Nachspiel: Edelfeder im Spiel Sendung am 23.12.2012 Wie Sportlerbücher entstehen Von Matthias Eckoldt COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Regie: Reportage Tor von Lahm im WM-Eröffnungsspiel anspielen und mit Zitator abwechseln lassen. Atmo 1: Costa Rica Zitator: Ich stehe fast am Mittelkreis, sehe aber, dass kein Verteidiger dem Ball entschlossen genug nachgeht, und renne los, kriege den Ball zwei Meter vor der Auslinie und kann jetzt entscheiden, ob ich geradeaus gehe und flanke oder... Zwei Verteidiger kommen auf mich zu, ich lege den Ball blitzschnell nach rechts und gehe an ihnen vorbei. Plötzlich habe ich Platz, bin schon an der Sechzehnerecke, der nächste Verteidiger ist zu weit weg, ich ziehe ab, aufs lange Eck. Eins null. Jetzt ist da nur Freude, Freude, Freude und eine ungeheure Erleichterung. Regie: Jubel ausklingen lassen und unter Sprecher blenden. Sprecher: Unvergessen jenes erste deutsche Tor bei der WM im eigenen Land. Der Schütze Philipp Lahm liefert 2011 die Innensicht zu diesem Stück Fußballgeschichte in seinem Buch "Der feine Unterschied - Wie man heute Spitzenfußballer wird". Auch die Publikation wird ein Erfolg. Gut zweihunderttausend Käufer findet das Buch bis heute. Solche Verkaufszahlen belegen, dass der Markt für Sportler- Bücher groß ist. (1)O-Ton(Krauss 0:30): Ach, es gibt gute. Es gibt wirklich gute Bücher von Sportlern. Sprecher: Martin Krauss ist Sportjournalist. Er veröffentlichte Bücher über Max Schmeling, über die Sportarten Triathlon, Schwimmen und Boxen sowie über Doping- Praktiken und lehrt Sportjournalismus an der Berliner Medienakademie. (2)O-Ton(dito): Was mir spontan einfällt, würde ich sagen: Das Buch von Ulli Stein. Das war ein ganz großes Buch. Die Erinnerungen des früheren Nationaltorwarts. Das Buch von Bernhard Dietz, dem früheren Fußballnationalspieler - Libero - auch ein großartiges Buch. ... Aber es gibt wirklich gute. Es ist nicht nur so, wie man gemeinhin vermutet, dass da von befreundeten Boulevard-Journalisten irgendein gängiger Mist in die Tasten gehauen worden wäre. Das gibt's auch. Leider viel zu viel. Aber - Nein, es gibt gute Sportlerbücher. (3:54): Max Schmeling hat vier Autobiografien vorgelegt. Das ist mittlerer Schnitt bei Sportlern. Max Schmeling hat die erste im Alter von fünfundzwanzig vorgelegt. Auch das ist eher spät. Franz Beckenbauer hat seine erste mit einundzwanzig vorgelegt. ... Diese Bücher von Schmeling sind allesamt hochinteressant. ... Auch gerade wenn es ins Ernsthafte geht, was seine Rolle im Nationalsozialismus betrifft. Was Schmeling in seiner letzten Autobiografie dazu geschrieben hat - 1977 erschienen - das mag vielleicht nicht jeder Recherche standhalten, aber es ist in jedem Fall eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung. ... Sehr selbstkritisch. Sehr interessant. (1,15/2,45') Sprecher: Wenn auf der Ernsthaftigkeitsskala Schmelings Bücher auf der einen Seite stehen, so findet man am anderen Ende Druckerzeugnisse, die an Selbstgerechtigkeit kaum zu übertreffen sind wie: Zitatorin: "Von Gold und Blut - Mein Leben zwischen Olymp und Hölle" Sprecher: von der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein oder Jubelbücher wie das des Boxers Sven Ottke Zitator: "Ich lebe meinen Traum". Sprecher: Letzteres sollte man sicher nicht als Autobiografie, sondern