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Sein Blick schweift über die bunten Weihnachtsbuden, plötzlich hält er inne. Atmo Glühwein anpreisen Autorin: Glühwein in etlichen Geschmacksvarianten: Holunder, Kirsche, Him- beere ruft ihm die Verkäuferin lächelnd zu. Florian Mehring winkt ab. Der beerige, süß-säuerliche Geruch macht ihm keinen Appetit mehr. Vor vier Jahren wäre das ganz anders gewesen. Dann hätte dieser Geruch Florian Mehring erregt, ihn süchtig gemacht nach mehr Alkohol. Mit elf Jahren hat ihm sein Onkel das erste Glas Bier in die Hand gedrückt. In Bayern sei das damals normal gewesen, sagt der 45-jährige. Zum Bier kam später Schnaps dazu. Irgendwann konnte Florian Mehring mit dem Trinken nicht mehr aufhören. O-Ton Florian Mehring: Nie ein Kind von Traurigkeit gewesen, immer wieder Ausfälle ge- habt, wo Freunde einen nach Hause gebracht haben, Blackouts wo man am nächsten Morgen wach geworden ist und nicht gewusst hatte, wie bin ich denn jetzt hierher gekommen. Es war keine Seltenheit, dass man in der Diskothek eine Flasche Schnaps getrunken hat. Autorin: Florian Mehring, der seinen richtigen Namen nicht im Radio nennen möchte, brauchte Jahre bis er sich seine Alkoholabhängigkeit ein- gestehen konnte. Nach seinem Realabschluss in München machte er eine Lehre als Automechaniker, verpflichtete sich als Zeitsoldat vier Jahre bei der Bundeswehr, ging danach auf Montage. Sein Leben hatte der damals 27-jährige trotz seines regelmäßigen Alkoholkonsums im Griff. Bis ihn seine Freundin aus der Wohnung schmiss. Danach bin ich komplett abgestürzt, erinnert sich Mehring. O-Ton Florian Mehring: Habe dann gemerkt, dass ich mich immer mehr ertränkt habe. Und dass ich immer weniger mit meinem Leben klar gekommen bin. Dann den Job verloren aufgrund des übermäßigen Alkoholkonsums, keinen Wohnung gehabt, in die Obdachlosigkeit gerutscht, und dann irgendwann mal gesagt, wo soll es enden wo gehe ich jetzt hin. Was passiert jetzt noch? Sprecher: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit über 70 Millionen Menschen alkoholabhängig. Jährlich sterben etwa 1,8 Millionen Menschen an dem Alkoholmissbrauch. Trotz psychologischer und pharmakologischer Therapien ist die Rückfallquote bei Alkohol- kranken besonders hoch. Sucht verändert das Gehirn. Was sich einmal ins Suchtgedächtnis eingegraben hat, kann auch noch nach Jahren der Abstinenz wieder durch bestimmte Reize reaktiviert werden. Der Wille der Patienten spiele dabei eine untergeordnete Rolle, sagen Experten. Neurowissenschaftler der Magdeburger Uniklinik wollen an alkoholkranken Patienten jetzt eine neue Therapie testen. Eine Methode, die bislang nur bei Parkinson-Patienten, Epileptikern und De- pressiven angewendet worden war: die Tiefenhirnstimulation. Musik Sprecher: Bei einer Tiefenhirnstimulation implantieren Neurochirurgen dem Patienten an einer bestimmten Region im Gehirn Elektroden. Die Drähte sind an einen Stimulator angeschlossen, der unter der Haut liegt. Der so genannte Hirnschrittmachen feuert mit einer bestimmten Frequenz Stromstöße auf die Zellen im Gehirn ab. Der Strom soll in den neuralen Netzwerken ein neues Gleichgewicht herstellen. Fehlfunktionen werden relativiert, sozusagen überschrieben. Bei Parkinson-Patienten konnten durch diese Methode Symptome wie das unkontrollierbare Zittern gelindert werden. Die Magdeburger Neurochirurgen waren überzeugt: Die Methode der Tiefenhirnstimulation müsste auch bei al- koholanhängigen Patienten funktionieren. Für die ersten Heilversuche wurden fünf Patienten ausgesucht. Einer davon war Florian Mehring. O-Ton Florian Mehring: Ich hatte Angst vor ganz banalen