COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 23. Juli 2009 Redaktion: Peter Kirsten Klimasenke und Vogelschutz Moore im Blick der Wissenschaft Von Johannes Kaiser ATMO 1: Vögel + Schritte im Moor bereits unter Erz. Legen, kurz hochziehen, unter Erz. ausblen- den Erz.: Der Boden schwankt unter den hüfthohen Gummistiefeln bedenklich und gibt nach. Die Schrittmulden füllen sich sofort mit Wasser. Immerhin schwimmt die Torfmoosschicht des Weges auf einer Wassersäule - typisch für ein wachsendes Hochmoor, dennoch eine beunruhigende Erfahrung für den Besucher. Moore wie sie im weißrussischen Nationalreservat Olmani noch auf einigen hundert Quadratkilometern zu finden sind, haben in Europa Seltenheitswert. Der Greifswalder Moorforscher Michael Succow ist denn auch begeistert: TAKE 1: O-Ton Succow "Weißrussland ist eines der moorreichsten Länder Europas. So etwa 20, 25 % sind Moore und es sind dort alle Moortypen Zentraleuropas vorhanden. Wir haben also Durchströmungsmoore, wir haben Überflutungsmoore, wir haben riesige Verlandungsmoore, wir haben spannende Quellmoore. All das findet sich dort. Wir haben basenreiche Moore, wir haben saure Moore. Also sie sind noch wachsend, sie noch vom Regen oder Grundwasser gespeist, sie haben noch ihre natürliche Haut und bilden noch Torf und das hebt dieses Weißrussland heraus. Also es ist eines des wich- tigsten Länder für den Moorkundler, aber auch für die Biodiversität innerhalb der Moore zumindest Europas." ATMO 1: Vögel und schmatzende Schritte im Moor bereits unter Take legen, kurz stehen lassen, dann Erz. drü- berlegen, langsam drunter ausblenden Erz.: Die Moore Weißrusslands faszinieren aber nicht nur Moorökologen, sie beeindrucken auch die Klimaexperten, denn Moore sind bedeutende Klimasenken. Sie speichern im Laufe ihres langen Lebens riesige Mengen an Kohlendioxid, so der Greifswalder Biologe Merten Minke: TAKE 2: O-Ton Minke "Hier in Mitteleuropa sind die meisten Moore erst nach der Eiszeit entstanden, sind damit aber auch schon 8000 und etwas mehr Jahre alt und über diese ganze Zeit haben sie langsam aber doch allmählich ganz viel Kohlenstoff als Torf gespeichert und das ist in keinem anderen Ökosystem möglich. Also im Wald z.B. gibt es natürlich auch Bäume wie Eichen, die können auch 1000 Jahre alt werden. Aber spätestens dann, wenn sie umfallen, werden sie wieder zersetzt und der gespeicherte Kohlenstoff geht zurück in die Atmosphäre. Die Moore aber, die entziehen aus diesem Kreislauf den Kohlenstoff und damit sind sie für das Klima sehr wichtig und insgesamt, wenn man die Moore der ganzen Welt betrachtet, also die als Torf gespeicherte Kohlenstoffmenge in den Mooren ist doppelt so hoch wie die in allen Wäldern z.Z. enthaltende Kohlenstoffmenge." Erz.: Um so wichtiger ist die Aufgabe, die Moore zu erhalten. Doch das Gegenteil ist in den letzten Jahrzehnten der Fall gewesen. Allerorten sind in Europa Auen und Feuchtgebiete, Sümpfe und Moore zerstört worden. Auch in Weißrussland. Die riesigen Palessje Niederungen zu beiden Seiten des größten weißrussischen Flusses, des Pripjat, wurden in Sowjetzeiten in großem Stil entwässert, für die Landwirtschaft und für die Torfgewinnung genutzt. Aus dem getrockneten Rohstoff wurden und werden bis heute Torfbriketts gepresst, um weniger abhängig von den Öl-, Gas- und Kohlelieferungen aus Russland zu sein. Ist eine Moorfläche bis auf 40 Zentimeter abgeerntet, wird der Abbau beendet. Zurück bleibt eine knochentrockene Torfschicht, die zwischen den Fingern zu feinem Staub zerbröselt. Für das Klima ist das eine Katastrophe, so der Biologe Mertens Minke: TAKE 3: O-Ton Minke "Wenn Moore entwässert werden, gelangt Sauerstoff in den Torfkörper und