DEUTSCHLANDRADIO FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Patente, die nicht mehr funktionieren Wie falsch eingesetzte Schutzrechte Wissenschaft und Fortschritt behindern von Manfred Kloiber und Peter Welchering Musik - Nachrichtentickern: Sprecher 2: August 2012 - In einem ganz gewöhnlichen Saal eines ganz gewöhnlichen Gerichtes in amerikanischen San Jose wird verhandelt. Es geht um abgerundete Ecken. Es geht um Wischbewegungen auf berührungsempfindlichen Bildschirmen und um Quadrat-förmige Bildschirmsymbole. Um Patente, um Geschmacks- und Gebrauchsmuster. Musik - Nachrichtentickern: O-Ton 1 Collage Nachrichten Apple (01:12): Sprecher 1: Und es geht um zwei Firmen, die einen Stellvertreterkrieg führen - Apple gegen Samsung. Amerika gegen Asien. iOS gegen Android. Welten treffen aufeinander. Nie zuvor hat die Auseinandersetzung um gewerbliche Schutzrechte die Öffentlichkeit so bewegt. Noch nie wurde in einem Patentstreit so heftig über zwei Milliarden Euro gestritten. Und noch nie wurde soviel über Sinn und Unsinn von Patenten diskutiert. Musik O-Ton 2a Robert Bertin Übersetzung (00:14): "Zum Patent gehört ganz wesentlich auch, ..." Sprecher 2: Robert Bertin, Patentanwalt bei Bingham McCutchem in Washington DC: O-Ton 2b Robert Bertin Übersetzung (00:14): "... dass man mit der Patentschrift der Allgemeinheit verrät, wie man ein technisches Problem löst. Und als Gegenleistung dafür darf man dieses Wissen für eine gewisse Zeit eben exklusiv nutzen." Musik O-Ton 3a Eberhard Kübel, Erfinderverband (00:16): "Das größere Problem ist eigentlich, ... Sprecher 2: Eberhard Kübel, Deutscher Erfinderverband in Nürnberg: O-Ton 3b Eberhard Kübel, Erfinderverband (00:16): "... dass wir tausende, zigtausende von Ideen haben, die nicht verwirklicht werden können, weil kleinen und mittelständischen Unternehmen und freien Erfindern einfach die finanziellen Mittel fehlen // um ihre Erfindung zu realisieren." Musik O-Ton 4a - Björn Schulz, Patentanwalt (00:10): "Prinzipiell geht es natürlich darum, ... Sprecher 2: Björn Schulz, Patentanwalt bei der Maxton Langmaack in Köln: O-Ton 4b - Björn Schulz, Patentanwalt (00:10): "... den eigenen Markt, die eigene Entwicklungslinie zu schützen. Und zu versuchen, andere von diesem Entwicklungsweg auch abzudrängen." Musik O-Ton 5a Franz Schwiebacher, ZEW Mannheim (00:15): "Die Firmen bauen defensiv riesige Patentportfolios auf, ... Sprecher 2: Franz Schwiebacher, Patentforscher beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim: O-Ton 5a Franz Schwiebacher, ZEW Mannheim (00:15): "... // die dann die Firmen untereinander dann wieder kreuz- lizenzieren. // Man sichert sich sozusagen gegenseitig die Freiheit der Geschäftsführung dann ab. Und vor diesem Hintergrund muss man auch die Rechtsstreitigkeiten sehen." Musik O-Ton 6a Alexander Kurz, FhG (00:05): "Wir versuchen wirklich das, was bei uns entsteht, ..." Sprecher 2: Dr. Alexander Kurz, Vorstand für Personal und Recht bei der Fraunhofer Gesellschaft in München: O-Ton 6b Alexander Kurz, FhG (00:05): "... dann auch über Lizenzierung in Anwendung zu bringen." Musik Sprecher 1: Technische Ideen und Erfindungen werden in den meisten Staaten der Welt mit gewerblichen Schutzrechten gesichert. Voraussetzung: Sie müssen gut genug sein und zum Patent angemeldet werden. Wird das Patent nach Prüfung der Neuheit und der Erfindungshöhe erteilt, dann hat der Inhaber 20 Jahre lang das Recht, alleine über seine Idee zu verfügen. Ein Patent gibt es auch in klein - Gebrauchsmusterschutz heißt es dann. Der gilt nur für drei bis zehn Jahre und wird nicht so streng geprüft. Und es gibt das Geschmacksmuster. Hier geht es nicht um die Funktion einer Erfindung sondern um die Form - weshalb das Geschmacksmuster in anderen Ländern auch Design-Patent genannt wird. O-Ton 7 Alexander Kurz, FhG (00:08): "Ich denke, das ist ja bekannt, dass Fraunhofer da ganz ganz wesentliche Anteile an der gesamten MP3-Technololgie hält. Und auch verwertet." Sprecher 1: Rund 20.000 Patente besitzt der größte deutsche Think-Tank für angewandte Technologie-Forschung. Und jedes Jahr kommen etwa 500 neue Schutzrechte bei der Fraunhofer Gesellschaft hinzu. Darunter befinden sich zahlreiche kleinere Einzelpatente, die niemals wirklich bedeutend sein werden. Und weltweite Patentfamilien, die wahre Goldgruben sind. Das bekannteste und gleichzeitig auch das wertvollste Schutzrecht des Forschungsverbundes: Das Audio- Kompressionsverfahren MP3: O-Ton 8 Alexander Kurz, FhG (00:17): "Es sind bei MP3, sind es ganz ganz überwiegend Patente, Schutzrechte. In der Quintessenz ist es so, dass es eine Verwertung gibt, die professionalisiert ist über eine Struktur, die in den USA ihren Sitz hat. Gemeinsam noch mit einem Partner. Der auch dort entsprechende Schutzrechte hat in dem Bereich." Sprecher 2: Die MP3-Technologie - sie sorgt dafür, dass Musik- und Sprachdateien platzsparend auf Datenspeichern untergebracht und einfach im Internet übertragen werden können. Sie war Wegbereiter für tragbare Mini-Musikplayer, für den digitalen Rundfunk und für Internet-Musikplattformen. MP3 ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein gutes Patent funktionieren sollte. O-Ton 9 Alexander Kurz, FhG (00:10): "Das ist ein gemeinsamer Patentpool, den wir aber nicht selbst quasi in der professionellen Kommerzialisierung haben. Sondern über eine Art Tochterstruktur." Sprecher 2: 18 Patente halten die Fraunhofer-Gesellschaft und der Technologiekonzern Thomson in Sachen MP3-Technologie. Seit Ende 1998 verlangen sie von Hard- und Softwareherstellern, die das MP3- Format verwenden, Lizenzgebühren: rund 60 Eurocent für jeden verkauften MP3-Player oder für jedes Musik-Abspielprogramm für Computer. Und auch wenn die Fraunhofer-Gesellschaft sich nicht konkret zum Wert der Patente äußert - Experten schätzen ihn auf mehrere Milliarden. Genug jedenfalls, um den beträchtlichen Entwicklungsaufwand wieder einzuspielen. Die Arbeiten am MP3- Format begannen bereits im Jahr 1982. Und erst im Jahre 1992 wurde MP3 als Standard verabschiedet, nach zehnjähriger Entwicklungsarbeit. O-Ton 10 Alexander Kurz, FhG (00:36): "Da kann Ihnen ein Schutzrecht einfach eine gewisse Sicherheit geben. Dass sie in einer Anwendung oder Technologie weitermachen können zu einem Produkt, ungestört. Und da gibt es da schon Strategien, wo man sagt, zum jetzigen Zeitpunkt zum Beispiel, gehe ich nicht in eine Verwertung. Aber ich nutze meine Rechtsposition, um mich am Markt da weiter zu positionieren zu können. Aber so, diese Philosophie, nur zu verbieten und etwas zu blockieren, die kommt, ist bei uns eigentlich, soweit wir das beurteilen dürfen und können, was die Wirtschaft angeht, die ist wenig verbreitet. Es ist mehr eine strategische Frage. Wann man wie mit welchem Schutzrecht agiert?" Sprecher 1: Tatsächlich hat sich die Patentierung von MP3 nicht negativ auf die Weiterentwicklung der Audio-Kompressionstechnologie insgesamt ausgewirkt. Während viele Hersteller-Firmen von Musik-Playern