Manuskript Kultur und Gesellschaft Reihe : Forschung und Gesellschaft Titel : Das Geheimnis der litauischen Mumien Anthropologen erforschen mit modernen Methoden konservierte Körper Autor : Michael Stang Redakteurin : Jana Wuttke Sendung : 01.08.2013 / 19:30 Uhr Regie : Karena Lütge Besetzung : Marina Behnke, Oliver Brod, Gerd Grasse, Markus Hofmann, Thomas Hollaender Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Regie: Atmo läuft komplett durch: Schritte, Orgel setzt ein, Getuschel Sprecherin: Die Heilig-Geist-Kirche im historischen Zentrum der litauischen Hauptstadt Vilnius. Ein Holztor vor einem gewölbten Gang führt in das Innere des römisch-katholischen Gotteshauses. Es öffnet sich an diesem Tag nicht nur für Gläubige oder Touristen, die wegen des üppigen Rokokodekors kommen, sondern auch für Menschen, die man hier nicht unbedingt erwartet hätte: den italienischen Mumienexperten Dario Piombino-Mascali. Der Küster mahnt den Forscher zur Eile, der Gottesdienst beginne gleich. Die beiden gehen zum rechten Seitenschiff. Ihr Ziel ist ein Seitenaltar. Dort befindet sich der Eingang zur Krypta. Regie: Abdeckung wird weg geschoben Sprecherin: Zusammen schieben die beiden Männer eine große Bodenplatte aus Holz beiseite. Eine dunkle Öffnung zeigt sich. Eine Treppe führt nach unten in die Grabkammer. Der Forscher folgt dem Küster in die Tiefen der Kirche. Regie: Atmo Schritte in den Keller, Orgel immer weiter weg, dann Stille. O-Ton 1 (Piombino-Mascali): That’s the crypt and this is where the bodies lay. Sprecherin: Die Grabkammern der Kirche, an die von 1501 bis 1844 ein Dominikanerkloster angeschlossen war, existieren seit Ende des 14. Jahrhunderts. Über Jahrhunderte hinweg wurden hier die Toten beerdigt. Dario Piombino-Mascali steht inmitten des ersten Gewölbekellers, der nur spärlich beleuchtet ist und deutet auf einige Gegenstände. O-Ton 2 (Piombino-Mascali): And, as we can see, there are many artefacts like coffins or crosses and textiles and other materials. Sprecherin: Überall stehen kreuz und quer leere Särge an der Wand, es ist sehr staubig. Man erkennt einige Sargdeckel, Kisten mit Stofffetzen, zudem viele alte Kreuze. Dario Piombino-Mascali lächelt, er ist fasziniert von der Krypta, die so viele Geheimnisse birgt. Der italienische Forscher verbringt einen Großteil seiner Arbeitszeit in solchen Umgebungen, er ist Ehrenkonservator der sizilianischen Kapuzinermumien in Palermo. Extra für das litauische Mumienprojekt ist er nach Vilnius gekommen, um die Mumien der Heilig-Geist-Kirche zu untersuchen. O-Ton 3 (Piombino-Mascali): It’s like a labyrinth... Regie: Atmo Krypta aus, geht für den Übergang in Verkehrslärm/ Straßenatmo über Sprecher: Nicht weit von der Kirche entfernt wartet einer der Initiatoren des litauischen Mumienprojekts: Daumantas Liekis, der Kurator der Krypta. O-Ton 4 (Liekis): And the crypt is huge. There is a passage […] Die Krypta ist riesig. Es gibt dort auch einen Durchgang zum Kloster nebenan, aber der ist zugemauert. Die Krypta besteht aus insgesamt elf Kammern. Man kann sich schnell verlaufen, wenn man zum ersten Mal dort unten ist. […] you can get lost if you enter it for the first time. Sprecher: 2011 startete das litauische Mumienprojekt. Damals habe er noch keine Ahnung gehabt, dass er wenig später Kurator der Krypta sein würde, im Prinzip sei es reiner Zufall gewesen, so der junge Litauer. Ursprünglich wollte er nur in das kirchliche Kellergewölbe, weil er für sein Biologiestudium als angehender Entomologe auf der Suche nach Insekten war, die ausschließlich in Kellern und Kanalisationen leben. Dazu hatte er Kontakt zum Küster der Heilig-Geist-Kirche