Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Zeitfragen Krisenzentrum Frankfurt Bilanz von einem Jahr Euro-Rettung Von Agnes Handwerk Atmo: Klicken von Kameras Sprecherin: An jedem ersten Donnerstag im Monat, pünktlich auf die Minute, informiert EZB-Präsident Mario Draghi über den aktuellen Stand von Inflationsrate, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum. Und weil das nicht vorankommt, entscheidet sich die EZB, offiziell der EZB-Rat, dem alle 17 Länder der Währungsunion angehören, für immer weitere Lockerungen seiner Geldpolitik. Atmo: Klicken von Kameras Sprecherin: Begleitet von Pressephotographen, flankiert von Sicherheitskräften, betritt Mario Draghi den Konferenzraum und nimmt an einem erhöht stehenden Tisch Platz. Der Auftritt wird wie ein Hochamt zelebriert. Nicht nur die anwesende Wirtschaftspresse will sich nichts entgehen lassen, sondern in diesem Moment wenden sich Börsenhändler und Analysten, ob in Frankfurt, London oder New York, ihren Monitoren zu, um in der Liveübertragung Wort für Wort zu verfolgen, was der EZB-Chef sagen wird. O-Ton: Ladies and gentlemen Sprecher vom Dienst: Krisenzentrum Frankfurt O-Ton: I am very pleased to welcome you to our press conference. Sprecher vom Dienst: Bilanz von einem Jahr Eurorettung O-Ton: I will now report on the outcome of today`s meeting of the Governing Council…..… Sprecher vom Dienst: Von Agnes Handwerk Sprecher: Die Euro-Rettung ist ein Experiment in Echtzeit. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Herbst 2008 waren die Notenbanken die Helden der Krise, weil sie nach der Lehman Pleite schnell reagierten. Sie versorgten Banken mit Liquidität und haben damit einen weltweiten Wirtschaftskollaps, wie an jenem berüchtigten "Schwarzen Freitag" 1929, in letzter Minute abgewendet. Doch jetzt befinden wir uns bereits im fünften Krisenjahr und je länger die EZB das Finanzsystem stützen muss, desto lauter werden die Zweifel an ihrer expansiven Geldpolitik und dem niedrigen Leitzins. Atmo: Stimmengewirr im Presseraum Sprecherin: Im Jahr 2009 hat die EZB zu diesem drastischen Mittel gegriffen, um Banken zu günstigen Krediten zu verhelfen und senkte den Leitzins des Euro von 4% auf ein historisches Tief von 1 %. Inzwischen ist es "historisch" gewesen. Nach einer Leitzinssenkung auf 0.5% im Frühjahr 2013, verkündete EZB-Präsident Mario Draghi im November. O-Ton: Based on our regular economic and monetary analyses, we decided to lower interest rate on the main refinancing operations of the euros system by 25 basis points to 0.25% and the rate on the marginal lending facility by 25 basis points to 0.75% The rate on the deposit facility will remain unchanged at 0.00%. Übersetzer 1 Ausgehend von unseren ökonomischen und geldpolitischen Analysen, haben wir entschieden, den Zinssatz für die Refinanzierung des Eurosystems um 25 Basis Punkte auf 0,25 % zu senken Sprecherin: Mit diesem Schritt hat die EZB ihr Instrument mit Leitzinssenkungen die Wirtschaft zu stimulieren, nahezu ausgereizt. Der deutschen Wirtschaft bringt es nichts und der Bevölkerung erst recht nicht. Im Gegenteil: Sparvermögen verlieren weiter an Wert. Hält die Niedrigzinspolitik weiter an, trifft das ganz existentiell all diejenigen, die für die private Altersvorsorge einen Versicherungs- oder Sparplan abgeschlossen haben. Darüber hinaus hat der niedrige Leitzins unterschiedliche Auswirkungen in den siebzehn Länder der Eurozone. Und so wird auch die Krise in jedem einzelnen Land unterschiedlich benannt. O-Ton: