COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Sendung: Forschung und Gesellschaft Redaktion: Jana Wuttke Sendedatum: 24.01.2013 Titel: Die Stadt in unseren Köpfen Stadtleben erhöht das Risiko für Depressionen und Schizophrenie. Aber wie verändern Städte das Gehirn? Und wie sieht die gesunde Stadt aus? Atmo / Musik: Stadt (Verkehr, Stimmen...) Sprecher 1: "Die Menschen werden sich in einer großen, endgültigen Verschiebung vom Landleben wegbewegen und in die großen Städte gehen. Das ist die Entwicklung, die vom 21. Jahrhundert am deutlichsten in Erinnerung bleiben wird." Sprecher 2: Doug Saunders, Journalist und Autor, in: Arrival City, Toronto, 2011. Sprecher 1 weiter: "Wir werden gegen Ende dieses Jahrhunderts eine ganz und gar urbane Spezies sein." 1. Atmo: Stadtlärm, s.o. (ganz kurz frei) 2. O-Ton, Adli, dt.: "Das Schizophrenie-Risiko ist bei Stadtbewohnern doppelt so groß wie bei Landbewohnern. Das Risiko an einer Depression zu erkranken, ist etwa 1,4-fach so groß, ähnlich die Unterschiede bei Angsterkrankungen." Sprecher 2: Doktor Mazda Adli, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin. 3. O-Ton, Adli, dt.: "Wenn Urbanisierung so ein wichtiger globaler Veränderungstrend ist und wenn es diese Risikounterschiede für psychische Erkrankungen gibt, dann sind wir sehr gut beraten herauszufinden, welche Faktoren am Stadtleben für diesen Unterschied verantwortlich sind." 4. Atmo: Stadtgeräusch, leiser (kurz frei) 5. O-Ton, Libeskind, engl./dt. Übers.: "Wenn man eine Stadt gestaltet, dann geht es nicht mehr länger um Gebäude auf Papier, die dann mit Hilfe von Technologie materialisiert werden." Sprecher 2: Daniel Libeskind, Architekt. 6. O-Ton, Libeskind, engl./dt. Übers.: "Es geht um die Rückkehr zur Frage: Was ist Stadt? Wie können wir all dem, was mit dem Stadtleben auf uns einstürmt, einen Sinn geben? Da müssen wir kreative Lösungen finden. Wir können die Menschen nicht weiter wie Bienen in Wohnzellen sperren und sie lediglich als Positionen im Kassenbuch betrachten." 7. Musik / Stadtatmo Sprecher: Mitte der 1960er Jahre, Camberwell, England: Die Gesundheitsbehörden des quirligen Viertels Im Süden von London beginnen, die Krankheitsgeschichten aller Menschen in der Gegend zu notieren, bei denen eine Schizophrenie festgestellt wird, eine Depression oder eine andere psychische Störung. Mehr als dreißig Jahre später fallen die Daten der britischen Psychiaterin Jane Boydell in die Hände. Erstaunt registriert sie, dass sich die Fälle von Schizophrenie in der Gegend seit Beginn der Aufzeichnungen etwa verdoppelt haben. Es beginnt die Suche nach den Ursachen. Ziehen Städte Menschen an, die anfällig für psychische Krankheiten sind? Oder sind es die Städte selbst, die krank machen? Autorin: Die Fragen sind von einiger Dringlichkeit: Lebte um 1950 noch weniger als ein Drittel der Weltbevölkerung in Städten, so ist es heute rund die Hälfte. 2050, schätzen Experten, werden etwa 70 Prozent der Menschheit in Städten wohnen. Gleichzeitig sind psychische Erkrankungen nach den Infektionskrankheiten zur größten Gefahr für die Gesundheit der Weltbevölkerung geworden. Fast jeder zweite Arbeitnehmer in Nordamerika, der sich arbeitsunfähig meldet, gibt Depressionen als Grund an - innerhalb der Europäischen Union verursachten Fehlzeiten und Behandlungen wegen Depressionen im Jahr 2010 Kosten in Milliardenhöhe. Allein in Deutschland hat sich zwischen 2000 und 2010 die Zahl der Krankmeldungen wegen psychischer Leiden verdoppelt. 