DEUTSCHLANDRADIO KULTUR KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : LITERATUR 19.30 "Das Lied der Globalisierung" Ezra Pound und die "Cantos". Eine Erinnerung Autor : Tom Peuckert Redaktion : Sigried Wesener Sendetermin : 24.10.2010 Besetzung : Sprecher 1 Sprecher 2 Zitator 1 Zitator 2 Regie : 0-Ton Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 "Das Lied der Globalisierung" Ezra Pound und die "Cantos". Eine Erinnerung zum 125. Geburtstag am 30. Oktober 2010 Von Tom Peuckert Sprecher 1 / 2 Zitator 1 / 2 verwendete O-Töne: Ezra Pound liest aus den "Cantos" (O-Töne 1 - 11 und 13) Pound spricht im italienischen Radio, Aufnahme von 1942 (O-Ton 12) * Regie: O-Ton I (Pound liest Canto CXV) Scientist are in terror and the european mind stops Wyndham Lewis taking blindness rather than have his mind stop Night under wind ... Regie: O-Ton unterlegen, Übersetzung darüber Zitator 1: Die Wissenschaftler packt das Grauen und das europäische Denken steht still Wyndham Lewis wählte Blindheit auf dass sein Verstand nicht still stünde. Nacht unterm Wind in den Nelken, die Nelkenrüschen fast reglos Mozart, Linnaeus, Sulmona, Wenn unsere Freunde aneinander geraten, wie soll da Frieden sein in der Welt? Sprecher 1: Ezra Pound. Eine Aufnahme aus den späten Fünfziger Jahren. Canto 115, ganz am Ende des großen Zyklus'. Sprecher 2: Melancholie regiert jetzt, überall Dunkelheit. Ich habe mich geirrt, sagt der Fünfundsiebzigjährige in letzten Interviews. Ich bin gescheitert. Meine Suche war erfolglos, mein Glaube war ein Irrglaube. Er hat das Ganze seiner Welt noch einmal in einem Gedicht erzählen wollen - wie vor ihm Homer und Dante. Aber nun ist etwas anderes klar geworden: Zitator 2: I cannot make it cohere. Sprecher 2: ...schreibt Pound in einem seiner letzten Texte: Es will sich mir nicht einfügen. Regie: O-Ton II (Pound liest Canto CXV) Their asperieties diverted me in my green time A blown husk this is finished But the light sings aeternal ... Regie: O-Ton unterlegen, Übersetzung darüber Zitator 1: Ihre Ausfälligkeiten erheiterten mich in meiner grünen Zeit. Eine Spelze, die's umtreibt, nicht mehr doch das Licht singt allewege, ein Wetterleuchten über den Marschen wo der Strandhafer zur Flutwelle zischelt. Zeit, Raum, weder Leben noch Tod ist die Lösung. Und der Mensch, aufs Gute bedacht, der das Böse bewirkt. 'In meine Heimat" wo die Toten gewandelt sind und die Lebenden aus Pappmaché waren. Sprecher 1: "The Cantos". Hundertsiebzehn Gesänge nebst einigen Fragmenten. Ein halbes Jahrhundert Arbeit. Zwischen 1910 und 1960 hat Pound an seinem Gedicht geschrieben. Monarchien vergingen, Republiken wurden gegründet, Diktatoren siegten und scheiterten. Zwei große Kriege verwüsteten das Antlitz der Erde. Sprecher 2: Die Nachwelt steht vor einem tausendseitigen Sprechgesang. Einer Großdichtung, die alle Schichten der Historie und alle Kulturkreise durchpflügt, dabei von Wirtschaft, Politik, Krieg und Kunst erzählt. Die pausenlos Stimmen heraufruft, die zu realen oder mythischen Helden der Geschichte gehören. Sprecher 1: Mehr als ein Dutzend lebender und toter Sprachen werden in den "Cantos" verwendet. Zitate aus den Verwaltungsakten der Renaissance-Republik Venedig stehen neben einem Abriss der Zinsentwicklung in Britisch-Indien, Imitationen von Homers "Odyssee" und Dantes "Divina commedia" neben Nachahmungen des Minnesangs provenzalischer Troubadours, der Vortragskunst altenglischer Balladensänger, des bildreichen Philosophierens der Weisen im Alten China. Dabei alle Motive ineinander verschlungen, Bildblock türmt sich auf Bildblock, Gedan- kensprung reiht sich an Gedankensprung. Zitator 2: I cannot make it cohere. Sprecher 2: Es will sich mir nicht einfügen. Sprecher 1: Noch im letzten der Poundschen Cantos, Nummer 117, schwingt allerdings auch ein anderer Ton. Nennen wir ihn: Der Stolz des Magiers. Zitator 2: I have brought the great ball of crystal, who can lift it? Can you enter the great acorn of light? Zitator 1: Das große kristallene Hohlrund hab ich geholt, wer kann es heben? Findst du Einlass in die große Lichteichel? Sprecher 2: Der Leser der "Cantos" steht vor einem scheinbar esoterischen Text. Einem Werk in hermetischer Tradition. Alles an diesem proteischen Gebilde wirkt chiffrenhaft, unaus- deutbar. Aber dann berührt ihn vielleicht die unmittelbare poetische Kraft eines Verses - die Schönheit eines Bildes, die präzise Andeutung einer Atmosphäre. Sprecher 1: Plötzlich erhebt sich aus der rhythmisierten Überfülle unbekannter Namen und Sprachen, rätselhafter Auszüge aus uralten Dokumenten, nicht zu identifizierender Zitate und Anspielungen eine lockende Melodie. Eine Ahnung vom geheimen Reich- tum dieses Werks. Fremdes und Fernes