oder Abspielprogrammen Lizenzen für die Nutzung der MP3-Algorithmen zahlten, um schnell MP3-Player auf den Markt bringen zu können, entwickelten andere lieber Umgehungstechnologien. So gibt es heute etliche MP3-Programme, die nicht mit den patentierten Algorithmen von Fraunhofer und Co. arbeiten, sondern mit Nachahmer- Technologien - etwa das in der Freeware-Szene bekannte Entwicklungspaket "Lame". Und es kamen ganz neue Verfahren auf, die zum Teil - weil sie später entwickelt wurden - ausgereifter sind. So entstand in der Open-Source-Szene beispielsweise das sehr beliebte OGG-Vorbis-Verfahren. Quasi als offene, lizenzfreie Alternative zu MP3. Doch gerade in der IT-Branche entfalten Patente heute auch eine ganz andere Wirkung. Oftmals werden Schutzrechte als strategisches Mittel im Kampf um Marktanteile eingesetzt. Da geht es dann nicht mehr darum, dass Entwicklungen und Erfindungen für eine gewisse Zeit durch ein Patent geschützt sind, damit die Entwicklungskosten wieder hereingeholt werden können. Sondern es geht darum, einem Konkurrenten mit den Mitteln des Patentrechts, Marktanteile abzujagen und die eigenen Absatzmärkte zu sichern. O-Ton 11a: Björn Schulz (00:47): "Sie haben dort ein so genanntes Verbietungsrecht." Sprecher 2: Björn Schulz, Patentanwalt O-Ton 11b: Björn Schulz (00:47): "Ist das Patent erteilt, haben sie die Möglichkeit, gegen Dritte vorgehen zu können, denen den Verkauf, den Vertrieb, aber auch die Herstellung verbieten zu können. Das ist sehr einschneidend. Und so können sie ihre Absatzmärkte sichern. Ein Verbietungsrecht geht genau in diese Lücke hinein. Denn sie gibt mir als Privatmensch die Möglichkeit, einem Anderen etwas verbieten zu können. Das, was normalerweise nur per Gesetz möglich ist, erlaubt ein Patent. Ich kann einem anderen Dritten etwas verbieten, zu tun. Das heißt tatsächlich zu sagen, das darf nicht stattfinden. Das kann ich auch gerichtlich durchsetzen. Das ist also etwas Besonderes, was wir ansonsten in vielen Bereichen so gar nicht kennen." O-Ton 12a Jörg Asma, KPMG (00:42): "Meine Einschätzung dazu ist, ..." Sprecher 2: Jörg Asma, Technologieexperte bei der Unternehmensberatung KPMG in Köln: O-Ton 12a Jörg Asma, KPMG (00:42): "... dass hier natürlich jetzt durch die Konsolidierung der Märkte uns überlegen müssen. Mit Patenten Innovationen behindern, statt sie zu fördern - das wie verteilen sich die Märkte tatsächlich am Ende des Tages. Schauen wir einfach mal auf die Verkaufszahlen von mobilen Endgeräten im letzten Jahr. Dann haben wir erstmalig gesehen, dass mobile Endgeräte mehr ausgemacht haben an Marktanteilen und Verkaufszahlen. Jetzt muss man überlegen, wer verdient eigentlich da dran? Also das ist ein extrem kleiner Markt geworden im Sinne der Marktteilnehmer. Aber nicht im Sinne des Volumens. Insofern ist natürlich auch das Patent an der Stelle auch möglicherweise der Hebel, um den Markt künstlich klein zu halten. Und dann natürlich Eintrittsbarrieren für andere Mitbewerber zu schaffen." MUSIK Sprecher 1: Vom Verbietungsrecht durch ihre Patente haben die Smartphone- Hersteller Apple und Samsung ausgiebig Gebrauch gemacht. Gegenseitig verklagten sie sich wegen Patentverletzungen und riefen Gerichte in den Australien, Deutschland, den Niederlanden und Südkorea an. Konnte Apple ein Verkaufsverbot für ein Smartphone-Modell von Samsung durchsetzen, stiegen die Verkaufszahlen für das eigene Produkt an. Und bei Samsung verhielt es sich genauso. Beide spielten und spielen mit hohem Risiko, um