Dingen, weil mir klar wurde, du wirst dort wieder mit Alkohol konfrontiert und du musst wieder kämpfen. Habe dann eigentlich mich auch immer wieder zurück- gezogen. Und irgendwann war der Punkt da, dass ich diesem Druck auch nicht mehr standhalten konnte und dann wieder zur Flasche gegriffen habe. Weihnachtsmarkt Autorin: Zwei Kisten Bier am Tag und dazu noch eine Flasche Schnaps waren für Florian Mehring normal. Seine Abhängigkeit wurde ihm erst bewusst als es körperlich fast am Ende war. Nach seiner ersten Langzeittherapie schwor er sich, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren. In den Gesprächen mit den Ärzten hatte er gelernt, einmal Alkoholiker, immer Alkoholiker. Zweieinhalb Jahre blieb er trocken. In dieser Zeit verliebte er sich, heiratete, bekam mit seiner Frau eine Tochter. Trotzdem fühlte sich Florin Mehring immer unter Druck gesetzt. Ein Gefühl, mit dem er nicht umzugehen wusste. O-Ton Florian Mehring: Mir geht es gut, ich habe wieder einen Job, ich habe eine Familie, mir fehlt es an nichts. Ich kann mir wieder was leisten, ich habe mir wieder einen normalen Freundeskreis aufgebaut. Ich bin ei- gentlich mit allem zufrieden, nur nicht mit meinem Leben. Autorin: Heute weiß er: Es war der der so genannte Saufdruck, das Gefühl, Alkohol trinken zu müssen, der ihn die ganze Zeit nicht mehr los ließ. Kleinste Stimuli können diesen Trinkdruck auslösen. Ein Bierdeckel auf dem Tisch, das Öffnen einer Bierfasche, ein Tresen. Rituale die in Verbindung mit der Sucht machenden Substanz stehen, können plötzlich einen Rückfall auslösen. O-Ton Florian Mehring: Mit Willenlosigkeit hat das nichts zu tun. Ich denke, es ist für viele Leute unvorstellbar, was der Saufdruck bei mir ausgelöst hat. Wie der mich immer wieder in die Knie gezwungen hat, mich immer wieder zum Kämpfen angeregt hat. Aber ich hatte auch keine Lebensfreude mehr. Autorin: Die Trockenphasen zwischen den nachfolgenden Therapien wurden immer kürzer. Seine Frau trennte sich von ihm, aus Frust kündigte er seinen Job. Danach bin ich komplett abgestürzt, erinnert sich Florian Mehring. Was er in den nachfolgenden drei Wochen gemacht hat, daran kann er sich bis heute nicht mehr erinnern. Auch nicht, wie er nach Magdeburg kam und dort ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Als er aufwachte, hatte er an seiner rechten Hand tiefe Schnittwunden. Er erzählte einem Neurologen von seiner schweren Alkoholabhängigkeit, von seinen erfolglosen Versuchen, Herr dieser Sucht zu werden. OP-Saal, Tuten, "So jetzt mal hoch das Köpfchen" Autorin: Magdeburger Uniklinik, ein OP-Saal im zweiten Stock. Professor Jürgen Voges sitzt auf einem Rollhocker. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Patient, der an ein Narkosegerät angeschlossen ist. Die Haare kahlgeschoren, die Augen mit Klebeband verschlossen. Grelles Licht leuchtet den Raum aus. Voges hebt den Kopf des Patienten, desinfiziert ihn gründlich mit einem Wattebausch. Mit Hilfe eines dreidimensionalen Abbilds des Patientengehirns und eines Computerprogramms legt Jürgen Voges die Koordinaten fest, entlang denen er die Elektroden in das Gehirn einführen kann ohne dabei Gefäße zu verletzen. Das Ziel liegt etwa sechs Zentimeter tief im Kopf. Eine haselnussgroße Struktur im Belohnungszentrum des Gehirns: der so genannte Nucleus Accumbens. Er ist auch für die Emotionen des Menschen verantwortlich. O-Ton Jürgen Voges: Dieses Belohnungssystem wird im Prinzip von Substanzen, die ein Suchtpotential haben, genutzt, ohne dass es dann, wenn der Genuss eingetreten ist, zu einem Abschalten dieses ganzen Systems kommt. Und das ist eben das Gefährliche an der Sache, dass