scheint machtvoll anwesend. Die Toten sind nicht tot. Das Ge- heimnis des Sinns wird begehrenswert - Regie: O-Ton III (Pound liest Canto LXXXIV) Incense to Apollo Carrara snow on the marble snow-white against stone-white on the mountain ... Regie: O-Ton unterlegen, Übersetzung darüber Zitator 1: Weihrauch für Apollo Carrara Schnee auf dem Marmor Schneeweiß sticht ab von Steinweiß auf dem Berg und gleich dem, der durch Schluchten fuhr zwischen schieren Klippen wie etwa auf der, war es die Garonne? wo es nach Spagna hineingeht dass Ho-Kien die Musik des alten Reiches hörte wie vielleicht am Pfirsichblütenbrunnen wo schmucke Rasen sind und der klare Bach dazwischen, silbern, trennend Sprecher 1: Wer ist der Autor dieser ebenso maßlosen wie rätselhaften Gesänge? Sprecher 2: Ein mystischer Visionär? Ein träumender "Künstler um der Kunst willen"? Sprecher 1: Oder doch ein Weltweiser? Einer, der tief geschaut hat, bis hinein in eine Schicht, in der die Welt ihre geheimen Zusammenhänge zu lesen gibt? Ein radikal gelehrter Poet, der nun Anspruch auf meditative Hingabe an sein Werk erheben darf, auf eine intellektuelle Entschlüsselungsarbeit, die weit über das Maß gewöhnlicher Lektürebemühungen hinausgeht? Einer, an dem die Forderung nach Unmittelbarkeit lyrischer Wirkung wie banales Gewäsch abprallt? Sprecher 2: Mit anderen Worten: Markieren die "Cantos" den Irrweg eines assoziationstrunkenen Dichters, der poetische Gespenster erschaffen hat - oder eben doch die Wiedergeburt eines Weltgedichts in der Tradition Homers und Dantes, verfasst mit den legitimen Stilmitteln eines ungeheuerlichen Jahrhunderts? Zitator 2: I cannot make it cohere. Sprecher 1: Es will sich mir nicht einfügen. Regie: O-Ton IV (Pound liest Canto LXXXIV) O moon my pin up, chronometer Wei, Chi an Pi Kan Yin had these three men full of humanitas (manhood) ... Regie: O-Ton unterlegen, Übersetzung darüber Zitator 1: O Mond mein Pin-up Chronometer Wei, Chi und Pi Kan Laut Yin warn diese Drei voller Humanität (Menschheit) oder jên Xaire Alessandro Xaire Fernando, e il Capo, Pierre, Vidkun, Henriot und was die Abstufungen angeht, wer war es denn, der von der Industrie zu der Regierung übertrat als die Wirtschaftskrise bevorstand wer hinwiederum, der mit Vorbedacht AUS den Imperial Chemicals ausstieg 1938 damit er sich nicht nähre aus dem Blutbad? Sprecher 1: Wie soll man erzählen vom Dichter der "Cantos"? Sprecher 2: Vielleicht so: Er setzte eine denkwürdige Spielart des "American way of life" in die Welt. War ein Amerikaner wie aus dem Bilderbuch, dieser Mann aus Hailey, Idaho. Pioniergeist, unbändige Vitalität, Toleranz- und Assimilationsbegabung. Auch: Glaube an grenzenlose Machbarkeit. Er setzte darauf, dass jedes Ding dieser Erde ein Anrecht habe, in seinem ureigenen Licht zu leuchten, ohne Fremdherrschaft des Abstrakten, quasi in basisdemokratischem Glanz. Er wollte blutarmes Abstrahieren und Spekulieren aus der Welt verschwinden lassen. "Make it new!" - lautete seine lebenslange Schaffensdevise. Sprecher 1: Er ließ aber seine gewaltige Tatkraft nicht ins praktische Leben emanieren, wie sonst noch jeder tüchtige Amerikaner, sondern baute im Reich der poetischen Sprache. Er war ein Matador des Schönen Scheins. Sprecher 2: Dies aber mit allergrößtem Anspruch, bei allem, was er tat! Imperial power. Der Globus war sein Spielfeld. Sprecher 1: Wie soll man erzählen? Sprecher 2: Das war einer, der sein Leben einer verschlungenen, weit ausgreifenden Forschung widmete. Ein Gelehrter und Experimentator, ein kühner Konstrukteur der ästhetischen Form. Zugleich trunkener Visionär und messerscharfer Rationalist. Ein Kopf von durchaus verblüffenden Dimensionen. Sprecher 1: Einer, der stets auf der Suche war nach den geheimen Gesetzen sprachlicher Wir- kung, wie nach den verborgenen Triebfedern der menschlichen Geschichte. Einer, der im Dialog mit den toten Helden der Kultur, den Denkern, Dichtern und Staatslenkern, den leidenschaftlich Liebenden und den trotzig Entsagenden, in einer Mixtur aus deren Stimmen und seiner, ein neues Weltlied schaffen wollte. Eine Synthese aus Mythos und Geschichte, Wissenschaft und Kunst. Sprecher 2 : D a s Epos des 20. Jahrhunderts. Sprecher 1: Oder vielleicht doch des 21.? Zitator 2: I cannot make it cohere. Sprecher 2: Einer, der als Dichter den Weg letzter ästhetischer Radikalisierung ging, auf dem ihm später niemand folgen konnte noch wollte. Von dessen Werk dennoch fast jede nachfolgende Dichtung, wo sie wirklich zeitgemäß und bedeutend ist, profitiert hat. Sprecher 1: Es gibt eine Pop-Variante zur Pound-Hermeneutik: "Unser Opa!" - so feiern in den sechziger Jahren lesende Hippis ihren Guru Ezra Pound. Für sie, die gegen Fadheit und Lüge der bürgerlichen