Rescatte, Rescatte is the word in Spain. Sprecherin: In Spanien spricht man nicht von Euro-Rettung. Wir haben es mit einer schweren Wirtschaftskrise zu tun, erklärt Claudi Perez von der spanischen Tageszeitung El Pais. O-Ton: People talk a lot about the Spanish rescue. It’s not a financial word. It’s a word you can use: to rescue a boat for example. Übersetzer 2 In den letzten Jahren sprechen die Leute in Spanien viel über DIE Rettung . Aber es ist kein Finazwort. Es ist ein Wort, dass du benutzen kannst , du rettest ein Boot, zum Beispiel. Sprecherin: In Spanien geht es weniger um den Euro als vielmehr um die Ankurbelung der nationalen Wirtschaft mit Hilfe der EZB, erklärt Claudi Perez weiter. Der Europa-Korrespondent Sean Whelan sagt über sein Land: O-Ton: We have our own particular issues in Ireland that have to do with banking, with state finance. So we don’t have any one word which covers the totality of this situation. Financial crisis or great recession that seems to be the term that people use. Übersetzer 3 Wir haben unsere eigenen Probleme in Irland mit dem Bankensektor und den Staatsfinanzen. Deshalb gibt es bei uns nicht ein Wort für die gesamte Situation. Wir sprechen von Finanzkrise oder großer Rezession. Sprecherin: Nur in Deutschland, so stellt sich heraus, sprechen wir von "Euro-Rettung". Nur hier ist die Eurokrise nicht gleichbedeutend mit Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Verlust sozialer Absicherung. Mit den langfristigen Folgen verhält es sich so, als existierten die Milliarden für Hilfsprogramme an klamme Länder der Währungsunion nur auf dem Papier. Sprecher: Dass Zypern im Frühjahr 2013 vor der Zahlungsunfähigkeit stand, ist aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Auch dass der Bundestag einem Hilfsprogramm von 9 Milliarden aus dem Fond des ESM, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus für das Land zugestimmt hat. Die vertragliche Ausgestaltung des ESM ist noch nicht abgeschlossen. Es ist umstritten, ob marode Banken aus diesem steuerfinanzierten Fond zukünftig Hilfen erhalten können. Sprecherin: Die Strategie der EZB mit lockerer Geldpolitik die Krise in den Griff zu bekommen, beruht auf wirtschaftstheoretischen Annahmen, die nicht von allen Ökonomen geteilt werden. Jan Pieter Krahnen ist Professor für Volkswirtschaft an der Frankfurter Goethe Universität und hat daran begründete Zweifel. O-Ton: Wir gewinnen nämlich nur Zeit, um den Marktmechanismus zu reparieren. Das ist wie eine temporäre Versorgung mit Trinkwasser, weil die Leitungen defekt sind. Und wenn wir in der Zwischenzeit , so lange wie der Tankwagen mit dem Wasser da steht, nicht in der Lage sind, das Trinkwassernetz zu reparieren, dann haben wir ein großes Problem. Dann ist der Tankwagen leer und das Netz ist immer noch kaputt. Und in der Situation befinden wir uns. Die EZB versorgt das Bankensystem und die Volkswirtschaft mit Geld. Aber der Vorrat ist nicht unerschöpflich und deren Angebot ist nur eines, um den Rücken frei zu halten. Und da ist jetzt entscheidend, was machen wir eigentlich für eine Systemreparatur? Kriegen wir die marktwirtschaftlichen Kräfte wieder ans Steuerruder oder bleiben wir langfristig in einem planwirtschaftlichen Finanzsystem? Und im Moment würde ich sagen, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, dass wir das wieder schaffen, Marktimpulse in den Finanzsektor wieder hineinzutragen und die anderen 50 lauten: Wir werden dauerhaft ein steuerfinanziertes, durch Staatsbeamte