es da keine Rückmeldung gibt, sondern dass da immer wieder dieser Kick auch gesucht wird. OP-Saal Autorin: Das Skalpell gleitet in die Kopfhaut. Voges schneidet eine halbrunde Linie, schiebt die lose Kopfschwarte mit einer Zange auseinander, schraubt die Metallschiene für den Bohrer an den stereotaktischen Rahmen, setzt den Bohrer an. Bohrer Autorin: Dabei darf nicht ein Tröpfchen Nervenwasser austreten. Das Gehirn würde verrutschen und alle Daten für den Eingriff müssten neu errechnet werden. Bohren Autorin: Jürgen Voges Bewegungen sind ruhig und präzise. Das Loch in der Schädeldecke ist acht Millimetern groß. Vorsichtig schiebt er eine Kanüle in die weiche Hirnmasse bis zum Belohnungszentrum. Durch das Röhrchen führt er schließlich die erste Elektrode ein. O-Ton Jürgen Voges: Wir haben festgestellt, dass tatsächlich in diesem Accumbens, Schlüsselreize in Bruchteil von Sekunden verschaltet werden. So dass es der Patient wahrscheinlich gar nicht wahrnimmt und da- durch gar keine Möglichkeit hat, irgendwie selbst aktiv darauf Einfluss zu nehmen. Das ist wahrscheinlich der bedeutendste Ef- fekt von so einer Stimulationsbehandlung. Autorin: Über die Elektroden gibt der Stimulator in ähnlich schneller Frequenz Stromstöße ab. Die Fehlinformation, der Trinkdruck, wird dadurch so- zusagen überschrieben. Als Florian Mehring nach einer solchen mehrstündigen OP in seinem Krankenzimmer erwachte, begann für ihn sein zweites Leben. Ein lebenswertes Leben, betont der 45-jährige. Seitdem der Hirnschrittmacher permanent Strom in sein neurales Netzwerke feuert, hat er keinen Trinkdruck mehr, rührt seit vier Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr an. Wäre er nicht mit Hilfe der Tiefenhirnstimulation behandelt worden, dann wäre er heute tot, glaubt Florian Mehring. O-Ton Florian Mehring: Weil ich mich tot gesoffen hätte. Mein Alkoholkonsum war von Rückfall zu Rückfall immer massiver, immer intensiver. Schon vor der dritten Therapie waren Promillewerte von 4,5 bis 5,0 keine Seltenheit bei mir. Ich denke, ich wäre nicht mehr am Leben. Ich hätte systematisch mich zu Grunde gesoffen. Sprecher: Die ersten Versuche Alkoholsucht mit Tiefenstimulation zu behandeln verliefen viel versprechend. Fünf Patienten wurden behandelt. Vier von ihnen haben wieder einen Job, sind im gesellschaftlichen Leben integriert. Nur ein Patient konsumiert nach wie vor regelmäßig Alkohol. Um mehr über die Wirkungsweisen der Tiefenhirnstimulation herauszufinden, führen die Magdeburger Neurochirurgen jetzt eine klini- sche Studie durch. 30 alkoholkranke Patienten sollen daran teilnehmen. Professor Hans-Jochen Heinze ist Direktor der Magdeburger Klinik für Neurologie. Er hat von Anfang großen Wert darauf gelegt, das Verfahren so transparent wie möglich zu gestalten. Bislang habe man bei der Tiefenhirnstimulation die motorischen, also die persönlichkeitsfremden Fehlfunktionen im Gehirn behandelt, jetzt gehe es ans Eingemachte. Das Brisante an der Studie: Der Nucleus Accumbens habe unmittelbar mit dem eigenen Ich zu tun, mit der Motivation eines Menschen, sagt Heinze. Worum bemüht man sich, was versucht man in seinem Leben zu vermeiden. All dies bilde den Kern unserer Persönlichkeit, betont Hans- Jochen Heinze. Zwei neue Kommissionen wurden deswegen ins Leben gerufen. O-Ton Hans-Jochen Heinze: Wir wollen hier ein Forum haben, das grundsätzlich, wenn solche Studien kommen, die weitreichende Implikationen haben können für die Persönlichkeit des Menschen, dass die sehr gründlich und aus verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet werden. Und dann haben wir vom Wissenschaftsrat eine Kommission