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O-Ton 3 Cornelia Yzer Wer an einem neuen Arzneimittel arbeitet, gleich in welcher Funktion und von dessen Mehrwert überzeugt ist, der möchte natürlich auch, dass dieses Präparat Eingang in den Behandlungsalltag findet. Atmo Sprechzimmer, Drucker Sprecher vom Dienst Marketing im Ärztehaus Wie die Pharmaindustrie um Kunden wirbt Eine Sendung von Barbara Zillmann Atmo weiter, nochmal Aufruf Sprecherin Es ist kein Patient, der jetzt ins Sprechzimmer tritt, sondern ein Pharmavertreter. Wenn die Tür wieder aufgeht, hat die Ärztin eine neue ?Probe? auf dem Schreibtisch, einen Flyer vielleicht, eine Visitenkarte. Etwa 16.000 sogenannte ?Pharmaberater? und ?Referentinnen? sind in Deutschland unterwegs, um Ärzte über neue Medikamente zu informieren. Offen werben dürfen die Pharma-Firmen für diese Produkte nicht, zumindest, wenn sie verschreibungspflichtig sind. Deshalb haben die Vertreter Studien im Gepäck, Fortbildungsangebote, Arzneimittelmuster - und oft eine Portion Verständnis für die Alltagssorgen der Mediziner. Wie viel Kalkül bei ihrem Auftritt im Spiel ist, zeigt eine Hör-CD der Kassenärztlichen Vereinigung, KV Hessen. Das szenische Hörstück mit Dialogen und Kommentaren, hergestellt von der Agentur Gaia in Hamburg, wird mittlerweile bundesweit vertrieben. O-Ton 4 Herholz Der Punkt ist, dass wir das Gefühl haben, dass es vielen Ärzten selbst nicht bewußt ist, wie stark der Einfluß der Pharmaindustrie ist, mit welchen Tricks die Pharmaindustrie arbeitet. Sprecherin Harald Herholz ist Abteilungsleiter für Arzneimitteltherapie bei der KV Hessen. Er ist ausgebildeter Arzt und hat die Aufklärungs-CD für seine Kollegen mit auf den Weg gebracht: Es ist ein Gespräch zwischen zwei fiktiven Personen: Dr. Andrea Winter und Dr. Hajo Kroneberg, ehemalige Studienkollegen. Sie: inzwischen Marketingchefin eines großen Pharmaunternehmens, er: niedergelassener Arzt. Beim Abendessen plaudert man aus dem Nähkästchen der Zunft. Dialog 1 von CD - (V) = Vertreterin - (A) = Arzt (V) Wer besucht dich eigentlich von uns? (A) Sibylle Schneider ... (V) Ach ja, Sibylle. (A) Die ist echt fit. Nimmt sich Zeit, tourt durch die Gegend, um mich zu erreichen. Also bei meinen Kollegen ist die nicht so häufig. (V) Kein Wunder, du bist ja auch ein ?A-Kunde?. (A) Aha - und was bedeutet das? (V) Ganz einfach: du bist gut fürs Geschäft - A-Kunden sind die Kunden, die viel Umsatz bringen und innovativ sind, gern neue Medikamente ausprobieren. (A) Dann gibt?s auch B- und C-Kunden? (V) Ja, die gibt es. Das sind dann die, die eben weniger Umsatz machen und eher zögerlich neue Produkte einsetzen. (A) Und die werden dann nicht besucht? (V) Na ja, zumindest nicht so häufig. Und sie werden natürlich weniger zu Kongressen eingeladen, macht ja wirtschaftlich auch keinen Sinn. Die machen für uns nur wenig Umsatz, warum sollen wir denen die teuren Kongressreisen finanzieren. (A) Mein Gott, klingst du rational. - (V) Rational? Pharma ist Big Busines, Hajo, da bleibt für Sentimentalitäten wenig Platz! Sprecherin Die Pharma-Unternehmen führen also Buch über die Mediziner; Apothekenzentren melden ihnen, wer was verschreibt. Ärzte werden nach wirtschaftlichen Kriterien beurteilt und sie werden beschenkt oder nicht beschenkt. Auch andere Personen, so genannte ?Entscheider? in Kliniken, Krankenkassen, Politik und