den jeweils anderen mit diesen Verbietungsrechten, abgeleitet aus Patenten, matt zu setzen. Und immer geht es um viel Geld. O-Ton 13a, Björn Schulz (01:09): "Die Gerichtsstreitsachen werden natürlich anhand der so genannten Streitwerte berechnet." Sprecher 2: Björn Schulz, Patentanwalt O-Ton 13b, Björn Schulz (01:09): "Und was oftmals im Raume steht sind eventuell Schadensersatzansprüche, die geltend gemacht werden können. Die können natürlich sehr hoch sein. Aber auch Gerichtsgebühren, beispielsweise, können sehr hoch werden. Wenn man sich überlegt, wie viel Umsatz generiert denn beispielsweise ein Apple oder ein Samsung mit ihren jeweiligen Produkten. Wenn man das dann einmal geltend macht, vor Gericht, dann bin ich sehr schnell bei den höchstzulässigen Streitwerten von 30 Millionen. Und dementsprechend wird ja anhand dieses Streitwertes berechnet, was für Gerichts- und Anwaltsgebühren anfallen. Da bin ich dann schnell mal im Millionenbereich. Hinzu kommen dann noch Gerichtsgutachter etc. Da sind die tatsächlich anfallenden Kosten natürlich hoch. Auf der anderen Seite, was man auch nicht vergessen darf, was hat denn eigentlich alles an Entwicklungskosten und an sonstigen Kosten dazu geführt, dass überhaupt ein derartiges Produkt nun vor einem liegt? Da muss man sich natürlich durchaus die Frage stellen, ob das dann noch gerechtfertigt ist." O-Ton 14a, Henning Steier (00:48): "Kritiker bemängeln das schon seit längerem: es werden absurde Dinge patentiert." Sprecher 2: Henning Steier, Wirtschaftsjournalist, Neue Zürcher Zeitung: O-Ton 14b, Henning Steier (00:48): "Man kann sicherlich darüber streiten, ob das Herunterscrollen eines Menüpunktes oder das Volllaufen einer Leiste, das den Download anzeigen soll, ob das überhaupt patentwürdig ist. Das Problem ist wie bei vielem in der digitalen Welt, dass die gesetzliche Entwicklung mit dem einfach nicht Schritt hält. D.h. es ergeben sich technisch-logische Entwicklungen, aber die Gesetze sind 20 Jahre alt, die gesetzlichen Vorgaben stammen teilweise aus einer Zeit, als Entwicklungen, die es in der heutigen Informationstechnologie gibt, noch überhaupt nicht vorhersehbar waren. Das heißt man hat im Prinzip einen Riesenmoloch geschaffen. Man darf zum Beispiel auch nicht vergessen, dass davon sehr viele Anwälte leben. Es kam unter anderem heraus, dass die Anwälte von Samsung und Apple in diesen Prozess ungefähr 500 $ pro Stunde verlangen. Man kann sich mal überlegen, was das letztendlich für Summen sind. Da lebt letztendlich eine ganze Industrie davon." O-Ton 15a, Robert Bertin Übersetzung (00:30): "Klar, ich finde die Anwaltsgebühren auch interessant." Sprecher 2: Robert Bertin, US-Patentanwalt O-Ton 15b, Robert Bertin Übersetzung (00:30): "Dafür muss man aber auch hart arbeiten, wenn man für solch einen Job engagiert wird. In diesem Fall sind doch Prozesskosten im Vergleich wirklich gering im Vergleich zum maximalen Schaden. Es ging um zwei Milliarden Euro. Da zahlt doch Apple klaglos die Prozessgebühren. Und die Anwaltsgebühren sind nur ein kleiner Teil der Gesamtsumme, um die es geht." Sprecher 1: Eine Voraussetzung für die Blüte einer regelrechten Patentanwaltsindustrie: Große Namen, die für die Medien nach viel Glamour und viel Geld klingen. Dazu Produkte, die wie Handys, gleichzeitig High-Tech-Wunder und Lifestyle-Produkt sind. Und auf der anderen Seite: Zunehmende Unsicherheit und Unübersichtlichkeit. So sind bei der Entwicklung eines Smartphones zum Beispiel rund 160 Patente und