8. O-Ton, Adli, dt.: "Psychische Erkrankungen gelten als Erkrankungen von steigender Relevanz in allen Teilen der Welt. Es gibt darüber hinaus eine Häufung von bestimmten psychischen Erkrankungen bei Stadtbewohnern. Dazu gehört Schizophrenie, Depression, auch Angsterkrankungen." Autorin: Psychologen erklären psychische Erkrankungen üblicherweise als Folge eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren - Erziehung gehört dazu, das soziale Umfeld, bestimmte Lebensereignisse und die genetische Disposition jedes Einzelnen. Warum eine ungünstige Kombination dieser Faktoren aber offenbar besonders bei Stadtbewohnern zu finden ist, ist nicht ganz klar. Dass Menschen mit einer Veranlagung für psychische Leiden gezielt in Städte ziehen, in der Hoffnung, dort Anonymität, Offenheit oder schlicht bessere medizinische Betreuung zu finden - das allein könne die hohen Fallzahlen psychischer Erkrankungen in Städten nicht erklären, sagt Mazda Adli, Psychologe an der Charité Berlin. Auch das Leben in einem urbanen Umfeld selbst scheine eine Rolle zu spielen. 9. O-Ton, Adli, dt.: "Wir vermuten, dass es etwas mit Stress zu tun hat, mit veränderter Stresswirkung auf Stadtbewohner. Es ist bekannt, dass eine ausgeprägte Stresseinwirkung auf die Psyche eine Depression auslösen kann. Dadurch, dass sie zum Beispiel die Regulation im Stresshormonsystem verändert, zum Teil auch die Aktivität von Genen verändert, die für die Regulierung der Stresssysteme verantwortlich sind. Das kann man im Labor auch in verschiedenen Stresstests nachmessen." Sprecher: Für den Menschen war die Stressreaktion im Laufe der Evolution überlebenswichtig - als körperliche Antwort auf eine Gefahrensituation: Fühlen wir uns bedroht, durch ein Raubtier oder eine vielbefahrene Straßenkreuzung, werden eine ganze Reihe von hormonellen und Stoffwechselvorgängen im Körper in Gang gesetzt. Der Blutdruck steigt, die Atmung fällt leichter, die Aggressionsschwelle sinkt, Energiereserven werden mobilisiert - wir sind bereit für Flucht, Angriff oder Verteidigung. Problematisch wird es jedoch, wenn das Gefühl der Bedrohung dauerhaft wird, wenn sich die Stressantwort nicht mehr abstellen lässt. 10. O-Ton, Adli, dt.: "Das kann letztlich zu einer anhaltenden Veränderung unserer Stresssysteme führen und dadurch Krankheiten auslösen. Zu denen dann zum Beispiel auch die Depression gehört. Das könnte bei Stadtbewohnern der Fall sein." 11. Atmo Untersuchung MRT, Mannheim (...legen Sie bitte Ihren Kopf hierhin, setzen Sie die Kopfhörer auf, ich fahre Sie jetzt ein Stück zurück... MRT summt) Autorin: 2011 veröffentlichten Wissenschaftler um Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim Studienergebnisse, die zeigen, dass Menschen, die in Städten leben oder aufgewachsen sind, Stress tatsächlich anders verarbeiten als Menschen, die auf dem Land leben - oder die erst als Erwachsene in die Stadt gezogen sind. Die Forscher hatten die Hirnaktivitäten von Stadt- und Landbewohnern gemessen, während diese Aufgaben lösen mussten. Dabei wurden sie durch Kritik gezielt unter Stress gesetzt. 