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Jahrhundert, seit der industriellen Revolution, sich die Veränderungen ganz rapide gestalten, die Anzahl der Arten, die neu zu uns kommen, die nimmt ganz stark zu, alles wird umgekrempelt, so dass man eben diese Prozesse auch steuern muss, weil nämlich das, was übrig geblieben ist von unserer Naturerbe, sonst gefährdet wird. Noch nie sind so viele gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten zu uns gelangt wie heute, noch nie haben so viele sich fest etabliert, so Ingo Kowarik, Professor für Pflanzenökologie an der Technischen Universität Berlin. Doch wie man diesen Prozess bewertet und mit ihm umgehen soll, ist unter Biologen umstritten und hängt ab von dem Naturschutzkonzept, das der einzelne vertritt. Kowariks Idealmodell vom Schutz der Natur: Veränderungen durch neue Arten zulassen und nicht verteufeln, die Natur aber auch nicht sich selbst überlassen. Denn dann würden so genannte invasive Tiere und Pflanzenarten sich dermaßen ausbreiten, dass es viele einheimische bald nicht mehr gäbe. 2. O-TonTake: (Kowarik) (0,41) Wenn man überlegt, was das Erfolgsgeheimnis der meisten nicht einheimischen invasiven Arten ist, dann kann man es auf einen Punkt bringen: Der Mensch hat die Standorte in ihrem Sinne verändert und an vielen Beispielen kann man auch sehen, dass der Mensch selbst diese Arten ausgebracht hat, nicht nur eingeführt hat, sondern wiederholt auch immer ausgebracht hat, beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Insofern sind biologische Invasionen auch ein menschengemachtes Problem, wir müssen uns da also an die eigene Verantwortung richten und nicht nur sagen: Jetzt sind die bösen Arten da, wie konnte das nur passieren. Sowohl das unbeabsichtigte Einschleppen als auch das bewusste Einbringen von gebietsfremden Tieren und Pflanzen gilt weltweit als einer der Hauptfaktoren für den Verlust von Artenvielfalt. Dabei spielt die Zunahme von Handel und Verkehr eine so wichtige Rolle, dass die Entdeckung Amerikas 1492 als Zäsur dient: Alle danach eingeführten Tier- und Pflanzenarten bezeichnet man als Neobiota - Neulebewesen. Dauerhaft ansässig werden allerdings nur diejenigen, die ähnliche Klima- und Lebensbedingungen vorfinden. In Deutschland zählt man zurzeit 1149 gebietsfremde Tierarten, davon sind 264 fest etabliert. Doch nur fünf Prozent von ihnen gelten als invasiv, genauso 32 Pflanzenarten. Auch über den Begriff "invasiv" herrscht keineswegs Einigkeit unter den Wissenschaftlern: 3. O-TonTake: (0,47) Aus naturwissenschaftlicher Ebene betrachtet, sind invasive Tier oder Pflanzenarten ganz einfach Arten, die sich ausbreiten, damit ist bezeichnet, die kommen aus einem anderen Gebiet, sind bei uns nicht einheimisch, breiten sich aus, invadere, hineingehen, vom lateinischen abgeleitet. Im internationalen Naturschutz hat sich der Begriff "invasive Arten" eingebürgert, und der meint was anderes: Auf Deutsch übersetzt sind das "Problemarten". Mir persönlich wäre es auch lieber, sie so zu nennen, weil dann ganz klar ist, es geht hier um eine anthropozentrische, also aus Sicht des Menschen vorgenommene Bewertung, und nicht um einen naturwissenschaftlich zu beschreibenden Zustand. Es gibt sehr große Probleme, aber das ist eben nur ein kleiner Teil der Arten, man darf sie nicht alle in einen Topf werfen. Für Ingo Kowarik sind nicht nur die Tiere und Pflanzen invasiv, die andere Arten verdrängen. Auch solche, die gesundheitliche und wirtschaftliche Schäden hervorrufen, gehören dazu: zum Beispiel der Riesen-Bärenklau. Die bis zu fünf