Öffentlichkeit sollen durch den ?Außendienst? der Pharma-Industrie beeinflusst werden. Alles nur Geschäft? Im Wesentlichen ja, vermittelt die CD auf launige Weise. Doch dahinter stehe ein ernstes Problem, meint Harald Herholz von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen: O-Ton 5 Herholz Wir haben gerade in letzter Zeit viele schwerwiegende Beispiele gehabt, wo Arzneimittel vom Markt genommen wurden in Deutschland, auch in den USA, und wo den Arzneimittelzulassungsbehörden, aber auch den Ärzten vorgeworfen wurde, warum sie nicht mehr auf Nebenwirkungen geachtet haben - interessant war, dass die Pharmaindustrie sich häufig bis zur letzten Sekunde geweigert hat, ihre Medikamente selbst vom Markt zu nehmen oder offen Auskunft zu geben über das Nebenwirkungsprofil, denn eins ist klar, niemand hat so gute Daten über die Medikamente wie die Hersteller, und der Vorwurf, den sich die Hersteller gefallen lassen müssen, ist, dass sie diese Informationen - ja - nicht herausrücken, sondern dass sie damit nicht verantwortungsvoll, für die Gesellschaft verantwortungsvoll genug umgehen. Und da kommt dann wieder der Aspekt ins Spiel, wie müssen Ärzte diesen Pharma-Außendienst einschätzen, das hat was mit Qualität der Arzneimittelversorgung zu tun. Sprecherin Und mit der Kompetenz der Ärzte. Denn nur, wenn sie sich ein unabhängiges Urteil über die Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten bilden, erhalten ihre Patienten die bestmögliche Therapie. Dem Allgemeinmediziner Peter Gerhold aus dem hessischen Städtchen Korbach kam die CD seiner Ärztevertretung gerade recht: O-Ton 6 Gerhold ...denn wir haben uns ja relativ wenig Gedanken gemacht über das, was in der Pharmaindustrie abläuft und wie die Parmaindustrie es managt, uns permanent zu manipulieren. Und ich habe im Grunde genommen auch relativ schnell reagiert. Denn (lacht) am nächsten Tag habe ich schon die erste Pharma-Referentin quasi rausgeschmissen. Sprecherin Es war diejenige, die mehrmals in der Woche hereinschaute, obwohl eigentlich alles gesagt war. Warum stahl sie ihm die kostbare Zeit? Sie hatte, wie Peter Gerhold jetzt weiß, die sogenannte ?call-rate? erhöhen wollen, den Gesprächstakt mit dem Arzt sozusagen. Denn jede Sekunde zählt, sagen Werbestrategen, um ein neues Medikament, eine neue Werbebotschaft ins Blickfeld des gestressten Arztes zu rücken. ?Message-bombing? heißt das Losungswort oder: ?message-penetration?. Was sich Peter Gerhold von einem Vertreter wünscht, ist etwas ganz anderes: O-Ton 7 Gerhold Ich erhoffe mir Information. Informationen über Medikamente. Wenn ich zu einem Medikament spezielle Fragen habe, dass er mir die offen beantwortet und nach bestem Wissen und Gewissen vor allem beantwortet. Aber das machen nicht viele, die meisten Pharmareferenten haben im Grund überhaupt keine Ahnung von den Medikamenten, die sie selbst vertreten, wenn man in die Tiefe reingeht. Sprecherin In die Tiefe und Widersprüche des ärztlichen Alltags. Die Mediziner kennen viele Flops und Versprechen der Pillenindustrie, sie kennen die Hoffnungen der Patienten und die Grenzen jeder Behandlung. Viele arbeiten mit etwa 50 bewährten Medikamenten. Sie wissen auch, dass bekannte Wirkstoffe in veränderter Aufmachung oft Scheininnovationen sind. O-Ton 8 Gerhold Das wäre für mich eine Innovation, wenn häufige Nebenwirkungen bei einem neuen Medikament