gegründet, auch mit dem Namen Neuromodulation, die sich im weiteren Sinne mit den wissenschaftspolitischen Implikationen beschäftigt. Sprecher: Beide Kommissionen, die sich vor wenigen Wochen konstituiert haben, sollen künftig wissenschaftliche Empfehlungen abgeben. Was bedeutet es, wenn Ärzte die emotionalen Fähigkeiten des Menschen stimulieren und damit verändern. Darf man durch solche Eingriffe auch Teile der Persönlichkeit überschreiben? Wann ist ein Patient noch er selbst und wann beginnt man seinen Charakter zu verändern. Hans-Jochen Heinze geht in seinen Überlegungen noch einen Schritt weiter. O-Ton Hans-Jochen Heinze: Man kann ja sagen, ich nehme jetzt nicht eine gestörte Funktion, ich stimuliere jetzt mal eine normale Funktion, in der Hoffnung, die besser zu machen. Neuro-Enhancement. Die ist auch nicht unberechtigt die Vorstellung, du setzt einen Nagel rein und so- zusagen out of the blue kommt dann ein Superhirn zustande. Das denke ich, bringt einen sehr bedenklichen Aspekt der Mani- pulierbarkeit des Menschen ins Spiel und das halte ich für extrem problematisch. Sprecher: All das sei aus heutiger Sicht noch reine Spekulation, in einigen Jahren aber vielleicht möglich. In Kanada wurde ein Patient wegen seiner extremen Fettsucht behandelt. Der Bereich, den der Mediziner stimu- lierte, hatte Verbindungen zu den gedächtnisaktiven Strukturen. Der Patient konnte sich plötzlich an Bilder aus frühester Kindheit erinnern. Vor der Stimulation konnte er diese Bilder nicht abrufen. Das war eine unbeabsichtigte Gedächtnisbeeinflussung, stellt Heinze fest. O-Ton Hans-Jochen Heinze: Das heißt, wir müssen uns, wenn wir solche Maßnahmen durch- führen, schon darüber im Klaren sein oder versuchen im Klaren zu werden, welche Konzepte wir haben in Bezug auf Identität der Person und Persönlichkeit, was ist die Authentizität, was ist Au- tonomie, das sind wichtige Fragestellungen, die wir bearbeiten müssen. Sprecher: Um die Wirkung einer Tiefenhirnstimulation angemessen beurteilen zu können, sollte man den so genannten Authentizitätsansatz wählen, fordert der Klinikdirektor. Evoziert solch ein Eingriff bessere Leistungen im Hirn, die mit der Persönlichkeit des Menschen im Einklang stehen, findet Heinze das legitim. Nicht aber, wenn durch eine Tie- fenhirnstimulation Eigenschaften hervorgerufen werden, die überhaupt nicht in der Persönlichkeit angelegt sind. Der Neurowissenschaftler bezweifelt jedoch, dass ein Patient solche neuen Fähigkeiten überhaupt in sein Leben integrieren kann. Nichtsdestotrotz nehme man bei den Alkoholpatienten eine Änderung ihrer Motivation vor. O-Ton Hans-Jochen Heinze: Spekulieren wir mal, man könnte also auf Knopfdruck sozusagen zwischen Dr. Jekyll und Mister Hyde unterscheiden. Zwischen dem Triebwesen und einem furchtbar freundlichen Typen. Wir können also auf Knopfdruck Freundlichkeit, Dankbarkeit und all solche Eigenschaften einfach evozieren, die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Lebens sind. Ich meine, wie leben davon, dass wir Menschen sympathisch oder unsympathisch finden, dass wir versuchen, Menschen, die wir lieben, ihnen ein Gefallen zu tun. Empathie, Mitleid, all diese Dinge, das ist die Grundlage unserer Moral. Und wenn wir das Gefühl haben, dass wir diese Moral elektrisch steuerbar ist, beliebig steuerbar, denke ich, hätte unsere Gesellschaft ein Riesenproblem. Sprecher: Und eine Welt, die auch Neurowissenschaftler Hans-Jochen Heinze nicht will. Die klinische Studie soll in erster Linie Klarheit schaffen, wie erfolgreich und exakt man den Nucleus Accumbens bei alkoholab- hängigen Patienten stimulieren kann. Und ob es dabei zu unange- nehmen