Meter hohe Pflanze mit ihren großen weißen Blüten verursacht starke Verbrennungen, wenn ihr milchiger Saft unter Sonneneinstrahlung die Haut berührt. Meist geschieht dies, wenn Kinder die Stängel abbrechen, um mit ihnen zu spielen. Darüber hinaus ist der Riesen-Bärenklau auch aus Naturschutzsicht problematisch, er breitet sich so stark aus, dass um ihn herum kaum etwas anderes wächst. Aus diesen Gründen gehört er zu den in Deutschland am meisten bekämpften Pflanzen - dennoch wird man ihn nicht mehr los. 4. O-Ton Kowarik: (0,40) Die Samen können mehrere Jahre im Boden erhalten bleiben, keimfähig bleiben, so dass wenn sie eine Bekämpfung machen wollen, es nicht reicht einmal tätig zu werden, sich freuen, dass man bergeweise das Material abtransportiert. Denn ein paar Wochen später oder im nächsten Jahr oder im Jahr danach kann sich der Stand regulieren. Deshalb sage ich immer, wenn man kontrolliert, wenn man bekämpfen möchte, vorher erst mal überlegen, ob man es auch in der Zeit durchhält, und wenn man meint, es ginge, dann mit aller Kraft, sonst hat es keinen Zweck. Der Riesen-Bärenklau wurde vor etwa 150 Jahren aus dem Kaukasus nach Europa geholt, wo er zunächst als Zierpflanze in Gärten und botanischen Anlagen wuchs. Von dort gelangten seine Samen in die freie Natur, unterstützt von Imkern, die die Riesenstaude als Nahrungsquelle für ihre Bienen anbauten. Die ökologischen und gesundheitlichen Gefahren erkannte man erst, als es längst zu spät war. 5. O-TonTake: (1,05) Wenn man überlegt, wie man Invasionen steuert, könnte man ja sagen, also die gefährlichen Arten, die pflanze ich nicht, und die andern, die darf ich pflanzen. Allerdings hat man dann die historische Dimension vergessen. Wir haben hier in Berlin die Einwanderungs- und Ausbreitungsgeschichte und die Kulturgeschichte von Gehölzen untersucht und festgestellt, dass zwischen dem Zeitpunkt der ersten Einfuhr in das Gebiet und dem Beginn der Ausbreitung im Durchschnitt 150 Jahre vergangen sind und wir sehen, dass sich viele Arten auf einmal auszubreiten beginnen, lange nachdem sie im Gebiet waren. So bleibt das Risiko gebietsfremder Arten unkalkulierbar, meint Ingo Kowarik, auch wenn die meisten gebietsfremden Arten in Gärten und Städten zunächst unproblematisch sind. Gelangen die Pflanzen in die freie Natur, etablieren sie sich oft dort, wo das ökologische Gleichgewicht bereits gestört ist: auf brachliegenden Feldern, übersäuerten Böden und an Straßenrändern. Zu einem Naturschutzrisiko werden sie erst, wenn sie beginnen, sich in wertvollen Landschaftsbereichen auszubreiten: 6. O-TonTake: (0,51) Wir haben in einem Vorhaben herausgefunden, dass der Autoverkehr sehr stark zur Ausbreitung von Pflanzenarten beiträgt und wir haben etwa gesehen, dass Berlin Biodiversität exportiert, weil an den vielen Autos, die aus der Stadt fahren, eine ganze Reihe von Samen klebt, die transportiert werden. Und wir konnten nachweisen, das hat großes Aufsehen erregt, dass nichteinheimische Arten tendenziell weiter mit Autos ausgebreitet werden als einheimische Arten. Eine zweite, ganz spannende Frage schließt sich an, und die ist eben noch nicht geklärt: Inwieweit dieser Samentransport, der ja entlang der Straßenränder stattfindet, tatsächlich dann auch zu einer Etablierung der Pflanzen führt und sich diese dann von den Straßenrändern auch in das Umland ausbreiten. Wenn sich nur an den Straßenrändern dieses Phänomen vollzieht, wäre das ja vielleicht hinnehmbar. Musikakzent Ein Meilenstein bei der Bekämpfung invasiver Arten ist das Biodiversiätsabkommen von Rio, das auch die Bundesrepublik vor 17 Jahren unterzeichnete. 