regulierte Versorgung mit Kreditmitteln der Volkswirtschaft haben. Sprecherin: Jan Pieter Krahnen hält es für dringend geboten, den Bankensektor strenger zu kontrollieren und zu regulieren und begrüßt deshalb die bereits beschlossene Einrichtung einer europäischen Bankenaufsicht, die bei der EZB angesiedelt ist und 2014 ihre Arbeit aufnehmen wird. Ihre Aufgabe soll es sein, die Solvenz von Banken zu prüfen und notfalls kontrolliert abzuwickeln. O-Ton: Wenn wir ein marktwirtschaftliches System wieder haben wollen, müssen wir den Bankensektor reparieren, müssen wir Banken wieder leistungsfähig und stabil machen und wir müssen das systemische Risiko, das im Finanzsystem nach wie vor eine dominierende Rolle spielt, eindämmen. Und diese beiden Sachen, Banken wieder solvent machen und systemische Risiken reduzieren, sind die Grundideen der Bankenunion und deren Realisierung jetzt auf dem Prüfstand steht. Atmo: Rattern der Anzeigetafeln an der Börse Sprecherin: In Sekundenschnelle aktualisieren sich die Aktienwerte auf der großen Kurstafel im Frankfurter Börsensaal. Oktober 2013, während halb Europa ins fünfte Jahr der Krise geht, steigt der DAX, der Deutsche Aktienindex auf über 9000 Punkte. Im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von fast 3000 Punkten. Doch gleichzeitig liegt das Wirtschaftswachstum unter einem Prozent. Ein deutliches Zeichen, dass das billige Geld der EZB nicht zu mehr Produktivität in der Realwirtschaft und langfristigen Investitionen führt. Den Höhenflug an den Aktienmärkten hatte die EZB mit ihrer Ankündigung in Gang gesetzt, unbegrenzt Staatsanleihen anzukaufen. Im September 2012 erklärte Mario Draghi: O-Ton: We will do whatever it takes within our mandate – within our mandate Übersetzer 1 Im Rahmen unseres Mandats werden wir alles Erforderliche tun. Sprecherin: Allein diese Ankündigung reichte aus, um, wie es heißt, die Finanzmärkte zu beruhigen. Mit der EZB-Garantie hatten die Banken nicht mehr zu befürchten, dass Staatsanleihen in ihren Depots an Wert verlieren könnten. Walter Krämer, Professor für Wirtschaftsstatistik an der TU Dortmund, hält den eingeschlagenen Weg für falsch. O-Ton: Die monetäre Staatsfinanzierung ist im Maastricht Vertrag verboten, d.h. es darf kein Staat bei der EZB direkt sich Geld leihen. Aber die Staaten leihen es sich bei den Banken und die Banken leihen es sich von der EZB. Wie ein Zwischenhändler. Und damit ist die EZB juristisch aus dem Schneider, weil sie den Staaten das Geld nicht direkt gibt, aber indirekt tut sie es ja trotzdem und zwar in riesigem Umfang. Sprecher Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Klage einer Reihe von Ökonomen, Staatsrechtlern und Bürgern gegen Vertragsverletzungen der EZB im Zusammenhang mit dem Ankauf von Staatsanleihen zwar angenommen. Eigentlich wollte es noch in diesem Jahr ein Urteil fällen, hat sich aber auf das nächste Jahr vertagt. Es ist allerdings ohnehin fraglich ob es in dieser Sache zuständig ist Atmo: Klicken der Photographen Sprecherin: Ein Jahr nach der Entscheidung, unbegrenzt Staatsanleihen ankaufen zu wollen, zieht Mario Draghi auf der Pressekonferenz im September 2013 Bilanz: O-Ton: I think this combination of a realistic target , accompanied by what are in principle unlimited means and by conditionality, has made this measure very effective without needing to be activated… ...if you want to use that of the collateral that the country posts in exchange for ECB action. I think that’s one way to look at this. Übersetzer 