eher als Fanliteratur am verlängerten Merchandising-Arm sehen. Gleichwohl ist in den letzten Jahren unter dem Druck des Marketings ein Öffentlichkeitswandel eingetreten. (3)O-Ton(Krauss 14:50): Es gibt ein Phänomen, dass die unabhängige, kritische Biografie nicht mehr gefragt ist, sondern es gibt die Tendenz zu sagen, nur die Autobiografie oder die autorisierte Biografie ist etwas wert. ..... Die Tendenz finde ich ... bedenklich, weil die Öffentlichkeit ... sich immer mehr darauf kapriziert zu sagen: Also wahr an einer Biografie ist nur das, was der Biografierte selber zuzugeben bereit ist. Das ist natürlich ein verheerender Ansatz, weil ... in schwierigen Fällen genau da die Wahrheit eben nicht zu finden ist. Da bedarf es eigentlich eines unabhägigen Biografen, aber der gerät gerade immer mehr außer Mode. ... Ich hatte auch schon mal Angebote über einen Fußballmanager zu schreiben, was ich eigentlich sehr reizvoll fand. Das war eine sehr interesante Person. Aber dann wurde mir gleich mitgeteilt: Das muss in Zusammenarbeit mit dem zu Porträtierenden geschehen, und der muss das alles auch absegnen. Das Buch macht auch nur dann Sinn, wenn der bei der Präsentation dabei ist und selber Werbung dafür macht. Mag sein, dass das aus Verlagssicht nachvollziehbar ist, für mich war das nicht annehmbar. Das ist sozusagen die Verpflichtung für die Jubelbiografie. Das geht ja nicht. Solche Bücher gibt es leider zuhauf. (1.15'/4,45') Sprecher: Während im letzten Jahr Phillip Lahms Autobiografie das Sportler-Buch der Saison wurde, sichert sich für 2012 wahrscheinlich eine Skifahrerin diesen ungekürten Preis: Maria Höfl-Riesch erzählt in Zitatorin: "Geradeaus" Sprecher: von den Zitatorin: Höhen und Tiefen ihres Lebens Sprecher: so der Untertitel. (4)O-Ton(Feldweg 3:00): Bei Maria Höfl-Riesch ist es so, die gehört jetzt schon seit Jahren zu den erfolgreichsten Sportlerinnen, sie ist überhaupt die bekannteste Sportlerin - großartige Skifahrerin. Sprecher: Bettina Feldweg hat als Lektorin das Buch von Maria Riesch im Malik Verlag betreut. (5)O-Ton(dito): Die hat ja viele Aufs und Abs erlebt, hat sich immer wieder berappelt und gehört sicherlich zu den beständigsten und konzentriertesten und fokusiertesten Sportlerinnen. Und da war natürlich die Erwartung, dass man sehr viel hinter die Kulissen blicken kann, dass man erfährt, wie motiviert sich so jemand, wie findet man immer wieder in seine Leidenschaft für den Sport zurück trotz so herber Rückschläge. (30''/5,45') Sprecher: Interessieren würde natürlich auch die Antwort auf die Frage, wie es Spitzensportler trotz Trainings- und Wettkampfstress schaffen, ein Buch zu schreiben. Zweihundertfünfzig Seiten wie Maria Riesch oder zweihundertsiebzig wie Phillipp Lahm? Wo es doch heißt, dass man nur eine Sache im Leben richtig gut kann. Und wenn man darauf abonniert ist, einen Lederball trickreicher als die anderen Jungs zu bespielen oder sich mit glattgewienerten Brettern an den Schuhen tollkühn sechshundert Meter in die Tiefe zu stürzen, dann - tja - was dann? (6)O-Ton(Krauss 20:49): Bücher schreiben ist nicht jedermanns und jederfraus Sache. Also warum nicht einen Profi holen? Es kann auch nicht jeder kochen. Da geht man ja auch ins Restaurant. Das ist völlig okay. Ich finde das nicht ehrenrührig, das zu machen. Weder von Seiten des Sportlers, noch