12. O-Ton, Meyer-Lindenberg, dt.: "Wir fanden einen klaren Zusammenhang jeweils einer bestimmten Hirnregion mit der Größe der momentanen Stadtumgebung. Die Größe der Stadtumgebung hatte was zu tun mit der Antwort der Amygdala, dem Mandelkern. Das ist eine Hirnstruktur, deren Aktivierung zu tun hat mit Angst und die bei Depressionen und Angsterkrankungen beteiligt ist. Und genau diese Hirnregion sahen wir bei Städtern während der Stressantwort deutlich verstärkt aktiv verglichen mit Leuten, die in einer kleinen Ortschaft wohnen oder die auf dem Land wohnen." Autorin: Die Aktivität des "Gefahrensensors" Amygdala stieg bei den gestressten Probanden zudem mit zunehmender Größe ihres Wohnortes: Bei Landbewohnern regte sich das Areal regte kaum, ein wenig mehr bei Bewohnern von Kleinstädten - und war deutlich aktiv bei Probanden, die in der Großstadt lebten. Sprecher: Was genau aber an so einem komplexen Gebilde wie "Stadt" führt dazu, dass Gehirne von Menschen, die in urbanen Umgebungen leben, offenbar anders auf Stress reagieren als Gehirne von Landbewohnern? Und was genau verursacht diesen Stress überhaupt? Ist es der allgemeine Lärm oder eher Verkehrslärm oder Lärm zu einer bestimmten Uhrzeit? Ist es Luftverschmutzung oder Lichtverschmutzung oder ein Mangel an Grünflächen? Autorin: Für Stressforscher Mazda Adli ist es vor allem die Kombination aus Dichte und Isoliertheit, der Bewohner großer Städte in der Regel ausgesetzt sind - die eine stadtspezifische Form von Stress erzeugt. 13. O-Ton, Adli, dt.: "Soziale Dichte und soziale Isoliertheit sind Formen von sozialem Stress, die die Stressempfindlichkeit steigern können. Sozialer Stress entsteht, wenn ich die Befürchtung habe, meine Umwelt nicht kontrollieren zu können, wenn zum Beispiel auch die eigene soziale Stellung in Gefahr scheint. Soziale Dichte ist auch im Tierreich als Faktor bekannt, der zu Verhaltensänderungen führen kann. Wenn dazu soziale Isoliertheit kommt, haben wir eine giftige Mischung, und das ist häufig auch Folge von suboptimaler Stadtplanung." 14. Musikakzent / Stadtatmo (Hongkong) 15. O-Ton, Burdett, engl., dt. Übers.: "Wenn man gegenwärtig auf der Welt nach der idealen Stadt sucht, landet man in Hongkong. Vielen Regierungen, Stadtplanern und Architekten gilt die Stadt als die perfekte Lösung." Sprecher2: Ricky Burdett, Professor für Stadtentwicklung an der London School of Economics. 16. O-Ton, Burdett, engl., dt. Übers.: "In Hongkong leben doppelt so viele Menschen wie in Berlin auf nur wenig größerer Fläche, 93 Prozent der Einwohner nutzen den öffentlichen Nahverkehr und brauchen im Durchschnitt elf Minuten, um zur Arbeit zu kommen. Das ist außerordentlich effizient. Es gibt eine hohe Dichte an Krankenhäusern und Schulen und die Luftverschmutzung ist geringer als in Los Angeles. Für den Mainstream der Stadtplaner ist Hongkong das Vorbild. Nur wenige fragen, was das mit den Menschen macht." 17. Stadtatmo (Hongkong) / Musikakzent Autorin: Zu lange, kritisiert Ricky Burdett, sei im Städtebau vor allem auf Effizienz geachtet worden. Erst etwa seit Ende der 1990er Jahre rücken auch die Folgen von Bebauung und Infrastruktur für die Gesundheit der Städter in den Fokus von Stadtpolitikern und -planern. 18. O-Ton, Burdett, engl., dt. Übers.: "Wenn wir uns Hongkong genauer anschauen, finden wir innerhalb der Stadt eine große Ungleichheit. Während die Lebenserwartung insgesamt sehr hoch ist, ist vor allem in den Randgebieten, in den sogenannten "Neuen Städten", die Suizidrate 30 Prozent höher als in New York oder London. Dort gibt es diese extreme Verdichtung, sehr kleine Wohnungen, in denen man die Wände berührt, wenn man die Arme ausstreckt und den Fernseher des Nachbarn laufen hört. Viele Leute dort laden niemanden mehr ein, weil es mit Gästen viel zu eng ist - und fühlen sich so aber vom Leben abgeschnitten. Die Menschen finden es schwierig, normale Leben zu führen." Sprecher: Gleichzeitig ist städtische Dichte inspirierend, die Anonymität großer Städte befreiend und städtischer Stress unverzichtbarer