190 Staaten verpflichteten sich darin, die biologische Vielfalt zu schützen. Dazu gehört, die Einfuhr neuer Arten zu verhindern, biologische Invasionen frühzeitig zu erkennen und durch Sofortmaßnahmen zu bekämpfen. Das Problem dabei ist: Dieses internationale Abkommen ist keineswegs zwingend und jeder Staat legt die Richtlinien anders aus. Auf europäischer Ebene bestehen zum Beispiel Verpflichtungen entsprechend der Berner Konvention. Die gibt genauere Handlungsanweisungen und empfiehlt etwa die Ausrottung von elf Wirbeltierarten, darunter Waschbär, Mink und Marderhund. Das ist zwar konkret, aber nicht zeitgemäß: Denn mittlerweile haben die meisten dieser Tiere sich dermaßen verbreitet, dass eine Ausrottung unrealistisch ist. Außerdem ist bis heute nicht wirklich bewiesen, dass sie invasiv sind. Beispiel Waschbär: Zwischen 100 000 und 300 000 sollen mittlerweile in Deutschland leben, schätzen die Biologen. Dabei wurde erst in den 20-er Jahren das erste Waschbärenpärchen zur Pelzzucht aus Nordamerika importiert. Einige Jahre später setzte man die Tiere aus, um die Pelzqualität zu verbessern. In den deutschen Wäldern fanden sie ideale Lebensbedingungen vor und hatten kaum natürliche Feinde. Der Waschbär vermehrte sich so schnell, dass er in den 70- Jahren als größter Feind der einheimischen Artenvielfalt galt, man beschwor sogar einen "stummen Frühling" herauf - Symbol für eine ausgerottete Vogelwelt. Doch mittlerweile haben Wildbiologen herausgefunden: Der Waschbär ernährt sich nur selten von den Eiern brütender Vögel. 7. O-TonTake: (Köhnemann) 0,23 Was viele nicht wissen, dass der Waschbär ein klassischer Sammler ist und kein Jäger, wie viele annehmen. Er ist auch viel zu plump, dass er irgendwie auf Jagd gehen könnte, er nimmt also nur das, was er gut und viel bekommen kann. Deswegen ist jetzt groß auf Eierdiebtour zu gehen viel zu anstrengend. Er nimmt wirklich die Sachen zur Obstreife oder im Herbst, die Eicheln, das, was halt ganz viel da ist, das nimmt er sich halt. Berit Köhnemann und Frank Michler erforschen seit drei Jahren die Lebensgewohnheiten der Waschbären im Müritz-Nationalpark, Mecklenburg Vorpommern. Telemetrische Antennen führen die Biologen zu den Schlaf- und Wurfplätzen. Dort stellten sie fest, dass Waschbären oft neben Vogelnestern schlafen, ohne die Eier anzurühren: 8. O-TonTake: (0,32) Gerade, wenn man sich jetzt solche sensible Arten wie den Kranich anschaut, wo auch gerade im ostdeutschen Raum dem Waschbären immer ein großer Einfluss unterstellt wird, dass er zu hohen Erstgelegeverlusten bei den Kranichen führt, da brauchen wir uns nur dieses Gebiet hier anschauen. Wir haben es hier mit einer sehr hohen Kranichbrutdichte zu tun und es sind exakt die Gebiete, in denen auch die Waschbären Tag und Nacht anzutreffen sind. Neben den Horsten übertagen die Tiere, sind die gesamte Nacht in der Nähe der Kraniche und die Kraniche kriegen ihre Jungtiere immer erfolgreich groß. Noch sind die Forschungsergebnisse nicht vollständig ausgewertet, doch Frank Michler ist überzeugt, dass Waschbären aus Sicht des Naturschutzes nicht zu den invasiven Arten zählen. Fest steht jedoch, dass sie wirtschaftliche Schäden anrichten, denn sie nisten sich auch auf Dachböden ein und zerstören dort die Bausubstanz. Doch selbst, wenn man Waschbären verstärkt jagte, würde sich ihr Bestand kaum dezimieren. Denn ein Forschungsprojekt aus dem Raum Kassel hat gezeigt, dass die Tiere Verluste in der Population ausgleichen können. Die Weibchen, Fähen genannt, werden einfach früher