Nebenwirkungen kommt. Bei den fünf Testpatienten konnten negative Folgen noch nicht festgestellt werden. Man müsse allerdings auch auf die subtilen Effekte achten, betont Heinze O-Ton Hans-Jochen Heinze: Es könnte doch sein, dass wir langfristig seine gesamte motiva- tionale Bereitschaft reduzieren. Dass wir eine Art Wurstigkeit produzieren, das müssen wir doch wissen. Ist es denn so, dass der Mensch nach jahrelanger Stimulation noch begeisterungsfä- hig ist. Oder ist er so eher gleichgültig, allen freundlich gleich- gültig gegenüber. Wenn das so ist, wollen wir das haben. Genau diese Fragen möchte ich verstehen. Sprecher: Aus der Behandlung von Parkinson-Patienten Tiefenhirnstimulation sind teilweise dramatische Effekte bekannt. Quasi als Nebenwirkungen traten dort bei Patienten Spielsucht oder auffälliges sexuelles Verhalten auf. Solche Auswirkungen seien zwar selten, zeigten aber die Gefahren solcher Eingriffe, gibt Neurowissenschaftler Hans-Jochen Heinze zu Be- denken. O-Ton Hans-Jochen Heinze: Wir dürfen da nichts übersehen, dass wir den Menschen da massiv verändern. Aber was mich am meisten umtreibt ist, kann es denn sein, dass wir nur punktuell so eine Suchtneigung ver- ändern und die gesamte Motivationslage im Wesentlichen unbe- eindruckt lassen. Das kann sein, aber das müssen wir prüfen. Charité-Suchtambulanz Autorin: Die Suchtambulanz der Charité in Berlin-Mitte. Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Campus Mitte beteiligt sich an dem Magdeburger Projekt. Psychiater rekrutieren für die klinische Studie alkoholabhängige Patienten. Nicht jeder Patient kommt für den Eingriff in Frage. Die Magdeburger Ethikkommission hat die Latte für die Auswahlkriterien hochgelegt. Christian Müller, Leiter der Suchtambulanz. O-Ton Christian Müller: Wichtig ist, dass die Patienten seit zehn Tagen abstinent sind und besonders wichtig sind natürlich die Vorbehandlungen, die bereits erfolgt sind. Wichtig ist, dass die Patienten ohne andau- ernden Erfolg mindestens eine qualifizierte Entzugsbehandlung durchgeführt haben. Weiterhin ne Langzeittherapie inklusive psychotherapeutischer Behandlung absolviert haben und auch einen medikamentösen Rückfallschutz erhalten haben, der kei- nen anhaltenden Erfolg gebracht hat. Und ein weiteres wichtiges Kriterium ist, dass mehr als die Hälfte der Tage im Zeitraum der vergangenen zwölf Monate Trinktage waren. Autorin: Außerdem müssen die Patienten geistig in der Lage sein, in die OP einzuwilligen, was wiederum ein unabhängiger Facharzt bestätigen muss. Christian Müller ist eine gewisse Skepsis gegenüber der neuen Therapieform anzumerken. Seit drei Jahren arbeitet der Mediziner in der Suchtambulanz. Er hat schon viele Alkoholpatienten gesehen, die rückfällig geworden sind. O-Ton Christian Müller: Es gibt eine Gruppe von Patienten, die an einer Alkoholabhän- gigkeit leiden, der wir mit den bislang verfügbaren Therapiemög- lichkeiten nicht ausreichend helfen können. Auf der anderen Sei- te muss man natürlich berücksichtigen, dass es ein sehr invasi- ves Verfahren ist. Es stellt einen massiven Eingriff dar, einen operativen Eingriff am Gehirn. Man muss einfach sagen, auch wenn die Tiefenhirnstimulation im Rahmen der Behandlung der Parkinsonerkrankung schon seit mehr als fünfzehn Jahren durchgeführt wird, ist es trotzdem so, dass wir je nach Stimulati- onsareal die Nebenwirkungen dieser Methode nicht kennen. Autorin: An der Studie dürfen darum nur Schwerstalkoholiker teilnehmen. Pa- tienten, bei denen die konventionelle Therapien nichts gebracht haben. Wer eine Persönlichkeitsstörung oder eine Depression hat, der scheidet von vornherein