1 Ich denke, ein realistisches Ziel und unbegrenzte Mittel zur Durchsetzung haben diese Maßnahme wirkungsvoll gemacht, ohne dass sie tatsächlich zum Einsatz kam. Aber man darf dabei nicht vergessen, wenn diese Maßnahme einmal ergriffen wurde, dann geht das Empfängerland eine Reihe von Verpflichtungen ein wie Haushaltskonsolidierung oder Strukturreformen oder beides. Wenn es richtig gemacht wird, steigt der Wert der Anleihen, die von dem betreffenden Staat ausgegeben werden und erhöht damit den Wert der Anleihen, die die EZB aufgekauft hat. So entsteht als Nebeneffekt und im Gegenzug zu den EZB-Ankäufen eine Wertsteigerung der Anleihen.. Sprecher: Doch warum wurden diese Ankäufe von Staatsanleihen bisher nicht in Anspruch genommen? Weil sie an Bedingungen geknüpft sind! Die Strukturreformen und Haushaltskonsolidierungen, die die EZB mit ihrer Geldpolitik erreichen will, gerade die kommen nicht voran. Sprecherin Feierabendstimmung auf dem Frankfurter Börsenplatz. An der Börsenstraße, über einem eleganten Herrengeschäft, hat die Baader Bank ihre Frankfurter Niederlassung. Das Ambiente ist wie in diesen Kreisen üblich vornehm zurückhaltend. Nur der Chefanalyst Robert Halver braucht sich an derlei Konventionen nicht zu halten. O-Ton: Ich habe den großen Vorteil bei einem Arbeitgeber zu sein, wo das offene Wort gewünscht ist. Natürlich immer mit Begrenzung. Aber dass durchaus die Dinge, die einen jeden Tag umgeben, auch die Heuchelei, auch sicherlich das Spargeheuchle und sicherlich auch die Schönrednerei wie gut die Eurozone aufgestellt ist, dass das hinterfragt wird. Ich kann nicht sagen, die Eurokrise ist vorbei nur weil die EZB bedenkenlos rettet. Natürlich ist sie nicht vorbei. Und man muss auch ganz klar sagen, diese schöngefärbte Rettungseuphorie, die wir seit zwei Jahren erleben, dafür werden wir früher oder später einen massiven Preis zahlen müssen. In der Marktwirtschaft gibt es nichts umsonst. Sprecherin: Welchen Preis Kleinanleger zahlen, lässt sich ganz einfach ausrechnen. Ein Sparguthaben von 10.000 Euro konnte in den vergangenen Jahren bei einem Zinssatz von 4% um 400 Euro per anno wachsen, seit 2009 sind es nur noch um 100 Euro. Im kommenden Jahr liegt die Rendite bei 25 Euro. Hochgerechnet auf Sparguthaben der Bundesbürger von geschätzten 7 Billionen, büßen Sparer Milliardenbeträge ein. Jährliche Zinsguthaben von 70 Milliarden im letzten Jahr, liegen im kommenden Jahr voraussichtlich nur noch bei 17 Milliarden Euro. Für Robert Halver steht fest: O-Ton: Wenn die Eurozone gerettet wird, die Zeche dafür zahlen die Sparer. Weil wir mittlerweile Renditen haben, die deutlich unter der Inflationsrate sind. D.h. wer Altersvorsorge klassischerweise mit Zinsvermögen betreibt, betreibt eigentlich Altersentsorgen. Er kann nämlich zuschauen, wie es weniger wird. Einer zahlt immer für die Eurorettung. Und der Deutsche zahlt nicht über seine Steuern, aber er zahlt über Entreicherung. D.h. wer dem Staat Geld gibt, kann zuschauen, wie es weniger wird. Das ist sein Beitrag zur Rettung der Eurozone. Sprecherin: Für die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland, hätte der Leitzins nicht gesenkt werden müssen, erklärt der Politikwissenschaftler Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Zitator Sparer zahlen hier einen Preis für den Euro. Gerettet wird der Euro durch niedrige Zinsen gewiss nicht. Der deutsche Unmut über die Niedrigzinspolitik der EZB zeigt vielmehr, was im Euroraum schief läuft. Die wirtschaftlichen Zustände