Welt aufbegehren, liegt die Sache klar: "Opa" ist auf ihrer Seite. Der predigt die Lehren des Konfuzius und glaubt an die Weisheit chinesischer Schriftzeichen. Der verflucht alle Geldsäcke, die mit ihrer Gier Unglück über die Welt bringen, und kann dichten, als wäre er von feinsten Drogen erleuchtet. Sprecher 2: Ein bizarrer Kerl, der einen in Bann schlägt, obwohl niemand wirklich auf den Grund seines Geistes schauen kann. Warum auch? Seine dunkel-schönen Texte sind frei von Patriarchen-Logik und Gedanken-Muff. Und seine Stimme klingt wie das Meer, das über den Strand rollt: Regie: O-Ton V (Pound liest Canto CVI) ... At Sulmona are Lion heads. Gold light in vaine to Philotaxis. By hundred blue-grey over the rock pool Or the king wings in migration And in thy mind, beauty, o Artemis Over Asphodill, over prune plant faun's ear-level blossom Yao and Shun ruled by jade ... Regie: O-Ton läuft leise weiter, Übersetzung darüber Zitator 1: ... Bei Sulmona sind Löwenköpfe. Goldlicht über Blattadern. An die hundert, blaugrau überm Felstümpel Oder der Zug von Eisvogel-Schwingen Und das Schöne, o Artemis, in deinem Sinn Über Asphodill, über Gilbkraut, Faunengeöhr in Höhe des Blütenstands. Yao und Shun herrschten mit Yade. "Whuder ich maei lithan help me to neode" Die Blumen gefeit gegen Donnerkeil "help me to neode" Die große Lichteichel wölbt sich heraus, Aquileja, capparis, caltha palustris ulex, das ist Stechginster, hedys arachnites; Eichengestrüpp reckt sich vorm Wolkenwall - drei Jahre Frieden, sie mussten ihn absägen, - violett, meergrün und namenlos ... Regie: O-Ton aus Sprecher 1: Ezra Loomis Pound. Geboren am 30. Oktober 1885 in Hailey, US-Bundesstaat Idaho. Sprecher 2: Der Vater, Homer Loomis, ist Münzprüfer. Ein Mann, der von Amts wegen Menge und Reinheit des Edelmetalls im zirkulierenden Münzgeld überwacht. Seltsam, dass sein Sohn später einen lebenslangen philosophischen Hass gegen das Geld entwickeln wird. Wohlgemerkt: Geld in einer Form, mit der Homer Loomis Pound nichts zu schaffen hatte. Nämlich als papierene Banknote ohne Eigenwert, die beliebig in Umlauf gebracht werden kann. Durch nichts gedeckt, als das Vertrauen in die hochabstrakte Systematik des kapitalistischen Wirtschaftskreislaufs. Sprecher 1: Pound verbringt seine Kindheit in einem Kaff in Philadelphia. Mit sechzehn wird er Student. Seiner Prüfungskommission teilt er schriftlich mit: Zitator 2: "Ich beabsichtige, alle geisteswissenschaftlichen Disziplinen durchzuarbeiten, dabei aber das Unerhebliche beiseite zu lassen." Sprecher 2: Er beginnt mit germanistischen und romanistischen Studien und gerät früh in den Bann abseitiger Gebiete. So studiert er eingehend die Dichtung provenzalischer Troubadours des 12. Jahrhunderts. Überhaupt interessiert ihn die Dichtkunst aller Epochen und Kontinente. Er beginnt, selbst Gedichte zu schreiben. Als Zwanzigjähriger verordnet er sich täglich ein Sonett zu Übungszwecken. Er zerreißt sie, aber in dieser Zeit entstehen auch Verse, die er drei Jahre später in einem ersten, im Selbstverlag erscheinenden Gedichtband versammeln wird. Sprecher 1: 1906 reist Pound nach Europa. Er sieht Spanien, Italien und Deutschland, kehrt aber noch einmal in die USA zurück und versucht, sich in der Heimat eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Vier Monate lang ist er Dozent an einem College im mittleren Westen, dann legt man ihm die Kündigung nahe - Zitator 2: "da Sie für örtliche Verhältnisse zu sehr den Typ des Bohemiens darstellen". Sprecher 2: Pound nutzt die Gunst der misslichen Stunde: Mit achtzig Dollar in der Tasche erreicht er 1908 Venedig. Er geht zu Fuß nach Paris, von dort nach London. Hier, im alten Europa - London, Paris, später Italien - wird er den Rest seines Lebens verbringen. Regie: O-Ton VI (Pound liest Canto I) And then went down to the ship, Set keel to breakers, forth on the godly sea, and We set up mast and sail on that swart ship ... Regie: O-Ton VI unterlegen Zitator 2: "Ezra pflegte mit den Schritten eines Tänzers daherzukommen und mit einem Spazierstock Hiebe gegen einen imaginären Widersacher auszuteilen. Er trug gewöhnlich Hosen aus grünem Billardtuch, eine rosarote Jacke, ein blaues Hemd, eine von einem japanischen Freund handbemalte Krawatte, einen ungeheueren Sombrero, einen flammendroten, zu einer Spitze geschnittenen Bart und einen einzelnen großen blauen Ohrring." Sprecher 2: So beschreibt der Schriftsteller Ford Madox Ford seinen Freund aus Londoner Tagen. Sprecher 1: Der junge Pound in Europa: ein exzentrischer Naturbursche, strotzend vor Vitalität. Begnadeter Tennisspieler, Virtuose auf dem Piano, Meister des Fechtbodens. Sprecher 2: Aber er verblüfft schon damals auch durch scheinbar unbegrenzte