zersetzt die dort gespeicherte organische Substanz und damit werden die gespeicherten Kohlenstoffe als CO? freigesetzt und dieses Moor speichert nicht mehr CO? , sondern setzt es frei. Also bei stark entwässerten Mooren hat Mundel schon Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre festgestellt, dass, wenn z.B. der Wasserstand 1 m unter Geländeoberfläche ist, dass dort bis zu 20, sogar bis zu 25 t CO? pro h und Jahr freigesetzt werden." Erz.: Das sind gewaltige Mengen, die ohne Zweifel auch gewaltigen Einfluss auf die Kohlendioxidzunahme in der Atmosphäre und damit auf die Klimaerwärmung haben. Der holländische Moorforscher Hans Joosten vom Institut für Landschaftsökologie der Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald rechnet einmal hoch: TAKE 4: O-Ton Joosten "Wir haben ungefähr 4 Millionen km², 400 Millionen ha Moore auf der Erde. Das ist 3% der Landfläche der Erde. Davon ist 20-25% degradiert. Diese 20-25% emittieren mehr als 2 Gigatonnen, 2 000 Millionen t Kohlendioxid pro Jahr, das entspricht 8% der weltweite anthropogene CO? Emission. Die noch nicht entwässerten Moore, die restlichen 75%, legen ungefähr 200 Millionen t CO? pro Jahr fest, zehnfach weniger, so dass Großteil der jungfräulichen Moore schafft es nur, ein Bruchteil wieder einzufangen, was die degradierten Moore emittieren. Das zeigt, was für enorme Konzentrationen an Kohlenstoff diese Moore sind. Die haben pro Fläche derartig viel Kohlenstoff, das kann man sich nicht vorstellen. Wir reden immer über tropische Regenwälder, aber ein tropisches Regenwald hat pro h zehnfach weniger Kohlenstoff als ein Moor hier in Meck-Pom. Fragen die Leute alle, wie ist das doch möglich? Tropische Regenwälder haben doch Bäume 60 m hohe. Das ist ganz einfach: durch ein tropisches Regenwald kann man laufen. Da sitzt Luft zwischen den Stämmen und das ist bei einem Moorkörper nicht. Da kann man nicht durch den Torf laufen. Die Dichte ist einfach viel größer." ATMO 2: schmatzende Schritte im Moor kurz stehen lassen, dann Erz. drüberlegen, langsam drunter ausblenden Erz.: Die Klimaforschung hat die Bedeutung der Moore er- staunlicherweise erst vor kurzem entdeckt und begonnen, Sümpfe und Feuchtgebiete genauer unter die Lupe zu nehmen. Konkrete Messungen sollen herausfinden, wie viel Kohlendioxid welcher Moortyp aufnimmt und wie viel ein bestimmtes Moor freisetzt, wird es zerstört. Von besonderem Interesse ist die Frage, wie viel Kohlendioxid nicht in die Atmosphäre gelangt, stoppt man den Moorabbau und was passiert, wenn man die trocken gefallenen Flächen wieder unter Wasser setzt. Dabei geht es keineswegs nur um abstrakten Wis- sensgewinn, sondern ganz konkret um handfeste materielle Interessen. Kommt es, wie von der UN-Klimakonvention vorgeschlagen, zu einem weltweiten Handel mit Emissionsrechten für Kohlendioxid, könnten all jene Staaten, die über degradierte Moore verfügen, mit deren Wiedervernässung viel Geld einnehmen. Sie könnten jede vermiedene Tonne CO? an diejenigen verkaufen, die mehr Kohlendioxid ausstoßen, als ihnen gestattet ist, die also Emissionsrechte kaufen müssen. Ein auf lange Sicht lukratives Unterfangen für die Moorbesitzer. Und genau aus diesem Grund unterstützt denn auch das weißrussische Ministerium für Naturressourcen und Umweltschutz das Wiedervernässungsprojekt. Die Idee dazu hatte die Michael Succow Stiftung, die der Moorkundler mit dem Preisgeld für den Alternativen Nobelpreis gegründet hat, den er 1997 verliehen bekam. Als Mitfinancier hat er die britische Royal Society for the Protection of Birds sowie das deutsche Umweltministerium gewonnen. Der Partner vor Ort ist die regierungsunabhängige weißrussische Natur- schutzorganisation