aufgenommen und bat um Zugang zur Krypta. Daumantas Liekis war auf der Suche nach Dermestes lardarius, dem gemeinen Speckkäfer. O-Ton 5 (Liekis): First I went to the source of Vilnius […] Nachdem ich verschiedene Orte in Vilnius abgesucht hatte, wollte ich dort in der Heilig-Geist-Kirche nach diesen Insekten suchen, auch nach anderen Wirbellosen. Es gibt ja so einige Tiere, die sich von den sterblichen Überresten ernähren. […] feed on mummified remains of human bodies. Sprecher: In der Krypta stieß Daumantas Liekis auch recht schnell auf einige Organismen für seine Sammlung. Obwohl die Grabkammern seit jeher staubtrocken gewesen sind, wurden viele Insekten vom Geruch der Toten angezogen und haben den Weg in die Gewölbe gefunden. O-Ton 6 (Liekis): And I found several of beetles, but those […] Ja, ich habe einige Käfer gefunden, aber das waren verständlicherweise nicht die wichtigsten Funde, die ich dort im Untergrund gemacht habe. Nachdem ich die tausende Knochen dort unten entdeckt habe, habe ich mit einem Priester der Kirche gesprochen und so startete das Projekt. Wir haben entschieden, all die Gebeine zu sammeln und zu überlegen, wie wir verfahren, vor allem hinsichtlich der 23 Mumien. […] we have now, 23 mummies. Sprecher: So begann seine Karriere als Kurator der Krypta. Nach den ersten Vorbereitungen konnten sie auch direkt loslegen. O-Ton 7(Liekis): When we started the project in the Crypt […] Zu Beginn des Projekts haben wir dann die ganzen Knochen in der Krypta eingesammelt, das waren weit mehr als tausend, manchmal waren das einzelne Knochen, manche waren noch im anatomischen Verbund, einige Körperteile waren mumifiziert. Es war sehr staubig und wir haben mehrere Wochenenden gebraucht. Das war keine schöne Arbeit. Langsam aber habe ich mich an diese Umgebung gewöhnt und mittlerweile fühle ich mich in der Krypta ganz wohl. […] now I feel pretty comfortable in the crypt (lacht)…yeah. Sprecher: Es war mitunter ein heilloses Durcheinander, so Daumantas Liekis. Wie viele Tote dort unten liegen, wisse er nicht. Die Gebeine von rund 700 Individuen seien es mindestens, vermutlich sei die Zahl aber größer. Einige Kirchenhistoriker gehen davon aus, dass rund 2.000 Menschen dort zu Grabe getragen wurden. O-Ton 8 (Liekis): Actually all the bones we collected in the crypt, […] Mittlerweile haben wir alle Knochen zusammengetragen. Wir hatten die Anweisung vom Kulturdezernat der Stadt, dass wir alle losen Knochen dort in der Krypta in einer Grabkammer bestatten und diese anschließend verschließen sollten. Die vollständigen Mumien befinden sich weiterhin zugänglich in der Krypta […] the mummies that are good are left in the crypt. Sprecher: Bei den Aufräumarbeiten stellte sich auch schnell die Frage, was mit den Mumien geschehen sollte. Wie einzigartig ist ihre Erhaltung? Welche Geheimnisse bewahren diese Körper? Um diesen wissenschaftlichen Wert der im Baltikum einzigartigen Mumien zu untersuchen, kontaktierte der Kurator den italienischen Mumienforscher Dario Piombino-Mascali, über dessen Arbeit in Palermo er kurz vorher eine Fernsehdokumentation gesehen hatte. Regie: Atmo Krypta – Schritte Sprecherin: Zurück in der Krypta. Der Küster führt Dario Piombino-Mascali in einen unbeleuchteten Raum. Die einzige Taschenlampe, die der Kirchendiener zuvor in der Sakristei gefunden hatte, spendet nur wenig Licht, für den Notfall hat er noch zwei Kerzen mitgenommen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden bei jeder neuen Bestattung anscheinend die alten Knochen einfach nur beiseite geschoben. Sprecherin: Auf einem alten Regal liegt ein Schädel ohne Schneidezähne, auch der Unterkiefer fehlt, daneben