von Seiten des Journalisten. Das ist eine ganz klare Dienstleistung, die da erbracht wird. (20''/6,30') Regie: Musikakzent Sprecher: Die Edelfeder kommt ins Spiel, um den Idolen des Profi-Sports, mit denen man in so manchem Live-Interview mitfiebert, dass sie den begonnenen Satz zu einem glücklichen Ende steuern können, eine Stimme zu geben. Für Phillip Lahm tat das der österreichische Kolumnist und ehemalige Chefredakteur des schweizerischen Kulturmagazins "du" Christian Seiler. (7)O-Ton(Seiler 6:50): Es ist zwar nicht mehr so wie noch vor 15 Jahren, dass die Anforderung des Publikums an den Autoren da war, das Buch selbst geschrieben zu haben, so dass viele Bücher von Prominenten dann von anonymen Ghostwritern verfasst werden mussten, das ist heute nicht mehr so. Man weiß, dass ein Fußballer kein flüssig geschriebenes Buch aufschreiben kann. Weder weil er die Zeit dafür hat, noch weil er es gelernt hat, etc. etc. Das ist ein offenes Geheimnis, wir treten ja in dem Buch auch gemeinsam auf. Es ist klar, dass der Philipp Lahm der Headliner ist - es ist ja seine Geschichte. Ich bin einfach sein technischer Berater im Zusammenstellen von so einem Buch. Sprecher: Auf dem Cover findet sich der Namen von Christan Seiler nicht. Erst auf Seite drei im Inneren des Buches - dem so genannten Schmutztitel - ist unter dem Autor Lahm zu lesen: Zitator: Aufgezeichnet von Christian Seiler. Regie: Kanaltrennung der Töne 8-13 (8)O-Ton(7:55): Ja! Was den Tatsachen entspricht. Ich schreibe seine Geschichte auf. Man könnte über diese Bezeichnung lang diskutieren, das liegt mir nicht, das ist mir auch egal. Weil ich das Buch aufgeschrieben habe. Aber es ist ein Buch von Philipp Lahm. So ist die Aufgabenverteilung in diesem Genre. Und das ist auch gut so. (1'/8,15') (9)O-Ton(Sellin 1:45): Also wenn ich ganz ehrlich sein soll, finde ich das nicht so ganz gut, weil man ja doch als Autor eine Menge Arbeit hat ... und auch Herzblut in so ein Buch steckt und dann hinten runter fällt in der öffentlichen Wahrnehmung, aber das weiß man ja vorher, bevor man sich auf so etwas einlässt. Sprecher: Auch der Name von Fred Sellin, der das Buch von Maria Riesch aufgeschrieben hat, findet sich erst auf Seite 3. (10)O-Ton(Sellin 2:30): Nun muss ich dem konkreten Fall dazu sagen, es gab vorher ein Gespräch mit dem Verlag, in dem man es mir im Zweifel auch freigestellt hat. Also wenn ich mich jetzt auf die Hinterbeine gestellt hätte und ganz hartnäckig gewesen wäre, wäre ich da wahrscheinlich auch auf dem Titel gelandet, aber prinzipiell herrscht bei den deutschen Verlagen die Ansicht vor, dass sich solche Bücher besser verkaufen, wenn der Leser suggeriert bekommt, der Promi oder die Prominente habe das jetzt selbst zu Papier gebracht, (11)O-Ton(Feldweg 10:05): Dann ist eben immer die Frage, wie sehr verkauft man das Buch auch über den Namen Maria-Höfl-Riesch. In dem Fall hat der Co-Autor einen sehr großen Anteil ... Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Maria Höfl- Riesch eben in erster Linie Skifahrerin ist und das richtig gut vorbereiten will und natürlich für eine Buchproduktion sich Zeit nehmen kann, aber die ist nicht unbegrenzt. (12)O-Ton(Sellin dito): Wobei ich ja der Meinung bin, dass jeder, der sich so etwas kauft, von vornherein weiß, dass die Leute das meistens nicht selbst geschrieben haben, sondern dass sie sich Hilfe holen, was ja auch nur professionell und richtig ist und solche Leute wie mich ja auch ein bisschen ernährt. (1,15/10') (13)O-Ton(Feldweg dito): Und wir haben eigentlich gerade darauf geachtet, dass die Rolle des Co-Autors sehr ernst genommen wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, wie man so was bei sämtlichen buchhändlerischen Verzeichnissen meldet. Wenn so ein Buch im Idealfall auf der Spiegelbestsellerliste erscheint, dann ist in diesem Fall, wenn man den Co-Autoren immer mit nennt und auch bei den buchhändlerischen Verzeichnissen meldet, dann taucht er zum Beispiel auch auf der Bestsellerliste auf. Das finde ich ein wichtiges Kriterium, weil er hat nun mal einen großen Anteil. (55'/10,45') Regie: Musikakzent Sprecher: Vielleicht finden bei Sportlerbüchern zwei unterschiedliche Typen der modernen Mediengesellschaft zusammen. Auf der einen Seite steht der Sportler, der durch seine außergewöhnlichen Leistungen zum Star geworden ist, aber nicht die Fähigkeiten hat, sein erlebnisreiches Dasein in Worte zu fassen. Auf der anderen Seite der Journalist, der es gewohnt ist, über Prominente zu berichten ohne selbst prominent zu werden und dessen Leben ansonsten in jenen normalen Bahnen verläuft, die der Mehrzahl der Leser gut bekannt sind, und das deswegen keine öffentliche Relevanz besitzt. So passen Sportler-Star und als Co-Autor firmierender Ghostwriter gleichsam idealtypisch zusammen. Die Symbiose schlechthin. Regie: Musikakzent beenden. Sprecher: Wie aber läuft nun die konkrete Arbeit an einem jener verkaufsstarken Sportlerbücher? (14)O-Ton(Sellin 5:10): Man muss sich das ja so vorstellen, dass man sich dann endlose Stunden zusammenhockt und bespricht und das ist dann nicht so ein zielgerichtetes Besprechen, so dass ich dann das Diktiergerät anmache und eine Frage nach der anderen abarbeite - jedenfalls arbeite ich nicht so - weil ich versuche, der Person dann ganz nahe zu kommen und sie dazu zu bringen, dass sie mich als Ersten, aber später eben auch den Leser dann in ihre Seele gucken lässt. Das funktioniert nicht mit Frage-Antwort-Spielen, sondern da müssen sich richtige Gespräche entwickeln, da muss auch Vertrauen entstehen. ... (8:50): Das ist eher so themenbezogen. Dass ich mir Themenkomplexe suche und sage: Jetzt lass uns doch mal - Also bei Maria, um das mal klar zu machen, lass uns doch mal über Lindsey Vonn sprechen. Und zwar von vorne bis hinten. Da haben wir tagelang drüber gesprochen, weil das ja auch eine sehr wichtige Geschichte für Maria ist. (1'/12,45') Zitatorin: Bei der Zwischenlandung in Paris stießen wir im Internet auf eine Agenturmeldung, die sich auf Lindseys Facebookseite bezog. Dort, so hieß es, hätte sie sich dazu ausgelassen, dass ich schlecht über sie geredet und sie damit verletzt habe. Im Trainingslager in Neuseeland trafen wir uns das erste Mal wieder. Das Café war ganz gemütlich, aber die Atmosphäre zwischen uns ungefähr so wie das Wetter in den Bergen: ziemlich frostig. Nachdem wir ein bisschen Small Talk hinter uns gebracht hatten, ergriff ich die Initiative und brachte alles auf den Tisch, doch irgendwie kamen wir auf keinen Nenner. Aber zumindest hatten wir wieder miteinander gesprochen. Sprecher: Die Frauenfreundschaft zwischen den beiden Dauerkonkurrentinnen im Ski- Weltcup nimmt