aus. Auch Scheinstimulationen sollen in der neuen Studie durchgeführt werden. Um sicher zu sein, dass der er- folgreiche Eingriff nicht auf einem einfachen Placeboeffekt beruht. Eines aber müsse klar sein, sagt Müller. Bei einer Tiefenhirnstimulation sollten nur kranke Eigenschaften behandelt werden. O-Ton Christian Müller: Da würde ich auch eine ganz klare Linie auch ziehen. Wir behan- deln hier die Patienten, sofern sie keine adäquate Behandlung erhalten, möglicherweise bald auch an ihrer Erkrankung verster- ben werden. Und ich finde das ist eine andere ethische Grundla- ge wie bei einem Gesunden entweder Medikamente einzusetzen, für die ohne hin bislang nicht gezeigt ist, dass die wirklich auch die kognitive Leistungsfähigkeit steigern können oder eben die Implantationen von Stimulatoren, um die Leistungsfähigkeit zu steigern. Ich denke, da gibt es eine deutliche Grenze. Sprecher: Die Vorstellung, mit Medikamenten die Intelligenz zu manipulieren, lehnen vor allem Psychotherapeuten ab. Doch die Bereitschaft der Menschen wächst, sich mit Hilfe von Tabletten, dem so genannten Hirn- Doping, oder mittels eines operativen Eingriffs, dem Neuro- Enhancement, ein leistungsfähigeres, mutmaßlich besseres Ich zu verpassen. Auch wenn beide Methoden noch völlig unerprobt sind. Eine Umfrage der Zeitschrift Gehirn und Geist ergab, dass 6 von 10 Befragten eine Pille zur Steigerung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit nehmen würden. O-Ton Urban Wiesing: Was stört uns eigentlich daran, dass es auf einmal weniger müh- selig sein soll. Sprecher: Urban Wiesing, Professor für Medizinethik doziert an der Universität Tübingen. Zudem ist er Vorsitzender der zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. Der studierte Philosoph und Mediziner lehnt Neuro-Enhancement nicht grundsätzlich ab. Sollte die Medizin eines Tages in der Lage sein, intelligente Eigenschaften beim Menschen verändern zu können. Und sollten die Menschen dies auch wollen, dann sei es schwierig, derartige OPs in einer liberalen Gesellschaft zu verbieten. Wiesing hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass man die Eigenschaften eines Menschen per Knopfdruck und völlig nebenwirkungsfrei verbessern kann. Die moralinsauere Debatte dar- über stört ihn. O-Ton Urban Wiesing: Aber wenn es ginge, was spricht dann gegen den Knopfdruck? Der Knopfdruck an sich scheint mir moralisch irrelevant zu sein. Relevant scheint mir zu sein, was kommt dabei raus und wie will die Persönlichkeit das. Ich glaube allerdings, dass das nicht geht. Ich glaube, dass es ganz etwas Unterschiedliches sein wird, ob ich eine Eigenschaft meiner Persönlichkeit durch eigene Entwicklung, durch eigene Reife erlangt habe oder durch Knopf- druck. Sprecher: Ab wann aber verändert man mit Hilfe von Neuro-Enhancement oder Hirn-Doping das Selbst, das eigene Ich? Das Selbst sei, was uns als Individuen kennzeichnet, sagt Wiesing. Unsere Erfahrungen, Wünsche, Gefühle, die eigenen Präferenzen. Wer durch Hirn-Doping schneller rechnen kann, dessen Wesen verändere sich nicht zwingend, findet Urban Wiesing. Bei den charakterlichen Eigenschaften sei dagegen allerhöchste Vorsicht geboten. O-Ton Urban Wiesing: Und das ist im Grunde eines der prekärsten Eigenschaften eines Menschen. Da etwas zu verändern, bedarf der ganz sorgfältigen Überlegung, da brauchen wir ganz starke Argumente, etwas zu verändern. Wenn wir unsere Haare durch einen Haarschnitt ver- ändern, ist das nicht so tragisch. Unsere Persönlichkeit zu ver- ändern, das ist unser Kern und da brauchen wir dann ganz ganz starke Argumente, wenn wir so etwas machen. Und auch ganz starke Sicherheit. Die