Kenntnis der Weltkultur, ihrer Sprachen und Texte, ihrer ästhetischen, politischen und wirt- schaftlichen Geschichte. Sein poetisches Talent macht ihn rasch zum Wortführer der zeitgenössischen Kunst-Avantgarde. Pound präsidiert ästhetischen Bewegungen mit so klangvollen Namen wie Imagismus und Vortizismus. Auf der Suche nach einer gültigen Poetik verfasst er Manifeste und Programme. Er schreibt Kritiken und Essays, erwirbt sich Verdienste als Freund und selbstloser Förderer begabter, noch unentdeckter Autoren. Als erster erkennt Pound den Rang des einsam und unbeachtet schreibenden James Joyce. Er schickt dem Hungernden anonym Geld und ermöglicht schließlich Joyces erste Veröffentlichungen. Sprecher 1: Hemingway, auch er ein guter Freund jener Jahre, erinnert sich: Zitator 2: "Also haben wir bislang Pound den großen Dichter, der, sagen wir, ein Fünftel seiner Zeit der Dichtung widmet. Die übrige Zeit bemüht er sich darum, das materielle wie künstlerische Los seiner Freunde zu bessern. Werden sie angegriffen, so verteidigt er sie. Er bringt sie in Zeitschriften unter und holt sie aus dem Kittchen. Er leiht ihnen Geld. Er verkauft ihre Bilder. Er veranstaltet Konzerte für sie. Er verfasst Artikel über sie. Er macht sie mit reichen Frauen bekannt. Er bringt Verleger dazu, ihre Arbeiten anzunehmen. Er sitzt, wenn sie vorgeben, im Sterben zu liegen, die ganze Nacht an ihrem Bett und unterschreibt ihren letzten Willen als Zeuge. Er schießt ihnen die Krankenhauskosten vor oder redet ihnen den Selbstmord aus. Und am Ende verzichten ein paar wenige von ihnen darauf, ihm bei der erstbesten Gelegenheit ein Messer in den Rücken zu stoßen." Regie: O-Ton VII (Pound liest Canto I), kurz freistehend, dann unterlegen Zitator 2: "Zur Person: er ist groß, hat einen struppigen roten Bart, schöne Augen, trägt seltsame Haarschnitte und ist sehr scheu. Dennoch hat er das Temperament eines toro di lidia aus der Stierzucht von Don Eduardo Miura. Kein Mensch hält ihm jemals eine Capa hin, kein Mensch fuchtelt mit einer muleta vor seinen Augen, gleich geht Ezra auf ihn los. Wie Don Eduardos Zuchtstiere lässt er auch zuweilen das Pferd des Pikadors außer acht, um den Mann aus dem Sattel zu heben, und niemand tritt in der Arena gefahrlos gegen ihn an." Sprecher 2: Als Pound in jenen Londoner Jahren seine poetischen Instrumente zu justieren beginnt, als unter den Titeln "Personae", "Ripostes" und "Lustra" die ersten Gedichtbände erscheinen, da formt sich auch ein Grundmotiv seiner dichterischen Weltanschauung. Nennen wir es: Vertrauen auf die Macht des Wortes. Sprecher 1: Wortvertrauen - eine seltene Tugend im Zeitalter der Moderne, wo Bewusst- seinskrisen häufig als Sprachkrisen gedeutet werden. Seit Descartes vor gut dreiein- halb Jahrhunderten an den Leistungen der Sprache zu zweifeln begann, seit er lieber frische mathematische Formeln als müde, alte Sätze gebrauchen wollte, um eine Idee präzise mitzuteilen, seitdem hat sich der abendländische Geist immer größere Skepsis gegen die Sprache erlaubt. Wittgensteins Werk ist nur der melancholische Exzess dieses Zweifels. Sprache, so heißt es, erstickt das Eigenleben der Dinge und verfehlt die Wirklichkeit des Geistigen durch formelhafte Starre. Sprecher 2: Pound aber scheint immun gegen das Virus. Ihn prägt amerikanisches Urvertrauen: Ein Mann, der ehrlich und schwer arbeitet, kann gar nicht scheitern. Das gilt für jedes anständige Handwerk, also auch für die Arbeit an und mit den Worten. Wer es wirklich ernst meint mit der Wortarbeit, dessen Sprache kann allerhöchste Grade von abbil- dender und mitteilender Präzision erlangen! Sprecher 1: Freilich gelingt das nicht mit zurechtgemachten lyrischen Hülsen und verstiegenen poetischen Abstraktionen. Nicht, wenn einer bloß romantisch schwärmt oder zäh an den Buchweisheiten klebt. Eine grundlegende Reform der poetischen Sprache hält Pound für unumgänglich. Der moderne Dichter muss sich als empirischer Forscher begreifen! Als jemand, der die einfache und unmittelbare Präsenz der Dinge zur Sprache bringt. Sachlichkeit, Objektivität, so wie es Flaubert in seinen bildmächtigen Romanen vorgemacht hat! Sprecher 2: Da soll es Leute geben, ironisiert Pound die Lyrik des 19. Jahrhunderts, die gebrauchen für die Beschreibung eines Sonnenuntergangs die gleichen Worte wie für die Beschreibung einer Frau! Sprecher 1: Was für ein Kerl war dagegen Pisanello, der Renaissance-Maler. Der malte Pferde so, dass der Herzog von Mailand, als er seine Gemälde sah, ihn zum obersten Pferdeeinkäufer ernannte. Sprecher 2: Das Gedicht braucht solchen Pferdeverstand! Genaue Beobachtung des natürlichen Gegenstands, präzise, höchstmögliche Sinnlichkeit des Ausdrucks, tabulose Themenwahl - das