eben nicht mehr da sind, gerade auch bei Migränepräparaten, da wo ich ja nun selber darunter leide. Eine echte Innovation wäre wirklich für mich, wenn ein Patient, der einen Migräneanfall hat, ein Medikament nimmt, und nach einer Viertelstunde hat der keine Kopfschmerzen mehr, das wäre für mich eine Innovation. Sprecherin Peter Gerhold setzt, wenn er davon überzeugt ist, auch Muster ein, in Absprache mit den Patienten. Er schätzt praxisnahe Fortbildungen, die oft von der Pharmaindustrie veranstaltet oder gesponsert sind - wenn er sich dabei nicht gekauft fühlt. Schließlich muss er, wie alle Mediziner, im Jahr 50 ?Fortbildungspunkte? sammeln. Aber die Pharma-Studien liest er nicht mehr. O-Ton 9 Gerhold Mich interessiert nicht, wieviel Studien da gelaufen sind, weil Studien immer so ein zwielichtiges Schwert sind, und ich weiß auch, wie Studien zusammenkommen. Vor allen Dingen, weil Studien häufig in den Praxen gemacht werden, und auch da weiß ich hundertprozentig Bescheid, wie die zustande kommen, dass heute die Helferinnen die Studien schon alleine machen. Ohne Arztbegleitung. Und manchmal sind sogar die Pharmavertreter so zuvorkommend, dass sie die Studienbögen selber ausfüllen, hat?s auch schon bei mir gegeben, in meiner Praxis. Sprecherin Peter Gerhold macht sich wenig Illusionen, im Gegensatz zu dem fiktiven Kollegen im Hörstück. Der kommt gerade von einem Ärztekongress in Nizza - und hat sich dort etwas vormachen lassen, wie im Dialog mit der Marketingfrau deutlich wird. Dialog 2 von CD (V) Ne gute Restaurantwahl, Hajo - (A) Danke, Prost! - (V) Prost! (A) Weißt du, dieses Restaurant erinnert mich an einen superleckeren Italiener in Nizza. (V) Nizza? Deine Praxis scheint ja gut zu laufen! (A) Quatsch - ich war da zu einem Kardiologie-Kongress eingeladen - ein Professor aus den USA hat da Forschungsergebnisse zu einem neuen Wirkstoff vorgestellt zur Bluthochdrucktherapie, die haben da so eine riesige Studie durchgeführt mit beeindruckenden Ergebnissen. (V) Wie viele Patienten waren denn in der Studie? (A) Über 8000, und die Ergebnisse sind hochsignifikant. (V) Aber hochsignifikant heißt ja erst noch mal gar nichts. (A) Wieso? (V) Signifikant bedeutet erstmal nichts anderes, als dass das Ergebnis nicht zufällig ist. Signifikant sagt noch lange nichts darüber aus, wie wirksam ein Medikament ist. Sprecherin Signifikant: der neutrale Fachbegriff aus der Forschung ist in Jahren des Pharmamarketings zu einer sprachlichen Mogelpackung geworden. Dialog 3 von CD (A) Aber du, das ist wirklich so: für uns Ärzte ist signifikant gleich superwirksam, und je mehr Studienteilnehmer desto besser - (V) Das ist ja auch kein Wunder, Hajo, ich meine, hey: der Slogan ?Hochsignifikante Ergebnisse bei 8000 Studienteilnehmern? läßt sich ja auch super verkaufen, und mit entsprechend professionellen Anzeigen und Flyern muss man ja den Eindruck gewinnen, dass da ein revolutionäres Produkt auf den Markt kommt, oder? Sprecherin Unternehmen der Pharmaindustrie erleben zurzeit Gewinnsteigerungen bis zu 30 Prozent. Dennoch sehen sich viele in einer Phase der Stagnation, einer Art Talsohle im Forschungsprozess. Obwohl sie ihre Forschungsbudgets aufstocken, lassen echte Durchbrüche, etwa bei Alzheimer- und Krebstherapien, noch auf sich warten - und damit auch neue Marktrenner. Vorhandene Präparate werden deshalb variiert und als Neuheit