Persönlichkeit irreversibel zu verändern, wäre im Grunde genommen ja das Schlimmste, was heraus- kommen kann. Sprecher: Das wichtigste Kriterium für Grenzen in der Forschung sei die Würde des Menschen, sagt der Medizinethiker. Das Dumme sei nur: Der Begriff der Würde sei so schwammig definiert, dass man nicht auto- matisch sagen könne, was gegen die Würde verstoße und was nicht. Die Grenzen der Würde, so Urban Wiesing, müssen im Einzelfall immer wieder neu ausgehandelt werden. Grenzen seien immer dann gegeben, wenn die personalen Veränderungen negative Auswirkungen auf anderen Menschen hätten. O-Ton Urban Wiesing: Also wenn ich zum Beispiel eine Kampfmaschine herstellen will, da hätte ich erhebliche Bedenken. Weil das ist ja nicht nur, was der Mensch für sich macht, wie der Mensch sich selbst gestaltet. Sondern dann gestaltet er sich ja selbst mit der hohen Gefahr, dass er auf die Freiheit von anderen Menschen Einfluss hat. Also da müssen wir schon gucken, ob das sozial verträglich ist. Tür geht, Gespräche im Hintergrund, Schritte, Hallo, Hallo... Autorin: Jeden Dienstagabend besucht Tobias Richter, sein wirklicher Name lautet anders, eine Gruppentherapie für Suchtkranke. Seit sechzehn Jahren ist er alkoholkrank. Es hat lange gedauert bis er sich das ein- gestehen konnte. Die erste Langzeittherapie habe er nur auf Druck seines Arbeitgebers gemacht, sagt Richter. Inzwischen hat er schon die zweite Langzeittherapie und etlichen ambulanten Entzugstherapien hinter sich gebracht. Trotzdem hat er immer wieder Rückfälle, den letzten hatte er vor wenigen Monaten. Die Abstände zu den Trinkphasen werden immer kürzer. Wenn Tobias Richter seelischen Stress hat, dann geht er heimlich in den Keller. O-Ton Tobias Richter: Du zögerst und greifst dann zu. Und nach dem ersten Schluck guckst du in den Spiegel, könntest in den Spiegel hauen oder spucken, dass du jetzt das wieder gemacht hast. Und dann sagst du, na nun hast du es gemacht, nun ist auch egal, nun kannst du weiter trinken. Autorin: Der 50-jährige bekommt seinen Saufdruck einfach nicht in den Griff. Sein Arzt hat ihm darum vor wenigen Wochen ein neues Medikament verschrieben. Er nimmt jetzt Tabletten, die gegen bestimmte Rezeptoren im Gehirn wirken und so den Trinkdruck unterbinden sollen. Doch auch dieses moderne Mittel im Kampf gegen den Alkoholismus wirkt bei vielen Patienten nicht. Die zwanzig Mitglieder der Suchtgruppe, die im Kreis sitzen, wollen von ihm wissen, wie es ihm mit dem neuen Tabletten geht. "Wie geht es dir heute?" "Ja mir geht´s gut. Ich kriege ja seit drei Wochen Tab- letten und mit denen geht es mir eigentlich im Moment sehr gut." Autorin: Seinen Begierden traut er trotzdem nicht über den Weg. Er möchte darum gerne als Testperson an der Magdeburger Studie teilnehmen. Ob er den strengen Auswahlkriterien genügt, weiß er noch nicht. Dann geht die Fragerunde weiter. Immer wieder steht bei den Erlebnissen der vergangenen Tage der Trinkdruck im Vordergrund. Fast jedes der zwanzig Gruppenmitglieder hat damit zu kämpfen. Täglich. O-Ton Gruppenmitglieder: Und man versuchen soll, weit wegzukommen, um überhaupt Al- kohol zu sehen, zu riechen, zu fühlen oder gedanklich auszu- sprechen. ... Hat ja auch damit zu tun, haben wir ja schon mal drüber gesprochen, je weiter du wegkommst, mit der Abstinenz lebst, umso sicherer, sagt man eigentlich wird man, und dass ist ja bei dir drei Jahre, ... ja, ja ... dass man den Hebel nicht umlegt, sondern sagt, bleib mal da wo du bist. Mir geht es besser. ... Ja, ja. Es ist wirklich ein Kampf in der Hinsicht: Das Gehirn ist das A und O dabei, zu sagen, nein, du darfst nicht. Obwohl es so