ähnliche Schutzrechte betroffen. Jede einzelne Technologie, die zum Einsatz kommen soll, jeder Programmierkniff in der Software eines Gerätes, und jede Formgebung von Einzelteilen und Gesamtsystem müssen aufwändig auf Urheber- und gewerbliche Schutzrechte überprüft werden. In jedem Land, in dem Patente angemeldet werden können, und in dem die Produkte auf den Markt gebracht werden sollen. Eine Sisyphos- Aufgabe, die extrem viel Geld und vor allem Zeit kostet. O-Ton 16, Robert Bertin 01, Übersetzung (00:34): "Im Smartphone-Bereich - weil da so viele verschiedene Technologien zum Einsatz kommen, zum Beispiel Betriebssysteme, Bildschirmtechnologien, Drahtlos-Technologien, Prozessor- Technologien, Stromspartechnologien, und und und - da können duzende und duzende und duzende Patente im Spiel sein. Und das ganze dann auch noch obendrein in verschiedenen Rechtsgebieten. Und da kann schon ein bisschen dauern, bis jeder seine Rechte geltend machen kann. Aber genau das passiert jetzt im Smartphone- Bereich." O-Ton 17a, Jörg Asma, KPMG (00:33): "Ich glaube nicht, dass man die Vielzahl der Patente tatsächlich noch überblicken kann. Sprecher 2: Jörg Asma, Technologie-Experte: O-Ton 17b, Jörg Asma, KPMG (00:33): "Weil es ist extrem schwierig geworden, ein Produkt so zu gestalten, dass es rechtssicher, das heißt ohne Patentrechtstreitereien am Ende im Markt platziert werden kann. Gerade die Zahl 160, ist schon ein Synonym dafür, mit wie viel Menschen und Firmen man sich möglicherweise einigen muss. Einige davon sind bereit, Lizenzen zu vergeben, andere wiederum nicht. Dann stellt sich wieder die Frage, ob das für das Produkt tatsächlich funktioniert oder eben nicht." Sprecher 1: Je komplexer die Technologie ist und je mehr Einzelelemente ein Produkt bilden, umso schwieriger wird es, sich einen Überblick über die weltweite Patentlage zu verschaffen. Viele kleine Einzelteile, viele Möglichkeiten in der Bedienung, viele verschiedene Anwendungsszenarien machen also ein Produkt zum Patentrisiko. In der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie werden so aus Schutzrechten regelrechte Innovationshemmnisse. Das ist in anderen Branchen, da, wo die Produkte selbst einfacher strukturiert sind, anders. (Kürzungsvorschlag Anfang) O-Ton 18a, Franz Schwiebacher, ZEW (00:50): "Also das Paradebeispiel für Technologien, wo Patente sehr innovationsfördernd angesehen werden, ist die Pharmaindustrie." Sprecher 2: Franz Schwiebacher, Wirtschaftswissenschaftler: O-Ton 18b, Franz Schwiebacher, ZEW (00:50): "Weil da ein Patent sozusagen gleich ein Produkt ist. Und man schützt eine chemische Formel durch ein Patent. Das kann ein Wettbewerber zwar theoretisch leicht nachbauen. Aber der Erfinder hat dann das Recht, den Wettbewerber von der Imitation sozusagen auszuschließen, vom Markt. Ein anderer Fall ist der, zum Beispiel Apple Samsung-Fall. Da geht es um Elektrotechnik, um komplexe Technologien. Und da ist eben dieses Äquivalent zwischen Produkt auf der einen Seite und Patent auf der anderen Seite eben nicht mehr gegeben. Das heißt, ein Produkt besteht aus mehreren Komponenten. Und diese Komponenten sind wiederum durch mehrere Patente geschützt. Das heißt, es entstehen so genannte Patentgedichte, die erst gelichtet werden müssen. Und da besteht eben das Problem, bei solchen Technologien." (Kürzungsvorschlag Ende) O-Ton 19a, Björn Schulz (00:12): "Wer ist denn tatsächlich überhaupt in der Lage, Sprecher 2: ... fragt Patentanwalt Björn Schulz ... O-Ton 19b, Björn