im Euroraum sind zu unterschiedlich, als dass sie durch eine einheitliche Geldpolitik gut gesteuert werden könnten. Sprecher: Mit der Rettung des Euro wird eine Vereinheitlichung der Unterschiede in den Wirtschaftsstrukturen, den Arbeitsmärkten und Sozialsystemen vorangetrieben – mit unterschiedlichen Auswirkungen. Griechenland musste weit reichende Vorgaben der Euro-Gruppe akzeptieren, um im Gegenzug Kredite zu erhalten. Sprecherin: Die Durchführung der Sparprogramme wird von der so genannten Troika überwacht. Sie ist besetzt mit einem Vertreter des Internationalen Währungsfond, dem IWF, einem Vertreter der EU-Kommission aus Brüssel und der EZB in Frankfurt. Das ist Klaus Masuch. Auch in Griechenland spricht man nicht von Euro-Rettung. O-Ton: Die griechische Öffentlichkeit diskutiert das unter dem Begriff Memorandum. Memorandum ist das Dokument, in dem die griechische Regierung ihre Verpflichtungen niedergelegt hat, im Gegenzug zu den Krediten, die sie von den Euroländern bekommen hat. Sprecherin: Klaus Masuch wird in Presseberichten als harter Verhandlungspartner dargestellt. Bei Otmar Issing in Würzburg hat er studiert. Otmar Issing, ein einflussreicher Ökonom und Politikberater, war von 1998 bis 2006 Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank und kritisiert ihren gegenwärtigen Kurs. Klaus Masuch hat seine berufliche Laufbahn bei der Deutschen Bundesbank begonnen und wechselte 1998, dem Gründungsjahr, an die Europäische Zentralbank. Seit 2006 leitet er die Abteilung EU-Länder. Als Mitglied der Troika ist er mit Herausforderungen vor Ort konfrontiert, die nicht in seinen Lehrbüchern standen. O-Ton: So weit ich das sehe ist die Debatte derzeit in Griechenland eher so, dass viele Menschen nicht so sehr den Rettungsaspekt sehen, sondern eher den Aspekt sehen, dass in den letzten Jahren erhebliche Anpassungslasten für die Menschen und für die Wirtschaft da waren und sie verbinden diese Anpassungslasten, Kürzungen von Löhnen und Gehältern mit dem Anpassungsprogramm. Und sie vergessen dabei meines Erachtens, dass die Probleme, die wir jetzt in Griechenland haben mit hoher Arbeitslosigkeit und der Notwendigkeit Staatsausgaben einzusparen, dass viele dieser Probleme durch fehlerhafte Politik in den Jahren bis 2010 verursacht wurden. Die Hauptursache für viele der Probleme, die wir jetzt sehen, liegt in der hohen Staatsverschuldung und einer starken Vernachlässigung von Reformen der öffentlichen Verwaltungsapparate, Reform der Arbeitsmärkte und Produktmärkte, die Griechenland in eine sehr schwierige Lage gebracht haben. Sprecherin: Das Schwierigste dürfte jetzt sein, dass der Reformprozess von der EU diktiert wird und er sich nicht in einem Prozess vollzieht, in dem Parteien, Gewerkschaften, Unternehmerverbände ihre unterschiedlichen Positionen und Interessen aushandeln. Denn Griechenland stand vor der Wahl: entweder Staatsbankrott oder Spardiktat. Doch möglicherweise hat die EU ihre Eingriffsmöglichkeiten überzogen und bestehendes Recht verletzt, erklärt der Politikwissenschaftler Martin Höpner. Abgeordnete des EU-Parlaments haben gefordert, die Kompetenzen der Troika zu überprüfen. Zitator Die Vorgaben umfassen die gesamte Bandbreite wirtschafts- und sozialpolitischer Maßnahmen, egal ob es für diese in den europäischen Verträgen Unionskompetenzen gibt oder nicht. Zu den Vorgaben gehören beispielsweise eine Reform des Rentensystems, die Reduktion von Beschäftigung im öffentlichen Sektor, eine Senkung der Mindestlöhne, die Beschleunigung