geschlechtsreif. Je mehr Artgenossen in einem Jahr erschossen wurden, desto mehr Junge kamen zur Welt. So müssen wir auch weiterhin mit ihnen leben und als Strategie bleibt nur noch eins: Der Mensch muss sein Eigenheim waschbärensicher machen. Im Gegensatz zum Waschbären sind Mink und Marderhund typische Fleischfresser und Räuber. Nach neuesten Untersuchungen scheinen sie die Artenvielfalt einheimischer Vögel sehr wohl zu gefährden. Musikakzent In Deutschland existieren bis heute keine schwarzen Listen über invasive Tier- und Pflanzenarten. Aufschluss darüber gibt indirekt ein Gesetz, die Bundesartenschutzverordnung. Sie verbietet den Besitz und den Handel mit bestimmten Tieren, darunter das Grauhörnchen und der Amerikanische Biber. Und für den Ochsenfrosch und die Schnappschildkröte besteht Einfuhrverbot. Um jedoch schneller auf neu auftretende Arten reagieren zu können, werden zurzeit andere Strategien entwickelt. So arbeitet das Bundesamt für Naturschutz zusammen mit Österreich an einer verbindlichen schwarzen Liste: Mit ihr sollen invasive Arten eher erkannt werden, um sie unschädlich zu machen, bevor sie sich ausbreiten. Unterteilt ist sie in Warn- Aktions- und Managementliste. Auf der Warnliste stehen bald Tier- und Pflanzenarten, die bei uns noch nicht vorkommen, sich aber in anderen Ländern bereits als invasiv herausgestellt haben - ihre Einbringung will man verhindern. Dazu gehört das amerikanische Grauhörnchen: In Großbritannien hat es das rote europäische Eichhörnchen schon massiv verdrängt. Doch die Briten geben den Kampf gegen das Grauhörnchen nicht auf: Es wird gejagt und gilt in einigen Restaurants bereits als Delikatesse. Vor Kurzem wurde gar die Bevölkerung aufgerufen, mehr Grauhörnchen zu essen: zum Schutze der roten: 9. O-TonTake: (0,24) Das ist durchaus problematisch. Es gibt zwar den schönen Spruch: If you can`t beat them, eat them, also auf Deutsch, wenn man derer nicht Herr wird, soll man diese invasive Arten aufessen. Und das gibt es nicht nur beim Grauhörnchen, auch in Deutschland gibt es Krabben, die inzwischen gefischt werden, aber das Problem dabei ist immer, in dem Moment, wo da wieder ein Nutzen letztlich wieder draus entsteht, ist natürlich wieder ein neuer Anreiz da, diese Arten dann wieder in Gebiete zu bringen, wo sie noch nicht waren. Der Biologe Frank Klingenstein entwickelt die schwarze Liste für das Bundesamt für Naturschutz. Sofortmaßnahmen empfiehlt er gegenüber den Arten, die neu auftauchen, sich aber noch nicht etabliert haben: zum Beispiel der Laubholzbockkäfer. Er war letztes Jahr in Holzpaletten eingeschleppt worden und hatte in Asien bereits ganze Wälder zerfressen: 10. O-TonTake: (0,43) Bei diesem Laubholzbockkäfer, da tut man was gegen, weil relativ lange Generationsfolgen hat. Da werden beherzte rabiate Maßnahmen ergriffen, die Bäume, wo man diese Ausfluglöcher gesehen hat, die werden radikal gehäckselt, man macht ein Monitoring der umliegenden Bäume, guckt ob man da Spuren erkennt und wenn ja, werden die dann auch sofort entnommen, geschreddert, verbrannt. Aber man muss im ganzen Umfeld, mehrere 100 Meter fliegt der durchaus, muss man die Wirtsbäume beobachten und gucken und bei Anzeichen direkt was unternehmen und dann hat man ne Chance. Das werden die nächsten Jahre zeigen, ob das dann gelingt, ihn damit in den Griff zu kriegen Der Asiatische Marienkäfer kann nicht mehr bekämpft werden, denn er ist schon in weiten Teilen Deutschlands verbreitet. Die schwarze Liste wird nur eine Handlungsanleitung sein - was fehlt, sind Gesetze auf Bundesebene: Nur sie