Deutschlandrundfahrt Siedler, Nonnen und Soldaten - Die historische Landschaft der Prignitz in Brandenburg Von Nana Brink Sendung: 23. Juni 2012, 15.05h Ton: Alexander Brennecke Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Regie: Opener Deutschlandrundfahrt MUSIK ZUM UNTERLEGEN 1a (10). O-Ton: Collage Die Prignitz hat wahrscheinlich mehrere Herzen, aber hier ist schon die Hauptschlagader, das Königsgrab in Seddin, weil wir hier in die Urzeit zurückgehen. Autor: Irgendwann gibt die Erde alles frei. In ihr ruht die Geschichte der letzten Jahrhunderte. Oder Jahrtausende, wenn man Glück hat. In der Prignitz machen sich Archäologen, Historiker und Förster seit ein paar Jahren auf den Weg ins Innere ihrer Geschichte. Sie finden: Ein Grab aus der Bronzezeit, zugeschrieben einem legendären König Hinz. 1b. O-Ton: Collage Wir sind begeistert, die Wissenschaftler in uns sind über die Möglichkeiten, dieses Schlachtfeld zu erforschen begeistert. Wir versuchen uns nur selber immer wieder klar zu machen, dass der Grund unserer Begeisterung ein ganz grausamer ist. Autor: Sie finden: Ein Massengrab aus dem 30jährigen Krieg in Wittstock. Und plötzlich bekommen die, die gestorben sind im Namen des Glaubens, ein Gesicht. Geschichte von unten, nennen sie es. 1c (28). O-Ton: Collage Wenn ich hier allein unterwegs gewesen bin in Freyenstein ... vermessen, gegraben, ich habe manchmal die Stimmen gehört, die hier gelebt haben, das Bellen der Hunde, das Pferdegetrappel... Autor: Und sie finden: Eine Stadt aus dem 13. Jahrhundert in Freyenstein. 700 Jahre lang verborgen unter den Getreidefeldern. Regie: Musik hoch SpvD: Siedler, Nonnen und Soldaten. Die historische Landschaft der Prignitz in Brandenburg. Eine Deutschlandrundfahrt von Nana Brink. 2. O-Ton: Antje Zeiger, Leiterin Museum 30jähriger Krieg in Wittstock (Winde dreht sich, Glockenschlag) Damit sind wir zurückversetzt ins 17. JHD, unser akustischer Fahrstuhl, wir befinden uns jetzt im Mai 1618 in Prag, als mit dem Prager Fenstersturz die kriegerischen Auseinandersetzungen, die man dann als den 30jährigen Krieg bezeichnet begann, und hier kann man sich informieren über die Ursachen des Krieges, die Konkurrenten. Autor: Und über das einfache Volk, - das ist Antje Zeiger, der Leiterin des Museums des 30jährigen Kriegs in Wittstock besonders wichtig. Der erste globale Weltkrieg, wie viele Historiker die jahrzehntelange Schlacht um Macht und Religion deuten, blutet Deutschland aus. Antje Zeiger schätzt, dass fast 50 Prozent der Landbevölkerung ums Leben kommt: Durch Plünderungen, Seuchen, Hungersnöte. Gewaltige Heere ziehen im Namen des Glaubens zigtausende von Kilometer marodierend durch die Lande, denn der Krieg ernährt sich selbst, wie ein Sprichwort heißt. Wer kann, sucht Unterschlupf beim Unternehmen "Krieg". Atmo: Geräusch von Piken und Schwertern 3. O-Ton: Antje Zeiger Hier kann man sich einkleiden lassen und auch noch mal die Derbheit des Materials fühlen. Das sind Harnische und dazu gehören dann diese Kopfbedeckungen, Birnenmorion, die Ähnlichkeit mit der Birne ist schon da, sehr unbequem, sehr hart. Autor: Der Krieg macht auch vor Wittstock, einer der großen Städte der Prignitz, nicht halt. Hoch vom Backsteinturm der mittelalterlichen Bischofsburg hört man im Oktober 1636 die Vorboten des Krieges jenseits der Mauer. Atmo: Trommeln 4. O-Ton: Antje Zeiger Gehörte immer eine Geräuschkulisse dazu, klar. Wenn die Soldaten in einen Schlacht einzogen, dann waren die Trommler und Pfeifer nicht weit, die diese wilde Situation noch einmal zusätzlich anfachten mit entsprechenden Geräuschen. und gleich dran: 5. O-Ton: Filmausschnitt So auch am 4. Oktober 1636 auf dem flachen Feld vor der alten Bischofsburg hier in Wittstock ereignet sich eine der größten Schlachten des 30jährigen Krieges...Musik...Jeder Soldat nimmt eine fest gelegte Rolle im Programm des Tötens ein... Kanonenkugel in die dichte Reihe der Soldaten...regelrechte Schneisen... kann über 100 Soldaten töten. Autor: Aber wer sind diese Soldaten, die an einem trüben Oktobertag 1636 sterben müssen? Woher kommen sie? Zum ersten Mal gibt es eine Antwort. Sie liegt auf dem ehemaligen Schlachtfeld bei Wittstock, ein paar Meter unter der Erde, wie Sabine Eickhoff vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege erklärt. 6. O-Ton: Sabine Eickhoff, Brandenburgisches Amt für Denkmalpflege Es war ein absoluter Zufallsfund im Jahr 2007 der Kiesgrubenbesitzer, den wir da vorne sehen können, eine Grube.Na im ersten Moment hat der Baggerfahrer nur gesehen, in seiner Baggerschaufel menschliche Schädel rauskugelten, der Baggerfahrer wird sich auch erschrocken haben und hat das Museum des 30jährigen Krieges benachrichtigt und dann sind sehr schnell Archäologen raus gekommen, Anthropologen, haben sich die Knochen angeschaut und sehr schnell kam der Verdacht, dass es mit dieser Schlacht in Verbindung steht, es waren eben Knochen nur von Männern, keine Frauen dabei, keine Kinder, keine Spuren von medizinischer Behandlung, keinerlei zahnmedizinische Behandlung und das ist in jüngerer Zeit ja eigentlich doch immer der Fall und das war der erste genau lokalisierbare Hinweis