APB-Birdlife Belarus. Eingebunden ist zudem die Akademie der Wissenschaften mit ihrem Institut für Moorforschung. Das UNDP, das United Nations Development Programme kooperiert. So unterschiedlich die Partner, so verschieden auch die Interessen. Den weißrussischen und englischen Vogelschützern geht es vorrangig um den Artenschutz, so der Biologe Viktar Fenchuk, bei der weißrussischen NGO APB- Birdlife Belarus zuständig für die Moore: TAKE 5: O-Ton Frenchuk engl. O-Ton, kurz stehen lassen, dann Spr. drüber legen, am Ende wieder hochziehen Spr.: "Moore sind sehr spezialisierte Ökosysteme und tausende Jahre gab es dort Tiere und Pflanzen, die sich darauf weitgehend spezialisiert haben. Als man im letzten Jahrhundert anfing, die Moorflächen zu reduzieren, sind diese Arten verschwunden, denn sie konnten sich nicht an andere Umweltverhältnisse anpassen und als Ergebnis stehen einige dieser hoch spezialisierten Arten kurz vor dem Aussterben. Dazu gehört der Seggenrohrsänger. Bei uns lebt etwa die Hälfte der gesamten Weltpopulation. Er ist stark auf offene Moorflächen spezialisiert und wir haben in Weißrussland noch solche offenen Sumpfflächen wie zum Beispiel das Zvanetc Moor, in dem jeder dritte Seggenrohrsänger der Welt lebt. Diese Vögel sind sehr bedroht und die Wiedervernässung von degradierten Moorflächen ist eine Chance, neue Habitate für diese Vögel zu schaffen." ATMO 3: Seggenrohrsänger kurz stehen lassen, dann Erz. drüberlegen, langsam drunter ausblenden Erz.: Es geht um erhebliche Landflächen, die wieder unter Wasser gesetzt werden könnten. Alexander Kozulin, vom Institut für Moorforschung der Akademie der Wissenschaften nennt Zah- len. TAKE 6: O-Ton Kozulin russ. O-Ton, kurz stehen lassen, dann Spr. drüber legen, am Ende wieder hochziehen Spr.: "Die Entwässerung der Moore und der Torfabbau begannen in Weißrussland deutlich später als in Deutschland. Hier begann dieser Prozess erst in den sechziger Jahren im 20. Jahrhundert und in der kurzen Zeit wurden allein für den Torfabbau 300.000 ha entwässert und etwas mehr als 1 Million ha für die Landwirtschaft. Als man die riesigen Flächen, auf denen man Torf abgebaut hatte, der Landwirtschaft übergeben wollte, stellte die fest, dass man mit ihnen nicht mehr viel anfangen kann. Jetzt befinden sich diese Flächen in einem schrecklichen Zustand." Erz.: Die Folgen spürt die Bevölkerung bis heute, so Moorforscher Kozulin: TAKE 7: O-Ton Kozulin russ. O-Ton, kurz stehen lassen, dann Spr. drüber legen, am Ende wieder hochziehen Spr.: "Diese abgebauten Flächen sind heutzutage ein sehr großes Problem, weil dort große Brände entstehen - 3000 ha in der einen Forstverwaltung, noch einige 1000 ha in einer anderen -und das ist manchmal eine Katastrophe, weil bei uns bisweilen ganz Weißrussland unter einer Smogdecke liegt." Erz.: Durch die Brände werden aber nicht nur gewaltige Mengen an Kohlendioxid in die Luft gejagt, sie verursachen auch massive Gesundheitsprobleme, so Norbert Schäffer von der britischen Vogelschutzorganisation RSPB: TAKE 8: O-Ton Schäffer "Diese Rauchschwaden, die z.T. über Tage und Wochen, viele Wochen über die Dörfer ziehen, wirken sich gerade auf Kinder aus. Wir haben dort bronchiale Erkrankungen sehr häufig. Weißrussland ist ja das Land, das unter der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 86 stärker gelitten hat als jedes andere Land. In diesen Torfkörpern ist sehr viel radioaktives Material noch immer gespeichert und durch diese Torffeuer wird auch dieses radioaktive Material wieder aktiviert und wird freigesetzt." Erz.: Die Trockenlegung der Sümpfe und Moore hat zudem massive Auswirkungen auf das Binnenklima. Die Grundwasserspiegel sinken, Brunnen trocknen