ver- lockend ist. Autorin: Tobias Richter hört nachdenklich zu. Fängt er an zu trinken, dann dreht sich der ganze Tagesablauf nur noch ums Beschaffen und darum, die Sucht vor der eigenen Ehefrau und den Kindern zu verstecken. Zu oft haben sie ihn schon übermannt. O-Ton Tobias Richter: Du fühlst dich sicher, dir geht es gut. Du willst in die Kaufhalle gehen, dir ne Schachtel Zigaretten holen, hast fünf Euro bei, gehst rein, und wenn du raus kommst, an der Kasse vorbei, hast du keine Zigaretten, sondern ne kleine Flasche Schnaps in der Hand. Und wachst wie aus einem Traum auf. Du bist wie im Traum durch den Laden gegangen, eigentlich mit dem Bewusst- sein Zigaretten zu kaufen, aber du kommst mit einer Flasche Schnaps raus. Und dann ist eigentlich der Moment da, wo man das merkt, wach wird und sagt, die müsste ich jetzt wegschmei- ßen, auskippen, wegschmeißen. Nee, dann setzt die Vernunft nicht ein, dann sagste jetzt haste sie geholt, jetzt musst du sie trinken. Autorin: Das Verfahren mit der Tiefenhirnstimulation scheint für ihn der letzte Ausweg zu sein. Kriege ich meine Sucht nicht in den Griff, wache ich eines Tages unter der Brücke auf, ist sich Richter sicher. Die meisten Mitglieder der Therapiegruppe lehnen den radikalen Eingriff jedoch strikt ab. O-Ton Mann: Ich würde das nicht machen lassen, weil ich das Gefühl hätte, dass ich fremd gesteuert wäre. Weil ich ja hier gemerkt habe, dass ich mir meine Abstinenz selbst erarbeitet habe, ich denke, dass ich jetzt glücklich bin, und dazu gehört ja mehr als nur auf- zuhören mit Trinken. Das heißt, das war ein Prozess, der sich über Jahre hinweg hinzieht und diese ganzen Sachen, die man sich jetzt erarbeitet hat, die kommen ja nicht von einem Gerät, das ich im Kopf habe. Und ich denke mal, wenn ich von heute auf morgen durch irgendwas Künstliches aufhören könnte und diesen Suchtdruck nicht mehr hätte, wäre ich dann wirklich glücklich? Autorin: Tobias Richter zuckt mit den Schultern. Glücklich bin ich schon seit vielen, vielen Jahren nicht mehr, sagt er leise. Seine Lebensfreude hat er ertränkt. Er hat nur Angst, wieder zu versagen, wieder rückfällig zu werden. Fremd gesteuert fühle er sich durch seine Alkoholsucht. Nicht durch ein Implantat. O-Ton Tobias Richter: Aber ich sehe es völlig ein, dass ich dann nicht mehr ich sein werde. Nicht mehr so wie ich bin. Wie ich heute bin und es soll das Wesen ja auch wirklich ändern. Aber zum Vorteil. Ich meine abgesehen von den Risiken, kann ich mir vorstellen, dass es nur besser werden kann. Weihnachtsmarkt Autorin: In Halle an der Saale hat Florian Mehring seinen Rundgang über den Weihnachtsmarkt beendet. In seiner Hand hält er eine Tüte gebrannte Mandeln. Die Glühweinstände hat er links liegen gelassen. Der Geruch von Alkohol, oder wenn Menschen sich Zuprosten, das alles tangiert ihn nicht mehr. O-Ton Florian Mehring: Ich lebe. Ich bin mir jetzt darüber ganz klar, dass ich lebe. Ich kann leben ganz normal, einfach nur leben. Was ich vorher nicht konnte, weil, vorher war ich die Geißel meiner Sucht, habe da- hinvegetiert und versucht entweder der Sucht und dem Druck zu entkommen. Oder ich habe der Sucht nachgegeben und habe mich völligst abgeschossen. Ich lebe, seitdem ich dieses Implan- tat habe, lebe ich. Sprecher vom Dienst: Drogenfrei auf Knopfdruck? Wie Neurowissenschaftler unser Gehirn verbessern Ein Feature von Susanne Arlt Es sprachen: Die Autorin und Thomas Holländer Ton: Bernd Friebel Regie: Klaus Michael Klingsporn Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 Manuskripte und weitere Informationen zu unseren Zeitfragen- Sendungen finden Sie im Internet unter www.dradio.de 1