der Privatisierung der öffentlichen Grundversorgung, Einsparungen im Gesundheitssektor und bei Arzneimitteln sowie die Dezentralisierung des Lohnaushandlungssystems. Die Demokratie ist in Griechenland derzeit gewissermaßen suspendiert. Sprecherin: Das ruft auch rechtsgerichtete nationalistische Kräfte auf den Plan, die "Griechenland den Griechen" fordern. Die Stimmung ist explosiv. Als Klaus Masuch mit seinen Kollegen von IWF und EU-Kommission Anfang November 2013 seine Arbeit aufnimmt, kommt es zu massiven Protesten. O-Ton: Lehrer, Krankenhausärzte, Rathausangestellte, Hafenarbeiter, tausende von ihnen streiken seit heute früh. `Die Entlassungen müssen auf dem Papier bleiben, dürfen nicht umgesetzt werden`, rufen die Demonstranten in Athen. Die Wut der Streikenden richtet sich nicht nur gegen die griechische Regierung, sondern vor allem gegen die Troika, deren Kontrolleure seit gestern in Athen sind. Sie überprüfen inwieweit sich Griechenland an die Sparauflagen hält. Sprecherin: Klaus Masuch steht in der Troika als Deutscher besonders unter Beschuss. Auch wenn er nicht dem verzerrten Bild eines allmächtigen Kontrolleurs entspricht und als Beamter der EZB zu seinen Einsatzorten nicht in der teuren Business Class, sondern der billigeren Economy Class reist, er hat den Auftrag, die Beschlüsse der Euro-Gruppe durchzusetzen. O-Ton: Die politischen Entscheidungen müssen in der Euro-Gruppe fallen. Meine Aufgabe, unsere Aufgabe, meiner Kollegen und mir, ist, diese möglichst gut vorzubereiten, mit seriösen Analysen und seriösen Grundlagen. Und daran halte ich mich. Und deswegen glaube ich auch, dass letztlich die Arbeit, die wir machen, zum Wohle der Menschen in diesen Ländern ist und vor allem zum Vorteil Europas. Sprecher: Dass die Sparvorgaben in Europa "zum Wohle der Menschen in allen Ländern" sind, daran gibt es Zweifel. Die Nordländer rechnen auf, dass sie für die Südländer zahlen müssen und die Südländer fühlen sich in ein zu enges Sparkorsett aus Brüssel und Frankfurt gezwängt. Atmo: Markt in der Kaiserstraße Sprecherin: Donnerstags ist auf der Frankfurter Kaiserstraße Markt. Zur Mittagszeit stehen auch Angestellte aus den umliegenden Banken am Bratwurststand Schlange . Man erkennt sie an dem besseren Zwirn und den blank geputzten Schuhen. Zur Euro-Rettung mag niemand so recht etwas sagen, bis sich schließlich doch jemand findet. Seinen Namen will er nicht sagen. O-Ton: Um das Problem zu lösen muss man entweder die Kompetenzen nach Brüssel verlagern. Wenn die Menschen das nicht möchten, soll man den anderen Weg gehen und das wieder in Richtung nationaler Parlamente führen und dann das Stück für Stück auflösen. Man muss sich jetzt für einen Weg entscheiden und dementsprechend handeln. Ich glaube, im gesamten ist mir das Konstrukt zu groß, die EU ist zu unflexibel und die Entscheidungsfindung dauert zu lange, wenn 27 Länder beschließen müssen. Zitator Die Politik der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und der Eindämmung der Staatsverschuldung soll (…) den Finanzmärkten Gewissheit verschaffen, dass im Zweifelsfall ihre Ansprüche gegenüber denen der Bürger mit Vorrang bedient werden und werden können. Ein strukturell gesunder Staatshaushalt ist aus Sicht der "Märkte" einer, der hierfür genug Reserven und institutionelle Flexibilität aufweist… O-Ton: Wolfgang Streeck Es scheint einen Imperativ zu geben: Die Forderungen des Finanzsektors an die Staaten müssen absoluten Vorrang haben vor den Forderungen der Bürger an die