auf das Schlachtfeld. Atmo: Feld bei Wittstock (Wind) Autor: Eine kleiner Feldweg führt heute zu dem Aussichtsposten - einem ausgedientem Wasserspeicher mitten auf einem Feld -, der dem Besucher erklärt, wer hier in den frühen Morgenstunden des 4. Oktobers 1636 aufmarschiert. Und wer nicht mehr zurückkehrt. Es stehen sich gegenüber: Das schwedische Heer als Schutzherr der Protestanten und die kaiserlichen Truppen der Katholischen Liga. 7. O-Ton: Sabine Eickhoff Das ist unser Individuum Nummer 71, das ist ein junger Mann aus Schottland, der ist zwischen 21 und 24 Jahre alt geworden, mit 1,80 Meter der größte Söldner gewesen...wir können an seinen Zähnen und Knochen nachweisen, dass er als Kind mehrere Phasen, wo er entweder ganz schwer krank war oder so stark Mangelernährung, dass er zu einem normalen Knochenwachstum gar nicht in der Lage war und als ob das nicht reichen würde an wirklich Ungemach, schlechtem Leben, hatte er auch während der Schlacht eines der härtesten Schicksale. Er hat eine Schussverletzung in seinem rechten Oberarm, ist dann anscheinend in einen Nahkampf verwickelt worden mit jemanden, der eine Hellebarde hatte, und hat einen Schlag auf den Schädel bekommen, durch die sein Schädel nahezu komplett gespalten ist. Und er zusammengenommen symbolisiert in einer Person die Unbilden dieser Zeit, die schlechte Versorgung, auch die Grausamkeiten dieses Krieges in einer Schlacht, dass wir ihn halt genommen haben, um seine Lebensgeschichte zu erzählen. Autor: Das Individuum Nummer 71. Ein schottischer Söldner in schwedischen Diensten. Im Archäologischen Landesmuseum in Brandenburg ist er nach 375 Jahren wieder lebendig geworden. 8. O-Ton: Sabine Eickhoff Wir haben sein Gesicht rekonstruiert, in Zusammenarbeit mit dem rechtsmedizinischen Institut in Potsdam und in der Ausstellung kann man ihm wirklich so wie Sie und ich jetzt Aug in Aug ins Gesicht schauen. Ja ich muss sagen, er sieht doch gut aus, er hat einen typisch männlich rechteckigen Kiefer, also wirklich so schön quadratisch, wir haben uns bei einem Schotten für bläuliche Augen entschieden, rötliche Haare, er ist sehr blass, was bei seiner Lebens- und Krankengeschichte sehr verständlich ist, aber ansonsten steht er da in einer Tracht seiner Zeit und macht schon was her mit seinen 1,80, ja er sieht schon ganz gut aus. Autor: Genützt hat es ihm wenig. Auch die letzten Stunden im Leben des Individuums Nummer 71 müssen qualvoll gewesen sein. Um 6 Uhr früh marschieren die Truppen der Kaiserlichen auf. Es ist kalt und nass an diesem Oktobermorgen, der Wind bläst durch die Ebene: 4 Kilometer streckt sich die Aufstellung der 20.000 Mann starken Heere, - auf der einen Seite die Schweden, auf der anderen die Katholische Liga. Erst um zwei Uhr Nachmittag beginnt das Töten. Atmo: Kanonendonner 9. O-Ton: Sabine Eickhoff Wir haben bei den archäologischen Begehungen auf dem Schlachtfeld auch Belege gefunden, die wir deuten als ein Mittel, um mit der Angst umzugehen, nämlich Buchschließen von Gebetbüchern, wir deuten daraus, dass einige Soldaten sicherlich gebetet haben, bevor sie in die Schlacht gezogen sind, was wir auch gefunden haben, sind 2 kleine Zapfhähne, wahrscheinlich von Brandweinfässern, das Ausschenken von Alkohol weiß man aus Schriftquellen ist üblich. Atmo: Feld bei Wittstock (Wind) Autor: Dann schweigen die Waffen bei Einbruch der Dunkelheit. 10.000 Männer bleiben tot zurück. Auch unser Individuum Nummer 71, der gut aussehende Schotte, der zusammen mit 124 anderen Gefallenen in einem Massengrab beerdigt wird. Nackt. Denn die Lebenden brauchen alles, die Toten nichts. - Gesiegt haben übrigens die Schweden in einer der blutigsten Schlachten des 30jährigen Krieges. Hätten sie verloren, wäre der Krieg zu Ende gewesen. Wahrscheinlich. So dauert er noch 12 weitere Jahre. Musik 1: Titel: Man with a Harmonica Interpret: Western Sounds Unlimited Komponist: Ennio Morricone Label: ZYX Music, LC-Nr. 06350 EAN-Nr. 90204 81990 4 Atmo: Laufen durch Wiese Autor: Die Erde der Prignitz gibt ihre Geschichte preis. Das hätte man nicht von ihr erwartet. Denn wenn der brandenburgische Landstrich Schlagzeilen schreibt, dann meistens so: Dramatischer Bevölkerungsschwund - Rekord-Arbeitslosigkeit. Zum Glück gibt es da noch ein paar Unermüdliche, die Geschichten erzählen, die in keiner Schrift vorkommen. Die nur im Boden sind. Nicht nur in Wittstock. 10. O-Ton: Ortrud Effenberger, Denkmalspflege beim Landkreis Prignitz Die Prignitz hat wahrscheinlich mehrere Herzen, die an verschiedenen Orten schlagen, aber hier ist schon die Hauptschlagader, das Königsgrab in Seddin, weil wir in die Urzeit zurückgehen und einen Hinweis haben, das ist schon spannend und schön, das erfahren Sie dann auf unserem Rundgang. Atmo: Laufen durch Wiese 11. O-Ton: Jens May, Referatsleiter Bodendenkmalpflege Prignitz und Ortrud Effenberger, Denkmalspflege beim Landkreis Prignitz (Gehen) Jetzt sieht man's nicht, genau das ist der Punkt, worum sich unser Seddin-Projekt und auch das Zentrale Archäologische Orte Projekt dreht, wir wollen die archäologischen Leuchttürme der Prignitz, das beste, was wir haben, das wollen wir archäologisch, museal