sind die Grundpfeiler einer poetischen Reform, die Pound für unabdingbar hält und die er mit seinen Gedichten einleiten will. Sprecher 1: Eine Lieblingsanekdote Pounds erzählt von dem berühmten Schweizer Forscher Agassiz, der einem Abstraktionisten das Fürchten lehrte: Zitator 2: Ein Doktorand, mit Auszeichnungen und Diplomen versehen, kam zu Agassiz, um sich den letzten Schliff geben zu lassen. Der große Mann reichte ihm einen kleinen Fisch und forderte ihn auf, den zu beschreiben. Doktorand: "Das ist ein Sonnenfisch." Agassiz: "Das weiß ich. Beschreiben Sie ihn." Nach wenigen Minuten kehrte der Student mit der Beschreibung des Ichthus Heliodiplodokus zurück, Familie des Heliichtherinkus, oder wie man sonst sagt, um den gemeinen Sonnenfisch dem allgemeinen Wissen vorzuenthalten, und wie man es eben in den einschlägigen Lehrbüchern findet. Agassiz trug dem Studenten von neuem auf, den Fisch zu beschreiben. Der Student verfertigte einen vier Seiten langen Aufsatz. Agassiz hieß ihn dann, sich den Fisch anzusehen. Drei Wochen später war der Fisch im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung. Jetzt wusste der Student etwas über ihn. Regie: O-Ton VIII (Pound liest Canto I) And I cried in hurried speech: "Elpenor, howart thou come to this dark coast?" "Cam'st thou afoot, outstripping seamen?" And he in heavied speech ... Regie: O-Ton aus Sprecher 1: Im Jahr 1913, in jener Zeit also, in der die ersten Cantos entstehen, gerät Pound der Nachlass eines amerikanischen Asienwissenschaftlers in die Hände: Ernest Fenollo- sa. Ein folgenschwerer Zufall. Sprecher 2: Pound spürt, dass er mit dieser Sammlung aus japanischen NO-Spielen und Fenollo- sas Aufsätzen zu Struktur und Funktion der chinesischen Schriftzeichen den Schlüssel zu einem reichen, bisher weitgehend unerforschten Kontinent des Geistes in Händen hält. Für ihn ist es Bestätigung und Offenbarung zugleich. Lange schon hat er die auf sinnliche Bildhaftigkeit gegründete geistige Kultur Asiens bewundert, hat eine erregen- de Verwandtschaft zu seiner eigenen poetischen Suche gespürt. Sprecher 1: Der asiatische Geist liebt es, sich in scheinbar naiven Anschauungsmodellen zu artikulieren. Etwa durch Zusammenfügung zweier Bildvorstellungen, wie in den japanischen Haikus. Aber diese Arrangements einfacher Bilder sind im Grunde raffiniert: aus ihnen kann ein komplizierter Sinn - eine philosophische Idee, eine ethische Maxime, eine verborgene seelische Regung - organisch gefolgert werden. Asiatische Denker wollen nicht mit abstrakten Resultaten konfrontieren. Sie versuchen, die Motorik des Geistes in Gang zu setzen. Das Denken in ein lebendiges, energetisches Schwingen zu verwandeln. Zitator 2: IN EINER STATION DER METRO Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge: Blütenblätter auf einem nassen, schwarzen Ast. Sprecher 1: Mit Fenollosa sieht Pound die Wurzeln des asiatischen Denkens in der dort gebräuchlichen Bilderschrift. In den ältesten chinesischen Schriftzeichen, sogenannten Ideogrammen, werden nicht Laute wie in unserem Alphabet nachgebildet, sondern stilisierte Abbilder der Dinge gegeben. Kompliziertere Sachverhalte und Ideen beschreibt man durch raffiniertes Ineinandermalen, d.h. durch Inbeziehungsetzen dieser Abbilder, die dadurch zu Sinn-Bildern werden. Sprecher 2: Der Leser bleibt den sinnlichen Wurzeln jedes Begriffs und jeder Idee eingedenk. Immer aufs neue vollzieht er den Aufstieg vom Konkreten zum Abstrakten, und wird damit vor spekulativem Überschwang, dem die natürlichen Gegenstände keinen Widerstand mehr leisten, gefeit. Sprecher 1: Asiatischer Geist, folgert Pound, ist dichterischer Geist par excellence. Sprecher 2: Die Methode des chinesischen Ideogramms wird zur idée fixe, die ihn beim Dichten der "Cantos" leitet. Mit seinem Gesang will er hinabsteigen in eine Zone des Geistigen, wo Begriff und Idee sich aus der sinnlichen Anschaung erst formen. Seine Leser sollen ein Wissen gewinnen, das Anschaung, Gefühl und Begriff in sich zur harmonischen Synthese bringt. Deshalb schreibt er die "Cantos" in radikaler Collage- technik, türmt Bild auf Bild, stürzt Raum und Zeit ineinander, lässt den authentischen Stimmen, Tonfällen und Sprachen freien Lauf. Ihn leitet die Methodik des Ideogramms: Regie: O-Ton IX (Pound liest Canto CVI) Yao and Shun ruled by jade That the goddes turn crystal in her This is grain rite Luigi at the hill path this is grain rite Near Henna, at Nysa: Circe, Persephone so different is ... Regie: O-Ton läuft leise weiter, Übersetzung darüber Zitator 1: Yao und Shun herrschten mit Jade Dass sich die Göttin in ihr kristallisiere Dies der Ritus des Korns Luigi auf dem Bergpfad dies der Ritus des Korns bei Henna, bei Nysa: Circe, Persephone