auch. Ich habe vorher auch nie eine Sportart, die ich angefangen habe, richtig durchgezogen, als Kind. Das wäre jetzt die erste. Das ist schon der Reiz, daran mit Adrenalin mitzufahren und ein bisschen Action zu haben und einen Ausgleich zum Beruf. Sprecher 18 Janina arbeitet in der Modebranche. Sie ist viel unterwegs. Hinter den Projekten, die sie betreut, steckt viel Geld und viel Verantwortung. Alles muss laufen. Atmo12_Can you hear me, Schreien, Pfeifen (15:27) Sprecher 19 Letzte Strategiebesprechung bei den Bombshells vor der nächsten Halbzeit. Die Trainerin nennt sich Master Blaster und treibt die Mädchen an. Janina kennt den rauen Ton. Zartbesaitet dürfen die Frauen beim Rollerderby nicht sein. Atmo13_ Getrappel mit Rollen_Pfiff Sprecher 20 Eigentlich hätte Janina heute nicht mitfahren dürfen, ihr Arzt hat es ihr wegen einiger Verletzungen verboten. Janina schnallt sich die Schoner um und rollt auf ihre Teamkolleginnen zu. Die Mädels zählen auf sie, sagt sie. Und sie will gewinnen. Den letzten Wettkampf gegen London haben die Bombshells schließlich haushoch verloren. Atmo14_KlettverschlussSchoner Atmo1_bout Teil 5 Atmo16_Stadionsprecher: (18:15) Schönen guten Morgen zusammen, ich hoffe, nach dem 4:0 gestern sehen wir gleich wieder ein spannendes Spiel. Hohenlimburger Schwimmverein gegen SV Wuppertal Neuenhof. Mit der Nummer 1 im Tor bei Hohenlimburg Simone Budde...klatsch-klatsch, Nummer 2 Sarah Dziura klatsch-klatsch, Atmo stehen lassen... Sprecher 22 20 Frauen im Bademantel haben sich am Beckenrand des Freibades in Hagen- Hohenlimburg aufgereiht. In wenigen Minuten beginnt das Spiel um Platz 5 der deutschen Wasserball-Bundesliga der Damen. Eine Zuschauer-Tribüne, Fangesänge, Tröten - gibt es nicht. Ein paar Freunde und Bekannte aus dem Schwimmverein sitzen auf den wenigen weißen Bänken. Atmo17_Badelatschen Sprecher 23 Jasmin Effele, der Spielerin mit der Nummer 12 auf der Kappe, tropft das Wasser von den Haarspitzen. Ihr Kopf ist noch rot vom Einschwimmen, vielleicht auch von der Anspannung kurz vor dem Spiel. Die 26-Jährige will heute nur eins: Die Gegnerinnen fertig machen. O-Ton18_Jasmin Ich bin keine zaghafte Spielerin. Ich hab Ehrgeiz und wenn ich gewinnen will, dann setze ich alles ein. Ich würde niemandem den Finger brechen. Das hab ich selber zu spüren bekommen, wie das ist, das muss ich nicht machen. Es gibt andere Möglichkeiten. Atmo18_am Beckenrand Sprecher 24 Jasmin Effele grinst. Sie lässt ihre muskulösen Arme kreisen. Im Wasser gibt es keine Freundschaften, sagt sie. O-Ton19_Jasmin: Wer das nicht unterscheiden kann, Wasser und Freundschaften, der hat in diesem Sport nichts zu suchen. Weil im Wasser sind wir alle irgendwie anders, ne. Draußen kann man sich unterhalten, ein Bierchen zusammen trinken, aber im Wasser will man gewinnen. Sprecher 25 Die Dachdeckerin mit der Narbe über der Oberlippe hat breite Schultern - trotzdem sieht sie mit ihren mandelförmigen Augen sehr feminin aus. Männer machen sich gerne mal über Wasserballerinnen lustig - das seien doch Mannfrauen, behaupten sie. O-Ton20_Jasmin Die kriegen Angst. Mein Gott, die hat die Kraft! Die meisten stehen ja auf Püppis. Und wenn dann mal eine kommt, die schlagfertig ist, dann ist der Mann überfordert, ist nun mal so. Viele ziehen den Hut davor, aber manche beängstigt das. Dann merken die Männer gleich: Der kann ich nichts vormachen, die weiß ihren eigenen Weg zu gehen. Sprecher 26 Das Hohenlimburger Frauenteam stellt sich im Kreis auf, Arm in Arm zum Schlachtruf: O-Ton21_Schlachtruf Wir begrüßen die Schiedsrichter, Gegner und Zuschauer mit einem dreifachen kräftigen Gut - Nass Gut - Nass Gut - Nass - Huuu! Eins zwei drei - Atmo ins Wasser springen Atmo18_Anpfiff, lossprinten 22:13 Sprecher 27 30 Sekunden haben die Spielerinnen Zeit für einen Angriff - wirft bis dahin niemand aufs Tor, bekommt das andere Team den Ball. Jede Spielerin nimmt sich eine Gegnerin vor - und hindert sie daran, den Ball zu fangen, mit dem Ball loszusprinten und aufs Tor zu werfen. Was genau unter Wasser passiert, ist für den Zuschauer unsichtbar - es sieht aber nach einem ständigen Gerangel aus. Eine Spielerin drückt ihre Gegnerin unter Wasser, eine andere stößt sich an der Frau vom Gegenteam ab, um schneller zu loszukraulen. Atmo19_Turnier Sprecher 28 Wasserball zehrt extrem an den Kräften. Die Spielerinnen treten im Wasser - je kräftiger, desto höher können sie ihren Oberkörper in die Luft strecken, um den Ball mit voller Wucht ins Tor zu werfen: Jasmin wirft das 1:0. Atmo20_Stadionsprecher: Jasmin Effele: 1:0 Atmo19_Turnier Sprecher 29 Hagen-Hohenlimburg ist für den Frauen-Wasserball ein historischer Ort: Hier haben 1981 erstmals Frauen-Teams um den deutschen Meistertitel gekämpft. An den Olympischen Spielen dürfen Wasserballerinnen allerdings erst seit den Spielen 2000 in Sydney teilnehmen - genau 100 Jahre später als die Männer. Ursprünglich war Wasserball nur eine Show-Einlage bei Schwimmwettkämpfen in Großbritannien. Um 1870 entwickelte der Londoner Schwimmverband das erste Wasserball-Regelwerk. Die Kämpfe aus der Anfangszeit sollen zum Teil so heftig gewesen sein, dass einige Spieler bewusstlos aus dem Wasser gezogen werden mussten. Atmo22_Pfiff Sprecher 30 Heute sind die Regeln wesentlich strenger. Wer offensichtlich foult, muss 20 Sekunden außerhalb des Spielfelds warten. Gerade hat Jasmin, eine der besten Torschützinnen des Hohenlimburger Teams, die zweite Hinausstellung bekommen. Die Gegnerinnen aus Wuppertal führen. Atmo22_Pfiff (25:30) Musik 2 Rollerderby saved my soul - Uncle Leon and the Alibis - CD! Sprecher 32 Die Berlin Bombshells gehören zu den ersten Rollerderby-Teams in Deutschland. Eigentlich sollte die Rempelei auf Rollschuhen nur ein Partyspaß unter Frauen aus der Punkszene sein. Doch aus Spaß wurden bald europaweite Wettkämpfe und eine alte amerikanische Tradition wieder belebt. Loopen Instrumentalteil Musik 2 Rollerderby saved my soul - Uncle Leon and the Alibis Sprecher 33 Das erste Rollerderby-Rennen fand 1935 in Chicago statt. Damals fuhren Männer und Frauen gemeinsam um die Wette. Die Teams spielten in ausverkauften Stadien vor über 50.000 Fans und wurden als Stars gefeiert. Bis in die 70er Jahre hielt der Erfolg des Rollerderby an. Dann wurde es still um die Sportart. Erst Ende der 90er Jahre fanden in den USA wieder die ersten Wettkämpfe statt. Diesmal nur mit Frauen. Der Trendsport Rollerderby fand bald seinen Weg nach Europa. Atmo1_Bout (ab 02:10) Sprecher 34 In Berlin-Treptow ist das Rollerderby in vollem Gange. 115 zu 54 steht es für die Bombshells. Ihre Gegnerinnen aus Ludwigsburg haben keine Chance. Die Fans der Berliner jubeln. Atmo23_BoutJubel Sprecher 35 Die roten Stretchkleidchen der Rollermädchen reichen gerade mal bis zum Oberschenkel. Die schwarzen Strümpfe haben mehr Löcher, als dass sie bedecken. Auf Brusthöhe prangt eine graue Bombe, breit grinsend und bedrohlich. Das Logo der Bombshells. Fans sind vor allem Männer. O-Ton22_GesprächMarlen_Freund: (37:12) Freund: Ich finde es schade, dass ich nicht mitspielen darf. Auch wenn man die Regeln nicht so wirklich versteht. Das meiste verstehe ich ja. Aber es ist sehr konfus. Macht Spaß, zu gucken und begeistert auch einen Außenstehenden. Das ist ein