und touristisch erschließen und an den Mann bringen. Ist man vorbeigelaufen und wäre ja schade und unser Ansatz ist, dass wir das Königsgrab erlebbarer machen für jemanden, der diesen Ort aufsucht.... Sie schlagen sich jetzt durch die Büsche... (lacht)... nee das ist ja nass, wir laufen den Weg. Atmo: Laufen durch Wiese Autor: Jens May und Ortrud Effenberger wissen genau, wo sie hinlaufen an diesem Frühsommertag. Mitten in ein Waldstück rein, idyllisch gelegen zwischen wogenden Feldern nahe Seddin, einem kleinen Dorf in der Prignitz. Der Blick geht kilometerweit durch welliges Ackerland. Der Archäologe vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und seine Kollegin vom Denkmalschutz des Landkreises haben das Projekt mit dem etwas sperrigen Titel "Zentrale Archäologische Orte" ins Rollen gebracht. Die Idee ist so simpel wie nahe liegend: Über 3.000 archäologische Fundstellen gibt es in der Prignitz. Die spektakulärsten sollen für Touristen erlebbar werden. Bislang waren sie gut versteckt. Einer der zentralen Orte liegt - quasi unsichtbar - in diesem Waldstück. 12. O-Ton: Jens May Wir laufen direkt um das Königsgrab herum, es ist für den Laien immer ein großes Problem, was Sie sehen können, ist eine Hügelaufschüttung, wir haben seit 2000 den Grabhügel neu vermessen. Wir wissen heute, dass er an seiner Basis einen Durchmesser von 64 Metern hat, dass er 10 Meter war, so muss man das fast sagen, er nimmt eine Fläche von fast 3.200 Quadratmetern ein, das ist ein Drittel Fußballfeld, das kann man so überhaupt nicht erkennen und mit diesem Grabhügel sind eine Menge Superlative verknüpft, sozusagen das Grab der Gräber in Brandenburg. Es ist 60 Jahre älter als die ersten Olympischen Spiele, die in Griechenland exakt 776 vor Christus verortet sind, gleich alt mit der Gründung der Stadt Karthago in Afrika, das ist ja vielen Leuten ein Begriff, also wir haben das bronzezeitliche Monument, das in seiner Dimension einmalig ist. Atmo: Laufen durch das Gebüsch... Vogelgezwitscher Autor: Jens Mays Augen leuchten, wenn er von seinem Königsgrab spricht. Ein mythischer Ort seit Jahrhunderten, verborgen zwischen Laubbäumen. Wer hat sich hier begraben lassen? Wer herrschte einst über das Land, das man heute die Prignitz nennt? 13. O-Ton: Jens May Die Besiedlung, das können wir ganz deutlich ausmachen, die liegt in der jüngeren Bronzezeit, so ab 1200 vor Christus erlebt dieser Raum eine richtige Blüte, so kann man das sagen, man muss sich die Besiedlungsdichte ungefähr so vorstellen wie heute, vielleicht noch ein bisschen mehr ... und das Besondere in diesem Raum ist, das sich hier vor allem anhand der Gräber eine Oberschicht zu erkennen gibt, eine soziale Oberschicht, die bronzezeitliche Elite... Atmo: Laufen durch das Gebüsch... Vogelgezwitscher Autor: Langsam lichten sich die Bäume und geben den Blick frei auf einen gewaltigen Trichter. 14. O-Ton: Jens May Das nördliche Segment des Hügels, und das ist so ein bisschen den Eindruck, wenn man hier drin steht, so eines Mondkraters oder eines explodierten Vulkanes, und das ist genau auch die Schwierigkeit, die wir mit unseren Besuchern hier haben, die laufen hier rein und können sich nicht vorstellen, dass über diesem Punkt hier es noch eine Aufschüttung von 8 Metern gegeben hat, das ist abhanden gekommen und das was Sie hier sehen können, dieser Gedenkstein und dann gleich auch der Eingang zur Grabkammer. Atmo: Windgeräusch Autor: Wie auf Bestellung weht ein Lüftchen durch die Laubbäume und lässt die Blätter geheimnisvoll rauschen. Jens May und Ortrud Effenberger rutschen eine feuchte Erdkante hinab und stehen vor einer nur meterhohen Stahlgitter-Tür, die in das Innere des Hügels führt. 15. O-Ton: May/Effenberger Das ist der allerprominenteste Ort hier am Grab, der Zugang zur Grabkammer, ein Bauwerk, das um 1900 errichtet wurde und das an die Zugänge zu griechischen Grabkammern, so genannte Dromoi erinnern soll. Das ist die Stelle, wo es 1899 passiert ist, hier sind Arbeiter auf die Steinkammer gestoßen, also auf einen Hohlraum. Das ist offen, ja, der Besucher hat die Möglichkeit rein zu gehen.... (Aufpassen!)...Vorsicht mit dem Kopf!... Ja und einfach mal einen Minute warten und dann können Sie alles gut erkennen, ja schließen Sie mal ab jetzt...das ist kalt ja. Autor: Und feucht. Gebückt sitzen die beiden Denkmalpfleger in der Grabkammer. Langsam gewöhnen sich die Augen an das Dunkel. 16. O-Ton: Jens May Also wir sehen einen Raum, einen ganz bewusst konstruierten Raum, der besteht aus neun im Kreis aufgestellten senkrecht gestellt relativ großen Steinen, in der Höhe so 1,50 und 1 Meter haben und auf diesen Steinen aufgeschichtet ist von außen nach innen ein so genannter ein Krag-Gewölbe, ein falsches Gewölbe, das die Decke dieses Raumes bildet...es handelte sich um eine männliche Hauptbestattung und vermutlich 2 weibliche Mitbestattungen....in dieser Dimension absolut einmalig. Vorsicht mit dem Kopf! Vorsicht, das ist noch viel schlimmer hier...