Teil des dynamisch-kreativen, urbanen Lebensgefühls. Nobelpreise, sagt Ricky Burdett, werden nun einmal nicht in Dörfern gewonnen. In London beispielsweise zögen gerade Menschen aus den oberen Einkommensschichten in die am dichtesten besiedelten Gebiete der Stadt - allerdings auch, weil sie es sich leisten können, am Wochenende in Auto und Flugzeug zu steigen und aufs Land zu reisen. Ab welchem Punkt also soziale Dichte zur Belastung wird und für welche Teile der Bevölkerung, ab wann und für wen Anonymität in Vereinsamung umschlägt und wann Stress nicht mehr motiviert, sondern krankmacht - das möchten die Neurowissenschaften herausfinden. 19. O-Ton, Adli, dt.: "Wenn ich über Neuro-Urbanismus spreche, ein Begriff, den ich mal so geprägt habe, dann meine ich, dass wir herausfinden müssen, wie die ideale Stadt konfiguriert sein muss oder auch ein Straßenzug konfiguriert sein muss, in dem die Menschen sich wohlfühlen, in dem sie möglichst wenig Stress ausgesetzt sind." Sprecher: Mit einer großangelegten Studie hofft Andreas Meyer-Lindenberg, für die Gestaltung solcher gesunden Stadträume demnächst erstmals eine empirisch gesicherte Datengrundlage liefern zu können. Zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologie und der Universität Heidelberg hat er ein spezielles Smartphone entwickelt. Damit sollen Probanden an verschiedenen Aufenthaltsorten und zu verschiedenen Zeitpunkten innerhalb eines urbanen Umfeldes geortet werden - ab diesem Frühjahr, über mehrere Jahre: 20. O-Ton, Meyer-Lindenberg, dt.: "Wir verfolgen die Leute auf Karten, beispielsweise vom sozioökonomischen Status in der Stadt, also was kosten die Häuser da, Bildungsniveau, Grünflächen, Verkehrsdichte, solche Dinge. Und wir können über dieses Gerät die Menschen kontaktieren und sie fragen: Wie geht's Ihnen? Wie ist Ihr Stresslevel? Und kucken: Wie ist die Aufmerksamkeit, die Konzentration, mit computerbasierten Tests. Und am Ende laden wir die Leute zu uns ein, machen dieses Stress-Experiment im Institut und versuchen zu fragen: Welche Aspekte der Stadtumgebung - die wir dann ja kennen, wir wissen ja, wie häufig waren die Leute im Park beispielsweise - welche Aspekte der Stadtlebenswelt sind wichtig und welche sind weniger wichtig für die Stressverarbeitung." Autorin: Die Annahme: Unabhängig davon, ob jemand ohnehin angespannt ist, weil er im Stau steht, sich von seinem Partner getrennt oder Ärger auf der Arbeit hat, gibt es in Städten Dinge, Orte oder Umstände, die verhindern, dass das Gehirn in einer gesunden Weise auf solcher Art Stress reagiert. Die im Gegenteil begünstigen, dass es in einer Weise darauf reagiert, die die Entstehung von psychischen Krankheiten fördert. Verläuft die Mannheimer Studie erfolgreich, können am Ende einige dieser Dinge, Orte und Umstände konkret benannt werden - und Stadtplanern als konkrete Planungsgrundlage dienen: Sollte beispielsweise der Etat, den eine Stadt für die Gestaltung von Grünflächen zur Verfügung stellt, für einen zentralen Park verwendet werden? Oder ist das Geld - im Sinne der mentalen Gesundheit der Stadtbewohner - besser angelegt, wenn von jedem Fenster aus ein Baum zu sehen ist? 21. O-Ton, Meyer-Lindenberg, dt.: "Dann hätten wir was erreicht, was ich vor ein paar Jahren noch wie einen Wunschtraum angesehen hätte - nämlich eine Primärprävention. Wir können verhindern, dass es zu psychischen Erkrankungen kommt, durch eine Umstrukturierung unserer Lebenswelt." 