netter Sport neben Basketball, Fußball und so. Marleen: Also, viele sagen ja, das ist der Sport mit den kurzen Outfits. Es ist schade, dass das so sexualisiert wird. Und sobald ein Mann das mal gesehen hat, sieht er eben die andere Seite, das sportliche daran. Die sehen dann nicht den Sex, die Ärsche, die Titten, sondern einen harten Frauensport. Sprecher 36 Marlen und ihr Freund verkaufen heute T-Shirts von den Bombshells. Sie weiß, dass Erotik und Aggression viele Leute zum Rollerderby locken. Aber für die Sozialarbeiterin hat sich das Leben durch den Sport komplett verändert. O-Ton23_Marleen Dein Körper verändert sich. Du hast eine aufrechtere Haltung. Du fühlst dich besser, du bist echt selbstbewusster. Ich lass mir im Job nichts mehr vormachen und nehme auch nicht mehr alles so persönlich. Atmo24_Bout_Stadionsprecher: Die Bombshells haben blocken geübt und da geht sie zu Boden! Das war schmerzhaft...(38:30) Sprecher 37 Das haben sie. Die Frauen aus Ludwigsburg haben keine Chance gegen die Bombshells. Fast im Alleingang rollen Kamikatze, Devilena, Foxy Führer an den Schwaben vorbei. Viel Rempeln müssen sie heute nicht. Und dann geht alles ganz schnell. Mit 226 zu 62 Punkten gewinnen die Berlinerinnen. Atmo25_Bout_Jubel_Gewinn TEIL 8 Atmo26_Wasserballturnier - Pfiff Sprecher 38 Zwei Minuten Pause beim Wasserballturnier in Hagen-Hohenlimburg. Die sieben Spielerinnen atmen schwer, hängen mit hochroten Gesichtern am Beckenrand. Trainer Thorsten Werner ist unzufrieden. O-Ton24_Werner (26:40) und 41:20 Das ist viel zu hektisch, was ihr da macht. Wartet erst mal einen Moment! Warten, aufziehen! Das Tempo muss weiter oben gehalten werden, du kannst nicht liegen bleiben, auch wenn es weh tut - Gas geben!!! Atmo26_Turnier, Pfiff usw. Sprecher 39 Die Wasserballerinnen vom Team Hohenlimburg vergeben eine Chance nach der anderen. In den letzten Spielminuten bekommt Jasmin Effele die rote Karte, nach drei Fouls. Sie reißt sich wütend die Kappe mit den Ohrenschützern vom Kopf und wartet, die Hände in die Hüften gestemmt, am Spielfeldrand. Atmo27_Stadionsprecher: 5:6 (41:40) Atmo28_Im Hintergrund jubelt die andere Mannschaft Sprecher 40 Hohenlimburg hat verloren, knapp mit 5:6. Die Mannschaftskapitänin bringt Bier in Pappbechern, die Mittagssonne brennt vom Himmel. Um das Kleinkinder-Schwimmbecken herum haben Familien ihre Handtücher ausgebreitet, Kinder werfen einen aufgeblasenen bunten Ball im hüfthohen Wasser hin und her. Wasserballerin Jasmin Effele lehnt sich zurück auf der Ersatzbank. Eben noch hat sie ihre Gegnerinnen ausgetrickst, untergetaucht, gekratzt und getreten. Jetzt wird Jasmin ganz sentimental. Ob es die Mannschaft nach der Trainingspause in dieser Aufstellung noch gibt, weiß sie nicht. O-Ton25_Jasmin (42:20) Ich kämpfe auch mit den Tränen. Man weiß ja nicht wer bleibt und wer geht. Also mir wurde grade von einer anderen Spielerin aus einem anderen Verein gesagt: Diese Mannschaftsleistung, dieser Zusammenhalt, den wir gezeigt haben, hat sie bei keiner anderen Mannschaft auf diesem Turnier gesehen. Auch wenn wir verloren waren, aber wir waren eine Mannschaft. Wir haben keine herausragenden Einzelspieler. Wir sind eigentlich ne Gurkentruppe, wenn man das so nimmt. Das zu hören, dass man als Mannschaft gespielt hat, ist schön. Das ehrt einen. Atmo28_am Beckenrand Sprecher 41 Jasmin nennt die anderen Spielerinnen ihre Schwestern und das Team ihre Familie. Sie will diese Momente mit ihnen genießen. Ein Leben ohne Wasserball kann sie sich nicht mehr vorstellen. "Rollerderby saved my soul" Uncle Leon and the Alibis Audio CD (2008) Label import 20 Sekunden 1