(krabbeln raus) Atmo: Laufen durch das Gebüsch... Vogelgezwitscher Autor: Das Licht blendet, als die beiden heraus kriechen. Die Funde aus der Grabkammer sind heute natürlich im Museum in Potsdam. Aber nicht weit entfernt, zwischen den Bäumen, steht eine große, bunte Tafel mit vielen Bildern, die dem Besucher zeigt, was die Arbeiter 1899 alles im Königsgrab gefunden haben. 17. O-Ton: Jens May Es sind mehr als 40 Gegenstände in der Grabkammer gewesen und es gibt eben nicht nur den Superlativ Größter Grabhügel, einmalige Grabkammer, sondern das, was sie jetzt auf der Abbildung hier sehen, ist die reichste Grab-Ausstattung der Periode 5, also des 9 JHD, die es überhaupt im bronzezeitlichen Norden gibt und die liegt hier in Seddin, das Zentrum ist die Amphore aus Bronzeblech, und die mit Buckeln dekoriert ist, die enthielt die verbrannten Überreste des Mannes, ein 30 bis 40 jähriger Mann, von dem wir heute respektvoll sagen, das ist der Fürst von Seddin oder so der König von Seddin. Autor: Der König von Seddin. Wie sah er aus? Da zuckt der Archäologe Jens May mit den Schultern. Da sich die Aschereste in den Wirren des Zweiten Weltkrieges verloren haben, ist auch die Wissenschaft am Ende mit ihrem Latein. Aber reich muss er gewesen sein, der König von Seddin. 18. O-Ton: Jens May Heute würde man sagen, dieser Raum war von großer geostrategischer Bedeutung für den Handel, hier ist wahrscheinlich von der Elbe kommend, ein Handelsweg abgezweigt, nach dem Stande der Forschung in nordöstliche Richtung weist, also ins Oderhaff, - und wir glauben, dass das mit dem Bernsteinhandel aus dem östlichen Ostseeraum zusammenhängen könnte. Das ist ein Modell dafür, dass die hier so reich sind und sich es leisten konnten, ihren Reichtum in den Gräbern zum Ausdruck zu bringen. ... Autor: All diese Geschichten sollen nun erzählt werden. Die Geschichten vom König von Seddin, seinem Reichtum und seinen Handelsbeziehungen. Atmo: Laufen auf dem mulchigen Weg Autor: Auf dem Weg zurück erklimmen Jens May und seine Kollegin Ortrud Effenberger noch einmal die Hügelkante. Sie haben Pläne, was mit diesem "Leuchtturm" geschehen soll in der Zukunft. 19. O-Ton: May/Effenberger Atmo dran (Krabbeln Berg hoch)....das Aha-Erlebnis, wenn man hier oben steht. Jetzt müssen Sie sich einfach dieses Loch gefüllt vorstellen und noch 2 oder 3 Meter höher als diese Stelle, können Sie das? Dann kann man ermessen, wie groß der Hügel war... Können wir es uns leisten, dieses Denkmal, so wie es ist, so zu verändern, dass wir wieder einen Rückbau vornehmen auf die ursprüngliche Gestalt, dazu gab es einen sehr intensiven fachlichen Austausch zwischen allen Beteiligten und im Ergebnis steht nun fest, dass wir die Grabanlage so belassen, wie sie jetzt ist, mit einigen Korrekturen und das wir an einem anderen Ort den Hügel in der Dimension mit modernen Mitteln der Gestaltung nachbilden wollen. Atmo: Gehen in der Wiese Autor: Ortrud Effenberger und Jens May stapfen über die Wiese zu ihren Autos. Dann zeigen sie auf ein Feld in zwei Kilometer Entfernung. Dort hat sich ebenfalls ein Grab aus der Bronzezeit befunden. Es ist verschwunden. Geht es nach den Plänen der beiden Denkmalschützer, soll dort eine Installation entstehen, die die ursprüngliche Gestalt des alten Königsgrabes von Seddin zeigt. Und natürlich seine Geschichte. Zukunftsmusik. Immerhin - die Pläne dafür sollen Ende des Jahres fertig sein. Musik 2: Titel: Lillies of the valley Interpret + Komponist: Jun Miyake Label: Wenders Music / 380 Grad Labelcode: DG001CD ASIN: B004VBGAKI Atmo: Glocken der Klosterkirche Autor: Nicht einmal zehn Kilometer von Wittstock, dem Zentrum der Prignitz entfernt, liegt an einer Landstraße hinter hohen Backsteinmauern ein Mythos verborgen. 20. O-Ton: Joachim Wacker, Brandenburgisches Landesamt f. Denkmalpflege Das ist der Ursprungsort von Heiligengrabe, ja, diese Wunderblut- Kapelle, in dieser Kapelle haben in den 80er Jahren Grabungen stattgefunden und da war natürlich die Frage, es gibt ja diese Sage mit der Hostienschändung, die gestohlenen Hostien sollten hier vergraben sein, an einem Richtplatz, einem Galgenberg, und im Zuge dieser Grabungen - es wurde eine Heizung eingebaut - haben wir überprüft, was können wir archäologisch von dieser Sage nachweisen und nachweisen konnte wir eine vierphasige Baugeschichte dieser Kapelle, zuerst bestand ein Holzbau, dann ein rechteckiger Bau aus Feldstein, danach ein Chor angeschlossen und dann hier im 16. JHD die heute noch sichtbare spätgotische Kapelle errichtet. Autor: Joachim Wacker vom Brandenburgischem Landesamt für Denkmalpflege geht mit glänzenden Augen um die backsteinrote Kapelle herum. Sie ist Teil des bis ins Mittelalter zurückreichenden Stifts zum Heiligengrabe, eines der ältesten noch erhaltenen Klosteranlagen in Brandenburg. Hier soll es ein so genanntes Heiliges Grab gegeben haben. 