aus, Flüsse, die in Mooren entsprangen, verschwanden. Die Frühjahrsschmelzwasser werden nicht mehr von den Sümpfen aufgesogen. Es kommt zu Überschwemmungen. Das Binnenklima ändert sich, so der Biologe Michael Succow: TAKE 9: O-Ton Succow: "Eine wassergesättigte Fläche mit einer Vegetationsstruktur, also mit vielen Halmen und Pflanzen usw. verdunstet ein Mehrfaches wie eine glatte Wasserfläche und diese Moorgebiete waren früher eben ganz wichtige Verdunstungsräume und wenn Wasser verdunstet, dann gibt es den Kühlungseffekt und da bilden sich dann auch Regenwolken und damit Regen. Auch die Regenwolken, die vom Atlantik kommen, regnen in diesen kühleren Räumen wieder ab, während sie über die trockenen Räume weiterziehen. Also als Klimafaktor in landschaftlicher Dimension spielen Feuchtgebiete eine große Rolle, aber das ist alles erst in jüngster Zeit begriffen, erkannt worden." ATMO 4: Vogelgesang am Pripjat kurz stehen lassen, dann Erz. drüberlegen, langsam drunter ausblenden Erz.: Aller Anfang ist mühsam. So beginnt die Wiedervernässsung denn auch erst einmal bescheiden. Projektmanager Wendelin Wichtmann von der Michael Succow Stiftung: TAKE 10: O-Ton Wichtmann "In unserem Projekt geht es erstmal darum, in zwei Schritten erstmal 6000 ha und dann weiter 10 000 ha wiederzuvernäs- sen. Der weißrussische Staat bzw. die verschiedenen Institutionen, die sich mit Mooren überhaupt beschäftigen, gehen davon aus, dass um die 500 000 ha Moore wiedervernässt werden können. Wenn man da realistisch ist, kommt man vielleicht auf die Hälfte, das sind dann 200-250 000 ha. Da würden sich sicherlich auf großen Flächen ganz- jährige Überstaubedingungen einstellen." Erz.: Sollte es tatsächlich zu solch einer Wiedervernässung kommen, könnte Weißrussland die vermiedenen Koh- lendioxid-Emissionen als CO² credits weitweit verkaufen. TAKE 11: O-Ton Wichtmann "Auf dem freien Markt konnte man im letzten Jahr pro t ver- miedener CO? Äquivalente in etwa einen Preis von 20-22 ? erzielen. Im Rahmen der Krise ist dieser Preis aktuell ein wenig zusammengebrochen auf, ich denke mal, auf etwas weniger als die Hälfte. Das ist zunächst auf dem freiwilligen Markt. Das können Firmen sein, die solche CO? credits kaufen oder es können auch Staaten sein oder staatliche Organi- sationen, die an anderer Stelle nicht darauf verzichten können, CO? in die Atmosphäre zu entlassen und dadurch sich quasi freikaufen wollen und entsprechende credits dann in gleicher Größenordung zukaufen wollen. Die Grundlage für die Berechnung der Minderung der CO? Emissionen ist das so genannte Treibhausgasemissionsstandortmodell. Damit können Niedermoorflächen beschrieben werden bezüglich ih- res Emissionsverhaltens." Erz.: Bei mehreren hunderttausend Hektar wieder zu vernässender Fläche geht es für Weißrussland immerhin um Milliardensummen. Angesichts dieser Größenordnung sollten die Berechnungen schon überprüfbar und korrekt sein, die Messsysteme zuverlässig. Genau darum kümmert sich der Greifswalder Biologe Merten Minke. Er untersucht sowohl auf den entwässerten als auch auf den wiedervernässten Moorflächen, welche Klimagase aus dem Boden entweichen oder in ihm gespeichert werden. Dabei handelt es sich um Kohlendioxid, um Methan, das rund 20 mal so klimaschädlich ist wie Kohlendioxid und Lachgas, das 310 mal so stark wirkt wie CO?. Ist ein Moor trocken gefallen, dringt Sauerstoff in den Boden ein und die Pflanzenreste zersetzen sich. Aus dem Torf steigen Kohlendioxid und Lachgas auf. Wird der Torf wieder unter Wasser gesetzt, hängt offenkundig von der Höhe des Wasserstands und der neu aufkommenden Vegetation ab, welche Treibhausgase fortan noch aufsteigen. Reicht das Wasser bis an die Geländeoberfläche, dann