22. Musikakzent / Atmo 23. O-Ton, Libeskind, engl., dt. Übers.: "Es ist schwerer, den Winkel eines Fensters zu ändern als eine politische Theorie. ..Aber schon die Form eines Fensters - und damit den Blick auf den Horizont - zu ändern, kann den Menschen bewusst machen, dass die Welt dynamisch ist! Wir können Dinge verändern! Das hat Architektur immer versucht! Manchmal ist es nur ein anderes Licht, eine andere Raumform, die plötzlich ein anderes Bewusstsein hervorbringt. Ich denke, es ist wichtig, Gewohnheiten zu durchbrechen, die uns an immer dasselbe fesseln." - Daniel Libeskind 24. Musikakzent / Stadtatmo Sprecher: In ihrem Buch "Gebaute Gesellschaft" schildert die Soziologin Heike Delitz Versuche, über die Architektur Einfluss auf das Verhalten von Menschen zu nehmen: Von Gefängnisbauten, in denen die Insassen sich konform verhalten, weil sie wissen, dass sie jederzeit von einem zentralen Platz aus beaufsichtigt werden können - bis hin zum 2005 fertiggestellten BMW- Werk in Leipzig. Wo Teamgeist und Kommunikation zwischen Arbeitern und Bürokräften gefördert werden sollen, indem die Förderbänder mit den Karosserien direkt über den Schreibtischen hinweg laufen. Und Büros und Werkstätten nicht mehr räumlich getrennt sind. Autorin: Unter dem Label "Healing Architecture" unternehmen Architekten seit einigen Jahren beim Bau von Krankenhäusern Versuche, über die Gestaltung Einfluss auf die Gesundheit von Menschen zu nehmen. Und dabei Erkenntnisse aus Neurobiologie und Psychologie einfließen zu lassen. 25. O-Ton, Matthys, dt.: "Das heißt, man plant nicht einfach aus der Inspiration heraus, sondern basierend auf wissenschaftlichen Studien. ..Es gibt Lichtforschung, die herausgefunden hat, dass Licht den Biorhythmus unterstützt, mit gedämpftem Licht morgens, grellem Licht mittags und wieder gedämpftem Licht abends - dass das den Schlaf-Wach-Rhythmus unterstützen kann und dadurch ein Patient besser schläft und weniger Beruhigungsmittel braucht zum Beispiel." Autorin: Die Architektin Stephanie Matthys erforscht am Fachbereich Krankenhausdesign der Technischen Universität Berlin die Schnittmengen zwischen Architektur und Neurobiologie. 26. O-Ton, Matthys, dt.: "Dann gibt es viele Studien zu Orientierung: Wenn man in ein Gebäude reinkommt und sich verloren fühlt, wirkt das sich schlecht aus auf das Stressverhalten, das setzt den Menschen unter Druck. Und das zu vermeiden, ist Aufgabe des Architekten, indem er so plant, dass dieser Stress gar nicht erst auftaucht. Und das ist ein interessanter Punkt in Bezug auf Urbanismus, das Krankenhaus ist im Kleinen, was die Stadt im Großen ist." Autorin: Was gegenwärtig an Gesundheitsbauten erprobt wird, glaubt Stephanie Matthys, ist durchaus anwendbar auf andere Gebäude - und vielleicht einmal Wohn- oder Stadtviertel. 27. O-Ton, Matthys, dt.: "Ganz grundlegend vielleicht auch Schulen, Kindergärten - gerade da, wo Menschen aufwachsen oder sich länger aufhalten. Und ich sehe das Potenzial, dass man so Räume schaffen kann, die dem Menschen angenehmer sind. Man müsste Hand in Hand gehen mit den neueren Erkenntnissen über die Hirnforschung. Und basierend auf Erkenntnissen über Raumwahrnehmung dann auch die Räume gestalten." 28. Kurzer Musikakzent Autorin: Andreas Heinz, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité, warnt jedoch davor, bei der Suche nach den Ursachen erhöhter Stressanfälligkeit von Städtern den Fokus zu sehr auf die gebaute Umgebung zu verlagern. 