einen großen Teil des Buches "Geradeaus" von Maria Höfl- Riesch ein. Vertrauen, Zerwürfnis, Versöhnung. Interessante Hintergründe werden da den Fans serviert, und die Story wurde von Fred Sellin dramaturgisch wirkungsvoll gebaut. (15)O-Ton(Sellin 10:50): Wenn man das so macht, dass es funktioniert, bedeutete das ja für Maria, dass sie bestimmte Dinge dann wirklich noch mal durchlebt. Das ist auch wirklich notwendig, um das dann auch nachher im Buch darstellen zu können. Da gabs dann auch Situationen, wo dann wirklich wieder Gänsehautfeeling war. Also die Sache mit ihren beiden Olympiasiegen in Vancouver. ... Eine Olympische Goldmedaille, das war ihr größter Traum. ... Da musste man Maria auch soweit bringen, dass sie sich wirklich noch mal zurückversetzt in diese Situation. Und wenn man das dann schafft, ... dann war sie fast den Tränen nah. (40''/ 14,30') Regie: Einspielung Olympiasieg Maria Riesch. Mit Zitatorin mischen. ATMO 2: Olympia 2010 Zitatorin: Ich würde gern beschreiben, was mir am Ziel durch den Kopf ging, aber da waren keine Gedanken, nur pure Emotionen. Wie ein Rausch. Leere und Leichtigkeit und ein Glücksgefühl, das ich so noch nie gespürt hatte, nicht so intensiv und nicht in dieser Dimension. Seit ich ein Kind war, hatte ich davon geträumt, eines Tages Olympiasiegerin zu sein. Jetzt war ich es und konnte es nicht begreifen. Der Jubel, die Glückwünsche, die Interviews, alles lief wie ein Film vor mir ab. Etwas entrückt und beinahe unwirklich - dabei war ich in diesem Stück die Hauptdarstellerin. Sprecher: Fred Sellin hat "Geradeaus" nach dem Achterbahn-Prinzip komponiert und bestätigt damit die herkömmliche Vorstellung, dass im Leben der Stars Sieg und Niederlage, Enttäuschung und Euphorie, Hoffnung und Verzweiflung sehr nah beieinander liegen. Die Siege der Heldin feiert man mit, an den Tiefpunkten der Karriere kann man seine voyeuristischen Bedürfnisse befriedigen und sich darüber freuen, dass man selbst kein Star ist. Denn eine Sportlerkarriere hängt nicht nur psychologisch und medial am seidenen Faden, sondern auch gesundheitlich. (/15,45') Regie: ATMO 1 und Fußballatmo mischen. (16)O-Ton(Seiler 23:30): Natürlich sind für das Aufschreiben eines solchen Buches die kleinen Niederlagen, die sich anschließend in Triumphe verwandeln, der dankbarste Stoff. Ich mag das Kapitel sehr gern, als er sich nach den großen Verletzungen, die er hat - der Ermüdungsbruch am Fuß, dann der Kreuzbandriss am Knie - als er sich dann vor der WM 2006 wieder verletzt und diese Schiene am Arm tragen muss und wo nicht klar ist, ob er jetzt tatsächlich mitspielen darf, weil das keine Entscheidung der FIFA, sondern jedes einzelnen Schiedsrichters war und er so erzählt hat, wie groß die Angst war, dass er dann möglicherweise eine halbe Stunde vor Spielbeginn die Nachricht bekommt, dass er mit dieser Schiene nicht auflaufen darf. Zitator: Einer unserer Betreuer steckt den Kopf zur Tür herein und ruft nach mir: Autor: "Philipp, du kannst kommen. Der Schiedsrichter hat jetzt Zeit für dich." Zitator: Ich habe Angst. Nicke, kneife noch einmal die Augen zu, atme tief ein und mache mich auf den Weg. Meine Mitspieler folgen mir mit ihren Blicken. Jetzt habe ich mir die Situation so oft vorgestellt, dass sie quasi überirdisch geworden ist, etwa so wie George Clooneys Ankunft im Himmel in der