ein massiver Oberarmknochen eines Mannes. All diese Einzelknochen sollen später auch noch beerdigt werden. Sobald man nur ein paar Schritte gehe, stoße man die ganze Zeit auf weitere Knochen, so Dario Piombino-Mascali. O-Ton 11 (Piombino-Mascali): We have 23 entire bodies and some body parts. Sprecherin: Insgesamt gebe es 23 vollständige Mumien und einige weitere mumifizierte Körperteile. Das Forscherteam um Dario Piombino-Mascali wollte diese Körper genauer untersuchen. Wer waren diese Menschen und warum haben sich ihre Körper derart gut erhalten? O-Ton 12 (Piombino-Mascali): We could do a reasonable sampling […] Von den Mumien, die beschädigt waren, haben wir auch Gewebeproben entnommen, die meisten von ihnen waren nicht mehr vollständig. Insgesamt sind sieben Körper vollkommen unversehrt und erstaunlich gut erhalten. Bei diesen haben wir keine Proben genommen, die CT-Aufnahmen werden uns unsere Fragen schon beantworten. […] to tell us more about their features. Sprecherin: Die Gewebeproben werden in erster Linie mikroskopisch untersucht. Dabei lässt sich unter anderem nachprüfen, ob die Menschen zu Lebzeiten gesund waren, Mangelerscheinungen aufwiesen oder sonstige ungewöhnliche Merkmale zeigten. Die Forscher überführten die Mumien aus der Krypta in die Universität zur ersten anatomischen Untersuchung. Die sieben vollständig erhaltenen Körper kamen anschließend ins Krankenhaus, um von ihnen dort nach Dienstschluss Röntgen- und Computertomographieaufnahmen zu machen. Regie: Atmo Krypta aus, geht in Schritte in Uni über, eine Tür quietscht Sprecher: Die wissenschaftliche Zentrale des litauischen Mumienprojekts befindet sich an der Universität von Vilnius und zwar in der Abteilung für Anatomie, Histologie und Anthropologie. O-Ton 13 (Jankauskas): So, I knew about these mummies from my childhood. Sprecher: Er kenne diese Mumien schon seit seiner Kindheit, sagt Rimantas Jankauskas. Der litauische Professor für Anatomie und Anthropologie habe sich als kleiner Junge vor den schaurigen Geschichten gefürchtet, die man sich in Vilnius seit jeher erzählt. O-Ton 14 (Jankauskas): These mummies are rather special; […] Diese Mumien sind etwas ganz Besonderes, denn es ranken sich viele Legenden um sie. Die meisten handeln davon, dass die Toten aus dem 18. Jahrhundert stammen und an der Pest gestorben sind, darunter sollen sich auch Soldaten von Napoleon befinden, die hier im Krankenhaus gestorben und dann im Kloster oder in der Krypta beigesetzt wurden. Aber das waren bislang alles nur Legenden. Und unsere Massenmedien haben ihren Teil dazu beigetragen, dabei hatte bislang nie eine wissenschaftliche Untersuchung stattgefunden. […] mass media and not a decent investigation of them was performed. Sprecher: Dies will er nun ändern. Bereits vor zehn Jahren hatte er von offizieller Seite den Auftrag erhalten zu untersuchen, ob von den Mumien noch eine Ansteckungsgefahr ausgeht. Denn vom Pesterreger ist bekannt, dass er nicht nur durch Wirtstiere wie Flöhe übertragen werden kann, sondern auch durch eine Tröpfcheninfektion. Daher sollte Rimantas Jankauskas sicherstellen, dass der Kontakt mit den Mumien nicht zu einem Pestausbruch in Vilnius führen kann. Der Professor konnte jedoch Entwarnung geben. Dennoch sollte es noch einige Jahre dauern, bevor die Regierung, die Wissenschaft und schließlich die Kirche übereingekommen waren, diese Mumien in einem Projekt zu untersuchen. O-Ton 15 (Jankauskas): Well, these mummies are anonymous […] Nun, diese Mumien sind anonym, wir kennen die Namen der Toten nicht. Leider sind alle historischen Aufzeichnungen verschwunden, zudem wurden alle Mumien mehrfach