29. O-Ton, Heinz, dt.: "Der eine Punkt ist, wie die Städte gebaut sind, der andere aber auch, wer drin wohnt, wie der sozial verankert ist und was dem widerfährt." Sprecher: Städte funktionieren wie ein Brennglas für schwelende Konflikte und soziale Verschiebungen in Gesellschaften. Sie sind der Ort, an dem Menschen aus unterschiedlicher Kulturen und Religionen aufeinandertreffen, an dem Menschen mit verschiedenen Lebensentwürfen und aus verschiedenen Einkommensschichten eng beieinander leben. Das erzeugt Spannungen - und die, so Andreas Heinz, können ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Stadtbewohnern haben: Wer etwa von seinen Nachbarn ausgegrenzt oder diskriminiert wird, dessen Gehirn nimmt Schaden. Egal wie reich, grün und sauber der Stadtteil auch sein mag, in dem er lebt - oder wie hell und großzügig seine Wohnung. 30. O-Ton, Heinz, dt.: "Im Bereich der Schizophrenieforschung weiß man, dass Einwanderer in England, mit dunkler Hautfarbe, aus Afrika oder der Karibik, ein höheres Schizophrenierisiko haben, bis zu achtmal höher als in der Normalbevölkerung, ein unglaublich hoher Wert. Und insbesondere dann, wenn sie in reichere Stadtteile ziehen, wo's wenig Menschen ihrer Hautfarbe und Herkunftsregion gibt. Das ist ein ganz signifikanter Befund, der auch zeigt: es kommt nicht drauf an, ob der Stadtteil reich oder arm ist oder wie gut der ausgestattet ist, sondern es kommt drauf an, ob Sie sich sozial akzeptiert und integriert fühlen." Sprecher: Für Psychologen zählen soziale Ausgrenzungsprozesse zu den schwersten Stressfaktoren überhaupt - und es ist möglich, dass es bereits die Angst vor Ausgrenzung ist, die davon betroffene Menschen so prägt, dass sie mit anderen Stressfaktoren schlechter umgehen können, dass ihr Gehirn unter Stress letztlich die Reaktionen zeigt, die in den Mannheimer Studien gemessen wurden. 31. O-Ton, Heinz, dt.: "Was man in Tiermodellen findet, sind dauerhafte Veränderungen in Botenstoffsystemen, wie Serotonin. Das ist ein Botenstoff, den man aus der Depressionsdiskussion kennt. Da kann man sagen, dass die Übertragung von Zelle zu Zelle Schaden nimmt, und die betroffenen Individuen ängstlicher sind, häufig auch aggressiver. Es gibt auch Untersuchungen beim Menschen dazu, dass allein schon die Aussicht auf soziale Vereinsamung die kognitive Testleistung beeinträchtigt, sogar die Intelligenz. Das heißt, von emotionalen Befindlichkeiten bis Lernfähigkeiten gibt's Beeinträchtigungen, wenn Menschen das Gefühl haben, sie werden aktiv ausgeschlossen von einer Gruppe." Sprecher: Neurobiologisch und psychologisch ist es daher durchaus nachvollziehbar, wenn sich die Mittelklasse in bestimmten Stadtteilen zusammenfindet und obere Einkommensschichten in anderen, dass sich türkische oder schwarze Viertel herausbilden: Es ist schlicht eine Strategie der Stressreduktion... Autorin: ..die aber gleichzeitig auch die Grenzen des neurowissenschaftlichen Ansatzes andeutet: Denn was für den Einzelnen auf den ersten Blick mehr Geborgenheit innerhalb vertrauter sozialer und kultureller Netzwerke bedeutet, mehr Unterstützung hinsichtlich der Anforderungen des Alltags - das führt aus gesellschaftlicher und stadtpolitischer Perspektive dazu, dass sich die verschiedenen urbanen Milieus immer mehr entmischen. Und dass Ausgrenzung und Diskriminierung so erst recht Vorschub geleistet wird. 32. Musikakzent kurz 33. O-Ton, Holm, dt.: "Je unsicherer Dein Job ist, je vielfältiger die Probleme, die Du zu managen hast, desto wichtiger wird das Refugium der einheitlichen, stressfreien Nachbarschaft. Und man geht davon aus, dass das eine raumbezogene Strategie ist, einen bestimmen sozialen Status zu halten. Die Angst, die dahinter