Nespresso-Werbung. Der argentinische Schiedsrichter empfängt mich mit einem freundlichen Lächeln, prüft mit schnellem Händedruck die Schiene und nickt: "Ich darf spielen?" Autor: "No problemo", Zitator: antwortet der Schiedsrichter. (17)O-Ton(dito): Und wie groß dann die Erleichterung war, als er es dann durfte und dass er dann eines seiner wirklich seltenen Tore in diesem Spiel schießt. ... Was das für eine Befreiung war, für eine emotionale. Das war zum Aufschreiben natürlich schön. (1,15'/18') Regie: Jubel oder Musikakzent verklingen lassen. Sprecher: Sportlerbücher haben noch einen weiteren beruhigenden Aspekt. Nämlich jenen, dass man auf dieser Welt - in aller Regel - kein Geld geschenkt bekommt. Es ist nicht nur der Einblick in die teilweise martialischen Trainingsabläufe, die heilsam gegen den Neid auf jene Mitbürger wirken, die mit einer beliebten Freizeitaktivität mehrfache Millionäre werden. Beruhigend ist vielmehr, dass die Arbeits- und Kommunikationsverhältnisse der Profis restriktiver sind, als sie manch einer in der Grundschule erfahren haben mag. (18)O-Ton(Seiler 25:50): Für mich war eine wirklich interessante Erkenntnis, dass Fußballer im Alter zwischen zwanzig und fünfunddreißig Jahren, dass die zwar einen Haufen Geld verdienen, wenn sie gut sind, dass sie Stars sind, dass sie jede Form von Öffentlichkeit haben, die sie wollen, aber dass sie gleichzeitig in ihren Clubs, in ihrem Beruf behandelt werden wie schwer erziehbare Kinder. Das ist unglaublich. Wenn die zu spät zum Training kommen, wenn da irgend etwas Aufregendes in ihrem Privatleben passiert - die dürfen kein Training versäumen, die dürfen sich nicht äußern über ihren Arbeitgeber, ohne das mit denen abzusprechen, ... Das ist unglaublich. Du sitzt einem jungen Mann gegenüber, der ... sich jedes Haus am Tegernsee kaufen kann, ... gleichzeitig ist der absolut den Launen seines Trainers ausgeliefert. ... Da gibt es dann auch schon zweifelhafte Figuren. (1,15'/19,45') Zitator: Louis von Gaal pocht auf seine Autorität. Er greift in jeden Lebensbereich ein. Er bestimmt die Sitzordnung, wer ihm beim Essen gegenübersitzt, wer links und rechts von ihm Platz nehmen muss. Er legt sogar fest, wer beim Mittagsessen zuerst aufstehen darf und wer sich zuerst beim Buffet bedient. (/20') Regie: Musikakzent Sprecher: Nach den ausführlichen Gesprächen mit den Profi-Sportlern kommt auf die Profi- Schreiber ein kleiner Drahtseilakt zu. Sie müssen das Gesprochene in Geschriebenes verwandeln. Dabei darf es jedoch weder wie Geschriebenes, noch wie Gesprochenes wirken. Klingt das Buch zu sehr nach Geschriebenem, droht die Gefahr der Literarisierung. Klingt es wiederum zu sehr nach Gesprochenem, droht die Gefahr der Profanisierung. Im Klartext heißt das: Talent und Professionalität beweisen die Aufschreiber darin, den richtigen Ton zu finden. Noch einmal Fred Sellin und Christian Seiler: Regie: Kanaltrennung Töne 19 und 20. (19)O-Ton(Sellin 22:30): Das ist eine Gratwanderung. (23:00) Die Kunst bei so einem Buch besteht darin - man hat nie, bei keiner Autobiografie den O-Ton des Prominenten, sondern man erschafft eine Art Kunstsprache. Also Kunst jetzt einfach mal in dem Sinne, dass es eine künstliche Sprache ist, die sich aber so liest, als würde es der Prominenente von sich gegeben haben. Das ist eigentlich die große Kunst - sprachlich betrachtet. Und dass man in diesem Prozess dann auch bestimmte Dinge anders schreibt, oder auch manchmal bestimmte Schlussfolgerungen daraus zieht, die so nicht unbedingt eins zu eins gesprochen wurden, das ist völlig normal. Deswegen gibt es ja auch den Prozess danach, dass es Maria noch einmal gründlich gelesen hat. Ich glaube, sie hat das Manuskript drei oder vier Mal gelesen, bevor es dann an den Verlag gegangen ist. (1') (20)O-Ton(Seiler 8:25): Was am Anfang sehr spannend ist, wenn man die ersten Kapitel aufschreibt, ist, trifft man den Tonfall? Ist das ein Buch, wo man sich vorstellen kann, dass der Text, der da entstanden ist, vom nominellen Autoren auch öffentlich vorgelesen werden kann, ohne dass man staunt, welches Wort der da plötzlich benutzt. ... Das ist die heikelste Phase von so einem Projekt, dass man selber mal die sprachliche Kalibrierung vornimmt von der ganzen Erzählung. (11:00) Wir hatten relativ bald, als die ersten Kapitel fertig waren, eine Veranstaltung ... Da wurden Journalisten eingeladen, und da wurde dann offiziell auch die Nachricht deponiert, dass Philipp Lahm an einem Buch arbeitet. .. Da hat er dann das erste Kapitel vorgelesen. Da saß ich dann wirklich so sehr interessiert neben ihm und hab so zugehört, wie er spricht und war sehr zufrieden damit, dass das seine Geschichte war und dass da überhaupt keine Verrenkung notwendig war, damit das plausibel erscheint. (1,15'/23,30') Regie: Applaus und blenden. Sprecher: Der aufmerksame Leser wird dennoch merken, dass im Buch "Der feine Unterschied" nicht jeder Satz der Figur Philipp Lahm entspricht. Eine Zuspitzung hie, ein Bonmot da, ab und zu eine Lebensweisheit mit ein wenig zu hohem Reflektionsgrad. Die Edelfeder von Christian Seiler geht manchmal ihre eigenen Wege. Beispielsweise wenn Lahm sein Knie auf dem Rückflug von der Operation in den Vereinigten Staaten permanent kühlen muss, lesen wir: Zitator: Im Handgepäck haben wir eine große Box mit Eis, das wir den Flugbegleiterinnen überlassen. Sie versorgen uns dann regelmäßig mit Lieferungen aus dem Gefrierschrank. Ich glaube, noch nie hat jemand auf einem Transatlantikflug so viel Eis gebraucht, nicht einmal die Rolling Stones in Partylaune. (21)O-Ton(Seiler 15:12): Ich glaube, es ist kein großes Geheimnis, dass man die eine oder andere Pointe dann mal ausprobiert und wenn der Philipp sie selber gut fand, dann ist sie im Buch geblieben. Das ist schon so, wenn du so Pointen, Witze ... hast - klar, dass das bei der Auseinandersetzung mit dem Text passiert. Ich glaub, die Rolling-Stones-Pointe habe ich ihm gespendet, aber viele andere, die aus der Kabine und vom Fußballplatz kamen, waren auch tatsächlich von ihm. Er ist ein sehr unterhaltsamer Erzähler, er ist immer guter Dinge, hat auch das, was wir in Wien ein Schmäh nennen, also er ist durchaus lustig, man hört ihm gerne zu. Insofern war es am Schluss auch keine Hexerei, aus dem Stoff eine unterhaltsame Geschichte zu machen. (45'') Sprecher: Wenn das Manuskript vorliegt, bedeutet das jedoch noch lange nicht, dass auch das Buch fertig ist. Jetzt erst beginnt die Betriebsamkeit im Verlag. Das Layout wird besprochen, das Cover kreiert und über Marketingstrategien gegrübelt. Der Text selbst wird einem Lektorat unterzogen. Das kann noch einmal eine intensive Arbeitsphase bedeuten. Peter