umgebettet. […] mummies are moved from one place to another. Sprecher: Lediglich das Alter der Mumien sei grob bekannt. Die ältesten stammen aus dem 18., die jüngsten aus dem 19. Jahrhundert. Über das individuelle Schicksal einer jeden Mumie lasse sich hingegen vieles herausbekommen. O-Ton 16 (Jankauskas): Well, these are high social status. […] Das waren alle sozial hochgestellte Persönlichkeiten, solche Begräbnisse waren Ende des 18. Jahrhunderts nicht unüblich […] up to the very end of 18th century. Sprecher: Beim litauischen Mumienprojekt stand für Anatomieprofessor Rimantas Jankauskas daher als erstes eine vollständige anthropologische Untersuchung der 23 Leichname auf der Agenda: neben dem Alter, dem Geschlecht und dem Zahnstatus wurden auch die Körperlängen, Haut- und Haarfarben untersucht und der jeweilige Erhaltungszustand dokumentiert. Ebenfalls suchten die Forscher nach Besonderheiten, etwa nach Abnutzungsspuren der Zähne, Narben, verheilten Knochenbrüchen, Tumoren, Spuren von Mangelernährung und so weiter. Die erste Analyse ergab ein vorläufiges Gesamtbild der Litauer des 18. Jahrhunderts, aber nur der Bürger der obersten sozialen Schicht von Vilnius. Denn nur Wohlhabende konnten sich eine Bestattung in der Krypta leisten. Auch die Kleidung der Toten und die Verzierung und Ausstattung einiger Särge zeigten, dass nur hochwertige und teure Materialien verwendet wurden. Die meisten der Toten waren auch wohlgenährt, Zeichen von Übergewicht konnten die Forscher bei mehreren Individuen feststellen – für damalige Verhältnisse ein eindeutiger Hinweis auf einen gewissen Wohlstand. O-Ton 17 (Jankauskas): So that we already have one detailed […] Eine der gründlichsten Untersuchungen haben wir bei einer Kindermumie vorgenommen, die einige krankhafte Veränderungen zeigt. Zum einen litt dieses Kind zu Lebzeiten an Rachitis, das konnten wir durch Röntgenaufnahmen belegen, und dann hatte es vermutlich einen Wasserkopf, zudem hatte es eine Meningitis überlebt. Dass ein Kind aus reichem Hause im 18. Jahrhundert in Vilnius an Rachitis litt, war damals nichts Ungewöhnliches. [...] social status could suffer from rickets in 18th century in Vilnius. Sprecher: Sozial hochgestellte Kinder durften kaum im Freien spielen, nur arme Kinder waren sonnengebräunt. Der Mangel an Sonnenlicht führte zu einem gestörten Knochenwachstum. Auch wenn der Professor zusammen mit Dario Piombino-Mascali die Mumien bis ins Detail untersucht hat, hätten sie sich streng an die selbst auferlegten ethischen Vorgaben gehalten. O-Ton 18 (Jankauskas): We will do no harm for these bodies, […] Wir werden diese Mumien nicht beschädigen, ihnen gebührt unser ganzer Respekt. Unsere Untersuchungsmethoden sind nicht invasiv, wir obduzieren die Körper auch nicht und nach den Untersuchungen kommen sie wieder unversehrt in die Krypta. Somit können wir die Bedenken der Öffentlichkeit zerstreuen und auch die Zusammenarbeit mit den Kirchenoffiziellen war sehr positiv. […] to say very collaborated in these investigations. Sprecher: Letztendlich sei er noch immer fasziniert davon, dass sich die Mythen über diese Mumien jetzt in wissenschaftlichem Wohlgefallen auflösen. Regie: Atmo Krypta, Schritte etc. O-Ton 19 (Piombino-Mascali): And now we are in the area of the […] Jetzt befinden wir uns genau an der Stelle der Krypta, wo die ganzen Mumien aufbewahrt werden. Jeder Leichnam hat eine Nummer bekommen, damit wir ihn schnell bei zukünftigen Studien identifizieren können. […] we can recognize who is who for future studies. Sprecherin: Auf einer Fläche von rund acht mal sechs Metern liegen nebeneinander in drei Reihen 23 weiße Plastiksäcke. Dario Piombino-Mascali