Schulz (00:12): "... immer und überall auch die Produkte des Anderen so auseinander zu nehmen, und zu analysieren? Um feststellen zu können, liegt eine Verletzung vor oder nicht?" Sprecher 1: Viele Patentanwälte wissen auch, dass allzu oft gar nicht die Zeit bleibt, eine vollständige Datenbankrecherche über alle möglichen Schutzrechte in Auftrag zu geben. Oder dass es vielen Entwicklern und Erfindern schlichtweg an Geld fehlt, die ganzen Patentfallen abzuklopfen. O-Ton 20a, Eberhard Kübel (00:23): "Noch schlimmer ist es aber eigentlich, ... Sprecher 2: ... für Eberhard Kübel vom Erfinderverband ... O-Ton 20b, Eberhard Kübel (00:23): "... dass viele Entwicklungen durch anhängige Patente blockiert werden, die im Endeffekt überhaupt nicht erteilt werden. Aber Erfinder haben in solchen Fällen Angst davor, dass eventuell doch irgendetwas für den Wettbewerber erteilt wird und er dann hinterher eins aufs Dach kriegt. Indem er Schadensersatz bezahlen muss." Sprecher 1: Viele kleinere Erfindungen, Einfälle und technische Kniffe werden von Unternehmen, die es sich leisten können, einfach auf Vorrat angemeldet. Auch wenn die Chance, tatsächlich ein Schutzrecht dafür zu erlangen, klein sein sollte - oft reicht es aus, dass schon allein die Tatsache der Patentanmeldung abschreckend wirkt. Und wenn der Patent-Anmelder es will, finden sich Mittel und Wege, die Entscheidung der Patentämter herauszuzögern. Überlastete Behörden benötigen für penible Entscheidungen besonders viel Zeit. Sprecher 2: Oder das Spiel geht genau anders herum. Etwa in den Ländern, in denen die Patentämter den Ruf haben, nicht besonders anspruchsvoll zu sein. Den Patentämtern einiger Staaten eilt der Ruf voraus, nicht selten vorschnell Patente für ausgesprochen allgemeine Verfahren zu erteilen oder triviale und schon seit vielen Jahren in der Produktentwicklung verwendete Methoden ganz unerwartet mit Schutzrechten auszustatten. Einen besonders schlechten Ruf hat da das US-amerikanische Patentamt. O-Ton 21a, Franz Schwiebacher, ZWE (00:31): "Es gibt Studien, die sagen, ein Patentanwalt am US-Patentamt hat so ungefähr 48 Stunden, glaube ich, Zeit pro Anmeldung." Sprecher 2: Patentforscher Franz Schwiebacher O-Ton 21b, Franz Schwiebacher, ZWE (00:31): "Und das ist selbst für den technischen Experten natürlich schwierig, einzuschätzen, ob jetzt diese Anmeldung hinreichend neu ist. Oder andere Patentierungsvoraussetzungen erfüllt sind. Man spricht dann auch davon, dass es hohe Fluktuationen in diesem Amt gibt. Einfach vor der Arbeitsbelastung. Und dass es nicht dazu führt, dass die Patentqualität gesteigert wird. Ich glaube, so viel kann man sagen." MUSIK O-Ton 22a, Rainer Wieland, EP (00:52): "Wir müssen sicher das Patent wieder auf seinen ursprünglichen Kern bringen." Sprecher 2: Rainer Wieland, stellvertretender Präsident des Europäischen Parlaments, Europäische Volkspartei: O-Ton 22b, Rainer Wieland, EP (00:52): "Nämlich tatsächlich technische Neuerungen, die einen Aufwand haben, zu entwickeln. Die eine Idee mit einer Technik verbindet. Dann werden wir sicherlich noch genügend Dinge haben, die im digitalen Bereich und im neuen elektronischen Bereich der Einpegelung bedürfen. Aber wenn wir einmal zum Grundsatz zurückkehren, dann Technik dabei sein muss. Da weichen manche schon davon ab. Wenn wir da wieder zurückkommen, machen wir uns das sicherlich leichter. Und dann wird es auch nicht innovationshemmend sein. Also, wenn sie reine mathematische Verfahren plötzlich patentieren