21. O-Ton: Joachim Wacker, Brandenburgisches Landesamt f. Denkmalpflege Ich habe hier mal ein Bild davon, das ist ein Miniaturgrab, ein so genanntes Scheingrab, gewölbt und das wurde angelegt als Wallfahrtsstätte, wir haben also um diese Grab herum 500 mittelalterliche Münzen gefunden, die zum Großteil ins 13. oder 14. JHD datieren und man kann damit auf jeden Fall nachweisen, dass der Wallfahrtsort älter ist als was heute postuliert wird, diese Sage von der Hostienschändung aus dem 16 JHD. Warum diese Wallfahrten an diesem Ort unternommen worden sind, das können wir nicht sagen... was nachweisbar ist, das es diesen Wallfahrtort schon im Hochmittelalter gegeben hat. Atmo: Chorgesang Autor: Schon damals waren die Nonnen des Klosters geschäftstüchtig, wussten sie doch die Legende von der blutenden Hostie, die ein Jude angeblich geschändet haben soll, wirksam einzusetzen. Das Kloster wurde nach der Reformation protestantisch, überstand trotz massiver Zerstörung sogar den 30jährigen Krieg, der in der Prignitz besonders gewütet hatte. Und die restlichen Jahrhunderte, - bis heute. 22. O-Ton: Joachim Wacker, Brandenburgisches Landesamt f. Denkmalpflege Es ist eines der Klöster, die wirklich noch eine Nutzung haben, die ursprüngliche Nutzung und dadurch auch eines der besterhaltensten, es ist nie wie andere Klöster, also wie Chorin, als Steinbruch benutzt worden, sondern es ist immer, dann durch die Stiftsdamen weiterhin genutzt worden. Das ist doch etwas, was wir in Brandenburg doch relativ selten haben. Atmo: Gemeinde singt ein Lied in der Kirche (Andacht) Autor: Heute leben und arbeiten auf dem Stiftsgelände zum Heiligengrabe die Stiftsdamen, - Frauen, die beschlossen haben, ein Leben in einer religiösen Gemeinschaft zu führen. Allerdings nicht hinter verschlossenen Mauern wie in früheren Jahrhunderten. Das Stift ist offen, jederzeit und für jedermann. Nur mit einem möchte die Äbtissin Friederike Rupprecht gerne aufräumen - mit dem Gründungsmythos. 23. O-Ton: Friederike Rupprecht, Äbtissin So hieß die Kapelle eine Weile Blutkapelle, weil die Legende sich verknüpft nicht nur mit antijüdischen Elementen, sondern auch mit dieser Verehrung blutender Hostien und im Volk heißt es immer noch oft Blutkapelle, weil es auch geheimnisvoll ist, aber wir haben dann beschlossen, dass wir auf diesen Ursprung zurückgehen, das Heilige Grab Jesu in Jerusalem und da kann man auch zeigen, dass in der Kreuzritterzeit in ganz Europa sich heilige Gräber, die an das Grab Jesu in Jerusalem erinnern sollen, d.h. die Leute sagten, wir brauchen nicht nach Palästina zu pilgern, wir haben unser heiliges Grab am Ort. Atmo: Glocken der Klosterkirche Musik 3: Titel: I will find you Interpret: Western Sounds Unlimited Komponist: Ciarán Brennan Label: ZYX Music, LC-Nr. 06350 EAN-Nr. 90204 81990 4 Atmo: Auto fährt über holprige Straße... aussteigen. Autor: Die Geschichte in Freyenstein beginnt erst einmal wie viele heutige Geschichten in der Prignitz. 24. O-Ton: Thomas Schenk, Diplomausgrabungsingenieur, Freyenstein Man sieht noch gar nichts. Wir laufen jetzt gerade auf dem Gelände, das bis vor 3 Jahren Schule war und diese Schule musste vor 3 Jahren leider schließen, weil Freyenstein nicht mehr genügend Schüler hat. Aber wir haben damals gesagt, diese Schule steht nun mal auf dem Bodendenkmal, was wir archäologisch untersuchen wollen, auch museal herrichten wollen und deshalb wollen wir diese Gebäude eben nutzen für dieses Projekt. Schade, wenn man das zunageln würde, würde schnell ein Opfer des Vandalismus werden. Autor: Jetzt ist die Schule ein Museum. Das braucht Freyenstein mehr als eine Schule. Freyenstein, ein kleiner Ort knapp 15 Kilometer von Wittstock gelegen, nahe der Autobahn Berlin-Hamburg. Rund 950 Einwohner. Zum ersten Mal urkundlich erwähnt 1263. Die Stadt aber gibt es schon länger. Genauer gesagt die Altstadt. Die Stadt, die man nicht mehr sieht. Die Stadt, die die Erde verborgen gehalten hat. Über 700 Jahre. Für den Ausgrabungsingenieur Thomas Schenk beginnt hier, an der alten Schule, sein ganz persönliches Abenteuer. So oft ist er den Weg in die Felder gelaufen. Atmo: Gehen über die Felder 25. O-Ton: Thomas Schenk Nee das kann ich nicht mehr zählen. Ich bin auf Freyenstein eigentlich aufmerksam geworden eigentlich Ende 1999, da war ich noch Student und bin hier oben unterwegs gewesen mit Bekannten und wir sind einfach mal nach Freyenstein gefahren, weil er ein Kollege mal erzählte, ja hier gibt's ne mittelalterliche Stadtanlage, die liegt unter dem Acker und man sieht eigentlich gar nichts. Und ich habe damals als Student nach einem Abschlussprojekt gesucht für meine Diplomarbeit, und stand dann hier oben, damals im Winter, das war alles weiß vom Raureif und dachte, das kann doch nicht wahr sein, so eine Riesenfläche, das alte Freyenstein ist ne relativ kleine Stadtanlage, dörflicher Charakter und hier oben auf der Anhöhe so eine Riesenfläche, wo die Stadt deutlich größer geworden ist. Autor: Dann fängt Thomas Schenk, zusammen mit ein paar Studenten, an zu graben, hier und da, und immer wieder stoßen sie auf alte Kellerreste. Langsam fügt sich ein unglaubliches Bild zusammen, - eine Stadt aus dem 13. Jahrhundert, versunken im Ackerboden. 