verkauft - oft zu hohen Preisen. Zugleich aber will die Bundesregierung eine Steigerung der Arzneimittelausgaben begrenzen und prüft die Zulassung neuer Medikamente genauer. Die Unternehmen suchen nach Wegen, ihre Rendite zu halten oder zu steigern, und Kritiker vermuten, dass viele inzwischen mehr Geld für Werbung als für Forschung ausgeben. O-Ton 10 Yzer Wir haben Forschungs- und Entwicklungskosten bei einem neuen Medikament von durchschnittlich 800 Millionen US-Dollar. Damit sie diese Mittel am Kapitalmarkt bekommen, müssen sie auch Erfolge vorweisen, sonst verlieren sie das Vertrauen der Anleger. Das ist gar keine Frage. Sprecherin Cornelia Yzer ist Geschäftsführerin beim Verband der forschenden Arzneimittelhersteller. Dieser Vereinigung gehören in Deutschland über 40 Pharmaunternehmen an, viele arbeiten international und sind an der Börse notiert. O-Ton 11 Yzer Dennoch bestreite ich, dass es hier nur um wirtschaftliche Interessen geht. Wer an einem neuen Arzneimittel arbeitet, gleich in welcher Funktion und von dessen Mehrwert überzeugt ist, der möchte natürlich auch, dass dieses Präparat Eingang in den Behandlungsalltag findet. Sprecherin Am besten, es gelangt möglichst bald unter die Top 50, die Standardmedikamente der praktizierenden Ärzte. Mediziner sind durch ihre Verschreibungen so etwas wie die Großhändler der Branche. Zugleich sollen sie bei der Forschung helfen, wünscht sich Cornelia Yzer, denn Nebenwirkungen und Wechselwirkungen der Medikamente zeigten sich oft erst im Versorgungsalltag: O-Ton 12 Yzer Deshalb ist es so wichtig, dass Arzneimittel nicht nur bis zur Zulassung, sondern auch danach im Behandlungsalltag beobachtet werden, das ist auch ein Grund dafür, warum wir als forschende Arzneimittelhersteller das Instrument der so genannten Anwendungsbeobachtung für unverzichtbar halten. Sprecherin Anwendungsbeobachtungen: das sind Folge-Studien, die in der Praxis des Arztes stattfinden, mit bereits zugelassenen Medikamenten. Mit Fragebögen oder Computerprogrammen der Firmen, mit einem Honorar für den Arzt. Denn er forscht sozusagen mit - indem er Patienten zu Wirkungen und Nebenwirkungen der verschriebenen Medikamente befragt. Die Qualität vieler dieser Studien ist umstritten. Immer wieder wurde auch der Vorwurf laut, Anwendungsbeobachtungen seien ein verdecktes Verkaufsinstrument. Deshalb hat die Bundesregierung jüngst die Regeln für solche Zusammenarbeit verschärft. Unter dem Druck von Politik und Öffentlichkeit haben auch Pharmaunternehmen das Verhältnis zwischen Arzt und Industrie neu definiert. 2004 wurde in Deutschland eine Selbstverpflichtung formuliert und ein Verein gegründet: Die ?Freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie? soll die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pharmaherstellern regeln. In Paragraph 7 des Kodex heißt es: Sprecher vom Dienst Irreführende Werbung ist unzulässig, dies unabhängig davon, ob die Irreführung durch Verzerrung, Übertreibung, besondere Herausstellungen oder Auslassungen oder in sonstiger Weise hervorgerufen wird. Sprecherin Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird deutlich. Dass es einzelne ?schwarze Schafe? auch unter den Pharmareferenten gibt, räumt Cornelia Yzer ein. Schließlich gebe es auch Pharmafirmen, die sich dem Kodex nicht angeschlossen hätten. Gegen eins verwahrt sich die Geschäftsführerin vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller aber entschieden: gegen Pauschalkritik an den Frauen und Männern, die mit Medizinprodukten unterwegs sind. O-Ton 13 Yzer ... wobei ich allerdings davon ausgehe, dass auch ein Arzt zwischen Belehrung im Sinne von Beratung und Information und Belästigung unterscheiden kann. Und er entsprechend mit den jeweiligen Pharmavertretern umgeht, also sie empfängt oder nicht empfängt. Dialog 4 von CD (A) Wie viele von den neuen Produkten, die euer Marketing so gern als bahnbrechende Innovationennpreist, sind denn nun wirklich substanziell besser als die vorhandenen? Welche senken denn die Sterblichkeit tatsächlich von sagen wir mal bislang von 10 auf unter 5 Prozent? - (V) Na ja, solche Sprünge sind sicherlich selten! - (A) Na eben! - (V) Aber jedes Prozent Unterschied ist doch gut! Sprecherin Wirksame Pharmaprodukte verlängern das Leben und verbessern die Lebensqualität. Zahllose Menschen hoffen auf neue Erkenntnisse in der Medizin. Wie also können Ärzte und Patienten Nutzen aus den wichtigen Forschungen ziehen, ohne den Heilversprechen unkritisch auf den Leim zu gehen? Ein Problem ist, dass in Deutschland bisher kaum unabhängige Medikamentenstudien gemacht werden. Zwar prüfen die staatlichen Zulassungsbehörden jedes neue Medikament im Blick auf Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit - anhand der von Pharmaunternehmen vorgelegten Studien. Nebenwirkungen und Wechselwirkungen zeigen sich aber oft erst später. Deshalb hat die Bundesregierung 2004 ein Institut gründen lassen, das vorhandene internationale Untersuchungen auswerten und industrieunabhängige Folgestudien anregen soll. Das ?Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen?, kurz ?Iqwig? leitet der Wissenschaftler und Diabetologe Peter Sawicki. O-Ton 14 Sawicki Die Industrie macht nur dann Studien, wenn sie sich eine Erweiterung ihres Marktanteils verspricht, zum Beispiel neue Indikationen. Dass man sagen würde, in der Erkrankung A wird das schon eingesetzt, aber wir wollen es auch in der Erkrankung B einsetzen. Nur dann macht die Industrie solche Studien, das heißt, wenn sie sich zusätzliche Vorteile verspricht. Sie macht die Studie nicht, um den Nutzen abzusichern und vor allen Dingen nicht, um den Schaden der Medikamente genauer zu beschreiben. Man schätzt, dass ungefähr die Hälfte der Untersuchungen gar nicht das Tageslicht erblicken. Sprecherin Und es gib noch eine ernüchternde Erkenntnis: Die verbesserten Wirkungen, die Pharmaunternehmen bei ihren Forschungen feststellen und als Fortschritt ausweisen, liegen real meist unter zehn Prozent. Wenn nun ein neues Medikament statt bei 6 immerhin bei 9 Prozent der Patienten positiv wirkt, also bei 50 Prozent mehr, dann sprechen Studien und Pharmavertreter gern von ?50 Prozent Risikoreduktion?. So werden Raffinessen der Statistik leicht zur Augenwischerei, beklagen Ärzte. Bei genauem Hinsehen sind die Werte zudem oft nur Hypothesen, betont Peter Sawicki vom Iqwig-Institut. Er unterscheidet vor allem zwischen Wirkung und Nutzen. O-Ton 15 Sawicki Die Wirksamkeit muss belegt sein, damit ein Präparat zugelassen wird, sonst darf es gar nicht verkauft werden. Wir gehen aber über die Wirksamkeit hinaus. Ist es auch so, dass sich aus dieser Wirkung ein Nutzen für den Menschen ableitet? Das ist die entscheidende Frage. Der Nutzen, den er erwartet, der