steht, ist, dass mein Kind durch die falschen Kontakte in der Schule abfällt, dass man als in einer schlechten Nachbarschaft wohnend wahrgenommen wird und einen schlechten Ruf bekommt. Das heißt, es geht viel um soziale Positionierung." Autorin: Andrej Holm, Stadtsoziologe an der Humboldt-Universität Berlin, beschäftigt sich seit rund 15 Jahren mit urbanen Entmischungsprozessen. In segregierten Städten, so Holm, blieben am Ende die übrig, die niemand in seiner Nachbarschaft haben wolle. Sie landen in Stadtteilen mit weniger Kulturangeboten und schlechteren Schulen - haben geringere Bildungschancen, kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Insgesamt werde es in solchen Räumen immer schwieriger, sich zwischen den Vierteln, Schichten und Bevölkerungsgruppen hin und her zu bewegen. Sprecher: Ein Stadtviertel oder eine Stadt im Sinne der Gesundheit ihrer Bewohner zu gestalten, das bedeute deshalb mehr als nur dafür zu sorgen, dass der Park nebenan groß genug ist, der Verkehrslärm gering, die Wohnungen biorhythmusgerecht beleuchtet und die Nachbarschaft in Bezug auf Herkunft und Status ähnlich. 34. O-Ton, Adli, dt.: "Das hat viel damit zu tun, ob es in einer Stadt ausreichend Möglichkeiten gibt, sich zu begegnen. Ob ich die Gegend um meine Wohnung herum auch noch als mein erweitertes Wohnzimmer betrachten kann. Dass es einen fließenden Übergang gibt nach draußen, dass ich auf dem Bürgersteig Gelegenheit habe, meinen Nachbarn zu treffen, mich auszutauschen. Also - eine Stadt muss so konfiguriert sein, dass es soziale Kohäsion gibt, dass es keine harten Grenzen gibt zwischen Stadtteilen, sondern weiche Übergänge." Sprecher: Was Mazda Adli vom medizinischen Standpunkt her einfordert, wird unter Architekten ebenfalls diskutiert: neue Möglichkeiten offenen, kollektiven Wohnens, jenseits von Familienbanden und Wohngemeinschaftsmuff. Als Antwort auf die veränderten Ansprüche, die moderne Job-Nomaden, Teilzeitsingles in Fernbeziehungen, Rentner, alleinerziehende, vollzeitarbeitende oder Patchwork-Eltern an ihre Wohnungen und Lebensumfelder haben. 35. Musikakzent / Atmo 36. O-Ton, Chermayeff, engl., dt. Übers.: "Das Haus besteht aus mehreren Minihäusern, die selbst keine inneren Wände mehr haben - einzelne Würfel oder Zimmer, die dicht nebeneinander im Freien auf der Erde stehen, mit großen Fenstern. Dazwischen sind schmale Gänge, mit Rasen und Bäumen - gleichzeitig Flur, Garten und Straße. Diese Kombination bringt Außen und Innen dicht zusammen. Eine Seite meiner Box konnte ich aufschieben - dann wurde der Gang zwischen meiner und der Nachbarbox sofort auch zu einem Teil meines Zimmers." -- Sam Chermayeff, Architektenteam June14 37. Musikakzent / Atmo Autorin: Etwa fünf Jahre lebten der Architekt Sam Chermayeff im Moriyama-Haus in Tokio - zusammen mit fünf anderen Leuten, die er nicht alle kannten und deren Sprache er zum Teil nicht sprach. Die spezielle Gestaltung des Hauses, so schreibt er in der Architektur-Zeitschrift Arch+ - regte die Bewohnern an, im Laufe der Zeit zu sich freundschaftlich umeinander sorgenden, gleichzeitig aber auch zurückhaltenden und ganz individuell lebenden Nachbarn zu werden. 