Staaten. Sprecher: Wolfgang Streeck, Direktor des Max- Planck- Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, beschäftigt sich mit den mit den Auswirkungen der Krise auf das langfristige Verhältnis von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. O-Ton: Wolfgang Streeck Sie müssen sich das Kollaps einer aufgebauten Versprechenspyramide vorstellen, die zusammenbricht. Und das kann sich jederzeit wiederholen. Sprecher: Streeck der diese These auch in seinem neuen Buch „Gekaufte Zeit - Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ vertritt, stellt eine Verbindung von den Lohnkämpfen in den 70er Jahre zu der gegenwärtigen Situation her. In den 80er Jahren nahm der Staat Schulden auf, um die soziale Absicherung zu finanzieren und die Unternehmen nicht mit höheren Steuern zu belasten. In den 90er Jahren folgte die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die vor allem von der EU vorangetrieben wurde. Damit hat der Staat seine Rücklagen verloren. Heute, mit dem Abbau der Schulden, dem Spardiktat für die Bürger, hält er den Finanzmärkten den Rücken frei, lautet eine seiner Thesen. Zitator Heute kann die Einführung des Euro als Beispiel dafür gelten, wie eine Gesellschaft – in diesem Fall die hoch heterogene, transnationale Gesellschaft des Eurolandes (…) in eine Marktgesellschaft nach Maßgabe der Blaupausen der Standardökonomie umgebaut werden soll, ohne Rücksicht auf ihre vielfältigen Strukturen, Institutionen und Traditionen. O-Ton: Wolfgang Streeck Als Griechenland in die Europäische Währungsunion eintrat, 2001, haben die in demselben Jahr den Spitzensatz Ihrer Unternehmenssteuern von 40 auf 20 Prozent runtergesetzt. Und haben das, was ihnen da an Steuereinnahmen entgangen ist – man kann auch sagen: wo sie verzichtet haben auf Steuereinnahmen – aus diesen billigen Krediten ausgeglichen, die ihnen die Herrschaften von Goldman-Sachs frei ins Haus geliefert haben. Da wurden dann Steuern abgebaut und dafür das Land verschuldet, und heute besteht die Erwartung, dass die Rentner in Griechenland sich ihre Renten kürzen lassen, damit die Halbierung der Spitzensätze der Unternehmenssteuer nachträglich finanziert werden kann, indem die dafür aufgenommenen Schulden sozusagen jetzt von den kleinen Leuten beglichen werden müssen. Das ist alles ein kompletter Irrsinn, und ich glaube, mittlerweile wird das auch den Leuten immer klarer. Sprecherin: Im Herbst 2011 war ausgehend von New York innerhalb weniger Monate eine Bewegung entstanden, die das kapitalistische System in Frage stellte. Vor der EZB In Frankfurt bauten Aktivisten ein Protestcamp auf. Direkt nebenan, am Frankfurter Schauspielhaus, stand die Tragödie "Faust II" von Johann Wolfgang von Goethe auf dem Spielplan O-Ton:: Des Volkes Heil, mit wenig Federzügen.“ Du zogst sie rein, dann wards in dieser Nacht Durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht, Damit die Wohltat allen gleich gedeihe, So stempelten wir gleich die ganze Reihe, Zehn, Dreißig, Fünfzig, Hundert sind parat. Ihr denkt es nicht, wie wohl’s dem Volke tat. Sprecherin: Für Oliver Reese ein hochaktuelles klassisches Stück, das den Kern der gegenwärtige Krise zeige, die Ausweglosigkeit einer auf Wachstum orientierten Gesellschaft. O-Ton: Dieser 2. Faust, der schreibt uns ein Menetekel an die Wand und dieses Menetekel ist: Ewiges Wachstum, unendliche Beschleunigung und Machtwillen, der die Liebe und die Menschlichkeit und die Kultur nieder planiert. Das hat er auf geniale Weise in diesem Faust