würden einheitliche und damit effektive Strategien ermöglichen. Denn Naturschutz ist Ländersache - jedes Bundesland entscheidet selbst, welche konkreten Maßnahmen es zum Schutz der Natur ergreift. So geht man mit der Allergien auslösenden Ambrosie ganz unterschiedlich um: 11. O-TonTake: Die Ambrosie, da haben wir noch eine Chance, die zu bekämpfen, weil die nur an einigen Stellen in Deutschland häufig ist, an anderen Stellen noch ganz selten oder überhaupt noch nicht vorkommt, die würden wir dann in die Aktionsliste stecken. Es gibt Ein-Euro-Jobs in Berlin, wo die kartiert und dann rausgerissen werden, aber in Bayern und Baden-Württemberg sind dann die Pflanzenschutzämter und die Naturschutzbehörden zuständig, und da ist man aufgerufen, die Bestände dort zu melden. Dann ergreifen die Behörden entsprechende Maßnahmen, aber es gibt natürlich auch Bundesländer, wo man bisher relativ wenig dazu tut. Damit sich das ändert, ist eine Novellierung des Naturschutzgesetzes geplant. Sie soll die Länder verpflichten, Sofortmaßnahmen gegenüber neu auftretenden invasiven Arten zu ergreifen. Doch die effektivste Strategie heißt Prävention, damit invasive Arten gar nicht erst eingebracht werden. Deshalb ist ein weiterer Gesetzentwurf in Arbeit: Er sieht vor, neue Arten auf Bundesebene zu prüfen, bevor sie eingeführt und vermarktet werden dürfen. Zuständig ist dann das Bundesamt für Naturschutz. 12. O-TonTake: (0,21) Bisher ist das noch eine Sache der Länder oder Regierungsbezirke oder Kreisbehörden, und es ist eben relativ komplex, wir haben Millionen von Arten auf dieser Welt, die biologische Vielfalt ist riesengroß und es ist natürlich sehr schwierig für ne Naturschutzbehörde in einer kleinen Stadt dann zu beurteilen ob eine fremde Art hier irgendwo ein Problem ist Musikakzent Am schnellsten vollziehen sich biologische Invasionen zurzeit in unseren Gewässern: Zählte man vor 1910 nur 21 gebietsfremde Arten, sind es heute weitaus mehr: 13. O-TonTake: (0,22) Man kann grob sagen, wir haben heute etwa 130 verschiedene exotische Tiere und Pflanzenarten in unseren Gewässern und 50% davon besiedeln fast flächendeckend die gesamte Bundesrepublik. - wenn sie denn so weit verbreitet sind, kann man nichts mehr machen. Der Biologe und Umweltexperte Stefan Nehring erforscht die ökologischen Veränderungen der Wasserfauna- und Flora. Nach neusten Erkenntnissen sind immerhin 20 Prozent aller exotischen oder gebietsfremden Arten invasiv. Einschleppfaktor Nr.1. ist die Schifffahrt, denn jedes Schiff transportiert Millionen von Organismen. Besonders betroffen sind der Main und der Rhein: 14. O-TonTake: (0,59) Man muss hier nur ans Ufer gehen und schauen, welche Organismen man dort finden kann: Es sind vor allem Muschelschalen, die man dort findet, und es gibt Leute, die sagen, Mensch, das ist ja die typische Rheinmuschel, die finden wir überall, aber es ist eine Muschel, die aus Asien stammt, sie ist vor gut 20 Jahren das erste Mal im Rhein aufgetaucht, sie kommt sogar auch schon im Bodensee vor und ist die häufigste Muschel im ganzen Rhein. Wie viele Arten wurde auch die asiatische Muschel im Ballastwasser eingeschleppt. Dabei handelt es sich um Meereswasser, das die Handelsschiffe in großen Mengen in ihre Tanks füllen, bevor sie die Ozeane durchqueren - es verleiht ihnen bei hohem Seegang Stabilität. Vor dem Zielhafen lassen sie das Wasser wieder ab - und mit ihm Tausende von Lebewesen: Krebse, Muscheln, Larven, kleine Fische. Deshalb heißt auch hier die aussichtsreichste Lösung: Prävention. So wurde 2004 ein internationales Abkommen