26. O-Ton: Thomas Schenk Wenn man jetzt hier oben steht und lässt den Blick einmal rings rum schweifen, im Grunde bis zum Horizont, wo diese Baumreihe lang läuft, bis dahin stand diese alte Stadt, da wo die roten Häuser durchschimmern, das ganze ist ein Areal von ungefähr 25 Hektar Größe und damit ist das alte Freyenstein ungefähr so groß wie Wittstock und da habe ich auch gestanden und geguckt und - das kann doch nicht wahr sein, so eine Riesenfläche und theoretisch müssten doch überall noch diese Gebäudereste drin stecken und es ist genau so, es ist wie so ein kleines Pompeji. In Freyenstein haben wir sozusagen ein Zeitfenster, eine Zeitkapsel, die ist hier angefroren mehr oder weniger, und wir kriegen einen Eindruck, wie eine Stadt tatsächlich ausgesehen hat, - eine Momentaufnahme. Atmo: Musik 4: Titel: Ductia Interpret: Dulamanus Vröudenton Komponist: trad. Label: Domino, LC-Nr. 08315 Autor: Aus dem frühen 13. Jahrhundert. Eine Stadt mit gepflasterten Straßen, Holzhäusern in Reih und Glied, mit Kellern, Brunnen, einer Burg und einer Kirche. Eine wissenschaftliche Sensation in der Prignitzer Erde. Freyenstein ist der seltene Fall einer komplett erhaltenen Stadtwüstung, so nennen die Wissenschaftler eine untergegangene Stadt. Thomas Schenk sperrt die Tür zu einem gläsernen Pavillon auf, der mitten auf einer Wiese steht. 27. O-Ton: Thomas Schenk Atmo dran (Tür auf zu Pavillon)... Jetzt gehen wir in den Schutzbau und dieser Schutzbau beherbergt einen Feldsteinkeller aus dem 13 JHD, der ist vor 5 Jahren hier frei gelegt worden, um ihn eben Besuchern zeigen zu können...Hier gings rein in den Keller, den Eingangsbereich, man sieht die Türschwelle noch, mit drei etwas größeren Steinen gelegt ist, dann muss man nach rechts abbiegen, ging diese Treppe nach unten, man sieht, dass da noch so Stufen eingegraben sind in den Lehm... Das ist also keine Siedlung, die irgendwie wild angelegt wurde und dann gewachsen ist nach und nach, sondern das Spannende, was wir hier nachvollziehen können, dass diese Stadt offensichtlich planmäßig angelegt worden ist, Stadtplanung im 13 JHD. Atmo: Musik 4: Titel: Ductia Interpret: Dulamanus Vröudenton Komponist: trad. Label: Domino, LC-Nr. 08315 28. O-Ton: Thomas Schenk Das ist wirklich aufregend. Wenn ich hier alleine unterwegs gewesen bin in Freyenstein, hier oben vermessen, gegraben, ich habe manchmal sogar die Stimmen gehört, die hier gelebt haben, das Bellen der Hunde im Hintergrund, das Pferdegetrappel, so ganz verrückt. Atmo: Pferdegetrappel auf holpriger Pflasterstraße (leise) Autor: Die deutschen Siedler, die das Land von den Slawen im 12. Jahrhundert erobern, lassen sich hier im Grenzgebiet zwischen Brandenburg und Mecklenburg nieder. Der Bischof von Havelberg, so vermutet man, will hier einen Marktplatz errichten. Mit Straßen natürlich. Atmo: Pferdegetrappel auf holpriger Pflasterstraße (lauter) 29. O-Ton: Thomas Schenk Und als ich im Jahre 2001, als der Bauer wieder tief gepflügt hatte, über das Feld lief, da kamen genau an dieser Stelle Unmengen an Feldsteinen an die Oberfläche, und damals wussten wir nicht so genau, um was es sich handelt, aber irgendwas muss es sein, und wir haben dann mit Studenten im Jahre 2002 angefangen kleine Probegrabungen zu machen und waren nach 25 cm auf der Pflasterstraße drauf und wir haben gedacht, wir trauen unseren Augen nicht! Da wird seit 700 Jahren drauf geackert und wir graben 25 cm und stehen plötzlich auf der Straße...wobei uns die Bauern erzählt haben, jaja, die haben sich hier regelmäßig die Zähne ausgebissen beim Pflügen, die wissen, dass hier überall Steine drunter sind. Autor: Steine, die die Eiszeit freundlicherweise als Baumaterial in der Prignitz zurückgelassen hat. Immer noch fasziniert steht Thomas Schenk vor der zweispurigen Straße aus dem 13. Jahrhundert, die mitten auf einer Wiese freiliegt. 30. O-Ton: Thomas Schenk Da darf man draufgehen, das machen wir jetzt mal. Die Besucher fragen immer, mein Gott ist das holprig und das sind die mit ihren Wagen drüber gefahren, ich sage, jaja und die Pferde haben das Problem, dass sie ihre Hufeisen verloren haben, die haben wir nämlich gefunden, als wir das frei gelegt haben. Besucher fragen auch immer, warum diese Mittelreihe so weit heraussteht, ich sage dann immer, weil hier Überholverbot herrscht. Und wir haben diese kleinen Schildchen hier eingelassen in den Boden genau an den Stellen, wo wir Funde gemacht haben, Sie sehen den Schlüssel hier abgebildet, an der Stelle ist ein Schlüssel entdeckt worden. Autor: Das Schlüsselverlieren scheint also keine neumodische Schusseligkeit gewesen zu sein. Zu welchem Haus er gehört haben mag, lässt sich leider nicht mehr feststellen. Bleibt die ganz große Frage zum Schluss: Warum ist das alte Freyenstein untergegangen? Atmo: Gehen auf dem Weg 31. O-Ton: Thomas Schenk Die Stadt hatte offensichtlich ihre Privilegien verloren, man kann wohl auch vermuten, dass die Stadt hier oben schwer zu verteidigen war, das ist so einen Hochfläche, der Stadtgraben, der existierte, ist immer trocken gewesen, da war nie Wasser drin und die Neugründung an der Dosse-Niederung war deutlich tiefer. Atmo: Gehen auf dem Weg Autor: Somit sind fast alle Geheimnisse der versunkenen Stadt Freyenstein gelüftet. Fast. Nur etwas will Thomas Schenk noch finden. 