Handke beispielsweise bezeichnete seinen Verlagslektor einmal als intimen Verschworenen. Regie: Kanaltrennung Töne 22 und 23. (22)O-Ton(Feldweg 18:05): Je besser man sich im Vorfeld abstimmt, desto weniger hat man dann im Detail in der Lektoratsarbeit zu tun. Hinzukommt, dass Fred Sellin ein sehr erfahrener und versierter Co-Autor ist, der auch schon eine ganze Reihe interessanter Bücher veröffentlicht hat. ... Insofern - ich hab nicht wahnsinnig viel am Text gemacht. Ich sags ganz ehrlich. (20'') (23)O-Ton(Seiler 21:45): Das war eine sehr interessante Zusammenarbeit mit Antje Kunstmann, die dann auch selber lektoriert hat das Buch. ... Es waren rein sprachliche Sachen und viele Fragen, was zum Teil wirklich auch sehr unterhaltsam war, weil die Antje Kunstmann als alte linke Frauenrechtlerin und hohen politischen Ansprüchen, die mit Begriffen wie Philosophie im Fußball einfach nichts anfangen konnte. Sie sagte: Das ist doch keine Philosophie. Da geht es doch nicht um Philosophie sondern nur darum, ob hinten vier oder drei stehen auf dem Fußballplatz. Da musste man sich dann schon drauf einigen, dass die fußballübliche Sprache in diesem Buch auch stattfindet. (1'/26,30') Regie: Musikakzent Sprecher: "Der feine Unterschied" von Philipp Lahm hat die Feuertaufe nach seinem Erscheinen im Herbst 2011 bestanden. Nach einer Skandalberichterstattung der Bild-Zeitung springt der Verkauf sprunghaft an und will seither nicht mehr abreißen. Der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft und des FC Bayern schafft mit seinem Buch, wovon viele Profi-Schreiber nur träumen können: Platz 1 der Spiegelbestseller-Liste. Damit lässt er für Wochen Dauerabonnenten auf diesen Ritterschlag im Buch-Geschäft wie Joanne Rowling hinter sich und verdrängt sogar das neue Sex-Skandal-Buch von Charlotte Roche von der Spitze der deutschen Verkaufscharts. Regie: Musikakzent Sprecher: "Geradeaus" von Maria Riesch ist erst seit zwei Monaten auf dem Markt. Für realistische Verkaufszahlen ist es noch zu früh. Aber der Verlag ist hoffnungsvoll: (24)O-Ton(Feldweg 4:20): Wir erwarten uns natürlich bei einer Prominenz, wie sie Maria Höfl-Riesch mitbringt, ... eine andere Einstiegszahl als bei einem No-Name. Wir sind mit einer Startauflage von 30.000 Stück an den Start gegangen. Das Buch ist zur Buchmesse erschienen, und wir haben jetzt ein Mal nachgedruckt. Auch bei ihr wird es ein bisschen davon abhängen, wie gut diese Skisaison läuft. ... Wir unterstützen natürlich so einen wichtigen Titel auch mit entsprechender Werbung. In diesem Fall gibt es noch eine sehr interessante Kooperation mit einem Marktingpartner. Das ist in diesem Fall Milka-Schokolade, für die Maria Riesch auch als Anker-Woman steht. ... Und jetzt muss man natürlich gucken, wie gut kommt das beim Publikum an und wie sehr interessiert es dann auch wirklich die große Masse. Regie: Musikakzent Sprecher: Letzten Endes sind Sportlerbücher ein gutes Beispiel für die Differenz zwischen Wort und Tat. Vergleicht man das Lektüreerlebnis mit der Spannung eines guten Fußballspiels oder eines rasanten Abfahrtslaufs, fällt einem vielleicht ein Ausspruch des Philosophen Martin Heidegger ein. Der soll beim Studium der Neu-Kantianer gesagt haben: Hier werden immer nur die Messer gewetzt, aber es kommt nie zum Schlachten. Regie: Musik und Schluss 2