sucht nach einer bestimmten Mumie. Nach einem kurzen Abgleich mit den Zahlen hat er sie gefunden. Der italienische Forscher kniet sich hin. O-Ton 20 (Piombino-Mascali): For example, this one … it’s open… you can actually see that there is someone inside, it’s a big difficult... Sprecherin: Man könne gut erkennen, dass jemand in dem Plastiksack liege, so Dario Piombino-Mascali. Er versucht den Reißverschluss zu öffnen. O-Ton 21 (Piombino-Mascali): (Reißverschluss) This is one of the […] Hier, das ist einer der interessanten Fälle….Wie man hier sehen kann … es handelt sich um eine Frau, die einen unglaublich großen Bauch hat…wir haben sie auch im CT gescannt …die Mumie ist wirklich unglaublich gut erhalten ….Auf den Bildern konnten wir alles deutlich sehen. Wir wissen leider nicht, warum der Bauch so geschwollen war. Schwanger war sie nicht, denn wir haben keinen Embryo erkennen können … Jetzt versuchen wir herauszufinden, ob es sich vielleicht um eine krankhafte Veränderung handelt oder nicht. […] to guess whether it was a pathological condition or not. Sprecherin: Der Bauch ist zusammengefallen, aber man erkennt noch deutlich die großen Hautfalten. Die Haut ist dunkelbraun, fast wie Leder. Das Gesicht der Frau trägt sanfte Züge, es wirkt, als schlafe sie. Dario Piombino-Mascali ist fasziniert, wie gut dieser Körper erhalten ist. O-Ton 22 (Piombino-Mascali): Yeah, it’s astonishingly well preserved. Sprecherin: Er zieht den Reißverschluss wieder zu und steht auf. Drei Körper weiter liegt die Kindermumie, an der er zusammen mit Rimantas Jankauskas und den anderen Kollegen die Rachitis hat nachweisen können. O-Ton 23 (Piombino-Mascali): So we’ve been recording all […] Wir haben jetzt also all die krankhaften Veränderungen untersucht und aufgenommen, zudem haben wir ja von sieben Körpern auch noch Bildaufnahmen. Und demnächst können wir noch einige mikroskopische Untersuchungen machen. […] the microscopic analyses to the findings that will gain. Sprecherin: Zwar hätten sie die Datenerhebung im Prinzip abgeschlossen, die Analysen dauerten aber noch an. Denn viele radiologische Auswertungen sind zeitintensiv, die Dokumentation eines jeden einzelnen Bildes ist aufwändig, zudem werden einige Gewebeproben für mikroskopische Analysen aufbereitet. Die Arbeitsgruppe ist klein und daher ist die Arbeit noch lange nicht beendet. Zwar planen sie vorerst nicht mehr, die Mumien ein weiteres Mal aus der Krypta zu holen, denn allein die Auswertung aller bisheriger Daten wird noch rund zwei Jahre dauern. Der italienische Mumienexperte zeigt auf die Toten. O-Ton 24 (Piombino-Mascali): These are plastic bags used […] Noch befinden sich die Mumien alle in weißen Plastiksäcken, so wie sie in der Rechtsmedizin üblich sind. Damit verhindern wir, dass die Körper Schaden nehmen, etwa durch Insekten oder Nagetiere. Sie verbleiben erst einmal so bis auf weiteres, zumindest so lange, bis wir eine Lösung gefunden haben, wo und wie sie in der Krypta aufgebahrt werden können. […] environment until we find the right way to preserve them. Regie: Atmo Krypta aus, geht kurz in Straßenatmo über Sprecher: Kurator Daumantas Liekis ist mit dem Fortgang des Projekts zufrieden. Die wissenschaftlichen Daten sind erhoben und die Mumien befinden sich wieder alle unversehrt in der Krypta. Ziel ist nun der Bau eines Museums in der Krypta. Die Öffentlichkeit soll die Geschichte ihrer Stadt erfahren können und sehen, wie die Mumien von Vilnius aufbewahrt werden. O-Ton 25 (Liekis): Actually we have a lot of coffins and […] Wir haben noch sehr viele Särge und anderes Material in der Krypta belassen, das wir dann später bei der Ausstellung