entweicht kein Lachgas mehr. Allerdings kann nun Methan entstehen, weil alles Grün, alle neu entstandene Biomasse, die unter Wasser gerät, sich unter Sauerstoffmangel zersetzt und dabei zum Teil von Bakterien in Methan umgewandelt wird. Um nun genauer bestimmen zu können, welche Verhältnisse in Weißrussland herrschen, könnte man überall auf die Moorflächen so genannte Eddy-Türme stellen, mit Elektronik voll gestopfte, mit Gassensoren ausgestattete vollautomatische Messtürme. Doch die sind hochkompliziert und sehr teuer, bei den vielen weißrussischen Flächen unbezahlbar. So bedient sich Merten Minke eines erheblich einfacheren Systems, der Haubentechnik. TAKE 12: O-Ton Minke "Und zwar nimmt man eine Plastikhaube, stellt sie auf einen Geländeausschnitt und verhindert damit den Austausch von Spurengasen zwischen diesem Geländeausschnitt und der At- mosphäre, d.h. wenn dort aus den Pflanzen oder dem Boden etwas kommt oder darin etwas verschwindet, ändert sich die Konzentration. Das misst man und kann damit die Austauschrate des Spurengases ermitteln. Für die häufigsten Vegetationstypen von entwässerten als auch von wie- dervernässten Mooren werden wir mittels Hauben die Spurengasbilanzen ermitteln und dann nutzen wir diesen Vegetationstyp und kartieren ihn sozusagen und wissen dann, welche Treibhausgasbilanz bestimmte Flächen haben." ATMO 2: schmatzende Schritte im Moor kurz stehen lassen, dann Erz. drüberlegen, langsam drunter ausblenden Erz.: Die Schwierigkeiten liegen im Detail. Keine Fläche ist gleich. Kommt es zur Wiedervernässung, liegen Teile völlig unter Wasser, andere ragen drüber hinaus, manche sind nur gerade eben bedeckt. Es wäre ein Riesenaufwand, an all diesen unterschiedlichen Stellen aufwändig zu messen. Hier gilt es einen Durchschnitt zu ermitteln. Zudem kommt auch mit der Haubentechnik eine durchaus komplizierte Messelektronik zum Einsatz. Auf sämtlichen wiedervernässten Flächen die Spurengase zu messen, wäre kaum zu leisten und noch weniger zu bezahlen. So nutzt man sie, um gezielt die Emissionen ganz bestimmter Pflanzentypen zu bestimmen. Dank der Hauben weiß man dann, bei welchem Wasserspiegel welche Pflanzen wachsen und wie viel Klimagase jeder Pflanzentyp aufnimmt oder abgibt. Kennt man also die Vegetation einer Moorfläche, kann man relativ einfach ihre Kohlendioxidbilanz errechnen. Ein einfaches, billiges und zuverlässiges Verfahren, das in der DDR erfunden wurde, weil man sich keine teuren Messgeräte leisten konnte. Damals zur einfachen Bestimmung eines Feuchtstandortes gedacht, benutzen die Greifswalder Forscher die Vegetation inzwischen als Klimaindikator. Der holländische Moorexperte Hans Joosten: TAKE 13: O-Ton Joosten "Ein schönes Beispiel sind Torfmoose. Torfmoose, das sind Pflanzen wie alle Moose, die haben keine Wurzeln, die er- tragen keine Austrocknung. Wenn wir Torfmoose sehen, auch wenn wir das Wasser nicht sehen, wissen wir, hier muss langfristig der Wasserstand nah am Flur sein und dann haben wir kaum CO? Emissionen, wahrscheinlich selbst CO? Festlegung. Wir haben keine Lachgasemissionen, wir haben Methanemissionen. Auf diese Weise haben wir das für alle Wasserstufen ausgearbeitet und was wir jetzt in Weißrussland machen, ist zu gucken, ob dieses System, was wir für Nordostdeutschland ausgearbeitet haben, derartig kalibriert werden kann und derartig komplimentiert werden kann, dass wir für Weißrussland ein sehr zuverlässiges Instrument haben, um einfach Emissionen aus Mooren zu monitoren." Erz.: Hat man alle Parameter erst einmal exakt erfasst, reicht es aus, einen Biologen loszuschicken, der eine Bestandsaufnahme der Moorpflanzen macht. Zukünftig soll es noch einfacher werden: TAKE 14: O-Ton Joosten "Das nächste Schritt, den wir versuchen, ob wir diese Indikationsreihe von Vegetation, Indikativ für Wasser, ob wir die noch weiter ausdehnen können mittels Sa- tellitenbeobachtung. Die erste Pilotstudien zeigen, dass in wiedervernässte Flächen, wo ziemlich monotone Vegetationen entstehen, dass es möglich ist, fast jede Art mit Satellitbilder zu unterscheiden. So wir hoffen, dass sicherlich mit neuartige Satelliten, die auch Bänder haben für Licht und anderes, was wir mit dem Auge nicht sehen können, dass wir in der Lage sein werden, alle notwendigen Vegetationstypen ohne Probleme zu monitoren und dann reden wir über Monitoringskosten, die sehr gering sind, die vielleicht einige Euros pro ha pro Jahr kosten." Erz.: Mit den wiedervernässten Mooren lässt sich aber auch noch indirekt die Klimaerwärmung bekämpfen. Hier wachsen Schilf und Seggen, die man als Biomasse zur Energiegewinnung nutzen kann. Das weißrussische Projekt soll auch hier konkrete belastbare Zahlen liefen, so Agrarwissenschaftler Wendelin Wichtmann. TAKE 15: O-Ton Wichtmann "Der Heizwert von Stroh ist vergleichbar der Biomasse, die man aus Rieden und Röhrichten entnehmen kann. Wir haben sogar verschiedene Vorteile bei der halmgutartigen Biomasse, wie der Fachausdruck heißt, da die weniger Mineralstoffe enthält. Vor allen Dingen Kalium, Magnesium, Natrium spielen da eine Rolle, die bei etwas höheren Gehalten schädlich für das Brennverhalten im Ofen sind, d.h. wenn diese Stoffe in höheren Mengen vorhanden sind, kommt es bei niedrigen Temperaturen bereits zur Ascheschmelze und zur Verschlackung der Roste im Ofen, was dann dazu führt, dass der Ofen gewartet werden muss und diese Probleme scheint man eben bei der Biomasse aus Niedermooren nicht zu haben. Außerdem spielen noch Sulfate und Chloride eine große Rolle. Auch die sind in geringeren Mengen vorhanden und die Verbrennung der Biomasse ist dann weniger schädlich für die abgasführenden Rohre, weil es da dann weniger zu Korrosionserscheinungen kommt, wie das beim Stroh z.B. der Fall wäre." Erz.: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Biomasse als Energieträger einzusetzen. Man könnte sie zu Ballen pressen oder man könnte aus ihnen Pellets herstellen, sie zu Briketts pressen. Daran sind vor allem die weißrussischen Torffabriken interessiert, die damit eine neue Aufgabe bekämen. Es geht immerhin um beachtliche Mengen: TAKE 16: O-Ton Wichtmann "Wir haben jetzt in verschiedenen Flächen, die entweder wiedervernässt worden sind und schon durch Sukzession entsprechende Bestände aufweisen, Untersuchungen gemacht und Ertragserhebungen gemacht und da gehen wir davon aus, dass wir irgendwo zwischen 5 und 15 t Trockenmasse pro h ernten können auf diesen Flächen." Erz.: Natürlich gibt es bislang keine Marktpreise für die Biomasse aus nassen Mooren, da sie noch nicht kommerziell angeboten wird. Erste Erfahrungen aus Deutschland zeigen: TAKE 17: O-Ton Wichtmann "Unsere Berechnungen, die zum Teil auf Datenerhebungen aus dem Miscantusbereich und aus dem Strohbereich stammen, die gehen davon aus, dass wir zumindest kostendeckend arbeiten können. Kostendeckend heißt in dem Fall, das sowohl die Maschinen abgeschrieben werden können als auch die Arbeitskräfte, die dafür eingesetzt werden." Erz.: Ob diese Berechnungen auch in Weißrussland Gültigkeit haben, wird sich noch herausstellen. Weißrussland ist ein Versuchsfeld, um all dies zu testen. Feststeht dagegen, dass Biomasse klimaneutral ist und fossile Brennstoffe ersetzen kann. Ihr Einsatz freut aber nicht nur die Klimaexperten, sondern auch die Naturschützer, denn um ihren besonderen Liebling, den Seggenrohrsänger, aber auch viele andere seltene Feuchtgebietsvögel