wollen, dann wird es sicher dazu führen, dass wir, dass es schwieriger wird. Also der Fortschrittsbalken, zum Beispiel. Bei einer elektronischen Darstellung. Das kann ich mir nicht vorstellen, dass es ein Patent sein soll. Das ist nur eine Gestaltungsidee." Sprecher 1: Der Patentexperte und Europaparlamentarier Rainer Wieland setzt sich seit vielen Jahren für die Einführung eines einheitlichen europäischen Patentrechts mit hohen Vergabeanforderungen ein. Und er fordert nachdrücklich, dass sogenannte Trivial-Patente nicht mehr patentiert erteilt werden. So sollten etwa Fortschrittsbalken bei einem Computerprogramm, die den Fortgang eines Datenverarbeitungsprozesses, zum Beispiel beim Herunterladen einer Datei oder beim Installieren eines Computerprogramms anzeigen, nicht mit Schutzrechten ausgestattet werden. Auch die weltweit geführten Patenstreitigkeiten zwischen Apple und Samsung um die Form von Tablets oder Smartphones kann der Europapolitiker überhaupt nicht nachvollziehen. Zumal die eigentlich klaren Unterschiede zwischen den verschiedenen gewerblichen Schutzrechten immer mehr verwischen. Aus Geschmacksmuster, die eigentlich nur die ästhetische Form, also das Design schützen, werden immer öfter Patente, die eigentlich technische Neuerungen schützen sollen. O-Ton 23, Rainer Wieland, EP (00:25): "Da sehe ich persönlich schon in der Zukunft Schwierigkeiten auf uns zukommen. Weil eine gewisse Neigung dazu da ist, sozusagen Geschmacksmuster in den Bereich des Patents hinüber zu schieben. Und das halte ich für wenig angebracht. Also dass man runde Ecken patentiert. Da würden wir sehr schnell zu einer Situation kommen, dass nahezu nichts mehr ohne Bauchweh neu herausgebracht werden kann." Sprecher 1: Zur Zeit arbeiten die Europaparlamentarier an einem EU- Gemeinschaftspatent, das einen einheitlichen Schutz für alle EU- Staaten bieten soll. Wichtige Richtungsentscheidungen dazu wurden bereits 2011 verabschiedet wurden, trotzdem lässt das EU-Patent auf sich warten. Das liegt auch daran, dass beim Gemeinschaftspatent die Standards neu verhandelt werden. Da versuchen einige Parlamentarier schlichtweg, die Latte höher zu hängen, während die Lobbyisten von Industrie und Wirtschaft vor allem auf kostengünstige Verfahren achten. O-Ton 24, Rainer Wieland, EP (00:13): "Reine mathematische Verfahren, das kann für mich kein Patent sein, es kann kein Patent aus Wurzelziehen geben. Es kann kein Patent aufs Milcheinschenken geben. Und andere Dinge mehr. Und es kann für mich auch kein Patent zum Beispiel aufs menschliche Genom geben." Sprecher 1: Zwar gibt es schon jetzt ein Europäisches Patentamt in München, bei dem ein Patent für viele europäische Staaten angemeldet werden kann. Doch die eingeräumten Rechte folgen jeweils den unterschiedlichen nationalen Spielregeln der Einzelstaaten - quasi organisierte Kleinstaaterei. O-Ton 25a, Franz Schwiebacher, ZWE (00:21): "Es gibt sozusagen kein europäisches Patent." Sprecher 2: Franz Schwiebacher, Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim: O-Ton 25b, Franz Schwiebacher, ZWE (00:21): "Sondern dieses europäische Patent zerfällt in nationale Rechte. Da es auch kein europäisches Rechtssystem, kein einheitliches gibt. Da wird eben auch oft angemerkt, dass diese Zersplitterung der Rechte natürlich auch wieder Transaktionskosten hervorruft. Da natürlich das Recht in jedem einzelnen, vor jedem einzelnen nationalen Gericht erstritten werden muss." Sprecher 1: Und das hat zur Folge, dass sich insbesondere