32. O-Ton: Thomas Schenk Atmo (Flugzeug) Auf jeden Fall die Kirche, weil die Kirche eben dazu gehört zu einer mittelalterlichen Stadt, das sind alles gläubige Christen gewesen. Ich habe so ein paar Ideen, wo man Nachgucken könnte, im Markt, wo beim Pflügen immer Ziegelelemente nach oben kommen, und das deutet ja in jedem Fall auf ein festes Gebäude hin, das da gestanden haben muss, es könnte sich um den Standpunkt der Kirche handeln, das können wir aber nur rauskriegen, wenn wir dort systematisch nach graben. Musik 5: Titel:Time after time Komponist: Cindy Lauper Interpret: Miles Davis Label: Rhino, LC-Nr. 02828 EAN-Nr. 0 81227 48632 Atmo: Alte Tür aufschließen 33. O-Ton: Antje Zeiger, Leiterin Museum 30jähriger Krieg in Wittstock (Blättert)..."Unser Regiment"...(auf russisch)... eine Chronik des 33. Jagdfliegerregiments, was von Beginn der 1960er Jahre bis 1994 in Wittstock stationiert war, dann gab's ne Überführung nach Andreapol in Russland und dort ist das Regiment aufgelöst worden, historische Substanz wenn Sie so wollen, auf jeder Seite, weil dieses Regiment gibst nicht mehr. Autor: Im Museum des 30jährigen Krieges in Wittstock blättert Museumsleiterin Antje Zeiger in der Chronik mit den vergilbten schwarz-weißen Fotografien. Der Krieg, den wir heute den "Kalten Krieg" nennen, und der mehr als 40 Jahre dauerte, wird die Archäologen noch in 200 Jahren beschäftigen. Gerade hier. 34. O-Ton: Antje Zeiger Wenn Sie Luftbildaufnahmen anschauen, dann haben Sie einen deutlichen Einfluss der Natur, aber Sie sehen an verschiedenen Stellen. Sie sehen das ist noch kein Gras drüber gewachsen, wie es so schön sprichwörtlich heißt, gerade mit Bezug auf den ehemaligen Schießplatz, besser bekannt als Bombodrom, Kyritz Ruppiner Heide, da haben wir Flächen, dass da unglaublich intensiv und mit Substanzen geübt worden ist, die aggressiv sind und die auch heute noch kein Wachstum zulassen...irgendwas in Richtung Phosphor oder noch Schlimmeres. Atmo: Auto rumpelt über einen Feldweg Autor: Der dunkelgrüne Geländewagen von Bundesförster Rainer Entrup rumpelt an diesem sonnigen Frühsommertag über einen Feldweg, direkt auf eine Schranke zu. Dahinter liegt das ehemalige militärische Übungsgelände der sowjetischen Armee, - besser bekannt als Bombodrom. Die Bundeswehr will den Truppenübungsplatz nach der Wende behalten, gibt aber nach 15 Jahren Widerstand aus der Region 2009 ihre Pläne auf. Seitdem ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für das Gelände zuständig, - und als Chef des Betriebsbereichs Nord fährt Rainer Entrup regelmäßig hierher. 35. O-Ton: Rainer Entrup, Bundesförster Die Sperrgrenze fängt an den Schildern an...(Fenster runter)...Morgen... Morgen... fahre ein bisschen langsamer, sonst staubt es so sehr (Frau mit Kinderwagen)...Tschüß...Jetzt kommen wir an die Stelle, wo die Sperrgrenze des Platzes existiert, das ist die alte Grenze des militärischen Sperrbezirks, aber Sie sehen, die Schilder sind neu, und da steht unter der Landrat und die Eigentümerin und da steht das Wort Kampfmittel, das kann man verstehen, glaube ich, Befahren verboten, Lebensgefahr steht oben drüber. Das sind die offiziellen Detonationszeichen und dann ist hier die Schrankenanlage.Ja man kann technisch vorbei, dass ist sozusagen genau so wie die Rote Ampel auf der Straße, da können Sie auch weiterfahren, einzäunen kann man die Liegenschaft nicht, das ist 12.000 Hektar groß, 12.000 Fußballfelder, ungefähr 17 Kilometer lang, Nord-Süd und ungefähr an der breitesten Stelle 8 Kilometer...Ich steig aus und schließe auf...(Motor läuft). Autor: Nach einem Kilometer hält Rainer Entrup plötzlich an. Der Wagen steht auf dem Betriebsweg, dem einzigen Weg, den man gefahrlos betreten kann. 36. O-Ton: Rainer Entrup Atmo (Aussteigen)...Autotür zu....Gehen mal vor zur Motorhaube ... (breitet Karte auf)... Das sieht man, wir haben uns getroffen in Rossow und sind dann diesen Weg rein gefahren und stehen an dieser blauen Linie, und wenn man auf die Karte schaut, dann sieht man, dass diese breite blaue Linie den ganzen Platz umgibt, das sind 90 Kilometer, das ist unser Brandschutzgürtel. Wir stehen hier auf dem Betriebsweg, der wird abgesucht, visuell natürlich, einmal im Jahr, Munition hat die hässliche Eigenschaft, dass wenn sie im Boden ist, das sie nach oben kommt, also wie ein Feldstein, der Bauer sucht auch immer wieder Steine und jeder fragt sich, warum findet er immer wieder Steine, der hat doch letztes Jahr schon gesucht, die kommen durch Erosion durch. - Ich darf mit Ihnen da rumlaufen. Atmo: Auto rumpelt über einen Feldweg Autor: Geschätzte 1,5 Millionen Blindgänger liegen noch auf dem Gelände. Die Rote Armee hat hier alles eingesetzt: Flugzeugbomben, Abwehr- Raketen, Granaten, Panzermunition. 