vor dem Aussterben zu bewahren, braucht es offene Niedermoore, die regelmäßig gemäht werden, so Norbert Schäffer: ATMO 3: Seggenrohrsänger kurz stehen lassen, dann Erz. drüberlegen, langsam drunter ausblenden TAKE 18: O-Ton Schäffer "Sie brauchen vor allem im Frühjahr vor allem während der Brutzeit einen hohen Wasserstand, weil es zum einen dazu führt, dass es dort ein hohes Nahrungsangebot gibt. Das Wasser führt dann dazu, dass dort Großinsekten leben können, die in trockenen Lebensräumen nicht leben können. Ein anderer Punkt ist, dass durch diesen hohen Wasserstand mögliche Raubsäuger von den Gelegen ferngehalten werden, ob das Füchse sind, Marder. Und dann ist es natürlich auch so, dass dieser hohe Wasserstand dazu führt, dass es eine ganz bestimmte Vegetationsstruktur gibt. Der Lebensraum zeichnet sich aus durch Seggen, die so zwischen 50 bis 80 cm hoch sind und das Aufkommen von Büschen und Bäumen wird dadurch in der Regel verhindert." Erz.: Während früher die Bauern die Sumpfwiesen mähten und so dafür sorgten, dass sie nicht verbuschten, müssen heute die Naturschützer dafür sorgen, dass die Flächen offen bleiben. TAKE 19: O-Ton Schäffer "Wir haben in diesen Lebensräumen auch sehr viele Amphi- bien. Wir haben Moorfrösche, Grasfrösche, Erdkröten. Wir fin- den dort Kreuzottern, also Reptilien oder Bergeidechsen und dann natürlich ein großes Heer von Wirbellosen, also bsw. Insekten, Schmetterlinge vor allem, der Hochmoorgelbling. Das sind Arten, die auch auf den Roten Listen stehen, über deren Verbreitung wir aber in der Regel deutlich weniger wissen. Über Vögel wissen wir sehr viel, über Säugetiere wissen wir relativ viel und wir wissen, dass Vögel und Säugetiere sehr oft am Ende der Nahrungskette stehen, d.h. wenn bestimmte Vogelarten, bestimmte Säugetierarten vorkommen, gehen wir davon aus, dass auch die niedrigeren Glieder der Nahrungskette und dazu gehören bsw. die wirbellosen Insekten dort vorkommen und von daher schauen wir uns also an, gibt es in diesen Lebensräumen diese klassischen Niedermoor- und Hochmoorarten wie z.B. Watvögel, Uferschnepfe, Brachvogel, Rotschenkel, Bekassine oder dann Seggenrohrsänger, Schelladler und wir gehen davon aus, dass, wenn diese Arten vorkommen, auch ein ganzes Heer an Pflanzen und Tierarten in diesem Lebensraum vorkommen." ATMO 6: L'va Flussaue, abendliche Vögel kurz stehen lassen, dann Erz. drüberlegen, langsam drunter ausblenden Erz.: Die Pflanzen- und Tiervielfalt, die in den wiedervernässten weißrussischen Mooren wieder Zuflucht findet, könnte auch uns eine Chance bieten, Verlorenes wiederzugewinnen, sofern wir wieder Auenlandschaften und Sumpfgebiete zulassen. Erste Schritte wie das wiedervernässte Peene-Tal in Mecklenburg-Vorpommern sind mit Hilfe des Greifswalder Moorökologen Michael Succow bereits unternommen worden. Er sieht denn auch sein Engagement in Weißrussland als Hilfe für Deutschland. TAKE 19: O-Ton Succow "Also dort sind die Zielarten, die Leitarten und wenn wir sie dort wieder haben und hier wieder vernässen, wird manches bei uns ankommen. Eine Reihe von diesen Sumpfseeschwalben, Weißflügel-, Weißbartseeschwalben sind auf einmal wieder bei uns im Odertal und das sind Populationen, die in Weißrussland noch intakt sind. Auch viele kleine Sumpfhühner, Zwergsumpfhuhn, Tüpfelsumpfhuhn, Kleinralle und vieles andere mehr kommt von Osten, stärkt unsere Populationen. Dort ist die Welt noch heil, so wie ich es in der Kindheit erlebte hier in Brandenburg und es ist für mich ganz klar, dass diese großen Populationen immer wieder abgeben nach Westen, wo wir aus diesen östlichen Populationen zehren." ATMO 6: L'va Flussaue, abendliche Vögel unter Erz. legen, langsam ausblenden 2