auch der Öffentlichkeit zeigen wollen. […] to put them into exposition, so people could see them. Sprecher: Die Planung des Museums ist noch nicht ganz ausgereift, aber Daumantas Liekis ist optimistisch, dass das litauische Mumienprojekt bald vorankommen wird. Erste Strukturen wurden geschaffen. O-Ton 26 (Liekis): We have this public institution and the […] Es gibt diese Interessensvertretung und auch die Kirche möchte sich finanziell an dem Projekt beteiligen, von der Regierungen soll auch ein Teil der Finanzierung kommen, ebenso von der Gemeinde hier in Vilnius. […] this project and also the municipality of Vilnius. Regie: Atmo Krypta Sprecherin: Dario Piombino-Mascali ist auch zufrieden. Der italienische Mumienexperte konnte seine litauischen Kollegen davon überzeugen, dass sie die Mumien detailliert und mithilfe moderner Methoden untersuchen. Jetzt soll die Krypta umgeräumt und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dann können sie den Besuchern die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Analysen an Schautafeln erklären. Große Umbaumaßnahmen brauche es aber nicht, auch wenn hier noch alles etwas durcheinander liege. Auch die Mumien selbst bedürfen keiner großen Behandlung. O-Ton 27 (Piombino-Mascali): I would think of just disinfect them […] Ich denke, es genügt, wenn wir die Mumien lediglich desinfizieren und dann einfach hier in der Krypta ablegen können, ohne Vitrinen und dergleichen. Zum einen wäre das viel zu teuer, zum anderen brauchen wir das ja auch nicht. Die Räumlichkeiten haben ja keinen negativen Einfluss auf die Mumien. Außerdem hätten Vitrinen ja auch keinen großen Nutzen. Die Umgebung ist einfach ideal für die Erhaltung der Körper. […] is ideal for the preservation of these bodies. Sprecherin: Denn schließlich hätten die Mumien in den vergangenen Jahrhunderten in ihren Särgen auch kaum Schaden genommen. O-Ton 28 (Piombino-Mascali): And we try to keep it as it is. As […] Deshalb wollen wir hier nicht viel verändern. Es ist ja sehr kühl und extrem trocken hier, es gibt praktisch keine Feuchtigkeit. Wir müssen nur eine Lösung finden, wo und wie wir die Mumien aufbewahren und beleuchten können, ohne dass die Körper davon beeinträchtigt werden. […] cold one, so that they don’t get affected. . Sprecherin: Wann die Krypta ein öffentlich zugängliches Museum wird, ist also noch nicht absehbar, so der italienische Mumienforscher. Wichtig sei für ihn, dass Litauens Hauptstadt Vilnius erkannt hat, welches besondere Erbe unter der Heilig-Geist-Kirche aufgebahrt liegt. Regie: Schritte, alle gehen die Treppe hoch. Sprecherin: Der Küster drängt auf ein Ende des Rundgangs. Noch haben nur ausgewählte Besucher Zugang zur Krypta, aber schon in absehbarer Zeit sollen die Mumien für alle öffentlich zugänglich sein. Regie: Man hört wieder die Orgel, der Deckel wird wieder über den Einstieg geschoben. Sprecherin: Dario Piombino-Mascali bedankt und verabschiedet sich bei dem Küster. Er will noch zur Universität gehen. Regie: Kirchenatmo langsam aus Sprecher: Das litauische Mumienprojekt beschränkt sich aber nicht nur auf Körper aus der Krypta. Da in Litauen die Anthropologie zentralisiert ist, laufen alle wichtigen Forschungsanfragen über die Hauptstadt. Anthropologieprofessor Rimantas Jankauskas entscheidet dann, was wann und wie untersucht wird. Im Zuge der Mumienuntersuchungen gab es auch Anfragen, ob sie bei den CT-Untersuchungen im Krankenhaus nicht noch weitere Mumien untersuchen könnten. Sprecherin: 1924 brachte die erste litauische Ägyptologin Marija Rudzinskaite von einer Forschungsreise durch das Land der Pyramiden einen einbalsamierten Leichnam mit. Dieser