38. O-Ton, Chermayeff, engl., dt. Übers.: "Hier ist immer klar definiert, was meins und deins ist, was öffentlich ist und was privat. In keiner Wohnung gibt es eine Tür in die Wohnung des Nachbarn. Man verlässt den privaten Raum, geht auf die Straße, tritt in andere private Räume ein. Im Moriyama-Haus ist die Nachbarwohnung Teil Deiner Wohnung - und Teile Deiner Räume sind Teil der Wohnung des Nachbarn. Und das ist gut! Das traditionelle Konzept von Privatheit ist überholt, man sollte viel mehr teilen, nicht nur online, auch im Leben. Die Idee vom Haus als Festung passt einfach nicht mehr ins 21. Jahrhundert." Sprecher: In Japan experimentieren bereits mehrere Architekten mit diesen neuen Formen kollektiver Architektur. Zwar wird dort anders als in westlichen Kulturen der Gemeinschaft traditionell mehr Gewicht beigemessen als dem Einzelnen. Dennoch gelten unter Architekturkennern Gebäude, die eine offenere, gemeinschaftliche Art des Wohnens fördern, auch für Europa als wegweisend. In Berlin arbeitet das Team von June 14 an einem der ersten deutschen Projekte, das zeitgemäße Möglichkeiten gemeinschaftlichen Lebens schaffen soll. Und das dabei zugleich die Grenzen zwischen privat und öffentlich, innen und außen ausloten will. Autorin: Möglicherweise ist dies ein Weg, dem Problem sozialer Isoliertheit in Städten zu begegnen oder Ausgrenzung in urbanen Räumen Einhalt zu gebieten. Andrej Holm allerdings vermutet, dass sich Entmischung- und Ausgrenzungsprozesse auf diese Weise eher verfestigen: 39. O-Ton, Holm, dt.: "Wenn ich nicht nur Wand an Wand mit jemandem wohne, sondern auch die Küche teile, dass man dann noch konkretere Vorstellungen hat, wer derjenige sein sollte, mit dem man das machen will. Und daher bin ich mir nicht sicher, ob das nicht verstärkend dazu beiträgt, dass man Wohlfühl-Enklaven schafft und den Kontakt zu anderen reduziert. Das wird auch die Frage aufwerfen: werde ich das für die ganze Stadt machen können? Das heißt, es wird zu einem Aspekt von ungleicher Entwicklung und ungleiche Entwicklung im Raum ist die Voraussetzung dafür, dass es gute und schlechte Lagen gibt, dass es Segregation gibt. Das heißt, es wird eine Reihe von Folgeproblemen mit sich bringen, die nicht intendiert sind, die aber von der eigentlichen Lösung - sozialen Stress in Städten zu reduzieren - wegführen." 40. Musikakzent / Stadtatmo Sprecher2: Vielleicht werden die Neurowissenschaften in ein paar Jahren tatsächlich nachweisen können, dass es der psychischen Gesundheit von Stadtbewohnern förderlich ist, wenn ein Park eine bestimmte Größe hat oder jeder sich eine bestimmte Zeit am Tag dort aufhält oder wie Häuser, Plätze und Bürgersteige gestaltet werden müssen, damit sie Kommunikation und Austausch unter den Stadtbewohnern fördern. Es ist nicht ausgemacht, dass das gelingt - aber es ist möglich. Sprecher: Aber selbst wenn solche Daten vorliegen - sie werden wenig daran ändern, dass Menschen in Städten ihre Miete oder Hauskredite zahlen müssen, dass sie zur Arbeit gehen und dort wachsenden Anforderungen gerecht werden müssen. Dass sie darauf achten müssen, gut gebildet, informiert und kulturell auf dem Laufenden, schlicht: leistungsfähig zu sein. Dass sie Nachbarschaften wählen werden, die dem zuträglich sind - und sich gegen solche abgrenzen, die als hinderlich empfunden werden. Und sollten Viertel künftig tatsächlich als besonders gesund gelten, weil sie aufgrund neurowissenschaftlicher Erkenntnisse ausgestattet oder gestaltet worden sind: dann werden sie sehr wahrscheinlich begehrte und damit früher oder später teure Wohngegenden sein. 41. O-Ton, Holm, dt.: "Das heißt, dass die Aufwertung zu einer immobilienwirtschaftlichen Inwertsetzung führt, die im Endeffekt bedeutet, die Preise steigen und die, denen ich was Gutes tun wollte, von denen ich sage, die haben einen Bedarf an Infrastruktur - die ziehen dann aus." 42. Musikakzent / Stadtatmo - Schluss 1