versinnbildlicht, der am Ende erblindet, uralt, meint dass endlich seine neuen Reiche gebaut werden. Seine Deiche gebaut werden, neues Land gewonnen wird. Das was wir auch meinen immer tun zu können, Landgewinnung, das wir meinen uns untertan machen zu können. aber in Wirklichkeit wird sein Grab geschaufelt.. Und dieser tragische Moment ist der Moment, den Goethe uns zum Erkennen gegeben hat. Sprecherin: Im Jahr 2013 sind diese existentiellen Fragen nicht weniger aktuell, aber sie stehen nicht mehr im Zentrum der öffentlichen Debatte. Atmo: Lärmdemo Alte Oper Sprecherin: Die Aktivisten von Blockupy, einem Nachfolger der Occupy-Bewegung, stehen mit ihrem öffentlichen Protest gegen die Finanzwirtschaft ziemlich alleine da. Nur knapp 100 Leuten haben sich vor der Alten Oper in Frankfurt versammelt, wo zum Abschluss der jährlichen Euro-Finance-Week die Mächtigen aus Wirtschaft und Politik zusammenkommen. Atmo: Lärmdemo Alte Oper Sprecherin: In Frankfurt haben die Aktivisten mit EZB und Banken noch sichtbare Gegner für symbolische Aktionen. Nadine Henkel ist gekommen, um , wie sie sagt, ein Zeichen zu setzen. Sie kann sich nicht vorstellen, dass mit noch so viel Milliarden die Krise zu lösen ist. O-Ton: Ich glaube nicht daran, dass hier etwas gerettet wird, sondern immer neu wieder Löcher an einer anderen Stelle auftreten. Sprecherin Emma Aviles ist aus Spanien gekommen, um an einer Konferenz der Blockupy Aktivisten teilzunehmen. Sie arbeitet in Barcelona in einer Stadtteilinitiative, die hilft, die größte Not zu lindern von Menschen, die in der Krise plötzlich Wohnung und Arbeit verlieren und nicht weiter wissen. O-Ton: There is a very strong citizen backup because it’s obvious that there is corruption between bankers, constructors, politicians that has taken us where we are. It’s not the people’s fault and we are getting action to solve the problem by ourselves, because we can’t rely on politicians anymore. Übersetzerin Wir haben großen Rückhalt in der Bevölkerung, weil es inzwischen klar ist, dass die Korruption zwischen Bankern, Baufirmen und Politikern uns in diese Situation gebracht haben. Das liegt nicht an uns! Wir fangen jetzt an die Probleme selbst in die Hand zu nehmen, weil wir den Politikern nicht vertrauen können. Sprecherin: Die Krise hat bei Emma Aviles in Barcelona ein anderes Gesicht. Für sie ist klar, dass die Unterschiede innerhalb der Eurozone nicht mit einem Spardiktat von EZB und EU angeglichen werden können. Mit ein paar Milliarden mehr ist dieses Problem nicht zu lösen. Und Oliver Reese vom Schauspielhaus Frankfurt überlegt, ob sich das Wort "Euro-Rettung" eigentlich nicht selbst widerlegt. O-Ton: Keine Ahnung, ob der Euro wirklich gerettet werden muss. Bislang hatte ich das Gefühl, der Euro, das ist mein Zahlungsmittel. Aber je öfter von der Euro-Rettung die Rede ist, man meint das ja positiv, desto negativer schallt es zurück! Denn etwas was gerettet werden muss, das scheint ja unmittelbar am Ertrinken zu sein! Von daher schlägt es sich selber ins Kreuz. Es will Sicherheit geben und gibt Zweifel! MUSIK: Sprecherin vom Dienst: Krisenzentrum Frankfurt Bilanz von einem Jahr Euro-Rettung Von Agnes Handwerk Es sprachen: Nadja Schulz-Berlinghoff, Mirko Böttcher und Oliver Brod. Ton: Andreas Krause Regie: Karena Lütge Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 Nächste Woche in den Zeitfragen: Der lange Abschied vom großen Ganzen – Zehn Jahre WEB 2.0. Sie können die Sendung nachhören und nachlesen unter: www.deutschlandradio.de 1