oftmals kleine Firmen, Patentauseinandersetzungen und oftmals auch alle erforderlichen Patentanmeldungen gar nicht leisten können. Das hat Franz Schwiebacher in einer Untersuchung über Patente als Innovationshemmnis herausgefunden. Und die innovationshemmende Wirkung ist nicht auf die kleinen Unternehmen und Einmann- Erfinderbuden beschränkt. O-Ton 26, Franz Schwiebacher, ZWE (00:28): "Auf der anderen Seite für die großen Unternehmen kann es problematisch werden, wenn sehr viele kleine, spezialisierte Rechteinhaber auf dem Technologiemarkt präsent sind. Weil sie natürlich auch die verschiedenen verstreuten Rechte koordinieren müssen. Und diese großen Unternehmen eventuell paradoxerweise in einer schwächeren Verhandlungsposition sind. Einfach weil der spezialisierte Rechteverwalter keine Produktion hat, die dann reziprok, sozusagen, lahmgelegt werden kann." Sprecher 1: Der reine Patenthandel, völlig losgelöst abgewickelt von der technischen Entwicklung, wirkt sich dann oft als regelrechtes Innovationshemmnis aus. Das Patent als Handelsgut einfach abzuschaffen, ist allerdings auch keine Lösung. Gleichwohl muss die fortschrittsfeindliche Wirkung von sogenannten Patentpools vermieden werden. Sprecher 2: Beispiel World Wide Web: Bei der Weiterentwicklung von Multimediaangeboten, zum Beispiel von Video-Plattformen wie Youtube oder Vimeo, hat die unübersichtliche Verwertungslage bei den Patenten für den wichtigen Videostandard H.264 einen von allen Beteiligten eigentlich gewünschten einheitlichen Standard verhindert. Gegenwärtig sind vier gleichberechtigte Videostandards für Multimediaanwendungen im World Wide Web im Gespräch, weil eine Entscheidung für einen Einheitsstandard H.264 auch die Einigung mit allen relevanten 40 Patent- und Verwertungsrechteinhabern vorausgesetzt hätte. Einige der Rechteinhaber wollten bei einer solchen Standardlösung aber nicht mitmachen.](o.c.)]]] Sprecher 1: Radikale Technologieexperten fordern eine Abkehr von Patenten. Sie glauben - ähnlich wie die Gegner des Urheberrechtes - dass Ideen und Erfindungen Allgemeingut sind. Weniger radikale Fachleute plädieren dagegen für eine Besinnung auf die ursprüngliche Funktion der gewerblichen Schutzrechte. So sollte der Blick der Patentprüfer auf die Erfindungshöhe wieder strenger werden - vor allem bei der Patentierung von Algorithmen und Programmen. Denn immer mehr Innovationen werden als Softwarelösung umgesetzt. Sind einfache Funktionen wie der Kontrastfilter bei einer Bildverarbeitungssoftware oder Hilfsprogramme zum geschickten Aufteilen des Arbeitsspeichers schon patentwürdig? Oder erst solche komplexe Verfahren wie die MP3-Technologie? Diese Neujustierung spielt besonders in der Diskussion um das geplante EU-Patent eine große Rolle. Sprecher 2: Und auch der Eigentumsgedanke des Patents sollte revidiert werden - denn Eigentum verpflichtet. Deshalb steht auch die Forderung im Raum, Patent-Inhaber zu einer Lizenzierung ihrer Idee zu zwingen: O-Ton 27a, Jörg Asma, KPMG (00:21): "Es gibt ein Prinzip bei der Lizenzvergabe." Sprecher 2: Jörg Asma, Unternehmensberater bei KPMG: O-Ton 27b, Jörg Asma, KPMG (00:21): "Und das ist der faire Preis. Der, der immer wieder thematisiert wird. Und das beklagen ja auch Wettbewerber. Dann, wenn nämlich eine Lizenz bereit gestellt wird. Dass häufig unfaire Preise verlangt werden. Also ich glaube, wenn wir das einfach regeln, fairer Preis, Lizenzvergabe, im Einklang mit dem Patentrecht, dann wären wir einen großen Schritt weiter."