wurde als die „Ägyptische Mumie von Kaunas“ in ganz Litauen und über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Rimantas Jankauskas kann verstehen, warum das Alte Ägypten damals wie heute die Menschen so begeistert. O-Ton 30 (Jankauskas): Of course, Egypt is a magic country […] Natürlich ist Ägypten ein magisches Land und damals wollte jeder etwas über die Alten Ägypter und ihre Mumien erfahren. So kamen auch Mumien unter anderem in unser Nationalmuseum nach Litauen. Und wir wollen jetzt mehr über dieses Mitbringsel herausfinden. […] to find out in which was how to say they arrived here. Sprecherin: Dieses „Mitbringsel“ war kein Einzelfall, so Rimantas Jankauskas. Der Professor berichtet enthusiastisch von dem Mumienprojekt, welches Stück für Stück größer wurde. O-Ton 31 (Jankauskas): It seems that these mummies from […] Es sieht so aus, also ob die Mumien aus unserm Nationalmuseum in Vilnius nur untersucht werden konnten, weil das Projekt schon so groß geworden war. Anfangs hatten wir ja nur geplant, die Mumien aus der Kirche zu untersuchen, dann kam die Museumsmumie aus Kaunas noch hinzu. Und plötzlich sagten die Restauratoren, dass wir doch ruhig alle Mumien untersuchen könnten, zumal es ja tolle Ergebnisse gab. Und so haben wir überlegt, dass wir ja auch die Mumien aus dem Nationalmuseum in Vilnius gleich mit untersuchen könnten. […] with mummies that are in the Vilnius National Museum. Sprecherin: So haben Rimantas Jankauskas und seine Kollegen insgesamt fünf ägyptische Mumien, die sich in Litauen befinden, untersucht. O-Ton 32 (Jankauskas): Into Vilnius before the first world […] Die Mumien sind schon vor dem ersten Weltkrieg nach Vilnius gekommen. Eine Mumie etwa war ein Geschenk eines deutschen Fürsten, der sie in den 1890er Jahren dem Historischen Museum in Vilnius vermacht hat. Die anderen sind vermutlich auf ähnlichem Weg in unser Land gekommen. Bei diesen Mumien handelt es sich um zwei Erwachsene, die im Sarkophag liegen. Die eine Mumie befindet sich in der Ausstellung des National Museums, die andere liegt im Depot, und die beiden Kindermumien befinden sich ebenfalls im Depot. […] two children mummies are in the depositary. Sprecherin: Um diese ägyptischen Mumien zu untersuchen, haben die Forscher die einbalsamierten Leichname im Krankenhaus der Hauptstadt mit einem Computer-Tomographen durchleuchtet und zusätzlich geröntgt. O-Ton 33 (Jankauskas): For these adults we don’t know […] Bei solchen erwachsenen Mumien wissen wir ja nie, was sich im Inneren eines Sarkophags befindet, von daher sind Röntgen – und CT-Aufnahmen faszinierende Methoden, weil wir mithilfe der Bilder und 3D-Aufnahmen einfach ins Innere schauen können und plötzlich sehr interessante Dinge finden. […] reconstructions so suddenly you find very interesting things Sprecherin: Die Bilder der „Ägyptische Mumie von Kaunas“ zeigten Erstaunliches:. O-Ton 34 (Jankauskas): In the Kaunas mummy we found a glass […] In der Kaunasmumie im Leinen eingewickelt haben wir eine Glasflasche gefunden, die stammte aus dem 20. Jahrhundert und war einst mit Lavendelöl gefüllt. Das ganze war schon sehr mysteriös und dies sollte nicht das einzige Rätsel bleiben. […] so there are a lot of such mysteries. Sprecherin: Vermutlich sollte das Lavendelfläschchen für einen etwas besseren Geruch sorgen. Ob die erste litauische Ägyptologin Marija Rudzinskaite dafür verantwortlich war oder einer der ägyptischen Präparatoren oder Händler, das wissen sie nicht, so Rimantas Jankauskas. Als die Forscher sich die Bilder der Knochen ansahen, bemerkten sie einige Unstimmigkeiten, sagt Dario Piombino-Mascali, der sich hinzugesellt hat. Er