verabschiedet, das Schiffe verpflichtet, das Wasser zu präparieren, bevor sie es ablassen. Möglich wäre dies durch spezielle Filter und Ultraschall. Das so genannte Ballastwasserübereinkommen ist allerdings noch nicht in Kraft getreten, denn bislang haben es nicht genügend Staaten ratifiziert: 15. O-TonTake: (0,33) Interessant hierbei ist, dass Deutschland ein Land ist, das eigentlich auch bei der Ballastwasserkonvention führend war die durchzusetzen, bis heute diese Konvention nicht ratifiziert hat. Unsere Politik hinkt in diesem Thema hinterher, und man kann eigentlich nur durch Öffentlichkeitsarbeit und das Aufzeigen der Probleme hoffen, dass die Politik erkennt, dass hier dringend Handlungsbedarf besteht. Vor allem aus der Nordsee gelangen gebietsfremde Arten in die deutschen Binnengewässer. Eine entscheidende Rolle bei ihrer Ausbreitung spielen die Kanäle, da sie die wichtigsten deutschen Flüsse miteinander verbinden. So war die Eröffnung des Main-Donau-Kanals im Jahr 1992 ein markanter Einschnitt: 16 neue Arten konnten sich seither in ganz Deutschland ausbreiten, wo sie zu massiven ökologischen Veränderungen führen. Der Große Höckerflohkrebs etwa gelangte innerhalb weniger Jahre vom Schwarzen Meer über die Donau und den Main in fast alle deutschen Gewässer, wo der effektive Räuber die einheimischen Krebsbestände stark dezimiert hat. Bislang fehlen zielgerichtete Diskussionen darüber, wie man die Ausbreitung neuer Arten über die Kanäle eindämmen kann - dabei wären technische Möglichkeiten vorhanden, so Stefan Nehring: 16. O-TonTake: Es würde die Möglichkeit bestehen, so genannte Ökosperren zu errichten, also Hindernisse, um den freien Austausch von Tier und Pflanzen über so eine Wasserstraße zu reduzieren oder vielleicht auch sogar zu verhindern. Es gibt auch Möglichkeiten, mit Lärm oder mit Licht Fische am Wandern zu verhindern. Es gibt also, so gesehen, eine Menge technischer Möglichkeiten, vor allem in Amerika wird das zum Teil auch schon gemacht. Musikakzent Obwohl sich mehrere Forschungsprojekte mit biologischen Invasionen beschäftigen, sind ihre Auswirkungen noch relativ unbekannt. Dabei hat dieser Wissenschaftszweig in Europa eine lange Tradition - allerdings hat man früher die neuen Arten lediglich katalogisiert und die Ausbreitungswege untersucht. Die Ursachen für ihr Auftauchen sowie die Folgen blieben außen vor. Auch gab es lange keine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen - der Grund für Botanikprofessor Ingo Kowarik, vor zehn Jahren die "Arbeitsgemeinschaft Neobiota" zu gründen. Seitdem sind Botaniker, Zoologen und Meeresforscher eng miteinander vernetzt und Ingo Kowarik ist stolz, dass die Arbeitsgemeinschaft Neobiota heute die führende Gruppe ist, die sich mit europäischen Invasionen auseinadersetzt: 19. O-TonTake: Kowarik: (0,41) Man wird in der Steuerung biologischer Invasion um so erfolgreicher sein, je stärker man abgestimmt und vernetzt vorgeht, denn der Naturschutz mag in vielen Fällen betroffen sein, Verursacher dieser Invasion sind aber meistens andere und mit denen muss man zusammenarbeiten: etwa dem Förster oder dem Landwirtschaftsbereich oder die Fischereileute, oder einfach auch die Bürger, die unbedacht die Natur bereichern wollen, wenn sie etwa ihre Aquarien auskippen oder den Gartenmüll in den nahen Wald bringen und meinen, was Gutes zu tun, weil man dann noch etwas biologisches Material der Natur zur Verfügung stellt, das ist allerdings ein gefährlicher Trugschluss. Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit sind auch für das Bundesamt für Naturschutz unerlässlich, deshalb stellte es ein Austauschforum ins Netz: Unter www. Floraweb.de findet man auch die Steckbriefe der 32 Pflanzenarten, die in Deutschland als invasiv gelten, mit Informationen über ihr Aussehen, ihre Gefahren und mögliche Bekämpfung. Das Problembewusstsein hat mittlerweile den Handel erreicht, wo immer mehr Branchen sich an Präventionsmaßnahmen beteiligen, weiß Frank Klingenstein vom Bundesamt für Naturschutz: 20. O-TonTake: (Klingenstein, 0, 26) Was der Gartenbau aus eigener Initiative gemacht hat, ist so einen Verhaltenkodex entwickelt, indem er die invasiven Pflanzenarten aufgelistet hat, die gerne mal aus Gärten ausbüchsen, und da empfiehlt der Zentralverband Gartenbau halt seinen Betrieben, diese Arten nicht mehr zu verkaufen, weil man nicht von dem Kunden erwarten kann, der in ein Gartencenter geht und da Pflanzen für seinen Garten kauft, dass er sich Gedanken macht, ob diese Probleme für die Natur sind. Die effektivste Prävention besteht jedoch darin, die Einfuhr neuer problematischer Arten auf internationaler Ebene zu verhindern. Dazu will die EU bis 2010 eine Strategie entwickeln: zum Beispiel ein Frühwarnsystem, mit dem die Staaten sich gegenseitig sofort informieren, wenn eine neue Art sich als invasiv herausstellt. Der weitreichendste Vorschlag ist ein Gesetz, Arten auf ihre Umweltproblematik hin zu prüfen, bevor EU-Länder sie zur Vermarktung einführen. Eventuell hätte man so die Einbringung des Asiatischen Marienkäfers verhindern können: Er ist in Frankreich aus einem Gewächshaus entwichen, wo man ihn zum organischen Pflanzenschutz züchtete. Heute werden problematische Arten, die in Europa bereits ansässig sind, oft unterschiedlich bewertet: So gilt das Indische Springkraut in Österreich und in der Schweiz als invasiv, während man in Deutschland bei der Einschätzung der Pflanze zurückhaltender ist, so Ingo Kowarik: 21. O-TonTake: (0,22) Man hat häufig gedacht, weil die nun so auffällig ist, muss die auch die größten Folgen haben - weit gefehlt. Denn wenn man genauer hinschaut, sieht man, es ist eine einjährige Pflanze, die sich in Lücken etabliert und natürlich verändert sie das Landschaftsbild, aber sie verdrängt kaum andere Arten und auch keine Tiere. Vielmehr ist sie als Nahrungspflanze für Hummeln höchst interessant. Vollziehen sich Veränderungen in der Natur langsam, kann sich die Umwelt bis zu einem bestimmten Maß anpassen, manchmal entwickelt sie gar Gegenstrategien: So weist einiges darauf hin, dass bestimmte Vögel bereits ihr Brutverhalten ändern, um ihre Eier vor Mink und Marderhund zu schützen. Überhaupt ist Europa mit seiner Jahrtausende alten Geschichte von Ackerbau und Handel resistenter gegenüber biologischer Invasion als Gebiete, die lange unberührt und isoliert waren, wie etwa die ozeanischen Inseln. Doch auch Europa braucht effektive Strategien, denn beängstigend ist das Tempo, in dem sich biologische Invasion in den letzten Jahren vollzog - verursacht nicht zuletzt durch die Klimaerwärmung. Und es gibt keine Entwarnung, so Frank Klingenstein vom Bundesamt für Naturschutz: 22. O-TonTake: Klingenstein (0, 27) Es nimmt grundsätzlich immer weiter zu. Wir gehen davon aus, dass wir in Deutschland jedes Jahr so zwei, drei neue Pflanzenarten kriegen, in Europa sind es so um die 20 neuen Pflanzenarten und entsprechend eben auch einige neue Tierarten. Und das wird sicherlich auch so weitergehen - mit dieser Globalisierung und freiem Güter- und Personenverkehr steigt natürlich auch immer die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue Art zu uns findet. 1