würde sich aus dem Effekt auf die Erkrankung, die Lebensverlängerung, die Lebensqualität oder Verhinderung von Krankenhausaufnahmen, Verkürzung der Erkrankungsdauer beziehen - und diesbezüglich sind viele Medikamente gar nicht untersucht. Sprecherin Auf die Langzeit-Bilanz komme es also an, und: auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Diese Sicht hat dem Institut schnell einen negativen Ruf eingebracht: es wolle mit seinen kritischen Untersuchungen vor allem die Sparpolitik der Regierung legitimieren - und den Pharmaunternehmen die Preise verderben. Cornelia Yzer, die Sprecherin der forschenden Pharmaunternehmen: O-Ton 16 Cornelia Yzer Es gibt immer den Vorwurf von Pharmakritikern, dass ein neues Medikament mehr kostet, aber nur marginale Verbesserungen bietet. Tatsache ist nun einmal, dass auch medizinischer Fortschritt nicht immer in großen Sprüngen oder in Form von Therapiedurchbrüchen geschieht, obwohl wir uns das alle wünschen würden. Sondern es sind häufig auch die kleinen Schritte, beispielsweise wenn sie ein Medikament künftig schlucken können, das bisher nur gespritzt werden konnte. Oder wenn sie ermöglichen, dass eine Spritze in der Therapie nicht mehr mehrmals täglich, sondern nur noch einmal täglich verabreicht werden muss. Sprecherin Eine Erleichterung im Alltag der Patienten, wie bei einem neuen Insulin-Präparat. Hier gab es einen Konflikt zwischen dem Iqwig und jenen Pharmaunternehmen, die den neuen Wirkstoff auf den Markt gebracht und die Kassenzulassung erreicht hatten. Auch viele Patienten und Ärzte waren betroffen, denn das neue Medikament war beliebt. O-Ton 17 Sawicki Dann hat man den Patienten versprochen: Sie können damit besser leben, sie haben eine bessere Blutzuckereinstellung, sie haben ein freieres Leben, sie haben damit weniger Unterzuckerung. Das hat man ihnen versprochen, über die Ärzte, nicht direkt den Patienten, sondern den Ärzten suggeriert, das wäre so. Und dann haben die Ärzte sehr viele Patienten darauf umgestellt und gesagt, pass mal auf, damit bist du zufrieden. Und jetzt haben wir zugegebenermaßen zehn Jahre, nachdem diese Präparate auf den Markt gekommen sind, untersucht, ist das tatsächlich so - geben diese Studien, die dazu gemacht wurden, und es gibt einige Studien, diese Aussage her? Sprecherin Peter Sawicki und seine Kollegen kamen zu dem Schluss, keine der vorliegenden Studien habe den medizinischen Vorteil wirklich belegen können. Den alltagspraktischen Vorteil in der Wahrnehmung der Patienten hielten sie nicht für ausschlaggebend für eine Kassenzulassung. Der Bundesgesundheitsausschuss, dem das Institut zuarbeitet, nahm das Präparat aus der Liste der Kassenmedikamente wieder heraus. Bis die Unternehmen mit ihrem Preis weit heruntergingen. Ein ungewöhnlicher Vorgang in Deutschland, nicht aber in der EU. O-Ton 18 Sawicki Die anderen Länder sagen, solche Medikamente, die nicht bewiesenermaßen nützen, dürfen nicht verkauft werden zu Lasten der Solidargemeinschaft, und dann im zweiten Schritt, wenn sie schon nutzen, gut, dann guckt man sich an, ist der Preis angemessen. Ist dieser Nutzen, den man davon hat, steht der in einem rechten Verhältnis zu den Kosten. Sprecherin Peter Sawicki wehrt sich gegen den Vorwurf der verdeckten Rationierung. Er beklagt vielmehr die Verschwendung von Geldern und fordert eine breite Debatte über die Kriterien einer guten Gesundheitsversorgung. O-Ton 19 Sawicki Wir haben ja wahnsinnig viel Geld für die Gesundheit in Deutschland. 