so anders sind Tal und Meer, dass der Wacholder ihr heilig ist zwischen den beiden Pinien, nicht Circe, aber Circe war so da sie aus dem Haus von behaunem Stein trat "wissen nicht welche Gottheit" noch ist Einlass in ihre Augen mit loten die Lichtlohe hinter ihr die nicht vom Sonnenuntergang kam. Athene Pronoia, in Hypostase Helios, Perse: Circe Zeus: Artemis von der Leto Unterm Dickicht "Help me to neode" Regie: O-Ton aus Sprecher 1: Der Sänger der "Cantos" wandert durch den zeitlichen und geographischen Raum der menschlichen Geschichte. Keine Grenze kann ihn halten. Er durchforscht die Dokumente aller Kulturen: ihre Chroniken, religiösen und wissenschaftlichen Systeme, ihre Lieder. Ihn treibt die Suche nach den verborgenen Ordnungen im kulturellen Prozess: nach Leitmotiven, wirkenden Ideen, den Geheimnissen von Triumph und Scheitern. Sprecher 2: Dabei geht es ihm um die Gegenwart. Wie Dante es für die Menschen des Mittelalters tat, will Pound seinen Zeitgenossen ihre Hölle und ihren Himmel ausmalen. Ihnen die aktuellste Gestalt der Sünde und die noch immer gültigen Konstruktionspläne eines irdischen Paradieses aufzeigen. Sprecher 1: Pounds Gesang interessiert sich für die klugen Lenker der Staaten. Für Orte, an denen Einsicht in die Gesetze des Natürlichen vorhanden war und die Menschen glücklich und friedlich miteinander zu leben vermochten. Für Kulturen, die vollendete ästhetische Formen schufen. Das alte China zur Zeit des Philosophen Konfuzius wird ihm zur Projektionsfläche einer Utopie sozialer Ordnung, gegründet auf die Tugenden der Redlichkeit und Klar- heit, wie sie Konfuzis als oberste Maximen seiner Ethik lehrte. Sprecher 2: Oder die Renaissance in Italien. Was ermöglichte die Schönheit, die Kraft, den kultu- rellen Überschwang? Welche Figuren und sozialen Systeme prägten die Blüte der Stadtstaaten? Sprecher 1: Und wovon lebte eigentlich das Amerika der Gründerväter? Was garantierte die klare moralische Ordnung des Staatswesens in den Zeiten der Präsidenten Thomas Jeffer- son und John Adams? Sprecher 2: Wo immer der Dichter auf seiner Reise durch die Archive der Kulturen Gelingen oder lehrreiches Scheitern entdeckt, nimmt er es auf in sein Lied von der Welt. In größtmöglicher Authentizität will er die Funde bergen, durch Zitat, Imitation von fremden Stimmen, Rückgriff auf Originalsprachen. Aber stets so, dass über Strukturen, Leitmotive, Assoziationsketten der verborgene Sinn, auf den es ankommt, herauspräpariert wird. Aus dem natürlichen Material schafft er Sinn-Bilder - so wie es der Geist der Ideogramme ihn lehrte. Regie: O-Ton X (Pound liest Canto XLV) With usura hath no man a house of good stone each block cut smooth and well fitting that design might cover their face, with usura hath no man a painted paradise on his church wall ... Regie: O-Ton unterlegen, Übersetzung darüber Zitator 1: Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert Bei Usura hat keiner ein Paradies auf seine Kirchenwand gemalt harpes et luz oder die Kunde, die zur Jungfrau kommt und Strahlenkranz, der vorkragt aus der Kerbe Bei Usura kommt keinem Mann zu Augen Gonzaga, Kind, Kegel, Konkubinen, es ist kein Bild gedacht zu dauern, noch damit zu leben sondern nur seinen Schnitt zu machen, rasch seinen Schnitt zu machen Regie: O-Ton läuft leise weiter Sprecher 2: Pound auf der Suche nach der Wirkungsmacht der Sünde. Im berühmten Usura- Cantos, laufende Nummer 45, präsentiert er seine Entdeckung, dass historische Verfallszeiten stets vom Wildwuchs der Geldwirtschaft begleitet sind, ja durch diesen erst hervorgerufen werden. Sprecher 1: Vor allem die Praxis zinspflichtiger Geldkredite, einst mit dem Namen "Wucher" belegt und heute Hauptschmiermittel der modernen Wirtschaft, sieht Pound als Grundübel. Wucher entfernt das gesellschaftliche Leben vom Boden unmittelbarer Produktion. Wucher setzt den Zwang zur Profitmaximierung in die Welt und zerstört damit alle organisch gewachsenen Kreisläufe. Wucher vergiftet den Geist des Menschen, verwirrt seine Begriffe und Ideen. Sprecher 2: Gesang Nummer 45 ist allein der unseligen Wirkung des Wuchers gewidmet. Seine Bildwelt greift tief ins Historische, ja Archaische zurück - meint aber durchaus das moderne Bankwesen, das die Gesellschaften des 20. Jahrhunderts so entscheidend und bedrohlich prägt. Sprecher 1: Den Wucher nennt Pound bei seinem alten lateinischen Namen: Usura. Regie: O-Ton XI (Pound liest Canto XLV) Usura rusteth the chisel It rusteth the craft and the craftman It gnaweth the thread in the loom None elarneth to weave gold in her pattern ... Regie : O-Ton unterlegen, Übersetzung darüber Zitator 1: Usura setzt an den Meißel Rost Und legt den Handwerkern das Handwerk Nagt an des Webstuhls