37. O-Ton: Rainer Entrup Und das hat man 40 Jahre hier trainiert, die ganze Wundertüte der Wehrtechnik, wir sind sehr froh, dass wir einen Teil nicht finden, nämlich chemische Einsatzmittel, die es auch gab und auch keine, die mit angereicherter Munition in Verbindung stehen, uranangereichert, die gibts hier nicht. Autor: Stoff, der im Boden ruht. Wenn er ruht. 38. O-Ton: Rainer Entrup Ansonsten bleibt es definitiv eine Jahrhundertaufgabe, wobei ich das Jahrhundert nicht erlebe, wir beide nicht, aber die Munition ist so zahlreich und so viel, und da es aus Stahl besteht, Sprengstoff wird morgen nicht verrotten und damit bleibt die Munition mindestens noch 200 Jahre in der Fläche, bevor sie nur noch Rost ist, das wird so sein. Autor: Stoff für Archäologen, die in 200 Jahren vielleicht noch erklären müssen, was der Kalte Krieg war. Ein ähnlich verrücktes Unternehmen wie der 30jährige Krieg, dessen Hinterlassenschaften nur ein paar Kilometer entfernt gefunden wurden auf einem Schlachtfeld. Atmo: Auto rumpelt über einen Feldweg 39. O-Ton: Rainer Entrup. Jetzt sind wir in die blaue Zone eingefahren, das ist die Zone, die nach militärischer Sicht eine Zone mittlerer Belastung mit Kampfmittel ist, das heißt es sind definitiv scharfe Kampfmittel auf der Fläche in einer mittleren Dichte, in der roten Zone sind sie in hoher Dichte, der Unterschied ist ein akademischer, der, der durch eine Granate geschädigt wird, dem ist es ziemlich egal, ob daneben noch 100 andere liegen. Hier sehen wir eine alte Einrichtung der russischen Armee, die hier einen Beobachtungspunkt hatte, um das Gefechtsgeschehen beobachten zu können und das schauen wir uns an, dann können wir einen Überblick über das Land bekommen. Atmo: Vogelgezwitscher Autor: Ein weites Land, links an der ehemaligen Anflugschneise der sowjetischen Flieger wuchert die Heide, rechts ist ein Birken- und Kiefernwald gewachsen. Der Wind fängt sich in den zerbrochen Fenstern des alten Beobachtungshäuschens. Atmo: Knarren der alten Fenster und laufen auf Scherben 40. O-Ton: Rainer Entrup Jede Stufe, jeder Stein, man kann es hier noch schöner sehen, hier in dem Restgebäude hat der Kolkrabe auch dieses Jahr wieder erfolgreich gebrütet, weil er hier sicher ist, vor seinem ärgsten Feind, dem Baummarder, weil er nicht reinklettern kann, weil er an den Metallstäben nicht hoch kommt und hier in dem alten Schutzbunker nistet eine Bachstelze und vorne in den Überbauten haben sich Rauchschwalben angesiedelt, das ist sehr interessant zu beobachten, jeder Quadratmeter wird zurück erobert, allerdings nicht so kriegerisch (lacht). Autor: Die Hinterlassenschaften des Bombodroms liegen vielleicht nicht Jahrtausende zurück wie das Königgrab in Seddin, - aber sie fügen sich in eine archäologische Landkarte der Prignitz. Langsam gibt die Erde ihre Kostbarkeiten preis: Über 3.500 Fundstellen verzeichnet das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege in der hügeligen Landschaft zwischen Wittstock und Pritzwalk, die heute Auskunft geben über die Landesgeschichte und kulturelle Identität einer Region. Auch wenn sie nicht immer kostbar sind... Atmo: Auto rumpelt über einen Feldweg 41. O-Ton: Rainer Entrup Wir haben jetzt die Zone Rot erreicht, wir sind weiter auf dem Betriebsweg entlang gefahren, der ja gesichert ist...hier ist gehen links und rechts der Flächen für uns nicht möglich, auch für uns nicht...wir können da mal reingehen, hier sind Bombenziele gewesen...wir gehen genau eine Linie lang, die überprüft worden ist.... (Autotür auf und raus)...Ist auch nicht schlimm, denn ich müsste haften, wenn jetzt was passiert ...(lacht) ... Das sind Metallreste, irgendwelche, das ist Aluminium, das ist ein Teil von einer Rakete, ein Leitwerk, man sieht das, da steckte so in der Rakete drin und konnte so sich bewegen, und damit flog sie dann. Das hier ist wieder was ganz anderes, das ist ein Granatsplitter, abgerissen. Autor: Bundesförster Rainer Entrup schätzt, dass die komplette Räumung des Geländes ungefähr eine halbe Milliarde Euro kosten würde. So sind nur 3 Jahre nach der Aufgabe des Platzes schnell alle Hoffnungen in der Region zerstört, man könnte hier die Heidelandschaft mit dem Fahrrad durchqueren oder im neuen Birkenwald Pilze suchen. Atmo: Gehen über Gelände Autor: Plötzlich beugt sich Rainer Entrup mit leuchtendem Gesicht in einen alten Bombenkrater. 42. O-Ton: Rainer Entrup Sehen Sie das? Muss ich genau gucken, das ist das adulte Exemplar des Tieres, das man Ameisenlöwe nennt, also ein Hautflügler, ist keine Libelle, dieses Tier entwickelt sich in einem kleinen Sandkrater, ungefähr in so was und fängt Ameisen, lebt als Larve am Grund und wenn die Ameise da rein kommt, und er sitzt da unten drin und hat zwei Greifzangen, die er raus fährt, mit der die Ameise reinzieht, auffrisst und das ist das erwachsene Tier. Ein Monster eigentlich, wenn man es vergrößert, in einem Erdloch die armen Opfer killt, kommt dann so ein schönes Insekt raus. Man sieht die anderen Krater hier sehr deutlich, diese Krater sind eben durch den Beschuss entstanden. Atmo: Vogelgezwitscher im Wald Autor: Eigentlich ein Paradies. Heide, Wald, Wiesen. So groß wie 12.000 Fußballfelder. Nahezu unberührt. Mitten in Deutschland. Nur betreten kann man es nicht. Weil der Kalte Krieg noch im Boden der Prignitz ruht. 43. O-Ton: Rainer Entrup Tor aufmachen, (laufen); Auto durchfahren....wieder zumachen.... so jetzt fahren wir wieder raus. MUSIK SpvD: Siedler, Nonnen und Soldaten - Die historische Landschaft der Prignitz in Brandenburg. Deutschlandrundfahrt-Musik Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Nana Brink. Ton: Alexander Brennecke Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2012 Manuskript und eine Online-Version der Sendung finden Sie im Internet unter dradio.de 1