zeigt auf Jankauskas‘ Computer die CT-Bilder. O-Ton 35 (Piombino-Mascali): One finger of the foot is missing. […] Ein Zeh fehlt. Der ist vermutlich beim Einbalsamieren verloren gegangen. Dann haben wir weit mehr als 24 Rippen gezählt. Vermutlich stammen einige Rippen von einem anderen Individuum, die einfach zu dieser Mumie hinzugepackt wurden. […] subject were casually recovered and put together with that mummy. Sprecherin: Bis zu 38 Rippen könnten sich in der Mumie befinden, genau zählen lasse sich dies nur mithilfe der Bilder leider nicht. Ungewöhnlich sei auch, dass der Körper bereits mumifiziert war, als er einbalsamiert wurde. Denn an dem Körper haftet viel Sand. Ohne große Sorgfalt muss dieser Leichnam in Leinen gehüllt worden sein. Von dem schlichten Sarkophag, in dem der Tote lag, fehlt der Deckel. Im Sarg befindet sich eine Inschrift, die den Toten als Sänger des Fruchtbarkeitsgottes Amun ausgibt. Damit stammt die Mumie aus der 21. Dynastie und ist rund 3.000 Jahre alt. Die Forscher bezweifeln jedoch, dass der Sarkophag und das Leinen aus derselben Zeit stammen. Die Zahl der Ungereimtheiten ist groß. Ist die Mumie möglicherweise eine Fälschung? O-Ton 36 (Piombino-Mascali): It’s difficult to say, […] Das ist schwer zu sagen. Klar ist, dass der Tote aus Ägypten stammt, das Leinen ist auch ein Original. Es deutet also alles darauf hin, dass es eine ägyptische Mumie ist. Ich zweifle jedoch an dem Alter der Mumie. Klar ist, dass der Tote lange nach seinem Ableben einbalsamiert wurde. Solche Manipulationen an den Toten kennen wir eigentlich erst aus der späteren Griechisch-Römischen Zeit, das können wir aber nur über neue Datierungen herausfinden. […] organic material would be dated to the Greek-roman period. Sprecherin: Für eine Datierung des Körpers müssten die Forscher die Mumie allerdings beschädigen. Das wollen sie aus ethischen Gründen nicht. Daher wollen sie auch die anderen vier ägyptischen Mumien nicht datieren, sagt Dario Piombino-Mascali. Überraschungen gab es auch dort. O-Ton 37 (Piombino-Mascali): The other Egypt mummies […] Die anderen Mumien studieren wir gerade noch. Das sind einmal zwei Erwachsene, die auch im Sarkophag liegen. Spannender sind aber die beiden anderen Mumien – und zwar von Kindern. Das sind ganz klare Fälschungen. Denn beim Röntgen haben wir gesehen, dass die eine Mumie gar keine Knochen enthält, und in der anderen wurde die Hand eines Erwachsenen eingewickelt. Und so etwas ist sehr typisch für die Griechisch-Römischen Zeit. […] typical for the Greek-Roman period. Sprecherin: Mumienfälschungen sind aber nicht nur aus der Griechisch-Römischen Zeit bekannt, die rund 400 Jahre nach Christus endete. Regie: Musik setzt ein, läuft bis Ende durch Sprecher: Als im 19. und 20. Jahrhundert zahlungskräftige amerikanische und europäische Archäologen nach Ägypten kamen, war die Nachfrage nach ägyptischen Mumien hoch. Eine regelrechte Industrie der Mumienfabrikation entwickelte sich. Ob die litauische Ägyptologin, Marija Rudzinskaite, bei ihrer Ägyptenreise 1924 einer solchen Fälschung aufgesessen war oder nicht, ist noch nicht klar. Klar ist nur, dass die ägyptischen und litauischen Mumien erstmals mit modernen Methoden untersucht werden konnten, ohne dass die Körper beschädigt wurden. Ob diese menschlichen Überreste demnächst auch noch weitere Geheimnisse preisgeben werden? Wer weiß, sagen Dario Piombino-Mascali und Rimantas Jankauskas und zucken mit den Schultern. Das wichtigste sei doch, dass sie nicht nur für die Wissenschaft diese Daten erheben können, sondern auch den Bürgern des Landes zeigen können, welche Schätze in ihren Museen und Kirchen schlummern. 8 8 1