Werft Kein Mensch weiß Gold zu wirken in ihr Muster; Azur krebskrank an Usura, cramoisi wird nicht bestickt Smaragd hat keinen Memling Usura metzt das Kind im Mutterleib Und wehrt des jungen Mannes Werben Hat Schlagfluß in das Bett gebracht und liegt zwischen der jungen Braut und ihrem Mann CONTRA NATURAM Man brachte Huren nach Eleusis hin Und setzte Leichen zum Gelag Auf Geheiß von Usura. Sprecher 2: Seit 1921 lebt Pound in seiner Wahlheimat Italien. Größer und größer wird jetzt sein Abscheu vor den Mächten der Gegenwart. Industrie, Kapital, moderne Bürgerlichkeit - sind es nicht bloße Agenten des sozialen Chaos?! Inflation, Weltwirtschaftskrise, das Millionenheer der Arbeitslosen - alles zeigt doch, wie dringend ein radikaler Ausweg benötigt wird. Sprecher 1: Pound findet Gefallen an der agrarisch-patriarchalen Diktatur des Benito Mussolini. Dieser Mann scheint geeignet, im von Usura vergifteten Abendland eine Wende herbeizuführen. Für Pound verkörpert Mussolini so etwas wie die Wiedergeburt eines Renaissance-Condottiere, der mit starker Hand sein Land auf den Weg der wahren Kultur zurückführt. Sprecher 2: Pound träumt von einer kompletten Reform des gesellschaftlichen Lebens: Entmach- tung der internationalen Hochfinanz, Reorganisation des Staates nach dem Modell alter Korporationen und Stände, unmittelbare Wirtschaftsdemokratie durch Einschrän- kung des Geldkreislaufes. Mit anderen Worten: Rückkehr zur guten, alten Zeit, in der statt abstrakter systemischer Vernetzungen die Unmittelbarkeit menschlicher Kontakte das Leben bestimmte. Bei den Marxisten heißt solche Zielvorstellung: Ende der Entfremdung. Pound nennt sie lieber: Kulturelle Renaissance. Sprecher 1: Er trifft Musolini und erläutert seine Ideen. Er schreibt glühende Reform-Briefe an europäische Staatsmänner, publiziert Aufsätze in Wirtschaftszeitschriften. Er bewegt sich auf einem rasch schmaler werdenden Grat. Nicht mehr die Welt soll ihn belehren, nein, die Welt ist falsch im Ganzen geworden, und nun hat der Dichter ihr ein paar Lehren zu erteilen! Regie: O-Ton XII (Radioansprache 1942), einige Sekunden freistehend, dann unter- legen Sprecher 2: Kurz bevor der 2. Weltkrieg ausbricht, wirbt Pound in Amerika um ein Bündnis mit Italien. Hitler scheint ihm ein - Zitator 2: epileptischer Hinterwäldler, der nach Pogromen lechzt. Sprecher 2: Doch an Mussolinis Seite könnte Amerika die Rückkehr zu den Werten seiner Grün- derzeit gelingen. Während einer Reise in die USA 1939 will Pound den Präsidenten sprechen, wird aber nur von einem Staatssekretär empfangen. Ohne Erfolg kehrt er nach Italien zurück. Sprecher 1: Doch er macht weiter: In den Kriegsjahren hält Pound regelmäßig Radioansprachen, die über einen italienischen Kurzwellensender nach Amerika ausgestrahlt werden. Regie: O-Ton XII (Radioansprache 1942), einige Sekunden frei stehend, dann aus. Sprecher 2: Eine Ansprache aus dem Jahr 1942. In weitschweifender Rede geißelt Pound seine amerikanischen Landsleute als denkfaul. Von den Lehren des Konfuzius gelangt er zur ökonomischen Syphillis, mit der die Bank von England vor 240 Jahren Europa infi- zierte. "Steuern sind Sünde", ruft er, und fordert seine Hörer auf, endlich eine einfache Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen: die USA befinden sich in den Händen der internationalen Hochfinanz und Rüstungslobby. Und die hat die Welt nun in einen Krieg getrieben. Sprecher 1: Pounds Treiben bleibt nicht ohne bitter-ironische Pointe: Mussolinis Geheimdienst ver- mutet chiffrierte Spionagebotschaften hinter den schwer verstehbaren Reden des Dichters. Schon überlegt man, ob dieser seltsame Kombattant vielleicht ein Doppel- agent ist - und sicherheitshalber hinter Gitter gesteckt werden sollte. Sprecher 2: Nachdem Europas Diktatoren ihren Krieg verloren haben, wird Pound tatsächlich gefangengenommen. Die Amerikaner bringen ihren Landsmann in ein Militärstraflager bei Pisa. Der Rachedurst der Sieger ist groß. Als Verräter und Kollaborateur wird Pound in einen Drahtkäfig gesteckt, vegetiert wochenlang bei glühender Hitze, Tag und Nacht mit Scheinwerfern angestrahlt. Er bricht zusammen, stürzt in schizophrene Dämmerung. Sprecher 1: Nach sechs Monaten wird er in die USA überstellt und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Insgesamt 12 Jahre muss Pound nun im Irrenhaus verbringen, zuerst in einer Abteilung für gewalttätige Geistesgestörte, später wird er den harmlosen Fällen zugeordnet. Er empfängt Besucher, soweit es die Vorschriften erlauben, und tut, was er immer schon mit enormer Disziplin und Anspannung getan hat: denken und dichten. In jenen Jahren entstehen Essay-Bände, literarische Anthologien, Über- setzungen antiker Tragödien. Auch große Teile der "Cantos" sind im Irrenhaus geschrieben. Sprecher 2: Erst 1958 erreichen die letzten ihm verbliebenen Freunde, darunter Hemingway und T.S. Eliot, Pounds Entlassung als "unheilbar, aber harmlos". Der Dichter geht nach Italien zurück. Die letzten Jahrzehnte, bis zu seinem Tod in Venedig am 1. November 1972, lebt er zurückgezogen. Er bereut seinen zeitweiligen Antisemitismus als Verirrung in den Hass. Wie eine ungeheure Last spürt er die Ahnung, er werde seine "Cantos" nicht zum guten Ende führen können. Zitator 2: I cannot make it cohere. Sprecher 1: War alles nur ein monomaner Traum? Hat er wirklich etwas von den Triebkräften und Gestaltungsmächten des Lebens erkannt? Wird man das Wenige, was ihm gelang, überhaupt verstehen können? Oder hat er die kommunkative Potenz seiner lyrischen Ideogramme überschätzt? Zitator 2: Ich versuchte ein Paradies zu schreiben - Sprecher 2: dichtet er im letzten Fragment seiner "Cantos", Zitator 2: Rühre dich nicht / lass den Wind reden / So ist es das Paradies. Sprecher 1: Fremd ragt Pound hinein in das sich rasch modernisierende Nachkriegseuropa. Ein literarisches Gespenst aus untergegangener Zeit, das man ab und zu beim Begräbnis eines Weggefährten oder bei einer Premiere seiner Tragödien-Übersetzungen zu Ge- sicht bekommt. Bei Canto 117 bricht er den Zyklus der Gesänge ab, irgendwann im Jahr 1959. Der Rest ist Schweigen, in wörtlichem Sinne. Sprecher 2: Mehr als zehn Jahre düsterster Melancholie stehen Pound bevor. Depressionen, die durch Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken nicht gebessert werden. Der unermüdlich Schreibende, Redende, Diskutierende schweigt; der Magier, aus dem die poetische Sprache so überreich quoll, spricht mit niemandem mehr. Zitator 2: Ein Wust von liegengebliebener Arbeit. Das große kristallene Hohlrund habe ich geholt, wer kann es heben? Findst du Einlaß in die große Lichteichel? Doch die Schönheit liegt nicht im Wahnsinn, Ob mich auch Wrack und Irrtum umgibt. Ich bin kein Halbgott, es will sich mir nicht einfügen. Ist keine Liebe im Haus, so ist Nichts da, Die Stimme des Hungers verhallt. Wie kam Schönheit vor diese Schwärze ... Sprecher 1: Ezra Pound ist ein Fixstern am Literaturhimmel des 20. Jahrhunderts, seine "Cantos" sind eine enorme Masse Literatur, mit noch immer beachtlicher Reststrahlung. Häufig nennen zeitgenössische Dichter Pound als ihren Lehrmeister; die Exegese der "Can- tos" wird unermüdlich betrieben von kleinen Zirkeln der Eingeweihten. Sprecher 2: Viele kennen den Namen des Dichters, haben Lektüreversuche unternommen. Oft sind sie gestrandet, irgendwo zwischen dunkler Faszination und der fehlenden Bereit- schaft, sich auf das Maß der Poundschen Texte einzulassen. Warum soll man sich in einem Labyrinth der Anspielungen und Zitate verirren? Zitator 2: Bevor ich sterbe, will ich das größte Gedicht schreiben, das je geschrieben worden ist - Sprecher 2: So hatte es der 22-jährige den Eltern mitgeteilt. Die "Cantos" sind sein Versuch, das maßlos Disparate der modernen Welt durch kühnste poetische Techniken in einem Bewusstseinsuniversum zusammenzufügen. Ein Großgedicht, das alle kulturellen Grenzen - der Sprachen, der Religionen, der sozialen Institutionen - kraftvoll überwindet, und damit zu einem Akt der kulturellen Globalisierung wird - noch bevor die kapitalistische Ökonomie das Leben aller Menschen auf dem Planeten gleichzuschalten beginnt. Sprecher 1: Pound wollte seine Zeitgenossen aufklären über die Höllen auf Erden und die Wege in ein irdisches Paradies - aber die Bereitschaft der Zeitgenossen, sich von einem gelehrten Poeten über die letzten Geheimnisse ihrer Existenz aufklären zu lassen, ist traditionell gering. Er hat mit seinem Gedicht alles gewagt. Ist er gescheitert? Zitator 2: I cannot make it cohere. Sprecher 1: Es will sich mir nicht einfügen. Sprecher 2: Was bleibt, ist diese Stimme in den Archiven der Kultur. Spirituelle Funken und Momente größter sinnlicher Schönheit: Regie: O-Ton XIII (Pound liest Canto CVI) The strength of men is in grain NINE decrees, 8 th essay, the KUAN So slow is the rose to open. A match flares in the eyes hearth, then darkness ... Regie: O-Ton unterlegen, Übersetzung darüber Zitator 1: Im Korn wohnt die Stärke der Männer. Die große Regel, NEUN Teile, achtfache Ordnung, der Kuan So langsam entlippt sich die Rose. Ein Zündholz angerissen im Augen-Rost, dann Dunkel ... Staatskunst stammt aus der Zeit des Kuan Chung, doch für die weißgoldne Schale zu Patara gaben Helenas Brüste die Form. o theos Persephone auf dem Baumwollfeld Granit nebst Meerwoge steht für Klarheit Wasserstief wirft alles Feuer zurück nueva lumbre, Erde, Luft, Meer in dem Feuerkahn über den Amazonas, den Orinoco, große Ströme. ENDE