240 Milliarden Euro. Der gesamte Bundeshaushalt, glaub ich, beträgt in diesem Jahr 260 Milliarden. Das heißt, wir geben für die Gesundheit soviel aus in Deutschland wie für alles andere. Das ist eine unvorstellbare Menge Geld - damit kann man doch sehr viel Gutes machen. Ich bin doch froh, in einem Land zu leben, das allen Menschen eine gute Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellt. Nur es muss auch einen gute Gesundheitsversorgung sein! Es gibt immer weniger Schwestern im Krankenhaus, Krankenschwestern. Die Patienten wollen, dass man ihnen zuhört, die Patienten wollen informiert sein, die Patienten wollen eine Kontinuität der Behandlung - und da hab ich große Angst, dass wir alles verlagern von der menschenorientierten Medizin hin zu Geräten und Chemikalien, die letztendlich nicht einmal das bringen, was sie im Beipackzettel versprechen zu bringen. Sprecherin Peter Sawicki möchte den Medizinern und der Politik industrie-unabhängige Informationen zu Wirkstoffen und wichtigen Krankheitsbildern bereitstellen - und zwar im Internet. Blinde Flecken in der medizinischen Landschaft sollen dabei Schritt für Schritt ausgeleuchtet werden. O-Ton 20 Sawicki Unsere eigentliche Aufgabe, auch die Aufgabe für die Zukunft ist, die Spreu vom Weizen zu trennen. Und dann zunächst den Weizen zu bewerten, welchen Preis sind wir bereit, für diesen Weizen zu bezahlen. Und ich denke, dass wir da auch für die Krankenkassen eine Unterstützung leisten können bezüglich der Bewertung dieser Nutzen-Aspekte, so dass die Kassen ihre Verhandlungsposition auch durchaus einsetzen können in ihrer Verantwortung für die 70 Millionen Versicherten, indem sie sagen, dieser Preis ist uns zu hoch, wir sind nicht bereit, diesen Preis dafür zu bezahlen, ihr müßt den Preis senken. Sprecherin Eine Position, die der Preispolitik und dem Marketinginteresse der Pharmakonzerne Grenzen setzt. Denn es stehen Medikamente mit einem Umsatzvolumen von etwa vier Milliarden Euro auf der Prüfliste des Iqwig. O-Ton 21 Sawicki Das andere ist, dass ich denke, dass wir in der Zukunft mehr und mehr zu selbstständig entscheidenden Patienten im Gesundheitswesen kommen müssen - nicht für alle Bereiche, natürlich, wenn man mit dem Auto gegen einen Baum fährt und auf dem OP-Tisch landet, kann man nicht mitentscheiden. Aber in vielen Bereichen der Medizin hat man Zeit sich zu informieren. Diese Möglichkeiten müssen wir ausbauen, wir müssen den Patienten genügend Informationen geben, dass sie informierter in die Arzt-Gespräche gehen, dass sie sich genau überlegen, was sind sie bereit zu machen und um welchen Preis, ich mein jetzt nicht den Euro-Preis, ich mein den Preis der gegebenenfalls dabei auftretenden Gefahr, und mit dem Arzt gemeinsam eine Entscheidung treffen für und wider eine bestimmte Behandlung. Sprecherin Was das Institut will, lassen sich aber auch die Pharmastrategen nicht zweimal sagen. Sie haben inzwischen ebenfalls die Autonomie der Patienten entdeckt. Und manche Ärzte erleben in ihrer Praxis ein blaues Wunder. Das illustriert ein letzter Ausschnitt aus dem Hörstück der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Der Arzt Dr. Kroneberg möchte sich, enttäuscht von den Methoden der Pharmawerbung, wieder seinen Patienten zuwenden. Dialog 5 von CD (A) Wenigstens mögen mich meine Patienten --- (V) Aber auch die hören auf uns. - (A) Hm? (V) Haben dich in letzter Zeit verstärkt Patienten zu unseren Schmerzpräparaten befragt? Oder allgemein zum Thema Schmerzen, Therapie und so was? (A) Ja ja, wieso? (V) Weil wir gerade 15 Millionen Euro in eine Werbekampagne für Patienten gepumpt haben. Die müssen auf dich zukommen. Wenn die das nicht tun, dann bekommt mein Marketingdirektor ein Problem! Sprecherin Der verblüffte Arzt erfährt, dass manche Firmen den Patienten sogar raten, ihrem Arzt mit Klagen zu drohen, falls er das gewünschte Medikament nicht verschreibt. Was die CD provokant auf den Punkt bringt, sieht auch der Mediziner Peter Sawicki als Gefahr. O-Ton 22 Sawicki Ich befürchte sehr, dass diese direkte Werbung an Patienten genauso in bestimmten Bereichen, in wesentlichen Bereichen falsch, unvollständig und irreführend sein wird, wie das bei den Ärzten ist. Und dann werden die Patienten bestimmte Werbebotschaften hören, der Arzt wird sagen - von mir aus ist der gut informiert - ?Ja, das ist noch nicht so gut untersucht?, und da sagt der Patient: ?Wenn du mir das nicht verschreibst, dann wechsele ich den Arzt.? Sprecherin Pharmaunternehmen sind dabei, den Ärzten ihr wichtigstes Kapital abzuluchsen: das Vertrauen der Patienten. Sie sind dabei, Heiler und Kranke gegeneinander auszuspielen. Aber es gibt noch mehr Mitspieler in dem Stück. Noch einmal Harald Herholz von der Ärztevertretung Hessen: O-Ton 23 Herholz Der Arzt befindet sich, gerade der niedergelassene Arzt, in einem Kräftefeld. Und von allen Seiten wird an ihm gezerrt. Da ist einmal der Patient, der berechtigte Erwartungen hat, klar, dann haben wir eine Medienöffentlichkeit, wir haben dann Körperschaften, die sagen, du hast dein Budget, das musst du einhalten, wir haben die Ärztekammer, die sagt, ja, Berufsrecht, und wir haben dann aber auch die Pharmaindustrie, die an ihm zerrt. Sprecherin Durch eine Flut an Informationen, vor allem im Internet, ist eine neue Runde eröffnet im Ringen um das elementare, aber teure Gut Gesundheit. Wer dabei gewinnt, ist noch offen. Und hängt auch davon ab, wie Ärzte sich fortbilden, um ihre Unabhängigkeit zu wahren. Neue Angebote wie die ?Hör-Akademie? der KV Hessen, in der die CD über ?Pharmamarketing? zuerst erschien, können Weichen stellen. O-Ton 24 Herholz Ich glaub, dass das Hörspiel deswegen so gelungen ist, weil die Firma, die Agentur, die das umgesetzt hat, das Feld so gut kennt, über das wir hier berichten. Sie haben nämlich Aufträge von der Pharmaindustrie erhalten früher, sie haben da zusammengearbeitet, sie kennen den Bereich und das spürt man, das ist extrem realistisch. Das sagen mir übrigens auch Pharmaleute: Es stimmt. Es ist genau so, wie Sie?s dort nachgestellt haben. Sprecherin Die Pharma-Unternehmen streben hohe Renditen an, um ihre Aktionäre bei Laune zu halten. Der verbleibende Gewinn wird nur zum Teil in neue Forschungen investiert, zu einem großen Teil aber in einen aufwändigen Marketingapparat und in suggestive Werbemethoden. Deshalb müssen Ärzte, Patienten und Politiker wachsam sein. Atmo: Wartezimmer Sprecher vom Dienst Marketing im Ärztehaus - Wie die Pharmaindustrie um Kunden wirbt Eine Sendung von Barbara Zillmann Es sprach: Viola Sauer Ton: Ralf Perz Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2007 1 1